Ich muss nicht wohin, ich bin schon da - Gerhard Polt - E-Book

Ich muss nicht wohin, ich bin schon da E-Book

Gerhard Polt

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Beschreibung

In zahlreichen Interviews begegnen wir Gerhard Polt und tauchen ein in seine Welt und Weltsicht, die wir von seinen Figuren und Bühnenstücken her kennen. Auch in diesen Gesprächen schafft er es, dass wir seinen philosophischen und satirischen Blick auf die Dinge, den Alltag, auf die Vergangenheit und Gegenwart und auf den Menschen teilen und darüber nachdenken können.

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INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DEN AUTOR

Gerhard Polt, geboren 1942 in München, aufgewachsen im Wallfahrtsort Altötting, studierte in Göteborg und München. Seit 1975 brilliert Polt als Kabarettist, Schauspieler, Poet und Philosoph auf deutschen und internationalen Bühnen. 2001 wurde er mit dem Bayerischen Staatspreis für Literatur (»Jean-Paul-Preis«) ausgezeichnet, 2019 folgte der Kulturelle Ehrenpreis der Landeshauptstadt München. Polt lebt und schreibt in Schliersee, München und Terracina. Sein Gesamtwerk ist bei Kein & Aber erschienen.

ÜBER DAS BUCH

Gerhard Polt spricht in zahlreichen Interviews über das Einfach-nur-Dasitzen, das Böse und Gute im Menschen, Weißwurst, Bier und den Schweinsbraten, die Bühne, das Reisen und Beobachten und das, was Humor ausmacht.

Die von Polts Humor geprägten, tiefgründigen Gespräche verknüpfen sein Werk und sein Schaffen über die Jahre hinweg mal mit aktuellen Ereignissen und mal mit der zeitlosen Frage nach der richtigen Umgebung, Musik und Veranlagung, um einen Schweinsbraten zu essen.

Mit Fotos von Herlinde Koelbl.

Humor istimmer dann,wenn erstattfindet

Persönlich bin ich ihm noch nicht begegnet, obwohl auch ich vermute, dass es ihn gibt.

Der Englische Humor soll ja besonders sein, nämlich schwarz, und er soll sich auch nur in England aufhalten, woanders wurde er noch nicht gesichtet.

Dass Menschen, die lachen, humorig sind, lässt sich nicht beweisen. Oft sind mir schon Lachende aufgefallen, die nur gelacht haben, weil es keine andere Alternative zu dem Blödsinn gab, den sie verzapft haben. Oder sie haben gelacht, um sich beim Vorgesetzten und seinen Scherzen einzuschleimen.

Neuerdings sehen wir auch oft das hämische, Hände reibende Lachen von Führungspersönlichkeiten, denen wieder eine neue Schurkerei eingefallen ist.

Es gibt aber auch Humor, zum Beispiel Witze, der so unglaublich blöd, dumpf und einfältig ist, dass man ihn nur erträgt, wenn man darüber lacht.

Humor ist immer dann, wenn er stattfindet. Wenn er nicht da ist, nennt man das Politik. Besonders Politiker kennen seine Grenzen.

Der Ausdruck »Spaß beiseite!« gibt dem Menschen Orientierung, und das bedeutet Seriosität. Diese ist ja auch das erklärte Ziel der Schule des Lebens.

Also folgere ich: Wenn Humor seriös ist, dann hat er die Qualität, die man von ihm erwartet. Doch Qualität hat immer ihren Preis!

 

Gerhard Polt

»Das Schöne amSchweinsbraten ist,dass er an jedemOrt anders schmeckt«

Ein saftiges Lehrstück

GEOMärz 1990

Herr Polt, Sie mögen das Schnitzel nach traditioneller Art aus der Pfanne herausgebacken. Vom Schweinsbraten sprechen Sie kaum.

