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Der Plan war genial einfach: Straßensperre, Geldtransporter überfallen, Beute aufteilen! Am Ende bezahlen zwei der Täter den Überfall mit dem Leben, der Fahrer wird angeschossen, nur einem Mann gelingt die Flucht. Der wird kurz darauf gefasst und verurteilt. Die Beute ist und bleibt verschwunden. Doch es gibt Mitwisser, Tippgeber. Acht Jahre später geschieht ein geheimnisvoller Mord, dem weitere folgen. Gibt es einen Zusammenhang mit dem lange zurück liegenden Überfall und der verschwundenen Beute? Im vorliegenden Krimi erkunden Helga und Jürgen Brombacher weder Nordamerika, Australien oder Neuseeland, sondern sie bereisen im Wohnmobil die Fränkische Schweiz.
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Seitenzahl: 263
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Hildegard Grünthaler
Ein Brombacher-Reisekrimi
Reisekrimi Band 4
Texte: © 2025 Copyright by Hildegard Grünthaler
Umschlaggestaltung und Foto: © 2025 Copyright by
Hildegard Grünthaler
Korrektorat: Astrid Leutholf
Verlag:
Hildegard Grünthaler
Kolpingstraße 19
90542 Eckental
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Über das Buch:
Der Plan war genial einfach: Straßensperre, Geldtransporter überfallen, Beute aufteilen! Am Ende bezahlen zwei der Täter den Überfall mit dem Leben, der Fahrer wird angeschossen, nur einem Mann gelingt die Flucht. Der wird kurz darauf gefasst und verurteilt. Die Beute ist und bleibt verschwunden. Doch es gibt Mitwisser, Tippgeber.
Acht Jahre später geschieht ein geheimnisvoller Mord, dem weitere folgen. Gibt es einen Zusammenhang mit dem lange zurück liegenden Überfall und der verschwundenen Beute?
Im vorliegenden Krimi erkunden Helga und Jürgen Brombacher weder Nordamerika, Australien oder Neuseeland, sondern sie bereisen im Wohnmobil die Fränkische Schweiz.
Liebe Leser,
dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Hildegard Grünthaler, Autorin
Über die Autorin:
Zusammen mit Ehemann Peter hat die Autorin jahrelange Wohnmobilreisen unternommen. Die Bücher, die sie über diese Reisen geschrieben hat, sind im Conrad Stein Verlag erschienen. Jetzt ist die Autorin sesshaft. Die Länder, die sie bereist hat, sind nun Schauplatz ihrer spannenden und auch humorigen Krimis. Im vorliegenden Roman erkunden ihre Protagonisten Helga und Jürgen Brombacher die Fränkische Schweiz, das bevorzugte Naherholungs- und Wandergebiet der Autorin.
Kapitel 1 - Vor acht Jahren
Die Frau achtete penibel auf das Tempo, fuhr eher etwas zu langsam, nahm vorsichtig die Kurven. Nur nicht auffallen, nicht in Radarfallen geraten. Noch dazu war sie das Fahren mit dem alten Kleintransporter nicht gewöhnt, ständig kämpfte sie mit der hakeligen, schwergängigen Schaltung. Zudem klopfte ihr Herz vor Aufregung, die Hände klebten schweißnass am Lenkrad. Aber gleich hatte sie den ersten Teil geschafft. Sie passierte die Mühle und wusste, jetzt war es nur noch ein kleines Stück. Gewissenhaft setzte sie den Blinker, als das Hinweisschild auf den Wanderparkplatz in Sicht kam. Sie hatten vorher alles genau ausgekundschaftet. Aufatmend bog sie ab, blieb aber nicht am Parkplatz stehen, sondern folgte dem breiten Forstweg noch ein kleines Stück bis zur Schneise. Hier führte ein Holzweg ein Stück in den Wald hinein, ein Weg, der durch den Holzeinschlag der Waldbauern entstanden war und irgendwann endete. Sie fuhr bis zu einer kleinen Abzweigung, rangierte, rückwärts hinein, sodass sie ohne Verzögerung sofort in Fahrtrichtung starten konnte. Dann stieg sie aus, öffnete die rückwärtigen Türen und hängte, unsichtbar für etwaige Wanderer, die Auffahrrampe ein. Sie war bereit.
»B 470 ab Muggendorf gesperrt!
Umleitung ab Gasseldorf über die ST 2187!«,
verkündete ein großes Schild kurz vor Ebermannstadt.
»Na, da werden wir wohl mächtig in Zeitdruck geraten«, murmelte Robert Mangold.
