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Der Berliner Immobilienmakler, Arnim von Henkel, erlebt während einer langanhaltenden schlechten Geschäftslage nun auch eine private Krise. Seine Frau will die Scheidung mit Vermögensteilung und sein Pneumologe hat eine bösartige Veränderung in seiner Raucherlunge diagnostiziert. Um eine Überlebensstrategie zu entwickeln, nimmt er sich 10 Tage frei, die er mit seiner Geliebten Mary Wagner auf der Insel Sylt verbringt, in der Hoffnung, die salzhaltige Nordseeluft könnte seine Krankheit aufhalten. Arnim denkt an seine verkürzte Lebenserwartung und überlegt, was er vor seinem Ableben noch alles tun will. Vom Mord, an mindestens einem seiner beruflichen Konkurrenten, bis hin zur Zeugung eines Kindes, hat er vieles im Kopf. Ein Auftragskiller beobachtet das Paar auf der Insel und wird von Arnim nicht ernst genommen. Es ist ein traumhaft, schöner Urlaub mit luxuriösem Essen und viel Sex. Eines schönen Urlaubstages berichtet Arnim seiner Freundin Mary von seiner Erkrankung und will mit ihr über Veränderungen in der Zukunft sprechen. Doch Mary will den Urlaub unbeschwert genießen und nicht über Lungenkrebs und seine Folgen reden. Mary hat manchmal Angst und ist entweder von Vorahnungen geplagt, oder das Paar wird tatsächlich, von einer seltsamen Gestalt, die aussieht wie der Tod und mit einer Sense bewaffnet ist, verfolgt. Als Arnim und Mary bei einer Nachtwanderung am Strand sind, taucht die Gestalt erneut auf und die Situation eskaliert... Was zunächst so harmlos, in schöner Atmosphäre begann, entwickelt sich plötzlich dramatisch und setzt sich kurios und kriminell fort. Die Handlung spielt jetzt sowohl in Berlin als auch auf Sylt. Hintergründe tun sich auf. Das LKA 1 kommt zum Einsatz. Wird eine Aufklärung der schweren Straftaten gelingen? Die Schauplätze der Handlung in Sylt und auch in Berlin wurden von der Autorin selbst recherchiert.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Inhaltsverzeichnis
Liebesurlaub
Traurige Heimreise nach Berlin
Von Berlin nach Sylt und zurück
2. Teil
Arnim erliegt den Reizen von Sophie
Die Erpressung
Hoffnung auf Befreiung
Die Sache mit dem Auftrag
Auferstanden
Liebe Leserin, lieber Leser,
Urheberrecht
Impressum
Lungentod
1. und 2. Teil
ein Sylt-Krimi
mit viel Liebe von Berlin nach Sylt und zurück
von Petra S. Rosé
Text Copyright 2018/2020/2022/2023
© Petra S. Rosé
Alle Rechte vorbehalten.
Ein überladener Mercedes der S-Klasse rast auf der A 24 seinem programmierten Ziel entgegen.
Am Steuer sitzt der gestresste Immobilienmakler Arnim von Henkel. Neben ihm seine junge, derzeit amtierende Gespielin, die Mary genannt wird, aber eigentlich Maria Wagner heißt. Die hintere Sitzbank und der Kofferraum sind mit Reisegepäck überbelegt.
Arnim erlebt, an diesem frühen Freitagmorgen am 7. August 2015, die Strecke von Berlin nach Hamburg unwirklich, wie in Trance. Außer einer andauernden Flaute beim Immobilienverkauf, ist auch noch sein Privatleben aus den Fugen geraten. Er ist inselreif.
Standesgemäß ist sie, die Insel, erholsam, kultiviert, mit allem was die Seele und der Magen begehren und... sie heißt Sylt. Hier muss er ein paar Tage Urlaub machen, nach dem Ausweg aus seiner persönlichen Sackgasse suchen, Gedankenhygiene betreiben, den Plan B entwickeln und seinen Beziehungsstatus prüfen.
Arnims Ehefrau Verena zeigt ihm völlig unerwartet und erstmalig seine Grenzen auf. Die Ehe hat ihre Sollbruchstelle erreicht. Verena will die Scheidung mit der Hälfte von allem, was Arnim sein Eigen nennt. Sie ist bereits vor gut zwei Monaten innerhalb der großen gemeinsamen Villa am Berliner Wannsee in die obere Etage eingezogen. Das gilt juristisch als getrennt lebend und zählt schon für das Pflicht-Trennungsjahr vor der Scheidung.