Weil der Schweinsbraten selbstverständlicher ist. Er hat ein anderes Ambiente als das Schnitzel. Schon das Wort »Schnitzel« sagt ja, dass es das Feinere ist, das Besondere. Ich würde nicht sagen, dass es mehr Kultur hat, aber es ist das Bessere-Leute-Essen gewesen, was sicher damit zu tun hat, dass ein Wiener Schnitzel aus Kalbfleisch sein muss. Es ist ja eine türkische Erfindung. Es kommt aus dem Osmanischen Reich. Wenn ich also vom Schnitzel rede, rede ich indirekt auch von der großen, weiten Welt. Während wir uns hier ja in einer Schweinsbratenkultur befinden.

In einer Schweinsbratenkultur?

Selbstverständlich, Bayern, Böhmen und Chinesen sind die großen Schweinefleischesser, während der Lateineuropäer das Schwein nicht so anrührt. Der isst mehr Kalbfleisch oder Rindfleisch. Die wirklichen Schweinefleischesser sitzen im mitteleuropäischen Raum, wo die Sau im Zenit ihrer Erfüllung ist.

Fangen wir beim Schwein an …

Es ist gar nicht so wichtig, die Sau kulturhistorisch aufzuarbeiten. Der Schweinsbraten als Gericht ist ja mehr ein Ausdruck des Lebensgefühls einer Gesellschaft, die mit dem Schweinsbraten lebt, die sich ihm widmet. Früher war es normal, dass man nicht im Wirtshaus, sondern daheim gegessen hat. In der Wirtschaft hat man sein Bier getrunken und ist dann heimgegangen zum Schweinsbraten. Es hieß nicht, ich gehe jetzt zur Familie, sondern ich gehe zum Schweinsbraten. Das war eine recht statische Angelegenheit. Das hatte etwas Rundes, Zuverlässiges. Seit nunmehr über achttausend Jahren lebt der Mensch mit dem Hausschwein zusammen …

… was beide ja glänzend überlebt haben …

… aber seit einigen Jahrzehnten ist das Verhältnis gestört, weil der Mensch das einzelne Schwein nicht mehr kennt. Das liegt zum Teil an der Industrialisierung, zum Teil an der Verordnung Bayerns. Menschen, die aus Paderborn kommen, haben dem Schweinsbraten gegenüber nicht das Gefühl, das die Einheimischen haben.

Aber auch die Einheimischen erleben keine Hausschlachtungen mehr.

Das ist schon richtig, aber sie haben noch eine Vorstellung. Das ist ähnlich wie beim Wurstsalat. Man hat die Grundidee des Wurstsalats im Kopf, den Geruch, wie er ausschaut, die Bestandteile, die Konsistenz. Ich weiß genau, wie ein Wurstsalat ausschaut, wenn er aus Regensburgern gemacht wird, ich weiß, wie er auf dem Teller liegt. Da fangen schon die Geschmackspapillen an; alles, was im Mund ist, weiß, auf was es wartet. Wenn aber ein Wurstsalat zum Beispiel aus einer faden Lyoner Wurst ist, dann ist die erste Enttäuschung schon da. Beim Schweinsbraten geht es einem ähnlich. Man hat einen Urschweinsbraten im Hirn, auf der Zunge, in den Augen. Und man wird betrogen, wenn auf einer Speisenkarte ein fotografierter Schweinsbraten drauf ist. Einen Schweinsbraten zu fotografieren ist lächerlich, weil er illustriert nichts hergibt. Den muss ich mir selber illustrieren. Das ist wie beim Märchen. Wenn man heute im Fernsehen bestimmte Märchen sieht, dann stehlen sie einem die Vorstellung. Ich habe eine Grundvorstellung vom Schweinsbraten, wie er riecht, wie er ausschaut, auf welchen Tellern er serviert sein muss, ich kenne die Geräusche, die um ihn herum sind. Ich weiß, dass Rock und Pop sich mit Schweinsbraten nicht verträgt. Das ist keine Musik für einen Schweinsbraten, da gehört so ein Mittagskonzert vom Bayerischen Rundfunk drüber …

Schmecken Sie denn, ob ein Schweinsbraten von einer Hausschlachtung kommt oder aus der Fabrik?

