Ich liebe einen Soziopathen, 1.Teil - Petra S. Rosé - E-Book

Ich liebe einen Soziopathen, 1.Teil E-Book

Petra S. Rosé

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Beschreibung

Nehmen Sie intensiv am Leben einer jungen Frau teil, die nach gescheiterter Beziehung in Berlin einen neuen Partner sucht, wie viele andere auch. Obwohl alle Vernunft und ihr Verstand dagegen sprechen, verliebt sie sich in einen jungen Mann, der ihr außer beim sexuellen Zusammensein, nirgendwo gut tut. Welche Rolle spielen die Eltern der jungen Frau? Wie belastbar ist diese neue Liebe? Erträgt sie alle Beleidigungen, Gemeinheiten und Verletzungen? Könnte der rätselhafte Mann vielleicht psychisch gestört sein und schafft er es, sich in die Hände einer Psychologin zu begeben? Wie tief sitzt diese Störung? Gibt es eine Therapie und wird die Therapie Erfolg haben?

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Inhaltsverzeichnis

Widmung

Steffi und ihre Eltern

Der Kennenlerntag

Die Woche nach dem Kennenlernen

Das erste Date

Warten auf das nächste Date

Heiß, aber es funkt nicht

Alltag

Das dritte Treffen

Vorbereitung auf die Einladung

In der „Höhle des Schützen“

Die nächste Woche

Männergrippe

Wieder ein Versuch

Harmonie pur

Ausflug

Weiter geht‘s

Problemverdichtung

Steffis Belastung wächst

Der Besuch der Vermieterin

Vorfreude

Urlaubsanfang mit Tom

Der Urlaub geht weiter

Grillen mit Steffis Freunden

Das Wochenende danach

Tom kommt

Partytime

Nach der Party

Letzte Urlaubstage

Steffi bei der Psychologin

Der Alltag hat wieder begonnen

Tom bei der Psychologin

Von Dienstag zu Dienstag

Beide bei der Psychologin

Zurück in die Kindheit

Klarstellung mit bösen Worten

Versöhnung

Liebe Leserinnen und Leser,

Urheberrecht

Impressum

Ich liebe einen Soziopathen

1. Teil, 2. Auflage

von

Petra S. Rosé

Text Copyright 2021

von

Petra S. Rosé

Alle Rechte vorbehalten

Fotos von Pixabay

Widmung

Dieses Buch ist den Frauen gewidmet, die Ähnliches erlebten.

Frauen, die sich in einen Mann verliebten, der Eigenschaften und ein Denken hatte, was mit einer Beziehung nicht in Einklang zu bringen war.

Diesen Frauen sei gesagt, es gibt Hoffnung.

Es kann alles gut werden.

Steffi und ihre Eltern

Es gibt Menschen, die hassen Montage.

Ich hasse Sonntage.

Warum???

Weil ich seit einem Jahr, nach einer gescheiterten Beziehung, wieder in der Einliegerwohnung meines Elternhauses leben muss. Ich heiße immer noch Stefanie Malorny, auch Steffi genannt, bin schon lange erwachsen und würde mir gern durch Eheschließung einen anderen Namen zulegen. Aber ich habe nicht einmal einen Freund.

Mutter und Vater haben von mir Besitz ergriffen, teils bewusst und teils nur unbewusst.

Das Besitzergreifen meiner Eltern äußerte sich zunächst im Aufstellen von spießigen Regeln über das Zusammenleben im Haus und ging dann bis zur Verfügung über meine Freizeit.

An jedem Sonntag möchten meine Eltern ihr einziges Kind bei sich haben.

Sie vertreten die Ansicht: Es reicht, wenn ich am Samstag weggehe und eventuell nach meiner Arbeit im Büro, also an den Abenden der Wochentage.

Deshalb hasse ich Sonntage und die dazugehörige Ausgangssperre.

Im März hatte ich meinen 33. Geburtstag zweimal gefeiert. Einmal mit meinen Freunden und einmal mit meinen Eltern. Mit meinen Freunden war ich in „Clärchens Ballhaus“, inmitten von Berlin und wir ließen es uns feucht-fröhlich gut gehen. Die Feier mit meinen Eltern war von ernsten Gesprächen begleitet.

Es wurde wieder hinterfragt, warum ich keinen passenden Mann finden und halten könne. So ein handwerklich begabter Schwiegersohn, wäre doch wünschenswert und es wäre doch an der Zeit, mal in die Zukunft zu blicken und ein Enkelkind einzuplanen. Schließlich sollen Haus und Garten doch in der Familie bleiben.

Damit nicht genug, anschließend kam das Thema „Altersgebrechlichkeit“ auf den Geburtstagstisch und wie das Zusammenleben im Falle einer Pflegebedürftigkeit funktionieren soll. Meine Eltern sind der Meinung, dass Pflegetätigkeit, ohne Partner nicht zu schaffen sei. Da ich ja ganztägig arbeiten müsse.

Leider verbergen diese Themen auch etwas Wahres.

Meine Eltern sind rüstig und bis auf ein paar Zipperlein gesund. Sie sind zwar bereits Altersrentner und gehen auf die Siebzig zu, aber ich möchte mich nicht mit dem Gedanken befassen, dass einer von beiden über Nacht zum Pflegefall werden könnte. Das schiebe ich täglich von mir weg.

Gestern war ich mit zwei Pärchen, die zu meinem Freundeskreis gehören, zum Essen und anschließend in einer kleinen Bar vom Hotel „Estrel“. Alles ohne einen Partner und gefühlt habe ich mich zwischenzeitlich, wie das fünfte Rad an diesem Vierer-Gespann. Anstandshalber wurde auch mal mit mir getanzt. Die männlichen Gäste in der Bar waren meist in weiblicher Begleitung. Der „Rest“ bestand aus männlichen Einzelgängern, vermutlich Hotelgästen, die nach einer Nachtabschnittsgefährtin für einen One-Night-Stand suchten. Das habe ich schon ab und zu probiert, aber das ist nicht mein Ding. Ich muss mit jedem Mann sexuell mehrfach zusammen sein, und ich muss mich emotional verbunden fühlen, damit der Sex Qualität hat.

Also freute ich mich an der Musik.

In der Nacht zuhause angekommen, vermied ich es zu duschen, damit meine Eltern nicht aufwachen. Irgendwie musste ich ein bisschen zu viel getrunken haben, wie ich heute, am Tag danach, an meinem verkaterten Allgemeinzustand klar erkennen kann.

Heute ist wieder so ein verhasster Sonntag. Es ist der 1. April 2012. Da steht, ohne jeden Aprilscherz, der Frühjahrsputz auf dem Programm von Steffis Eltern, je nach Wetterlage entweder im Garten oder im Haus.

Jetzt ist es halb acht und Steffi steht unter der Dusche ihrer kleinen Einliegerwohnung und versucht den Bargeruch sowie die schlechten Gedanken von sich abzuwaschen. Am liebsten würde sie sich gleich wieder hinlegen, aber die Eltern warten auf ihre Hilfe.

Sie verlässt die Duschkabine, geht vor den Spiegel ihres Kleiderschrankes, lässt das Badehandtuch fallen und betrachtet ihren Körper.

Ich werde immer dicker. Meine Mama kocht am Wochenende sehr energiehaltig. Wenn ich vor acht Uhr zu Hause bin, essen meine Eltern und ich gemeinsam zu Abend, mal warm und mal kalt. Auch hier wird mit Fett nicht gespart. Jedes Nein nimmt meine Mama persönlich und reagiert verletzt. Diesen Winterspeck, gepaart mit Kummerspeck, kann ich nur reduzieren, wenn ich außer Haus bin und nichts esse. Für Sport, bei dem man abnehmen könnte, bin ich zu faul.

Steffi wird aus ihren Gedanken gerissen und hört wie ihre Mutter an der Treppe „Frühstück“ ruft.

Inzwischen ist es kurz vor acht Uhr. Rasch zieht sie einen Slip und ihren Hausanzug an, dreht ihre langen, mittelblonden Haare mit einem Gummi zusammen und eilt die Treppe hinunter. Ihr Vater mag es nicht, wenn jemand zu spät am Tisch erscheint.

Unten angekommen begrüßt sie Mutter und Vater mit einem Kuss auf die Wange und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Es herrscht beklemmendes Schweigen.

