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Ralf Gebhardt

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Beschreibung

Mit dem Fund der verbrannten Überreste einer weiblichen Leiche beginnt für den halleschen Kriminalhauptkommissar Richard Störmer ein Wettlauf mit einem Entführer und Serienmörder, an dem er zu zerbrechen droht. Nahezu zeitgleich mit dem Fund einer zweiten Leiche werden mehrere Frauen während eines Klassentreffens auf dem Mansfelder Jugendherbergs-Schloss entführt, gefoltert und verbrannt. Störmer stellt eine Verbindung zwischen den Entführungen und den gefundenen Leichen her. Der Fall sorgt für Unruhe im Privatleben von Störmer. Er verliebt sich in seine neue Nachbarin, eine Krimiautorin. Zeitgleich taucht seine fast volljährige Tochter Verena auf und bittet ihn um Hilfe. Als der Psychopath dann einen Freund von Störmer ermordet, entwickelt sich der Fall zu einem persönlichen Albtraum …

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Ich schenke dir den Tod

Ralf Gebhardt

edition oberkassel

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

ACHTUNDZWANZIG

NEUNUNDZWANZIG

DREISSIG

EINUNDDREISSIG

ZWEIUNDDREISSIG

DREIUNDDREISSIG

VIERUNDDREISSIG

FÜNFUNDDREISSIG

SECHSUNDDREISSIG

SIEBENUNDDREISSIG

ACHTUNDDREISSIG

NEUNUNDDREISSIG

VIERZIG

EINUNDVIERZIG

ZWEIUNDVIERZIG

DREIUNDVIERZIG

VIERUNDVIERZIG

FÜNFUNDVIERZIG

SECHSUNDVIERZIG

SIEBENUNDVIERZIG

ACHTUNDVIERZIG

NEUNUNDVIERZIG

FÜNFZIG

EINUNDFÜNFZIG

ZWEIUNDFÜNFZIG

EPILOG

DANKSAGUNG

Dank an die LeserInnen

Ralf Gebhardt

Impressum

Landmarks

Titelbild

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Andre war genervt. Seit Stunden schon hörte er nichts als Volksmusik. Dazu kam die aufgeheizte Enge der Küche, das lästige Deckelklappern und Gebrodel in den Töpfen, die Dünste von heißem Wasser und Brühe. Aber es gab keinen Ausweg. Wie jeden Freitag schälte er um diese Zeit Kartoffeln und Möhren, klopfte Schnitzel, wusch Salat.

Noch immer brannte seine Hand von dem heftigen Schlag, den er sich mit dem Fleischklopfer verpasst hatte. Aber so war das eben, wenn man mal nicht aufpasste oder wenn ein Mädchen wie Jasmin auch noch mit in der Küche stand. Sie half ausnahmsweise mit, um die morgige Geburtstagsfeier im benachbarten Tanzsaal vorzubereiten, und mit ein bisschen Glück würde sie vielleicht sogar ein halbes Stündchen mitfeiern.

Wehmütig dachte Andre an seinen eigenen Geburtstag. In zwei Wochen schon würde er sechzehn sein. Und noch immer hatte er mit keinem Mädchen geschlafen. Es war zum Verrücktwerden, den ganzen Tag über dachte er nur an Mädchen, nackte Körper, Sex. Aber so durfte es jetzt nicht weitergehen, denn genau dann hätte er die Wette mit den Kumpels verloren. Nur diesen und den nächsten Freitag hatte er noch Zeit, Geld zu verdienen. Dann würde er sich neue Klamotten kaufen, in die Disko gehen, die Frauen beeindrucken. Und hoffentlich endlich mit einer schlafen.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Jasmin die Töpfe verrückte und Teller aus dem oberen Regal fischte. Dabei musste sie sich strecken, sodass ihr Kostüm verrutschte. Andre hielt erneut in seinen Bewegungen inne, betrachtete fasziniert ihre Waden und die Knie. Sie war 22, viel älter als er, und doch in seiner Fantasie genau das, wonach er sich am meisten sehnte.

Da wurde die Tür aufgerissen.

Andre zuckte so heftig zusammen, dass ihm fast das Messer aus der Hand gefallen wäre. Jasmin hingegen tat, als hätte sie nichts mitbekommen.

»He, Träumer, setz deine Mütze wieder auf und schneid weiter!«

Eine der beiden Küchenhelferinnen zwängte sich am Tisch vorbei. Wie die andere war sie alt, weit über 40, fett und auffallend geschminkt. Manchmal tanzten die beiden miteinander, hielten sich an den Händen, lachten und zogen sich den Lippenstift gegenseitig nach. Einmal hatten sie versucht, ihn von der Bank zu ziehen und in ihre Mitte zu nehmen. Aber weil er fluchtartig aus der Küche gestürmt war, hatten sie nur noch gelacht und ihn einen Feigling genannt.