Als noch belastender empfindet Arnim, dass ein Spezialist für Lungenkrankheiten ihn mit seinem Gesundheitszustand konfrontiert hat. Im medizinischen Tätigkeitsbereich werden alle Patienten eingeteilt in privat und unheilbar. Arnim scheint beides zu sein. Er ist Privatpatient und erst achtundvierzig, fühlt sich aber so schwer krank, als hätte er schon Totenflecke. Der Pneumologe hat in seiner Lunge eine Stelle geortet, die – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – bösartig ist. Bei einer Biopsie wurde eine Gewebeprobe entnommen, welche sich zurzeit in einem Labor befindet. Da hilft kein Gesundbeten mehr.
Arnim überlegt:
Was habe ich noch zu verlieren? Ich kann mich jetzt jenseits von Gut und Böse bewegen, im gesetzlosen Raum oder ich kann ums Überleben kämpfen, bis ich umfalle.
Der Autobahnverkehr bei Hamburg wird dichter. Arnim nimmt den Fuß vom Gas, verdrängt die totschwarzen Gedanken und konzentriert sich auf die anderen Fahrzeuge. Mary ist mit dem Kramen in ihrer großen beutelförmigen Designer-Handtasche beschäftigt und plappert gehirnwaschend und gebetsmühlenartig vor sich hin. Er kann mit ihrem Gerede nichts anfangen.
Alles nur Dünnsinn, denkt Arnim.
Was das Pärchen nicht weiß:
Auf der Insel lauert bereits ein Auftragskiller, ein verzweifelter Anfänger, für den die Ausführung eines Mordes die letzte Möglichkeit darstellt, um seinem finanziellen Allzeittief zu entfliehen. Wen soll der Killer umbringen? Arnim, Mary oder beide?
Nach gefühlten drei Stunden ist Niebüll erreicht. Die Schlange vor dem Autozug, der über den Hindenburgdamm nach Sylt fahren soll, ist lang und gewunden. Stop-and-go, vorsichtiges Einfädeln in die Waggons des Shuttle-Zugs.
Nach Abfahrt des Zuges genießen die Autoinsassen wahlweise einen Blick auf die Nordsee oder das Wattenmeer. Mary öffnet das Autofenster einen Spalt und saugt die salzige Meeresluft in sich ein. Sie fährtzum ersten Mal nach Sylt und ist schwer gespannt, was diese Insel so besondersmacht.
Nachdem der Auto-Shuttle-Zug ein Stück von Sylt befahren hat und am Bahnhof Westerland hält, fragt Mary:
„Ist es noch weit bis zu unserem Ferienhaus? Ich müsste mal.“
„Schon wieder? Wir wohnen in Kampen. Das ist noch ein Stück hin“, antwortet Arnim ungehalten.
„Solange kann ich es nicht mehr anhalten. Es wird doch hier ein Bahnhofs-WC geben.“
Der Mercedes hat den Shuttle-Zug verlassen und steht im Stau. Gefühlte fünfzig Fahrzeuge vor ihm, müssen alle die gleiche Straße passieren, bevor sich eine T-Kreuzung auftut und die Chauffeure der Luxus-Karossen zwischen linker und rechter Fahrtrichtung wählen können. Für das Paar geht es sogar zweimal links ab, um an den Bahnhofvorplatz zu gelangen, wo Halten erlaubt ist. Der Fahrer ist genervt und meckert vor sich hin.
Als der Halteplatz endlich erreicht ist, eilt Mary in die Bahnhofshalle, das WC suchend.
Arnim hat sich wieder beruhigt, wartet gelangweilt rauchend neben dem Auto und überlegt, ob er nicht allein davon fährt, um schon mal die Schlüssel für das Haus zu holen. Hier sollte eigentlich nur zum Zwecke des Ein- oder Aussteigens gehalten werden. Ein Parkplatz ist das nicht.
Endlich kommt seine Freundin angerannt.
„Wo bleibst du denn, es ist heiß hier und wir müssen uns noch anmelden. Mein Magen hängt vor Hunger bis auf die Knie“, wird sie von Arnim unfreundlich empfangen.
