Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! - Julia Karnick - E-Book

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! E-Book

Julia Karnick

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Beschreibung

Das ideale Geschenk zum Hauskauf, Richtfest oder Einzug

»Ist es nicht ärgerlich, wie viel Geld man verschleudert, wenn man lebenslang Miete zahlt?« Wer diese Frage stellt, steht schon mit einem Bein in der Baugrube – oder zumindest im Notariat. Egal ob man neu, aus-, an- oder umbaut, eines kommt sicher auf die Bauherren zu: eine Menge. BRIGITTE-Kolumnistin Julia Karnick hat das alles hinter sich und weiß, wie man eine drohende Kostenexplosion bewältigt, sich das Leben ohne Keller schönredet, abgetauchte Handwerker aufspürt, einen Jahrhundertwinter und zwei Wasserschäden übersteht.

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Seitenzahl: 389

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Julia Karnick

Ich glaube,der Fliesenlegerist tot!

Ein lustiges Baubuch

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Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe im Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2012 Julia Karnick

Satz: Fotosatz Amann, Aichstetten

ISBN 978-3-641-07607-8V003

www.blanvalet.de

Für meine Mitbewohner

Vorwort

Das Gebaren frischgebackener Eltern ist für viele Kinderlose nur mit Geduld und gutem Willen zu ertragen. Ähnlich ergeht es Mietern mit frischgebackenen Immobilienbesitzern.

Dass Immobilienerwerb und Elternschaft miteinander verwandte Themen sind, erkennt man daran, dass der Immobilienerwerb meist eine Folge der Elternschaft ist. Der Nestbautrieb, mit Beginn der Schwangerschaft erwacht, ebbt mit dem Größerwerden des Kindes nicht etwa ab, sondern entfaltet im Gegenteil erst allmählich seine volle Wirkung: Bald reicht es ihm nicht mehr, den Umbau des Arbeitszimmers in ein pastellfarbenes Kinderparadies veranlasst zu haben. Der Nestbautrieb will mehr und verbündet sich, um es zu bekommen, mit der Vernunft: »Schon ärgerlich, wie viel Miete man im Laufe der Jahre aus dem Fenster wirft!« Dieser Satz, ausgesprochen von einer Mutter, bedeutet das Gleiche wie die Bemerkung »Schon ganz süß, so ein Baby!« aus dem Munde einer liierten 34-jährigen Kinderlosen: Nicht mehr lange, und sie ist fällig.

Beide Gruppen umgibt eine Aura feierlichen Erschrockenseins über den eigenen Mut. Darum werden die Nachrichten »Wir bekommen ein Baby!« und »Wir haben etwas gefunden!« in einem sich stark ähnelnden Tonfall verkündet. In beiden Fällen bleibt die Stimme am Ende des Satzes in der Luft hängen, wo sich das vorfreudige Ausrufezeichen zu einem angespannten Fragezeichen krümmt: »Und? Was haltet ihr davon?« – »Großartig! Herzlichen Glückwunsch!«, ruft man und ermahnt sich, das unausweichlich Kommende in freundschaftlicher Gelassenheit über sich ergehen zu lassen.

Frischgebackene Eltern reden über Schlafentzug, Hebammen und Stillprobleme; frischgebackene Immobilienbesitzer über Hypothekenzinsen, Armaturen und Handwerker. Die einen beklagen schlecht verheilte Dammschnitte, die anderen falsch verlegte Steckdosen. Den einen muss man während der Schwangerschaft bei der Namenswahl beistehen, den anderen während des An-, Um-, Neubaus bei der Wahl des Parketts. Was den einen der Baby-, ist den anderen der Baumarkt. Die einen sagen: »Ich weiß nicht, ob ich wirklich ins St. Elisabeth gehen soll. Da liegt die Kaiserschnittquote 0,2 Prozent über dem Durchschnitt!« Die anderen grübeln: »Aber wenn wir die grasgrünen Fliesen nehmen, passen die Gästehandtücher farblich nicht mehr. Was denkst du?« Man denkt eigentlich immer das Gleiche: Gähn.

Am Ende führen die einen einen Säugling vor, die anderen eine Einbauküche. Das eine wie das andere muss man nachdrücklich loben, wenn man es sich mit den Frischgebackenen nicht verderben will.

Wenn man frischgebackene Immobilienbesitzer besucht und dort auf ebenfalls eingeladene frischgebackene Eltern trifft, muss man sich konzentrieren, damit man nicht durcheinanderkommt beim vielen Loben. Es macht keinen guten Eindruck, wenn man beim Anblick der Einbauküche ruft: »Reizend, das ist ja ganz deine Mutter!«, und zu den Eltern von Lilli, Martha oder Johanna sagt: »Mensch, die hat Peter aber nicht selbst eingebaut, oder?« So etwas finden weder frischgebackene Eltern noch frischgebackene Immobilienbesitzer lustig.

Ich kann das verstehen: Kleine Kinder, große Kredite und hässliche Badezimmerfliesen hat man mindestens zwei Jahrzehnte an den Hacken. Über so etwas macht man keine Witze.

Brigitte 26/2006

Diesen Text hat vor einigen Jahren jemand geschrieben, den ich sehr gut kenne. Ich selbst war es.

Wenn ich ihn heute lese, schäme ich mich ein bisschen. Mehrere Jahre nach Veröffentlichung dieser Kolumne steht fest: Ich bin doch wie alle anderen. Ich habe nur etwas länger dazu gebraucht. Ich bin eine frischgebackene Immobilienbesitzerin: Es ist ein weiß verputztes Flachdachhaus, neun Meter breit, vierzehn Meter lang, zweihundertundvier Quadratmeter groß. Es war eine schwere Geburt. Aber jetzt, wo es auf der Welt ist, ist aller Schmerz vergessen. Na ja. Fast.

Teil 1

Der erwachende Hauswunsch

Kaufen oder mieten? Vielen Menschen stellt sich diese Frage nie. Den einen nicht, weil sie wissen, dass sie niemals genug Geld haben werden, um sich den Traum vom Wohneigentum zu erfüllen. Den anderen nicht, weil für sie seit jeher feststeht, dass sie eines Tages Immobilienbesitzer sein werden.

Entweder haben sie Eltern, die so reich sind, dass sie schon als Studenten keine Miete zahlen müssen, weil Papa ihnen zum Zwanzigsten eine Zweizimmerwohnung im Univiertel schenkt. Oder sie leben, meist in ländlicher Gegend – ausgestattet mit einem seit Generationen festgeschriebenen Lebensplan und einem Bausparvertrag, in den Eltern, Großeltern und Paten seit dem Tag ihrer Geburt oder Konfirmation einzahlen –, bereits während der frühen Jugend einer Zukunft entgegen, die vorsieht, dass sie in einem Fertighaus hinter Mutters Erdbeerbeet oder zumindest auf einem Grundstück in der Nähe ihres Heimatortes enden werden.

Kaufen oder mieten? Mit dieser Frage müssen sich nur die herumquälen, die ahnen, dass ihr Leben nach wechselhaften, familiär, finanziell und beruflich unsicheren Jahren in geregelten Bahnen angelangt und endlich genug Geld da ist, um sich eine Wohnung oder ein Haus kaufen zu können – die aber aus nostalgischen Gründen der Idee anhängen, ein Leben sei nur dann ein freies und darum menschenwürdiges, wenn man es jederzeit mit einer Frist von drei Monaten kündigen und ganz woanders ganz von vorne beginnen könne. Zu dieser Sorte Mensch gehörte ich.

