Ich möchte lieber nicht - Juliane Marie Schreiber - E-Book

Ich möchte lieber nicht E-Book

Juliane Marie Schreiber

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Beschreibung

Warum positives Denken uns nicht weiterbringt, Schimpfen aber schon Dieses Buch ist ein Aufruf zum Widerstand gegen die Ideologie unserer Zeit: den Zwang des Glücks. Ratgeber und Duschbäder fordern uns auf, positiv zu sein. Wir sollen Scheitern als Chance begreifen und ständig unser Selbst entfalten. Doch der Terror des Positiven nervt, belastet jeden von uns und schwächt den Zusammenhalt: Wir betrachten Glück als Prestige und verstehen politische Probleme als persönliches Versagen. Das zeigt nicht nur die psychologische Forschung, sondern auch die Geschichte. Dagegen hilft nur Rebellion: Schimpfen ist Ausdruck gelebter Freiheit, ohne Schmerz gibt es keine Kunst, und Wut ist der Motor des Fortschritts. Denn die Welt wurde nicht von den Glücklichen verändert, sondern von den Unzufriedenen. »Die Wahrheit tut weh, darum wird Schreibers Buch Sie nicht glücklich machen. Aber es wird Sie zum Denken bringen, und das ist das Einzige, was heute zählt.«Slavoj Žižek »Beschissen drauf sein endlich wieder salonfähig machen! Das Wort ›negativ‹ endlich wieder positiv besetzen!«Shahak Shapira

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: FAVORITBUERO, München

Illustration: Hauck & Bauer

Der Abdruck folgender Zitate erfolgte mit freundlicher Genehmigung von:

Karl Ove Knausgård, Sterben. Aus dem Norwegischen von Paul Berf. © Luchterhand Literaturverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München 2011.

Frida Kahlo/Christina Burrus, Ich male meine eigene Wirklichkeit. Aus dem Französischen von Michaela Angermair. © Schirmer/Mosel Verlag, München 2021.

Eric Jarosinski, Nein. Ein Manifest. Aus dem Englischen von Martina Wiese und Eric Jarosinski. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015.

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

 

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

 

 

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Erster Teil

Der Terror des Positiven

Es folgt der endgültige Beweis: die Hölle aus Tüll

Die beste Version deines Selbst

Scheitern als Chance

Haarausfall als Chance

Das Gift des Glücks

Denk positiv und sei still

Wir inszenieren uns zu Tode

Hygge me much

Lach oder stirb

Glück als Prestige

Das Paradox der Neoromantik

Nein, du kannst nicht alles schaffen, wenn du genug an dich glaubst

Master of the Universe

Das Märchen von der Leistung

Die Glücksformel

Baby, der Markt regelt

Die individuelle Revolution

Kriegstrauma einfach weglachen

Coaching – Der Abgrund blickt zurück

Löwe zu sein ist eine Entscheidung!

Auf der Suche nach dem verborgenen Selbst

Der Abgrund blickt zurück: Irrtümer der Introspektion

I don’t trust my inner feelings

Vom Wachstum

Die Stoiker in der Baugrube

Glück als psychische Störung

Das Glückssyndrom

Verliebtheit ist nur ein Mangel an Serotonin

Tötungshemmung

Ein Volk in Euphorie

Glückstaumel ohne Rücksicht

Zweiter Teil

Ein Leben ohne Schmerz ist möglich, aber sinnlos

Schmerz rettet Leben

Seelischer Schmerz

Von der Trauer

Schmerz als Schwäche

Willkommen in Ihrer Komfortlounge

Die unerträgliche Unsichtbarkeit des Leids

Von Murrköpfen

Weltschmerzbewältigung

Schöner schimpfen

Schimpfen im Schutzraum

Vom Quetschen und Knötern

Die Kunst des Schimpfens

Leidkultur

Depressiver Realismus

Hello Darkness

Mit Depressionen sieht man besser

In dubio pro dubio: Im Zweifel für den Zweifel

Optimisten haben weniger Humor

Eine Kultur des Negativen

Die Weltliteratur der Depressiven Realisten

Pessimisten leben länger – leider

Das große Herz der Nicht-Glücklichen

Das Negative ist politisch

Die Autonomie des Nein

Horror Vacui

Unterdrückt vom Glück

Die Schönheit des Ringens mit sich selbst

Zeit für Nein

Nach Bataclan

Ausblick (in die Dunkelheit)

Nein oder Nichtsein

Ein Manifest des Nein

Die große Selbsttäuschung

Der diskrete Charme der Verweigerung

Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens

Ehrliche Danksagung

Literatur

Internetquellen

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Erster Teil

 

Ein Mann steht vor dem Rest seiner eingetrockneten Zimmerpflanze. Er schimpft. Hätte sie eben mal positiv gedacht! Die Pflanze schweigt. Einfach eingeschrumpelt ist sie. Selbst schuld, was steht sie hier auch so blasiert herum, hätte sich ja auch mal anstrengen können. Die Zimmerpflanze hat sich vor ihrem Ableben durchaus zahlreiche Vorwürfe gemacht, aber es half nichts, sie starb trotzdem.

