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Spannendes Pferdeabenteuer vor traumhafter Kulisse für Pferdefans ab 11 Jahren Pferde sind Hollys ganzes Glück! Jede freie Minute verbringt sie bei ihrer besten Freundin Amber, deren Eltern ein großes Landgut und mehrere Pferde haben. Doch jetzt soll Amber auf ein Pferdeinternat, die Horse Academy Hidden Bay, gehen. Holly ist untröstlich – mit der besten Freundin würde sie auch die Möglichkeit verlieren, sich um die Pferde zu kümmern. Da eröffnet sich die Chance, ein Stipendium zu bekommen. Holly bewirbt sich – und wird aufgenommen! Die vielen Mitschüler aus wohlhabenden Familien lassen sie allerdings nur allzu oft spüren, dass sie nicht ihresgleichen ist. Holly muss eine schwere Entscheidung treffen ... - Raues Klima, stürmische See, wehende Mähnen im Wind – in der Horse Academy werden Reiterträume wahr - Packender Serienauftakt, Fortsetzung folgt! - Von der Autorin von der bezaubernden »Wild Horses«-Reihe
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Seitenzahl: 244
Veröffentlichungsjahr: 2025
Helen Martins
Band 1
Willkommen in der Horse Academy Hidden Bay!
Pferde sind Hollys ganzes Glück! Jede freie Minute verbringt sie bei ihrer besten Freundin Amber, deren Eltern ein großes Landgut und mehrere Pferde haben. Doch jetzt soll Amber auf ein Pferdeinternat, die Horse Academy Hidden Bay, gehen. Holly ist untröstlich – mit der besten Freundin würde sie auch die Möglichkeit verlieren, sich um die Pferde zu kümmern. Da eröffnet sich die Chance, ein Stipendium zu bekommen. Holly bewirbt sich – und wird aufgenommen! Die vielen Mitschüler aus wohlhabenden Familien lassen sie allerdings nur allzu oft spüren, dass sie nicht ihresgleichen ist. Holly muss eine schwere Entscheidung treffen ...
Alle Bände der Serie Horse Academy:
Band 1: Sommer der Entscheidungen
Band 2 erscheint voraussichtlich im Herbst 2025
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischer-sauerlaender.de
Als Kind las sich Helen Martins durch alle »Hanni und Nanni«-Bände und träumte davon, in einem Internat leben zu dürfen. Das Internat sollte ein Pferdeinternat sein und am Meer liegen. »Freu dich, dass du eine nette Familie hast, die sich um dich kümmert«, sagten ihre Eltern dann immer. Aber gegen Träume kommt man nicht an. So ließ Helen Martins als Autorin ihren Traum wieder aufleben und erschuf ein Pferdeinternat an der schönsten Küste Englands in Cornwall. Auch wenn es nur auf dem Papier besteht, ist es doch ein Ort, an dem sie sich in ihrer Fantasie zu Hause fühlt.
[Widmung]
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
nächsten Band
Mit einem ganz besonderen Gruß an Marie
»Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her«, sagt meine Mutter immer. Und Phil fügt gerne hinzu: »Jedes Scheitern kann man in einen Erfolg verwandeln.«
Mit solchen Sprüchen konnte ich nie etwas anfangen.
»Wo soll denn das Lichtlein herkommen?«, gab ich dann schnell zurück. »Da liegt doch gar keine Leitung.«
Aber jetzt kann ich sagen: Mom und Phil hatten recht. Wenn du einmal so richtig am Boden liegst und dich wieder aufraffst und neu anfängst, geht es plötzlich weiter. Und wenn du erst mal ein paar Schritte gegangen bist, merkst du auf einmal, dass du neue Kraft bekommst. Manchmal taucht jemand neben dir auf, der dir weiterhilft, manchmal werden aber auch deine Schritte von allein größer und mutiger. Vielleicht sind dir sogar Flügel gewachsen.
Meine Freundin Amber ist das beste Beispiel. Wenn sie die Mathearbeit nicht versemmelt hätte, wäre sie nicht auf Hidden Bay gelandet, und wenn ich nicht an ihrer Seite geblieben wäre, wären auch mir all die schrecklichen und die wunderbaren Dinge nicht passiert, die das Leben ausmachen.
Der Boden, auf dem wir stehen, kann manchmal sandig oder matschig sein, aber er trägt uns.