„Stell dir vor, das ist ein Luxus-WC. Alles sieht ganz neu aus mit Marmor, Granit und Edelstahl und der Toilettenmann ist der aus dem Fernsehen, dieser Motombo oder wie der heißt“, erzählt Mary während der Fahrt über die Hauptstraße.
„Der Motombo spielt doch bloß den Toilettenmann. Im richtigen Leben ist er Comedian, Musiker oder was weiß ich.“
Das Navi führt zum Vermittlungsbüro. Hier werden zahlreiche Wohnungen und Ferienhäuser vermietet und verwaltet. Es gibt für zehn Tage die Hausschlüssel und elektronische Karten für den Strandeinlass.
Sylt! Wer hier ein Haus hat, der hat es geschafft!
Nachdem die reetgedeckte Luxusvilla erreicht ist, verliert Mary erstaunt die Sprache. Alles ist geschmackvoll vom Feinsten eingerichtet. Die Einbauküche lässt eine problemlose Selbstversorgung zu.
Eine Waschmaschine, ein Trockner, eine Zweitdusche, ein Fitnessraum und eine Sauna befinden sich im ausgebauten Kellergeschoss.
„Das ist ein Millionenobjekt, kann ich dir in meiner Eigenschaft als Immobilienmakler versichern. Die Häuser haben hier Wahnsinnspreise.“
„Ich dusche noch, bevor wir zum Essen gehen“, ruft Mary, schon auf dem Weg zur Duschkabine.
„Wir wollten doch gleich so los, Maria“, entgegnet Arnim ärgerlich. „Wenn du jetzt unter die Brause gehst, werden deine Haare nass, die Schminke verläuft, und wir kommen erst zum Mittagessen, wenn andere Leute schon beim Abendbrot sind. Ich kann jetzt keinen Notfallfriseur bestellen.“
Die Mary antwortet nicht, weil Arnim sie Maria genannt hat, sondern genießt das fließende, weiche Duschwasser, ohne das Gesicht oder die hochgesteckten blonden Haare nass werden zu lassen. Arnim ist inzwischen auf Nahrungssuche. Außer ein paar Keksen, die so hart sind, dass man sie nur unter Wasser essen kann, ist nichts mehr übrig von der Wegzehrung. Ergo beschließt er, sich auch unter die Dusche zu stellen, wählt aber die Zweite im Keller. Er will nicht für ein Quickie unter fließendem Wasser in Versuchung geraten.
Als das Gebäck alle ist, verlässt Arnim die Nasszelle, sucht nach Mary und findet sie im Schlafraum bei der Kleiderauswahl.
Stoff gilt bei ihr weniger der Bekleidung als der Darbietung.
„Na, bist du nun soweit?“, fragt Arnim, obwohl er selber nur ein Badehandtuch trägt.
„Nein, ich muss mich noch anziehen.“
Es ist kurz nach siebzehn Uhr als das Paar endlich zu Fuß in Henrys Gourmet-Eck eintrifft. Die beiden nehmen draußen Platz, wo geraucht werden darf, und stoßen mit Champagner an.
Auf unseren ersten und vielleicht auch letzten gemeinsamen Urlaub“, sagt Arnim.
„Wieso, vielleicht auch letzten gemeinsamen Urlaub?“, fragt Mary.
„Man kann ja nicht wissen, ob wir nächstes Jahr noch zusammen sind“, bemerkt Arnim ernst und geheimnisvoll zu gleich.
Am ersten Abend möchte er noch keine an die Substanz gehenden Aussagen machen. Seine Partnerin schweigt zu seinem letzten Satz, nur ihre Augen blicken fragend.
Das Menü ist hervorragend. Den köstlichen Wein haben Fachleute preisgekrönt. Mary weiß zu gefallen und ist für alle Männer ein Augenöffner. Arnim drängt zum Aufbruch. Er will den abendlichen Sex noch vor Sonnenuntergang beginnen.
Draußen auf der Promenade fällt ihm auf, dass er sich immer noch zeitlich unter Druck setzt, obwohl er gerade terminliche Freiheit genießt. Er ordnet seine Gedanken:
In diesem ersten Urlaub mit Mary habe ich mir vorgenommen, endlich mal den gemeinsamen Sex richtig auszuleben. Das machen andere Paare auch so.