In dieser Karikatur zeigt sich ein ganz grundlegendes Ärgernis unserer Zeit, nämlich der Irrsinn des positiven Denkens. Man könnte auch sagen: der Terror des Positiven. Positives Denken gilt als Allheilmittel für das Leid der Welt. Überall heißt es: »Sei glücklich!« oder: »Du kannst alles schaffen, wenn du nur wirklich an dich glaubst!«. Und es gibt kein Entkommen. Ich bin mir sicher: Immer, wenn jemand zu einem völlig unpassenden Zeitpunkt darauf hingewiesen wird, er solle doch nur »nicht so negativ sein«, es werde schon »alles gut«, stirbt irgendwo auf der Welt ein Gewächs ab.

Der gesellschaftliche Druck, unter allen Umständen positiv zu sein, ist so hoch wie noch nie. Glück ist zum Fetisch geworden. Unternehmen, Denkfabriken, Coaches, Nachbarn und vor allem die Werbung terrorisieren uns damit, positiv zu sein. Und mehr noch, sie stigmatisieren diejenigen, die es nicht sind.

Dieser Glücksterror hat Rückenwind von einer neuen Psychologieströmung bekommen, der Positiven Psychologie, die sich seit ihrer Entstehung Ende der Neunzigerjahre in der westlichen Welt ausgebreitet und – wenig überraschend – eine umsatzstarke Industrie im Rücken hat. Ihrer Grundidee nach gelingt ein glückliches Leben vor allem dann, wenn man negative Gedanken und Emotionen konsequent vermeidet und sich auf das Positive fokussiert, selbst, wenn das »vielleicht auf Kosten« des »Realismus« geht.[1] Das Glück hänge stark von individuellen psychischen Faktoren ab, sagen Positive Psychologen. Also: Wählen Sie das Glück! Es reicht nicht mehr, bloß durchschnittlich gelaunt zu sein. Sie müssen vor Glück geradezu triefen. Traurigkeit oder Zweifel zu zeigen gilt als Schwäche, und erst recht muss man aus jedem noch so existenziell einschneidenden Rückschlag etwas lernen. Denn, oh ja, Sie haben immer die Wahl, alles ist eine Frage der Sichtweise, Sie müssen sich nur zu Ihrem Glück entscheiden!

Wie, Sie wachen morgens nicht unter Freudentränen auf? Was ist denn mit Ihnen los! Sie sind krank? Tja, hätten Sie eben mehr Detox und Stretching gemacht! Sie sind schwer krank? Das kommt von Ihrer negativen Einstellung! Sie haben Ihren Job verloren? Waren Sie wohl nicht optimistisch genug, was? Na ja, sehen Sie es positiv, jetzt können Sie endlich Ihre Fotoalben einkleben, auch schön.

Egal, was Ihnen passiert, der Ball liegt immer in Ihrem Feld. Es liegt an Ihnen, wie Sie sich fühlen. Auch Scheitern ist eine Chance! Das hat man während der Corona-Pandemie ganz eindrücklich gesehen: Wer den Lockdown nicht sinnvoll genutzt hat, um Portugiesisch zu lernen und das Gesamtwerk von Dostojewski zu lesen, war einfach selbst schuld und hatte eben nicht das »Mindset« eines echten Gewinners, sorry!

 

Wenn ich so etwas höre, denke ich jedes Mal: Ich möchte lieber nicht.

 

Die einzige sinnvolle Antwort auf einen Zeitgeist, der dem Terror des Positiven unterworfen ist, lautet Verweigerung. In einer Welt, in der man aus jedem Problem und jeder Krankheit etwas lernen muss, in der die exzessive Nabelschau alle in den Wahnsinn treibt, kann es nur eine richtige Haltung geben: die Haltung des Nein.

Nein, wir können nicht alles sein, wenn wir nur fest genug daran glauben. Und nein, nicht jeder ist seines Glückes Schmied. Es gibt viele Ungerechtigkeiten und Tragödien, für die der Einzelne nicht verantwortlich ist. Nur wer das erkennt, kann überhaupt die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern.

Wenn wir aber aufhören, uns selbst zu täuschen, merken wir: Positives Denken setzt uns gleich dreifach unter Druck. Wir sind unglücklich, wenn wir uns nicht gut fühlen. Wir machen uns außerdem einen Vorwurf, dass wir unser Leid nicht als Chance begreifen. Und wir halten anderen gegenüber ständig unsere Glücksfassade aufrecht: »Ja, es läuft gerade alles richtig super, klar, und bei dir?!« Und als wäre das noch nicht genug, wirken soziale Medien als Brandbeschleuniger für diesen demonstrativen Glückskonsum, den wir als Statusinvestition begreifen. Das ständige Kreisen um uns selbst macht alles nur noch schlimmer, denn auf der Suche nach Perfektion wühlen wir so lange im Abgrund unserer Seele herum, bis der Abgrund irgendwann wirklich zu uns zurückblickt.

