Ich bin jetzt DU - Hildegard Grünthaler - E-Book

Ich bin jetzt DU E-Book

Hildegard Grünthaler

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Beschreibung

Unterhalb einer Burgruine wird die Leiche eines rabiaten Geldeintreibers gefunden. Tatverdächtig ist der bis über beide Ohren verschuldete Marco Köppel. Nach ihm fahndet nicht nur die Polizei, auch ein zwielichtiger Kredithai ist hinter ihm her. Auf der Flucht verschlägt es den Verdächtigen bis nach Neuseeland, wo auch Helga und Jürgen Brombacher im Wohnmobil unterwegs sind. Sie kommen dem Gesuchten immer wieder in die Quere und geraten dabei selbst ins Visier der Polizei, denn eine brutale Mordserie erschüttert das Land am anderen Ende der Welt. Ist Marco Köppel in die Verbrechen verwickelt?

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Seitenzahl: 263

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Buchbeschreibung:
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Leseprobe aus dem Nordamerika-Reisekrimi: Highway ins Verderben
Leseprobe aus dem Australien-Reisekrimi: Tödliches Erbe
Reisebücher

ICH BIN JETZT DU

Ein Neuseeland-Reisekrimi

von

Hildegard Grünthaler

Impressum

ICH BIN JETZT DU

©Text: Hildegard Grünthaler

©Cover: Hildegard Grünthaler

©Foto: Hildegard Grünthaler

Hildegard Grünthaler

Kolpingstraße 19

90542 Eckental

[email protected]

www.schmoekerseite.de

www.wohnmobil-weltreise.de

Buchbeschreibung:

Ich bin jetzt DU – Ein Neuseeland-Reisekrimi

Unterhalb einer Burgruine wird die Leiche eines rabiaten Geldeintreibers gefunden. Tatverdächtig ist der bis über beide Ohren verschuldete Marco Köppel. Nach ihm fahndet nicht nur die Polizei, auch ein zwielichtiger Kredithai ist hinter ihm her. Auf der Flucht verschlägt es den Verdächtigen bis nach Neuseeland, wo auch Helga und Jürgen Brombacher im Wohnmobil unterwegs sind. Sie kommen dem Gesuchten immer wieder in die Quere und geraten dabei selbst ins Visier der Polizei, denn eine brutale Mordserie erschüttert das Land am anderen Ende der Welt. Ist Marco Köppel in die Verbrechen verwickelt?

Kia Ora liebe Leser!

Mit diesen Begrüßungsworten aus der Sprache der Maoris, lade ich Sie zu einer Krimireise ans andere Ende der Welt ein.

Das schöne Neuseeland nannten die polynesischen Entdecker »Aotearoa«, das »Land der langen, weißen Wolke«. Nach jener charakteristischen Wolke, die schon von Weitem das neu entdeckte Land ankündigte.

Im Krimi verwende ich häufiger das Wort »Kiwi«. Kiwi heißt der vom Aussterben bedrohte, flugunfähige Vogel mit dem langen Schnabel. Er war aber nicht nur für die süßen, grünen Früchte, die es im Sommer in unseren Supermärkten gibt, der Namensgeber. Auch die Neuseeländer selbst nennen sich Kiwis.

Die Kiwis sind freundliche Menschen, die stolz auf ihr schönes Land sind. – Im folgenden Krimi wird kräftig gemordet. Mit der Wirklichkeit hat das jedoch nichts zu tun.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

Hildegard Grünthaler, Autorin

www.schmoekerseite.de

Prolog

»Unser Visum ist da!« Helga Brombacher schlitzte aufgeregt einen großen Briefumschlag auf.

»Super! Dann steht ja unserer Reise nichts mehr im Weg!«, freute sich Jürgen.

»Es war wirklich unklug von uns, dass wir unser Wohnmobil von Australien nicht gleich direkt nach Neuseeland verschifft haben«, meinte Helga, »aber nach einem Jahr des Umherziehens hatte sich doch eine gewisse Reisemüdigkeit eingestellt.«

»Aber jetzt sind wir wieder hungrig und reiselustig. Statt unser Mobil ans andere Ende der Welt zu schicken, werden wir uns für diese Reise ein neuseeländisches Mobil direkt vor Ort kaufen und zum Schluss wieder verkaufen. Ich hoffe, dass wir für die sechs oder sieben Monate, die wir geplant haben, ein gut gebrauchtes Fahrzeug finden.«

»Ja, und dass wir es hinterher auch wieder gut verkaufen können, denn wenn wir zurückfliegen, beginnt in Neuseeland die ungemütliche Jahreszeit«, gab Helga zu bedenken.

»Halb so wild«, meinte Jürgen Brombacher, »dafür entgehen wir der ungemütlichen Zeit hier in Deutschland.«

»Genau!«, stimmte Helga zu. »Statt in Südspanien und Portugal verbringen wir die kalten Monate in Aotearoa, dem Land der langen weißen Wolke!«

»Aber bevor ich es vergesse«, warf Jürgen ein, »vorhin haben die Sachmanns angerufen. Robert Sachmann hat jetzt wirklich seinen Anteil an der Firma Baumer & Sachmannan Sohn und Tochter seines Kompagnons verkauft.«

»Ein weiser Entschluss!«, kommentierte Helga.

