Hurenspiel - Rolf Kremming - E-Book

Hurenspiel E-Book

Rolf Kremming

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Beschreibung

Kurzgeschichten über Menschen wie Du und ich. Beobachtet von Rolf Kremming. Auf der Straße, im Supermarkt und in der U-Bahn. Mal heiter, mal ernst, mal nachdenklich...auf jedem Fall lesenswert

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Seitenzahl: 114

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Über dieses Buch:

Wer kennt sie nicht? Die Menschen, die uns täglich begegnen. In der U-Bahn, an der Kasse vom Supermarkt, auf den Ämtern oder in unserer Fantasie. Menschen, die uns viel erzählen, auch wenn sie nicht persönlich mit uns reden. Schauen Sie sich die Menschen an und Sie werden staunen, wie viel Sie Ihnen mitzuteilen haben.

Rolf Kremming

Solange man sich nicht entschlossen hat, zaudert man, und die Möglichkeit, uns zurückzuziehen, verurteilt uns zur Wirkungslosigkeit. Für alle Initiativen gilt aber eine grundlegende Wahrheit, deren Unkenntnis großartige Pläne zunichte macht, dass nämlich in dem Augenblick, in dem man sich entschließt, auch die Vorsehung ihr Teil beiträgt. Alle möglichen Dinge kommen uns zu Hilfe, die sonst niemals eingetreten wären. Unser Entschluss setzt einen ganzen Strom von Ereignissen in Gang und lässt uns Zufälle und materielle Unterstützung zu Hilfe kommen, wie wir sie nicht im Traum erwartet hätten.

W. H. Murray

Inhaltsverzeichnis

Mein Kudamm

Frederike Feuerbrunst

Der Vorhang

Ein Held stirbt nie

Hurenspiel

Das Klappbrett

Mit der U 7 zum Karneval

...

und die Sterne lügen doch

Marc ist tot

Turnschuhe

U 8...ein Erlebnis besonderer Art

Chorknabe gesucht

Amtsfreuden

Der Pickel

Der Reißverschluss

Freunde

Lydias wunderbare Wandlung

Ha Ho He...

Blizzard

Deutsche Rentenversicherung

Zu spät

Herr und Frau Appeldoorn

Alkohol

Walter Maut

Irrfahrt

Die Geliebte

Für Regina, Yolanda, Morgana, Louise und Justin

Mein Kudamm

Der Dicke an der Bushaltestelle sieht aus, als hätte er vor Jahren mal ein mieses Erlebnis auf dem Kudamm gehabt. Sein Gesichtsausdruck passt bestens zu dem der Dame vom Ordnungsamt in blau, die sich gerade mit ihm anlegt. Angesichts ihrer Uniform fühlt sie sich um 30 Zentimeter größer als der Trottel, der keinen Parkschein hat. Die Dame in Blau grinst und zückt den Block. Nicht jedes Kudammerlebnis ist eine Begegnung der schönen Art. Da sieht die Schwangere im Cafe viel glücklicher aus. Gerade streichelt der Mann über ihren dicken Bauch. Ein Kind mit Roller fährt einen Bogen um die zukünftige Familie. Peter Lustig läuft vorbei. So lustig, wie ich ihn aus dem Fernsehen kenne, sieht er heut nicht aus. Nicht jeder hat immer seinen besten Tag.

„Du bist doch das letzte. Du führst dich auf wie seine Hoheit höchstpersönlich.“ Die Stimme klingt nach Krach und zwar nach gewaltigem. Ich kenne das, will weghören, bin aber zu neugierig. Vielleicht kann ich noch was lernen. Der Typ schweigt, zieht den Ring vom Finger der linken Hand und legt ihn schweigend neben die Cappuccinotasse. Dann steht er auf und geht. Wow! Ein richtiger Kerl!

Am Nebentisch sitzt ein Pärchen. Sie nimmt ihm die noch nicht brennende Zigarette aus dem Mund und lacht. „Du hast mir doch versprochen...“ Er: „Ja Schatz. Morgen höre ich bestimmt mit dem Rauchen auf....“ Sie gibt ihm einen Kuss. Die Zigarette behält sie.

Der Punker an der Kreuzung Adenauerplatz trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: Alles Scheiße... Sein Hund liegt schläfrig auf dem Mittelstreifen und ist zu faul zum Bellen. Ein Typ im roten Audi lässt die Scheibe runter und wirft Geld in den Pappbecher. Der Punker strahlt, sein Augen-Lppen-Nasen-Piercing lacht.