Als Mrs Pelham unsere Klasse betrat, wusste ich, dass sie die Mathearbeiten dabeihatte. Es lag an der Art, wie sie die Tür öffnete, wie sie zum Pult ging und ihre Tasche darauf platzierte und wie sie sich anschließend im Klassenraum umschaute. Die anderen hatten nichts bemerkt. Sie redeten noch unbefangen miteinander, kehrten dann nach und nach an ihre Plätze zurück. Ich schaute zu meiner Freundin Amber und machte ihr ein Zeichen mit beiden Händen. Gekreuzte Zeige- und Mittelfinger. Wird schon schiefgehen, bedeutete das. Ich sah, dass Amber blass wurde und sich auf die Lippen biss. Mathematik gehörte nicht zu Ambers Kernkompetenzen. Genau genommen war sie eine absolute Katastrophe darin. Eine bessere Note als ein D hatte sie in diesem Schuljahr noch nicht bekommen. Aber heute würde es bestimmt anders sein. Für diese Klassenarbeit hatten wir nämlich unglaublich viel zusammen gelernt. Das musste einfach gut gegangen sein.
Amber war meine allerallerallerbeste Freundin, der größte Lieblingsmensch in meinem Leben. Wir waren in und nach der Schule unzertrennlich, und das seit dem Kindergarten. Ich verbrachte mehr Zeit meines Lebens bei Ambers Familie als zu Hause. Ambers Eltern hatten ein großes Gestüt in Hoe Park direkt am Meer, und zwischen den Pferden und dem Strand war das Leben einfach perfekt. In den letzten Wochen vor der Klausur aber war ich nicht nur zum Reiten und Pferdeversorgen bei den Willingtons gewesen, ich hatte auch in jeder freien Minute versucht, Amber in die Kunst der Mathematik einzuweisen. Ganz bestimmt hatte sich diese Anstrengung ausgezahlt.
»Bitte setzt euch!«, rief Mrs Pelham nun in die Klasse, und weil immer noch einige miteinander redeten, griff sie in ihre Schultasche und zog diese Hefte mit den giftgrünen Umschlägen heraus. Mit einem Schlag wurde es totenstill. Jeder schob sich geräuschlos auf seinen Stuhl und starrte wie gebannt nach vorne.
Ich spürte ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. Dabei sorgte ich mich nicht um meine Note – ich wusste, ich hatte die Mathearbeit gut hingekriegt. Ich hatte nur Angst um Amber.
»Wer von euch mag zur Tafel kommen und die Aufgaben vorrechnen?«, fragte Mrs Pelham und sah sich in der Klasse um. Ihr Blick blieb an mir hängen.
»Holly Norman?«
Ich nickte, stand auf und ging zur Tafel.
»Wetten, die hat wieder ein B«, hörte ich Noah leise murmeln. Noah, unser Klassenbester, war oft neidisch auf mich. Mrs Pelham wandte sich ihm zu.
»Nein. Sie hat sogar ein A!«, korrigierte sie Noah höflich.
Wow! Ein A? Das hätte ich selbst nicht von mir gedacht.
»Oh. Glückwunsch«, gab Noah zurück, aber es klang boshaft. Ich beschloss, mich nicht darüber zu ärgern. Noah war ein schrecklicher Streber, der alles dafür gab, gute Noten zu bekommen. Ich dagegen strengte mich gar nicht besonders an. Das Lernen fiel mir leicht. Das lag nicht daran, dass es mich interessierte. Im Gegenteil. Ich fand den Unterrichtsstoff oft öde und langweilig. Ich hörte einfach nur im Unterricht gut zu, damit ich den Nachmittag für die Pferde freihatte. Oft fing ich schon in der großen Pause mit den Hausaufgaben an, damit ich zu Hause nicht mehr viel zu tun hatte. Konzentration war die halbe Miete.
Jetzt schrieb ich die erste Aufgabe an die Tafel, die mir Mrs Pelham diktierte, und löste sie vor den Augen der Mitschüler. Die nächste Aufgabe musste Noah vorrechnen, die übernächste Cristin. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir die komplette Mathearbeit an der Tafel stehen hatten. In dieser Zeit gab es viel Lärm in der Klasse. Jammern und jubeln lösten einander ab, je nachdem, ob man die Aufgabe genauso gelöst oder in den Sand gesetzt hatte. Dann endlich war der Moment gekommen. Mrs Pelham ging zum Pult, nahm den Stapel Hefte an sich und ging damit durch die Reihen. Ich kriegte mein Heft zuerst.
A – Super, Holly, stand darunter. Das noch mal so rot auf weiß zu lesen war total schön. Trotzdem konnte ich mich nicht so richtig freuen. Meine Sorge galt Amber. Sie bekam ihr Heft ziemlich spät, was ein schlechtes Zeichen war. Ich konnte sehen, wie sie es vorsichtig öffnete. Dabei klopfte mein Herz so, als wenn es meine Mathearbeit wäre.