Wenn jemand sein Leben lang vom Schweinsbraten begleitet wurde, dann merkt er natürlich, wie die Rezepte und Gerichte sich verändern und zum Teil verfremdet werden, und drum kann er sagen, das ist ein schlechter oder ein guter Schweinsbraten. Er orientiert sich an den Werten, die er hat. Er erkennt die Varianten, wo mehr Kümmel drin ist oder mehr Knoblauch, aber das Schlimme ist, dass es immer weniger Wirtshäuser gibt, wo Wirtsehepaare drin sind, denen die Wirtschaft gehört. Es sind zunehmend Pächter, die Brauereien haben dadurch mehr Einfluss auf die Gerichte, und es gibt weniger Leute, die einen Schweinsbraten von der Idee her restaurieren können. Man kann in Pompeji alles rekonstruieren, die Geschäftshäuser, die Straßen, aber die Gerüche von Pompeji, die lassen sich nicht rekonstruieren, das heißt, wenn die Idee eines Schweinsbratens einmal verloren ist, wird man sie wahrscheinlich nie wieder herbringen.

Das würde bedeuten, dass der Schweinsbraten ausstirbt.

Wenn er weg ist, ist er weg. Das ist ja das Schicksal von vielen Gerichten. Nehmen Sie die Stockwurst. Die Stockwurst ist so gut wie erledigt. Wenn Sie in München sagen, ich möchte eine Stockwurst, dann müssen Sie schon weit laufen, bis Sie einen Außenseiter finden, der Ihnen eine Stockwurst macht, weil die Stockwurst verloren gegangen ist.

Es gibt doch Rezepte, die überliefert sind.

Es gibt auch Textbücher von Theaterstücken, aber das ist keine Garantie, dass das Stück gut gespielt wird. Die Frage ist, wer macht den Schweinsbraten? Nur aus dem Buch heraus, das ist zu theoretisch. Ohne Erfahrungswerte, ohne selber einen tradierten Schweinsbraten jemals probiert zu haben, gehts nicht.

Dann wären alle Kochbücher überflüssig.

Das habe ich nicht gesagt. Ein Textbuch ist ja auch nicht überflüssig, weil ich mir den Text von Shakespeare nicht merke, aber jede einzelne Aufführung auf dem Theater ist verschieden. Wenn man einem Neuseeländer die Chance gäbe, über das Kochbuch einen Schweinsbraten zu machen – also, ich wäre sehr skeptisch, ob er es schafft. Der tut mir direkt leid, der Neuseeländer.

Dann wäre jeder Fortschritt unmöglich.

Fortschritt als Dekadenz ist möglich. Das erleben wir ja am Schweinsbraten. Wir erleben einen Zerfall, ein Weitergehen, ein Sich-Entwickeln; aber der Schweinsbraten im konservativen Sinn, der Uridee ähnlich, den trifft man immer seltener.

Wie muss er denn zubereitet sein, wenn er dem Idealzustand nahekommen soll?

Ich würde ihn nie definieren. Es gibt ja viele Möglichkeiten. Beim Hamburger wird behauptet, dass er an jedem Ort und zu jeder Zeit gleich schmeckt. Es wird sogar behauptet, dass er mir überall und zu jeder Zeit gleich schmeckt, egal, ob ich krank oder gesund bin. Das Schöne am Schweinsbraten aber ist, dass er an jedem Ort, zu jedem Zeitpunkt und bei jeder Familie anders schmeckt. Ich esse ja nicht im luftleeren Raum, ich esse zu einem bestimmten Zeitpunkt, und der Schweinsbraten beeinflusst mich. Er gibt mir ein gewisses Gefühl – und umgekehrt: Wenn ich einen Schweinsbraten esse, will ich meinen Ausdruck mit dem Schweinsbraten zu einer Einheit bringen. Ich esse ja bewusst einen Schweinsbraten und nicht einen Quick-Snack. Ein Schweinsbraten, der seinen Namen verdient, muss unter würdigen Bedingungen zu sich genommen werden.

Unter welchen Bedingungen?