Mein Mann war der Erste von uns beiden, der weich wurde. Mein Mann sagte, irgendwann einmal vor ein paar Jahren:

»Ich hätte schon gerne irgendwann mal ein eigenes Haus.«

Ich sagte: »Hm.«

Ich dachte: Und wovon, bitte, willst du das bezahlen?

Die allerersten unserer Bekannten kauften sich ein Haus, als wir gerade Anfang dreißig waren. Unsere Bekannten freuten sich wahnsinnig über ihr neues, eigenes, sehr schönes Haus. Als wir sie das erste Mal in dem neuen, sehr schönen Haus besuchten, tat ich so, als würde ich mich mit ihnen freuen. In Wahrheit packte mich beim Bewundern des Wohnzimmers ungefähr das gleiche Gefühl, das mich überkam, als ich meinen inzwischen verstorbenen Schwiegervater erstmals im Pflegeheim besuchte: Hier also werden sie die letzte Zeit ihres Lebens verbringen!

Damals waren unsere Kinder noch klein, unser eigenes Leben wenigstens noch ein bisschen in Bewegung. Mein Mann wechselte irgendwann den Arbeitgeber, also wechselte ich das Arbeitszimmer, die Kinder wechselten den Kindergarten, wir alle wechselten den Wohnort und den Freundeskreis: Wir zogen fort von jenen Bekannten, die sich mit gut dreißig zum Sterben in ein reizendes, frisch saniertes Zwanzigerjahre-Backsteinhaus mit Garten, Pitchpinedielen und ausgebautem Dachboden zurückgezogen hatten. Wir zogen zurück in unsere Heimatstadt Hamburg, in einen Stadtteil, der nicht am Stadtrand liegt, aber trotzdem das Prädikat »grün« verdient. Wir fanden eine Gartenwohnung. Den kleinen Kindern zuliebe verzichteten wir auf Bars und Kinos um die Ecke: unser Zugeständnis an die Tatsache, dass »in Bewegung bleiben« auch heißen kann, sich den Umständen anzupassen.

»Wir müssen ja auch nicht für immer hierbleiben«, sagte ich. Schließlich war die Gartenwohnung nur gemietet.

Die kleinen Kinder wurden größer und kamen in die Schule. Drei Jahre nach unserem Umzug nach Hamburg flogen wir aus der gemieteten Gartenwohnung, Kündigung wegen Eigenbedarf, Kündigungsfrist drei Monate. Das bedeutete: Uns blieb ein knappes Vierteljahr, um eine neue Bleibe zu finden. Nicht viel in einer Großstadt mit Wohnungsmangel. Ich erlitt einen zweistündigen Heulkrampf, nachdem ich das Einschreiben im Briefkasten gefunden hatte.

Ich fand nach wie vor, dass ein Leben nur dann ein freies und darum menschenwürdiges sei, wenn man es jederzeit mit einer Frist von drei Monaten kündigen und ganz woanders von vorne beginnen könne. Aber: Ich hatte mir das so vorgestellt, dass ich selbst den Bedarfsfall bestimmen und die Kündigung einreichen würde. Dass unsere Vermieter das täten, war in meinem Konzept nicht vorgesehen. Außerdem war es in unserem Stadtteil sehr schwierig, fast aussichtslos, innerhalb von wenigen Wochen eine familiengerechte Mietwohnung zu finden. Wie grausam wäre es, die Kinder auch nur einen Stadtteil weiter verpflanzen zu müssen – wo nun auch die Jüngere gerade hier zur Schule gekommen war, die Kinder sich eingelebt, Freundinnen und Freunde, eine Fußballmannschaft gefunden hatten. Und: Selbst wenn wir eine Wohnung in der Nähe der Schule fänden, dann sicher nicht noch einmal mit Garten. Was für ein Rückschritt in Sachen Lebensqualität! Ein Leben in Bewegung? Ja, gerne. Aber bitte freiwillig und nur innerhalb unseres Stadtteils – und auf jeden Fall aufwärts statt abwärts.

Wie durch ein Wunder fanden wir eine andere, etwas kleinere, dafür günstigere Gartenwohnung zur Miete direkt gegenüber der Grundschule unserer Kinder – im allerletzten Augenblick. Nämlich einen Tag vor der Unterzeichnung eines Mietvertrages, in dem uns das unbefristete Wohnrecht in einer Art großzügigem, gemauertem Schrebergartenhäuschen eingeräumt werden sollte: Wir hatten beschlossen, auf keinen Fall den Stadtteil zu verlassen und ein paar Monate, vielleicht auch Jahre, auf zwei Etagen in drei Zimmern mit insgesamt neunundfünfzig Quadratmetern zu überdauern, bis sich etwas Besseres gefunden hätte. Unsere Möbel wollten wir einlagern, mein Arbeitszimmer in ein Journalistenbüro verlegen und hauptsächlich in dem großen Garten leben, der das renovierungsbedürftige Minihaus umgab.

Wo wir von Oktober bis März leben wollten, darüber nachzudenken hatten wir auf die Zeit nach unserem Einzug verschoben. Ich erklärte unser Vorhaben, zu viert in dem aufgepusteten Schrebergartenhaus zu wohnen, zu einem Selbstfindungsprojekt. Lernziel: »einfacher leben«. Unsere Freunde erklärten uns für verrückt.

Meine Mutter wurde von nächtlichen Panikattacken heimgesucht, nachdem sie das Häuschen von außen besichtigt hatte, das nach ihrer Meinung nach dem Allerschlimmsten aussah – nämlich nach sozialem Abstieg: »Um Gottes willen, zwei Erwachsene und zwei Kinder in diesem winzigen Kabuff, das geht doch nicht gut, eure Ehe wird zerbrechen, wenn ihr euch nicht gleich alle gegenseitig umbringt!«

»Quatsch«, sagte ich, »das geht schon für eine Weile, Hauptsache, die Kinder müssen die Schule nicht wechseln.«

Ich hatte eigentlich gedacht, meine Mutter würde mich verstehen. Sowohl sie als auch mein Vater hatten als Kinder im Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren und mussten woanders, in der Ferne, noch einmal ganz von vorne anfangen. Das wollten wir ihren Enkeln ersparen.

Einen Tag also bevor wir den Mietvertrag für die grundschulnahe Bruchbude mit Traumgarten unterzeichnen wollten, riefen die Besitzer einer Fünf-Zimmer-hundertdreißig-Quadratmeter-Wohnung mit Garten an, auf die zu hoffen wir längst aufgegeben hatten, und fragten uns, ob wir noch Interesse an der Wohnung hätten. Wir alle waren überglücklich und zogen ein. Von nun an allerdings war meinem Mann und mir klar, dass das Ideal von einem »Leben in Bewegung« bis auf Weiteres anders gefüllt werden müsse als durch Umzüge: Die Wurzeln, die wir im Stadtteil geschlagen hatten, weiterhin zu leugnen wäre lachhaft gewesen.

Wie bringt man Bewegung in das eigene Leben, wenn man beschlossen hat, sich der Kinder wegen für die nächsten zehn Jahre nicht mehr vom Fleck zu rühren? Wir kauften ein neues Sofa. Wir machten eine Fernreise. Mein Mann machte sich selbstständig. Wir dachten kurz an ein drittes Kind, entschlossen uns dann für einen Hund. Ein Hund wird schneller sauber, und – der entscheidende Pluspunkt – anders als ein Kind kann er nicht reden. Mein Mann gab seine Selbstständigkeit wieder auf und trat eine neue, sehr gut bezahlte Stelle an. Ich änderte meine Arbeitszeiten. Wir meldeten unsere Tochter im Hockeyverein an. Wir strichen das Gäste-WC in Mintgrün.