Dann fragt die Mutter:

„Na, hast du einen netten Mann kennengelernt?“

„Nein. Wo wir waren, gibt es keine netten Männer.“

„Warum gehst du denn dahin?“, fragt der Vater.

„Ich gehe doch nicht nur weg, um einen Mann kennen zu lernen, sondern ich möchte mich entspannen, mit meinen Freunden unterhalten und Musik hören.“

„Das kannst du doch hier bei uns auch, Steffi. Wir haben so viel zu besprechen“, meint ihre Mutter.

„Ich bin kein kleines Kind mehr und da darf ich schon mal weggehen“, gibt die Tochter gereizt zurück.

„Mal ja, aber du bist an sechs Tagen in der Woche, keinen Abend bei uns. Wir haben hier sehr viel Arbeit mit dem Garten und dem Haus, und du bist immer erst viel zu spät daheim. Da hat bei uns schon der Fernsehabend angefangen“, bemerkt der Vater.

„Ich bin ja heute da und kann den ganzen Tag helfen“, versucht Steffi zu beschwichtigen.

„Wir müssen endlich die Reste vom alten Laub entfernen und wenn noch Zeit ist, können wir schon ein paar Fenster putzen“, schlägt die Mutter vor.

Der Vormittag verläuft ohne Streit. Vater und Tochter harken, und die Mutter hat sich schon mal ein Fenster vorgenommen. Gegen halb zwölf begibt sich die Mutter in die Küche und beginnt mit den Vorarbeiten für das Drei-Gänge-Menü, damit pünktlich um ein Uhr mit dem Essen begonnen werden kann. Weil Steffi sich bemüht vegetarisch zu leben, berücksichtigt ihre Mutter das.

Beim Mittagessen wird nicht gestritten, sondern nur das gute Essen gelobt.

Nach dem Abräumen des Tischs und dem Aufräumen der Küche legen sich Steffis Eltern zum Mittagsschlaf hin und die Tochter begibt sich in ihre Einliegerwohnung. Eigentlich möchte sie auch ein bisschen schlafen, aber das Gedankenkarussell im Kopf lässt es nicht zu:

Für mich ist es bei meinen Eltern sehr bequem und vieles wird geregelt, aber ich möchte trotzdem mein eigenes Leben führen. Etwas Essen, wann ich will und mal ungekämmt in Schlabberklamotten durch die Wohnung laufen oder mal mit einem Mann von Freitagabend bis Montagmorgen im Bett liegen. Das ist hier alles undenkbar.

Gern würde ich wieder allein wohnen, aber momentan habe ich nicht genug Geld. Vor achtzehn Monaten sind meine Ersparnisse für die Anzahlung meines Honda Civic*, für die Vollkasko, die Winterreifen und diverse Zubehör weggegangen. Das Auto kann ich nicht verkaufen. Ich brauche es, um zur Arbeit ins Büro zu kommen, zum Einkaufen und für meine mobile Freiheit.

Die von mir zum Teil selbst bezahlten Möbel sind in der Wohnung meines letzten Freundes geblieben. Ich wollte davon nichts mitnehmen und er wollte mir meinen Anteil nicht auszahlen. Um Möbel, Vorhänge Lampen und Hausrat, lohnte es sich nicht zu streiten, denn ich habe hier oben im Haus eine eingerichtete Wohnung, mit ein paar schrägen Wänden und kleiner Küche. Es ist besser, nicht täglich durch irgendwelche Gegenstände, an die letzte Beziehung erinnert zu werden.

Meine getragenen Klamotten kann man nicht mehr zu Geld machen. Der Kleiderschrank wird auch immer voller, weil eine Frau, die ohne Berufsbekleidung arbeitet, öfter mal etwas Neues kaufen muss. Auf gute, modische Kleidung legte schon mein Ex großen Wert. Andere Männer sicher ebenso und ich selbst will mir auch gefallen.

Als Steuerpflichtige der Klasse I zahle ich die meisten Steuern für mein gutes Gehalt.

Ein Umzug kostet Kaution und vielleicht auch noch Maklergebühren. Alles, was ich besitze, lässt sich mit dem Honda* transportieren. Ich würde kein Transportfahrzeug in Anspruch nehmen. Aber, es müssten wieder Möbel, Lampen und Hausrat angeschafft werden, denn die Einliegerwohnung, die jetzt mein Zuhause ist, soll so bleiben, wie sie ist. Das heißt, ich müsste fleißig sparen oder einen Kredit aufnehmen, was wohl die Bank erst möglich machen wird, wenn ich nach dreieinhalb Jahren mein Auto abbezahlt habe. Solange muss ich mich gedulden.

Oder ich müsste in einer leeren Wohnung wohnen und mir jedes einzelne Möbelstück zusammensparen.

Bleibt nur, in die Wohnung eines neuen Partners einzuziehen, aber das ist genau der Zustand, den ich vorläufig nicht wieder erleben möchte.

Also ist meine Situation zurzeit ausweglos.

Als noch viel größeres Problem empfinde ich, dass ich seit Monaten keinen passenden Partner finde. Es wäre viel mehr Frieden im Haus, wenn ich meinen Eltern jemand vorstellen könnte, der ihnen gefällt und der hier mit anfassen würde.

Mir geht es als Single nicht gut. Ich brauche eine Schulter zum Anlehnen, einen Mann meiner Generation, um den ich mich kümmern kann. Mein neuer Partner sollte mich verstehen und ich will mich mit ihm über seine und meine Probleme unterhalten können. Natürlich müssten wenigstens zwei gemeinsame Interessen sein und beim Sex sollte es auch gut klappen. Ist das zu viel verlangt?

Nach dem Bruch meiner letzten Beziehung habe ich alles versucht, was die moderne Zeit so bietet. Doch alle Anbahnungen verliefen ins Leere. Ich war beim Speed-Dating und bei Friendscout 24*. Aber jeder Typ, den ich kennenlernte, war aus irgendwelchen Gründen nicht geeignet.

Die Angst, wieder eine Enttäuschung zu erleben, trug nicht gerade dazu bei, mich näher mit diesem oder jenen einzulassen. Frau hat ja schon so ihre Erfahrungen mit über dreißig und verliebt sich nicht mehr so schnell.

Manche Männer haben ja bereits Kinder und dort ihre Verpflichtungen, egal ob die Kinder nun beim Vater oder bei der Mutter wohnen. Ich finde, es macht eine Beziehung nicht einfacher, wenn man von Anfang an zu dritt oder zu viert ist.

Bleibt also nur der Zufall oder das Schicksal, um jemand kennenzulernen. Meine Freunde haben begonnen, es sich zur Aufgabe zu machen, mich zu verkuppeln. Bisher ohne Erfolg.

Habe ich schon Torschlusspanik oder bin ich einfach nur zu schwach den Druck auszuhalten, den meine Eltern auf mich ausüben? Ich weiß es nicht.

Der Kennenlerntag

Es sollten noch ein paar Wochen vergehen.

Steffi war allein zum Dienstagsshopping am Alexanderplatz. Es ist der 8. Mai. Sie ist gerade auf dem Weg zur nächsten Taxihalte, um sich nach Hause fahren zu lassen. Ihre Gefühle sind gemischt. Die Einkäufe sollen sie über die Tatsache hinwegtrösten, dass auch in diesem Jahr nicht genug Geld für eine Urlaubsreise zusammengespart werden kann.

Jetzt muss Steffi nur schnell nach Hause, denn ihre Eltern wollen mit ihr zu Abend essen. Sie steigt in das erste Auto der Taxischlange ein, rutscht über die Rückbank bis hinter den Fahrer und nennt als Fahrziel Berlin-Karlshorst und schon rollt der Wagen Richtung Süden. Bereits mit dem Smartphone in der Hand fragt Steffi, ob telefonieren erlaubt sei.

„Na, ausnahmsweise“, antwortet der Fahrer.

Rasch erklärt Steffi ihrer bereits wartenden Mutter, dass sie mit dem Taxi unterwegs ist, weil mal wieder keine S-Bahn fährt.

Im Wagen fällt ihr auf, dass es hier so gut riecht. Es muss vom Fahrer kommen oder vom vorherigen Fahrgast.