Bitte, bitte, lieber Gott, lass sie eine gute Note geschrieben haben, dachte ich. Aber ich war mir nicht sicher, ob sich Gott auf meine Wünsche einlassen würde – wir hatten nämlich gar nicht so eine innige Beziehung zueinander.
Amber blickte kurz in ihr Heft, schlug es dann wieder zu. Sie warf nun die Arme auf den Tisch und verbarg den Kopf in ihrer Armbeuge. Ich war mir unsicher, was das zu bedeuten hatte. Wenn ich ehrlich war, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass sie eine schlechte Arbeit geschrieben hatte. Dazu hatten wir viel zu lange gelernt.
»Amber Willington, du hast mit dieser Arbeit deinen bisherigen Leistungen die Krone aufgesetzt«, sagte ihr Mrs Pelham.
Wieder wusste ich nicht, ob sie das ironisch meinte oder ob Amber tatsächlich versagt hatte. Leider saß Amber im Mathekurs nicht neben mir. Mrs Pelham hatte uns an Einzeltische gesetzt, mich ziemlich weit nach hinten, Amber ganz nach vorne, sodass ich nicht mit ihr reden, schon gar nicht sie trösten konnte. Jetzt aber drehte sie sich zu mir herum. Ich sah, dass Tränen in ihren Augen schwammen. Hilfe, das sah schlimm aus.
Was hast du?, formte ich mit meinen Lippen.
Amber streckte den Zeigefinger der linken Hand in die Luft, legte Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand im rechten Winkel dagegen. Das ergab ein F – für Fail. Amber war durchgefallen. Das ging mir durch und durch. Wie konnte das sein? Wir hatten so viele Stunden geübt, und sie war tatsächlich nachher fast so gut wie ich gewesen.
Für jeden anderen Schüler wäre eine schlechte Klassenarbeit kein Problem. An unserer Schule konnte man nicht sitzenbleiben. Wenn man Schwierigkeiten mit dem Lernen hatte, bekam man so viel Nachhilfe, bis man den Anschluss an die Klasse wieder bekam. Nur bei Amber lagen die Dinge anders. Ihre Eltern hatten beschlossen, sie in ein Internat zu schicken, wenn sich ihre Noten nicht verbesserten. Diese Mathearbeit war nach der versemmelten Englischarbeit und dem mittelmäßigen Geografietest die letzte Chance.
Amber hatte mir wieder den Rücken zugedreht, aber ich konnte sehen, wie ihre Schultern zuckten. Das trieb auch mir die Tränen in die Augen. Wir wussten beide: Wir hatten alles gegeben und verloren.
Amber hatte tolle und verständnisvolle Eltern und ein wunderschönes Zuhause, um das ich sie sehr beneidete. Aber was die Schulleistungen betraf, blieben ihre Eltern streng. Sie wollten, dass ihre Tochter eine gute Schulbildung bekam. Und weil sie offenbar das Gefühl hatten, dass sie Amber viel zu wenig helfen konnten, sollte das Internat nun die Rettung sein. Der Gedanke machte Amber große Angst. Sie wollte nicht von zu Hause weg. Nicht von ihren Eltern, nicht von den Pferden, nicht von dem Gestüt am Strand und vor allem nicht von mir. Ich konnte das zu gut verstehen. Auch ich konnte mir ein Leben ohne Amber nicht vorstellen. Was sollte ich denn ohne sie?
Ich hatte es mit meiner Familie nicht so gut getroffen wie Amber. Wir hatten nur eine kleine Wohnung in Plymouth, in der ich mit meiner Mutter, meinem Stiefvater und meinen zwei kleinen Geschwistern lebte. Es war natürlich auch ein schönes Zuhause. Ich kam mit meinen Eltern gut aus, und ich mochte meinen kleinen Bruder Alfie und meine kleine Schwester Rosie, aber es war immer laut bei uns, und mir fehlte der Platz für mich allein. Vor allem aber hatten wir keine Pferde – das war der größte Minuspunkt in unserer Familie.