Nicht weit von mir wird russisch gesprochen. Ich verstehe kein Wort, aber es scheint was Lustiges zu sein, weil das Damentrio unaufhörlich lacht. Die Sonne scheint auf zwei Prada- und Guccitaschen. Ein Hund kommt vorbei, eine der Russinnen nimmt schnell die Tüten hoch. Sie hat wohl Angst, dass der Hund.... Der aber schleicht zum nächsten Baum und macht dort sein Geschäft.

„Das Himbeereis schmeckt scheiße, Mami.“ Mami zuckt zusammen. Die rothaarige Kleine schaufelt sich weiter durch ihren Mickey-Mouse-Becher.

Neben russisch höre ich nun auch noch englisch, spanisch und ein Gewirr von Worten, die ich nirgendwo einordnen kann. Wahrscheinlich indisch. Die Frau hat einen roten Punkt auf der Stirn. Kudamm international. Zwei Straßenmusiker spielen auf. Die Frau schüttelt ihr Tamborin, als wolle sie einen Cocktail mixen. Er bläst in seine Mundharmonika und hat rote Backen. Nach Philharmonie klingt es zwar nicht, aber ich fange mit dem linken Fuß zu wippen an. Die Russinnen am Nebentisch ebenfalls.

Ein Mann mit Blumen fällt mir auf. Seit mindestens einer Viertelstunde läuft er aufgeregt hin und her und schlägt bei jedem Schritt den Strauß gegen seinen Oberschenkel. Ich frage mich, wie lange die Blumen das aushalten. Dann kommt SIE und zum Glück sind die Blumen noch heile.

Ich höre Kinderlachen. Jetzt kommt Stimmung auf. Zwei ungefähr dreijährige Knirpse spielen zwischen den Tischen Fangen. Der eine in schicken Jeans, der andere in kurzer Seppel-Lederhose. Zum Glück gibt es hier keine Tischdecken. Das wäre eine Katastrophe. Dann kommt der Höhepunkt in Gestalt des Kellners. Er sagt nichts, sein Blick genügt und die Knirpse setzen sich wieder. Lustig ist vorbei.

Die Sonne verschwindet, mich fröstelt. Meine Jacke liegt im Auto und das steht ohne Parkschein auf dem Mittelstreifen. Vielleicht wartet dort schon die Dame in Blau auf mich. Besser ist, ich bleibe noch ein wenig sitzen.

