»ich lerne: gläser + tassen spülen« - Bertolt Brecht - E-Book

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Bertolt Brecht

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Beschreibung

Erst seit jüngstem gehört die »Brecht- Sammlung Victor N. Cohen« dem Brecht-Archiv, einschließlich zahlreicher unbekannter Briefe, die Brecht während seines amerikanischen Exils Mitte der vierziger Jahre von der Ostküste der USA an Helene Weigel, mit der er seit 1929 verheiratet war, nach Kalifornien geschickt hat. In einer ersten Bestandsaufnahme zum Jahreswechsel 1923/24 schreibt Brecht an und über die junge Schauspielerin: »H W / (zu deutsch: Havary)«; von ihr getrennt herrschen bei ihm »Starke Langeweile / 90 % Nikotin / 10 % Grammophon«. Immer wieder bestürmt er sie: Fragen nach einem Zimmer oder einer Wohnung, nach Büchern und Artikeln oder nach Autopreisen und der Wiederbeschaffung von verlorenen Papieren; er erkundigt sich nach ihren Rollen und Auftritten und nach der Resonanz von Publikum und Kritik; er berichtet über die Arbeitan seinen eigenen Stücken oder darüber, daß er »mit viel Nikotin wenige Sonette hergestellt« habe. Nach der Flucht aus Deutschland Anfang 1933 geht es immer wieder um Orte, an denen Brecht weiterarbeiten kann, um die Mühsale einer Familie im Exil, um zwei Kinder, die ihre Muttersprache nur noch zu Hause hören, und um die Nöte einer Schauspielerin, die fünfzehn Jahre lang ohne Bühne ist. Und deren Briefen wir hier zum ersten Mal begegnen.

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Seitenzahl: 351

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Bertolt Brecht, 1898 in Augsburg geboren, starb am 14. August 1956 in Berlin.

Helene Weigel, 1900 in Wien geboren, starb am 6. Mai 1971 in Berlin.

»ich lerne:gläser + tassen spülen«

Bertolt BrechtHelene WeigelBriefe

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© Suhrkamp Verlag Berlin 2012

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm und andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,

vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Umschlagabbildungen: Brecht: Foto Gerda Goedhart,© Suhrkamp Verlag; Weigel: Foto Liselotte Strelow,© Gesellschaft Photo Archiv e.V. Köln/Bonn/VG Bild-Kunst,Bonn 2012

Die Briefe

Die Schauspielerin Helene Weigel, geboren am 12. Mai 1900 in Wien, lernt den Schriftsteller und Regisseur Bertolt Brecht, geboren am 10. Februar 1898 in Augsburg, im Sommer 1923 in Berlin kennen. Nach ersten Engagements in Frankfurt am Main arbeitet Helene Weigel seit Juni 1922 in Berlin als Schauspielerin und wirkt dort auch bei der Inszenierung von Brechts Stück »Trommeln in der Nacht« am Deutschen Theater mit. Obwohl Brecht als Gast im November 1922 an den Proben teilnimmt, kommt es erst im August des folgendes Jahres zu ersten Begegnungen, die durch den gemeinsamen Freund Arnolt Bronnen vermittelt werden. Brecht unternimmt in diesem Jahr mehrere Reisen nach Berlin, lebt und arbeitet aber weiterhin in München.

1 Bertolt Brecht an Helene Weigel, Mitte/Ende Dezember 1923; A: Augsburg/München, E: Berlin, hs. (Privatbesitz)

1

Zweite Hälfte Dezember:

starke Langeweile

90 % Nikotin

10 % Grammophon

offensichtlicher Mangel

an Bädern

Jahresende:

Auf nach Mahagonny

bevorzugt!

2

H W

(zu deutsch:

  Havary)

2 Postkarte, Ende Dezember 1923/Anfang Januar 1924; A: München, E: Berlin, masch. (BBA)

Liebes Helletier

ich habe kontraktlich zwei Stücke druckreif zu machen bis Mitte Januar mit dem Deutschen Theater zu verhandeln in Berlin selbst die »Edward«-Inszenierung hier vorzubereiten für 20. Januar usw usw1

Und ich werde morgen versuchen einen Paß zu bekommen

Schreibe mir wie lang Du dort bist und depeschiere wenn Du plötzlich abreist2

Ich wäre gern nach Paris gereist nur für 8 Tage Wenn Du das willst komm gleich über München

Ich habe den Schnee satt

Bist Du allein

Ich küsse Dich

bert

1

Vermutlich handelt es sich bei den zwei Stücken um Im Dickicht der Städte und Leben Eduards des Zweiten von England, für die Brecht mit dem Gustav Kiepenheuer Verlag einen Vertrag abgeschlossen hat. Eduard erscheint dort 1924, während Dickicht 1927 vom Propyläen-Verlag publiziert wird. Es könnte auch die Bühnenbearbeitung des Gösta Berling gemeint sein. Die Eduard-Bearbeitung wird am 19. März 1924 in den Münchener Kammerspielen uraufgeführt; Brecht selbst übernimmt die Regie, das Bühnenbild entwirft Caspar Neher. In den Hauptrollen: Erwin Faber (Eduard), Maria Koppenhöfer (Anna), Oskar Homolka (Mortimer), Erich Riewe (Gaveston) u. a. Die Berliner Erstaufführung findet am 4. Dezember 1924 im Staatlichen Schauspielhaus unter der Regie Jürgen Fehlings statt. Hier spielen Erwin Faber (Eduard), Agnes Straub (Anna), Werner Krauß (Mortimer), Rudolf Fernau (Kent) u. a.

2

Ende 1923 besucht Helene Weigel in Wien ihre Eltern Siegfried und Leopoldine Weigl, geb. Pollak, beide aus Mähren stammende Juden. Helene nennt sich später in Weigel um.

3 Ende Januar/Anfang Februar 1924; A: München, E: Berlin, Abschrift (BBA)

Liebe Helle

ich habe die Lederhandschuhe angetan ein Streichholz entzündet eine Zigarre geraucht etwas notiert Schokolade gefressen mich geschneuzt und ich bin müde davon

Besonders aber von der Fahrt nach Berlin mit Dir zusammen1

Ich bin sehr frisch und gut in Form und wenn Arnolt anschwirrt werde ich wahrscheinlich mit ihm wohnen2

Er soll bald kommen

Wann hast Du wieder Zeit?