Wenn man sich auf einen Schweinsbraten einlässt, darf man nicht hektisch sein oder unkonzentriert. Der Bewegungsablauf ist wichtig. Der Gesichtsausdruck, die Art, wie man vorm Teller sitzt. Ich würde zum Beispiel, wenn ich einen Wahlkampf führen müsste, meine Spitzenpolitiker nur einen Schweinsbraten essen lassen, drei Minuten lang, und dann beobachten, wie sie den Schweinsbraten essen. Dann würde ich wissen, welcher der beste Politiker ist. Die Überzeugungskraft, wie sie ihn zu sich nehmen, ist entscheidend. Das ist freilich ein Experiment, das die meisten fürchten, deshalb setzen sie sich dem Schweinsbratenessen nicht aus. Drum reden sie lieber, da können sie sich leichter rauswinden. Ein Mensch, der öffentlich einen Schweinsbraten isst, während man ihm zuschaut, der muss ja zugeben, wer er ist. Der wird ziemlich privatisiert.

Das ist aber nur in Bayern möglich?

Dem Björn Engholm würde ich nicht unbedingt zuschauen wollen, wie er einen Schweinsbraten isst. Oder dem schwedischen Ministerpräsidenten Carlsson. Der kann vielleicht ein Knäckebrot essen.

Wenn Sie Schauspieler nebeneinandersetzen, würden Sie dann auch erkennen, wer der Beste ist?

Ich spreche von Politikern, weil Politiker naturnotwendig durch den Schweinsbraten …

… charakterisierbar sind?

Selbstverständlich. Weil der Schweinsbraten mit Tradition verbunden ist, mit Heimat, mit Stabilität, mit wenig Experimenten und wenig Experimentierfreudigkeit, jedenfalls auf bestimmten Sektoren. Und der Schweinsbraten ist tatsächlich, das ist meine Überzeugung, kein Objekt großer Experimentierfreudigkeit, er ist ein Objekt für konservatives Verhalten. Der Schweinsbraten sollte bewahrt werden, aber ich fürchte, durch die zunehmende Verfremdung in unserem Land wird der Schweinsbraten ein Exot im eigenen Land, sozusagen im eigenen Bratrohr.

Sie haben mal gesagt, wenn Sie sterben, solls einen ordentlichen Leichenschmaus geben. Mit einem Schweinsbraten?

Das wäre ein würdiger Abschluss. Zuerst die Griesnockerlsuppe, dann ein Schweinsbraten und hinterher eine kleine Nachspeise.

Gibts auch Gelegenheiten, die einem Schweinsbraten nicht so sehr entsprechen?

Ich hab noch nie einen Schweinsbraten in einem Intercity gegessen, ich würde auch drauf verzichten. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Schweinsbraten jemals von der Lufthansa eingeführt wird. Aber man scheut ja vor nichts zurück. Der Schweinsbraten braucht Beachtung. Er braucht Beachtung, und er braucht Leute, die wissen, worum es geht. Der Schweinsbraten ist ein Mittagsgericht, man isst ihn nicht am Abend. Wenn jemand am Abend Schweinsbraten isst, fragt man sich, warum macht er das?

Essen Sie ihn lieber mit Kartoffelknödel oder lieber mit Semmelknödel?

Das kommt auf den Knödel an.

Sie wollen sich nicht festlegen.

Weil ich keine Lust hab, mir irgendwelche Präkonditionen zu schaffen, unter denen ich den Schweinsbraten esse. Ich bin ja offen. Leute, die wissen, was ein guter Schweinsbraten ist, sind keine Missionare.

Das heißt, ein durchschnittlicher Schweinsbraten kann gut schmecken, wenn das Ambiente stimmt?

So, wie ein gutes Theaterstück durch einen furchtbaren Raum sehr beeinträchtigt werden kann. Wenn die Bestuhlung so miserabel ist, dass das Zuschauen ein orthopädisches Problem wird, machts keinen Spaß. Und wenn ich in einem Ambiente bin, wo es grauenhafte Plastiktische gibt oder einen überpopten Raum, dann esse ich dort ungern einen Schweinsbraten. Der kann in einem neorustikalen Raum noch glaubwürdig sein, aber es gibt Räume, da gehört er einfach nicht hin.

Könnte man ihn im Freien essen?