Eines Tages, einige Monate nach Antritt seiner neuen Stelle, kommt mein Mann an einem herrlichen Sommertag nach Hause und macht sich einen Kaffee. Er setzt sich zu mir an den Gartentisch, er reckt die Arme in die Luft, das Hemd spannt ein bisschen über dem Bauch, wie es sich bei Mittvierzigern gehört. Er seufzt das Seufzen eines zwar sehr hart arbeitenden, aber gerade deshalb sehr mit sich zufriedenen Mannes in den besten Jahren.

Ich frage: »Wie war dein Tag?«

Mein Mann sagt: »Gut.« Dann sagt er: »Ich habe etwas beschlossen. Ich werde ein Haus kaufen.«

»Oh Gott«, sage ich, »bitte nicht.«

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Von Miet- und Eigenheimtypen

Ich bin eindeutig der Miettyp.

Erstens: Ich leide unter einer irrationalen Verarmungsangst, obwohl – oder vielleicht weil – ich nicht ein einziges Mal im Leben von Armut oder Überschuldung bedroht war: Nichts fürchtet man mehr als das, was man nicht kennt. Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater Beamter, Monat für Monat verdiente er das Gleiche, die nächste Gehaltserhöhung konnte er anhand eines Kalenders und einer Beamtenbesoldungstabelle auf den Tag genau vorhersagen, für seine Altersvorsorge musste er nichts tun, als auf seine Pensionierung zu warten, wir wohnten zur Miete, unkündbar, in einem Genossenschaftsreihenhaus. Meine Eltern gründeten ihre Existenz auf den Prinzipen »Planbarkeit« und »Sicherheit«; die Wörter »Risiko« und »Unvorhergesehenes« jagen mir, ihrem Kind, bis heute eine Gänsehaut über den Rücken. Kein Beruf läge mir ferner als der der Börsenspekulantin.

Sobald mein Konto zwanzig Euro ins Soll rutscht, werde ich unruhig. Sobald es zweihundert Euro ins Soll rutscht, bekomme ich schlechte Laune. Sobald es mehr als zweitausend Euro ins Soll rutscht, mache ich mir echte Sorgen. Die beiden vertikalen Sorgenfalten über meiner Nasenwurzel wirken wie in Stein gemeißelt, meine Gedanken kreisen, ich schlafe schlecht, ich verliere den Appetit, ich esse zu wenig, mir ist übel. Wenn es ganz schlimm um mich steht, wird aus der Appetitlosigkeit eine chronische Magenschleimhautreizung, dann kotze ich gleich morgens nach dem Aufstehen beim Zähneputzen ins Waschbecken.

Ich fange an, immer wieder die immer gleichen Zahlenkolonnen untereinanderzuschreiben, Einnahmen rechts, Ausgaben links, um mich zu versichern, dass unser Geld für die laufenden Kosten reicht und wir nicht immer weiter in die Miesen geraten werden. Ich tue das geradezu zwanghaft – so als müsste ich die Zahlen durch regelmäßige Verschriftlichung einer Beschwörung unterziehen, weil sie sonst meiner Macht entgleiten, sich selbstständig machen und am Ende gegen uns wenden werden, um uns in den Abgrund zu ziehen. Ich frage meinen Mann, was mit uns passieren wird, wenn uns keine Weihnachtsgeld- oder Steuerrückzahlung rettet. Oder wenn eines Tages auf dem Zettel steht, dass unsere Ausgaben unsere Einnahmen übersteigen.

»Na ja«, sagt mein Mann, »dann müssen wir endlich mal weniger ausgeben. Das wird ja wohl möglich sein.«

Das klingt logisch, aber meine Verarmungsangst ist immun gegen logische Argumente. Sobald ich Miese auf einem Kontoauszug sehe, gerate ich in diffuse Weltuntergangsstimmung. Es wird, das ahne ich, nicht gerade die ganze Welt sein, die untergeht. Aber immerhin doch meine eigene. Und die ist mir nun einmal von allen die liebste.

Wenn ich also, was das Finanzielle angeht, imstande bin, außer mich zu geraten vor Sorge, obwohl ich niemals ernsthaft Grund zur Sorge hatte: Wie werde ich reagieren, wenn es tatsächlich Grund zur Sorge gibt? Zum Beispiel weil alles viel teurer wird, als man gedacht hat? Das wird es ja erfahrungsgemäß immer, egal ob man in den Urlaub fährt, shoppen geht oder ein Haus kauft – nur dass ein doppelt so teurer Einkaufsbummel meist im Rahmen des Verkraftbaren liegt, während ein doppelt so teures Haus ein handfester Grund für schlaflose Nächte ist. Ich werde mich in eine hysterische Furie verwandeln.

Zweitens: Eine hysterische Furie ist ein sozial unverträgliches Wesen. Ich werde meine innere Anspannung abzubauen versuchen, indem ich meinen Mann und meine Kinder so oft wie irgend möglich anschreie. Ich werde vor lauter Haareraufen nicht mehr dazu kommen, meiner Arbeit, dem Schreiben, nachzugehen oder ein anständiges Essen auf den Tisch zu stellen. Ich werde unaufhörlich Zahlen addieren und den Kopf nicht mehr frei haben für guten Sex und gute Gespräche. Kurzum: Ein Hauskauf wird nicht nur meine Nerven, sondern meine Ehe und unsere Familie ruinieren.

Drittens: Einerseits habe ich eine absurde Angst davor, mein schönes Leben könnte sich verändern. Andererseits überkommt mich eine große Beklemmung bei der Vorstellung, mein schönes Leben könnte für immer ganz genau so bleiben, wie es gerade ist.

Ich liebe meinen Job. Aber wenn ich mir klarmache, dass ich diesen Job noch mindestens fünfundzwanzig Jahre machen muss, möchte ich sofort etwas ganz anderes werden, Hebamme oder Astrophysikerin zum Beispiel. Ich liebe meinen Mann. Ich habe mein halbes Leben mit ihm verbracht. Ich möchte mit ihm alt werden, wirklich. Aber wenn ich mir bewusst mache, dass das bedeutet, dass ich mich für den Rest meines und seines Lebens nie mehr werde verlieben dürfen, umflort auf der Stelle Melancholie und Wehmut mein Gemüt. Ich sehe ein, dass es viele gute Gründe für den Erwerb einer selbst genutzten Immobilie gibt. Aber ein Eigenheim ist nun einmal der sichtbare, betonierte, unverrückbare Beweis dafür, dass man irgendwo angekommen ist, von wo man sich mit einiger Wahrscheinlichkeit nie wieder wegbewegen wird, selbst wenn alle Immobilienkäufer das Gegenteil schwören: »Hey, und wenn es uns dort irgendwann nicht mehr gefällt oder die Kinder aus dem Haus sind, dann verkaufen wir halt wieder und ziehen in eine zentral gelegene Dreizimmerwohnung.«

Von wegen. Man braucht nur die Generation unserer Eltern anzuschauen, dann weiß man, wie’s läuft: Die Kinder ziehen aus, aber sie sollen ja wissen, dass sie immer willkommen sind. Und sie sollen gerne kommen. Und wenn die Kinder nicht kommen, dann vielleicht endlich mal wieder die alten Freunde aus Düsseldorf, für so etwas hat man ja jetzt wieder Zeit und Platz. Das eine Kinderzimmer wird in ein Gästezimmer verwandelt, das andere in ein Arbeitszimmer. Und der Garten ist ja auch so schön. Und die Immobilienpreise sind so explodiert in den letzten zehn Jahren, man bekommt heutzutage ja gar nichts mehr für sein Geld. Und irgendwann hat man ja hoffentlich auch Enkel, die brauchen Platz und freuen sich, wenn sie draußen spielen können. Und der ganze Kram, der im Keller steht, wohin soll man denn damit? Und die netten Nachbarn, die kennt man schon so lange. Und immer ein Parkplatz vor dem Haus.