Frederike Feuerbrunst

Frederike Feuerbrunst war ein scheußlicher Name. Dass ihre Eltern sie Frederike getauft hatten, war schon schlimm genug. Aber dass ihre Mutter einen Mann mit dem Namen Feuerbrunst geheiratet hatte, nahm sie ihr verdammt übel. Alles wäre anders geworden, hätte Mama nicht bei der Standesbeamtin Storch „JA“ gesagt. Warum hatte sie nicht einen Mann mit vernünftigem Namen geehelicht? Vielleicht einen „von Waltersdorf“ oder „Mannesmann? Als Frederike ihrer Mutter das Versäumnis vorwarf, meinte Mama, sie solle zufrieden sein. Schließlich wäre es schlimmer gekommen, hätte sie den Freund vor Ferdinand Feuerbrunst geheiratet. Der hieß Schluckspecht und war auch ein solcher. In Anbetracht der Tatsache, dass die Sache mit ihrem Namen noch relativ harmlos ausgegangen war, schwieg Frederika von nun an still. Doch bis zu ihrem 30. Geburtstag hatte sie sich nichts inniger gewünscht, als im Rahmen einer Ehe von dem Makel ihres Namens erlöst zu werden. Doch der einzige Mann, der ihr jemals einen Antrag machte, war Robert und der konnte nicht schwimmen. Ein Mann, der nicht schwimmen könne, könne auch nicht richtig lieben. So hatte sie es in einer der gängigen Frauenzeitschriften gelesen. Das hatte sie jedoch erst auf Mallorca festgestellt. Das mit dem Schwimmen. Der andere Umstand war ihr schon vorher aufgefallen. Und zwar jedes Mal wenn sie mit Robby im Bett schäkerte. Frederika liebte das Wort schäkern. Es hatte so etwas Weiches und dennoch Markantes und drückte all das aus, was ihr beim Sex wichtig war. Robert dagegen lachte sie deshalb aus und meinte, er fühle sich wie im Kindergarten. So gab ein Wort das andere und Frederike drehte sich frustriert zur Seite. Außerdem war Robert auch geizig. Er selbst nannte es sparsam. Zum Beispiel zahlte er in Euro und Cent genau das, wonach der Kellner verlangte. Trinkgeld geben sei Verschwendung, erklärte er mit erhobenem Zeigefinger; schließlich bekomme er auch keines. Dass er Polizist war und Trinkgeld eher unter den Begriff Bestechung fiel, sah er nicht ein. Wer nun glaubt, Frederike Feuerbrunst wäre nur auf eine gute Partie mit dickem Bankkonto aus, täuscht sich. FF war eine vollkommen normale Frau. Sie ging ihrer Arbeit in einem Reisebüro nach, weshalb sie die Reise nach Mallorca auch zum verbilligten Tarif bekommen hatte. Zweimal in der Woche joggte sie, aß gern Schokolade, Kuchen und Nussriegel, verzichtete aber meist auf den Konsum dieser Dinge, weil sie befürchtete, die Zeiger ihrer Badezimmerwaage würden sich verbiegen. 55 Kilo wog sie und das bei 1 Meter und 70. Sie las gern biografische Romane über Frauen, die es im Leben weit gebracht hatten. Und das ganz ohne Mann. Oder vielleicht gerade deshalb. Männer können ziemlich hinderlich sein, hatte FF schon oft gedacht. Doch ganz ohne, konnte sie sich ihr Leben auch nicht vorstellen. Doch Robert hatte sie, obwohl er durch Heirat zur Änderung ihres Namens hätte beitragen können, ins All geschossen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hatte einen Drachen gebastelt, Robbys Gesicht draufgemalt und ihn in die Lüfte steigen lassen. Als er hoch genug und fast in den Wolken verschwunden war, ließ sie die Leine los. Von nun an ging’s bergab mit ihrem Liebsten. Erst drehte dieser sich ein paar Mal zwischen den Kumuluswolken, fing sich kurz, stieg wohl auf Grund aerodynamischer Begebenheiten noch einmal hoch, um dann mit aller Wucht Richtung Erde zu rasen. Dabei trudelte er so stark, dass Frederike Feuerbrunst fast ein schlechtes Gewissen bekam, weil sie doch wusste, dass Robert noch nicht einmal den kurzen Flug nach Mallorca schadlos überstanden hatte. Milchweiß im Gesicht hatte er mit feuchten Fingern ihre Hand gehalten. Während sie noch dachte, wie stark sie und wie schwach er gewesen war, rauschte der rote Drachen in Richtung grüner Wiese. FF schloss die Augen. Sie wollte nicht Zeugin dieses Mordes werden. Ein kurzes Krachen...Erde zu Erde... Staub zu Staub. Der Rest war Schweigen. FF würdigte der Unglücksstelle keinen Blick mehr. Hoch erhobenen Hauptes kehrt sie um und schritt nun leichtfüßig über das Tempelhofer Flugfeld. Der Wind durchzauste die blonden Locken. Sanft strich sie eine Strähne aus der Stirn. Als ihr Handy klingelte und sie die Nummer des Anrufers sah, lächelte sie. „Lust auf einen Cafe bei mir?“, fragte der Mann. Die Absturzstelle hinter sich lassend, lief Frederike zu Heinrich Scheuersand. Zwar hatte auch er einen bescheuerten Namen, doch Heini konnte wenigstens schwimmen.

Der Vorhang

„Du Opa Rolli, guck mal, ich habe Dir ein Bild gemalt.“ Morgana, meine knapp fünfjährige Enkeltochter, stand auf den roten Stöckelschuhen ihrer Mutter vor mir, schwankte wie ein Seemann bei Windstärke 12 und blickte mich an. Mit dem Ausdruck größter Wichtigkeit hielt sie mir ein Blatt aus ihrem Malbuch vor die Nase. Dabei schaute sie mich mit großen Augen an, und wie immer, wenn sie etwas furchtbar wichtiges zu sagen, zu zeigen oder zu machen hatte, schob sich ihre Oberlippe über die Unterlippe. Dazwischen guckte die Spitze ihrer Zunge hervor und wackelte aufgeregt umher.

Ich nahm das Blatt in die Hände, es roch nach frischer Farbe und war an einigen Stellen noch feucht. Der Rest der Farbe klebte an Morganas Fingern, ein dicker roter Spritzer hatte sich auf ihre Nase verirrt und sogar das T-Shirt hatte ein paar Kleckse abbekommen.