Zuhause in Berlin kommt es nur zwei bis dreimal in der Woche zu sexuellen Gemeinsamkeiten und ich habe immer das Gefühl, meine Freundin nicht ausreichend befriedigt zu haben, zumindest, was die Quantität anbetrifft.
Eigentlich ist das stundenlange Zusammensein mit Mary in einem Doppelbett die beste Therapie für Arnim, hat er selbst festgestellt. Seine Freundin ist erst neunundzwanzig und entspricht nicht nur äußerlich seinem Geschmack. Sie ist grenzenlos enthemmt und schamlos, ohne ordinär zu sein, verstärkt naturgeil eben.
Arnim hat sich eine Frau zwischen den Beinen noch nie so gut und so tief ansehen dürfen, wie er das bei Mary darf.
Nach Jahrzehnten fühlt er sich jetzt erst dafür entschädigt, dass er eigentlich Gynäkologe werden wollte. Seine Berufswahl scheiterte damals kläglich, weil er nicht einmal zum Medizinstudium zugelassen wurde.
Vielleicht war es ja auch besser so gewesen. Bestimmt würde mich heute gar nichts mehr erregen, wenn ich täglich viele nackte Patientinnen hätte, die vor mir die Beine öffnen müssten. Das Abtasten von Brüsten in jeder Form und jeden Alters, wäre mir auch irgendwann zu viel geworden, denkt er heute darüber.
Es ist relativ leicht für Arnim, seiner Geliebten multiple Orgasmen zu entlocken. Außer kaltem Sekt benötigt sie, zumindest in der ersten Stunde, keinerlei Hilfsmittel. Einige Sex-Toys haben zwar beide gemeinsam ausgesucht und gekauft, aber hier war Arnim eher derjenige, der den Drang hatte, Neues auszuprobieren. Mary kann immer, wenn Arnim will, auch ohne diverse Stimulationshilfen. Sie mag alles außer Kondome und SM-Praktiken. An ihrer Seite fühlt sich Arnim sehr männlich und als guter Liebhaber bestätigt.
Der Fußweg zum Friesenhaus ist beendet und Mary entledigt sich im Wohnzimmer sofort ihrer Kleidung, nimmt auf der Sonnenseite der Tischkante Platz, setzt ihr Unschuldsgesicht auf und spreizt die Beine.
Sie will mich jetzt auch wieder, denkt Arnim und lässt, ohne einen Blick von ihr zu lassen, seine teure Garderobe auf den Fußboden gleiten.
Der zweite Tag auf Sylt erwacht früh.
„Kaffee?“ fragt Arnim seine neben ihm liegende Freundin.
Mary steht auf und stellt in der Küche fest, dass kein Kaffee da ist und auch alles andere für das Frühstück erst gekauft werden muss, denn es ist eine gemietete Villa und kein Hotel.
Daran hätte die Mary gestern denken müssen, hat sie aber nicht. Sie hat nur an Sex gedacht. Mit meiner Frau wäre das nie passiert, überlegt Arnim. Die hätte nur ans Essen gedacht.
Er steht auch auf und geht zum Husten und Duschen in den Keller.
Was nun?, fragt er sich, als er wieder nach oben kommt.
Mary hat die Küche verlassen und sich jetzt in einem der Koffer festgesucht.
Ich werde sie erst mal ins Bett holen und da weitermachen, wo wirgestern Nacht aufgehört haben, beschließt Arnim.
Er genießt seine Freundin gern ungeduscht, so wie sie morgens im Bett liegt, nur mit leichtem gestrigen Duft. Auch das mag er an ihr. Sie hat einen sehr erregenden eigenen Geruch, der auf Arnim wie ein Lockstoff wirkt. Gerade wundert er sich wieder über seine Libido und Potenz, denn eigentlich ist er ja schwer krank.
Leider ist an diesem Morgen zeitliche Begrenzung beim Sex notwendig, denn die gurgelnden Verdauungsorgane stören und erinnern an den Hunger.
Nach flinkem Zurechtmachen fahren beide mit dem Auto bis Wenningstedt zu Feinkost-Meyer, kaufen im Schnelldurchlauf gleich für den ganzen Urlaub ein, bis auf Brötchen. Die gibt es an der nächsten Ecke täglich warm. Es ist weit nach zehn, ehe das Paar endlich im sonnigen Garten zu frühstücken beginnt.