»Das ist aber noch nicht alles. Sie haben ein nagelneues Wohnmobil gekauft, das sie gestern abgeholt haben. Aber weil ihnen jegliche Erfahrung fehlt, fänden sie es toll, uns am Samstag auf dem Stellplatz unterhalb der Burgruine zu treffen, und am Sonntag gemeinsam mit uns zur Ruine hinaufzuwandern. Oben, im Gasthaus zum Raubritter, kann man gut essen!«

»Super! Ich bin gespannt auf das Wohnmobil!«

»Das ist vermutlich mit allen Schikanen ausgestattet!«

»Was hältst du davon, wenn wir schon am Donnerstag losfahren? Der Stellplatz ist Startpunkt für so viele Wanderwege, und das schöne Wetter sollten wir ausnützen.«

Kapitel 1

Er setzte sein eingeübtes, strahlendes Lächeln auf: »Zwölfeinhalb Prozent kann ich Ihnen auf jeden Fall garantieren!«

»Tatsächlich?«

Herrgott noch mal, so eine skeptische Alte! Ein Scheißjob war das. Für eine lausige Provision alten Weibern windige Geldanlagen aufschwatzen. Aber bei der könnte es sich lohnen. Er blickte verstohlen um sich. Die altmodischen Möbel waren sicher mal teuer gewesen. Alles wirkte poliert und gewienert. Da kam ganz bestimmt zweimal wöchentlich eine Putzfrau, um die Wohnung in Schuss zu halten. Die Frau hatte Geld. Garantiert. Sie wirkte gepflegt, war geschminkt, hatte das graue Haar perfekt frisiert. Außerdem war sie gut gekleidet und mit allerhand Goldschmuck behängt.

»Ja, zwölfeinhalb Prozent«, wiederholte er. »Mindestens!«

»Ich weiß nicht so recht – wie ist das bei der momentanen Zinslage überhaupt möglich?«

»Ganz einfach, durch eine geschickte Anlagestrategie. Für die ist unsere Moneda-Finanz-GmbH berühmt!« Er faltete den Hochglanzprospekt auseinander und schob ihn ihr zu. »Bei Ihrer Bank mussten Sie garantiert Minuszinsen bezahlen!«

»Nun ja, sie nannten das Verwahrentgelt!«

»Natürlich, das klingt besser, ist aber die gleiche Abzocke. Wenn Sie dann noch die derzeitige Inflation miteinrechnen ...« Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen. Das zeigte meist Wirkung, bei der Alten leider nicht. Er sollte den miesen Job sausen lassen und sich selbständig machen. Vielleicht mit dem Enkeltrick. Oder als falscher Polizist, der das Geld vor Räubern und Ganoven in Sicherheit bringt. Das Problem bei der Sache war das Abholen des Geldes. Das war zunehmend gefährlich, weil die Banken alarmiert und die Angestellten angehalten waren zu warnen, wenn plötzlich so ne alte Oma oder ein Opa ne Menge Bargeld vom Sparkonto abheben wollte. Da kam es dann mitunter vor, dass bei Oma und Opa die Bullen im Flur lauerten.

Die Alte, die ihm auf dem mit Samt bezogenen Sofa gegenübersaß, lächelte süffisant. »Ich hab mein Geld längst von der Bank geholt und zuhause deponiert. Ich lass mich doch von denen nicht schröpfen!«

»Das ist klug«, lobte er. Wo hast du die Kohle? Ich brauch sie. Dringend! »Aber noch klüger wäre es, wenn Sie das Geld mir gäben. Ich lege es für Sie gewinnbringend an.« Nein, ich brauche es selbst! Damit kann ich mich aus einer vertrackten Situation befreien!Wo hat sie es versteckt? Soll ich der alten Schachtel gleich eines über die Rübe hauen? Dann hätte ich Zeit zum Suchen. Pfeif auf die mickerige Provision! Bis morgen brauch ich fünfzehntausend Euro und ich hab noch immer keinen Schimmer, wo ich die hernehmen soll. Ich wette, die Alte hat mindestens zwanzig oder dreißigtausend im Wäscheschrank zwischen ihren Bettlaken versteckt.

Er sah sich unauffällig nach einer geeigneten Waffe um: Der schmiedeeiserne Kerzenleuchter, der auf dem Sideboard stand, wäre brauchbar oder besser der marmorne Buddha? Er wollte gerade aufstehen und sich den Kerzenleuchter greifen - da klingelte es an der Tür.

»Ach das ist Laura. Die klingelt immer, bevor sie aufschließt, damit ich nicht erschrecke.« Im nächsten Moment hörte er auch schon, dass die Wohnungstür geöffnet wurde. Zu spät! Nein, Glück gehabt. Diese Laura hätte ihn in flagranti erwischt und die Bullen gerufen.

»Hallo Oma, ich hab dir Bienenstich vom Bäcker mitgebracht, den isst du doch so gerne!« Enkelin Laura begrüßte die Alte mit einem Küsschen und musterte ihn misstrauisch.

»Der Herr ist von der Moneda-Finanz-GmbH«, stellte ihn die Alte vor. »Er hat mir eine lukrative Geldanlage vorgeschlagen«. Sie schob der Besucherin den Hochglanzprospekt hin. Die warf einen verächtlichen Blick auf das Papier und antwortete: »Oma, fall auf sowas nicht rein. Da siehst du dein Geld unter Garantie nie wieder!«

Er hatte keine Lust, mit dieser Laura zu diskutieren, und zog es vor, sich schnellstens zu verabschieden.