Der Mann am Steuer beginnt ein Gespräch und erzählt:

„Normalerweise arbeite ich nur nachts. Der Verkehr auf den Straßen tagsüber nervt. Der Fahrgast drängelt meistens. Das Taxameter läuft nicht nach Zeit, sondern nach Kilometern. Aber heute war es anders. Weil ich eine Vorbestellung hatte, bin ich früher aufgestanden und habe meine Schicht schon am Nachmittag begonnen. Jetzt geht es auf zwanzig Uhr zu und da sind die Straßen schon leerer.“

Steffi antwortet:

„Wenn Sie nachts arbeiten, schlafen Sie ja am Tage und verschlafen das schöne Maiwetter.“

„Das ist nun mal so. Aber ich kann mir meine Fahrzeit einteilen, weil ich selbständig bin, und das ist mir wichtiger als schönes Wetter.“

„Können Sie denn überhaupt am Tage schlafen? Da ist es doch hell und laut.“

„Das ist unterschiedlich. Ich lebe allein. In dem Mietshaus, wo ich wohne, ist es relativ ruhig.“

Die junge Frau lässt eine Pause und überlegt:

Wie alt mag der Fahrer sein, Ende dreißig vielleicht? Ich habe ihn von vorn gar nicht richtig gesehen. Ich sehe nur seinen Hinterkopf mit raspelkurzen Haaren. Wie kann man sich nur die Haare so scheren lassen. Da hat er doch gar nicht die Kopfform dazu. Seine Augen sind starr nach vorn gerichtet. Ab und zu sieht er in den Mittelspiegel und von da aus kommt mir ein stechenderbebrillter Blick entgegen. Vermutlich vergrößert diese Brille seine hellgrauen Augen.

„Haben Sie noch Zeit für ein Hobby?“, fragt Steffi jetzt.

„Nicht wirklich. Ich bin Fußball-Fan, vor allem Hertha-BSC-Fan. Ich beschäftige mich viel mit dem PC und telefoniere gern.“

„Wir sind gleich da“, sagt Steffi.

„Eine schöne Gegend ist das hier“, bemerkt der Fahrer.

„Halten Sie bitte vorn rechts, unter der Laterne. Was muss ich zahlen? Ich habe nur eine Visa-Card.“

„Die muss ich wohl nehmen, wenn auch ungern. Das dauert immer, bis das Geld kommt.“

Nach dem Halt und der Bedienung des Kartenlesegeräts, bedankt sich der Fahrer, gibt die Karte zurück und reicht gleichzeitig seine Visitenkarte an den weiblichen Fahrgast weiter.

„Wenn Sie mal Zeit und Lust zum Telefonieren haben, können Sie mich anrufen, aber nicht vor sechzehn Uhr.“

Dann schwingt er sich blitzschnell aus dem Wagen und öffnet ihr die Tür. Beide stehen sich nun mitten auf der Fahrbahn, der schmalen verkehrsarmen Seitenstraße gegenüber. Steffi muss nach oben sehen, weil der Fahrer so groß ist. Sie schätzt fast zwei Meter. Er ist ein interessanter Typ, trägt einen Dreitagebart und einen kleinen Ohrstecker. Die Brille hat er abgenommen und in die Brusttasche seines Oberhemdes verfrachtet. Sein Blick ist jetzt auf sie gerichtet und damit nach unten gesenkt. Die Augen wirken jetzt nicht mehr so stechend, sondern eher väterlich mild.

„Ja, ich rufe an. Bis dann“, sagt Steffi schnell, läuft am Fahrer und an der Front des Wagens vorbei zum Gartentor. Hinter ihr klappen zwei Autotüren und das Taxi rollt davon.

Als die junge Frau im Haus ist, stellt sie hastig die Einkaufstüten auf der Treppe ab, wäscht sich auf dem Gäste-WC die Hände und eilt ins Wohnzimmer ihrer Eltern.

Dort sitzen die beiden schon am Tisch und warten.

„Wird Zeit, dass du kommst“, sagt der Vater streng.

Zum Glück gibt es kein warmes Essen.

„Was war denn wieder los. Warum kommst du so spät?“, fragt die Mutter.

„Ach Mama, wie ich am Telefon schon sagte, musste ich am Alex noch etwas einkaufen und anschließend fuhr keine S-Bahn. Irgendwo sollte Schienenersatzverkehr sein. Das war mir zu umständlich und hätte bestimmt noch länger gedauert. Da habe ich lieber ein Taxi genommen.“

Das Abendessen setzt sich schweigend fort. Steffis Vater ist schon fertig, steht auf und setzt sich vor den Fernseher. Mutter und Tochter räumen den Tisch ab.

„Ich möchte gleich duschen gehen“, sagt Steffi. Danach werde ich mich hinlegen. Ich bin sehr müde heute.“

„Schade“, bemerkt die Mutter. „Ich dachte, wir unterhalten uns jetzt.“

„Gute Nacht“, ruft Steffi den Eltern zu und verlässt fast fluchtartig den Raum, um sich nach oben in ihre Wohnung zu begeben. Sie möchte endlich mit ihren Gedanken allein sein, zieht sich aus und lässt alles auf den Boden fallen.

Unter der Dusche angekommen, beginnt sie sofort zu grübeln:

Dieser Taxifahrer heute, der hatte so etwas Spezielles und Magisches und er hat so gut nach Leder mit Moschus gerochen. Auch das Auto war so sauber, sowohl von innen als von außen. Ich habe noch nie so ein sauberes Taxi gesehen. Als Nächstes muss ich nachsehen, was auf der Karte steht, die er mir gegeben hat.

Steffi verlässt die Dusche wieder, zieht einen Bademantel an und sucht aufgeregt in ihrer Handtasche nach der Karte. Die steckt noch in der Geldbörse. Mit einem Ruck zieht sie die Karte heraus: Tomas Jörgens, Taxiunternehmer, eine Adresse, eine Festnetz- und eine Handynummer, sind aufgedruckt.

Tomas ohne das H hinter dem T? Das ist selten. Das klingt nordisch, überlegt Steffi.

Sie versteckt die Karte wieder in ihrer Geldbörse und legt ihre Sachen für den morgigen Tag im Büro heraus. Die Einkäufe von heute sind mit einmal unwichtig geworden. Sie packt nichts mehr aus, sondern stopft die Tüten ganz nach unten in den Kleiderschrank. Im Schrank versteckt bewahrt sie eine große Metallkassette auf, die sie jetzt herausholt, in ihr Bett stellt und aufschließt. Darin befinden sich ein paar Gegenstände, die ihre Eltern nicht sehen sollen. Unter anderem Sex-Toys, ein paar Fotos und ihr Tagebuch.

Im Bett stapelt sie sämtliche Kissen zu einem Kissenberg, lehnt sich sitzend dagegen, zieht die Knie an und deckt sich mit einer leichten Sommerdecke zu. In dieser Haltung kann sie am besten denken. Auf den Knien liegt ihr Tagebuch mit schreibbereitem Drehbleistift. Alles, was sie gerade für wichtig hält, wird stichwortartig, in Halbsätzen oder sogar mit druckreifen Sätzen notiert:

Ein Taxifahrer hat mir seine Karte gegeben. Vielleicht macht er das mit jeder Frau, die vom Alter her zu ihm passen könnte? Vielleicht liegt es aber nur an seiner Menschenkenntnis und er hat gleich gespürt, dass ich ohne Partner bin? Ob ich allein lebe, hat er nicht gefragt.

Wenn ich ihn morgen schon anrufe, denkt er eventuell, ich habe zu viel Zeit oder bin mannstoll. Wenn ich aber erst nach einer Woche anrufe, hat er längst vergessen, wer ich bin, besonders dann, wenn er tatsächlich jeden Tag Visitenkarten verteilt.

Anscheinend habe ich ihm gefallen, obwohl ich einen anstrengenden Tag im Büro hatte und noch shoppen war und schon ein bisschen zerzaust, verknittert und verschwitzt aussah. Er hat sich mit mir unterhalten. Normalerweise sind Berliner Taxifahrer recht maulfaul.

Ich bin in der Situation, fast jeder erfolgversprechenden Begegnung nachgehen zu müssen, wenn ich aus meinem jetzigen Leben ausbrechen will. Übermorgen werde ich anrufen. Da ist Donnerstag und dann werde ich auf jeden Fall schon am Telefon klären können, ob es Sinn macht, diesen Mann weiterhin zu kontakten.