»Ach wo«, beruhigte ihn Knut Seiler, sein Beifahrer, »ich kenn mich hier aus, so wild ist das nicht!«
»Weißt du, es ist mein erster Tag. Eigentlich hätte ich doch heute erst mal mit Alfons mitfahren sollen, aber dass der sich den Arm bricht, war ja nicht vorauszusehen.«
»Das packst du schon«, tröstete Knut, »du hast doch alle Schulungen absolviert. Außerdem sind wir hier nicht im Wilden Westen, nicht in Chicago oder Berlin, sondern in Franken, in der tiefsten Provinz. Hier werden keine Geldtransporter überfallen!«
»Ist mir schon klar – aber nervös bin ich trotzdem.«
»Verstehe ich, ging mir nicht anders, als ich zum ersten Mal mitgefahren bin. Aber du hast doch schon vorher bei einem Sicherheitsdienst gearbeitet und außerdem hab ich gehört, dass du ein Superschütze bist.«
»Alles Theorie«, wiegelte Mangold ab. Er ging vom Gas, um links nach Gasseldorf abzubiegen. Gerade als sie den Baumarkt passiert hatten, blockierten mobile Straßensperren die Weiterfahrt.
»Straße nach Unterleinleiter gesperrt!«
Mangold trat auf die Bremse. »Verdammt, was soll das?«, schimpfte er. »Da weiß scheinbar die rechte Hand nicht, was die linke tut! Wie kommen wir jetzt nach Hollfeld?«
»Reg dich nicht auf, ich kenne einen anderen Weg«, tröstete Seiler.
Robert Mangold sah das zufriedene Grinsen seines Beifahrers nicht, weil er das Display der Rückfahrkamera im Auge hatte, als er mit dem schweren Fahrzeug in eine Einfahrt zurücksetzte, während das Navi mit blecherner Stimme verlangte: »Bitte wenden! Bitte wenden!«
»Schalt das blöde Ding ab«, forderte ihn Seiler auf, »wir biegen in Streitberg ab und fahren über Wüstenstein und Aufseß!« Dass das Wohnmobil, das hinter ihnen fuhr, ebenfalls wenden musste, gefiel ihm weniger.
»Mann, Mann, Mann – und das an meinem ersten Tag!«, stöhnte Mangold, als er den breiten, schweren Transporter über die 25%ige Steigung der engen, steilen Straße über den Streitberger Berg quälte. Zum Glück kam ihm kein LKW entgegen und oben fuhr es sich wieder angenehmer, auch wenn die Straße schmal und kurvenreich blieb. Mangold atmete auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn und fuhr mechanisch durch sein modisch gestyltes, frisch geschnittenes Haar. Sogar neue Klamotten hatte er sich gekauft. Keine Jeans, sondern Hosen aus edlem Wollstoff und hochwertige Hemden und Sweatshirts – obwohl er ja im Dienst die Berufskleidung von Aurum Secur trug. Nein, so stressig hatte er sich den neuen Job nicht vorgestellt. Zwar hatte er schon vorher bei einer Sicherheitsfirma gearbeitet, aber das waren nur Wachdienste. Diese Arbeit hier war wesentlich anspruchsvoller, wurde aber auch wesentlich besser bezahlt. Vorher hatte die Firma ihn regelrecht durchleuchtet. Lag etwas vor gegen ihn? Gab es Dinge, die ihn erpressbar machten? Und so weiter und so weiter. Er hatte alle Tests bestanden.
Knut Seiler bemerkte im Außenspiegel, dass das Wohnmobil noch immer hinter ihnen fuhr. Aber als es in Wüstenstein neben dem Gasthaus hielt, atmete er innerlich auf. Lasst Euch Schäufele mit Kloß schmecken und hinterher noch Kaffee und Kuchen! Er konnte nicht wissen, dass das Wirtshaus nur sonntags geöffnet hatte, wenn genügend Wochenendausflügler unterwegs waren. Kurz darauf fuhr das verflixte Wohnmobil wieder hinter ihnen.
Ohne weitere Umleitungen fuhr Mangold durch das langgezogene, zweigeteilte Wüstenstein in Richtung Draisendorf. Wieder eine Kurve. Er nahm den Fuß vom Gas. Zum Glück! Denn unmittelbar nach der Kurve lag ein Motorradfahrer mitten auf der Fahrbahn. Er musste gerade erst gestürzt sein, denn die Räder drehten sich noch, der verunglückte Biker zuckte.
Danach ging alles so blitzschnell, dass er Mühe hatte, die Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen. Der Motorradfahrer sprang hoch und riss die Fahrertür auf. Mangold meinte ein kurzes Zögern wahrzunehmen, ein Erschrecken vielleicht oder ein Erkennen, bevor er ihm eine Pistole an die Schläfe hielt.
»Schließ den Transporter auf!«, forderte er von Seiler, »sonst schieß ich deinem Kollegen ein Loch in den Kopf!«, raunte der Biker heiser.
Seiler zögerte nur kurz, bevor er ausstieg und von außen den Transporter öffnete. Aus dem Augenwinkel sah er, dass das lästige Wohnmobil schon wieder die Straße hochgekommen war. Das ließ sich jetzt nicht ändern, denn der Motorradfahrer, verlangte nun:
»Geldkoffer und die Schlüssel dazu!«.