Einen Schweinsbraten in gleißender Sonne essen – das macht man nicht. Er braucht leicht gedämpftes Licht. Kein metaphysisches, aber gedämpftes Licht. Ein Licht, das den Schweinsbraten nicht bloßlegt. Man sollte ihn auch nicht mit einem Spot anstrahlen. Das wäre gemein.

Würden Sie ihn an diesem Tisch zu sich nehmen?

Lieber dahinten.

Warum dahinten?

Weils da ruhiger ist. Zwei Schritte weiter kann sich das Lebensgefühl total verändern.

Der Schweinsbraten braucht Ruhe?

Ich würde sagen, keine Stille, aber Ruhe.

Könnte man ihn auch allein essen?

Für Singles eignet er sich weniger. Er braucht Gesellschaft.

Kann man ihn nur mit Freunden essen oder auch mit Leuten, die man nicht von vornherein einschätzen kann?

Ich würde ihn nicht mit Geschäftsfreunden essen. Ich würde ihn nur mit Leuten essen.

Mit Leuten?

Mit Leuten.

Die Sie kennen?

Die muss ich noch nicht kennen, aber es stellt sich ja heraus, ob es einen Sinn gehabt hat, mit diesen Leuten einen Schweinsbraten gegessen zu haben. Das kann gut ausgehen, das kann aber auch sehr schlecht ausgehen.

Eignet er sich für Verliebte?

Solange man verliebt ist, konzentriert man sich nicht auf den Schweinsbraten. Der Schweinsbraten ist wählerisch. Er erzieht einen. Man kann einen Schweinsbraten nicht zwischen zwei Fernsehsendungen essen.

Braucht er bestimmte Lokale?

Meine Erfahrung ist, dass immer weniger Wirte in der Lage sind, das einzulösen, was sie versprechen. Wenn ein Lokal, das noch vor zwanzig Jahren ein biederes, normales Lokal war, ein bisschen unhygienisch, mit ein paar Silberfischchen drin – wenn ein solches Lokal umgestaltet wird, und der neue Pächter nennt es Bistro und will trotzdem seine Klientel nicht verlieren, dann macht er Zugeständnisse und verkauft einen Schweinsbraten, weil er meint, da deckt er noch was ab an Bedarf. Dann misstraue ich diesem ganzen Vorhaben. Denn ich nehme diesem neuen Bistroinhaber nicht ab, dass es ihm um den Schweinsbraten geht. Das ist der Punkt. Während es früher Wirtsehepaare gab, denen das Schweinsbratenmachen ein selbstverständlicher Ausdruck ihres Lebens war. Die haben nicht über Qualitätsprobleme diskutiert, sondern höchstens über Portionen.

Die Qualität stand außer Frage.

Nehmen Sie die Instantsoße. Die Packerlsoße war ja noch ehrlich. Die ist zwar nicht toll, aber die Instantsoße ist nun wirklich der Todesstoß für den Begriff Soße. Den Schweinsbraten kann man normalerweise gar nicht verarbeiten, ohne dass er eine Soße abwirft. Jetzt fragt man sich natürlich, was machen die Wirtshäuser mit der normalen Soße? Die wird anscheinend weggeschüttet.

Das ist ein handwerklicher Fehler.

Das ist kein Fehler, das ist ein Verbrechen. Jede Form von Lieblosigkeit ist eine Schweinerei.

Und warum schreit niemand auf?

Weil man den Schweinsbraten als selbstverständliches Kulturgut betrachtet. Das ist die Gefahr. Es gibt jede Menge Feinschmecker, die über den Lachs reden und wie man ihn zubereitet, aber im Schweinsbraten kommt keiner drauf. Da erlebe ich Menschen, die ihn wortlos einnehmen und sich nicht beschweren. Weil übers Essen nur in bestimmten Restaurants geredet wird, nicht in normalen Wirtschaften. Ich kann heute alles bekommen, in höchster Qualität, nur das Normale nicht. Einen Lachs à la weiß der Teufel was kann ich jederzeit kriegen.

Man wird ja schon schief angeschaut, wenn man einen Schweinsbraten bestellt.

Vielleicht ist es so, dass der Schweinsbraten in seiner Karriere als öffentliches Gericht nie gut bedient war. Vielleicht ist er wirklich ein familieninternes Gericht und sollte es bleiben. Er lässt sich nicht vermarkten.