Was Steffi noch nicht weiß:

Ihre neue männliche Bekanntschaft ist auch auf der Suche, nach einem weiblichen Opfer, nach einem Katalysator für emotionale Misshandlung, zur Erniedrigung und zum Abladen seiner Befindlichkeiten. Das stellt für ihn den Hauptteil einer Beziehung dar.

Steffi schließt ihr Tagebuch wieder in die Stahlkassette ein und versteckt diese in ihrem Kleiderschrank. Der Schlüssel wird in ihrem Kosmetiktäschchen verwahrt, was sie immer bei sich hat, wenn sie das Haus verlässt. Vom Bett aus schaltet sie das Fernsehgerät ein. Das ist alles nicht gesund, aber sie kann nur so einschlafen. Irgendwann ist ihr der Kissenturm zu viel und alle Kissen werden zur Seite geworfen und sie schläft auf dem Kopfkissen weiter.

Die Woche nach dem Kennenlernen

Am frühen Morgen trinkt Steffi nur Kaffee und isst ein Vollkornbrot mit Käse ohne Butter. Sie hat ihre eigene, kleine Küche und will nicht, dass ihre Mutter früher aufsteht, um ihr das Frühstück zu machen. Die meiste Zeit braucht sie zum dezenten Schminken. Sie findet ihr Gesicht nur durchschnittlich, besonders morgens. Die Form gefällt ihr nicht, der Mund ist zu groß und die graugrünen Augen sind zu klein. Da muss sie immer reichlich nachhelfen, um sie größer erscheinen zu lassen. Die langen Haare sind der Hingucker.

Die Autofahrt zur Arbeit erfordert jeden Tag Steffis volle Konzentration. Berlin am Morgen ist verkehrstechnisch gesehen, unerträglich stressig. Es wird zu viel gebaut und an einigen Stellen quält sich der Verkehr einspurig durch die Straßen. Natürlich könnte sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, aber Steffi muss von Berlin-Karlshorst mehrere Kilometer laufen, ehe sie den S-Bahnhof oder einen U-Bahnhof erreicht hat. Dann schließt sich die Fahrzeit an und eine weitere Fußstrecke bis an ihren Schreibtisch. Das ist insgesamt gerechnet nicht schneller und funktioniert überhaupt nur, wenn die Bahnen fahren.

Mit dem Auto bis an die Bahnhöfe vorfahren, die in der Nähe ihrer Wohnung liegen, geht auch nicht, weil die Parkplätze dort immer besetzt sind. Jedenfalls um zehn vor sieben, wenn sie einen Parkplatz benötigt. Um halb acht beginnt ihre Arbeitszeit im Büro in der Mitte der Stadt, in der Nähe des Alexanderplatzes. Steffi hat, entsprechend ihres kaufmännischen Berufs, einen schönen und gut bezahlten Arbeitsplatz in einer kleinen Firma, aber mit einer 40-Stunden-Woche. Hier beschäftigt sie sich mit der Lohnabrechnung von anderen kleinen Firmen. Wenn keine Überstunden anfallen, kann sie um halb Fünf nach Hause fahren.

Die junge Frau hat die Parkplätze für Mitarbeiter erreicht, die auf dem Hof des Gebäudes angeordnet sind und sitzt pünktlich an ihrem Schreibtisch, wie meistens. Heute ist so ein Tag, wo der Computer die Arbeit übernimmt und sie den Drucker überwachen muss. Also schweifen ihre Gedanken wieder zu diesem Mann, diesem Taxifahrer, dessen Daten sie jetzt in ihr Smartphone eingibt. Anschließend holt sie ihren privaten Taschenkalender aus ihrer Handtasche, um sich Notizen zu machen.

Es bleibt dabei, wie ich mir das vorgenommen habe, heute wird noch nicht angerufen. Aber ich kann mir schon ein paar Fragen überlegen. Was muss ich zuerst wissen? Ob er Kinder hat? Dann muss ich fragen, warum er allein lebt, ob er geschieden oder verwitwet ist. Sein Tierkreiszeichen wäre interessant. Weil ich Widder bin, klappt es, aus mir nicht bekannten Gründen, mit männlichen Skorpionen oder männlichen Zwillingen überhaupt nicht. Eventuell könnte ich in dem Zusammenhang nach seinem Alter fragen? Dann sollte ich bei der Gelegenheit gleich verraten, wie alt ich bin. Meine dreiunddreißig Jahre sieht man mir nicht unbedingt an. Ich werde höchstens Ende zwanzig geschätzt. Vielleicht hat er das auch so geschätzt und wenn er weiß, wie alt ich tatsächlich bin, gefällt ihm das gar nicht?

Steffi steht auf und sieht nach den Druckfahnen. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Ihre gegenüber sitzende Kollegin ist heute gar nicht gesprächig, sondern beschäftigt sich privat, mit ihrem Tablet. Das ist natürlich nicht jeden Tag so, dass man hier im Büro private Dinge erledigen kann, aber manchmal.

Es ist Zeit für das zweite Frühstück. Die Kollegin bedient die Kaffeemaschine und Steffi sucht im Kühlschrank nach ihrem Essvorrat. Sie hat nichts mehr. Dann muss sie durchhalten bis um zwölf Uhr, wenn Essen auf Rädern kommt. Nachmittags gibt es nochmal Kaffee und irgendetwas Süßes dazu, falls vorhanden.

Eigentlich dürfte ich von all dem nicht dick werden, aber die Gewichtszunahme entsteht wohl aufgrund einer Melange der sitzenden Tätigkeit und der guten Küche meiner Mutter.

Endlich ist der Arbeitstag zu Ende.

Jetzt will Steffi noch in den Reitstall fahren und anschließend erst nach Hause. Zweimal in der Woche reitet sie mit dem Pferd einer Bekannten. Der fast schwarze Wallach hört auf den schönen Namen Shakan und ist von der Rasse her ein arabisches Vollblut. Da sie dieser Leidenschaft zu reiten schon von Kindheit an nachgeht, verfügt sie über einen festen Po, feste Brüste und eine stabile Scheidenmuskulatur. Das sind schon Vorteile, die ein Mann aber erst bemerkt, wenn er mit ihr intim wird. Leider verliert Steffi beim Reiten keine Pfunde, sondern kann nur ihr Gewicht halten und fatalerweise nimmt sie zu, wenn sie mal ein paar Wochen nicht reitet.

Der Reitstall ist frauenlastig. Hier kann man niemand kennenlernen, der sich für eine Beziehung eignet. Die Männer, die sich hier blicken lassen, sind entweder die Partner der Reiterinnen oder die längst vergebenen Schmiede und Tierärzte.

Shakan ist heute sehr gehfreudig und bemüht sich, auf dem Reitplatz alles richtig zu machen.

Durchgeschwitzt vom Reiten, aber sehr entspannt, fährt die Reiterin nach Hause zurück.

Steffi ist sehr tierlieb. Doch das einzige Tier, was sie je ihr Eigen nennen durfte, war der Kater Romeo. War, denn sie konnte ihn nicht in ihre Beziehungen mitnehmen. Romeo musste bei ihren Eltern bleiben und das hat er seinem Frauchen nie verziehen. Auch nach ihrer Rückkehr, vor einem guten Jahr, macht er täglich deutlich, dass er jetzt der Kater ihrer Eltern ist.

Romeo ist ein Mix. Die Mutter ist eine norwegische Waldkatze und der Vater ist unbekannt. Der Kater hat langes, grau-braunes und gestromtes Haar, auch im Sommer. Inzwischen in die Jahre gekommen, braucht er viel mehr Streicheleinheiten als früher. Die bekommt er auch von Steffi, wenn sie mal Zeit für ihn hat. Dann konzentriert sich ihre ganze Tierliebe auf ihn. Ein weiteres Tier will sie sich nicht leisten. Erstens, aus zeitlichen Gründen und zweitens, aus Gründen der angestrebten neuen Partnerschaft. Ein in die Beziehung eingebrachtes Haustier würde die neue Situation noch mehr verkomplizieren, egal ob es sich um einen Hund oder um eine Katze handelt.

Am nächsten Tag ist Steffi aufgeregt und unruhig, wie immer, wenn sie einen neuen Mann kennengelernt hat. Im Büro überlegt sie zum wiederholten Mal, von welchem Ort aus, sie das erste Telefongespräch führen will. Hier geht das auf keinen Fall. Zu Hause läuft sie Gefahr, dass ihre Eltern mithören. Es sei denn, sie geht auf den zu ihrer Wohnung gehörenden Balkon und schließt die Tür. Aber sie hat ja ihr Auto, was zum Telefonieren nur in einer ruhigen Straße parken müsste.