Doch positives Denken geht nicht nur allen auf den Wecker, es führt auch dazu, dass wir egoistisch werden und glauben, jeder habe sein Schicksal selbst verdient. »Eigenverantwortung« ist ein Kampfbegriff, um die wachsende soziale Ungleichheit den Einzelnen in die Schuhe zu schieben. Der Terror des Positiven ist somit auch politisch, denn er stabilisiert den Status quo.

Außerdem ist Optimismus nur ein Mangel an Information, und Glück lässt sich medizinisch auch als psychische Störung betrachten. Optimisten leben gar nicht länger, es gibt kein wahres Selbst, und die Coachifizierung des Innenlebens macht uns zu seelischen Hypochondern.

Um all diese Themen geht es im ersten Teil des Buches: um das Negative am Positiven, die negativen Folgen des Glücksterrors.

Im zweiten Teil des Buches geht es genau um das Gegenteil: das Positive am Negativen. Negatives Denken hat nämlich viele Vorteile. Es macht uns engagierter, kritischer, vorsichtiger; es erhöht unsere Lebenserwartung und schützt uns vor Manipulation. Schmerzen retten unser Leben, Schimpfen befreit uns und wirkt wie ein natürliches Heilmittel. Selbst Wut und Neid sind oft berechtigt und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Das gilt auch für den großen Maßstab: Negatives ist der Motor der Geschichte. Die Welt wurde nicht von den Glückseligen verbessert, sondern von den Unzufriedenen. In einer hedonistischen Zeit von Überangebot und Ablenkung ist ein Leben in Selbstbestimmung überhaupt nur möglich, wenn man sagt: Ich möchte lieber nicht. Kurz: Nein.

Wenn Sie sich auch schon mal entnervt gedacht haben, ach, haut doch alle ab mit eurer blöden Happy-Hippo-Heuchelei, dann: Herzlich willkommen in diesem Buch.

Es ist umständlich geschrieben, macht nicht glücklich, aber dafür wurde es mit dem Mittelfinger getippt.

Der Terror des Positiven

»Herr Professor, gestern schien die Welt noch in Ordnung.«Adorno: »Mir nicht.«[2]

 

Mein Duschbad belehrt mich. Zu dieser Feststellung gelangte ich neulich in der Drogerie. Erinnern Sie sich noch an das letzte Jahrhundert, als Badezusätze ganz simpel »Frischekick« oder »Blütentraum« hießen? Nun weiß ich nicht mehr, ob ich bei Rossmann oder beim Therapeuten bin, denn die neuen Tuben schreien mich an: »Sei frei, verrückt und glücklich!« (Es heißt wirklich so.) Das Duschbad des Grauens wird so angepriesen: »Der sonnige Duft nach Orange sprüht vor Glück und schenkt so ein Gefühl der Leichtigkeit.« Ich möchte bitte nicht, dass da was sprüht. Dabei hat die allerneueste Produktversion nicht mehr nur »sonnigen Glücksduft nach Orange«. Nun soll auch noch, na klar, »Glücksklee« enthalten sein. Unter den Inhaltsstoffen befindet sich eine Pflanze, die zwar wie ein riesiger Glücksklee aussieht, aber die Wirkung von ganz normalem Rasen hat.

Eine Etage tiefer steht ein anderes Duschbad in peppigem Lila: »Sei frech, wild und wunderbar!« Bitte nicht. Doch die Tube trägt das Versprechen: »Der spritzig-freche Duft nach Brombeere sprüht vor Heiterkeit und schenkt so ein Gefühl der Ausgelassenheit!« Puh. Ich platze auch gleich vor lauter Heiterkeit – und erwerbe ein schönes Stück Kernseife.

 

Noch vor wenigen Jahren wurden Produkte anhand ihrer Inhaltsstoffe oder ihrer Wirkung verkauft: Die Seife macht sauber und duftet ein bisschen. Heute sind die Inhaltsstoffe Stellvertreter für einen ganzen Lebensstil. Die Orange im Duschbad soll nicht nur gut riechen, nein, ich soll auch so werden wie sie, spritzig und frech! Die Produkte sagen nicht mehr nur, was sie enthalten, sondern was der Käufer mit seinem Leben anstellen kann, wenn er sie erwirbt. Das verdeutlicht einen großen Wandel in der Konsumkultur. Es kommt immer mehr auf Selbstverwirklichung an, den Ausdruck der eigenen Hyperindividualität. Und das auch beim Kauf eines seifenhaltigen Körperpflegeprodukts. Duschen wird dann zum gigantisch-spritzigen Wassererlebnis und Kaffeetrinken zur hochexotischen Reise der Sinne in den guatemaltekischen Regenwald. Warum wollen wir so was?