Er ist sperrig.

Er ist grundsätzlich obstinat.

Würden Sie denn einem Norddeutschen absprechen, jemals in seinem Leben, auch wenn er noch so interessiert wäre, in die Geheimnisse des Schweinsbratens einzudringen?

Ich würde es nicht jedem Norddeutschen absprechen, aber ich würde mir erlauben, prinzipiell zu glauben, dass es nicht zu den Möglichkeiten des Norddeutschen gehört, den Schweinsbraten und die damit verbundenen Imponderabilien herzustellen. Wenn ich daheim ein Gericht mache und nenne es »à la provençal« und haue Thymian und Rosmarin rein oder irgendwas, dann habe ich noch lange kein provençalisches Lebensgefühl.

Dann könnte sich ja nie eine nationale Speise über die Landesgrenzen hinaus verbreiten.

Sicher gibts x Haushalte, die sagen, sie machen einen guten Spaghetti. Nur weiß ich nicht, ob der Italiener das auch so sieht. Natürlich steht in essen & trinken, in satt & mager, und wie solche Zeitschriften heißen, genauestens drin, wie man einen Schweinsbraten macht. Er ist perfekt fotografiert. Die Fassaden stimmen. Auch die Altstädte werden ja immer perfekter. Die stimmen mehr, als sie jemals gestimmt haben. Wenn Sie heute in irgendeinen Stadtteil gehen und ein Haus betreten, da ist alles wunderbar auf alt gemacht. Aber der Geruch ist nicht mehr drin, weil die Gesellschaft nicht mehr drin wohnt, die bestimmte Gerichte kocht. Die gibt es nicht mehr. Die ist unwiderruflich vorbei.

Dann müssten alle guten Speisen irgendwann verschwinden?

Natürlich gibts in Japan ein Hofbräuhaus. Und sicher wird da ein Schweinsbraten verkauft. Und vielleicht schmeckt er den Japanern sogar ausgezeichnet. Vielleicht gibts auch eine Schweinsbraten-Pizza, wo man Schweinsbraten auf die Pizza draufschmeißt. Das ist alles möglich. Die Frage ist nur, ob das mit dem, was ich in Erinnerung habe, noch etwas zu tun hat.

Also, wenn Sie nach Schweden fahren und ein Knäckebrot bestellen, dann sagt Ihr Tischnachbar: Dem kann das Knäckebrot gar nicht so schmecken, wie einem Schweden ein Knäckebrot schmeckt.

Genau. Der hat das ja als Kind gegessen. Der hat als Kind schon bestimmte Situationen mit Knäckebrot erlebt. Das war ein Teil seiner Kultur. Wenn Sie nicht ministriert haben als kleines Kind und den Katholizismus um sechs Uhr in der Frühmesse erlebt haben und den Weihrauch gerochen haben, als Sie noch nüchtern waren – das sind Erfahrungen, die Sie nicht weitergeben können.

Der Schweinsbraten lebt vor allem in der Erinnerung.

Ganz klar. Der Schweinsbraten ist auch eine große Saga. Ein großes Epos. Und die Auflösung des Schweinsbratens hat mit der Auflösung einer ganzen Gesellschaft zu tun. In Ludwig Thomas Erinnerungen gibt es ein Gespräch, da streiten sich seine beiden Onkel. Der eine war stark bayerisch-nationalpatriotisch eingestellt, der andere Bismarckianer. Und der eine hat behauptet, ab 1866 hat die Schweinshaxe oder der Schweinsbraten verloren, von der Portion wie von der Qualität, und zwar aufgrund der Schlacht bei Königgrätz. Weil damit der nordische Einfluss gekommen ist. Er wollte sagen, die Menschen und die Politik, die jetzt da waren, provozierten eine andere Essensweise, eine andere Aufmerksamkeit dem Essen gegenüber.

Eine andere Aufmerksamkeit?