Und wenn dann irgendwann auch die Enkel groß und die netten Nachbarn altersstarrsinnig geworden sind und die Freunde nicht mehr gerne weit reisen und der Garten mehr Arbeit als Freude macht und man den Führerschein abgegeben hat – wenn einem also gar kein vernünftiger Grund mehr einfällt, warum es gut und richtig ist, zu zweit oder gar allein am Stadtrand in einem voll unterkellerten, hundertsechzig Quadratmeter großen Fünfzimmerhaus mit zwei Bädern, fünfhundert Quadratmeter Garten und zwanzig Jahren Renovierungsstau zu wohnen, dann bastelt man sich eben einen. Wie zum Beispiel die alten Eltern einer Freundin. Die Freundin wollte Vater und Mutter zum Umzug in eine kleinere und günstiger gelegene Wohnung in ihrer Nähe bewegen.

Vater und Mutter: »Ach Liebling, das wäre sicher schön, aber wir haben so gute Fachärzte hier in der Gegend.«

Die allermeisten älteren Menschen, die ich kenne, verlassen ihr Eigenheim keineswegs freiwillig, um ihre Rente in einem puppenlustigen Szeneviertel ihrer Stadt auf den Kopf zu hauen. Sie bleiben, wo sie sind, bis das Alter sie zwingt, ins Pflegeheim oder auf den Friedhof zu ziehen.

Möchte ich jetzt schon wissen, wo und wie ich in dreißig Jahren leben oder sterben werde? Nein, ich möchte Mieterin bleiben.

Mein Mann ist der Eigenheimtyp.

Erstens: Mein Mann hat nicht das geringste Verständnis für meine Verarmungsangst. Vielleicht, weil er als Kind erlebt hat, dass die Welt nicht untergeht, wenn das Geld knapp wird. Sein Vater war Kaufmann. Mal lief das Geschäft besser, mal schlechter, für das Alter musste er vorsorgen. Ende der Siebzigerjahre nahmen meine Schwiegereltern einen Kredit zu variablem Zinssatz auf und kauften ein Reihenhaus. Kaum hatten sie das Haus gekauft, begann die zweite weltweite Ölkrise, da war mein Mann fünfzehn Jahre alt. Der Leitzins explodierte, die Zinslast meiner Schwiegereltern explodierte mit, für ein paar Jahre mussten sie enorme monatliche Raten stemmen.

»Das war knapp, wir mussten richtig fies die Arschbacken zusammenkneifen«, sagt mein Mann. »Geht eben auch, wenn’s sein muss.«

»Wirklich?«, frage ich schaudernd.

Mein Mann, der Ölkrisenüberlebende. Den kann so schnell nichts schocken.

Zweitens: Wenn mein Mann sich doch mal Geldsorgen macht, schreit er niemanden an.

Er sagt: »Wir müssen uns mal hinsetzen und rechnen.«

Dann setzt er sich hin und rechnet. Wenn er fertig gerechnet hat, sagt er: »Also, wir müssen echt ein bisschen aufpassen in nächster Zeit, sonst haben wir ein richtiges Problem.« Dann sagt er: »Und jetzt habe ich aber wirklich Hunger. Soll ich ein paar Nudeln machen?«

Da bin ich längst im Bad und würge.

Drittens: Mein Mann findet, dass es keine guten Gründe gegen den Erwerb eines Eigenheimes gibt.

Er sagt: »Hey, und wenn es uns dort irgendwann nicht mehr gefällt oder die Kinder aus dem Haus sind, dann verkaufen wir halt wieder und ziehen in eine zentral gelegene Dreizimmerwohnung.«

Im Unterschied zu mir glaubt er, was er sagt.

Zwei Minuten nachdem mein Mann mich über sein neuestes Lebensprojekt informiert hat, greift er zum Telefon und ruft Onkel Rolf an. Bis heute hat keiner in der Familie wirklich verstanden, womit genau Onkel Rolf sein Geld verdient.

Irgendwann wollten unsere Kinder wissen: »Warum ist Onkel Rolf so reich?«

»Weiß ich auch nicht so genau«, sagte mein Mann. »Onkel Rolf kauft Grundstücke, und dann überredet er irgendwelche Leute, ihm viel Geld zu geben, und von dem vielen Geld baut er dann Supermärkte oder Hotels oder so auf das Grundstück.«

Jedenfalls kennt sich Onkel Rolf, anders als mein Mann und ich, bestens aus mit Immobiliengeschäften und Finanzdingen. Mein Mann will ihn fragen, ob es eine gute Idee ist, ein Haus zu kaufen. Mein Mann telefoniert eine halbe Stunde lang. Er legt auf.

Mein Mann sagt zu mir: »Onkel Rolf sagt auch, dass wir ein Haus kaufen sollen.«

Danke, Onkel Rolf.

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28 Min. Telefonat Onkel Rolf (Festnetz – Mobilnetz) 4,03 €

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Ilsebills Vernunftkeule

Auf die Idee, sich eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen, kommt man üblicherweise nur dann, wenn man genug Geld hat. Wenn man einen Job macht, den man nicht am liebsten gleich morgen früh kündigen möchte. Wenn man sich dort, wo man gerade lebt, zu Hause fühlt. Wenn sich die Partnerschaft in einem Zustand befindet, der einem keinen Anlass gibt, täglich das Einreichen der Scheidung in Erwägung zu ziehen. Wenn niemand in der Familie schwer krank ist oder schwer genervt von dem Leben, das man führt. Wenn man aber, von den üblichen alltäglichen Ärgernissen abgesehen, zufrieden, vielleicht sogar glücklich ist – wozu braucht man dann ein Haus? Das versuche ich abends bei einer Flasche Rotwein zu klären.

»Das ist wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau«, sage ich zu meinem Mann, »und du bist die Ilsebill! Du hast endlich deinen Traumjob, ich habe einen Traumjob, wir verdienen genug, um sorglos zu leben, wir haben es geschafft, die Familiengründungs-Baby-Kleinkind-Phase zu überstehen, ohne uns gegenseitig zu zerfleischen. Die Kinder sind groß genug, um uns am Wochenende ausschlafen zu lassen, und klein genug, um uns noch nicht total scheiße zu finden, wir haben wieder Zeit füreinander, manchmal sogar Sex, keiner hat Krebs, der Hund beißt nicht. Nach wahnsinnig stressigen Jahren ist unser Leben fast perfekt, wir könnten entspannt Miete zahlen und die Zeit genießen, bevor die Kinder anfangen, Drogen zu nehmen, du einen Herzinfarkt erleidest und ich in die Wechseljahre komme – aber nein, dir reicht das alles nicht, jetzt muss es auch noch ein eigenes Haus sein. Glaub mir, der Himmel wird uns strafen für so viel Gier. Ohne mich.«

Mein Mann sagt: »Nun sei doch mal vernünftig.«

Dann spricht er jenen Satz aus, der die Argumentationskeule aller Eigenheimtypen darstellt – ein Schlag, und Mietertypen wie ich sind quasi mundtot. Mehr als »Ja schon, aber trotzdem, weiß nicht, irgendwie …« fällt einem als Antwort auf diesen Einwand kaum ein: »FINDEST DU ES GAR NICHT ÄRGERLICH, WIE VIEL GELD MAN AUS DEM FENSTER WIRFT, WENN MAN BIS ANS ENDE SEINES LEBENS MIETE ZAHLT?«

Mal angenommen, man lebt in einer teuren Großstadt und man zahlt den Rest seines Lebens tausend Euro Kaltmiete pro Monat und der Rest des Lebens dauert vierzig Jahre: Dann hat man, wenn man stirbt, sagenhafte vierhundertachtzigtausend Euro ausgegeben – ohne mit diesem Vermögen einen Gegenwert erworben zu haben.