Den Hang zur Singularisierung hat der Soziologe Andreas Reckwitz beschrieben.[3] So streben Menschen, sobald ihr materieller Besitz gesichert ist, nach dem Besonderen und Einzigartigen. Das können Kunstwerke sein, seltene Türklinken oder handgemeißelte Marmorplatten für die Kücheninsel. Noch besser sind aber Erlebnisse, die schon ihrer Natur nach einzigartig sind, weil sie sich nicht wiederholen lassen: Dschungelexpeditionen in Sumatra oder Wingsuit-Fliegen in den Dolomiten.

Warum so speziell, fragt man sich. Man könnte Reckwitz hier existenzialistisch interpretieren: Wir wollen unser eintöniges Alltagsleben aufwerten. Es soll so besonders wie möglich und damit auch so glücklich wie möglich sein. Denn das Leben ist oft grau und beschwerlich, und das Besondere verspricht eine kurze Ausflucht. Gerade hier wird die Produktwerbung so absurd: Während eine Weltreise wirklich einzigartig ist und aus dem tristen Trott heraussticht, ist das Versprechen magnetischer Männlichkeit mittels massenhaft produzierter Deoroller das Gegenteil von Einzigartigkeit. Theodor Adorno sah den Gegenentwurf zur Konsumkultur in der Kunst, nämlich in einem Versprechen, dessen Einlösung immer gebrochen ist.[4] Die heutige Produktsprache dagegen ist ein Versprechen, das man niemals einlösen kann.

 

Ganz ähnlich verhält es sich mit Nahrungsmitteln. Mit dem ehrgeizigen Vorhaben, mir einen schnöden schwarzen Tee zu kaufen, gehe ich in den Supermarkt. Im Regal natürlich ein Überangebot an pastelligen Schachteln in den Farben eines impressionistischen Sonnenaufgangs. Ich brauche fünfundzwanzig Minuten, um annähernd eine Orientierung zu finden, und habe hinterher meinen Namen vergessen. Und den Grund, warum ich überhaupt hier bin. Tee in der Geschmacksrichtung Sahne-Buttercreme, Blaubeermuffin, Osterspaziergang, Meeresfrüchte, Heringsfilet … Nee, zu weit gelaufen, das ist schon das nächste Regal. Die Unmengen an Fitness- und Abnehmtees sind noch harmlos gegen die abgedrehten rosafarbenen »Frauentees« mit der Beschreibung »geheimnisvoll, leicht und lieblich«, »für mehr Einfühlungsvermögen« (ja, auch das ist ein Originalzitat). Natürlich, daneben steht passend dazu der »Männertee«, der auch völlig ironiefrei »stark, herb und würzig« ist. Spätkapitalismus am Limit. Sind denn alle bescheuert geworden? Es ist nicht mehr weit bis zum schwarzen »Männerpfeffer«: roh, scharf und kernig. Oder zur roséfarbenen »Frauenbutter«, cremig, streichelzart und formbar.

 

Was einem aber am allermeisten auf den Zeiger geht: Kaum eines dieser Produkte kommt noch ohne Imperativ aus: »Sei schön Tee!«, »Schlaf gut Tee!«, »Träum süß Tee!«, »Arbeite produktiv Tee!«, »Fuck you Tee!«. Dann endlich, in diesem Regal aus der Hölle, finde ich einen Kräutertee. Aber, ach schade, es handelt sich um einen »zitronigen Wirbelwind mit frischem Finale«. Dazu passen dann nur noch der »schwedische Frischekick« auf dem Streichfett und die »Power-Berry-Exotik« auf der Trockenobstmischung. Bitte nicht. Ich will überhaupt kein Finale. Wie bin ich eigentlich in diese aufbrühbare Selbsthilfegruppe geraten? Ich gehe wieder nach Hause und trinke seitdem nur noch eisenhaltiges Leitungswasser.

 

Der dominante Imperativ auf der Teepackung ist kein Zufall. Er versinnbildlicht, was der Soziologe Zygmunt Bauman mit einer neuen »Command Culture« beschreibt.[5] Fußte unsere Moral früher noch auf Verboten, die besagten: »Tu dies oder jenes nicht«, basiert sie heute auf Kommandos: »Sei produktiv, reich und dünn!« Die Normen haben sich gewandelt von einem »Du darfst nicht« zu einem »Du musst«. Das führt natürlich unweigerlich zur Erschöpfung – und erschöpft sind wir alle. Du sollst dich überall mit Leidenschaft einbringen, dich verwirklichen, und du sollst dabei auch noch sehr glücklich sein! Bauman beschreibt, dass die Menschen früher beim Therapeuten waren, weil sie unter ihrem Sexualtrieb litten und ihre Wünsche nicht ausleben konnten. Heute ist es umgekehrt: Weil wir ständig etwas wollen sollen, haben wir weder Lust noch Kraft.