Seiler tat wie ihm geheißen. Er stellte die Geldkoffer am Straßenrand ab und legte die Schlüssel dazu. In diesem Moment sprang aus dem Gebüsch ein Mann. Genau wie der angeblich verunfallte Biker trug er eine schwarzen Motorradkombination und unter dem Helm eine Skimaske, die nur die Augen freiließ. Er richtete eine Pistole auf Seiler und feuerte. Bevor Mangold realisierte, was geschah, zielte der Biker aus dem Gebüsch durch die offenstehende Beifahrertür auf seine Brust - und drückte ab. Die Kugel traf Mangold am Arm. Bevor er den Schmerz wahrnahm, zog er selbst seine Waffe. Er drohte nicht, sondern drückte sofort ab. Auf dem schwarzen Lederanzug bildete sich ein roter Fleck, der schnell größer wurde. Im nächsten Moment brach der Mann aus dem Gebüsch zusammen.
Der angeblich verunfallte Motorradfahrer hatte ungeachtet der Schießerei seine Maschine aufgestellt. Mangold hielt noch immer die Pistole in der Hand. Aber er schaffte es nicht, ein weiteres Mal abzudrücken. Die Stimme! Er kannte die Stimme! Noch während Mangold überlegte, woher er sie kannte, hatte der Biker die Geldkoffer mitsamt den Schlüsseln an sich genommen, in den Packtaschen verstaut und war im nächsten Moment auf der Enduro im Wald verschwunden.
*
Die Minuten zogen sich wie Stunden. Die Frau trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Jetzt müsste er bald kommen und dann – sie war bereit. Bereit, ihr altes, einengendes Leben hinter sich zu lassen, bereit für ein neues Leben. Ein Leben ohne die Zwänge des Alltags, ohne die kleinbürgerliche Spießigkeit ihrer Umgebung, ein Leben ohne Geldsorgen, ein Leben, in dem sie sich ihre kleinen und großen Wünsche erfüllen konnte. Nein, nicht die kleinen, die hatte sie sich auch bisher schon erfüllt – die großen Wünsche, die sehr großen – um die ging es.
Sie sah wieder auf die Uhr. Langsam wurde sie unruhig, machte sich Angst breit. Angst, dass etwas schiefgelaufen sein könnte, Angst, dass man sie als Mitwisserin und Mittäterin verpfeifen könnte, Angst, wieder in ihr altes Leben zurückkehren zu müssen, Angst, am Ende im Knast zu landen. Und da war noch eine Angst. Die Angst, dass er sie ausgebootet und ausgetrickst hatte. Oder umgekehrt? Hatten seine Kumpane Lunte gerochen? Herausgefunden, dass er mit ihr unter einer Decke steckte und seine Komplizen übers Ohr hauen und mit ihr und der Beute verduften wollte?
Wie lange sollte sie warten? Noch eine Stunde? Noch zwei? Die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Martinshorn von gleich mehreren Fahrzeugen zerriss die Stille des Waldes, sie sah das Blaulicht der Polizeifahrzeuge und Krankenwagen, die draußen auf der Straße vorbeirasten, unruhig flackern. Es war schiefgegangen!
Jetzt galt es nur noch, die eigene Haut zu retten und zu versuchen, nahtlos ins alte Leben zurück zu schlüpfen.
Kapitel 2
Wurzeln, Gestrüpp, Dornenranken – Ingo beachtete sie nicht. Er schlängelte sich mit dem Motorrad quer durch den Wald, hoffte darauf, dass die Packtaschen und der Tankrucksack das Gewicht der Geldkoffer und die wilde Fahrt unbeschadet überstehen würden. Notgedrungen musste er zuerst in die entgegengesetzte Richtung nach Draisendorf fahren, um die Aufseß zu überqueren. Er schaffte es, bevor das Blaulichtgeschwader anrückte. Über Wanderwege und Äcker erreichte er schließlich Wüstenstein aus der anderen Richtung. Ingo schlängelte sich durch den Hohlweg, in dem das schmale Stichsträßchen endete. Sein Cousin Flori wohnte hier im alten Torhaus. Die einzigen Nachbarn waren berufstätig und um diese Zeit außer Haus. Er hatte einen Schlüssel für Floris Haus und die alte Scheune darunter. Flori sonnte sich zusammen mit seiner Frau noch zwei Wochen auf Mallorca und er sollte die Blumen gießen. Er hatte gerne zugestimmt. Wegen der Scheune, wegen der Enduro, die darin abgestellt war und wegen Floris Motorradkluft.
Ingo stellte Floris Enduro wieder in der Scheune ab und versteckte die Geldkoffer oben auf dem alten Heuboden unter einer Plane. Erst später, wenn die Luft rein war, würde er sie holen. Floris Lederkombi hängte er wieder an den angestammten Platz im Haus in den Flurschrank. Dann sprintete er zurück durch den Hohlweg und über den Wanderweg zum Friedhofsparkplatz auf der anderen Straßenseite, wo sein Auto stand, zog einen Arbeitsoverall mit Farbflecken über und fuhr auf schnellstem Weg nach Siegritz zu seiner Großmutter. Die saß hinter dem Haus und entsteinte Kirschen für mindestens 100 Gläser Marmelade. Sie hatte mit Sicherheit nicht bemerkt, dass er weg war, denn als sie kurze Zeit später ins Haus kam, klebte er gerade die nächste Tapetenbahn an die Wand ihres Schlafzimmers.