Wenn Sie in einen Biergarten gegangen sind, dann war es üblich, dass das Publikum gemischt war. Da sind Leute reingegangen, die ihr Essen mitgebracht haben, vielleicht einen Rettich oder zwei Regensburger, auf alle Fälle etwas Bescheidenes. Aber wenn Sie die Genussfähigkeit dieser Leute beobachtet haben, wenn Sie selber Zeuge waren, mit welcher Andacht jemand mit dem Messer ein Radl Wurst runterschneidet, wenn Sie dann sehen, wie er das langsam zum Munde führt, den Blick irgendwohin gehen lässt und sich mit Aufmerksamkeit dieses Radl reinschiebt. Wenn Sie sehen, wie die Leute ihr Bier genommen haben, es im Zeitlupentempo bedächtig zum Munde führen, jeder Schluck eine Persönlichkeit. Wo finden Sie das heute? Dieses Verhältnis des Gerichts zur Zeit, in der man es isst, das Sich-selbst-genießen-Können, diese Aufmerksamkeit. Das hat mit dem Schweinsbraten zu tun, weil der Schweinsbraten ein Gericht ist, das man zelebriert, das man feiert, weil man einen Schweinsbraten nicht achtlos runterhaut, sondern sagt, ich gehe jetzt zu meinem Schweinsbraten, und dort ist ein Kreis von halb familiären oder familiären Leuten, wo ich ihn zu mir nehme. Das ist eine Hochzeit, eine besondere Zeit.

»Ich reise im Kopf«

Über das Reisen, die Heimat und den Bayern als Apachen.

SPIEGEL SpecialFebruar 1997

Herr Polt, Sie sind ein erfolgreicher Kabarettist und trotzdem gescheitert. Eigentlich wollten Sie sich nämlich im Fremdenverkehr verwirklichen – als Bootsverleiher.

Der Bootsverleiher hat immer noch eine Zukunft. Ich habe neulich zu meinem siebzehnjährigen Sohn gesagt: Vielleicht schaffst du es ja. Als Kind hat mich diese Haltung fasziniert, wie ein Bootsverleiher so ruhig da sitzt, wettergebräunt, der Wind pfeift durch den Baum, er schaut auf den See hinaus, einfach so. Diese Souveränität, die Behäbigkeit in seinen Bewegungen, die eine innere Ruhe ausstrahlt – das hat was Überzeugendes.

Der Tourist kommt zu Ihnen, und Sie sitzen nur so da.

Ja, und mit höchstens drei Booten, mehr wäre gefährlich. Denn Langsamkeit ist für mich wichtig, sie hat ihren eigenen Wert. Deshalb kommt auch kein Imbiss dazu, keine Zentralfritteuse. Die Zentralfritteuse wäre der Tod des Bootsverleihs!

So leicht ist nicht jeder zufrieden. ZEIT-Herausgeber Theo Sommer zum Beispiel flog nach Neuseeland und stürzte sich dort an einem Gummiseil in die Tiefe, um »ein gewisses Gefühl der Freiheit« zu empfinden.

Da kann ich nur staunen. Für mich ist das vollkommen absurd. Ich erlebe doch jeden Tag genügend Abenteuer, wenn ich über die Straße gehe, ich bin doch froh, wenn ich nicht überfahren werde. Mir gehts wie Karl Valentin: Es freut mich, wenn es mir gelungen ist, den heutigen Tag zu überleben. Das ist mir Kitzel genug.

Wegfahren – das reizt Sie nicht?

Ich bin öfter in Schweden oder Italien, aber wenn ich jetzt in die Mongolei fahre und sehe dort Steppen und Jurten und Hügel, das kenne ich schon aus dem Film Urga und aus Zeitschriften. Dass es da schön ist, das glaube ich ja, aber ich käme mir völlig desolat unter den Mongolen vor. Wenn ich nicht fragen kann: »Schmeckts?« Oder ihnen erklären könnte, was ein Apfelstrudel ist, ohne das alles wäre ich nur mutterseelenalleine in dieser Mongolei.

Der moderne Mongole versteht Englisch.