Wo sollte er jetzt bis morgen das Geld auftreiben? Mit dem Kredithai, dem er es schuldete, war nicht gut Kirschen essen. Letzte Woche hatte ihm dessen Geldeintreiber noch einmal eine Gnadenfrist gewährt. »Eine Woche! Wenn Du dann nicht zahlst ...« Statt einer Schilderung, was dann wäre, hatte er ihm einige Fotos von säumigen Schuldnern gezeigt, was weit wirkungsvoller als jede verbale Drohung war.

Seine Mutter. Etwas anderes fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Ganz sicher hatte die noch irgendwo Geld versteckt.

Jetzt hatte sie auch noch angefangen zu flennen. Zuerst ewig Vorhaltungen, von wegen Lebensstil dem Einkommen anpassen, Busfahren, anstatt wegen luxuriöser Autos Schulden zu machen, Klamotten aus dem Kaufhaus tragen statt bei teuren Herrenausstattern einzukaufen und so weiter und so fort. Das nervte.

»Ich hab kein Geld mehr!«, schniefte sie in ihr aufgeweichtes Taschentuch. »Niemand weiß das besser als du! Du hast doch alle meine Konten abgeräumt!«

Sie wischte sich über die Augen, verschmierte dabei Wimperntusche und Lidschatten. Er warf ihr ein frisches Päckchen Taschentücher hin. Mein Gott, wie er diese Flennerei hasste. Aber irgendwo hatte sie bestimmt noch Geld. Natürlich, jetzt fiel es ihm wieder ein. In der Zuckerdose mit dem fehlenden Henkel. Die stand im Küchenschrank! Dort hatte seine Mutter schon immer ihr Geld, das sie für den täglichen Bedarf brauchte, aufgehoben.

Es waren noch vier Fünfziger drin. Nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber immer noch besser als gar nichts.

»Das ist mein letztes Geld für diesen Monat!«, wagte sie einen schwachen Protest.

»Dann musst du halt zur Tafel gehen, oder noch besser, deinen reichen Bruder anpumpen!«, entgegnete er ihr ungerührt. Er steckte die Scheine in die Hosentasche und verlies, ohne sich noch einmal umzudrehen, die Wohnung.

200 Euro! Die reichten hinten und vorne nicht. Gut, er könnte damit zur Rennbahn und auf dieses hochgepriesene Pferd setzen – aber dazu reichte die Zeit nicht mehr. Außerdem war kaum noch Sprit im Tank. Okay, erst zur Tankstelle, für 50 Euro tanken, dann nachdenken.

Das Ergebnis intensiven Nachdenkens war zwar die Erkenntnis, dass er nirgendwo das erforderliche Geld auftreiben würde, aber, dass er keinesfalls vorhatte, sich wehrlos von einem brutalen Geldeintreiber verstümmeln zu lassen. Im Kofferraum seines schicken SUVs fuhr er noch immer sein Golfbag herum. Golf spielte er zwar schon lange nicht mehr, weil er seit geraumer Zeit den Mitgliedsbeitrag schuldig geblieben war, aber mit dem Teil ließ sich Eindruck bei den Frauen schinden. Er suchte sich den größten Driver aus und nahm ihn mit nach oben in seine luxuriöse Wohnung. Dass vom überdimensionalen Plasma-Fernseher bis zur Musikanlage und den schicken Designermöbeln überall längst der Kuckuck drauf klebte, sah man auf den ersten Blick nicht. War ohnehin egal, denn spätestens in einer Woche würde man ihn zwangsräumen, weil er selbstredend schon ewig keine Miete mehr bezahlt hatte.

*

Er hatte nicht nur nachgedacht, er hatte auch vorgesorgt. Nicht nur mit stabilen Plastikplanen und kräftigem Klebeband. Nein, er war gewappnet, wartete hinter der Tür mit dem Golfschläger in der Hand, bereit, sofort zuzuschlagen, wenn der Typ sich an der Tür zu schaffen machte. Denn beim letzten Mal hatte der sich nicht damit aufgehalten zu klingen, sondern, wer weiß mit welchen Tricks, selbst aufgeschlossen. Mit dem Bolzenschneider hatte er durch den Türspalt gegriffen und die Sicherheitskette auf einen Sitz durchgezwickt, als wär sie nicht aus Stahl, sondern aus billigem Plastik. Was sich mit diesem Ding sonst noch alles durchzwicken ließe, hatte der Kerl ihm später anhand der Fotos gezeigt. Nein, nicht mit ihm!

Jetzt! Jetzt hörte er den Fahrstuhl. Gleich darauf war jemand an der Tür, klingelte nicht, sondern machte sich am Schloss zu schaffen. Na warte! Er war gewappnet, stand bereit - und holte mit dem Driver aus ...