»Du bist aber schon weit!«, staunte sie und versprach ihm Bratwürste mit Sauerkraut zum Mittagessen. Dass er noch immer ein wenig außer Atem war, fiel der Oma nicht auf. Sie war schwerhörig und ihr Hörgerät lag unbenutzt in der Küche.
Seine Oma – sie würde ihm ein Alibi geben. Würde er eines brauchen? Was, wenn ihn sein ehemaliger Kollege Mangold erkannt hatte? War das möglich? Optisch auf keinen Fall – aber womöglich an der Stimme? Durch die Sturmhaube, den Helm und das geschlossene Visier? Nein, diese Zeugenaussage würde jeder Anwalt in der Luft zerreißen, beruhigte er sich.
*
Das Wohnmobil, das er im Rückspiegel gesehen hatte, war wegen des Überfalls gezwungen gewesen, ebenfalls anzuhalten. Die Beifahrerin sprang heraus, kam mit dem Verbandskasten in der Hand angerannt, während der Fahrer, vermutlich ihr Mann, ihr nachrief, sie solle vorsichtig sein. Obwohl ihre Hände stark zitterten, hatte sie ihm einen Druckverband angelegt, um die Blutung zu stillen.
Es war wohl Ihr Mann, der die Polizei und die Rettungskräfte alarmiert hatte, denn kurz darauf ertönte Martinshorn aus beiden Richtungen, Blaulicht flimmerte auf Polizeifahrzeugen, Sanitätsautos, Notarztwagen. Uniformierte Polizisten wuselten herum, spannten rot-weiße Absperrbänder, Spurensicherer in weißen Anzügen suchten akribisch die Umgebung nach Fußabdrücken oder anderen Hinweisen auf die Täter ab. Die Kommissare der Mordkommission und vom Raubdezernat rückten mit gezückten Smartphones und Notizblöcken an, um ihn zu befragen.
Die Sanitäter hatten ihm sofort eine Spritze verpasst und den Streifschuss neu verbunden.
»Er muss ins Krankenhaus«, hatten sie den Kriminalern klar gemacht. Die akzeptierten das zähneknirschend, ließen sich aber nicht davon abhalten, ihn trotzdem zu vernehmen. Dass er überlebt hatte, während sein Beifahrer tot war, hatte ihr Misstrauen geweckt. Wäre denen eine weitere Leiche lieber gewesen? Schon möglich, dann müssten sie nämlich nur in eine Richtung ermitteln.
»Haben Sie den flüchtigen Motorradfahrer gekannt?«, fragte der nervige Kommissar, der sich als Kilian Schmied vorgestellt hatte.
Mangold ächzte, weil das Schmerzmittel, das er erhalten hatte, noch nicht richtig wirkte: »Nein. Skimaske und Helm – wie soll man da jemanden erkennen!«
»Hat er gesprochen? Haben Sie die Stimme erkannt?«
»Die Stimme kam mir vage bekannt vor – aber ich weiß beim besten Willen nicht woher. Das Visier war heruntergeklappt, die Skimaske – tut mir leid, ich zermartere mir den Kopf – aber ich komm nicht drauf«, stöhnte er. Und ich sag’s euch auch nicht! Ich will nämlich was ab von der Kohle!
Die Sanitäter erlösten ihn von weiteren Befragungen.
»Er muss jetzt wirklich ins Krankenhaus«, bestimmten sie, schoben die Trage ins Fahrzeug und schlossen die Türen.
Kilian Schmied nahm sich daraufhin die Leute aus dem Wohnmobil vor. Helga und Jürgen Brombacher hießen sie, hatten wegen des schönen Wetters eine Woche Urlaub genommen. Wandern wollten sie, hatten eigentlich vorgehabt durchs Püttlachtal zu fahren, in Tüchersfeld ein paar Fotos zu schießen, in Pottenstein ein paar Runden im Felsenbad zu schwimmen, und die Teufelshöhle wollten sie natürlich auch besichtigen.
»Es ging alles so furchtbar schnell«, sagte die Frau aus, »man konnte die Männer in ihren schwarzen Motorradkombis nicht erkennen. Schlank waren sie und vermutlich jung. Jedenfalls haben sie sich bewegt, wie fitte junge Männer.« Und dann rannte diese Frau Brombacher zu ihrem Wohnmobil und kam mit einer Kamera zurück. Sie hatte durch die Windschutzscheibe fotografiert.
»Ich dachte, es wäre alles so schnell gegangen?«, fragte Hauptkommissar Schmied argwöhnisch. »Da fanden Sie noch Zeit, Ihre Kamera zu holen und Fotos zu schießen?«
»Die Kamera haben wir letzte Woche neu gekauft. Erstens bin ich noch immer dabei, alle Funktionen durchzuprobieren, und zweitens schieße ich gerne ein paar Fotos von der Landschaft. Ich hatte die Kamera schussbereit in der Hand.«
Schmied klickte sich durch die Aufnahmen. Viel Landschaft, Wald und Wanderwege und - Szenen aus dem Überfall. Sie hatte die tödlichen Schüsse durch die Windschutzscheibe fotografiert. Leider verrieten die Fotos nicht die Identität des Motorradfahrers. Es gab zwar ein Foto der Enduro – aber das Kennzeichen war verdeckt.
