hüben und drüben - Anne Dorn - E-Book
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Anne Dorn

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Beschreibung

Zu einer Zeit als der tödliche Grenzstreifen Deutschland noch teilte, treffen in einer sächsischen Kleinstadt, Menschen von hüben und drüben zusammen. Sie trauern um Paul, den lebenserfahrenen, listigen Alten, der Ost und West so maßvoll zu arrangieren wusste. Aber die Trauerfeier, von beiden Seiten zunächst sorgsam beschirmt als Ort der Harmonie und Pietät, wird unversehens zur Arena. Jahrzehntelang verborgene Gefühle, unterdrückte Anschuldigungen und Vorwürfe brechen sich Bahn. Es zeigt sich, wie eng persönliche Unzulänglichkeiten mit der Herrschaft der zwei miteinander konkurrierenden Systeme in Deutschland verwoben sind. Am Abend jenes lichtklaren Augusttages, in dem Jahrzehnte deutsch-deutscher Geschichte gleichsam wie durch ein Brennglas sichtbar werden, fühlen sich alle belogen und betrogen: Die aus dem Westen um ihre Zugehörigkeit zu diesem Stückchen Erde nahe Dresden, und die aus dem Osten um die ihnen seit der Teilung Deutschlands verheißenen Segnungen des Sozialismus. Anne Dorn erzählt in ihrem 1991 erstmals erschienenen Roman, der so kurz nach der Wende kaum wahrgenommen wurde, und der nun in dieser überarbeiteten Neuauflage endlich wieder zugänglich sein wird, mit entwaffnender Genauigkeit eine deutsch-deutsche Familiengeschichte. Dabei teilt sie dem Leser auf subtile Weise die wahren, von der Furcht vor Zerwürfnis versteckt gehaltenen Gefühle mit, ohne sie zu benennen. So atmet ihre höchst aktuelle Darstellung Hoffnung auf Verständnis füreinander.

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Veröffentlichungsjahr: 2013

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Anne Dornhüben und drüben

Anne Dorn

hüben und drüben

Roman

Überarbeitete Fassung des Romans »hüben unddrüben« von 1991

Bibliografische Information der DeutschenNationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

ISBN 978-3-943941-11-1eISBN 978-3-943941-25-8

© Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2013Lektorat: Christian DöringUmschlaggestaltung: Guido Klütsch

www.dittrich-verlag.de

Für Hedwig und Max

ERSTES KAPITEL

In einer sächsischen Kleinstadt östlich von Dresden sind zwei unterwegs. Sie laufen vor sich hin. Sie lassen sich gehen. Sie schauen weder nach links noch nach rechts. Für nichts haben sie Augen oder Ohren. Ihre Gedanken treten auf der Stelle.

Sie sind auf dem Weg zum Steingutwerk. Dicht neben Petra stolpert Wibke. Der Fußweg der Schumannstraße ist breit, trotzdem hält das Mädchen sich dicht an seine Mutter. Es zeigt sich, dass Wibke noch ein Kind ist, – über Nacht ist ihr Mund wieder weich geworden und ihre Augen staunen.

Wibke fröstelt. Sie hat in der Flurgarderobe irgendetwas vom Haken genommen und die Wetterjacke erwischt, an der ein Knopf fehlt. Auch Petra trägt einen alten Wollrock, dessen Saum an einer Stelle steif absteht, weil der Stoff von Firnis durchtränkt ist.

Gestern hatte Petra vor, die abgeschliffenen Stellen der Fensterbänke zu grundieren. Bis jetzt ist sie kaum aus den Kleidern gekommen. Beide haben vergessen, dass man sich ordentlich anzieht, wenn man auf die Straße geht.

Sie werden noch mehr vergessen: das bestellte Fleisch für den Sonntag beim Fleischer und die Fortsetzung der Serie »Aber Vati« heute abend im Fernsehen. Ihre Gewohnheiten sind abgeschafft. Es ist heute ein unendlicher Tag, dessen Anfang im Gestern liegt, und der die Zeit, in der die Betriebe schließen, ein zweites Mal erreicht. Die beiden laufen bergab, und bergaufratternd füllen die Busse mit der Belegschaft aus dem Zinkwarenkombinat die Straße.

Beim Anblick der Fahrzeuge atmet Petra auf: Jetzt werden die Kollegen und Kolleginnen die Wachstuchhelme über die Büromaschinen stülpen und gehen. Im stillen Büro wird sie das Telefon benutzen, niemand wird etwas dagegen einwenden. Wenn sie doch noch Kollegen oder Kolleginnen antreffen sollte, müsste sie wohl erklären oder berichten. Nein, das kann Petra heute nicht.

Auf Wibke wirkt die frische Luft wie ein Rauschmittel. Ganz automatisch funktionieren ihre Beine. Sie hat das Gefühl, nicht wirklich auf der Straße zu sein. Der rostige Schlüssel im alten Aushängeschild der Schlosserei schaukelt hin und her, und schaukelnd kommen die Busse auf Wibke zu, die Straßenbäume und die roten Zapfsäulen der Tankstelle: Auf und ab.

Jetzt auch der Prellstein vor der Einfahrt in die Tischlerei. Wibke schlägt hin. Und nun schaukelt die Welt nicht mehr, sie kreist. Die Pflastersteine und der Prellstein kreisen um Wibkes Stiefelspitze. Da klafft eine Schmarre im schwarzen Leder. Wibke befeuchtet den Zeigefinger und fährt damit über die kaputte Stelle. Immer tiefer rutscht ihr Kopf, und so hockt sie, fürchtet sich davor, den Rücken geradezurecken, weil alle Dinge hier so nachgiebig schwanken. Gewöhnlich treibt die Mutter ihre Tochter an: »Mach hin! Bummel dich aus!« Gewöhnlich geht Wibke auch weit voraus oder entschieden hinter der Mutter her. Heute hilft Petra ihrem großen Kind auf die Beine, untergehakt gehen sie zusammen weiter.

Es knallt. Ein Brett ist aus großer Höhe auf ein anderes heruntergefallen. Wie bei einem Gewehrschuss sind Mutter und Tochter augenblicks stehengeblieben. Jetzt gehen sie weiter. In der Holzhandlung, gegenüber der Schlosserei, verblocken zwei Männer den Bretterstapel. Petra drückt Wibkes Hand.

Gestern haben die gleichen Männer den Holzplatz gesäubert, haben Petra mit dem Besen zugewunken und gerufen: »Heh, junge Frau, helfen Sie uns!« »Ja, das könnte euch so passen«, hat sie gestern gescherzt. Seit heute Morgen liegt Petras Arbeit unerledigt auf ihrem Schreibtisch im Hauptbüro der Steingutwerke. Dieses Mal wäre es ihr recht, wenn jemand sie vertreten könnte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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