Endlich Feierabend. Steffi kämpft sich mit dem Honda* durch den Straßenverkehr bis nach Berlin-Karlshorst. Dort sucht sie eine geeignete Seitenstraße, findet eine Parklücke, packt das Smartphone und das Notizbuch mit ihren Fragen aus und wählt die Nummer des Taxifahrers. Sie hört keinen Rufton, sondern die Mailbox springt an und präsentiert die automatische Bandansage. Steffi möchte nichts aufsprechen, sondern drückt die rote Taste. Es ist siebzehn Uhr und dreizehn Minuten.

Hat er nicht gesagt, ab sechzehn Uhr? Ich möchte jetzt nicht spekulieren, warum er nicht ran gegangen ist, sondern werde erst mal in den Biomarkt am Bahnhof einkehren. Ich kann es ja nachher auf dem Parkplatz noch mal versuchen.

Das Einkaufen im Biomarkt nimmt Steffi ganz gefangen und sie hört auf, an ihren telefonischen Fehlversuch zu denken. Es ist sehr interessant hier und könnte so entspannend sein, wären da nicht die vielen anderen Kunden. Sie kauft nur wenig, weil sie ja abnehmen will.

Wieder zurück im aufgeheizten Auto, schlägt Steffi erneut ihre Notizen auf und tippt auf die Wahlwiederholung. Ein gedehntes Ja ertönt auf der anderen Seite.

„Guten Abend, hier ist Steffi Malorny. Ich bin die Frau, die Sie vorgestern, abends vom Alex nach Karlshorst gefahren haben, und ich wollte mal fragen, ob Sie jetzt Lust haben, mit mir zu telefonieren.“

Pause.

„Hallo, ich erinnere mich an Sie. Im Prinzip ja, aber ich bin gerade erst aufgestanden und kann noch nicht richtig sprechen. Erzählen Sie mal was von sich.“

Darauf ist Steffi nicht so wirklich vorbereitet. Sie wollte ihn eigentlich ausfragen. Es zischt in der Leitung, wie Wasser, was man in einen leeren heißen Topf gießt.

„Ich komme gerade von meiner Arbeit im Büro und wollte jetzt nach Hause. Sie hatten mir vorgestern erzählt, dass Sie gern telefonieren und deshalb rufe ich mal an.“

„Ja, das stimmt. Ich telefoniere gern. Gerade eben habe ich mir einen Espresso einlaufen lassen. Der ist aber viel zu heiß zum Trinken. Wenn ich den erst mal intus habe und der wirkt, geht es mir besser, und dann können wir miteinander sprechen.“

Dieser Satz klang doch schon recht klar. Der Mann hat eine wunderbare tiefe Stimme, wie ein guter Synchronsprecher, fällt Steffi auf. Klingt am Telefon noch viel schöner als im Taxi.

Trotzdem will sie sich nicht am Telefon offenbaren und sagt lieber:

„Dann rufe ich eben ein anderes Mal an. Vielleicht habe ich da mehr Glück.“

„In einer Stunde wäre es mir recht oder morgen ab sechzehn Uhr.“

„Tschüss“, sagt sie schnell und drückt die rote Taste. Da ihre Smartphone-ID zurzeit nicht unterdrückt ist, müsste er jetzt ihre Nummer haben.

In einer Stunde kann ich nicht anrufen. Da bin ich längst zu Hause und muss mich zu meinen Eltern setzen. Also werde ich es morgen noch mal versuchen. Was ist das für eine Art? Da kann er sich doch erklären, kann sagen, dass er verschlafen hat. Er geht gar nicht darauf ein, dass er ab 16 Uhr gesagt hat und nach siebzehn Uhr immer noch nicht gesprächsbereit war. Er fragt nicht: Kann ich Sie zurückrufen? Oder darf ich Sie zurückrufen, wenn ich mal Fahrpause mache? Sein Interesse anmir scheint schon erkaltet zu sein.

Enttäuschung macht sich in Steffi breit. Als sie im Haus ihrer Eltern ankommt, meint ihre Mutter erklären zu müssen, wie viel Sorgen sie sich gemacht hat, weil Steffi nicht angerufen hat und es sei doch schon nach halb acht. Da kommen der Tochter echte Tränen. Sie sagt nur:

„Ich habe schon zu Abend gegessen“, und geht die Treppe hoch in ihre Wohnung.

Das kann ich jetzt nicht, mir das Gerede meiner Eltern anhören. Ich kann mich jetzt nicht hinsetzen und in meine Enttäuschung hineinsteigern, weder bei meinen Eltern noch in meiner Wohnung. Ich muss was tun, um mich abzulenken.

Steffi räumt den Kühlschrank ein und bestückt ihre Waschmaschine. Dann gießt sie sich ein Glas Weißwein ein, nimmt ihr Lesegerät und setzt sich auf den kleinen Balkon. Eine milde Abendluft strömt auf sie zu. Es sind dreiundzwanzig Grad. Sie versucht, sich auf das Lesen eines Liebesromans zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweifen ständig ab.

Das Leben könnte so schön sein, wenn man einen passenden Partner hätte. Ist das denn schwerer, als es früher war? Sind die Frauen komplizierter geworden, im Rahmen der sogenannten Emanzipation? Ich glaube, wenn man verkrampft nach einem Partner sucht, so wie ich, wird das nichts.

Aber, diese Begegnung mit dem Taxifahrer war doch ein Zufall. Oder? Ich hätte ja in ein anderes Taxi steigen können. Er hatte mir doch seine Karte gegeben und nicht ich und er hatte mich ermuntert anzurufen und nicht umgekehrt.

Sie schaltet das Lesegerät wieder aus und holt ihr Tagebuch aus der Kassette.

Dann schreibt sie die privaten Ereignisse des Tages auf. Die fertige Wäsche kommt auf den Wäscheständer und bleibt über Nacht auf dem Balkon. Der Taxifahrer ruft nicht zurück. Steffi beschließt, morgen wieder anzurufen. Nach Mitternacht ist sie endlich vor dem TV-Gerät eingeschlafen.

Am nächsten Tag das gleiche Prozedere. Steffi fährt nach der Arbeit bis zu ihrem Wohnort, parkt ein und ruft an. Eine Weile ertönen das Freizeichen und dann seine Stimme. Diesmal ein lautes tiefes Ja.

„Hallo, ich bin es wieder, Steffi. Freue mich, dass Sie wach sind.“

Im Hintergrund scheint der Fernseher zu laufen.

„Heute bin ich schon ein paar Stunden auf und schon beim dritten Kaffeetopf.“

Ein „Ich-freue-mich-auch“ oder „Hallo-wie-geht-es“ kommt nicht zurück.

„Wann fängt Ihre Schicht an?“, fragt Steffi.

„Wenn ich keine Vorbestellung habe, fängt die Schicht an, wann ich sie anfangen lasse.“

„Das können Sie also selbst bestimmen?“

„Ja, ich bin doch selbständig“, klingt es ungehalten.

„Und demnach bestimmen Sie allein, ab wann Sie nicht mehr fahren wollen. Oder?“

Keine Antwort.

Die Geräusche aus dem TV-Gerät treten in den Hintergrund. Dafür ist plötzlich Autoverkehr zu hören.

„Stehen Sie jetzt draußen?“, fragt Steffi.

„Jein, ich stehe auf dem Balkon.“

Steffi wagt sich vor:

„Ich finde, wir sollten uns duzen. Ich biete Ihnen das an, weil ich die Jüngere bin.“

Anstatt er jetzt fragt: Woher wollen Sie wissen, dass Sie jünger sind? Oder sagt: Ja, ich bin einverstanden, kommt nichts. Er schweigt.

Steffi greift das Du trotzdem auf und sagt:

„Wie du weißt, heiße ich Steffi. Meine Freunde nennen mich Steffi. Nun erzähl doch mal etwas von dir, Tomas. Hast du Kinder?“

„Nicht, dass ich wüsste“, lautet die vielsagende Antwort.

„Ich habe auch keine“, antwortet Steffi. Ganz bewusst vermeidet sie die Formulierung „noch keine“. Das treibt Männer in die Flucht, die keinen Kinderwunsch haben.