Wirst Du so gut schlafen als ich es wünsche und fröhlich sein allerdings nicht zu sehr aber etwas

Ich bin Ihnen fortdauernd reichlich gewogen Madamme

bidi

(mit crayon geschrieben)

1

Brecht hat Weigel vermutlich auf ihrer Rückreise aus Wien von München bis Berlin begleitet, fährt jedoch gleich wieder zurück.

2

Arnolt Bronnen.

Ende März 1924 hält Brecht sich einige Tage in Berlin bei Helene Weigel auf. Brechts Ehefrau Marianne Zoff, mit der er seit dem 3. November 1922 verheiratet ist, wirft ihm Untreue vor, die Brecht vehement bestreitet. Anfang April 1924 fährt er mit Marianne und der gemeinsamen Tochter Hanne, geboren am 12. März 1923, nach Capri. Helene Weigel ist zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger von Brecht und nimmt daher für den Rest des Jahres keine Rollen mehr an.

4 Postkarte, 18. April 1924; A: Neapel, E: Berlin, Spichernstr. 16, Atelier, hs. (Privatbesitz)

L. H.,

ich bin in Capri mit Marianne, die sehr elend dran ist. Bitte schreib mir genau, was in Berlin los ist und wies Dir geht! Hier bin ich noch ca. 8 Tage. Ich denke, arbeiten zu können. Wie war die Esther?1 Ich freue mich sehr auf Berlin und die Spichernstraße.2 Sei nicht blöd, kein Grund!!!

biddi

Marina piccola di Capri

Pension Weber

(Brief geschlossen)

Bin in ca. 2 Wochen fertig.3

1

Vermutlich ist Esther Warschauer gemeint, die Gattin Frank Warschauers.

2

In der Spichernstraße, im Westen Berlins, hat Helene Weigel eine Atelierwohnung, die sie Brecht im Februar 1925 überläßt.

3

Anfang Mai beziehen Brecht, der sich inzwischen mit Helene Weigel in Florenz getroffen hat, seine Frau Marianne und die Tochter Hanne ein neues Urlaubsquartier in Positano, einem Seebad an der Amalfiküste.

5 Ende Mai/Anfang Juni 1924; A: Positano, E: Berlin, masch. (Privatbesitz)

Liebe Helle

es ist eine verfluchte blaue Limonade

Eine halbe Stunde baden und Kajakfahren

Zwei Stunden essen im ganzen

Rauchen Zitronenwasser Sechsund60 alles zusammen vier Stunden

Und dann

Aber jetzt ist Cas gekommen und morgen gehe ich mit ihm los auf Neapel1

Dort gibt es Drinks Musik und Sifilis

Ich denke daß ich in ein bis zwei Wochen in Deutschland bin

Marianne ist viel besser dran jetzt

Sie bleibt noch in Capri sitzen

Es war sehr gut daß ich sie hierhergebracht habe

Dann geht sie nach Mondsee in Österreich wo ihre Mutter ist und ihr Kind für den Sommer2

Sie wird ganz erholt sein danach

Für die Lunge ist es gut hier aber Landschaft und Bewohner und alles ist zum Kotzen

Und alles ist teuer und schlecht das Fleisch nicht zum Essen

Was tust Du

Ich freue mich ordentlich auf Dich und Pietro3

Wird er auch groß und dick und lustig

Und ist seine Mutter eine Augenweide

Und singt I have no bananas4

Und hält seines Vaters Bett bereitet

Wie es geschrieben steht

Und weiß was ist und

kennt das »Hohe Lied« Salomos und weiß es ist

das zweite Kapitel Vers 10-155

Und damit einen Kuß auf den Hals unter dem Kinn Du weißt es

b

1

Caspar Neher, Brechts Jugendfreund aus Augsburg.

2

Zdenka Zoff, geb. Jellinek, die Mutter von Marianne Zoff, wohnt in Mondsee, östlich von Salzburg; Hanne ist die gemeinsame Tochter von Marianne und Brecht.

3

Anspielung auf die Schwangerschaft Helene Weigels.

4

Amerikanischer Schlager aus dem Jahr 1923, in der deutschen Fassung Ausgerechnet Bananen!

5

Die Verse aus dem Hohen Lied lauten: »Mein Freund antwortet und spricht zu mir: Stehe auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her. / Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorbei und dahin. / Die Blumen sind aufgegangen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube läßt sich hören in unserm Lande. / Der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, und die Reben duften mit ihren Blüten. Steh auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her! Meine Taube in den Felsklüften, im Versteck der Felswand, zeige mir deine Gestalt, laß mich hören deine Stimme; denn deine Stimme ist süß, und deine Gestalt ist lieblich. / Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge haben Blüten bekommen.«

Von Mitte Juni bis Anfang Juli 1924 ist Brecht wieder in Berlin, um Verlagsangelegenheiten zu regeln. Anfang August kehrt er nach München zurück. Helene Weigel macht in dieser Zeit Urlaub in Wasserburg am Bodensee.

6 Postkarte, 30. Juli 1924; A: Augsburg, E: Wasserburg am Bodensee, Hotel Krone, hs. (Privatbesitz)

Liebste Helle,

Wagen, Tabak, 4 Soldaten1, Cas, Langeweile –

Was tust Du? Regnet es? Ist es tüchtig langweilig? Das ist gut für den Jungen!2 Er wird nicht zu früh blasiert!

Ja? Ich bin immer »aufgekratzt« bei Dir! Zum Erstaunen lebendig, jetzt wieder down.

Ich küsse Dich, wirst Du tüchtig dick? Das ist gut. Da bist Du gut zu haben. Das festigt innerlich.

Schreibe mir!

bert

1

Anspielung auf Mann ist Mann. Das Stück wird 1926 uraufgeführt und nimmt das zentrale Thema sowie Motive des Galgei-Fragments wieder auf.

2

Der gemeinsame Sohn Stefan Sebastian wird am 3. November 1924 geboren.

7 Postkarte, 2. August 1924; A: Augsburg, E: Wasserburg am Bodensee, Hotel Krone, hs. (Privatbesitz)

Liebste Helle,

bekomme erst heute Deinen Brief, kann in Augsburg heute kein Geld beschaffen, verleihe die Dollars, Montag hoffe ich schicken zu können. Am besten wäre, Du bleibst, solang Du es aushalten kannst, ich bin mitten im »Galgei«. Schreib bitte sofort wieder; Montag bin ich München, Kammerspiele!