Zum Glück hatte er sich vorher einen Plan zurechtgelegt. Sonst hätte er garantiert darauf vergessen, den Kerl nach seinem Autoschlüssel abzusuchen. Er wollte die Leiche keinesfalls in seinem eigenen Auto fortschaffen. Dabei hatte er nicht nur den Autoschlüssel gefunden, sondern auch die »Einnahmen« des heutigen Tages. Sage und schreibe 130 000 Euro hatte der Kerl in der Jackentasche stecken. Damit ließe sich was anfangen. Was genau, würde er sich später überlegen. Zuerst musste der Typ verpackt werden. Die Blutlache in der Diele wischte er vorher auf, um zu vermeiden, dass eine verräterische Blutspur im Haus zurückblieb. Das Auto des Typen, ein praktischer Kombi, hatte er bereits gefunden und in die Tiefgarage gefahren. Am liebsten wäre er das schreckliche Paket, das da inmitten seiner Diele lag, sofort losgeworden. Aber es war klüger, zu warten, bis es Nacht wurde. Dann würde er das Paket in den Fahrstuhl ziehen, unten in der Tiefgarage in den Kombi hieven und damit wegfahren.

Er hatte sich auch schon überlegt wohin. Selbst den Rückweg hatte er bereits eingeplant. Bis nach Nürnberg würde er fahren, das Auto irgendwo abstellen, wo es nicht gleich auffiel, dann mit der Straßenbahn zum Bahnhof und von dort zurück nach Kleinaltheim. Ja, es war ein perfekter Plan. Genau so würde er es angehen.

Kapitel 2

»Es war aufregend«, berichtete Jutta Sachmann enthusiastisch, »das erste Mal, dass wir in einem Wohnmobil geschlafen haben. Ich hatte wirklich ein wenig Angst, dass es unheimlich sein könnte - oder dass es in der Nacht kalt wird. Aber die elektronisch gesteuerte Heizung haben wir gar nicht gehört, und bevor wir aufgestanden sind, war es schon wohlig warm und das Duschwasser war auch angenehm temperiert.«

»Viele Wohnmobil-Neulinge getrauen sich anfangs nicht, die Dusche zu benützen. Aber eure Dusche ist ja wirklich geräumig und die Wassertanks sind auch sehr großzügig bemessen. Das ist wirklich ein tolles Wohnmobil, das Ihr euch da gekauft habt!« Helga bewunderte die gemütliche Sitzecke mit den Lederpolstern, die praktische Küche, die komfortable Dusch- und Sanitärkabine, während Jürgen und Robert Sachmann ihre Köpfe im Unterboden bei den Batterien und den technischen Innereien stecken hatten.

Der Wanderweg vom Wohnmobilstellplatz nach oben zur alten Burgruine war schmal und mitunter auch ziemlich steil. Helga hatte ihre Kamera gezückt und ein Foto von den Wanderern geschossen.

»Es führt zwar auch eine geschotterte Forststraße hinauf, aber der Waldweg ist viel romantischer«, meinte sie.

»Logisch«, keuchte Sachmann, »sonst hätten wir ja gleich nach oben fahren können!«

»Gib’s doch zu«, lachte Jutta, »du hast keine Kondition!«

»Stimmt. Aber ich hab ja gerade erst das Chefbüro und die dunklen Anzüge gegen ein Wohnmobil und Wanderschuhe vertauscht. Das ist alles noch ein wenig ungewohnt, aber ich bin froh, dass ich mich zu diesem Entschluss durchgerungen habe. Jetzt ist es an der Zeit, unseren Ruhestand und die Früchte unserer Arbeit zu genießen.«

»Es waren vor allem eure vielen Fotos und Reiseberichte aus Nordamerika und Australien, die ihm die Entscheidung erleichtert haben«, verriet Jutta Sachmann. »Die haben ihm vor Augen geführt, dass es noch mehr auf der Welt gibt, als nur Arbeiten und Schuften. Das hat er jetzt wirklich lange genug getan.«

»Wenn ich bloß an den Ärger damals mit meinem Neffen denke«, erinnerte sich Sachmann. »Hätte Jürgen nicht kontrolliert und nachgerechnet, wäre heute kein Firmenanteil mehr dagewesen.«

»Roberts Schwester ist noch immer sauer auf ihn, weil er ihren verwöhnten Sohn damals kurzerhand rausgeschmissen hat«, erklärte Jutta. »Sie hat Marco von klein auf nach Strich und Faden verhätschelt und verzogen.«

»Mir blieb damals gar nichts anderes übrig, als ihn postwendend rauszuwerfen. Ich hatte ja eine Verantwortung nicht nur meinem Partner gegenüber, sondern auch der Firma. Wenn ich nicht gehandelt hätte, hätten alle Mitarbeiter ihren Job verloren. Aber lassen wir das unerfreuliche Thema. Jetzt beginnt für uns ein neuer Lebensabschnitt. Wir üben uns im Wohnmobilleben, werden den Winter in Spanien verbringen – und nächstes Jahr getrauen wir uns dann, das Wohnmobil über den Großen Teich zu schicken. Wir werden uns ganz einfach an eure vielen Reiseberichte halten.«

Sachmann, trotz der kühlen Oktoberwitterung ins Schwitzen gekommen, blieb stehen und zog seinen Anorak aus. »Ja, und jetzt schufte ich schon wieder!«, witzelte er, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte.

Sogar Helga war es warm geworden. »Wir sind aber gleich oben«, tröstete sie. »Man sieht sie zwar noch nicht, aber gleich oberhalb dieses Felsens ist schon die Ruine!« Auch sie zog ihre Jacke aus, um sie sich um die Hüfte zu binden. Dummerweise hatte sie nicht bemerkt, dass der Reißverschluss ihrer Jackentasche nicht geschlossen war. Klappernd fiel ihr das Handy heraus und rutsche zwischen Steinen und Wurzeln ein Stück den Hang hinunter.