Mein Mann ruft: »Ist das nicht Wahnsinn?«

»Ja schon … aber man kauft sich dafür eben das schöne Gefühl, dass man nicht zuständig ist, wenn die Heizung kaputtgeht oder das Dach einstürzt«, sage ich. »Und ein Kredit kostet ja auch was.«

»Selbst wenn man vierhundertachtzigtausend Euro Zinsen zahlt«, sagt mein Mann, »am Ende hat man dann wenigstens etwas, nämlich ein Haus, statt nichts.«

»Aber trotzdem … auch ein Haus wird alt, und wer weiß, ob die Immobilienpreise weiter so steigen. Als langfristige Geldanlage, habe ich gelesen, ist es viel vernünftiger, die vierhundertachtzigtausend in Wertpapiere zu stecken.«

»Sehr witzig«, sagt mein Mann, »das möchte ich mal sehen, wie wir, neben der Miete, freiwillig tausend Euro im Monat beiseitelegen. Wenn wir nicht müssen, weil die Bank uns zwingt, sparen wir gar nichts, das weißt du genau.«

»Weiß nicht … wir haben doch kaum Eigenkapital.«

»Gerade deshalb müssen wir jetzt, wo wir zusammen gut verdienen, damit anfangen, das Geld sinnvoll zu investieren, sagt Onkel Rolf. Ein Haus ist wie ein Sparschwein, in das man jeden Monat Geld steckt. Was willst du sonst unseren Kindern sagen, wenn die dich eines Tages fragen, was wir mit der ganzen Kohle gemacht haben?«

»Ich will aber nicht in einem Sparschwein wohnen«, sage ich. »Wenn, dann will ich ein richtig tolles Haus, und ein tolles Haus gibt es hier in Hamburg nicht für das Geld, das unserer jetzigen Miete entspricht. Und weil ich kein tolles Haus haben kann, will ich lieber gar keines!«

»Pass auf, ich verspreche dir, du bekommst dein tolles Haus«, sagt mein Mann. »Das klappt schon, wir werden dafür nur ein bisschen die Arschbacken zusammenkneifen müssen.«

Ich fröstele.

»Nächste Woche gehen wir mal zusammen zur Bank …«

»Nee!«, sage ich. »Wir gehen nicht zusammen zur Bank, ich hasse Banktermine, ich will meine kostbare Freizeit nicht damit verbringen, mich mit graugesichtigen Bankangestellten über Exceltabellen zu beugen und über Kredite und Zinslast zu reden, das macht mich krank. Wenn du meinst, wir können es uns leisten, uns bis über beide Ohren zu verschulden, dann tu das, in Gottes Namen, aber lass mich damit in Ruhe. Ich habe, wie du weißt, eine Verschuldungsphobie. Wenn du nicht willst, dass deine Frau dir die nächsten zwanzig Jahre morgens um sieben ins Gesicht kotzt, musst du mich aus der Sache raushalten.«

»O.k.«, sagt mein Mann, »du musst dich um gar nichts kümmern, überlass das alles mir, ich regele das schon.«

Dieser psychologische Schachzug meines Mannes trifft mich völlig unvorbereitet.

Seit wir zusammen zwei Kinder und darum gefühlte zwei Millionen alltägliche Pflichten zu erledigen haben, bin ich es gewohnt, die Frage »Wer von uns macht was wie oft und wie viel?« in immer wiederkehrenden, mal lauter, mal leiser geführten, zähen Diskussionen zu verhandeln. Mein Selbstbild ist das einer emanzipierten, modernen Frau. Obwohl mein Mann seit jeher Vollzeit arbeitet und darum mehr verdient als ich, wollte ich immer sicher sein können, dass ich mich und die Kinder zur Not auch ohne ihn über Wasser halten kann. Ich habe hart gearbeitet für diese finanzielle Unabhängigkeit. Ich brauche keinen Mann, an den ich mich anlehnen kann – höchstens abends, auf dem Sofa, beim Fernsehgucken. Ansonsten brauche ich einen, der aufräumt, einkauft, kocht, Wäsche wäscht, Kinder hütet, Vokabeln abfragt, den Hund ausführt und Geburtstagsgeschenke besorgt.

Fragt man meinen Mann, so sagt er: »Aber das mache ich doch alles, du ständig an mir herumnörgelnde Teilzeit-Xanthippe!«

Fragt man mich, sage ich: »Aber du kümmerst dich viel seltener als ich, also viel zu selten!«

Wie auch immer. Ich lebe wie viele berufstätige Mütter, zu Recht oder Unrecht, mit dem Grundgefühl, mich ständig um alles kümmern zu müssen. Ich wäre überglücklich, wenn ich einmal den Eindruck hätte, ich müsste mich nur um die Hälfte kümmern. Dass mein Mann sagt »Du musst dich um gar nichts kümmern, ich regele das!«, übersteigt alle meine – aus jahrelanger, praktischer Erfahrung genährten – Erwartungen. Von diesem Satz träume ich seit der Geburt unseres ersten Kindes, seit über zwölf Jahren also. Ich bin überrumpelt. Etwas bröckelt in mir.

Ich gucke meinen Mann an, den Mann, der alles regeln will. Dem Mann scheinen plötzlich sehr breite Schultern gewachsen zu sein, diese breiten Schultern wecken eine bislang tief und sorgsam in mir vergrabene Sehnsucht. Es ist mir unangenehm, aber: Ich möchte mich an diese Schultern anlehnen. Mein Mann will mir ein Haus kaufen.

»Nun gut«, hauche ich, »wenn du dich wirklich kümmerst.«

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1 Flasche Rotwein (Tempranillo) 5,49 €

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Das Kind im Mietvertrag

Wochen vergehen. Mein Mann hat einen ersten Termin bei der Bank absolviert und sich bestätigen lassen, dass die Bank uns für kreditwürdig hält. Ich bin längst nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee ist, sich an meinen Mann anlehnen zu wollen. Auf Männerschultern ist kein Verlass, das weiß man doch.

Mal wieder kaufe ich ein, obwohl ich schon die letzten drei Mal eingekauft habe. Ich komme mit dem Auto vom Supermarkt zurück, ich parke vor dem Haus, in dem sich unsere Wohnung befindet, vor dem Haus steht das Auto unserer netten Vermieter. Unser Vermieter steht mit einer Blumenschere in der Hand auf einer Leiter vor der Kletterrose neben dem Tor zum Garten und schneidet verblühte Kletterrosenblüten ab. Schnipp. Schnapp. Schnipp. Das macht er öfter. Mich macht das fertig.

Nicht dass ich kein Verständnis dafür habe, dass der nette Vermieter die Kletterrose beschneidet. Unser Vermieter und seine Frau, ein nicht mehr junges Ehepaar, haben viele Jahre in der unteren Wohnung ihres Dreiparteienhauses gewohnt, bevor sie aus der Stadt aufs Land gezogen sind und die Wohnung an uns vermietet und uns damit in letzter Sekunde vor dem Schrebergarten gerettet haben. Sie haben, nachdem sie das Haus gekauft hatten, einen Garten angelegt, den sie mit viel Zeit und maximalem Aufwand pflegten. Der Garten gehört laut Mietvertrag nun uns; weil wir wenig Zeit haben, pflegen wir ihn mit minimalem Aufwand. Man könnte sagen: Wir machen nur das Allernötigste. Das Allernötigste ist zu wenig aus der Perspektive derer, die diesen Garten jahrelang mit ihrem Herzblut gedüngt haben, das verstehe ich.