Schmieds Misstrauen war geweckt. War das Taktik? Dass man zwar das Motorrad gut erkennen konnte, aber das Kennzeichen verdeckt war? Steckten diese Leute mit den Tätern unter einer Decke? Er musterte die Frau mit der Kamera. Wie alt mochte sie sein? Ende 50? Anfang 60? Obwohl, sie sah wesentlich jünger aus, sportlich, hatte das Haar zu einem schlichten Pferdeschwanz frisiert. Auf jeden Fall hatte sie Mumm, hatte den verletzten Fahrer versorgt. Weil sie ihn kannte? Mit drin steckte? Wer weiß. Er musste schnellstens einen Uniformierten beauftragen, die genauen Personalien dieser Wohnmobilleute aufzunehmen, denn außer den Namen wusste er noch nichts über sie.
Der Ehemann und Fahrer des Wohnmobils schien ein wenig älter zu sein, hatte bereits sich lichtendes, graues Haar, stand vermutlich kurz vor der Rente. Er wirkte vorsichtiger, ein wenig pedantisch. Er war es, der den Notruf abgesetzt hatte, was ja im Grunde seine Pflicht war. Kilian Schmied klappte sein Notizbuch zu. Wenn die beiden mit drin steckten, würde er es rauskriegen. Schließlich konnte er auf ein langes, erfolgreiches Berufsleben zurückblicken. Solche Ermittlungen leitete er mit Links. Wenn jemand verdächtig war, dann fackelte er nicht lange. Er war ein Mann der schnellen Entschlüsse und der schnellen Ergebnisse.
Vermutlich waren es die Leute von Aurum Secur, die seine Frau benachrichtigt hatten. Sie hatte sich sofort ins Auto gesetzt, saß jetzt an seinem Bett und hielt seine Hand. Es war ihr anzusehen, dass die Nachricht vom Überfall und seiner Schussverletzung sie ziemlich mitgenommen hatte. Kreidebleich und zitternd, versuchte sie ihn zu trösten.
Kaum, dass der Arzt seinen Arm verarztet und das Okay für weitere Befragungen gegeben hatte, standen auch schon wieder die Polypen parat. Sie schickten Franziska hinaus und begannen, ihm mit Nerv tötender Routine Löcher in den Bauch zu fragen: »Haben Sie den Motorradfahrer erkannt? Ist Ihnen jetzt eingefallen, woher Sie die Stimme kennen? Machte Sie die Straßensperre in Gasseldorf nicht misstrauisch? Hatten Sie vorher bereits Kontakte zu Mitarbeitern der Firma Aurum Secur? Nein? Auch nicht zu Knut Seiler?«
»Nein, den kannte ich nicht«, erklärte er zum x-ten Mal.
»Und was ist mit Nils Heller?«
»Nils Heller? Heller? Da kannte ich mal einen. Soweit ich mich erinnere, war der auch im Fußballverein. Ist aber lange her. Was ist mit ihm?«
»Er war am Überfall beteiligt. Sie haben ihn erschossen.«
»Oh, das war Heller? Ich habe ihn nicht erkannt. Die Lederkluft, die Skimaske ... Verdammt noch mal, das war mein erster Tag als Fahrer bei Aurum Secur. Sie können doch nicht ernsthaft glauben, dass ich da meine Finger mit drin hatte!«
Dieser Kommissar Schmied, dieser grauhaarige alte Knacker, der wahrscheinlich schon die Tage bis zur Pensionierung zählte, gab keine Antwort, was im Grunde auch eine Antwort war.
Schmied und sein Kollege hatten längst herausgefunden, dass Heller beim Bauhof in Ebermannstadt gearbeitet hatte. Für sie stand längst fest, dass er mit Sicherheit derjenige war, der in Gasseldorf die Straßensperre aufgestellt hatte. Sie hätten ihm zu gerne nachgewiesen, dass er davon gewusst hatte oder aber, dass es keine Sperre gegeben hatte. Aber da waren ja die Leute mit dem Wohnmobil, die auch hatten wenden müssen. Wer weiß, welche Zusammenhänge sich diese Bullen in ihren Polizeihirnen da zurechtbastelten.
Kapitel 3
Er hasste es, Todesnachrichten zu überbringen. Das war unangenehm und er fühlte sich stets unbehaglich dabei. Noch unangenehmer war es, einer Frau mitzuteilen, dass ihr Ehemann gewaltsam ums Leben gekommen ist – erschossen bei einem Überfall – erschossen während der Ausübung seines Berufs.
Hauptkommissar Kilian Schmied hätte angesichts der weinenden Johanna Seiler, die wegen einer heftigen Erkältung in Nachthemd und Bademantel, mit vom Fieber verschwitzten Haaren vor ihm saß, am liebsten postwendend Reißaus genommen.