Pferde gehörten zu meinem Leben, seit ich mit Amber befreundet war. Schon damals hatte mich meine Mutter oft mit dem Rad zu Amber gebracht, und dann hatten wir uns den ganzen Tag in den Ställen herumgetrieben. Später hatte meine Mutter Phil kennengelernt und war mit ihm zusammen nach Plymouth gezogen. Seitdem fuhr ich allein mit dem Rad – bei Regen mit dem Bus – zu Amber hinaus. Wir beide waren unzertrennlich. Wir waren Seelenverwandte. Wie eineiige Zwillinge. Der Gedanke, dass sie nun in ein Internat wechseln sollte, machte mich fast wahnsinnig. Ich konnte mir ein Leben ohne meine beste Freundin niemals vorstellen.
Endlich war Pause, und ich stürzte zu Amber hinüber, um sie in die Arme zu nehmen. Sie weinte an meiner Schulter.
»Was mache ich denn jetzt?«
»Wir finden schon einen Weg«, murmelte ich, während mir ebenfalls die Tränen die Wangen runterliefen. Dabei war ich genauso ratlos wie sie. Unglücklich schnappte ich mir ihre Mathearbeit, in der stillen Hoffnung, dass sich Mrs Pelham irgendwo mit den Punkten verrechnet hatte. Aber unsere Mathelehrerin vertat sich nie. Ich konnte jetzt auch sehen, wie viele blöde Fehler Amber gemacht hatte. Ich hatte sogar das Gefühl, sie hatte ein richtiges Blackout gehabt. Dinge, die wir immer wieder geübt hatten und die sie todsicher und im Schlaf konnte, hatte sie in dieser Arbeit falsch gemacht. Klammeraufgaben ohne die Regel Punktrechnung geht vor Strichrechnung zu beachten – das ging gar nicht. Kleine Gleichungen wie 4 b + 3 b + 5 c + 2 a hatte sie einfach zusammenaddiert und 14 b als Ergebnis hingeschrieben, und wenn sie eine Dezimalzahl in einen Bruch verwandeln sollte, hatte sie sogar gerechnet, dass 0,5 ein Viertel ergibt. Das waren Fehler, die sie eigentlich noch nie gemacht hatte. Das zeigte mir auch, wie aufgeregt sie gewesen war.
Warum hatten ihre Eltern sie so unter Druck gesetzt?
»Was mache ich bloß?«, flüsterte Amber mit tränenerstickter Stimme. »Ich will nicht ins Internat. Ich will nicht!«
Ich schluckte, wischte mir dann die Tränen fort. Jetzt musste ich einen klaren Kopf behalten. Mit Ambers Eltern konnte man ganz vernünftig reden, und das musste ich tun.
»Ich komme heute zu euch raus«, versprach ich. »Wir müssen deine Eltern einfach umstimmen. Ich verspreche ihnen, dass ich jeden Tag mit dir Mathe üben werde.«
Amber wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab.
»Danke«, murmelte sie. »Auf dich hören sie vielleicht.«
Leider war ich mir da nicht so sicher.
Mom pürierte gerade eine Banane, als ich die Küche betrat. Mein kleiner Bruder Alfie saß im Hochstuhl, ein Lätzchen um den Hals, und klopfte ungeduldig mit seinem Eierlöffel auf seinen Plastikteller. Klarer Fall. Er hatte Hunger.
»Olly!«, rief er und streckte mir seine Arme entgegen. Ich umarmte ihn und küsste ihn auf die Wangen. Er grapschte nach meinen langen blonden Haaren und wickelte seine klebrigen Finger darin ein. Ich mochte das, auch wenn es ziepte. Überhaupt: Wenn ich Alfie sah, war meine Traurigkeit schnell verflogen. Alfie war das süßeste Baby, das ich kannte. Er konnte schon ein bisschen sprechen – Mama – Papa – Auto –, aber zuallererst hatte er meinen Namen gesagt. Olly. Das H schaffte er noch nicht.
»Na, Süßer, hast du Hunger? Mom ist viel zu langsam, oder?«
Mom drehte sich zu mir um und grinste.
»Seine Hungerattacken kommen immer so plötzlich. Eben hat er noch mit seinem Laster gespielt und wie ein Verrückter gebrummt. Jetzt will er Brei. Auf der Stelle.«
Nun kam meine kleine Schwester Rosie in die Küche gelaufen. Sie hatte ein Bilderbuch dabei. Da sie einen Schnuller im Mund hatte, verzichtete sie aufs Sprechen, hielt mir aber ihr Bilderbuch vor die Nase. Der Grüffelo – den kannten sie und ich längst auswendig.
»Oh, Rosie, ich habe gar keine Zeit«, wies ich sie ab. »Ich muss heute zu Amber.«
Meine Mutter verdrehte die Augen.