Und das gilt für fast alles im Leben. Man soll tun, was man liebt, es soll Spaß machen, aber auch sinnvoll sein: Make a difference! Die Soziologin Eva Illouz sieht darin die Vermengung von Gefühlen und Ökonomie, was sie in ihrem Buch Der Konsum der Romantik als »emotionalen Kapitalismus« beschreibt.[6] Während die Wirtschaft immer mehr unsere intimen Emotionen anspricht, richten wir umgekehrt unser Gefühlsleben auch immer mehr an marktkonformer Wirtschaftlichkeit aus.[7] Beispiele dafür findet man überall: Unsere individuelle Vorstellung von Liebe und Romantik ist von Klischees wie der Ristorante-Tiefkühlpizza-Werbung geprägt. Wir können diese »romantische Utopie« also für 3,99 € erwerben. Gleichzeitig wird der Baumarkt, in dem man graue Spreizdübel kauft, zum emotionalen Abenteuer der privaten Selbstverwirklichung. So wie Gesichtscreme sagt: »Weil ich es mir wert bin«, sagt die Fliesenfachabteilung: »Du kannst alles erschaffen!« Das meint Illouz, wenn sie behauptet, Ökonomisches wird emotionalisiert und Emotionen werden ökonomisiert: Die Waren werden gefühlig aufgeladen, während echte, private Gefühle auf die Kosten-Nutzen-Bilanz überprüft werden. Und irgendwann bekommen sogar private Beziehungen einen Tauschcharakter; Menschen werden dann auf ihren Nutzen hin abgeklopft, mit der Frage im Hinterkopf: »Was bringt mir der Kontakt?«

Manche Leute gehen sogar so weit, dass sie für sich selbst einen eigenen Markenkern erschaffen, also ganz buchstäblich ihre Haut zu Markte tragen und ihre »Unique Selling Points« erarbeiten. Das nennt man dann »Personal Branding«. Jeder kennt jemanden, der von sich selbst sagt: »Das kommt davon, dass ich so crazy bin«, oder, mein Favorit: Leute, die über sich selbst in der dritten Person sprechen, als wären sie ein Markenprodukt. Wenn ein Michi sagt: »Das ist so typisch Michi, haha!« Oder: »Einfach classic Michi wieder.« Klassiker.

So werden wir nicht nur von außen aufgefordert, sondern wir haben die Kommandos inzwischen verinnerlicht: nie stehen bleiben und dauerhaft konsumieren, um dabei uns und unser Leben zu verbessern. Und wie kann man sich das selbst besser beweisen als durch ständigen Konsum? Die neue Kommandokultur dominiert so alle Lebensbereiche: Ernährung, Gesundheit, Medien, Politik und Bildung. Dem Glücksterror kann niemand entrinnen.

Es folgt der endgültige Beweis: die Hölle aus Tüll

Es war ein kalter Winter im Jahr 1984, als meine Eltern geheiratet haben. Meine Mutter trug ein schwarzes Kostüm, mein Vater einen dunkelgrauen Anzug, der Standesbeamte sagte ein paar Worte, sie tauschten die Ringe, dann gingen sie mittagessen, alle waren froh.

Heute sind die meisten Hochzeiten irrsinnige Spektakel. In Zeiten relativen Wohlstands bringt die Kombination aus Konkurrenzdruck und emotionalem Exhibitionismus überdimensionierte Plüschgelage hervor. Mit riesigen Torten voller Buttercreme und Marzipanrosen, Teigfladen – Zuckercreme – Teigfladen, darüber noch mehr Creme, eine unendliche Stapelei. Obendrauf noch Gedöns, das keinem schmeckt, aber pompös aussieht, denn viel Liebe muss heißen: viel Tüll, viel Spitze, viel Sahne. Wer hat sich das ausgedacht?

Solch ein kurzes Fest der Sinne kostet dann ungefähr so viel wie ein Ferienhaus an der Côte d’Azur. Und sogar diejenigen, die an so etwas nicht mal denken können, verschulden sich, kratzen alles zusammen, denn dieser Tag muss, no pressure, der »schönste und wichtigste Tag des Lebens« sein. Dieses Damoklesschwert hängt über dem Fest wie die kreisenden Geier über der verendenden Antilope. Hochzeiten sind darum der Gipfel des Glücksterrors. Man muss ja ohnehin andauernd glücklich sein, aber dieser eine Tag soll eben der allerallerglücklichste werden! Dass so etwas in völlig überflüssigem Stress endet, überrascht niemanden.

