Ich hätt’ dich dich heut’ gern wachgeküßt - Uwe Bogen - E-Book

Ich hätt’ dich dich heut’ gern wachgeküßt E-Book

Uwe Bogen

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Beschreibung

Ein amüsanter Streifzug durch die Welt der Swinging Singles, der jungen Frauen und Männer mit dem großen Liebesbedürfnis und den kaputten Beziehungen. Wie findet Traumfrau den Traummann und Traummann die Traumfrau? (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Uwe Bogen

Ich hätt’ dich dich heut’ gern wachgeküßt

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Inhalt

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1

Bitte Ruhe! Seid doch mal endlich still. Ute nahte. Feuerroter Kußmund, verführerischer Klimperblick, eine Rose im blondgefärbten Haar, knallenger Ledermini, aus dem kräftige Beine wuchsen. Licht aus, Spot an. Im Scheinwerferlicht, provisorisch von der hochgeklappten Leselampe gespendet, wollte Ute ihr Geschenk überreichen, eines von ihren berühmten. Bei jedem Fest hatte die kecke Blondine ihren Auftritt, den sie, was keinem verborgen blieb, sogar noch mehr genoß als das im Extremfall zu Tränen gerührte Geburtstagskind, dem Ute – ihrem Ruf folgend – stets in Reimform gratulieren mußte.

Ute war eine von jenen jungen Frauen, die eigentlich ja Schauspielerin werden wollten. Doch weil ihr dafür das Glück fehlte (manche meinten, eher das Talent), baute sie ihre Bühne eben selbst – also auf jedem Geburtstagsfest, zwischen Weißbierkästen, vollen Aschenbechern und schon halb besoffenen »Fans«. Tagelang hatte sie ihre Show daheim vor dem Spiegel zur Perfektion getrieben. Lampenfieber kannte Ute nicht mehr, um so heftiger aber ihr Freund Peter, der bei den Auftritten der Freundin jeden noch so kleinen Fehler entdeckte. Beharrlich weigerte sich Peter, auch nur eine Statistenrolle zu übernehmen, nicht mal Kulissenschieber wollte er sein. Peter entschuldigte sich mit seiner Schüchternheit, was Ute, auch wenn sie anderes behauptete (»Muß ich immer alles selber machen?«), nur recht war. So mußte sie nichts vom Beifall abgeben.

Wieder mal zeigte sich: Die Liebe funktioniert, wenn die Rollen klar verteilt sind. Die Selbstdarstellerin mit der großen Klappe brauchte einen Stillen, so daß ihre Überlegenheit nie ernsthaft gefährdet war. Und Peter liebte ein Wunschbild, das er auf Ute projizierte. Was er für seine Schauspielerin empfand, ordnete er – der Einfachheit halber – unter der Kategorie GROSSE LIEBE ein, um nicht weiter drüber nachdenken zu müssen. Nur das komische Gefühl, das ihn manchmal befiel, wenn sich Ute so aufspielen mußte, erinnerte daran, daß irgendwas nicht stimmte. Ruhe! Wie immer gaben sich Utes Freunde vor ihrem Auftritt ahnungslos. Ein altes, auf vielen Festen eingeübtes Ritual. Die fröhliche Runde kicherte weiter, als wisse sie nichts vom bevorstehenden Spätprogramm. Dabei hatte jeder von ihnen Utes Abwesenheit bemerkt (seit gut einer halben Stunde). Alle wußten genau, warum Ute fehlte. Während die Eingeweihten deshalb in noch kürzeren Abständen die Weißbiergläser leerten, um das Unvermeidliche besser überstehen zu können, packte Ute hinter verschlossener Tür ihr berühmtes Schminkköfferchen aus, das zu ihr gehörte wie dieser Klimperblick.

Es war also wie immer.

Erst trug sie im Badezimmer dick auf (mit Schminke), dann vor der gesamten Festgesellschaft (mit übertriebener Gestik).