Unsere netten Vermieter haben uns gegenüber noch nie ein Wort fallen lassen wegen des nur notdürftig gepflegten Gartens. Stattdessen kommen sie vorbei, wenn sie in der Stadt sind, und gießen hier ein bisschen und schneiden da ein wenig, sie stutzen dort ein paar Äste und rupfen woanders etwas Unkraut. Dass sie das tun, kann nur heißen, dass wir in ihren Augen zu wenig gießen, schneiden, stutzen und rupfen. Sie können nichts dafür, aber ich fühle mich sofort ganz elend, wenn ich sie beim Gießen, Schneiden, Stutzen oder Rupfen antreffe. Ich fühle mich wie ein Kind, dessen Verhalten den Eltern missfällt; ihrem Missfallen geben die Eltern nicht laut, sondern schweigend Ausdruck, indem sie wortlos die Versäumnisse ihres Kindes zu beheben versuchen. Ihr Tun ist ein Vorwurf. Ihre Wortlosigkeit ist ein Vorwurf. Ihre Anwesenheit ist ein Vorwurf: »Kind, wie sieht’s denn hier aus? Das kann man ja kaum mit ansehen. Schon gut, lass mich mal machen. Wenn man sich nicht um alles selber kümmert.«

Ich fühle mich ungerne wie ein Kind, denn ich bin keines mehr. Ich bin vierzig, es macht mich aggressiv, wenn andere Menschen mir das Gefühl geben, ein Kind zu sein. Ich weiß, es ist unfair, denn unsere netten Vermieter sind die nettesten Vermieter, die wir jemals hatten. Trotzdem möchte ich unseren Kletterrose schneidenden Vermieter sofort anschreien, als ich ihn vom Auto aus sehe.

Ich möchte schreien: »Herrgott noch mal, ich bin nicht vor über zwanzig Jahren aus meinem Jugendzimmer ausgezogen, auf der Flucht vor den kritisch hochgezogenen Augenbrauen meiner Eltern, nur um in den Armen überbehütender Vermieter zu landen!« Natürlich schreie ich nicht.

Ich sage: »Hallo, guten Tag, wie geht es Ihnen?«

Ich gehe ins Haus und verschanze mich in der Wohnung. Den Garten werde ich nicht betreten, solange der Vermieter sich dort zu schaffen macht. Ich luge aus dem Küchenfenster, er klaubt abgefallene Rosenblätter vom Gartenweg auf, ich denke: Wenn diese verdammte Kletterrose nicht gemietet, sondern mein Eigentum wäre, dann könnte ich sie nach Lust und Laune überwässern, vertrocknen, verlausen, von Rosenrost und Sternrußtau zersetzen lassen, ich könnte außerdem den Keller zumüllen, die Fenster zwei Jahre lang nicht putzen und Graffitis auf die Hauswand sprühen, ohne deshalb irgendwem gegenüber ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Nie wieder Mieter sein, das wäre das Paradies!

Man kann, wenn man zur Miete wohnt und nicht gerade der Vermieter bei einem im Garten herumsteht und einen wahnsinnig macht, über Jahre ganz gut verdrängen, dass man Mieter ist. Die Stunde der Wahrheit kommt, wenn man umzieht, am Tag der Wohnungsübergabe. Ich habe, seit ich nicht mehr bei meinen Eltern lebe, vier verschiedene Wohnungsübergaben machen müssen; sämtliche Wohnungen gehörten Privateigentümern. Zwei dieser Wohnungsübergaben waren der Startschuss für zwei jeweils mehrere Monate währende Albträume: Beide Exvermieter behielten unsere Mietkaution ein und forderten Tausende Euro Schadensersatz für irgendwelche angeblich von uns verursachten Sachschäden.

Die eine Exvermieterin forderte unter anderem, dass wir einen neuen Fußboden in der Wohnung verlegen. Der alte Holzboden war bei unserem Einzug zum Teil mit Zementestrich übergossen, zum Teil farbig lackiert gewesen. In wochenlanger Knochenarbeit hatten wir eigenhändig den Estrich von den Holzböden geklopft und die Dielen abgeschliffen. Wir waren keine Fachleute, deshalb sah der von uns abgeschliffene und versiegelte Holzfußboden an der einen oder anderen Stelle nicht perfekt aus; immerhin aber hatten wir ihn freigelegt. »Nicht fachmännisch!«, befand die Exvermieterin und wollte auf unsere Kosten in der ganzen Wohnung neues Laminat verlegen lassen. Laminat statt alter Holzdielen: Nicht einmal Geschmack hatte die.

Die anderen Exvermieter – jene, die uns wegen Eigenbedarf kündigten – behaupteten unter anderem, wir hätten das Bad ruiniert. Im Bad war die Tapete über der Badewanne feucht, die Fliesen schimmelten. Die Vermieter hatten aus ästhetischen Gründen keinen Fliesenspiegel über der Wanne angebracht, die Tapete reichte bis zum Badewannenrand. Die Fliesen, italienischer Naturstein, lagen auch im Wohnungsflur und in der Küche, sie waren schön, aber leider porös, also nicht badezimmertauglich. Für eine Familie mit zwei planschenden Kleinkindern wäre ein weniger schön designtes, dafür sachgerecht ausgestattetes Bad besser gewesen. »Muss alles neu!«, forderten die Exvermieter und wollten auf unsere Kosten ein neues Bad einbauen lassen.

Beide Male mussten wir Anwälte einschalten, beide Male mussten wir am Ende nichts zahlen – außer dem Anwaltshonorar. Beide Male lösten die Geldforderungen unserer Exvermieter, solange sie bestanden, Verarmungspanikattacken bei mir aus. Ich notierte Zahlenkolonnen, ich aß nichts mehr, ich nahm jeweils mehrere Kilogramm ab. Genauso groß wie meine Angst vor Verarmung war meine Fassungslosigkeit darüber, dass manche Menschen (Vermieter) sich anderen Menschen gegenüber (Mietern) so unverschämt raffgierig und böswillig zu verhalten imstande sind. Beide Male fühlte ich mich wie ein ungerecht behandeltes Kind, ohnmächtig ausgeliefert der Willkür hartherziger Erwachsener. Beide Male hasste ich mich selbst dafür, dass ich mich so bereitwillig einschüchtern ließ.

Die Wohnungsübergabe einer Bekannten endete damit, dass die Bekannte die Vermieterin »Sie blöde Kuh!« nannte, sie am Arm packte und aus der Wohnung bugsieren wollte, woraufhin die blöde Kuh eine Anzeige wegen Körperverletzung ankündigte. Wohnungsübergaben, darauf einigten die sonst friedfertige Bekannte und ich uns telefonisch, bringen das Allerschlechteste im Menschen hervor, auf beiden Seiten. Denn bei Wohnungsübergaben teilt sich die Menschheit in zwei Lager, in Großgrundbesitzer und Leibeigene. Die einen sind dazu verdammt, ihr Eigentum zu verteidigen, die anderen dazu, ihre Haut zu retten; die einen müssen herrschen, die anderen katzbuckeln – oder revoltieren. Ein Umgang auf Augenhöhe ist zwischen Vermietern und Mietern nicht vorgesehen.