Nein, nein. Ich will mit den Mongolen nicht Englisch sprechen. Wenn ich nur vierhundert Wörter Mongolisch einigermaßen variieren kann, dann schafft das ein ganz anderes Entree. Ich will doch wissen: »Sie sind Mongole. Wie lange machen Sie das schon? Machen Sie das beruflich? Wie läufts, wie gehts, was gibts zum Essen?»

Eine Kuhfladensuppe, Sie sind herzlich eingeladen.

Dann schaue ich nach, ob ich das richtig verstanden habe, und dann gehe ich hin – dann esse ich auch Kuhfladensuppe. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen: Wenn die keine Knödel ham, pass ich.

Aber weil Sie nicht Mongolisch, Grönländisch oder Serbokroatisch können, bleiben Sie daheim.

Heim kommt von Hemad, auf hochdeutsch: Hemd, hat Herbert Achternbusch mal gesagt.

Und das ist Ihnen sehr nah, deshalb wollen Sie nicht weg.

Ha, jetzt wirds interessant: heim – isländisch: heimadör ist eigentlich ein altgermanisches Wort und heißt Welt.

Also nichts wie raus mit Ihnen.

Ich habe kein Heimweh nach dem Weg-von-hier. Mich drückt es nicht in die Karibik, nach Bangkok, ich muss nicht den Grand Canyon sehen oder Wolkenkratzer, ich brauch das nicht. Ich fahre lieber nach Agatharied oder geh ins Wirtshaus da drüben. Ich gehe dahin, wo ich Freunde habe, eine Gaudi, Menschen, die ich kenne. Ich fahre doch nicht einfach weg, um zehn Grad mehr Wärme zu haben.

Herr Polt, gibt es nicht einen einzigen Ort auf dieser Welt, den Sie einmal besuchen möchten?

Ich habe nie das Gefühl, ich hätte etwas verpasst. Ich bin ausgereist. Ich hatte mal einen Schulkameraden, der war Ukrainer, dem habe ich gesagt, er soll mal raus aus München, zu mir nach Schliersee kommen. Und dann hat er gesagt: Warum? Das Gras hier ist genau wie euer Gras. Er müsse das nicht haben, die Strapazen, so eine Fahrt auf sich zu nehmen. Ich habe verstanden, was er sagen wollte. Hinsetzen mit dem Arsch und ein Bier trinken, das kann man hier wie da.

Und deshalb besuchen Sie nicht Ihren Schwager in Caracas, der Sie seit dreißig Jahren einlädt.

Meine Frau war schon ein paar Mal drüben. Ich könnte das nicht. Wenn mich der Flieger so zack absetzt und wirft mich raus: Wo bin ich da? Ich weiß es nicht. Ich fürchte, ich bin wie der Indianer, der gesagt hat: Er brauche Zeit am neuen Ort, denn seine Seele müsse erst nachkommen.

Erstaunlich, ein Bayer als Apache.

Ich gehöre zu dieser Rasse. Vierzehn Tage Venezuela, undenkbar! Ich bin da und schon wieder zurück – dann war ich doch nie dort. Ich müsste mindestens drei Monate im Land sein. Ich muss die Gerüche mitkriegen, die Menschen, muss verstehen können, was so eine Ansammlung von fünfzehn Millionen Leuten in einer Stadt ausmacht, wie leben die? Wenn da einer weint, will ich wissen, warum. Ich möchte ihn fragen: Wie viel verdienst du? Hast du Kinder? Was macht die Oma? Wie viele Quadratmeter bewohnt ihr? Verstehen Sie, ich muss das wissen! Einfach nur so durch Fassaden laufen und nicht zu wissen, was passiert da drin – das wäre für mich belastend.

Sie wollen reisen wie zu Zeiten Goethes.

Das klingt mir zu hochtrabend, aber es stimmt schon: Ich würde gern bremsen, mir gefällt nicht, wie alles schneller wird. Ich musste mal, das war noch zu Andropows Zeiten, nach Moskau, um für einen Film Freibier auf dem Roten Platz auszuschenken. Ich bin mit dem Zug hingefahren, sechsundfünzig Stunden hat das gedauert …

… eine Strapaze …

… aber es war toll. Die Grenzen, wie der Zug auf die russische Spur gesetzt wurde, die Gespräche im Abteil. Wäre