Über ihre Nachlässigkeit lautstark schimpfend, kletterte Helga hinterher. Das Handy war an einem Gebüsch hängengeblieben. »Puh!«, stöhnte sie, als sie sich danach bückte. Gerade als sie die Hand danach ausstreckte, sah sie links neben dem Handy Schuhe. Grellorange Turnschuhe. Bei genauerem Hinsehen stellte sie fest, dass auch noch Füße in den Schuhen steckten. Mit Beinen dran. Die Beine ragten aus einem riesigen Paket heraus. Ein Paket, eingewickelt in eine graue Plastikplane und verzurrt mit kräftigem Klebeband. Helgas Schrei hörte man angeblich bis hinauf zur Burgruine.

*

Hauptkommissar Bruno Bär zog sich schwer schnaufend an einem Ast in die Höhe und fluchte wie ein Fuhrknecht: Weil man ihn nicht über das unwegsame Gelände informiert, und er deswegen falsche Schuhe angezogen hatte. Weil er damit ausgerutscht und auf dem Hintern gelandet war. Er fluchte, weil Becker erst nach ihm aufgetaucht war. Dann hätte er sich nämlich vor dieser Kletterpartie gedrückt. Nur Julian Lamm, der neue, übereifrige IT-Spezialist, der angeblich jeden Computer und jedes Handy knacken konnte, war gleich nach ihm in seiner aufgemotzten, tiefergelegten Angeberkarre angedüst. Ohne Rücksicht auf weichen Lehm und Schmutz turnte er mit weißen Sneakers am Abhang herum. Dass er mit seinen hellen Chinohosen im Dornengestrüpp hängenblieb, störte ihn nicht. »Meine Oma wäscht das wieder«, meinte er lakonisch.

Bär hingegen, nahm es dem rücksichtslosen Täter persönlich krumm, dass der sein Opfer einfach über den Felsvorsprung geworfen hatte, anstatt die Leiche so zu deponieren, dass man sie bequem mit dem Auto hätte erreichen können. Er fluchte über diese Wanderer, die ausgerechnet an seinem freien Sonntag über Mordopfer stolpern mussten. Dabei wartete auch zuhause Arbeit im Überfluss auf ihn. Das Haus, das seine Frau von ihren Großeltern geerbt hatte, zu modernisieren, war eine Aufgabe, die seine handwerklichen Fähigkeiten schnell an ihre Grenzen gebracht hatte. An seine finanziellen Grenzen auch, weil er gezwungen war, für den Umbau eine Hypothek aufzunehmen. Er hätte das alte Haus am liebsten postwendend verkauft. Er fand, dass es sich als Mieter angenehmer und bequemer lebte, aber seine Frau liebte den alten Kasten, weil er für sie mit vielen Erinnerungen verbunden war. Er schnaubte grantig. Diese Rentner! Die hätten auch am Montag wandern und Mordopfer finden können.

Außerdem knurrte sein Magen. Er hatte am Morgen nur eine hastige Tasse Kaffee hinuntergekippt. Dabei hatte er sich auf ein gemütliches Frühstück gefreut. Nein, ein leerer Magen war seiner Laune nicht zuträglich.

Der kleine dicke Hagemann von der Spurensicherung war sicher ebenso hungrig wie er, aber er bewegte sich trotz seiner ständig zunehmenden Leibesfülle erstaunlich behände zwischen Gestrüpp und Wurzelwerk. Zusammen mit Dr. Florian Feiler, dem Rechtsmediziner, löste er den Toten aus der Verpackung.

»So auf den ersten Blick denke ich, dass der Mann seit zwei Tagen tot ist,« schätzte der Doktor. »Keine Schusswunden, vermutlich erschlagen. Mit einem relativ kleinen, runden Gegenstand. Der Täter hat mit voller Wucht mehrfach zugeschlagen. Der wollte auf Nummer Sicher gehen!«

Der Kommissar hangelte sich, vorsichtig an Gestrüpp und Büschen festhaltend, näher an die Leiche heran, während Becker die Jackentaschen durchsuchte: »Hat der nichts bei sich? Kein Handy? Keine Brieftasche? Keine Autoschlüssel?«

»Nein«, bestätigte Becker, »nichts zu finden. Das wäre auch ein Wunder, da er sich ja kaum selbst in die Plane eingewickelt hat. Vermutlich hat ihm der Täter vorsorglich alles abgenommen. Aber vielleicht steckt ja was in den Hosentaschen, nur komm ich da so nicht hin.«

Der Doktor versprach, später noch genauer nachzusehen. Hagemann hatte direkt am Fundort auch keine verwertbaren Spuren entdeckt. Mit viel Glück würde er oben auf dem Plateau, wo die Autos der Gasthausbesucher parkten, fündig.

Bruno Bär richtete sich auf. »Wo sind die Leute, die ihn gefunden haben?«

Eine uniformierte Polizistin deutete nach oben. »Die warten im Gasthaus!«

Schäufele mit Kloß, zart und mit krosser Schwarte. Das hatte sehr schnell seine miese Stimmung verbessert.