Unser netter Vermieter geht zum Außenwasserhahn, füllt die Gießkanne und gießt die große Hortensie. Ich frage mich, wie die Wohnungsübergabe laufen wird, wenn wir eines Tages aus seiner Wohnung ausziehen sollten. Ob unsere netten Vermieter dann weiterhin nett bleiben? Oder werden sie sich, wie so viele vor ihnen, in gnadenlos kritische und strafende Übereltern verwandeln? Ich spüre, wie mir bei dem Gedanken an die nächste Wohnungsübergabe vorsorglich beklommen ums Herz wird. Ich denke: Sollten wir eines Tages aus dieser Wohnung ausziehen, so wäre es großartig zu wissen, dass dies die allerletzte Wohnungsübergabe meines Lebens wäre.

Als unser Vermieter ins Auto gestiegen und weggefahren ist, laufe ich zum Kiosk gegenüber und kaufe eine Zeitschrift. Ich kaufe die Zeitschrift Häuser, ein Architekturmagazin. Ich mache mir einen Kaffee und schaue mir Bilder von tollen Häusern an. Ich male mir aus, wie mein eigenes tolles Haus aussehen sollte. Häuser sind etwas für Erwachsene. Ich möchte endlich erwachsen werden, groß und stark, souverän und unabhängig: Nie wieder Angst vor dem Vermieter!

Ich will auch ein eigenes Haus.

Baunebenkosten inkl. MwSt.:

Übertrag 9,52 €

1 Zeitschrift Häuser 9,00 €

Zwischensumme 18,52 €

Teil 2

Ein Haus mit großem Ideenverwirklichungspotenzial

Das erste Haus, das wir kaufen wollen, ist das Haus, in dem wir zur Miete wohnen – das Haus mit der Kletterrose. Mein Mann lädt Onkel Rolf zu Kaffee und Erdbeerkuchen ein. Bevor Onkel Rolf Kaffee trinken und Erdbeerkuchen essen darf, muss er das Mietshaus begutachten. Während er Kaffee trinkt, erläutert er uns, welchen Wert das Haus seiner Meinung nach habe: »Nachkriegsbau, eher mäßige Bausubstanz, gute, aber keine sehr gute Wohnlage, nettes Haus, aber keine besonderen Details, schöner Garten, aber ein bisschen zu schattig, feuchter Keller, viel zu kleines Bad, Risse im Mauerwerk, renovierungs-, zum Teil sanierungsbedürftig.«

Das Haus tut mir ein bisschen leid. Ich mag es. Dem armen Haus ergeht es genauso, wie es mir selbst ergeht, sobald mich jemand mit nüchternem, statt liebevollem Blick betrachtet: Siebzigerjahrebau, mäßige Bausubstanz, annehmbares, aber kein überdurchschnittliches Aussehen, netter Gesamteindruck, aber keine herausragenden positiven Auffälligkeiten, hübsche blaue Augen, ein bisschen zu pummelig, zu kleine Brüste, erste Falten in der Fassade, renovierungs-, zum Teil sanierungsbedürftig.

»Wie viel Wohnfläche hat das Haus insgesamt, und wie viel Kaltmiete zahlt ihr?«

Onkel Rolf zückt einen Taschenrechner. Er rattert einen Kurzvortrag herunter über Zinssätze und Dreisatz und Dezimalbrüche, Prozente und Faktoren, mit denen man Erträge multiplizieren müsse, dabei tippt er in Lichtgeschwindigkeit auf dem Taschenrechner herum. Dann verkündet er eine Summe: »Viel mehr würde ich nicht bieten!«

Die Summe stimmt mich nachdenklich. Erstens: Sie liegt weit unter dem Preis, den unsere Vermieter uns als Verhandlungsbasis genannt haben. Zweitens: Ich habe nur eine sehr vage Ahnung, wie Onkel Rolf auf diese Summe gekommen ist. Mathe war noch nie meine Stärke, es hat eben seinen Grund, warum ich damals nicht Astrophysikerin geworden bin.

»Aber«, Onkel Rolf hebt den Zeigefinger und legt eine Kunstpause ein, »das ist eben nur der objektive Wert. Wenn ein Käufer in das Haus, für das er sich interessiert, selbst einziehen will, dann zählt natürlich auch der emotionale Wert. Der emotionale Wert ist alles, was sich nicht rational begründen lässt: Der hübsche Apfelbaum im Garten. Die hübsche Nachbarin. Die Ehefrau kommt rein und verliebt sich in die Küche. Also dieser ganze subjektive Das-Haus-will-ich-und-kein-anderes-Kram.«

So ist es, denke ich, es kommt im Leben eben nicht nur auf den objektiven Marktwert an. Ich versuche, mich zu erinnern, wann mein Mann zuletzt zu mir gesagt hat: »Dich will ich und keine andere!«

»Wollt ihr dieses Haus und kein anderes?«, will Onkel Rolf wissen. Wollen wir dieses Haus und kein anderes?

»Nee«, sagt mein Mann, »so kann man das nicht sagen, wir haben ja noch gar keine anderen Häuser besichtigt.« Ob mein Mann manchmal andere Frauen besichtigt?

»Sehr gut«, sagt Onkel Rolf und schlägt zufrieden die Gabel in den Erdbeerkuchen, »je emotional unbeteiligter ihr seid, desto stärker eure Verhandlungsposition. Haut ein paar zehntausend auf den objektiven Wert und los.«

Wir verhandeln nicht lange. Unsere Vermieter weisen unser Angebot entrüstet zurück und erklären die Verhandlung für beendet. Wir lernen: Nicht nur Immobilienkäufer, auch Immobilienverkäufer sind zu Emotionen fähig.

Das zweite Haus, das wir kaufen wollen, ist das Haus von Frau Müller. Dass Frau Müller für ihr Haus einen Käufer sucht, wissen wir von Frau Müllers Nachbarn, deren Sohn mit unserem Sohn zusammen Fußball spielt. Frau Müller hat die Nachbarn gefragt, ob sie jemanden kennen, der ein Haus sucht. Die Nachbarn rufen an und sagen: »Ihr sucht doch ein Haus, oder? Unser Nachbarhaus wird verkauft. Ist alt, muss man ziemlich viel dran machen. Aber ohne Makler!«

Die zwei Worte »ohne Makler« lösen in Menschen, die in einem überteuerten städtischen Ballungsraum eine Wohnung oder ein Haus zur Miete oder zum Kauf suchen, ungefähr die gleiche Reaktion aus, die der Anblick zweier nackter, praller Brüste bei einem Sechzehnjährigen hervorruft: blinde Wollust. Was für eine erregende Vorstellung, keine sechs Prozent Maklercourtage zahlen zu müssen! Erstens spart man so eine echte Masse Geld. Zweitens erspart man sich die Hassattacken, die einem Herz und Seele vergiften, wenn man darüber nachdenkt, wofür man dieses viele Geld bezahlen musste.

Von einigen bestimmt existierenden, mir jedoch unbekannten Ausnahmen abgesehen funktioniert die Arbeit des Immobilienmaklers so: Er hält dem Immobilienverkäufer lästige Aufgaben vom Leib. Er macht in seinem Auftrag ein paar Fotos, formuliert eine schmeichelhafte bis schamlos geschönte Beschreibung des Immobilienobjekts, stellt sie mit zwei Mausklicks ins Internet, geht ans Telefon, wenn es klingelt, und nimmt Besichtigungstermine wahr. Dabei vertritt er stets die Interessen des Immobilienverkäufers, die zugleich die seinen sind, indem er einen möglichst hohen Kauf- oder Mietpreis zu erzielen versucht. Für all das lässt er sich von jemand Drittem bezahlen, für den er so gut wie nichts tut, außer ihm möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen – vom Immobilienkäufer.