Der Parkplatz vor dem Strandzugang, mit Blick auf den Leuchtturm von Kampen, ist mittags fast voll und Arnim hat zu tun, den großen Mercedes in eine Parklücke zu manövrieren.
An einer Hütte bei den Dünen werden die elektronischen Karten registriert und ein Strandkorb angemietet. Vor den Augen von Maria und Arnim entfaltet sich zum ersten Mal seit ihrer Ankunft, das ganze traumhafte Panorama mit breitem, weißem Strand, rotem Kliff und weiterNordsee.
Nicht ins Bild passen Planierraupen, ein Bagger, ein Kran und diverse rostige, wie eine Pipeline verlegte, Rohre, die anscheinend zum Befördern von Meeressand dienen. Alle Strandkörbe sind weit weg vom Ufer an den Dünen aufgereiht. Der steile Hang neben der hölzernen Aussichtsplattform führt zum Meer und an einem Schild vorbei, auf dem die mehrere Jahre andauernden Arbeiten erläutert sind. Sand muss vorgespült werden, weil sich das Meerwasser fortlaufend viele Strandmeter von Sylt zurückholt, auch vom Strand des reichen Ortes Kampen.
„Das ist wieder typisch für meine Sekretärin, von Bauarbeiten hat sie nicht berichtet, als sie mir das Ferienhaus im Internet gezeigt und anschließend gebucht hat. Jetzt müssten ja auf Sylt die Preise gesenkt sein, für die Gaststätten mit Blick auf den Strand oder zumindest für die Strandkörbe. Es ist Hauptsaison und die Arbeiten werden lautstark am Tage ausgeführt“, meckert Arnim. „Als ich das letzte Mal geschäftlich hier zu tun hatte, war von Strandarbeiten noch nichts zu sehen oder zu hören.“
„Vielleicht hat das nicht im Internet gestanden und bei der Buchungsbestätigung wurde das auch von niemanden erwähnt“, versucht Mary, die Sekretärin von Arnim zu verteidigen. „Wir sind jetzt hier und das betrachte ich als Kismet.“
Wie sehr Mary mit diesem Satz Recht behalten sollte, wusste in diesem Moment keiner von beiden.
Im Strandkorb neunundsechzig angekommen, cremen sich beide mit Sonnenschutzmitteln ein und wickeln sich die beiden mit Handtüchern die Ohren zu, um den Baulärm nicht allzu laut hören zu müssen.
Wie wunderschön meine Mary ist, denkt Arnim.
Schon ihr Anblick wirkt erregend. Sie sieht aus wie ein lebensgroßes Poster. Na gut, da hat der Chirurg etwas nachgeholfen und die Oberweite vergrößert. Die Haare wurden vom Hairstylisten verlängert, und das Gesicht hat Botox. Aber alles andere ist echt und selbst gepflegt. Eine Frau zum Lieben und Vorzeigen, solange sie nicht sprechen oder Fragen beantworten muss. Dann wirkt sie etwas naiv.
An ihrem Arbeitsplatz, dem gemeinsamen Ort des Kennenlernens, in der Anmeldung einer Privatpraxis, ist die Konversation zum Glück auf die Terminierung beschränkt. Da wirkt sie schön und klug.
Doch Arnim hatte damals mit seiner Erfahrung als Frauenkenner sofort gesehen, sie ist keine Business-Lady und ihre besten Freunde wohnen im Schuhschrank. Er mochte sie trotzdem von Anfang an und pflegte zeitgleich das dringende Bedürfnis, sie auf den Probiertisch zu nehmen.
Die Flut hat weite Teile des sandigen Ufers überspült. Mary geht allein zum Wasser, mit einem viel zu kleinen Bikini bekleidet. Ihre Haare werden von signalgrünen Spangen oben gehalten, damit die Badende in den Meereswellen besser zu sehen ist.
Arnim bleibt im Strandkorb, um auf die Sachen zu achten und um nachzudenken. Die Zigaretten schmecken hier nicht. Also macht er lieber Atemübungen. Salzige Meeresluft ist gut für seine Lunge.
Wenn ich nur noch ein paar Monate zu leben habe, grübelt er, was möchte ich noch tun, wovon habe ich immer geträumt und es nicht erreicht?
Zum Beispiel, was wäre es für ein Gefühl, eine Bank zu überfallen? Wie fühlt sich das an, mit dem Fallschirm abzuspringen oder mit dem Bungee-Seil?