Diesmal aber hatte Ute einen guten Tag. Ihr Lied – es ging um Männer, um richtige Männer – traf voll ins Schwarze. Voll in die wunde Seele von Eva, der Gastgeberin, die – wie jeder wußte – seit etwa einem halben Jahr, seit der endgültigen Trennung von Andy, einen Mann, endlich einen richtigen Mann suchte. Was heißt hier, richtiger Mann – gibt’s denn auch falsche? Grundsätzlich ist natürlich jeder Mann ein Mann. Doch viele sind falsch. Falsch und fies, grausam und gemein. Eva kannte sich aus. Eva kannte Andy.

O Mann!

Vor einem halben Jahr wollte Eva eigentlich alle Männer auf den Mond schießen. Aber einer, sie hatte inzwischen Mitleid, durfte bleiben. Halt der Richtige, der Liebe nicht nur buchstabieren, sondern auch leben kann. Einer, der sie schwerelos streichelt und sie von Kopf bis Fuß mit Zärtlichkeit benetzt. Einer, dessen Küsse extrascharf schmecken und dessen warme Haut kuschelweicher als Samt ist. Einer, der ihre Sorgen errät und an dessen Schultern der Alltagsärger abprallt. Einer, an den sie den ganzen Tag denken und von dem sie die ganze Nacht träumen kann. Einer, der ihr in guten wie in schlechten Zeiten beisteht, weshalb er grad mal dringend gebraucht wird, denn die Zeiten sind im Moment eher schlecht.

Eigentlich wollte die Gastgeberin, seit diesem Tag siebenundzwanzig, rechtzeitig den Solo-Trip abbrechen, um dann beim Geburtstagsfest ihre neue Errungenschaft stolz wie ein teures Kleid präsentieren zu können. Natürlich hatte es wieder nicht geklappt (wie auch schon bei ihrem sechsundzwanzigsten, nach der ersten Trennung von Andy).

Die verzweifelten Versuche, die sie mit einer bemerkenswerten Selbstironie trug, machten Eva bei ihren Freundinnen noch sympathischer. Warum sollte es ihr bessergehen als uns? – dachten die anderen, die es noch schwerer hatten, weil sie schon über dreißig waren. Sie gehörten einer Generation an, die dieses Problem, aus Altersgründen, bestens kannte.

Trau keinem über dreißig.

Mit diesem Spruch hatten die alten Achtundsechziger alles vorausgesehen, wirklich alles.

Trau keiner Liebe über dreißig.

So lange hält die Liebe eh nicht. Entweder sind die Leute in diesem schwierigen Alter bereits geschieden, was sehr teuer kommt, worüber sich wenigstens der Rechtsanwalt freut, weil er auch selbst seinen besten Freunden die »normalen Sätze nach der Gebührenordnung« berechnen muß, um nur keinen Streit mit der Rechtsanwaltskammer zu provozieren. (Selbst die Hochwohlgeborenen im Buckingham-Palast trennen sich am laufenden Band, was das Volk ungemein beruhigend findet, wenn’s auch der Familie König nicht bessergeht.)

Oder aber die Leute können schon in jungen Jahren mit Geld umgehen und haben sich dieselbe Geistesschärfe zunutze gemacht und sich rechtzeitig der Verlockung widersetzt, gleich die erstbeste Liebe vor den Traualtar zu zerren.

Auch die Sparsamen sind mal wieder solo. Also, auf ein neues! Wieder mal kann die spannende Suche beginnen. Eine atemlose Hatz nach Herrn Richtig und Frau Richtig. Auf die ganze Stadt wird die Fahndung ausgedehnt. Fieberhaft ermitteln die Kommissare mit den einsamen Herzen. Eva hatte sich schon überlegt, ob sie nicht ein Phantombild in der Zeitung, bei der sie arbeitete, veröffentlichen sollte. Der Gesuchte ist groß, schlank, hübsch und verdammt süß. Solche gibt’s tatsächlich, no problem. Und schon hat man einen geschnappt, der dieser vagen Beschreibung entspricht. Jetzt aber zulangen! Die Handschellen klicken, der Kerl wird in U-Haft genommen. Er steht unter dem dringenden Verdacht, ein Traummann zu sein. Doch im Verhör, das oft tage- und nächtelang dauert, stellt sich heraus: Wieder nichts! Man muß ihn laufenlassen. Der Festgenommene sieht nur so aus, damit hat sich’s, denn sonst hat er gar nichts von einem Traummann, der mehr bieten muß als schöne Augen. Die Fahndung geht weiter. Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei!