Das Brautkleid muss zuvor in einer ausgiebigen Tempelbegehung erworben werden. Es heißt schließlich: Say yes to the dress! Damit meint man auch, dass man es »einfach fühlt«, wenn es »das richtige« ist. Dieses Kleid, das maximal 6 Stunden und 38 Minuten im Leben getragen wird, muss einfach zur Seele der Frau passen! In Deutschland gibt eine Braut durchschnittlich 1200 (!) Euro für ein Kleid aus, das sie niemals wieder in ihrem Leben anziehen wird.[8]

Im schlimmsten Fall werden alle Freundinnen und zwanzig Cousinen zur Anprobe mitgeschleppt, Taschentücher stehen überall bereit, man trinkt Sektchen. Am Ende sind alle besoffen und heulen. Sie sind so überwältigt von dieser Person, die da plötzlich so ganz anders, so verwandelt vor ihnen thront in ihrem cremefarbenen Zelt aus Satin.

Haben Sie sich mal gefragt, warum Aliens noch keinen Kontakt zu uns aufgenommen haben? Über 1500 Jahre saßen sie in ihrem Raumschiff auf dem Weg zur Erde. Dummerweise war das Erste, was sie dann von unserer Zivilisation gesehen haben, eine Hochzeitskleidanprobe.

 

Verwunderlich ist: Selbst gebildeten, emanzipierten Frauen ist es häufig nicht zu blöd, sich in meterweise Tüll und Schleifen zu hüllen. Gepudert, beperlt und streng onduliert werden sie dann von ihrem Vater an den Ehemann überführt wie ein poliertes Fahrzeug. Nach feministischer Selbstbestimmung sieht das nicht aus.

Unsere Eltern und Großeltern wären nicht im Traum darauf gekommen, zehntausend Euro oder mehr für diese monströse Festlichkeit auszugeben, ein Jahr im Voraus die Farbpalette der Tischdekoration und sechzehn Brautjungfernkleider auszuwählen, eine »Bridal Shower« zu veranstalten oder das handgeschöpfte Papier für die Einladungen in Florenz zu bestellen.

Bis zur Epoche der Romantik gab es hauptsächlich arrangierte Vernunftehen, wie sie heute noch in großen Teilen der Welt üblich sind.[9] Hochzeiten dienten dazu, den Fortbestand der Familie und des Besitzes zu sichern. Auch nicht so optimal, klar. Das historisch junge Konzept der Liebesheirat ist dagegen Ausdruck des individuellen Glücks. Heutzutage haben wir aber die Extremform erreicht: Jeder will das ganz besondere Spektakel, da werden die Eheleute zu den Hauptfiguren ihres eigenen Disneymärchens.

Solche Ereignisse sind natürlich ein kurioses Wohlstandsphänomen, fast nie für einen selbst bestimmt, sondern immer Statusmitteilungen an die anderen. In den sozialen Medien ist inzwischen ein absurdes Wettrüsten entstanden, bei dem es darum geht, Drohnenvideos, eigene Hashtags und sogar ganze Instagram-Accounts für seine Feier zu kreieren, stets mit einem »Branding«, als wäre man Brad und Angelina in ihren früheren Tagen: »Ben & Anja. Our Fairytale 2018«. Diese Disneyfizierung unserer Sehnsüchte ist so gesehen ein bisschen wie die heterosexuelle Matrix von Judith Butler[10]. Butler beobachtet, dass wir von klein auf geprägt werden, Menschen binär in Mann und Frau aufzuteilen, die sich gegenseitig begehren, aber alle anderen Geschlechteridentitäten fallen als »Abweichung« aus dem Raster. Diese Matrix sei nicht auflösbar, selbst wenn man sie erkenne. Butler meint, man könnte sie allenfalls subversiv unterlaufen, indem man Geschlechterstereotype bricht, aber der Matrix selbst entkommt man nie.[11] Sie durchdringt alles. Die Disneyfizierung ist noch schlimmer, weil nicht einmal die Parodie hilft. Die Sehnsüchte bleiben.

 

Stichwort »Geschlechtsidentität«. Ein paar Monate nach der Hochzeit geht der Horror nämlich weiter. Denn der zweite Höllenkreis von Dantes Inferno ist die sogenannte Gender Reveal Party, also die »Geschlechtsenthüllungsparty«, eine Feierlichkeit, die um das Jahr 2008 von einer Bloggerin aus dem Nichts heraufbeschworen wurde.[12] Zweck des Ganzen ist inzwischen, auf möglichst pompöse Art das Geschlecht eines noch ungeborenen Babys mitzuteilen. Meist bestimmt das Paar dabei eine Vertrauensperson, die von ärztlicher Seite die relevante Information erhält. Dann sollen die werdenden Eltern in einer Zeremonie überrascht werden, zum Beispiel mit blauen oder rosafarbenen Cremefüllungen in Torten. Oder mit Farbbomben. Oder mit Feuerwerk. In Blau oder Rosa.