Ich küsse Dich

bert

8 Anfang August 1924; A: Augsburg, E: Berlin, masch. (Privatbesitz)

Liebes Helletier

jetzt sitzt der große Manitu wiederum in seiner Wolke von holländischem Tabakrauch und blinzelt wenn Licht durch den Zeltschlitz fällt und lauscht dem Gramotier1 das

Oh by Jingo2

seufzt

Was tust Du

Wieviel von Dir ist noch nach Berlin gekommen und wieviel von mir

Hast Du das Bad hinter Dir

Was tut Arnolt der schwarze Panther

Und Peter der kleine

Oh by Jingo

Und amen

1

Wohl: Grammophon.

2

Häufig auf Schallplatte eingespielter Song aus dem Broadway-Musical Linger Longer Letty (1919).

9 Anfang August 1924; A: Augsburg, E: Berlin, hs. (Privatbesitz)

Liebe Helle

ich danke Dir für Augsburg1

Bin verzehrt von Arbeit

Komplotten, Dummheit, Kämpfen

usw

Wenn irgend möglich, mußt Du 2 Tage kommen

Nächste Woche etwa

Inzwischen mußt Du Deine Haare mit Lavendel

waschen

Daß sie riechen.

(Ich bin Dir sehr gewogen)

b

Mit Bi2 telefoniere ich morgen

1

Offenbar hat Helene Weigel auf dem Weg vom Bodensee nach Berlin Brecht in Augsburg besucht.

2

Abkürzung für Bittersweet (auch Bi oder Bie): Kosename für Paula Banholzer, Brechts Jugendliebe und Mutter seines ersten Sohnes Frank, der am 30. Juli 1919 geboren wurde.

10 Postkarte, 27. August 1924; A: Bahnpost, verm. München – Augsburg, E: Berlin, Spichernstr. 16, Atelier, hs. (Privatbesitz)

Liebste Helle,

ich habe Dich 2x angerufen, auch abends. Wo steckst Du? Ich komme nur langsam vorwärts, es ist, als hätte ich mutterseelenallein das ganze Versailles auszubaden. Was sagte Lipmann?1 Wie geht es Dir? Gehst Du noch einmal fort? Diese Langeweile!

Wirst Du dicker? Das freut mich.

Was tut mein Atelier?2 Wenn es da ist, komme ich.

Ich küsse Dich

b

Schreib!

1

Heinz Lipmann, leitender Dramaturg am Staatlichen Schauspielhaus in Berlin, vgl. Brief Nr. 12.

2

Weigel hat sich bereit erklärt, sobald ihr Kind geboren ist, die Atelierwohnung in der Spichernstraße 16 für Brecht zu räumen.

11 Postkarte, 28. August 1924; A: Augsburg, E: Berlin, Spichernstr. 16, Atelier, Abschrift (BBA)

Liebe Helle,

also: Engel sagen, 1) Neher ist in Potsdam bei Kasack zu erreichen. 2) daß heut telefoniert, Brief an Engel geht jetzt ab.1 Ich komme Mitte der Woche. Die Bi ist sehr unglücklich, ich traf sie, sie möchte eine Stellung irgendwo, Berlin oder Potsdam, Büro oder Haustochter.2 Vielleicht frägst Du herum? Ich wäre froh um ein leeres Zimmer, weißt Du. Sage doch Ihering, ich finde keine Wohnung, die von Kortner kann wegen Umbau nicht bezogen werden.3 Sage es auch der Maier im Theater.4 Jetzt küsse ich Dich

b

1

Erich Engel ist als Regisseur für die vom Deutschen Theater geplante Inszenierung von Dickicht vorgesehen. Der erwähnte Brief an ihn ist nicht überliefert. Hermann Kasack ist seit Oktober 1920 als Lektor im Kiepenheuer Verlag in Potsdam tätig.

2

Die Stellungssuche für Paula Banholzer bleibt erfolglos.

3

Brechts Ehefrau Marianne bemüht sich seit Anfang August über den Verleger Gustav Kiepenheuer um eine Wohnung in Berlin. Sie schreibt ihm am 11. August: »100 Mark wäre nicht zu arg – es wäre uns aber eine leere Wohnung viel, viel lieber. Wir können ab 1. 9. die Wohnung von Kortner beziehen – die ist möbliert – und könnte ich ja dann von dort aus, mit Ihrer so liebenswürdigen Hilfe, eine leere Wohnung suchen« (Verlagsarchiv Kiepenheuer). Auch der Kritiker Herbert Ihering, der Brecht 1922 den Kleistpreis zugesprochen hat, wird in die Suche einbezogen.

4

Nicht ermittelt, vermutlich eine Verwaltungsangestellte.

12 Ende August 1924; A: Augsburg, E: Berlin, masch. (Privatbesitz)

Liebe Helle

warum keine Antwort

Ich gehe immer noch promenieren in der Kastanienallee und bin nicht ohne Beschäftigung Jetzt habe ich ungefähr 4 Akte im Rohbau1 Was ich habe ist befriedigend einiges gut

Ich komme Mitte nächster spätestens Ende nächster Woche

Es ist sehr langweilig hier außer den Arbeitsstunden die unerträglich sind

Vom Staatstheater keine Nachricht2 Welche Unhöflichkeit

Schreibe mir Gerüchte über »Dickicht«3

Wer spielt die Jane – Binder4

Es ist schwer hier zu bleiben

Ich bin Ihnen immer noch leidlich gewogen sowie Ihrem geheimnisvollen Inhalt

Ein Brief kostet 10 Pfennig

Mit Respekt5

1

Von Mann ist Mann.

2

Heinz Lipmann vom Staatlichen Schauspielhaus hat im Januar Interesse an einer Aufführung von Brechts Marlowe-Bearbeitung Leben Eduards des Zweiten von England geäußert. Die Berliner Aufführung kommt jedoch erst im Dezember zustande; vgl. Postkarte Nr. 2.

3

Gemeint ist die Berliner Inszenierung von Im Dickicht. An Arnolt Bronnen hat Brecht Ende Juli 1923 geschrieben: »›Dickicht‹ halte ich zurück in Berlin. Es ist eigentlich Engel versprochen« (GBA 28, 198). Die Berliner Erstaufführung findet am 29. Oktober 1924 am Deutschen Theater unter der Regie Erich Engels statt. In den Bühnenbildern Caspar Nehers spielen Fritz Kortner (Shlink), Walter Franck (George Garga), Franziska Kinz (Marie Garga) u. a.

4

Nicht die Schauspielerin Sybille Binder spielt die Jane in Im Dickicht in der Aufführung vom Oktober 1924, sondern Gerda Müller.