Während Kommissarin Eva bei ihren Ermittlungen auf der Stelle trat, träumte sie schon mal vom großen Glück. In schwachen Momenten ertappte sie sich dabei, wie sie sich heimlich ausmalte, an einem schönen Sommersonntag im blühenden Sonnengarten am Mittagstisch mit kleinen Schreihälsen zu sitzen. Und dann schenkt sie dem besten Ehemann der Welt ein liebevolles Lächeln, das auch ohne Worte sagt: Schatz, wie geht’s uns doch gut!

Eva, eine rothaarige Frau mit schmalen Schultern, der man ansehen konnte, wie sie sich fühlte (wenn es ihr gutging, sah sie so feurig aus wie ihre Haare, meist aber verbittert und zornrot im Gesicht), dachte früher einmal, Andy habe das Zeug zu diesem »besten Ehemann der Welt«. Und dann reichte es ihm grad mal zum besten Lügner. Daß er bei der Stadt arbeitete, vereidigter Klein-Klein-Beamter im Wohnungsamt, hinderte ihn nicht daran, so hemmungslos zu lügen. Erst hatte Eva gedacht, mit ihm das große Los gezogen zu haben, doch es war die Niete, die absolute Niete. Diese Freundschaft war nur noch die Abfolge von sich steigernden Wutausbrüchen. Evas Herz hatte sich verirrt und steckte mitten drin im Dickicht der Depressionen, wo’s nur Tränen regnete. Nie zuvor hatte Eva einen Menschen so geliebt und nie zuvor einen so gehaßt. Wegen Betrugs in einem besonders schlimmen Fall hätte man ihn einsperren müssen. Lebenslänglich, damit er nie wieder ein Frauenherz foltern könnte.

Wenn sie bei der ersten Umarmung geahnt hätte, was da auf sie zukommen sollte, wären ihre Hände unauffällig von den Schultern weiter hochgerutscht. Direkt an die Gurgel. Und zugedrückt!

In ihrer Enttäuschung legte sich Eva eine Theorie zurecht, die sie darüber hinwegtrösten sollte, nicht all das zu bekommen, was ihr zustand. Andy, so bildete sich Eva ein, war nur deshalb mit ihr zusammen, weil er seine wahre Traumfrau noch nicht kannte. Um die Wartezeit zu verkürzen, hielt sich Andy eben Eva, der er nur deshalb gelegentlich zärtliche Gesten schenkte, um schon mal für später zu üben. Andy stritt zwar alles ab, doch so war es, so mußte es sein. Eva hatte keinen Zweifel.

Mit der Zeit versteifte sich Eva so sehr auf diese Theorie, daß sie Andys plötzlich ernstgemeinten Liebesbeweise nicht als solche erkannte. Der liebt mich ja doch nicht, redete sich Eva ein. Vor ihrer krankhaften Skepsis flüchtete sich Andy zunehmend in schnelle Affären. Der Typ, der nur Telefonbücher las, hielt sich ausgerechnet an ein Dichterwort, an eines von Gottfried Benn, der allen Seitenspringern den Leitspruch ihres Lebens lieferte: »Gute Regie ist besser als Treue.« Andys Regie war aber so schlecht, daß Eva was ahnen mußte, auch wenn Andy natürlich nichts erzählte. Die Abschiedsworte, mit denen sie Andy für immer fortgeschickt hatte, wird Eva nie vergessen. »Das Leben ist grausam, doch am grausamsten bist du.« Das Leben mit Männern schien die Hölle, und das Leben ohne Männer auch.

Eva brauchte sich ja nur ihre beste Freundin anzuschauen. Monika, die für eine neue Stelle mit ihrem Freund Bernd weit weggezogen war, fehlte beim Geburtstagsfest natürlich nicht. Angereist für ein Wochenende. Schon seit drei Jahren lebte Monika mit Bernd zusammen und hatte in dieser Zeit mindestens fünfzigmal Schluß mit ihm gemacht. Sie teilte das Schicksal vieler Frauen, die irgendwann aufgeben, ihre Männer zu verstehen. Dieses Rätsel war nicht zu lösen, nur soviel stand fest: Nicht mit ihm und nicht ohne ihn.