„Weißt du was?“, sagt er plötzlich und unerwartet. „Ich schlage vor: Wir treffen uns am nächsten Dienstag. Ich hole dich um siebzehn Uhr am S-Bahnhof Südkreuz ab und wir gehen essen. Ich bin heute nicht so gesprächig.“

Steffi überlegt einen Moment und sagt schnell:

„Ja, okay und tschüss.“

„Tschüss, tschüss“, kommt aus dem Lautsprecher.

Sie ist wieder enttäuscht von diesem Dialog mit ihm, aber tröstet sich mit der Vorstellung, dass sie jetzt verabredet ist.

Sie denkt:

Das Schönste am Gespräch war seine Stimme. Ansonsten hatte ich das Gefühl, als wenn er lieber Fernsehen oder vom Balkon sehen wollte und ich ihn gar nicht interessiere. Dann schlägt er ein Treffen vor, fragt aber nicht, ob mir Ort und Uhrzeit recht sind. Der Bahnhof Südkreuz ist für mich am Ende der Welt und bis siebzehn Uhr schaffe ich das nur, wenn ich meine Arbeit früher beende. Auch muss ich mir überlegen, wie ich das mit meinem Auto mache. In der Parktasche, hinter dem Gebäude, wo ich arbeite, kann es nicht einfach stehen bleiben. Da wird nachts das Hoftor abgeschlossen und ich kann es nicht mehr holen, um damit nach Hause zu fahren. Von meiner Arbeit aus mit dem Auto weiterfahren bis Südkreuz ist stressig und garantiert nicht, dass es dort in Bahnhofsnähe Parkplätze gibt. Das ist eine Kombination aus Stadt- und Fernbahnhof. Normalerweise hätte er sagen müssen: Komm ohne Auto. Ich fahre dich abends zurück. Aber…, er hat es nicht gesagt.

Steffi ahnt nicht, dass er sich mit diesem ablehnenden Verhalten nur interessant machen will. Tomas spielt vor, ihre Bekanntschaft nicht nötig zu haben.

Sie beschließt, erst mal nach Hause zu fahren und mit ihren Eltern zu Abend zu essen. Sie will rechtzeitig da sein, weil die Mutter ab und zu vergisst, dass sie ja vegetarisch essen möchte. Viele Diskussionen hat es darüber schon gegeben. Heute soll das nicht wieder passieren.

In der Küche ihrer Eltern angekommen, brät die Tochter für alle drei panierten Käse auf zwei Pfannen. Nach dem Essen und wie fast jeden Abend, strebt ihr Vater gegen zwanzig Uhr zu seinem Sessel, um die Tagesschau auf sich wirken zu lassen, und mit seinem Rückzug gilt das Abendessen als beendet.

Die Mutter wechselt nur ein paar Worte mit ihrer Tochter und setzt sich auch vor das TV-Gerät.

Nun ist Steffi froh, in Ruhe in ihrer Wohnung überlegen zu können, was sie Dienstag zu ihrer Verabredung anzieht.

Es ist zwar noch drei Tage hin bis Dienstag, aber es kann sein, dass ich noch etwas waschen muss. Ich muss attraktiv aussehen, aber auch nicht „overdressed“, wie das so modern heißt. Der Mai ist gerade sehr warm, was sich aber bis Dienstag noch ändern kann. Trotzdem entscheide ich heute schon, über die Bekleidung für den ersten Treff. Ein Top sieht immer gut aus und dazu eine knielange Sommerhose. Mit meinen hohen Keilabsatz-Sandalen kann ich gut laufen. Eine passende helle Sommertasche und ein Blazer für den Abend, nehme ich auch mit.

Schmuck und Schminke sollen gesucht und sortiert werden Welcher Schmuck passt zum Outfit? Welchen Lidschatten, welcher Nagellack, welches Make-up werde ich benutzen?

Wenn sich bei dieser Verabredung keine Harmonie einstellt, ist dieser Mann für mich Geschichte, schreibt sie in ihr Tagebuch.

Das erste Date

Es ist Dienstag, der 15. Mai. Tomas hat an den letzten Tagen nicht angerufen und Steffi auch nicht. Sie wollte es aber tun, jeden Tag, um zu fragen, ob sie mit dem Auto kommen soll. Am Wochenende hatte sie keine Gelegenheit. Die Mutter kam mit kleinen vorgeschobenen Problemchen mehrmals nach oben, bis in ihre Wohnung. Auf keinen Fall dürfen die Eltern merken, dass sie einen Mann kennengelernt hat, mit dem sie telefoniert.

Nachts scheint Tomas im Fahrstress zu stehen, sonst würde er doch wenigstens mal eine SMS schicken. Gestern, am Montag hatte Steffi Angst, er würde die Verabredung wieder absagen, wenn sie anruft.

Nun hat sie entschieden, zunächst mit der Bahn zur Arbeit und danach, auch mit der Bahn, zum Südkreuz zu fahren. Mit ihrem Chef hat Steffi schon geklärt, dass sie heute eine halbe Stunde früher gehen kann. Das Make-up ist gelungen, die gestern gewaschenen und heute aufgeföhnten Haare werden offen getragen. Es ist ein kühler Tag. Sonntag hat es einen Temperatursturz gegeben.

In der S-Bahn ist es zum Glück warm. Steffi muss zweimal umsteigen. Es ist zehn Minuten vor siebzehn Uhr, als sie auf dem S-Bahnhof Berlin-Südkreuz ankommt. Jetzt kann sie sich Zeit lassen. Sie blickt noch mal in den Taschenspiegel und läuft langsam über den Bahnhof und die sich anschließenden Treppen hinunter. Es gibt anscheinend nur einen Ausgang.

Ich habe gar nicht gefragt, wo genau ich warten soll. Er wird mit seinem Taxi kommen? Oder? Vielleicht hat er noch einen Zweitwagen, mit dem er privat fährt.

Als Steffi an allen Geschäften in der Bahnhofshalle vorbei ist, geht sie durch die Schwingtür nach draußen. Die Sonne scheint ohne Wolkenschleier. Kurz vor dem Untergehen, steht sie schon tief und blendet. Gegenüber, etwa vierzig Meter weiter weg, stehen zahlreiche Taxen, leer und mit Fahrer. Eine kleine Männergruppe, bestehend aus drei Fahrern, unterhält sich.

Verdammt, ich sehe ihn nicht. Weil ich sein Autokennzeichen nicht weiß, kann ich mir das Laufen zu den Halteplätzen sparen. Das Taxi ist ein Mercedes*, vermutlich eine E-Klasse. Es war keine Werbung am Auto, weder an den Türen noch auf dem Dach. Das ist das Einzige, was ich mir gemerkt habe.

Steffi läuft auf dem breiten Bürgersteig vor dem Bahnhof auf und ab. Zur rechten Seite ist eine Bushaltestelle und zur linken ein Café mit Stühlen und Tischen davor und Sonnenschirmen darüber.

Der hat mich veralbert, schießt es mir gerade heiß durch den Kopf. Ich bin so doof, wie ein pubertierendes Schulmädel. Wie lange soll ich hier warten? Mehr, als die Einhaltung der akademischen Viertelstunde, ist wohl keine Pflicht.

Ein Blick auf ihre Funkuhr zeigt an. Es fehlen noch dreißig Sekunden bis siebzehn Uhr.

Wütend kehrt Steffi um und will in die Bahnhofshalle fliehen. Da hupt es zweimal hinter ihr. Sie dreht sich um. Ein Taxi legt langsam am Bordstein an und es öffnet sich die Beifahrertür. Steffi zögert nicht einen Wimpernschlag, obwohl sie nicht erkennen kann, wer hinter dem Lenkrad sitzt, eilt zu diesem Wagen und steigt vorn ein. Der Fahrer reicht ihr vom Sitz aus stumm die Hand und schaut ihr für den Bruchteil einer Sekunde ins Gesicht.

Steffi erwidert seinen Händedruck und sagt:

„Hallo Tom. Ich würde dich gern so nennen.“

Er ist es, denkt sie. Ich erkenne ihn wieder, auch wenn er jetzt nicht spricht.

Sie möchte etwas sagen. Fragen, warum sie hierher kommen sollte. Sie möchte erzählen, dass sie früher von der Arbeit los musste und zweimal umgestiegen ist, aber sie wagt es nicht.