»Ich hatte immer Angst um ihn«, schluchzte sie. »Dieser Job - mir war das nicht recht. Ich wollte das nicht.«
Luise Seiler, die ihrer Schwiegertochter gerade heiße Hühnersuppe gegen die Erkältung gebracht hatte, ließ mit einem Aufschrei den zum Glück noch leeren Teller fallen.
»Knut! Mein Junge! Oh nein!«, Sie japste nach Luft und suchte in der Tasche nach ihrem Asthma-Spray.
Ferdinand Seiler, ihr Mann, saß mit versteinerter Miene neben Johanna. Wortlos stand er auf, klaubte die Scherben zusammen und warf sie in den Mülleimer.
»Weiß man schon, wer es war?«, fragte er mit gepresster Stimme.
»Zum jetzigen Zeitpunkt können wir uns noch nicht äußern, aber wir arbeiten an der Aufklärung.« Kilian Schmied wusste selbst, wie hohl das klang und war froh, als er das Haus der Seilers wieder verlassen konnte.
Ferdinand Seiler ballte die Hände zur Faust und presste die Kiefer so fest aufeinander, dass die Zähne knirschten. Ich hab ihn gewarnt, dachte er. Ich trau denen nicht über den Weg, hatte er zu ihm gesagt. Die ziehen dich über den Tisch. Aber Knut hatte nicht auf ihn hören wollen, hatte von einem schicken Haus geträumt, einem schnellen Sportwagen und all den schönen Dingen, die man kaufen konnte, wenn man genug Geld in der Tasche hatte. Er hatte denen vertraut, waren sie doch seine Kumpels aus dem Sportverein. Jetzt war einer von denen tot, tot wie Knut. Und der andere? Was war mit dem? War der abgehauen? Mit der Beute?
Ferdinand Seiler fuhr mit den Händen durch sein graues Haar. Er konnte es nicht raufen, dazu war der Bürstenschnitt zu kurz. Nein Haareraufen brachte ihm den Sohn nicht wieder. Er ballte die Fäuste, mit denen er schon so manchen Boxkampf gewonnen hatte. Noch war er stark, muskulös und schnell. Seinen toten Sohn konnte er nicht zurückholen, aber den Anteil an der Beute, um den Knut betrogen worden war, den schon.
*
Sein Auto war zum Glück ein Automatik-Fahrzeug. Er konnte mit einer Hand lenken, der bandagierte, geschiente Arm behinderte ihn nicht beim Fahren, auch wenn ihn das einarmige Gekurbel auf der kurvenreichen Bundesstraße doch ziemlich anstrengte.
»Es wäre sinnvoll, wenn Sie noch zwei oder drei Tage hierbleiben würden«, hatte der Arzt in der Klinik empfohlen. Aber er wollte so schnell wie möglich nach Hause. Die Personalabteilung von Aurum Secur hatte ihm kurz und knapp mitgeteilt, dass man ihm kündigen würde. Er war schließlich in der Probezeit und man war sich nicht sicher, ob er nicht ein Mitwisser oder gar Mittäter des Überfalls war.
Er hatte gekocht vor Wut, dem Bullen, der schon wieder an seinem Bett gestanden hatte, seinen Zorn ins Gesicht geschleudert. Der war doch mit seiner ständigen Fragerei für seine Entlassung verantwortlich. Aber jetzt wollte er sich anderweitig schadlos halten! Er hatte den Motorradfahrer erkannt und er wollte Geld – Schweigegeld.
Er wusste auch noch, dass der Kerl auf dem heruntergekommenen Hof seiner Schwiegereltern wohnte. Zumindest hoffte er, dass er in der Zwischenzeit nicht weggezogen war. Seine Frau wollte unbedingt bauen, wollte endlich ein schönes Haus, hatte er ihm einmal erzählt. Nun wahrscheinlich hatte er gedacht, dass sich so der Wunsch seiner Frau auf einfachste Weise finanzieren ließe.
»Ingo ist nicht da!«, raunzte ihn Anna Nickel unfreundlich an. Sie hatte die Tür nur einen Spaltbreit geöffnet und wischte sich die mehligen Hände an dem Geschirrtuch ab, das sie in der Hand hielt.
»Wo finde ich ihn? Wir sind ehemalige Kollegen.«
Anna Nickels Mundwinkel zogen sich verächtlich noch ein Stück weiter nach unten.
»Er hat Urlaub. Aber anstatt mit mir weg zu fahren, tapeziert und streicht er bei seiner Großmutter in Siegritz die alte Bruchbude.« Mit diesen Worten knallte sie ihm die Tür vor der Nase zu.
Mangold konnte sich gut vorstellen, dass diese Frau Ingo mit ihrer Unzufriedenheit und Nörgelei zu diesem Verzweiflungsschritt getrieben hatte. Egal, er wollte sich sein Schweigen bezahlen lassen.
Siegritz war zwar nur ein kleines Kaff, aber er hätte fragen sollen, wo er Nickels Großmutter finden konnte. Langsam fuhr er durchs Dorf, kehrte um und bog in die andere Straße ab. Dann, am Ortsende, kam aus dem letzten Haus ein Mann in farbverschmierter Arbeitskleidung. Nickel! Mangold bremste und fuhr auf den geschotterten Hof.