Zum Geburtstagsfest war Monika ohne ihren Bernd gekommen. »Wir werden uns trennen«, erzählte Monika, zum wievieltenmal eigentlich? Eva wußte, daß die beiden bald schon wieder Versöhnung feiern würden, um wenig später neue Trennungsgespräche zu führen. Warum nervt mich Monika unentwegt mit diesem Hin und Her? Ich hab’ doch schon selbst genug Probleme!

Andy hatte in ihrer Seele ein Trümmerfeld zurückgelassen. Doch ihr fehlte die nötige Kraft, den ganzen Schutt beiseite zu räumen. Das meiste blieb liegen. Eva, eine Trümmerfrau, die aus der Ruine ihrer Vergangenheit noch lange nichts Neues aufbauen kann, erst müssen die alten Trümmer weg.

Meist nahm Eva nur die Moll-Töne des Lebens wahr, und ihre Ohren wurden taub für den Freudengesang, der aus kleinen, unscheinbaren Begegnungen erklingt. So ein Herzschmerz strahlt weit aus, bis hoch zum Stammhirn. Wer nicht aufpaßt, kann nicht mehr klar denken. Der Verstand ertrinkt im Strudel der großen Gefühle. Schon wird die Welt nur noch in Ausschnitten wahrgenommen. Was sind schon hundert Tote in irgendeinem Bürgerkrieg, wenn ich mich so einsam fühle?

Weine nicht, kleine Eva!

Der Schmalzsong der Flippers, o Gott ja, paßt gut an dieser Stelle. Kitsch ist ein Vertrauter der Liebe. Wer so richtig liebt, packt seine Gefühle in kitschiges Glanzpapier. Das Säuseln eines Liebenden überbietet locker den Kitsch, den jeder Souvenirladen vor dem Pariser Eiffelturm bereithält.

Ute, die Gute, hatte dieses Lied für ihren Vortrag ausgewählt, wenn auch mit einem neuen, eigens für dieses Ereignis geschriebenen Originaltext.

»Weine nicht, kleine Eva. Der richtige Mann, der kann dir schon mo-ho-ho-horgen begegnen.«

Applaus, Applaus! Die Akteurin mit der Rose im Haar genoß das vergnügte Johlen der weißbierseligen Geburtstagsrunde nur für einen kurzen Moment, um die Stimmung weiter aufzuheizen. Abrupt beendete sie die gelungene Flippers-Parodie, um in einem wilden Freudentanz der puren Lust zu explodieren.

»So ein Mann zieht mich unwahrscheinlich an …«

Ute krönte ihre Hymne auf den Spaß am Sex mit der Antwort auf die Frage aller Fragen. Wie nur muß der Traummann sein?

»Süß, mit viel Kies. Nicht fett – und immer neu im Bett.«

Vergnügt klopfte sich der langhaarige und vollbärtige Toni, ein Relikt aus vergangenen Atomkraft-nein-danke-Tagen, auf die Schenkel. Auch wenn er so aussah, als sei die Zeit in den Siebzigern stehengeblieben, war er natürlich kein Ewiggestriger. Toni war nur ein ewiger Student – und ein ewiger Single. Oberhalb seines Batikhemds gab’s praktisch nur Haare, und genau aus diesem Dschungel kam nun eine freche Frage in Richtung der mütterlich wohlproportionierten Martina. Die dickliche Dreißigjährige mit dem Durchschnittsgesicht hätte man unter Naturschutz stellen müssen. Ein vom Aussterben bedrohtes Exemplar seltenen Eheglücks, das in den Kreisen wirklich selten vorkam, in denen sich Eva bewegte. Martina war eine ihrer wenigen Freundinnen, die nun schon seit sechs Jahren unbeirrbar behauptete, »glücklich« verheiratet zu sein.

»Martina«, wieherte Toni wie ein Schuljunge, »ist dein Micha immer neu im Bett?«

Martina blickte erst betreten, dann fragend zu ihrem Gatten rüber, der auch so ein Durchschnittsgesicht hatte. Von dieser Seite kam mal wieder nichts. Martina holte deshalb allein zum Konter aus. Frech wieherte sie zurück: »Der Micha ist wenigstens nicht allein im Bett, so wie immer du, Toni!«

Auch Eva war allein. Ein Schicksal, das sie mit der halben Stadt teilte, die unaufhaltsam von Singles erobert wird.