»Bruno, jetzt bestell dir erst mal was Anständiges zum Essen!«, hatte ihn Oberkommissar Frank Becker angesichts seiner schlechten Laune aufgefordert. »Mit leerem Magen bist du ein echter Problembär! Ich befrag derweil die Leute, die den Toten gefunden haben. Die Personalien wurden schon aufgenommen.«

Während er jetzt sein deftiges Mittagessen genoss, musterte er eingehend die Wanderer, die Becker befragte. Er überflog die Liste, die ihm Frank gereicht hatte: »Brombacher, Helga und Jürgen und Sachmann, Robert und Jutta«. Besonders das eine Ehepaar schien Frank sehr gut zu kennen.

»Oh, guten Tag Familie Brombacher«, hatte Becker die beiden begrüßt, als die uniformierte Polizistin die Kommissare in einen Nebenraum des Gasthauses geführt hatte. »Ist ja logisch«, hatte er später trotz des ernsten Anlasses gewitzelt, »wenn irgendwo das Opfer eines Tötungsdelikts herumliegt, kann man davon ausgehen, dass über kurz oder lang die Brombachers drüberstolpern!«

Oh je, Hobbydetektive!, dachte Bär. Sowas hat mir grade noch gefehlt. Aber eigentlich machten die beiden nicht den Eindruck lästiger Besserwisser. Im Gegenteil, er fand sie sympathisch. Sportlich und wesentlich jugendlicher, als sie ihren Ausweisen nach waren. Zwar dominierte im blonden, zum Pferdeschwanz gebundenen Haar der Frau längst das Grau, trotzdem würde er die schlanke Rentnerin auf höchstens 55 schätzen. Auch ihr Mann Jürgen sah trotz seiner 70 Jahre und dem licht gewordenen, grauen Haar höchstens wie 60 aus. Der Befragung entnahm er, dass Jürgen Brombacher während seines Berufslebens Chefbuchhalter in der Firma Baumer & Sachmann war. Scheinbar hatte der übergenaue Brombacher nicht nur in dieser Firma, sondern auch anderweitig Betrügereien aufgespürt, die einen Firmenbankrott verhindert hatten.

Dieser Sachmann, der eben erst seinen Firmenanteil verkauft hatte, war auch auf der Wanderung dabei. Ihm und seiner Ehefrau Jutta, merkte man an, dass beide die Outdoor-Klamotten nicht gewöhnt waren. Jutta Sachmann war perfekt frisiert und geschminkt – und obwohl sie nicht selbst über die eingewickelte Leiche gestolpert war, hatte sie das Erlebnis sichtbar mitgenommen. Blass und appetitlos hatte sie in ihrem Essen herumgestochert. Bär bezweifelte, dass die Sachmanns etwas zur Aufklärung des Falls beitragen konnten. Sie hatten lediglich die letzte Nacht in ihrem Wohnmobil auf dem Stellplatz unterhalb der Ruine verbracht. Laut Dr. Feiler wurde der Tote schon in der Nacht davor über die Felskante geworfen. Da standen die Brombachers schon auf dem Platz. Gehört hatten sie angeblich nichts.

Während Bär noch überlegte, welche Schritte am vordringlichsten wären, fragte Helga Brombacher:

»Wo ist eigentlich Ihr Kollege Jan Warnecke?«

»Jan? Der ist zum LKA«, erklärte Becker. »Jetzt leitet Hauptkommissar Bruno Bär die Mordkommission. Sie haben ihn doch sicher vorhin schon kennengelernt«.

Ein überaus passender Name, dachte Helga, als sich Bär erhoben hatte. Mit seinen eins fünfundsiebzig war er nicht besonders groß, aber stämmig, ohne dick zu sein. Vermutlich verfügte er auch über Bärenkräfte. Auch die dichte braune, ein wenig strubbelige Haarpracht erinnerte an einen Bärenpelz. Sie schätzte ihn auf Anfang 50.

»Okay«, sagte der Hauptkommissar, »das wär’s erst mal. Wenn Ihnen noch was einfällt, – sie haben ja meine Karte«. Und zu Becker gewandt meinte er: »Jetzt werden wir noch den Wirt befragen. Vielleicht hat er ja was Verdächtiges bemerkt. Geräusche oder Autos, die in der Nacht hier oben waren.«

»Autos in der Nacht? Immer wieder mal«, entgegnete der Wirt. »Jugendliche, die auf dem Parkplatz Rallye fahren, oder nächtliche Feten feiern. Ich hör das schon gar nicht mehr. Aber wirklich aufgefallen ist mir nichts.«

Die Leiche war abtransportiert worden. Hagemann von der Spurensicherung hatte nicht nur rings um den Parkplatz alles akribisch abgesucht, sondern auch dort, wo der Tote über die Felskante geworfen worden war. Aber die vielen Wochenendausflügler hatten längst alle eventuell vorhandenen Spuren vernichtet.

Kapitel 3

Erschöpft ließ er seine Klamotten auf den Boden fallen. Die Nacht war verdammt anstrengend gewesen. Übervorsichtig, sich an jede Verkehrsvorschrift und jedes Tempolimit haltend, damit nur ja keine Streife auf ihn aufmerksam wurde, hatte er sich erst gegen zwei Uhr in der Nacht getraut, zur Ruine hinaufzufahren. Auch um sicherzugehen, dass er vom Wirt des nahen Ausflugslokals nicht ertappt wurde. Vor Angst hätte er sich fast in die Hosen gemacht, weil es ihm nicht gelungen war, die Leiche geräuschlos aus dem Auto zu zerren. Dann war sie auch noch mit viel Gepolter den Abhang hinuntergerollt. Möglicherweise war es ihm in der Finsternis auch nur so laut vorgekommen.