5

Auf der Rückseite des Briefes finden sich die Notizen: »Februar / 4083 / vormittags, etwa  1/2 11 Uhr«. 4083 ist der Telefonanschluß der Haindl'schen Papierfabrik, deren Kaufmännischer Direktor Brechts Vater ist.

Am 1. September 1924 zieht Brecht endgültig nach Berlin um und tritt eine Stelle als Dramaturg am Deutschen Theater an. Marianne und Hanne bleiben vorerst in München. Brechts und Weigels gemeinsamer Sohn Stefan wird am 3. November 1924 geboren. Weigel übernimmt wieder Rollen, im Februar 1925 überläßt sie Brecht schließlich die Atelierwohnung in der Spichernstraße. Ab Juni hält sie sich in München auf, wo sie bis zum 17. Juli für ein Gastspiel mit »Woyzeck« in den Kammerspielen auf der Bühne steht. Bei einem Aufenthalt in Augsburg muß sie sich einer Operation unterziehen.

13 Mitte Juni 1925; A: Berlin, E: München, masch. (Privatbesitz)

Liebe Helli,

hier läuft alles langsam und zäh und breiig

Step1 geht es gut Er sieht zufrieden und dick aus lächelt aber nie Er ist sehr streng aber gerecht Seine Zähne holt er mit allem was ihm in die Hand kommt heraus Brüllen kann er furchtbar und verfressen ist er unsäglich

Was ist mit Falckenberg Riewe usw2

Kannst Du nicht ein paar Mal die Cressida spielen?3 Das wäre wichtig

Bitte schreib mir

Was tust Du immer Wo wohnst Du Wo ißt Du Wie arbeitest Du

b

1

Stefan Weigel, den Brecht meist Steff, manchmal auch Step nennt.

2

Otto Falckenberg, Direktor der Münchener Kammerspiele. Erich Riewe spielt 1924 den Gaveston in der Uraufführung von Leben Eduards des Zweiten von England.

3

Ein Gastspiel Helene Weigels in Shakespeares Troilus und Cressida kommt nicht zustande.

14 Mitte/Ende Juni 1925; A: München, E: Berlin, masch. (Privatbesitz)

Liebe Helli

es ist schwer zu schreiben wenn man in einen ganzen Sumpf von Verdrossenheit geraten ist Ich habe unendlichen Ärger mit dem Auto gehabt und es ist noch immer nicht fertig Auch wird das Geld nicht ausreichen Ich denke Montag oder Dienstag nach Wien zu fahren aber es ist so spät geworden daß ich jetzt kaum schon wieder mit Dir zurück kann Das Auto hoffe ich in 10 Tagen wenn ich die Rechnung die immer noch nicht ganz feststeht bezahlen kann zu bekommen Es wäre nett wenn Du Dich erkundigen könntest was die Prüfung in Wien kostet und ob ich sie dort machen darf Hier ist es teuer und ich könnte vielleicht dort billiger wegkommen1

Hier habe ich mit viel Nikotin wenige Sonette hergestellt2 Die Langeweile ist entsetzlich und dabei hält mich ein katastrophaler Geldmangel von allem ab auch davon bald nach Wien zu gehen Aber nächste Woche macht mein Vater urlaubshalber hier zu und da muß ich weg

Ich freue mich sehr auf Dich

bert

Laß Dir von dem Brief nicht den Rest von Laune verderben den mein Schweigen Dir gelassen hat Aber jetzt ist Orge3 nach Paris weg Die Leihbibliotheken sind ausgelesen Mein Gehirn ist der Arbeit mich zu unterhalten nicht mehr entfernt gewachsen Wenn ich 2 Selbste hätte würde ich eines ermorden

1

Vermutlich eine Fahrzeuginspektion.

2

Um diese Zeit entstehen u. a.: Sonett, Die Opiumraucherin, Sonett über schlechtes Leben, Entdeckung an einer jungen Frau, Forderung nach Kunst, Sonett für Trinker und Sonett vom Sieger.

3

Der Jugendfreund Georg Pfanzelt.

15 Ende Juni 1925; A: Wien, E: Augsburg, masch. (Privatbesitz)

Liebe Helli

ich bin seit gestern in Wien1 Ich konnte nicht mehr über München kommen Du schreibst gar nicht warum Es ist so ungemein langweilig überall Mitte Juli komme ich nach Augsburg jetzt ist dort die Wohnung abgeschlossen mein Vater fort2 Dann schreibe ich auch rechtzeitig wegen eines Zimmers Ich will im Sommer möglichst viel arbeiten Hier habe ich ganz außerhalb des Ortes ein einsames Zimmer für mich allein Mittags besuche ich die Hanne die ungeheuer liebenswürdig zu mir ist Was tust Du Wie war »Wozzek«3 Wie die Presse Ich möchte sie lesen Hier ist Bronnen war Kortner Ist Homolka4 Wann besuchst Du Deine Eltern Meine Adresse ist bis ersten Juli Mozartgasse 25 parterre

Gehe ich Dir ab? Bist Du auch zurückhaltend gegen die Herrn und ordentlich früh und spät Ich will da nichts hören müssen

und jetzt küsse ich Dich Helli

bidi

Grüß Otto und wenn Du ihn siehst Pappa George5

Marianne ist ab Mitte August in Münster Monatsgage 550 Mark erstaunlich Ich habe mit Ullstein abgeschlossen ein großer Triumph6 Du mußt für den Winter nicht Sorge haben Es wird auf jeden Fall gehen Helli Schreib mir bitte wie es Dir und Step geht Ist er dick grinst er wieder was hat er Dir gesagt beim Sehen schreib es

1

Besuch bei Marianne Zoff und Hanne, die sich bei Mariannes Eltern in Baden bei Wien aufhalten.

2

Der Vater von Brecht, Berthold Friedrich Brecht, lebt allein in Augsburg; Brechts Mutter Wilhelmine Friederike Sofie Brecht, geb. Brezing, ist am 1. Mai 1920 gestorben.

3

Unter der Regie von Hans Schweikart spielt Helene Weigel in den Münchener Kammerspielen die Marie in Büchners Woyzeck. Die Premiere findet am 16. Juni 1925 statt.

4

Der Schauspieler Oskar Homolka.

5

Die Jugendfreunde Otto Müllereisert und Georg Pfanzelt.

6

Der Vertrag kommt am 21. Juli 1925 zustande. Zu Ullstein gehören der Propyläen-Verlag und der Arcadia-Bühnenvertrieb. Für monatlich 600 Mark hat sich Brecht dazu verpflichtet, »seine gesamte schriftstellerische Produktion an dramatischen, erzählenden und lyrischen Werken« zuerst Ullstein vorzulegen.