Es wimmelt von Einpersonenhaushalten, die in der Statistik bereits Platz eins errungen haben. Ständig kommen neue Singles hinzu, direkt vom Scheidungsrichter.

Die Sicherheit, in der sich Ehepaare wähnten, hat sich als trügerisch erwiesen. Die mit dem Ring haben ihre Ehe mit einer Täuschung begonnen. Wer denkt, er werde immerzu geliebt, täuscht sich. Man muß dafür auch gefälligst was tun! Deshalb sind Singles die besseren Liebhaber, weil sie ihre Liebe jeden Tag aufs neue beweisen müssen. Aber auch diese Anstrengung ist irgendwann mal vergebens. Denn der Single-Swing ist der Sommerhit. Tanz den Single-Swing!

Natürlich gibt es Singles, die das völlige Alleinsein mal für einige Zeit ausprobieren wollen, um sich selbst zu entdecken. Nicht alle suchen einen Partner. Viel zu viele gefallen sich aber in der Rolle des Großstadt-Cowboys, der mit dem Lasso loszieht, um eine Frau nach der anderen einzufangen. Kaum haben sie ein Opfer erbeutet, ist es schon wieder uninteressant.

Heute hier, morgen dort. Für jede Lebensphase muß es ein anderer Partner sein. Und wenn in einer Beziehung die ersten Gewitterwolken aufziehen, buchen sie gleich den nächstbesten Flug in die nächstbeste Sonne. Die Genußsucht ist weitverbreitet. Keiner will sich ernsthaft mit Streitereien rumplagen. Es ist gerade so, als habe keiner die Lizenz zur ewigen Treue.

Selbst die Wissenschaft ist auf der Seite der Single-Swinger. Professor Ernest Bornemann wies nämlich nach, daß nur fünf Prozent aller bekannten Kulturen die Monogamie kennt.

Auch wenn sich die Singles große Mühe geben, immer so fröhlich in die Welt zu blicken, daß alle an die Ehe festgeketteten Paare neidisch werden müssen, denken sie doch heimlich an den one and only Supermann, an die one and only Superfrau.

Aber nur wenn es dunkel wird, verlassen Traummänner ihre Verstecke. Heimlich, still und leise. Wie die Heinzelmännchen aus dem Märchen, die plötzlich dastehen und die pure Freude sind. Diese scheuen Gestalten meiden das Tageslicht. Sie kommen nur im Traum, leider nur …

Eva hatte zu ihrem Fest jede Menge Leidensgenossinnen eingeladen, die sich fast jede Nacht mit irgendwelchen Traummännern trafen, aber dummerweise immer dabei schliefen. Mehrfach enttäuschte Single-Frauen – ein gefundenes Fressen für den modisch überdrehten Georg, der sich für den größten und schönsten Aufreißer zwischen Himmel und Hölle hielt. Er fühlte sich als legitimer Nachfolger von James Dean, obwohl er nur der tausendste Abklatsch davon war. Sein Haarschnitt paßte ja noch einigermaßen, nur das Gesicht halt nicht, und erst recht fehlte ihm der dazugehörige Knackarsch. James Dean war nun mal in Mode, und Georg ließ keine Mode aus. Dieser gnadenlose Ego-Darsteller behauptete, alle Frauen zu lieben, obwohl er nur sich selbst liebte. Die übertriebene Selbstliebe verdüsterte seinen Blick für die Realitäten ein wenig. Das Zeitalter der groben Machos war schon wieder vorbei, was Georg aber nicht mitbekommen hatte. So ein aufgeplusterter Gockel eignet sich zumindest als Partygag. Wenn der Alkoholpegel stimmt, machen Single-Frauen diesen Spaß schon mal mit. Tut ja gut, wenn frau spürt, daß es noch Männer gibt, die von einem was wollen. Solche Männer lassen sich wunderbar verarschen, und, was das beste daran ist, sie merken’s nicht mal.