Wenn Ingo Nickel erschrocken war, ihn zu sehen, hatte er es gut verbergen können. Womöglich hatte er längst mit seinem Auftauchen gerechnet.
»Hallo Robert, lange nicht gesehen!«, begrüßte er ihn so freundlich und unbedarft, dass es schon fast einer oskarreifen schauspielerischen Leistung gleichkam.
»Hast ein wenig zugenommen seit damals, als wir noch zusammen bei Friedmann Logistics unsere Brötchen verdient haben. Arbeitest du noch dort?«
An dem ist wirklich ein Schauspieler verlorengegangen, dachte Mangold, bevor er antwortete. »Nein, schon lange nicht mehr.«
»Aha. Und was führt dich nach Siegritz?«
»Na was wohl, ich suche dich! Deine Frau hat gesagt, dass du hier bist.«
»Na dann, komm rein. Ich bin gerade dabei, den neuen Teppichboden im Wohnzimmer meiner Großmutter zu verlegen.«
Mangold folgte ihm ins Haus. Es roch nach frischer Farbe und Tapetenkleister. Im Wohnzimmer waren die Fenster gestrichen, an der Wand klebte eine neue Blümchentapete. Der Teppichboden war noch teilweise aufgerollt und lag etwas schief im Zimmer. Er deutete auf seinen Arm in der Schlinge und meinte: »Ich kann dir leider nicht helfen!«
»Unfall?«
»Wie man’s nimmt. Überfall trifft es besser.«
»Oha! Erzähl mal.«
Mangold hatte wenig Lust, so zu tun als ob. Statt erst mal vorsichtig um den heißen Brei herum zu eiern, wollte er gleich Tacheles reden.
»Ich denke mal, die Erzählung kann ich mir sparen. Ich weiß zwar nicht, ob außer Seiler und diesem Motorradfahrer noch andere Typen in den Überfall involviert waren – aber du bist mit der Beute auf und davon und deshalb halte ich mich an dich.«
Ingo Nickel legte das Teppichmesser beiseite und richtete sich auf. »Was schwafelst du da für einen Blödsinn daher. Welcher Überfall und welche Beute?«
»Der Überfall auf den Geldtransporter. Kurz vor Draisendorf. Das war am Dienstag kurz nach elf. Ich hab dich erkannt.«
»Hör mal, du Schlaumeier, seit Samstag renoviere ich hier das Haus meiner Großmutter, verbrate auf diese Weise meinen Urlaub und hab deswegen Zoff mit meiner Frau. Ich hab am Wochenende die Fenster abgeschliffen und gestrichen, am Montag die Küche tapeziert, am Dienstag das Schlafzimmer, am Mittwoch das Wohnzimmer ...«
»Was du am Donnerstag und am Freitag gemacht hast, musst du nicht aufzählen. Will ich gar nicht wissen. Mich interessiert nur, wo du die Beute versteckt hast. Ich will die Hälfte.«
Ingo Nickel bückte sich nach dem Teppichmesser und richtete sich drohend auf: »Wo willst du mich da reinreiten?«
»Reinreiten? Nirgends. Ich wollte dir nur mein Schweigen anbieten. Aber daran hast du ja ganz offensichtlich kein Interesse. Für mich kein Problem. Ich fahr dann mal wieder«, mit diesen Worten drehte sich Robert Mangold um und verließ das Haus.
»Ja, fahr zur Hölle«, rief ihm Ingo hinterher.
»Nein, ich fahr zur Polizei.«
Kapitel 4
Der Kerl hatte nicht geblufft. Ingo Nickel leimte gerade eine Tapetenbahn ein, als zwei Typen vor der Tür standen und ihre Ausweise zückten. Kilian Schmied Hauptkommissar und Oberkommissar Bernd Roth. Sie kamen ohne lange Vorreden sofort zur Sache:
»Ingo Nickel, wo waren Sie am Dienstag zwischen 10 Uhr dreißig und 11 Uhr dreißig?«
Ingo legte die Leimbürste auf dem Tapeziertisch ab: »Wo? Was soll das? Ich war hier.«
»Wer kann das bezeugen?«
»Na meine Oma. Am Dienstag da hab ich – die Küche? Nein, da hab ich das Schlafzimmer tapeziert.«
»Ja, Ingo ist ein guter Junge«, mischte sich die Oma ein. Sie kam aus der Küche, hielt noch ein Geschirrtuch und einen nassen Teller in der Hand.
»Er streicht und tapeziert schon die ganze Woche. Schau’n Sie mal, wie schön das geworden ist.«
Sie stellte den abgetrockneten Teller ins altmodische Küchenbuffet und wischte ihre Hände an der geblümten Kittelschürze trocken. Stolz führte sie die Kommissare im Haus herum.