Völlig überholte Geschlechtsstereotype haben dadurch Aufwind bekommen, sodass sich inzwischen sogar die Erfinderin öffentlich vom Geschlechtshype distanziert hat.[13] Und ganz ehrlich: Wen interessiert das überhaupt? Ein Influencer-Paar aus Dubai hatte bisher die beste Idee. Warum nicht einfach das höchste Gebäude der Welt, den Burj Khalifa, für die Feier nutzen? Der 828 Meter hohe Wolkenkratzer erstrahlte nach einem ganz willkürlichen Countdown (auf was wurde denn heruntergezählt?) in Türkisblau. It’s a boy! Ach schön.

Ein missglücktes Feuerwerk auf einer Gender Reveal Party war übrigens der Grund, warum 2020 die halbe Westküste der USA in Flammen stand. Allein im Naturpark El Dorado Ranch bei Los Angeles mussten 20.000 Menschen ihre Häuser verlassen.[14] Und das war nicht das erste Mal. In den vorherigen Jahren hatten selbst gebastelte explodierende Farbbomben große Feuer in Florida und einen Waldbrand in Arizona ausgelöst, der sich über 47.000 Hektar erstreckte, eine Fläche viermal so groß wie Paris.[15] Außerdem haben die Farbexplosionen in Blau und Rosa eine Großmutter des ungeborenen Kindes getötet, als sie ein Schrapnell des Feuerwerks am Kopf traf.[16] Harmloser lief dagegen eine Geschlechtsenthüllungsfeier in Texas ab, bei der ein Flugzeug 1300 Liter rosa gefärbtes Wasser getankt hatte, um es vom Himmel regnen zu lassen. Durch die pinke Last war die Maschine allerdings zu schwer geworden und stürzte ab. Die Piloten kamen mit leichten Verletzungen davon.[17]

 

Aber zurück zur Hochzeit, mit der das Schlamassel anfing, weil hier das Kommando des Positiven seinen Höhepunkt erreicht: »Los, nun mach schon, sei endlich überglücklich am glücklichsten Tag deines Lebens!!!« Denn aus der Idee, man könne immer mehr Glück anhäufen, folgt zwangsläufig die Überzeugung, dass es den ultimativ glücklichsten Moment geben muss. Natürlich, was kann das anderes sein als die Hochzeit. Dabei zeigt nicht nur die Forschung, sondern auch die Alltagserfahrung: Das kann nur schiefgehen, und zwar aus demselben Grund, weshalb so gut wie jedes Kind auf dem eigenen Kindergeburtstag heult. Der Erwartungsdruck ist einfach zu groß.

Der Umstand, dass wir bei der Hochzeit auch noch wahnsinnig individuell sein wollen, führt dazu, dass wir ziemlich konform in unserer Individualisierung werden. Googeln Sie mal aktuelle Hochzeitsfotos. Eigentlich sehen alle gleich aus – und schrauben die Erwartungen und den Aufwand immer höher. Macht man sich klar, dass eine Stunde einer durchschnittlichen Hochzeit etwa tausend Euro kostet, wird die Lage auch nicht gerade entspannter. So wenig wie die sündhaft teure Duftkerze, die man fünfzehn Jahre lang aufgehoben hat, bis man sie anzündet. Man will krampfhaft jede Sekunde auskosten und schnuppert dabei so konzentriert, dass man hinterher Kopfschmerzen hat.

Die Hochzeit ist vom glücklichsten zum unauthentischsten Moment des Lebens geworden, bei dem die zur Schau gestellten Gefühle so fake wirken wie die aufgeklebten Wimpern der Braut. Dabei täuscht man nicht nur die anderen, für die alles perfekt bearbeitet und inszeniert wird, sondern man täuscht vor allem sich selbst. Liebe und Glück werden hier am Materiellen gemessen, man ist es sich eben wert. Die Annahme dahinter ist simpel. Je exklusiver das Ereignis, desto größer müssen auch die Gefühle sein. Deshalb ist auch alles massiv überteuert, denn wer die Liebe mit einer Investition gleichsetzt, will natürlich nicht knauserig sein.

Tatsächlich zeigen Untersuchungen aber genau das Gegenteil. Je teurer eine Hochzeit, desto kürzer die Ehe.[18] Keine Pointe.

Die beste Version deines Selbst

Lesend, scrollend, Reize verarbeitend wabern wir durch die Welt. Dabei stößt man sehr regelmäßig auf die Aufforderung: »Be the best version of yourself«, also: Sei die beste Version deines Selbst! Soso, hmm, denke ich. Und frage mich: Was soll das eigentlich sein, die »beste Version« von etwas, das als »mein Selbst« gilt? Muss dieses Wachstum, um das es dabei wohl geht, messbar sein, und wenn ja, was sind die Kriterien, und wie soll das konkret aussehen? »Meine Jobeffizienz war heute eher eine 7,5, gestern eine 6, also habe ich eine Steigerung um 25 Prozent zu verzeichnen, juhu, heute Abend zur Belohnung einen Rotwein – ach nein, lieber nicht, das gibt Punktabzug im Ernährungsbereich, oh schade, aber hey, dafür saßen die Haare heute echt gut!«