Nur für Monika wollte Georg gerade ein Referat über sein Lieblingsthema beginnen: Warum das starke Geschlecht dem schwachen so hoffnungslos überlegen ist. »Frauen sind nur das, was Männer aus ihnen machen!« Monika überlegte nicht lange.

»Wären alle Männer so wie du, würden sich Frauen aus Männern gar nichts mehr machen!«

Georg wußte, diese freche Frau ist ein harter Brocken. Da hilft nur eins: Der Tequila-Trick!

»Monika, du bist so schön, eine Göttin des Glücks«, schleimte Georg, »du hast einen Tequila-Kuß verdient!«

»????«

Monika war gespannt, was nun schon wieder kommt.

»Der Tequila-Kuß ist absolut geil. Du legst deinen Kopf quer, damit ich dir etwas Tequila ins Ohr schütten kann. Dann bestäube ich den Rand deines Ohrs ganz zärtlich mit Zucker. Wenn du nun schnell deinen Kopf aufrichtest, trinke ich den Tequila und lecke den Zuckerrand ab. Das ist total erregend – für beide!«

Noch bevor Monika etwas dazu sagen konnte, rief Georg: »Du Eva, hast du Tequila da?«

Weil Eva aber gar nicht in ihrem Zimmer war – sie hatte bereits die Küchenrunde eröffnet, denn Feste verlagern sich, wie jeder weiß, früher oder später immer in die Küche –, suchte Georg nun selbst nach der Bar, die er in dem Marmorschränkchen vermutete. Ein edles Designerstück in der Form eines Dreiecks, zentimetergenau in der Mitte der Zimmerwand plaziert. Oben auf dem Dreieck, das nicht völlig spitz verlief, hatte gerade noch ein langstieliger Kerzenständer Platz. Der Docht der schwarzen Pyramidenkerze leuchtete jungfräulich weiß, weil diese Kerze halt ein Ausstellungsstück war und niemals angezündet wurde. Zusammen mit der Kerze hatte dieses Marmordreieck was von einem Altar. Darüber hing das berühmte Schwarzweißfoto des französischen Starfotografen Robert Doisneu. Le Baiser, der Pariser Kuß von 1950. Eva wollte das Poster eigentlich längst entfernen, weil es schon keine Fußgängerzone mehr gab, wo man es nicht kaufen konnte. Vor Jahren, sagte Eva immer stolz, habe sie diesen französischen Kuß als erste entdeckt, noch bevor er inflationär die Yuppie-Wohnstuben abknutschte.

Georg kämpfte gerade mit dem futuristischen Dreieck, weil er nicht die richtige Stelle zum Öffnen fand. »Verdammte Designer«, fluchte Georg, »warum können die nicht auch mal praktisch sein?«

Monika nutzte Georgs hilflose Öffnungsversuche zur Flucht. Die Zimmer nebenan waren verschlossen. Evas WG-Mitbewohnerinnen hatten sich bereits zurückgezogen, obwohl sie bei dem Krach unmöglich schlafen konnten. Aber es waren Mitbewohnerinnen, nicht etwa Freundinnen. WG, das hieß in diesem Fall »Wut groß«.

Monika ging also in die Küche, wo die Partys ja immer am schönsten sind. Die Küchenrunde beschäftigte sich gerade mit dem Thema aller Themen. Beziehungen. Wer hat wieder wen verlassen? Ach, auch die Birgit hat’s erwischt! Wo wir doch alle dachten, die sei so unverschämt glücklich mit ihrem Bernhard!

»Aha«, machte Monika wissend, »der Trend zur Trennung hält an.«

Zumindest dieser Trend ist beständig, wenn’s schon die Beziehungen nicht sind.

2

ICH HÄTT’ DICH HEUT GERN WACHGEKÜSST. VIELLEICHT MORGEN?