Was andere Männer sich vielleicht wünschen würden, kommt für mich nicht in Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, eine Frau zu vergewaltigen und dabei noch Spaß zu empfinden. Mit zwei Frauen gleichzeitig, war ich schon öfter im Bett. Das war mir zu anstrengend, weil die gekauften Liebesdienerinnen meine Potenz auf den Prüfstand nahmen und versuchten mich von einem Höhepunkt zum anderen zu treiben. An eigene Befriedigung durch mich, hatten sie keinerlei Interesse. Lieber beschäftigten sie sich miteinander. Für mich ist und bleibt Sex – ohne den Orgasmus einer Frau – nur die Hälfte wert.
Auf jeden Fall muss ich ein Vermächtnis schreiben, denkt er, wo endlich mal zu Papier gebracht wird, was ich über bestimmte Personen weiß, was einige Saubermänner, die hinter den Kulissen von Geld und Macht agieren, sich geleistet haben.
Der Grübler stoppt abrupt das Gedankenkarussell im Kopf. Mary ist nicht mehr zu sehen.
Er nimmt die Tasche mit Geldbörsen, Kreditkarten und Schlüsseln und läuft barfuß, nur in Badehose, so schnell der tiefe Sand es zulässt, Richtung Meer. Es sind, wie immer hier in Kampen, nur wenige Menschen zwischen den Wellen und am Strand auszumachen, obwohl es sehr sonnig und warm ist. Mary ist nicht dabei.
Arnim dreht sich um und blickt zurück. Plötzlich sieht er sie neben einem Strandkorb stehen.
Erleichterung.
Zugleich steigt Eifersucht in ihm auf. Was will sie an diesem Strandkorb? Wer sitzt darin? Er läuft darauf zu, um seinem Misstrauen Gewissheit zu verschaffen.
Ich will sie nicht teilen, denkt er. Noch kann ich das verhindern.
Als Mary ihren Freund auf sich zukommen sieht, rennt sie ihm entgegen.
„Stell dir vor, hier im Strandkorb sechsundsechzig saß ein Mann im schwarzen Bademantel mit Kapuze, der hat mir zu gewinkt, ewig und immer wieder. Da habe ich das Wasser verlassen und bin hingelaufen, um mal zu sehen, ob das ein Bekannter von mir ist. Aber als ich ankam, war der Strandkorb leer. Ist dir so ein ganz in schwarz gekleideter Mann vielleicht begegnet?“
„Nein. Wenn hier irgendeiner in die Gegend winkt, dann fühlst du dich gleich angesprochen und eilst dorthin?“
Kopfschüttelnd und Arnims aufsteigenden Zorn spürend, sagt Mary rasch:
„Gib her die Tasche. Du kannst jetzt ins Wasser gehen. Ich warte im Neunundsechziger auf dich.“
Arnim blickt seine Freundin strafend an, schluckt weitere Fragen und Bemerkungen herunter, gibt ihr die Tasche und läuft wieder los Richtung Ufer, ohne sich noch einmal umzusehen.
Viel zu schnell vergehen die erholsamen Stunden zwischen Salzwasser, Meereswind und satter Augustsonne. Gegen fünfzehn Uhr wird die Luft kühl. Die beiden ziehen sich an, verlassen den Strand barfuß, durch den heißen Sand stapfend, bis der feste Weg am kombinierten Ein- und Ausgang erreicht ist.
Mit der Limousine fahren sie zum Essen.
„Odin“ heißt die Gaststätte, wo man an einer Theke seine Speisen selbst aussuchen darf und die Bestuhlung überwiegend aus Barhockern besteht. Das Sortiment geht von warmen und kalten Gerichten über Konditoreiwaren bis zum Eis.
Draußen im Vorgarten belegen Arnim und Mary die beiden letzten Hocker unter einem großen Sonnenschirm.
Raucherzone.
Mary holt zwei Portionen von der Filetpfanne und eine Serviererin trägt den Riesling im Kühler hinterher. Nur gastronomisch betrachtet, hätte das Paar es bis in den späten Abend hier aushalten können, aber die Hocker sind unbequem und fordern zum Absitzen auf.
Der Mercedes muss vorerst hier bleiben.