„Gefällt es Dir Opa? Das sind wir beide, ich und Du im Kindertheater. Wir spielen Schneewittchen. Ich bin die Prinzessin und Du bist die sieben Zwerge. Ist doch lustig nicht?“ Bedächtig schaute ich auf das Blatt in meinen Händen. Neugierig reckte Morgana ihren Hals in die Höhe und schielte unter meinem Arm hindurch.

„Soso, Du bist also die Prinzessin und ich die sieben Zwerge“, wiederholte ich, denn ich war mir nicht ganz sicher, ob ich richtig gehört hatte.

„Jaaa genau. Und der Prinz...das bist du auch.“

Aha! Ich schaute noch einmal auf das Blatt, hielt es dichter vor meine Nase, drehte es nach links, drehte es nach rechts. Ich schaute auf die Rückseite. Doch nirgends sah ich das Schneewittchen, keinen Prinzen und auch die sieben Zwerge konnte ich nirgends entdecken. Ich rückte meine Brille nach vorn auf die Nase - aber außer einer großen roten Fläche, die in der Mitte einen weißen Streifen hatte, konnte ich auf dem Bild nichts entdecken.

„Das hast Du aber fein gemacht“, lobte ich und wartete auf die Eingebung, die mir zeigen sollte, wo die Zwerge waren.

„Nicht wahr, fein gemacht“, entgegnete sie und schaute mich fragend an, als warte sie noch auf etwas.

Ich holte tief Luft. „Wo sind denn die Zwerge, und wo ist die Prinzessin?“, fragte ich vorsichtig und schaute in Morganas Kindergesicht.

„Man Oooopi, die kannst Du doch nicht sehen“, erklärte sie und drehte die Augen himmelwärts. „Die stehen doch hinter dem roten Vorhang, und der ist noch zu.“ Dann nahm sie mir das Bild wieder aus den Händen, drehte sich schwungvoll herum und wackelte auf den Stöckelschuhen davon.

Ein Held stirbt nie

Sie waren zu dritt.

Die Brüder Kolkow und Daniel, der gemeinsame Kumpel aus dem Knast. Vier Jahre, zwei Monate und acht Tage hatten sie sich die Zelle 204 der Strafanstalt in Berlin-Tegel geteilt. Die Brüder wegen gemeinschaftlicher Erpressung, und Daniel wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Sie waren eine eingefleischte Notgemeinschaft geworden, durch dick und dünn gegangen. So machten sie auch im Knast ihre kleinen und manchmal auch größeren Geschäfte. Ihr gemeinsames Ziel hieß: reich werden ohne Schweiß! Keiner von ihnen wollte zwölf Stunden am Stück schuften, sich Kreuz und Seele verbiegen, nur um die Miete im Sozialblock bezahlen zu können. Sie wollten auf die Bahamas, unter Palmen schwitzen und sich von braunen Naturschönheiten verwöhnen lassen. Sie wollten Frauen und Dollars genießen.

Daniel, der Jüngste des Trios, Anfang dreißig, stand am Schalter der Bank. Er hielt mit seiner Magnum die drei weiblichen Angestellten und den Filialleiter Lampe in Schach. Daniel war schlank und unter seiner schwarzen Lederjacke steckten breite, kräftige Schultern. Der Lohn von viermal Training pro Woche im anstaltseigenen Sportstudio. Der Lauf der Knarre zeigte abwechselnd auf Lampe oder auf eine der Frauen. Die Ältere mit den grauen Haaren und der auffallend jugendlichen Brille, blickte ihn aus ihren durch die Brillengläser stark vergrößerten Augen an. So als erwarte sie, dass sich jeden Moment eine Kugel aus dem Pistolenlauf lösen und ihr angegriffenes Herz zerfetzen würde. Obwohl sein Gesicht durch eine schwarze Strumpfmaske verdeckt war, erinnerte sie der junge Mann an ihren Sohn, der ungefähr im gleichen Alter sein müsste. Ein Sohn, der ihr außer Kummer nichts im Leben beschert hatte, und an dem sie trotzdem hing.

„Schluss mit dem Getuschel“, schrie Daniel und fuchtelte mit der Waffe herum. Die beiden jungen Mädchen, zwei Azubis, schreckten auseinander. Mit blassen Gesichtern verfolgten sie den Lauf der Knarre, der abwechselnd auf ihre Köpfe zielte.

Die Brüder an der Kasse packten indessen Bündel für Bündel des Papiers, von denen sie sich ein sorgenfreies Leben versprachen, in drei hellbraune Reisetaschen.