Leise lächelte Boris in sich hinein. Volltreffer! Mit diesen Worten wird er die Frauen treffen. Peng. Mitten rein in ihre empfindliche Stelle. Frauen hören so was gern. Sie lieben es, den Tag sanft zu beginnen. Noch schmeichelt im Schlaf der Traummann, dann küßt dich ein echter wach. Boris hätte auch was anderes schreiben können. Ich würde heute gern mit dir schlafen. Vielleicht morgen? Typisch Mann, heißt’s dann, wollen nur das Eine. Aber wachküssen – das ist Poesie. Natürlich wollte auch Boris das Eine, er ist ja ein Mann, aber einer, der weiß, was Frauen wollen. Boris war mit sich zufrieden, während er im spärlich ausgestatteten Wohnzimmer saß (Ledersofa, Pflanzengestrüpp, Fernseher, CD-Anlage, hellroter Teppichboden und Schwarzweißfotos). Boris haßte Schrankwände und all den Firlefanz, der bei anderen Leuten überall nur dumm rumstand, um Staub aufzufangen. Natürlich bekam auch Boris hin und wieder diese überflüssigen Porzellanfiguren geschenkt, mit denen er dann seinen gefräßigen Mülleimer fütterte. Boris mußte gar keine Schöner-Wohnen-Hefte lesen, er wußte auch so, daß Lifestyle die Askese liebt, schon das Nötigste war ihm zuviel. Askese ist Selbstüberwindung, eine Bußübung, um Begierden abzutöten und Laster zu überwinden. So stand’s ja auch im Lexikon. Wenn er schon sonst kein Asket war, auf Frauen und auf mexikanisches Bier wollte er niemals verzichten, so mußte ihm wenigstens der Ausgleich dafür im Wohnzimmer gelingen. Wenn er auf seinem Ledersofa saß, sollte kein Schnickschnack seine Phantasie stören, redete er sich zumindest ein. Dabei war Boris alles andere als ein Phantast, das ging ja auch gar nicht, wenn die Hand mit der Fernbedienung des Fernsehapparats verwachsen ist.

ICH HÄTT’ DICH HEUT GERN WACHGEKÜSST. VIELLEICHT MORGEN?

Unentwegt mußte Boris die beiden Sätze lesen, die ihm so gut gefielen, sie stammten ja von ihm. Damit wollte er nach dem großen Glück fahnden (auch Boris war ein Kommissar), möglichst nach einer rothaarigen Frau. Rot war seine Lieblingsfarbe.

Eine Anzeige unter »Lonely Hearts« im Stadtmagazin, warum nicht? Die Seiten sind jeden Monat voll damit. Heutzutage lernt man sich eben so kennen. Die Stadt besteht aus Chiffre-Nummern, die sehnsüchtig auf prall gefüllte Umschläge von Stadtmagazinen warten. Boris wußte natürlich, daß er es gar nicht nötig hatte. Er doch nicht!

Wenn er nur wollte, hätte er seine Liebe auch an einem Freitagabend in der Baghwan-Disko treffen können. Sein Kapital, so bildete er sich ein, war sein Lachen, das er im entscheidenden Moment gezielt einsetzte. Wenn Boris lachte, sah er aus wie ein kleiner Junge. Der sonst so stechende Blick wich spitzbübischer Freude, die aus lustig zusammengekniffenen Augen blitzte. Halt einfach süß. Wenn er gut drauf war, fühlte er sich wie das letzte Glas Wasser in der Wüste – unwiderstehlich. Boris war kein Anmach-Amateur und zeigte nie, daß er es nötig hatte. Gewinner sind am Charme der Gleichgültigkeit zu erkennen.

Boris sah sich gern selbst in die Augen, oft viel zu lang vor dem Spiegel. Was man sonst nur Frauen nachsagt, traf auf Boris verschärft zu. Der Kerl war schrecklich eitel. Deshalb kam Boris stets verspätet zu Verabredungen. Seine Gier nach Gel trieb in x-mal ins leuchtend rot lackierte Badezimmer, wo er die Borsten seiner Igelfrisur beinahe einzeln kontrollierte.

Diese Borsten waren kurz wie Streichhölzer, nach seinen häufigen Besuchen beim Friseur sogar noch kürzer, den er jedesmal mit strengem Sträflingsschnitt verließ. Was drinnen im Kopf war, hatte ihn zum Wehrdienstverweigerer werden lassen. Allein das Äußere eignete sich fürs Strammstehen bei der Bundeswehr. Sonst sprach alles dagegen.