Mit Ludwig Wittgenstein kann man sagen, es gibt nur uns, aber nicht zusätzlich noch unser »Selbst«.[19] Denn was meint man konkret damit: den Charakter, die Vorlieben, das Wissen, den Geschmack, das Bewusstsein einer Person? Erst mal ist es natürlich begrüßenswert, man selbst sein zu wollen, anstatt jemand anderes. Doch die Idee einer vermeintlich besten Version meines Selbst ist eine der Grundideen der Positiven Psychologie und entstammt der Vorstellung, dass noch irgendetwas Zusätzliches, Mystisches in uns ist, etwas »Wahres«, das sich unter idealen Umständen noch entfalten wird. Wenn man sich nur genug anstrengt. Die Welt der Werbung hat das dankbar aufgenommen, weil man damit wirklich alles verkaufen kann.

Sicher, es spricht grundsätzlich nichts dagegen, sich in einer Sache verbessern zu wollen, im Klavierspielen etwa. Ein Problem ist es aber dann, wenn man seine Persönlichkeit grundlegend verändern soll oder im endlosen Wettkampf um Verbesserung mit sich selbst gefangen ist. Damit führt man sich auch die eigene Unvollständigkeit immer wieder vor Augen. Denn wo soll das Ende der Fahnenstange sein? Es gibt immer etwas zu schleifen, am Körper, am Geist, man ist nie fertig, irgendwas ist ja immer! Wir sind alle nur im Wettlauf mit unserem eigenen Verfall. Wer daran andauernd herumrührt, wird entweder unzufrieden oder dreht irgendwann mit seiner Optimierungswut am Rad und endet im Glückswahn.

Der wird auch befeuert von unzähligen Ratgebern und Selbstoptimierungsprodukten, die helfen sollen, endlich glücklicher zu werden. Und natürlich, wie könnte es anders sein: Es gibt sogar eine erfolgreiche App mit dem Namen Happify.[20] Sie können es sich schon denken: Diese App macht glücklich! Wie schön. Der Hersteller verspricht »effektive Funktionen und Programme, damit du dein emotionales Wohlbefinden kontrollieren kannst«. Man soll seinen »Glückspunktestand« durch verschiedene Tests, Übungen und Spiele herausfinden und diesen dann »ständig verbessern«. Klingt traumhaft, wenn man einen Zahlenfetisch hat. 86 Prozent der Nutzer sollen schon »nach acht Wochen glücklicher« sein, mit einem Sprung von »vorher 45 Prozent« zu »nachher 80 Prozent« an positiven Emotionen.[21] Nutzer können sich sogar in Wettbewerben darin messen, wer glücklicher ist. Aber hey, no pressure, haha, Smiley!

Tatsächlich bringt die Glücksideologie eine ganz eigene Form des Leids hervor. Ständig seine Gedanken und Gefühle daraufhin zu beurteilen, ob sie zu einem unklar definierten Glückszustand beitragen, macht müde. Das Streben nach Glück führt dann nur noch zur Erschöpfung.

 

Was ist denn nun aber die beste Version meines Selbst? Ich gebe »How to be the best version of yourself« bei Google ein. Dabei stoße ich auf einen Artikel vom Time Magazine, der mir Antworten verspricht. In Punkt 5 der langen Liste heißt es, ich solle mich bei Twitter anmelden, um mich »besser zu vernetzen«. Ach so, dass ich nicht gleich darauf gekommen bin. Mein Favorit ist aber Punkt 4: »Stop looking for a secret trick.« Haha.

Interessanterweise wird die Aufforderung, die »beste Version seines Selbst« zu sein, oft nur als pseudogefühlige Veredelung recht profaner Wünsche benutzt. Im Fitnessstudio, wo der Spruch inflationär häufig herumhängt, geht es einfach darum, »mehr Muskeln« zu bekommen. Einflussreiche Schminkmenschen auf Instagram wünschen sich einfach viel Ruhm und/oder sehr reiche Partner, der Surferboy auf Tinder mehr Dates und der gecoachte Manager schlicht und einfach mehr Geld.

»Happy girls are the prettiest«, las ich neulich auf einer Postkarte, die ungefragt ihren Weg in meinen Briefkasten fand, als ich einen simplen Terminplaner bestellte. Also: Glückliche Mädchen sind die schönsten. Was zum Teufel? Auch wenn es Audrey Hepburn gesagt haben soll und sie damit hoffentlich etwas anderes meinte: Dieser Satz ist gleich doppelt problematisch. Denn nicht nur das Aussehen wird hier zum Maß aller Dinge (aber natürlich nur für Frauen), gleichzeitig wird auch Glücklichsein die neue Norm. Es baut also sogar zweifach Druck auf, einmal nach innen und einmal nach außen.

Die Ideologie des Positiven stresst und verblödet die Menschen. Ich möchte lieber nicht die beste Version meines Selbst sein. Ich möchte einfach nur hier sitzen.