16 Juli 1925; A: Wien, E: Augsburg, hs. (BBA)

Liebe Helli,

ich höre eben (der Brief Ottos wurde nach Wien nachgeschickt), daß Du operiert wirst.1

Das ist ja schrecklich.

Bitte laß mich sofort wissen, wie es Dir geht.

Und wo wirst Du hingehn, wenn Du aus der Klinik kommst?

Bitte, rasche Nachricht!

Liebe Helli!

bert

1

Nicht ermittelt; der Brief Otto Müllereiserts ist nicht erhalten.

Am 20. September 1925 kehrt Brecht nach Berlin zurück und arbeitet mit Weigel an ihrer Rolle als Klara in Friedrich Hebbels »Maria Magdalena«, die zu ihrem bis dahin größten Erfolg wird; die Premiere ist am 8. Dezember 1925. Von 3. bis 7. Oktober besucht Brecht seine Frau und seine Tochter in Münster, wo Marianne ein Engagement als Opernsängerin hat.

17 Postkarte, 3. Oktober 1925; A: Münster, E: Berlin, Babelsberger Str. 52, Atelier, Abschrift (BBA)

Liebe Helli,

die Puppe war ein ganz großer Erfolg.

Sie hieß sofort Gagga.

(Unübersetzbares Wortspiel mit wahrscheinlich unanständiger Grundbedeutung)

Ebenso auch der Affe, der zur Stunde bereits an sämtlichen Gliedmaßen gelähmt ist.

Ich komme wahrscheinlich Dienstag, sicher Mittwoch.

Wenn möglich, rede noch einmal mit diesem Baumeister persönlich von Dir aus?1

Gruß

b

Also nichts nachschicken, nichts depeschen!

Münster 3. Okt. 1925

1

Nicht ermittelt; vermutlich eine Wohnungsangelegenheit.

Am 29. Mai 1926 reist Brecht mit Caspar Neher über Köln, wo er die Premiere von »Leben Eduards des Zweiten von England« sieht, nach Paris und von dort am 10. Juni weiter nach Augsburg. Dort hält er sich, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Reise nach Wien, von Mitte Juli bis Mitte September auf, bevor er weiter zu den Proben von »Mann ist Mann« nach Darmstadt fährt und schließlich am 27. September nach Berlin zurückkehrt. Helene Weigel macht in diesem Sommer Urlaub in Oberbayern und trifft sich mit Brecht in München.

18 Postkarte, 2. Juni 1926; A: Paris, E: Berlin, Babelsberger Str. 52, hs. (Privatbesitz)

Liebe Helli,

Fahrt glänzend, telegrafieren unmöglich, da Riesentrubel, Aufführung gut, Müthel1 außerordentlich, Paris, seit Sonntag abend, angenehm, Cas Führernatur. Bitte, frag Kaul (»Börsen-Courier«), ob mein Bericht über Köln im »Börsen-Courier« erschienen ist,2 + schicke ihn Müthel, Stadttheater, Köln!

Köln trägt mindestens für mich 400, wahrscheinlich mehr! Am besten im Hamilcar, weißt Du!3 Frage Traugott Müller nach »Hochzeit«!4 Gruß

bert

PS: Marianne will nach Berlin dieser Tage für 3-4 Tage, erkundige Dich bei Berta5, ob sie da ist, vor Du raufgehst!

B. Brecht, Boul. Montparnasse 43, Hotel de Chemin de Fer de l'ouest

1

Lothar Müthel spielt den Eduard in der Aufführung von Leben Eduards des Zweiten von England (Regie: Ernst Hardt).

2

Am 30. Mai 1926 schreibt Brecht im Zug nach Paris eine Stellungnahme, die er Herbert Ihering mit der Bitte sendet, sie »so hervorstechend wie möglich« im Berliner Börsen-Courier zu bringen: »Angesichts der babylonischen Stilverwirrung des zeitgenössischen Theaters sollte es dem dramatischen Schriftsteller, ebenso wie dem Ingenieur, der in Fachschriften über technische Auswertungen seiner Arbeiten berichtet, erlaubt sein, auf wesentliche Aufführungen seiner Stücke hinzuweisen. In der 2 1/4 stündigen, die geistige Struktur des Stückes vorbildlich ausleuchtenden musischen Inszenierung der Historie ›Leben Edwards II. von England‹ durch den Dichter Ernst Hardt in Köln wurde, keineswegs unerwartet, die eminente Bedeutung des Schauspielers Lothar Müthel für die zeitgenössische Dramatik deutlich sichtbar. Seine großartige schauspielerische Anmut gestattet ihm vollkommene Sachlichkeit und, in jedem Augenblick kontrollierbar, führte er die schwer übersehbare Lebenskurve des Edward schwer übersehbar in aller Deutlichkeit, beinahe physikalisch arbeitend, vor. Die Sterbeszene von elfenbeinerner Majestät … / Bert Brecht« (GBA 28, 268 f.). Der Filmkritiker Walter Kaul ist zu dieser Zeit Mitarbeiter des Berliner Börsen-Couriers.

3

Nicht ermittelt.

4

Brechts Einakter Die Hochzeit (später Die Kleinbürgerhochzeit) wird am 11. Dezember 1926 im Schauspielhaus Frankfurt a. M. uraufgeführt. Die Regie führt Melchior Vischer, das Bühnenbild stammt von Ludwig Sievert; der Bühnenbildner und Regisseur Traugott Müller ist daran nicht beteiligt.

5

Hausangestellte von Helene Weigel.

19 Mitte Juli 1926; A: Wien (Kopfbogen Hotel Bristol), E: Berlin, hs. (Augsb.)

Liebe Helli,

Fahrt ausgezeichnet. 5 Stunden. Ich wohne Hotel Stadt Triest.

Aber morgen will ich mit Feuchtwanger, der im Bristol wohnt, umziehen in 1 gemeinsames Hotel. Du kannst mir nach Vösendorf schreiben.1 Mitte nächster Woche bin ich zu Hause. Schüttle dem Steff die Hand und sei selber geküßt!

bert

Hanne sieht sehr gut und frisch aus, sehr groß, gerade und sehr lustig!

Rufe doch Engel an: ich komme bald zurück. Er soll einen festen Termin für »MannistMann« im Herbst durchsetzen!2

1

Ort südlich von Wien, auf dem Weg nach Baden, wo Marianne und Hanne bei Mariannes Eltern sind. Brecht hält sich mit Elisabeth Hauptmann vom 14. bis 26. Juli in Wien auf.