Der Fahrer sitzt mit versteinertem Gesicht neben ihr.

„Hast du Hunger?“, fragt er plötzlich.

„Ja“, antwortet die Beifahrerin.

Das Taxi quält sich durch belebte Straßen. Steffi war hier noch nie.

Wenn der mich jetzt in den Wald fährt, bin ich auf den ältesten Trick seit der Erschaffung des Mannes hereingefallen.

„Wo fahren wir denn hin?“, fragt sie und ärgert sich anschließend über ihre blöde, nach Angst klingende Frage.

„Ich denke, du hast Hunger“, lautet die Antwort.

„Ja, hab ich.“

„Wir sind gleich da.“

Es beginnt die Parklückensuche am Straßenrand. Endlich ist eine Lücke zu sehen und ohne einmal zu stocken, gleitet das große Auto hinein.

„Pass auf, wenn du die Tür öffnest“, sagt der Fahrer.

Steffi steigt vorsichtig aus und schlägt die Tür zu.

Diesmal hat er mir nicht aus dem Auto geholfen, denkt sie.

Tomas zündet sich eine Zigarette an. Beide laufen schweigend nebeneinander her, circa fünf Minuten bis zu einem Restaurant, was draußen zahlreiche Gartenmöbel und große Schirme hat.

Er ist also Raucher. Das habe ich am Kennenlerntag nicht gerochen. Vielleicht, weil in allen Taxen Berlins sowieso Rauchverbot ist.

Außen, ganz am Ende ist ein Vierertisch frei, der durch die letzten Sonnenstrahlen ein bisschen erwärmt wird. Eigentlich wäre es aufgrund der Temperaturen angenehmer, im Gastraum Platz zu nehmen. Tomas setzt sich als Erster an den Vierertisch. Steffi wagt keinen Einwand und setzt sich gegenüber.

Kaum haben die beiden ihre Plätze eingenommen, bringt eine Serviererin die Karten. Die von der Anreise gestresste junge Frau atmet auf: Auch ein vegetarisches Angebot ist ausgeschrieben. Sie sucht sich einen Schoppen Weißwein aus, und Tomas bestellt sich einen Spezi. Davon hat Steffi schon gehört, aber sie kann nicht verstehen, wie man so einen süßen Mix aus Fruchtsirup und Cola trinken kann. Zum Glück haben die einzelnen Gerichte Nummern. Steffi hat sich die dreiundzwanzig, ein Brokkoli-Gratin, ausgesucht und ihr Gegenüber nennt der Serviererin auch eine Zahl.

„Wo sind wir denn hier?“, fragt Steffi jetzt, um ein Gespräch zu beginnen.

„Wir sind in Lichtenrade“, antwortet er und zündet sich erneut eine Zigarette an. „Ich wohne hier in der Nähe“, sagt er mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Du rauchst ja nicht. Oder?“

„Nein, aus dem Alter bin ich heraus.“

Wenn der gedacht hat, ich komme nach dem Essen mit in seine Wohnung, muss ich ihn enttäuschen, nimmt sich Steffi vor.

Doch zunächst entwickelt sich alles recht positiv. Tomas beginnt von sich zu erzählen:

„Weißt du, weil ich allein lebe und das Kochen nicht mein Hobby ist, esse ich viel am Imbiss in der Stadt, aber einmal in der Woche sollte man sich schon ein besseres Gericht leisten.“

„Warum lebst du allein? So ein gut aussehender, netter Mann wie du, muss doch nicht allein leben.“

„Danke, danke, ich weiß es nicht. Die Frauen verlassen mich alle oder betrügen mich oder beides. Meine letzte Freundin, die ich ein Jahr lang kannte, bevor wir drei Jahre zusammen gelebt haben, die wollte ich sogar heiraten, und was meinst du, was sie dazu gesagt hatte?“

„Weiß ich nicht.“

„Sie hatte gesagt: Eine Eheschließung ist die Sterbehilfe der Liebe. Eines Tages war sie verschwunden und mit ihr alles, was in unserer gemeinsamen Wohnung von Wert war. Anscheinend war ihre Liebe auch ohne Hochzeit gestorben. Bis zum heutigen Tag habe ich ihr Verschwinden nicht verarbeitet, und ich habe keine Ahnung, warum sie mich verlassen hat.“

Das kann ich alles nicht nachprüfen, denkt Steffi. Männer spielen auch gern das Opfer, wenn es um kaputte Beziehungen geht, nicht nur die Frauen.

„Gab es keine Vorwarnung und hast du denn nicht versucht, um deine Partnerin zu kämpfen?“

„Nein, dazu war ich gar nicht in der Lage. Ich war völlig traumatisiert. Eine Adresse hatte sie mir dagelassen, falls noch Post für sie ankommt. Ich bin hingefahren, habe mich aber nicht gemeldet, weil zwei Namen am Briefkasten standen, was für mich der nächste Schock war. Ich hätte nie gedacht, dass sie einen anderen hat, mit dem sie gleich zusammenzieht. Nachfolgend musste ich mir eine neue Behausung suchen, denn unsere gemeinsame Wohnung, war recht groß und befand sich in einer sehr guten Wohnlage. Die Miete konnte ich nicht allein bezahlen. Meine ersten Möbel für meine neuen Vier-Wände habe ich auf Kredit gekauft.“

Die Serviererin kommt mit dem Essen und unterbricht die Erzählung von Tomas. Steffi bestellt sich noch einen Schoppen Wein.

Dann sagt Tomas plötzlich:

„Was willst du denn essen? Soll das die Vorspeise sein?“

„Nein“, antwortet Steffi. „Das ist Gratin und ist laut Karte durchaus als Hauptgericht gedacht. Ich muss ein bisschen aufpassen mit meiner Figur, und ich will nachher ein Dessert essen oder ein Eis.“

Dass sie nach Möglichkeit vegetarisch isst, will sie mit ihm an diesem Tisch nicht diskutieren.

„Na, dann iss mal erst mal das, damit es nicht kalt wird“, sagt er zu ihr, wie zu einem kleinen Kind.

Das Gratin ist sehr heiß, kommt vermutlich gerade aus der Backröhre oder aus der Mikrowelle und Steffi kann mit dem Essen noch gar nicht anfangen.

Tomas hat irgendwelches Fleisch in einer Soße auf dem Teller. Eine Schüssel Reis und ein Salat gehören anscheinend auch zum Gericht. Die Serviererin hat diverse Soßen und Gewürze auf den Tisch gestellt. Vermutlich kehrt er hier öfter ein und es ist bekannt, dass er sein Essen gern scharf mag.

Er kaut jetzt schweigend, und Steffi ist lieber still. Anscheinend mag er es nicht, wenn beim Essen gesprochen wird. Beide sind fast zur gleichen Zeit mit dem Essen fertig, und er raucht die Zigarette danach.

Als die Serviererin zum Abräumen kommt, bestellt er sich einen Tee mit Honig, und Steffi bestellt eine kleine Flasche Wasser.

„Ja, wo waren wir stehen geblieben?“, nimmt Tomas das Gespräch wieder auf. „Wir waren bei meiner Ex. Vielleicht kannst du dir vorstellen, welche harten Zeiten seitdem für mich angebrochen sind. Der Umzug, die Kaution für die neue Wohnung und der Kredit für die Möbel. Ich muss jede Nacht fahren, um meine Zahlungen rechtzeitig tätigen zu können, habe keinen freien Tag und keinen Urlaub. Nur wenn ich mal krank bin, bleibe ich zu Hause.“

„Die Unkosten für die neue Wohnung hatte sie doch auch“, bemerkt Steffi.

Das Gesicht von Tomas wird zu einer bösen Maske.

„Sag mal, ich versuche dir etwas zu erzählen, und du hörst gar nicht zu. Sie ist ja vermutlich mit irgendjemand zusammen gezogen, also haben sich ihre Kosten wohl in Grenzen gehalten. Du kannst keinen Blickkontakt halten, sondern betrachtest dir die Leute, spielst gelangweilt mit der Serviette und machst so einen geistlosen Zwischenruf.“

Wie ein ausgeschimpftes Kind, starrt Steffi ihn fassungslos an.

„Ich kann es für den Tod nicht leiden, wenn mich jemand unterbricht“, sagt er laut zu ihr, zu laut.

Die Serviererin steht am Nebentisch, schaut herüber und lächelt.