Mit mindestens einem Promille im Blut erreichen sie das nahegelegene Ferienhaus. Mary bestückt den großen Einbauwandschrank. Teil für Teil holt sie ihre Designer-Garderobe aus den Koffern.
Arnim ist vor dem Fernseher eingeschlafen.
Als er aufwacht, hat sie inzwischen ein feinköstliches Abendessen gestaltet und Arnim beschließt, die unangenehme Mitteilung über seine Erkrankung erneut zu verschieben.
Die nächsten Schön-Wetter-Tage laufen nach ähnlichem Muster ab. Die beiden Seeurlauber gehen in das „La Grande Page“ am Kampener Strand, dass man auch in Strandkleidung betreten darf, abends in das „Go-Gärtchen“ oder den „Kampener Pesel“. Obwohl beide Einrichtungen mit neuer Besetzung geführt werden, sind das Restaurants, die weit über die Inselgrenzen hinaus bekannt sind.
Zweimal täglich lieben sich beide so intensiv, wie es zu Hause in Marys Wohnung aus Zeitgründen selten möglich war.
Störend ist nur, dass Mary sich beobachtet fühlt, immer wenn es draußen längst dunkel ist. Sie glaubt, den Schatten einer Gestalt wahrzunehmen, die mit einer Burka oder Ähnlichem bekleidet, mal an diesem oder an jenem ebenerdigen Fenster steht und versucht, an den Seiten der Vorhänge vorbei in das Schlafzimmer zu blicken. Doch immer, wenn sie Arnim auf den Schatten hinweist, behauptet er, niemand sei zu sehen oder die Gestalt ist tatsächlich verschwunden.
„Alles Hirngespenster“, meint Arnim zu seiner Geliebten. „Eine Treppe höher ist auch ein Schlafraum, da müsste sich der vermeintliche Spanner erst eine Leiter holen, wenn er uns beobachten will. Aber da sind dir ja für unsere sexuellen Aktivitäten die Wände zu schräg.“
Mary möchte ihre Ängste jetzt nicht weiter ausbreiten. In ihrer Fantasie stellt sie sich vor, die Gestalt würde unten einbrechen, während Arnim und sie sich im Liebesrausch befinden und die Geräusche eines Einbruchs nicht hören.
Eines Morgens kündigt das Wetter einen Wechsel an. Der Wind treibt die Wolken über die Sonne. Das Paar befindet sich zu Fuß auf den markierten, an- und absteigenden Pfaden der großen Naturschutzgebiete der Insel. Wie ein junges Mädchen läuft Mary voraus, fotografiert Wildröschen und Schmetterlinge und freut sich über die Unversehrtheit der Natur.
Wie sorglos und wie fröhlich sie ist. Sie ist eine so liebevolle Frau, die niemand etwas neiden würde oder etwas antun könnte. Vermutlich hat es in ihrem Leben noch keine gravierenden Schicksalsschläge gegeben, überlegt Arnim, während er rauchend und bedächtig hinter ihr her bummelt.
Wenn ich demnächst diese Welt verlassen muss, könnte ich eigentlich noch jemand mitnehmen. Aber wen? Der Mary würde ich nichts antun. Sie ist noch so jung, und ich muss zulassen, dass sie ihr Leben auch ohne mich weiter lebt. Feinde habe ich keine, nur Konkurrenten, die mir mehr als einmal mit unlauteren Mitteln ein Geschäft weggeschnappt haben. Von diesen „Falschspielern“ ist mindestens einer hier überflüssig auf dieser Erde. Aber wenn schon Mord, dann intelligent und perfekt. Manche Menschen haben es nicht anders verdient. Während ich aussagefähige Videos über die zu verkaufenden Immobilien im Internet eingestellt habe und zahlreichen Begehungen in den Verkaufsobjekten beigewohnt habe, kam plötzlich die Konkurrenz mit einem solventen Kunden oder Strohmann daher, der sofort kaufen wollte. Damit ist mir die Maklerprovision im Ganzen oder zumindest teilweise entgangen. Was im Netz steht, kann eben jeder sehen, und wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
Meine Frau Verena kann ich auch nicht ermorden, sie soll mich ja pflegen oder zumindest meine Pflege bis zu meinem Ableben organisieren.
Plötzlich bleibt Mary ruckartig auf dem Naturschutzpfad stehen. Sie sieht auf einer Anhöhe eine Gestalt, die einen schwarzen Umhang trägt.