2

Das Stück wird in Berlin erst am 4. Januar 1928 durch die Volksbühne im Theater am Bülowplatz erstaufgeführt. Die Regie übernimmt Erich Engel, die Musik schreibt Edmund Meisel, die Bühnenbilder stammen von Caspar Neher. In den Hauptrollen: Helene Weigel (Begbick), Heinrich George (Galy Gay), Hans Leibelt (Fairchild) u. a. Die Inszenierung kommt auf 44 Aufführungen.

20 Mitte/Ende Juli 1926; A: Wien, E: Kochel am See, hs. (Privatbesitz)

Liebe Helli,

komme Ende der Woche.

Habe, glücklicherweise, den Dr. Singer (via Kisch) hier aufgetrieben – »Fleischhackers« wegen.1 Geld knapp, bemühe mich, welches zu beschaffen, einige Chancechen. Hoffentlich kann man [in] Kochel baden2 – hier nicht!

Hanne sehr klug und nett. Wohne in Pavillon zusammen mit einigen Ohrenhältern3 – Pferde wären mir lieber. Was tust Du?

bert

1

Der Journalist Egon Erwin Kisch vermittelt Brecht den Kontakt zu dem Ökonomen Dr. Singer, den er über Vorgänge an der Börse für sein Stückprojekt Jae Fleischhacker in Chikago befragt.

2

Urlaubsort von Helene Weigel, eine Gemeinde in Oberbayern am Ostufer des Kochelsees.

3

Wohl ironisch für Köpfe, also Personen.

21 Postkarte, 5. August 1926; A: Augsburg, E: Kochel am See, bei Galloth, hs. (Privatbesitz)

Liebe Helli,

nichts Neues von Otto?1 Hier alles gleich! Langeweile, aber ich lese. Bitte schick doch meinen Schlüssel gleich als Sache ohne Wert! Und schreib mir! Grüße Steff!

bert

1

Es gibt Streit wegen des Geldes für ein Auto. Otto Müllereisert finanziert die notwendige Reparatur des gebrauchten Wagens, eines englischen Daimler, Baujahr 1921, durch ein Darlehen. Mitte Juni 1926 schreibt Brecht an seine Frau Marianne: »Ich habe 1.500 M für ein Auto entliehen, Otto und Weigel haben es gekauft, auf den Namen der Weigel, da ich nicht da bin, es gehört mir, das heißt ich verkaufe es wieder, da ich die 1.500 M nicht zurückzahlen könnte, wie ich geglaubt habe. Dieses Geld (1.500 M) habe ich also nicht etwa in Form eines Autos der Weigel geschenkt! (GBA 28, 274)«

22 Postkarte, 14. August 1926; A: Augsburg, E: Kochel am See, bei Frau Galloth, hs. (Privatbesitz)

Liebe Helli,

bin Mittwoch München. Bitte, schreib an die Deutsche Bank, Depositenkasse Bayerischer Platz, man soll Dir ein Scheckbuch schicken. Möglichst umgehend. Also: Treffpunkt: Pension Döring!1 Hier wegen cooncannot2, Billard, Langeweile! Denke mir Kochel noch schlimmer!

Gruß

b

1

Helene Weigel reist von Kochel am See nach München zu einem Treffen mit Brecht.

2

Auch Coon can (engl.): Der Neger kann nicht (bzw. kann); Kartenspiel, eine Art Rommé.

23 August 1926; A: Augsburg, E: Berlin, hs. (Augsb.)

Liebe Helli,

hier der Brief, Otto hatte ihn nicht dabei. Ich komme Donnerstag oder Freitag, bin gerade mit allerhand Ordnung beschäftigt; arbeite auch ein wenig – toi toi toi!

Wie geht es dem Dicken?

Ich küsse Dich

bert.

Grüße von Otto + von Orge!

24 Ende September 1926; A: Darmstadt, E: Berlin, hs. (Augsb.)

Liebe Helli,

Proben gehen ganz gut.1 Alfred Kerr kommt also auch.??2

Bin Montag früh spätestens Berlin.

Hoffentlich geht Autosache vorwärts!3

shakehands

bert4

1

Brecht hält sich in Darmstadt auf anläßlich der Proben zu Mann ist Mann, das am 25. September am dortigen Hessischen Landestheater und parallel am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wird.

2

Die Rezension der Aufführung durch Alfred Kerr erscheint am 27. September 1926 im Berliner Tageblatt.

3

Vgl. Postkarte Nr. 21.

4

Geschrieben auf der Rückseite des Artikels von Jacob Geis, Bertolt Brechts Lustspiel »Mann ist Mann«. Zur Uraufführung im Großen Haus des Landestheaters am 25. September 1926 (Sonderabdruck aus dem Darmstädter Tagblatt, 22. September 1926, Nr. 263, S. 3).

25 31. Dezember 1926; A: Berlin, E: Berlin, hs. (Augsb.)

Liebe Helli,

ich wünsche Dir und mir ein gutes neues Jahr, das heißt gute neue Jahre!

Ich glaube, daß Du ein wenig betrübt bist, weil auf dem Theater nichts los ist, aber ich glaube, Du weißt, daß ich ungeheuer viel von Dir halte, auch wenn ich es selten oder nie sage.

Liebe Helli, ich küsse Dich

b

Silvester 26

Brecht hält sich von Ende Juni bis Ende September 1927 in Augsburg auf, wo er, im Anschluß an eine Reise zur Uraufführung des Song-Spiels »Mahagonny« in Baden-Baden, am »Fatzer« arbeitet. Helene Weigel verbringt ihren Sommerurlaub in Grünheide bei Margarete und Georg Kaiser. Am 1. September hat Molières »George Dandin« im Theater am Schiffbauerdamm Premiere; Helene Weigel spielt die Claudine. Brecht ist vermutlich erst am 29. September wieder in Berlin.