»Du musst jeden Tag zu Amber«, sagte sie. »Wir kriegen dich überhaupt nicht mehr zu Gesicht.«
»Tut mir leid«, gab ich zurück. »Aber heute ist es ganz wichtig. Amber hat ihre Mathearbeit versemmelt.«
Jetzt sah mich meine Mutter entsetzt an.
»Die Arbeit, für die ihr so gelernt habt?«
Ich nickte.
»Was hast du denn?«
»Ein A.«
»Und Amber?«
»Ein F.«
Meine Mutter schlug sich entsetzt mit der flachen Hand vor den Mund.
»Wie ist das möglich?«
»Das weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich war Amber so in Panik.«
Meine Mutter nickte mitleidig. Sie wusste, was das für Amber bedeutete. Ich hatte ihr von dem Internat erzählt.
»Und jetzt?«, wollte sie wissen.
»Jetzt wird es knapp für sie«, murmelte ich unglücklich. »Vielleicht kann ich mit Ambers Eltern reden. Wenn ich verspreche, jeden Tag mit ihr zu lernen …«
Der Blick meiner Mutter sprach Bände. Sie wusste genau wie ich: Wenn das gemeinsame Lernen nur mir eine gute Note eingebracht hatte, würde das die Eltern nicht überzeugen. Trotzdem lächelte sie mir aufmunternd zu. Schließlich wusste sie, wie viel es mir bedeutete, dass Amber in Hoe Park blieb.
»Natürlich. Du musst das unbedingt versuchen.«
»Es geht um alles«, bestätigte ich. »Um Leben und Tod, sozusagen.«
Mom nickte. »Soll ich dich hinfahren?«
Das Angebot war lieb von ihr. Wo sie doch immer so wenig Zeit hatte.
»Ich nehme das Rad«, winkte ich ab.
Ich wusste: Bis Mom Alfie gefüttert und Rosie angezogen und beide im Auto verfrachtet hatte, war der halbe Nachmittag um. Jetzt aber galt es, schnell zu handeln.
»Ist gut. Viel Glück«, sagte Mom.
Ich küsste sie und meine Geschwister, zog dann meine Jacke an und lief zur Garage. Draußen hatte ein feiner Nieselregen eingesetzt. Er passte zu meiner Stimmung.
Von unserem Mietshaus bis zu Amber war es nur eine Meile. Die schaffte ich, wenn ich keinen Gegenwind hatte, in zehn Minuten. Heute arbeitete der Wind zwar gegen mich, ich war aber sogar in acht Minuten da, so hatte ich mich ins Zeug gelegt. Ich hatte das Gefühl, dass ich keine Zeit vergeuden durfte. Jede Minute zählte, die ich Mr und Mrs Willington von der Idee abbringen musste, Amber von der Schule zu nehmen.
Atemlos kam ich an dem Gestüt an. Ich sog den Geruch der Pferde ein, schaute dabei um mich. Die Stuten standen auf der Westwiese, die sich direkt hinter dem Deich befand. Die Hengstwiese lag auf der anderen Seite des Gestüts. Ich sah Sky und Silverdream nebeneinanderstehen und grasen. Jetzt erkannte mich Sky und wieherte. Dann warf er seinen Kopf in den Nacken und galoppierte auf mich zu. Ich musste schlucken. Dieser Wallach war mein absolutes Traumpferd. Ich hatte dabei geholfen, ihn großzuziehen, hatte ihn mit Mrs Willingtons Hilfe zusammen eingeritten und war vor einigen Wochen zum ersten Mal mit ihm auf einem Turnier gewesen. Er war ein wunderschönes, liebes und einfühlsames Pferd.
Jetzt hatte er den Zaun erreicht und streckte seinen Hals zu mir herüber. Ich umarmte ihn. Dabei bekam ich einen Kloß im Hals. Schließlich wusste ich genau, wenn Amber ins Internat kam, hatte ich auch keinen Grund mehr, zu den Willingtons rauszufahren. Und das bedeutete natürlich ebenfalls, dass ich Sky und all die anderen Pferde nicht mehr sehen konnte.
Eine Hand berührte meine Schulter.
»Holly?«
Ich drehte mich um. Ambers Vater stand hinter mir.
»Hallo, George«, erwiderte ich und umarmte ihn.
Ich verstand mich gut mit Ambers Eltern, duzte sie sogar. Ihren Vater fand ich ganz besonders süß, weil er mich mit seinen roten Haaren immer an Ed Sheeran erinnerte. Mitleidig schaute er mich an.