Was mach ich jetzt? Suche ich einen Schein aus meiner Geldbörse, stehe auf, werfe ihn auf den Tisch und gehe? Versuche ich, meinen „Zwischenruf“ zu erklären? Oder wehre ich mich laut, wie eine beleidigte Ehefrau?

Steffi geht den Weg des geringsten Widerstands, sagt nichts und blickt in plötzlich kalt gewordene Augen ihres Gegenübers.

Er nimmt den Faden wieder auf und erzählt weiter, als wenn nichts gewesen wäre:

Was das für eine tolle Frau war. Die hatte Kellnerin gelernt, in einem gut gehenden Laden gearbeitet und durch die Trinkgelder sehr viel Geld verdient. Jedes Jahr hatten sie mindestens eine lange Auslandsreise gemacht. Er war schon zweimal in der Karibik und auch in Asien. Aber das ist jetzt alles vorbei, weil er sich keinen Urlaub mehr leisten kann.

Steffi bemüht sich um Blickkontakt.

„Du hörst doch immer noch nicht zu“, sagt er, wieder viel zu laut.

„Wie kommst du darauf, dass ich nicht zuhöre? Ich höre dir zu. Wie lange ist denn das alles her?“

„Lass mich mal überlegen. Das war im Jahre 2002.“

„Da sind doch inzwischen zehn Jahre vergangen und du erzählst es so, als wäre es gestern passiert.“

„Anscheinend verstehst du das nicht. Für mich fühlt es sich so an, als wenn es gestern gewesen wäre.“

„Warst du denn mal bei einem Psychologen, wenn du die Trennung so schlecht verarbeiten kannst?“

„Nein, dazu habe ich weder Zeit noch Geld.“

„Ich war mal bei einem Psychologen in Behandlung, als sie noch da war, wegen Burnout.“

Die Serviererin kommt vorbei und Steffi bestellt sich einen großen Eisbecher mit Sahne und er nimmt ein Tiramisu und einen Kaffee dazu. Es ist nach neunzehn Uhr.

Tomas sieht aus, als hätte Hertha BSC verloren. Steffi weiß nicht, wie sie ihn wieder aufmuntern soll. Nach gefühlten fünf Minuten kommt die Kellnerin erneut und bringt das Gewünschte. Beide genießen schweigend.

„Wir möchten bezahlen“, sagt er.

„Einzeln oder zusammen?“

„Einzeln“, lautet seine kurze Antwort.

Es dauert eine Weile, bis Steffi den riesigen Eisbecher verputzt hat. Die Serviererin bringt zwei Rechnungen auf zwei Tellern. Das Paar legt Scheine und Münzen auf den Teller. Jeder für sich. Als das Geld angenommen wird, packt er noch drei Euro dazu und sagt:

„Hier, noch was für dich.“

„Danke“, kommt leise von der Dame mit der Kellner-Geldbörse.

Er steht sofort auf, zündet sich wieder eine Zigarette an und beide laufen gemeinsam zur Straße. Es ist inzwischen richtig kalt. Steffi ist barfuß in hohen Sandalen und hat ihre Capri-Hose an, dadurch friert sie an den Beinen. Nur der Blazer hält ein bisschen warm.

Die Kellnerin war ihm also bekannt. Er hat sie geduzt. Aber warum hat er ihr so betont ein Extra-Trinkgeld gegeben, wie ein Angeber? Er hätte die Münzen doch gleich mit auf den Teller legen können. Meine Rechnung durfte ich selbst übernehmen. War ich nicht eingeladen? Eigentlich hat er das nicht so direkt gesagt, aber ich habe es gedacht.

Schlendernd und stumm kommen beide am Auto an.

„So, ich fahre dich jetzt zum Südkreuz, denn ich muss mal langsam anfangen zu arbeiten, sonst kommt nichts zusammen bis morgen früh.“

Der Taxifahrer öffnet per Klick die Autotüren.

Als Steffi im Taxi sitzt, sagt sie:

„Ich würde mich freuen, wenn du mich nach Hause fahren könntest. Mir ist kalt. Ich bin ohne Auto.“

„Das sagst du erst jetzt“, poltert er los. „Dann hätten wir früher aufstehen müssen. Jetzt soll ich bis nach Karlshorst fahren, obwohl ich im Westteil der Stadt arbeite?“

„Ich denke, du bist selbstständig und kannst dir das aussuchen.“

„Du unterbrichst mich schon wieder. Ich war noch nicht fertig. Im Prinzip kann ich mir das aussuchen, aber ich bin auf meine Funkgesellschaft angewiesen, die überwiegend im Westteil vermittelt. Die bekommen jeden Monat ein „Schweinegeld“ von mir, und zwar einen festen dreistelligen Betrag gleichgültig, ob sie mir hundert Fahrten vermittelt haben, oder gar keine. So nun bist du dran.“

„Die Details hätten wir am Telefon besprechen können, aber du hast mich nach deiner Einladung nicht mehr angerufen.“

„Also, warum bist du nun ohne Auto gekommen? Wie kann man ein Auto haben und damit nicht fahren? Du hättest es doch hier irgendwo abstellen können. Du musst doch nicht unbedingt Wein zum Essen trinken. Oder? Ich trinke gar keinen Alkohol. Nicht nur aus beruflichen Gründen, sondern, weil ich nichts davon halte.“

„Ich bin nicht mit dem Auto gekommen, weil ich dachte, dass du mich nach Hause fährst. Wir hätten uns während der Fahrt noch unterhalten können. Auch nahm ich an, dass du frei hast und wenn nicht, könntest du ja von Karlshorst aus deine Schicht beginnen.“

„Vielleicht habe ich es am Telefon nicht erwähnt, sondern erst heute, aber ich habe selten bis nie frei. Im Osten gehen die Fahrten meist nur in die Plattenbausiedlungen. Da kenne ich mich nicht aus. Eine grauenhafte, unlogische Nummerierung der Wohnblöcke führen oft dazu, dass man ewig nicht wieder herausfindet und dadurch Zeit verliert. Meistens gibt es in den schmalen Einbahnstraßen keine Wendemöglichkeit. Alles in allem, vergiss es!“

Steffi fühlt sich erneut angemeckert und zieht es vor zu schweigen. Sie denkt nach:

Was ist das nur für ein Mann? Es muss alles so laufen, wie er sich das vorgestellt hat. Ich kanndoch nicht wissen, was es bei ihm für arbeitsmäßige Besonderheiten gibt. In dem Gartenlokal hat er ja wenigstens mal über sich geredet, aber er hat mich behandelt wie ein Schulkind. Wie aggressiv er zwischenzeitlich wurde, nur weil ich zu seinem Beziehungsdrama, etwas gesagt habe. Dieser Mann ist auch wieder nichts für mich. Das wird nichts mit uns beiden.

Mit einem Blick zur linken Seite sieht sie einen in uneleganter Schonhaltung über dem Lenkrad hockenden Fahrer, der jetzt nicht mehr privat, sondern schon beruflich unterwegs ist. Sein Gesicht ist ernst, wirkt eingefroren. Steffi versucht, ihn durch Anstarren aus dieser Rolle zu holen. Aber anscheinend macht es ihm nichts aus angestarrt oder beobachtet zu werden. Das ist er wohl von seinen Fahrgästen gewöhnt. Ein gefährliches Zwielicht bescheint die Straßen, erzeugt durch die einbrechende Dunkelheit und die erleuchteten Geschäfte. Sehr viele Radfahrer bevölkern das Pflaster, missachten die Verkehrsregeln oder fahren ohne Licht.

Nach ungefähr fünfzig Minuten erreicht das Taxi Karlshorst. Als er in ihre Straße einbiegt, unterbricht Steffi das Stillschweigen:

„Halte bitte hier an, den Rest laufe ich. Meine Eltern müssen nicht sehen, dass ich schon wieder mit dem Taxi nach Hause komme.“

Plötzlich sagt er:

„Der erste Abend ist nicht so gelungen. Ich bin sehr überarbeitet und habe mich schon jahrelang mit keiner Frau mehr getroffen. Beim nächsten Mal wird alles besser.“

Steffi ist zu enttäuscht, um ihm diese gelogenen Sätze abzukaufen. Das wirkt alles auswendig gelernt, gestellt und gespielt.

„Ich weiß nicht, ob ein nächstes Mal Sinn macht.

---ENDE DER LESEPROBE---