Frühmorgens hatte er dann am anderen Ende von Nürnberg den Kombi auf einem Park&Ride Parkplatz abgestellt. Dort würde das Auto zwischen den Fahrzeugen der Berufstätigen nicht so schnell auffallen. Kurz darauf trafen bereits die ersten Pendler ein. Im Morgenbus, der wegen des heutigen Samstags nicht voll besetzt war, fuhr er bis zur nächsten U-Bahn und dann weiter zum Hauptbahnhof. Fix und fertig hatte er kurz darüber nachgedacht, sich ein Taxi nachhause zu nehmen. Aber nein, den Gedanken hatte er schnell wieder verworfen. Die Gefahr, dass der Fahrer sich an ihn erinnerte, war zu groß.

Und nun lag er endlich im Bett. Aber anstatt zu schlafen, wälzte er sich unruhig hin und her. Noch immer rauschte das Adrenalin, das ihn die ganze Nacht lang wach und auf Touren gehalten hatte, durch seinen Blutkreislauf. Er besaß nun 130 000 Euro. In bar! 45 000 schuldete er insgesamt diesem Kredithai. Die könnte er jetzt auf einen Sitz zurückzahlen. Der wusste ja nicht, dass er sie diesem Brutalo abgenommen hatte. Aber würde der sich nicht wundern, woher er plötzlich das Geld hatte?

Er könnte mit der vielen Kohle auch zur Rennbahn, auf das schnellste Pferd setzen und die 130 000 damit vervielfältigen. Damit ließen sich dann die Mietschulden begleichen, die Zwangsräumung verhindern und all das Zeug, auf dem der Kuckuck klebte, wieder auslösen. Ja, natürlich könnte er auch alles verlieren. Er musste planen, durfte keine voreiligen Entschlüsse fassen. Er bezweifelte, dass ihm die Polizei auf die Schliche käme, aber was, wenn Schotter Willi ihn mit dem Tod seines Geldeintreibers in Verbindung brachte? Dann war sein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Dann müsste er untertauchen. Aber wo? Und für wie lange? Welche Alternative blieb ihm noch? Abhauen. So weit weg wie möglich. Was hielt ihn hier noch? Seine Freundin? Die hatte sich aus dem Staub gemacht. Der miese Job? Seine ewig lamentierende Mutter? Nichts von alledem.

Beim Eingewickelten, wie der Tote von den Ermittlern genannt wurde, fanden sie zwar keinerlei Papiere, kein Handy und auch kein Geld, aber in seiner Hosentasche hatte ein zusammengefalteter Zettel gesteckt. DIN A 4, kariert, aufgeteilt in vier Spalten. Namen waren darauf aufgelistet. Namen mit Adressen, dahinter Zahlen, vermutlich Geldbeträge. Die meisten waren abgehakt, fünf nicht. Bei Vieren stand in der vierten Spalte: zwei Wochen! Beim fünften Namen gab es weder einen Haken noch eine Bemerkung.

Kurz darauf hatte der Computer die Identität des Eingewickelten ausgespuckt. Seine Fingerabdrücke waren in der Datenbank registriert:

»Ronny Wenzel, 38 Jahre alt, ledig. Die Vorstrafenliste ist beachtlich. Meist wegen Körperverletzung«, verkündete Frank Becker. Den Todeszeitpunkt hatte Dr. Feiler ziemlich genau eingegrenzt.

»Freitag, 20 Uhr, plus minus eine Stunde.« Und noch etwas hatte der Doktor entdeckt. In einer der Kopfwunden Ronny Wenzels fanden sich feinste Spuren von Titan. Allerdings brachte sie diese Information nicht weiter.

»Wie es aussieht, hat dieser Ronny seine Brötchen als Geldeintreiber verdient. Für welchen von diesen Wucherern, das finden wir noch raus.« Hauptkommissar Bär sah auf die Uhr: »Es ist zwar bald acht, aber wenn wir Glück haben, sind ein paar von den Kandidaten zuhause und schauen sich den Tatort an.«

*

Harry Pletten, war der erste Name auf der Liste mit den Abgehakten. »Ich hab ihm die Fünftausend gegeben. In Hundertern und Zweihundertern. Ganz bestimmt«, versicherte der Typ, der unter seinem schwarzseidenen Kimono vermutlich nichts anhatte. Es war ihm sichtbar peinlich, dass die Polizei in seinem Wohnzimmer stand, das vermutlich vom riesigen Fernseher bis über die teure Musikanlage und die Designermöbel auf Pump eingerichtet war. »Ich hab mir das quittieren lassen.« Hastig kramte er einen Zettel aus einer Schublade. »Hier - sehen Sie!«

Bruno Bär warf nur einen kurzen Blick auf das Papier.