»Es tut mir alles so leid«, sagte er. »Ihr habt so viel für die Mathearbeit gelernt. Und jetzt das!«
»Was meinst du, wie leid es mir tut«, gab ich zurück. »Aber wir kriegen das schon wieder hin. Amber fehlen vor allem die Grundlagen, und daran scheitert das dann immer.«
Ich wollte direkt die erste Chance nutzen, um Zuversicht zu verbreiten. Gleich voll einsteigen, damit alle wussten, dass wir uns nicht unserem Schicksal ergeben wollten. George wich meinem Blick aus. Da wusste ich, dass es schwer sein würde.
»Lass uns nicht hier darüber reden, okay?«
Das klang ernster als ernst.
»Okay«, gab ich zögernd zurück.
Sein verschlossenes Gesicht beunruhigte mich.
»Hast du Zeit? Kommst du mal zu uns rüber?«, wollte er wissen.
Ich wusste sofort, dass es darum ging, mir jetzt die Geschichte mit dem Internat zu verklickern. Die Angst kroch mir den Nacken hinauf.
»Natürlich«, erwiderte ich.
Ich ging neben George her ins Hauptgebäude hinüber, wo die Familie Willington mit ihren Kindern wohnte. Im Gegensatz zu mir hatte Amber ältere Geschwister, einen Bruder, der in London studierte, und eine Schwester, die zurzeit ein Auslandssemester in den USA machte. Amber war das Nesthäkchen, die einzige Tochter, die noch zu Hause wohnte. Diese Rolle gefiel ihr nicht. Sie hatte immer das Gefühl, zu sehr von ihren Eltern beachtet zu werden – besonders was das Lernen betraf.
Kurz nach George betrat ich das Wohnzimmer.
»Ach, da ist sie ja schon!«, hörte ich Paula rufen, dann stand sie vom Tisch auf, kam auf mich zu und umarmte mich. »Wir reden gerade über dich.«
Amber saß vor einem Laptop. Jetzt schaute sie zu mir herüber, und ich sah die Verzweiflung in ihrem verweinten Gesicht. Amber hatte die roten Haare und den blassen Teint von ihrem Vater geerbt. Ihre Haut war immer sehr hell, aber an diesem Tag erschienen mir sogar ihre Sommersprossen ganz weiß. Sie winkte mir nur kurz zu, stand aber nicht auf, um mich zu umarmen. Das kannte ich gar nicht von ihr. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass sie dann wieder weinen musste.
Oh Mann, das sah alles ziemlich schlimm aus. Ich versuchte, meine Panik im Zaum zu halten.
»Ich hoffe, ihr habt nur Gutes über mich geredet«, versuchte ich, für bessere Stimmung zu sorgen. Dann wandte ich mich an Paula. »Ist leider alles ein bisschen blöd gelaufen mit der Mathearbeit«, sagte ich locker. »Aber das kriegen wir schon wieder hin. Amber bekommt ja Förderunterricht, und ich werde wieder jeden Tag zu ihr kommen …«
»Holly, das ist zu lieb von dir«, unterbrach mich Paula. »Aber du kennst die Lage. Dieses Schuljahr war die Grenze, und die ist nun überschritten.«
Amber und ich wechselten einen kurzen Blick. Ich konnte das Entsetzen in Ambers Augen sehen, die sich nun wieder mit Tränen füllten. Langsam kroch mir eine Gänsehaut den Rücken hinauf, breitete sich dann im Schulterbereich aus und verteilte sich bis in meine Haarwurzeln.
»Wir haben uns entschieden. Wir haben Amber in Hidden Bay angemeldet«, fuhr Ambers Mom fort.
Über meine Gänsehaut fuhr nun ein eiskalter Schauer. Hidden Bay? Dieses Wort war noch nie gefallen. Wenn, dann hatten sie immer von einem Internat geredet. Doch nun schien es schon viel klarer zu klingen. Das Internat hatte bereits einen Namen. Hidden Bay, das hörte sich nach einer einsamen Küste im Nirgendwo an. Bestimmt war es so ein typisches Eliteinternat. Da gab es sicherlich keine Ablenkungen, nur brave Schüler und strenge Lehrer. Es war garantiert eine Schule, in der man auf keine anderen Gedanken kam, als von morgens bis abends zu lernen.
»Bitte nicht«, flüsterte ich.
Wieder drehte ich mich zu Amber um. Sie hatte den Kopf gesenkt, und ich sah, wie Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Das konnte ich kaum ertragen. Ich wollte nicht, dass Amber so etwas angetan wurde. Und erst recht wollte ich nicht, dass meine beste Freundin und ich uns trennen mussten.
George und Paula sahen mich mitleidig an. Sie wussten, dass ich mindestens genauso traurig war wie Amber.