26 Ende Juni 1927; A: Augsburg, E: Berlin, hs. (BBA)

Liebe Helli,

ich bin am 1. Tag bis Berneck bei Bayreuth und gestern mittag nach Augsburg gekommen. Fahrt ohne jede Panne etc. Habe nur Sonnenbrand im Gesicht. Nun großes Malheur: ich habe meine Brieftasche mit Autopapieren + Führerschein verloren, wo weiß ich nicht! Du mußt sogleich ins Kraftverkehrsamt Bismarckstraße fahren und neue Papiere erwirken! Ich schicke gleichzeitig an dort einen Brief! Beschleunige bitte alles, ich kann nicht fahren bis dahin! Was machen die Verhandlungen mit den Theatern? Schreib mir Genaues darüber! Was macht Steff? Küß ihn und sei selber geküßt!

b

27 Postkarte, 29. Juni 1927; A: Augsburg, E: Grünheide/Mark, hs. (Privatbesitz)

Liebe Helli,

bitte entschuldige, ich konnte das Geld erst heut (von meinem Vater) bekommen, da mein Geld aus Frankfurt usw. noch nicht eingetroffen ist!!! Vergiß nicht, die 2 Sätze meiner Bücher hierher schicken zu lassen! Ich spiele immerzu cooncannot, da ich nicht autofahren kann. Ich habe 7.50 an das Kraftfahramt Berlin geschickt, an Dich die Autonummer

IT 395 76

Bitte, beschleunige es, rufe oft an dort! Die sollen mir wenigstens den Führerschein sofort schicken! Was macht Steff? Wann kommst Du nach Süden hier durch?

bert

28 Postkarte, 30. Juni 1927; A: Augsburg, E: Grünheide/Mark, hs. (Privatbesitz)

Liebe Helli,

vielen Dank für Steuerkarte!

Aber wann kommst Du durch hier? Selbstverständlich will ich Dich sehen!

bert

Hast Du die Garagensache geordnet? (Dort sind übrigens noch Schwamm und Bürste von mir!)

29 Ende Juni/Anfang Juli 1927; A: Augsburg, E: Grünheide/Mark, hs. (Augsb.)

Liebe Helli,

ich habe sehr gelacht über die Schilderung, die Martha von Steffs Ankunft in Grünheide gab.1 Hoffentlich geht es Dir gut und langweilst Du Dich nicht zu stark! Ich schlafe sehr viel, heute früh bis 101/4 Uhr, jetzt wieder! Ich glaube, ich erhole mich hier noch besser als auf der Fahrt!

Ich habe Dich gern

b

1

Weigel verbringt mit Sohn Stefan in dem 40 km südöstlich von Berlin gelegenen Ort den Sommerurlaub. Sie sind Gäste von Margarete und Georg Kaiser. Bei ihnen ist auch Martha Franke, die Hausangestellte Helene Weigels.

30 Anfang Juli 1927; A: Augsburg, E: Grünheide/Mark, masch. (Privatbesitz)

Liebe Helli

es ist schade daß Du nicht über Augsburg gekommen bist Ich habe noch am 1. versucht Dich anzurufen Das Autopapier ist nicht gekommen Jetzt kann ich nicht fahren, es ist scheußlich Ab Samstag bin ich in Baden1 Du kannst mir ans Theater schreiben Wo kann das Papier (der Zulassungsschein – den Führerschein habe ich) sein? Wenn Du mir wenigstens genau geschrieben hättest welches Papier an mich abgegangen ist und wohin und wer es abschickte! Jetzt bist Du seit 8 Tagen ohne Adresse Und warum Briefe ohne Überschrift und unfreundlich?

bert

Bitte schreibe mir noch expreß nach Augsburg wegen des Papiers!

Sonst muß ich nach Baden ohne Auto!

1

Siehe Brief Nr. 31.

31 18. Juli 1927; A: Baden-Baden (Kopfbogen Hotel Gunzenbach-Hof), E: Grünheide/Mark, hs. (Ausgb.)

Liebe Helli,

ich habe das Auto gerade noch rechtzeitig herausgekriegt, die Papiere waren an eine falsche Adresse gegangen. Hier großer Regieerfolg!1 15 Minuten Skandal! Wann kommst Du zurück?

bert

Was weißt Du von Steff?

Heute fahre ich nach Augsburg zurück! Dann wahrscheinlich für 2 Tage an Ammersee zu Geis2, nach Puch!

1

Die Uraufführung des Songspiels Mahagonny von Brecht und Kurt Weill erfolgt im Rahmen des Festivals Deutsche Kammermusik Baden-Baden am 17. Juli 1927 im Großen Bühnensaal des dortigen Kurhauses. Unter der Regie Brechts und der musikalischen Leitung von Ernst Mehlich spielen Lotte Lenja (Jessie), Irene Eden (Bessie) und Erik Wirl (Charlie).

2

Der Autor Jacob Geis, Dramaturg an den Münchener Kammerspielen, der sich entschieden für Brechts Stücke einsetzt; vgl. auch Anm. 4 zu Brief Nr. 24.

32 Ende Juli/Anfang August 1927; A: Augsburg, E: Wien, hs. (BBA, Kopie)

Liebe Helli,

ich fühle mich hier sehr wohl, lese die Klassiker (Engels + Marx), esse + gehe spazieren. Es ist gutes Wetter. Könntest Du über Frank mit dem Arzt sprechen?1 Besonders darüber, wieviel er an ärztlicher Aufsicht brauchen wird usw. Auch über den für ihn günstigsten Beruf!

Dem Dr. Schmitt2 habe ich geschrieben, bin noch ohne Antwort + werde ihn Samstag anrufen. Ich habe Dich für Montag vormittag angemeldet. Ich würde dann vorschlagen, daß Du sogleich nach der Untersuchung nach Augsburg herüberkommst.

Hoffentlich erholst Du Dich weiter + unternimmst nicht zu viel. Ein Brief von Martha sagt nur, daß es Steff gut geht, und hat sonst die klassische Kürze dieser Schriftstellerin.

Also Wiedersehen Montag! Ich küsse Dich

b

(Ich werde Dir Samstag telegrafieren, wann Du kommen sollst. Wahrscheinlich gleich vom Bahnhof aus! Es ist Leopoldstraße 25, Dr. J. L. Schmitt.)

1

Der achtjährige Frank Banholzer, Sohn von Brecht und seiner Jugendliebe Paula Banholzer, ist zu dieser Zeit in Wien untergebracht. Franks Gesundheit ist instabil.

2

Der mit naturheilkundlichen Mitteln arbeitende Arzt Johann Ludwig Schmitt, der sogenannte Atem-Schmitt, wird von Brecht mehrfach konsultiert.

33 Anfang August 1927; A: Augsburg, E: Berlin (?), masch. (Augsb.)

Liebe Helli,

bitte schick beiliegende Briefe an Piscator und Ihering, nachdem Du sie abgeschrieben hast.1 Was gibts sonst?