»Uns interessiert in erster Linie, von wem Sie das Geld geliehen haben.«

»Ach so«, Harry Pletten zog den Gürtel des Kimonos fester, »von Scho... von Herrn Wilhelm Schott.«

»Ah ja, von Schotter Willi. Ja, da sollte man pünktlich zahlen«, meinte Becker. »Der ist bekannt dafür, dass er nicht lange fackelt, wenn die Raten nicht fristgerecht fließen.«

»Ich zahle immer pünktlich.«

»Schön für Sie. Aber wenn Sie wieder Geld brauchen, wäre es klüger, es von der Bank zu leihen. Ist billiger und weniger stressig«, riet Bär. Harry Pletten atmete auf. Doch dann wollte Bär wissen: »Was uns noch brennend interessiert, ist: Wo waren Sie am Freitag zwischen 19 und 21 Uhr?«

Harry zögerte einen Moment: »Ich war zuhause. Ich hatte kein Geld mehr, um auszugehen.«

»Bei Willis Wucherzinsen wundert uns das nicht,« meinte Becker lakonisch. »Wär nur ganz schön, wenn das jemand bezeugen könnte.«

»Laila kann das bezeugen.«

»Aha. Wo finden wir diese Laila?«

»Im Schlafzimmer.«

Laila, eine künstlich Erblondete, die laut Ausweis ganz schlicht Luise Hopf hieß, hatte sich in ein Badetuch gewickelt, weil ihre Kleider und Dessous im Wohnzimmer auf einem Sessel lagen.

»Ja, wir waren hier. Den ganzen Abend. So wie gestern und so wie heute«, schnaubte sie verächtlich. »Weil Harry pleite ist. Und jetzt ist der Schampus auch noch alle. Mir reicht’s. Ich verdufte!« Mit diesen Worten stürmte sie ins Wohnzimmer, schnappte sich ihre diversen Kleidungsstücke und verschwand damit im Bad.

»Den können wir von unserer Liste der Verdächtigen streichen«, kommentierte Bär den stürmischen Abgang der Dame.

*

Leere Pizza-Kartons, Bierdosen, Pappteller mit angetrockneten Essensresten verteilten sich in Wohnzimmer und Küche, aber im Grunde war Ronny Wenzels Wohnung für die Ermittler nicht sonderlich ergiebig. Hagemann durchkämmte Schubladen und Schränke, durchstöberte das Bad. Außer einem passwortgeschützten Laptop, den sie für Julian Wolf mitnahmen, war die einzige Erkenntnis, die sie gewannen, dass Ronny neben seiner Tätigkeit als Geldeintreiber abends als Türsteher und Rausschmeißer in einer Disco seine Brötchen verdiente.

Auch im Keller fand sich nichts, was Bär und Becker der Aufklärung näher brachte.

»Okay, schließen wir das hier ab und fahren zu Schotter Willi«, brummte Bär ungeduldig, aber im nächsten Moment fasste er sich an die Stirn: »Apropos ›Fahren‹ – der Wenzel hat doch ein Auto! Wo ist das eigentlich?«

»Das ist ne gute Frage, suchen wir mal die Laternenparkplätze draußen ab«, schlug Becker vor. »Garagen gibt es hier nicht«.

Aber obwohl sie die Gegend um Ronnys Wohnung systematisch und großräumig durchforsteten, war dessen Kombi nirgends zu finden.

*

Wilhelm Schott, alias Schotter Willi erhob sich mit übertriebener Höflichkeit von seinem Schreibtisch. »Die Herren von der Polizei – bitte nehmen Sie doch Platz. – Darf ich Ihnen einen Drink anbieten? Nein? – Verstehe – Sie sind im Dienst – was führt Sie zu mir?«

Bruno Bär sagte erst mal gar nichts. Wilhelm Schott begann an dem großen Nugget zu spielen, der an einer dicken Goldkette um seinen Hals hing. Polizei – war gleichbedeutend mit Ärger und Problemen. Wegen Ronny? Der Kerl war abgängig – überfällig – seit Freitag. Er hätte noch am Abend seine Einnahmen abliefern sollen. 165 000 Riesen! Sofern alle bezahlt hatten. War er damit abgehauen? Mit der ganzen Kohle? Bär holte ein Foto aus seiner Jackentasche und schob es wortlos über den Schreibtisch. Schotter Willi schnappte nach Luft.

»Kennen Sie ihn?«

»Äh, ja – das ist Ronny.«

»Ronny - wie noch?«

»Wenzel – glaub ich. Ist ihm etwas zugestoßen?«

»Kann man so sagen.«

»Er sieht auf dem Foto so seltsam aus. Ist er – tot?«

»Mausetot.«

Schotter Willi schluckte.

»Hat er für Sie Schulden eingetrieben?«

»Eingetrieben – das klingt so – so unfreundlich.« Willi fuhr sich mit den Fingern durchs blonde, dauergewellte Haar. »Er hat meine Kunden an die fälligen Raten erinnert.«

»Und an die Wucherzinsen«, fügte Bär hinzu.

»Das klingt – unschön. Ich bin Geschäftsmann. Ich nenne das Risikozinsen. Die Banken leihen doch nur denen Geld, die eigentlich gar keines bräuchten. Von mir bekommen auch die Geld, die gar nichts haben, – mit einem kleinen Risikoaufschlag.«

»Verstehe, Sie sind ein Wohltäter!«, spottete Becker. Schotter Willi gab keinen Kommentar.

»Hat dieser Ronny auch am Freitag Kunden an ihre Raten erinnert?«

Schotter Willi drehte nervös an einer goldenen Armkette mit dicken Gliedern. »Ja, er sollte – einige überfällige Beträge kassieren.«

»Und – hat er?«