»Schau dir doch mal die Homepage der Schule an«, beschwor mich Paula. Wahrscheinlich hoffte sie, mich doch noch beeinflussen zu können. Darum drängte sie mich auf den Stuhl neben Amber und ließ mich auf den Bildschirm schauen. Ich sah zunächst alles verschwommen und merkte erst jetzt, dass meine Augen ebenfalls feucht geworden waren. Darum fuhr ich mir einmal kurz über die Augen, starrte dann auf die Homepage vor mir. Und obwohl ich ja beschlossen hatte, das alles schrecklich zu finden, war ich plötzlich fasziniert von dem, was ich sah. Das Foto war offensichtlich von einer Drohne aufgenommen worden und zeigte einen riesigen Gebäudekomplex. Ein großer imposanter Backsteinbau ragte hinter der Düne einer Bucht heraus. Er bestand aus mehreren Gebäuden, einer alten Kirche, einer Schule und anderen Bauwerken, die mit Efeu bewachsen waren. Aber was noch besser war: Dahinter gab es Ställe, eine Reithalle, mehrere Reitplätze und große Wiesen, auf denen zahlreiche Pferde grasten. Das Internat lag direkt am Meer. Es gab einen schmalen Streifen Sandstrand, dann folgten Felsen. Der tief liegende Himmel spiegelte sich in dem dunkelblauen Meer.
Für einen Moment war ich sprachlos.
»Wo ist das?«, wollte ich dann wissen.
»In Cornwall. Lands End nennt sich die Gegend.«
Lands End – das Ende der Welt. Ich war noch nicht viel verreist, aber ich kannte mich gut in Geografie aus. Cornwall war dort, wo sich Englands linker Fuß befand, tief im Südwesten, wo sich eine Landzunge der Insel ins Meer erstreckte.
»Es sieht … es sieht wirklich wunderschön aus«, murmelte ich unglücklich.
Vielleicht war es nicht so klug, das zu sagen. Ich spürte, wie mich Ambers Blicke nun fast durchbohrten. Hoffte sie, dass es mir gefiel, oder wollte sie, dass ich ihre Eltern überredete, sie hierzulassen? Ich konnte es nicht einschätzen. Doch eins wurde mir plötzlich sonnenklar: Ambers Eltern schienen fest entschlossen zu sein, Amber dort anzumelden. Es war ihnen egal, was wir dazu sagten, und sie würden sich auch nicht von Jammern, Betteln und Weinen umstimmen lassen.
»Wir sind doch keine Unmenschen«, war George nun zu hören. »Wir wollen das Beste für unser Kind. Und in diesem Internat ist sie gut aufgehoben. Da hat sie die Möglichkeit zu reiten, und gleichzeitig kommt das Lernen nicht zu kurz.«
»Es gibt dort ganz kleine Lerngruppen«, bemerkte Paula. »Nicht mehr als zwölf Schülerinnen und Schüler in einer Klasse, immer nur acht Kinder in einer Wohngruppe, viele Lehrer und Erzieher …«
»Außerdem einen fantastischen Reitunterricht«, übernahm der Vater wieder. Er klickte nun auf eine andere Seite, und ich sah einen jungen Reitlehrer und eine Reitgruppe, die in der Abteilung durch die Halle ritt.
»Hier siehst du die Pokale, die sie gewonnen haben«, fuhr George fort. Wieder klickte er weiter. Auf einer eigenen Seite waren die Pokale dargestellt, die die Schule bekommen hatte. Die meisten Schleifen und Pokale hatten sie im Springen und in der Dressur erhalten, es gab aber auch Urkunden und Wimpel im Schwimmen, im Kricket, im Fußball und in Musik. Diese Schule musste tatsächlich unglaublich erfolgreich sein.
Obwohl ich beschlossen hatte, das Internat blöd zu finden, war ich doch beeindruckt.
»Die Horse Academy Hidden Bay beginnt schon in den Sommerferien«, erklärte Paula. »Sie bieten Vorkurse für die Schüler, die Nachhilfe brauchen, aber sie haben auch ganz viele Sportveranstaltungen – wie ein Feriencamp.«
Noch nicht mal die Sommerferien blieben uns also! Ich musste schlucken.
»Holly?«, war nun Ambers klägliche Stimme zu hören. »Ich soll schon nächste Woche los. Bringst du mich hin?«
Jetzt musste ich wieder mit den Tränen kämpfen. Das klang alles so endgültig und klar. Wir hatten keine Chance, sie umzustimmen.