Seine wilde Zeit als Anti-R-Straßenkämpfer (gegen Rechts, Raketen und Rassismus) lag schon lange zurück. Früher ging er zu Demos wie andere zum Joggen. Jetzt war der Kerl überhaupt nicht mehr wild, aber wie die Atomkraftwerke, gegen die er früher immer auf die Straße gegangen war, ihr Restrisiko in sich bargen, hatte Boris ein kleines bißchen Restprotest aufbewahrt. Für die Revolution blieb aber im Moment keine Zeit mehr. Boris war schließlich mit anderen Dingen beschäftigt. Mit dem Aufspüren der Traumfrau zum Beispiel, das war ein abendfüllendes Programm und so erfolgsversprechend wie früher die Demos gegens AKW.

Mein Name ist Boris, doch ich bin kein Becker. Der Anmachspruch, den unser Gel-Bube drauf hatte, war voll daneben, nur wußte er es leider nicht – wie auch so manche Frauen, die Boris mit diesem albernen Spruch erst zum Lachen und dann zum Lieben brachte. Na ja, die richtige Liebe war’s eigentlich nie, nur der sportliche Teil davon. One-Night-Stands eben, die Boris eifrig sammelte. Erich Kästner hatte schon recht: »Die Liebe ist ein Zeitvertreib, man nimmt dazu den Unterleib.« Mit diesen Leibesübungen ließ sich ganz gut der Schmerz betäuben, der von der Sehnsucht nach dem wirklich großen Gefühl kam. Sex, was ist schon Sex? Schnell vergessen, nichts bleibt zurück. Nur die wahre Liebe hat Bestand. Sie bringt den ganzen Körper in Wallung und macht auch die Seele zur erogenen Zone.

Boris führte ein typisches Großstadt-Single-Leben, gehörte also einer Risikogruppe an, wie man das im Zeitalter von Aids nannte. Schon forderten die ersten Politiker den Zwangstest für alle Großstadt-Singles. Dabei waren die meisten ziemlich vorsichtig. Allzeit bereit – und der Präser nie weit, der in der Brieftasche einen festen Platz hatte wie die Kreditkarte. Wenn’s dann soweit war, überbrückte Boris die Pause schon wieder mit einem Spruch: »Geduld noch, süße Maus – erst hol ich den Überzieher raus!«

Boris hielt es mit seinem berühmten Namensvetter, der Sex mit seinen Tennisturnieren vergleicht: Manchmal gibt man wenig, manchmal mehr, manchmal noch mehr. Meist war’s beim unbekannten Boris eher weniger. Wenn der hochgewachsene Hüne, ein XXL-Mann, dessen Figur an einen Billardstab erinnerte, eine Lady abschleppte, die ihm nicht mal übermäßig gefiel, war sein One-Night-Ständer nicht der einzige Grund dafür. Diese Abenteuer sollten vielmehr unseren Freund, der sich so gern als Frauenheld sah, in seinem Selbstbewußtsein stärken. Ich, der tolle Boris, habe gute Chancen bei Frauen. Nur die richtige, die kommt halt noch. Vielleicht morgen?

ICH HÄTT’ DICH HEUT GERN WACHGEKÜSST. VIELLEICHT MORGEN?

Boris mußte die beiden Sätze immer wieder lesen. So sehr er in sich selbst verliebt war, so liebte er nun auch die Sätze, die er im stundenlangen Denksport eingefangen hatte. Wir müssen zugeben: Der Anzeigentext ließ keine Verwandtschaft mit dem Erfinder der albernen Boris-Becker-Anmache erkennen. Seine knappe Anzeige sollte geheimnisumwittert bleiben und somit neugierig machen. Keine Anzeige im Jammerton (»Nach großer Enttäuschung suche ich …«), auch keine mit abgegriffenen Floskeln (»Topf sucht Deckel …«). Mit wenigen Worten wollte Boris raffiniert aus dem Heer der langweiligen Lonely-Hearts-Texter ausbrechen, um sich dann unter der Flut der Frauenbriefe wie unter einer wohligwarmen Dusche räkeln zu können. Und nur die Schönsten der Schönen konnten auf den zärtlichen Morgenkuß von ihm hoffen, nach dem sich eine ganze Armee von einsamen Herzen sehnte.

ICH HÄTT’ DICH HEUT GERN WACHGEKÜSST. VIELLEICHT MORGEN?