»Einen Maler könnte ich mir nämlich nicht leisten«, erklärte sie. »Aber zum Dank koch ich Ingo seine Leibgerichte. Von seiner Frau, der Anna, bekommt er nämlich nichts Anständiges. Nur Fertiggerichte. Ich hab ihm Bratwürste mit Sauerkraut gemacht und am Sonntag Schweinsbraten und am Mittwoch Krenfleisch. Am Montag hat er nur eine Brotzeit gekriegt, weil ich in der Küche nicht kochen konnte. Die ist nämlich auch neu tapeziert. Und heute gibt es ...«
»Am Dienstag, war er da den ganzen Tag da? Oder war er auch mal weg?«, unterbrach Schmied den Redefluss der alten Frau.
»Ja, den ganzen Tag. Er ist nämlich ein guter Junge. Ich hab ihm Bratwürste mit Sauerkraut gemacht.« Daraufhin verschwand sie in der Küche, wo ihre Hörgeräte herumlagen. Sie stopfte sich die ungeliebte Technik in die Ohren, um besser zu verstehen, was diese beiden Typen wirklich von ihrem Enkel wollten. Die waren ihr nämlich ganz und gar nicht geheuer. Mit grimmiger Miene verfolgte sie das Gespräch. Kilian Schmied wandte sich wieder Nickel zu:
»Ingo Nickel, Sie werden beschuldigt, am Dienstag bei dem Überfall auf den Geldtransporter beteiligt gewesen zu sein.«
»So ein Blödsinn, ich kann ja schlecht an zwei Orten gleichzeitig gewesen sein.«
Die Miene der alten Frau Nickel wurde immer finsterer. Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte die Polizisten erbost an:
»Überfall?«, stieß sie hervor, »Mein Ingo? Nein! Das tät mein Ingo nie nicht machen. Er ist ein guter Junge. Wer behauptet denn sowas?«
»Sein ehemaliger Kollege Robert Mangold.«
»Bah«, Ingos Großmutter stieß einen abfälligen Schnauber aus.
Nickel hatte damit gerechnet und sich längst dazu entschlossen, den Spieß umzudrehen und zum Gegenangriff überzugehen. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah die Kommissare herausfordernd an:
»Ach der – ja, der war gestern hier und wollte für sein Schweigen die Hälfte der Beute. Nun, Omas Bratwürste hab ich schon gefuttert und sonst hab ich keine Beute, weil ich an keinem Überfall beteiligt war.« Er drehte sich brüsk um, griff sich die Leimbürste und strich die Tapetenbahn fertig ein, die sich bereits auf dem Tapeziertisch wellte.
*
Sobald ein wenig Gras über die Sache gewachsen ist, werden wir durch drei teilen, hatte Knut ihm erzählt. So ein gutgläubiger Idiot. Ferdinand Seiler ballte vor Zorn die Fäuste. Und was war? Heller hatte Knut erschossen - kaltblütig, während dieser neue Fahrer, dieser Mangold, Heller ins Jenseits befördert hatte. Und Nickel? War getürmt – mitsamt der Beute. Wollte sich wohl alles alleine unter den Nagel reißen. Da hatte er aber die Rechnung ohne ihn gemacht. Ein Drittel, nein, jetzt war es die Hälfte! Die stand ihm zu. Okay, Johanna würde er auch was abgeben. Obwohl die garantiert von irgendeiner Versicherung kassieren würde. Er musste sich jetzt den Anteil selbst holen. Und wenn er ihn aus Nickel rausprügeln müsste, wozu war er jahrelang Boxer gewesen. Ein Glück, dass Luise nicht den geringsten Schimmer hatte, dass er Mitwisser war. Sie hätte ihm in ihrem Schmerz die Augen ausgekratzt.
Nickels Frau hatte ihn unfreundlich angeraunzt und behauptet, Ingo wäre bei seiner Großmutter zum Tapezieren und Streichen. Okay, dann eben nach Siegritz, das Kaff war ja auch nicht aus der Welt.
Langsam fuhr er durch den Ort, wollte in den Hof der alten Frau einbiegen, da sah er es. Das Polizeiauto. Gerade noch rechtzeitig. Gut, er würde morgen wiederkommen. Notfalls übermorgen. Blöd war, dass am nächsten Tag schon wieder mehrere Streifenwagen auf dem Hof standen. Dann eben übermorgen. Aber übermorgen war es bereits zu spät.
*
Tags darauf waren Schmied und Roth wieder da. Mit einem Durchsuchungsbeschluss und einem Großaufgebot an Uniformierten. Die stellten nicht nur das Haus seiner Großmutter auf den Kopf, sondern auch den vergammelten Hof in Tüchersfeld, den seine Frau von ihren Eltern geerbt hatte.
Anna Nickel tobte vor Wut. Die Polizei stöberte in jedem Winkel in jeder Schublade, und durchkämmte die baufällige Scheune, in der sich altes Gerümpel stapelte. Schließlich forderten sie einen Hundeführer an, der Rex, den bissigen Hofhund von der Kette nahm, damit dessen Hundehütte durchsucht werden konnte.
Sie fanden nichts. Nicht die geringste Spur. Sie fanden auch kein Motorrad und keinen Lederkombi, denn Ingo Nickel besaß beides nicht.