Ich küsse Dich

b

1

Brecht macht Erwin Piscator in einem Brief Anfang August 1927 »einen Vorschlag. Sie ändern den literarischen Charakter des Theaters in einen politischen um, gründen einen ›Roten Klub‹ (R. K.) und nennen das Theater das R. K. T. (›Rotes Klubtheater‹)«. Der Brief an Herbert Ihering vom 6. August 1927 informiert über den Vorschlag (GBA 28, 292 f.).

34 August 1927; A: Augsburg, E: Berlin, masch. (Privatbesitz)

Liebe Helli

danke für die Briefe Habe an Steuer geschrieben und schreibe heute an Kanter1 Gib doch die Fotografie der Frau Kaiser dabei kannst Du sie besuchen Ich arbeite am »Fatzer«2 sehr langsam aber nicht schlecht Außerdem wie immer wenn unbeschäftigt und verwaist pornografische Sonette3 Ich werde wenn ich nicht ganz toll im »Fatzer« stecke zu Deinen letzten Proben da sein4 Wenn Du etwas über ein Atelier hörst das nicht viel mehr als etwa 50 Mark im Monat Miete kostet dann schreib mir und lege die Hand drauf Werde dann in das Zimmer der Hauptmann den Hesse unterbringen5 Ruf auch sogleich Ullstein an er soll (Honorarabteilung) meine Rate hierher schicken Laß Steff nicht zuviel in der Sonne herumlaufen und rauch keine Zigaretten Ich nehme an Du hast massenhaft Zeit Dir die Pfeifen herzurichten jetzt Im »Uhu« ist ein Bild von mir6 Lies »Tampico« (Romane der Weltliteratur) sowie den neuen London7 und schicke mir alle marxistische Literatur Besonders die neuen Hefte der Revolutionsgeschichte8 Rufe auch Koch9 an warum er mir keine Antwort gegeben hat nach Baden-Baden und erkundige Dich wenn möglich nach Cas Moltkestraße 10 Wenn Du dann noch den Steff fotografierst (in der Sonne Moment 1/25 Blende halb zu) dann bist Du gut aufgehoben

Ich küsse Dich

b

1

Brecht schreibt zunächst »Versicherung«, überschreibt dieses Wort dann mit der Maschine und ersetzt es durch »Steuer«. Kanter: Nicht ermittelt.

2

Das Projekt bleibt trotz einer Vielzahl von Texten Fragment.

3

Vgl. Augsburger Sonette.

4

Brecht ist nicht anwesend bei den Endproben zu Ilja Motylews Inszenierung von Molières Stück George Dandin am Theater am Schiffbauerdamm, bei der Helene Weigel die Claudine übernimmt. Die Premiere ist am 1. September.

5

Brecht will den Theatermann Emil Burri, auch Hesse oder Hesse-Burri, bei seiner Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann unterbringen. Mit Hesse-Burri arbeitet Brecht seit 1927 eng zusammen.

6

Das Foto, Uhu, Berlin, Heft 11, August 1927, zeigt Brecht mit Elisabeth Hauptmann, dem Boxer Paul Samson-Körner, dessen Manager Hermann Seelenfreund, Hermann Borchardt und Hannes Küpper.

7

Joseph Hergesheimer, Tampico. Roman, erscheint in deutscher Übersetzung von Paul Baudisch 1927 in Berlin bei Knaur innerhalb der Reihe Romane der Welt (hg. v. Thomas Mann und H. G. Scheffauer). Von Jack London erscheint 1927 sowohl der Roman Martin Eden als auch Jerry of the Islands in deutscher Übersetzung.

8

Die Illustrierte Geschichte der Russischen Revolution, eine Folge von 20 Lieferungen zu je 24 Seiten, die der Neue Deutsche Verlag ab 4. Mai 1927 herausgibt. Zum Autorenkollektiv gehören führende Politiker der Sowjetunion.

9

Brecht, Kurt Weill und der Produzent und Regisseur Carl Koch beginnen auf Initiative des Essener Generalmusikdirektors Rudolf Schulz-Dornburg mit der Arbeit an einem Ruhrepos, das als großes szenisches Oratorium »episch-dokumentarischen Charakters«, als »künstlerisches Dokument des rheinisch-westfälischen Industrielandes« konzipiert ist. Die besonders durch die vorgesehenen Filmpartien aufgetretenen Kosten und offenbar gezielte Indiskretionen, die durch die Presse in die Öffentlichkeit gebracht werden und heftige Kritik hervorrufen – z. B. werden die Beteiligten »als eine geschlossene Berliner Clique dargestellt, die die Provinz unsicher machen wollten« –, lassen die Verhandlungen schließlich scheitern.

35 Postkarte, 14. September 1927; A: Augsburg, E: Berlin, Babelsberger Str. 42, Ecke Berliner, hs. (Augsb.)

Liebe Helli,

gibt es nichts Neues? Warum schreibst Du nichts? Ich komme mit »Fatzer« gut vorwärts in der absoluten Langeweile hier! Was macht die Garagenfrage?

bert

Bitte die Adresse Döblins!1

1

Brecht, der die Romane Alfred Döblins schon als junger Mann sehr schätzt, hat den Autor Ende 1925 in der Gruppe 1925 näher kennengelernt.

36 Ansichtskarte (Rothenburg o/Tauber, Herterichbrunnen), 26. September 1927; A: Rothenburg o. d.Tauber, E: Berlin, Babelsberger Str. 52, Bayerisches Viertel, hs. (Augsb.)

Liebe Helli,

Schüttelhände

Bert +

[Rudolf Schlichter:]

Herzlich grüßt

Rudolf Schlichter1

[Brecht:]

(Ankomme Donnerstag)

Montag abend

1

Der Maler Rudolf Schlichter porträtiert 1926/27 dreimal Brecht und 1928 Helene Weigel; das Bild der Weigel ist verschollen. Sein Bruder Max Schlichter führt in Berlin eine Künstlerkneipe in der Ansbacher Straße 46, in der Brecht verkehrt.

37 1927/28; A: (?), E: Wien (?), hs. (BBA)

Liebe Helli,

bitte hinterleg im Café Zentral1 die genaue Adresse des Schuhmachers für mich auf d. Namen Brecht!

Und fahr gut und behandle Step mit Achtung

Und sei geküßt von Deinem

bert

1

Möglicherweise ist das Wiener Literatencafé Central in der Herrengasse gemeint; in Berliner Adreßbüchern ist kein gleichnamiges Café erfaßt. Näheres zur Reise oder zum Anlaß der Zeilen konnte nicht ermittelt werden.