»Natürlich«, sagte ich hastig.
Erneut legte sich Georges Hand auf meine Schulter.
»Holly, du musst nicht denken, dass du dann nicht mehr zu uns kommen kannst«, sagte er freundlich. »Wir wissen doch, wie sehr du die Pferde magst.«
»Genau«, übernahm Paula. »Du bist uns jederzeit willkommen. Du bist doch wie eine Tochter für uns.«
»Danke, dass ihr das sagt. Das ist zu lieb«, gab ich zurück. »Ich … ich komme natürlich gerne.«
Aber ich wusste genau, dass das nicht mehr das Gleiche sein würde. Ohne Amber würde alles anders.
Eigentlich freute ich mich immer sehr auf die Sommerferien. Jetzt aber begannen sie mit einer Reise nach Cornwall und dem Abschied von Amber. Amber weinte am letzten Schultag, und alle verabschiedeten sich traurig von ihr. Ich bemühte mich, nicht auch noch in Tränen auszubrechen. Einer musste den Kopf über Wasser halten.
Nachmittags war ich dann ein letztes Mal bei Amber am Stall, und obwohl wir zuerst so taten, als wäre alles wie immer, saß uns doch die Traurigkeit in der Kehle.
»Ich habe noch ein kleines Geschenk für dich«, sagte ich Amber, und dann überreichte ich ihr ein Freundschaftsband, das ich für sie gemacht hatte. Es war aus roter Baumwolle geknotet, und ich hatte kleine goldene Perlen hineingeflochten. Mir selbst hatte ich das gleiche Armband aus blauem Garn und silbernen Perlen angefertigt. Nachdem ich ihr das Bändchen um das Handgelenk geknotet und sie auch mir das Freundschaftsband umgelegt hatte, umarmten wir uns ganz fest.
»Wir texten uns jeden Tag, ja?«, bat mich Amber.
Ich nickte. Und dann – obwohl ich mich so zusammenreißen wollte – fing ich doch noch an zu weinen. Da weinte Amber auch wieder.
Am darauffolgenden Montag ging es los. In aller Früh holten mich die Willingtons ab, um mit mir und Amber nach Cornwall zu fahren. Ihr Auto war voll beladen mit Ambers Sachen, ihren Koffern, den Schulsachen und zahlreichem persönlichen Kram. Ich hatte nur einen kleinen Rucksack mit meinem Portemonnaie und meinem Handy dabei. Schließlich würde ich abends wieder zu meinen Eltern zurückfahren.
Die Fahrt dauerte nicht lange, etwas über zwei Stunden, und doch kam sie mir unendlich vor. Das lag vor allem daran, dass niemand im Auto redete und Amber die ganze Zeit aus dem Fenster starrte. Dabei war ich mir sicher, dass sie überhaupt nichts sah. Sie knabberte an ihrer Unterlippe herum. Ihre Augen waren rot vom Weinen, ihre Haut so weiß wie Schnee. Sie so zu sehen brach mir fast das Herz.
Zunächst ging es über die Autobahn, die jetzt zum Ferienanfang stark befahren war. Die Sonne schien, der Himmel war blau. Mit ein bisschen Fantasie konnte man sich einbilden, in den Urlaub zu fahren. Nur die apathische Amber passte nicht dazu.
Am frühen Vormittag erreichten wir zum ersten Mal wieder das Meer. Die Landschaft wurde einsamer, Sand und Felsen lösten sich ab.
»Gar nicht übel«, sagte George, und Paula bestätigte: »Wunderschön.«
Amber zuliebe sagte ich nichts, aber ich fand, dass ihre Eltern tatsächlich recht hatten. Die Küste war wilder und irgendwie romantischer als bei uns in Plymouth. Schließlich ging es erneut auf eine Deichstraße, bis wir die Küste von Lands End erreichten.
»Hidden Bay, da sind wir«, sagte George.
Wir sahen eine atemberaubende Landzunge und ein kleines Örtchen, das völlig aus der Zeit gefallen schien. Kleine weiße Häuschen duckten sich aneinander. Zwischen den Häuserfassaden konnte man das Meer erkennen. Einige Meter weiter streckte sich ein rotes efeubewachsenes Backsteingebäude in einer Hufeisenform an einer Bucht entlang, die Horse Academy Hidden Bay. Dieser Ort sah im Morgenlicht noch schöner aus als auf der Schulhomepage.
»Sie haben Ihr Ziel erreicht«, verkündete die warme Stimme aus dem Navi. »Ihr Ziel befindet sich auf der rechten Seite.«
»Wow«, sagte ich leise.