Die dem Courtagezahler gegenüber erbrachte Dienstleistung erschöpft sich meist darin, die Haustür auf- und zuzuschließen und manchmal einfache Fragen beantworten zu können: »Ja, ich glaube, das Haus hat eine Gasheizung.«

Manchmal aber auch nicht.

Wohnungsbesichtigung, Düsseldorf 1998.

Ich: »Sagen Sie, das ist ja ein Altbau. Unter dem Linoleum hier, kann es sein, dass da vielleicht noch Holzdielen liegen?«

Der Makler: »Keine Ahnung. Seh ich aus wie der Mann mit den Röntgenaugen?«

Mein Mann gehört zu jener Spezies Männer, die – wenn irgend möglich – jegliche Kontaktaufnahme mit Menschen vermeidet, die nicht zu seiner Familie, zum Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis gehören: Lieber verirrt er sich, bevor er Passanten nach dem Weg fragt, während ich viel lieber Passanten frage, bevor ich mich verirre. Ein Umstand, der vor Erfindung des Navigationsgerätes oft dazu führte, dass wir uns auf Autofahrten in unbekannter Gegend heftig in die Haare bekamen.

Ich: »Da, halt mal an, der Herr, der weiß bestimmt, wo es hier Richtung Autobahn geht!«

Mein Mann: gibt Gas.

Niemals ruft mein Mann bei Hotlines an, um sich über irgendetwas zu beschweren, ich andauernd. Urlaube buche immer ich, weil man sich zu diesem Zwecke mit Hotelmitarbeitern, also mit Wildfremden, unterhalten muss. Sämtliche Wohnungen, die wir bisher gemeinsam bewohnt haben, hatte ich ausfindig gemacht. Wenn ich mich darüber beschwere, dass immer ich solche Dinge erledigen muss, sagt mein Mann: »Du bis nun mal die Außenministerin!«

Doch nun, ein Haus ohne Makler in Reichweite, bricht mein Mann aus alten Rollenmustern aus: Ungefähr drei Minuten nachdem die Fußballbekannten uns von dem maklerfrei zum Verkauf stehenden Nachbarhaus erzählt haben, ruft er Frau Müller an, stellt sich vor und spricht mit ihr, als hätte er nie im Leben etwas anderes getan, als mit fremden älteren Damen zu plaudern. Er vereinbart einen Besichtigungstermin.

Frau Müller will sehr viel mehr Geld für das Haus haben, als wir bereit sind zu zahlen. Frau Müller senkt den Preis, mein Mann erhöht unser Angebot. Als wir nur noch zwanzigtausend Euro auseinanderliegen, bewegt sich nichts mehr.

Wenn man ins Spielkasino geht, empfehlen erfahrene Spielkasinobesucher, sollte man die EC- oder Kreditkarte zu Hause lassen, stattdessen einen Maximalbetrag festlegen, dessen Verlust zu riskieren man bereit ist – und exakt diesen Betrag in bar einstecken. Wenn das Geld weg ist, ist der Abend zu Ende. So schützt man sich und sein Geld vor sich selbst: »Och, nur noch einmal, nur zehn Euro, zehn Euro machen den Kohl nun wirklich nicht fett.«

Vor Beginn der Verhandlungen hatten mein Mann und ich einen absoluten Höchstbetrag festgelegt, den wir auf keinen Fall überschreiten wollten. Diesen Höchstbetrag haben wir erreicht.

»Nein«, sage ich, »das ist sowieso schon zu teuer, mehr zahlen wir nicht.«

»Aber Frau Müller sagt, das ist ihr letztes Angebot, weiter runter geht sie nicht«, sagt mein Mann.

Ich liege auf dem Sofa und sehe das Haus davonsegeln, in dem ich mich schon wohnen sah. Mein vager Hauswunsch hat sich in den letzten Tagen in eine sehr konkrete Hausgier verwandelt – und Gier, das weiß man, ist das Einfallstor für den Teufel, der einen in Versuchung führen will. Wenn wir das Haus nicht kaufen, flüstert mir der Teufel ins Ohr, kaufen wir vielleicht niemals ein Haus. In unserem Stadtteil werden nur wenige Häuser verkauft. Entweder keiner will sie, weil sie zu klein oder zu hässlich sind. Oder keiner kann sie bezahlen, weil sie zu groß und zu schön sind. Oder alle wollen sie, weil sie ganz hübsch, ausreichend groß und bezahlbar sind. Wenn es noch Jahre dauert, bis wir ein Haus finden, lohnt sich das Haus gar nicht mehr, dann ziehen die Kinder schon bald aus.

»Oder sollen wir noch mal zehntausend drauflegen?«, frage ich. »Zehntausend machen den Kohl nun wirklich nicht fett!«

»Nein, nein, nein«, sagt mein Mann, »das Spiel ist aus.«

Ein paar Tage später buchen wir einen Skiurlaub.

Frau Müller übergibt das Haus schließlich doch einer Maklerin. Auch die Maklerin findet lange keinen Käufer, der den geforderten Preis zahlen will. Wochen, Monate vergehen. Ein Vierteljahr später erfahren wir von den Nachbarn: Der einzige ernsthafte Interessent ist kurz vor dem Notartermin abgesprungen. Mein Mann ruft wieder bei Frau Müller an und sagt, dass wir nach wie vor an dem Haus interessiert seien.

Frau Müller sagt: »Da müssen Sie mit der Maklerin sprechen, die macht das jetzt alles.«

Die Maklerin schickt uns das Maklerexposé zu, in dem das Haus, das wir längst kennen, so beschrieben wird: »Charmante Kaffeemühle – verwirklichen Sie Ihre Ideen!« Irgendetwas muss sie ja tun für ihr Geld.

Das Haus ist 1932 gebaut worden und steht auf einem fünfhundertsiebenundfünfzig Quadratmeter großen Grundstück, der Garten liegt Richtung Süden. Es besteht aus einem Hochkeller, einem Hochparterre, aus einem Obergeschoss und einem zur Hälfte ausgebauten Dachboden. Es ist aus rotem Klinker gemauert, besitzt ein Walmdach und einen quadratischen Grundriss mit den Außenmaßen acht mal acht Meter – eine sogenannte Hamburger Kaffeemühle. Die Wohnräume sind mit Dielen ausgelegt, alte Holztreppen führen nach oben.

An dem Haus ist seit 1932 fast nichts modernisiert worden. Im Keller steht Wasser, die Kellerwände sind überzogen mit Salpeter. Das Dach ist nie erneuert worden, an manchen Stellen regnet es durch. Auf der Rückseite sieht das Haus aus wie ein Industriegebäude, dort hat es nur zwei winzige Fenster, dafür eine braune Kunststofftür, durch die man von der Küche aus über eine kleine Balkonterrasse treppabwärts in den Garten gelangt.

Wenn an dem Haus seit 1932 etwas modernisiert worden ist, dann nicht zu seinem Vorteil. Im Garten steht eine aus Asbestplatten und Wellblech zusammengeschusterte Doppelgarage. Zwischen Garage und Haus ist der Boden gepflastert mit den wellenförmigen Pflastersteinen, die man sonst auf Lidl- und Aldi-Parkplätzen findet. Die ursprünglich verbauten weißen Sprossenfenster sind in den Achtzigern durch Mahagonifenster ersetzt worden, über den Fenstern hängen graue, klobige Kästen, in denen sich die Außenrollläden befinden. Die Türen und Türrahmen im Innenraum sind mit Kunststofffolie in Holzoptik überklebt, die Zimmerdecken sind abgehängt, Bad, Gäste-WC