Ein zweites Mal quetschte sich die Küchenhilfe jetzt an ihm vorbei. Andre setzte sich noch näher an den Tisch, zog sogar die Beine bis unters Holz. Trotzdem war ihm die Helferin so nah, dass er aus den Augenwinkeln jeden Fleck auf ihrem Kittel sehen konnte und ihren Knoblauchdunst und Schweißgeruch in die Nase bekam. Unter großer Selbstbeherrschung hielt er die Luft an. Versuchte, nicht unfreundlich zu sein, was in seinem Fall hieß, dass er sich ein Lächeln abrang und irgendetwas murmelte. Schließlich galt es später, mit ihnen das Trinkgeld zu teilen.

Endlich war sie weg, wahrscheinlich zurück in den Gastraum, zu der blöden anderen. Andre griff wieder zum Schälmesser. Schade, Jasmin war nicht mehr da. Sie war irgendwo im Gastraum, aber vielleicht musste sie gleich noch ein paar Teller mehr holen und sich wieder nach dem Regal strecken.

Statt Jasmin waren es leider die Küchenhelferinnen, die wenig später lärmend hereinkamen. Sie drehten die Musik sogar noch lauter und setzten sich zu ihm an den Tisch. Klar, ihre Schicht war vorbei und deswegen zogen sie wohl auch ihre Schuhe aus.

»Na Kleiner, wie geht’s?« Eine redete, die andere zwinkerte.

»Danke, gut, und selbst?«

»Prima, prima, lass uns was trinken.« Die Helferinnen grinsten sich an und stellten Apfelwein auf den Tisch. Dazu drei Steingutbecher.

»Der Chef ist schon los, aber keine Sorge, wir nehmen dich nachher mit dem Kleinbus mit.«

Andre prostete ihnen zu. Es tat gut, der Wein war angenehm kühl. Doch auf einmal hatte er allergrößte Mühe, die Augen offen zu halten.

Die beiden Frauen rückten näher. Eine beugte sich interessiert zu ihm vor.

»He Kleiner, was ist denn?«

Er wollte antworten, aber da war es bereits zu spät und er sackte weg.

Als er wieder aufwachte, spürte er nie gekannten Druck auf seinen Augen. Er versuchte sich zu konzentrieren, begriff schließlich, dass er auf dem Rücken lag. Sein Hals brannte schlimmer als die verletzte Hand. Vage erinnerte er sich an den Becher Apfelwein, als er neben sich ein undeutliches Kichern hörte. Ein paar Sekunden später riss ihm jemand das Klebeband von den Augen. André blinzelte, sah Waldboden und die Picknick-Decke, die sonst den Boden des Vans bedeckte. Neben ihm strahlte das fette Gesichtsrund der älteren Küchenhilfe. Ihr Oberkörper war nackt. Mit ihren runzligen Brüsten strich sie über seinen Arm, schob sich langsam näher, um mit ihrem mächtigen Busen schließlich sein Gesicht zu umschließen. Ihr Gewicht und der moderige Schweiß ihrer verfilzten Achselhaare nahmen ihm den Atem. Er begann zu würgen, dann sah er zwei Hände, die sich von hinten um die Quallenbrüste legten.

»He Schatz, lass mir was übrig, okay?«

Die Frauen küssten und streichelten sich. Irgendwann schob die Ältere Andres Arme nach oben und setzte sich darauf. Mit ihren Brüsten strich sie ihm jetzt links und rechts in rhythmischen Bewegungen über seine Ohren. Darauf zog sie ihre restliche Wäsche aus und saugte an seiner Nase. Ihr Geruch war sauer, die wenigen Zähne hatten die Farbe von erdigem Sand.

Seine Jeanshose wurde zerrissen. Dann die schwarzen, fettigen Haare der Jüngeren, die seinen Bauchnabel küsste. André zitterte, wollte schreien, doch sein Mund war verklebt. Die schwarzen Haare wanderten jetzt tiefer, Sabber tropfte auf seine Unterhose. André hörte, wie seine Peinigerin vor Vergnügen wohlig grunzte, bis sie mit einem gespielt hungrigen Schrei seine Shorts zerfetzte. Widerwillig spürte er, dass er reagierte, als sie ihn erst mit ihrer Zunge und dann dem Mund bearbeitete. Schließlich richtete sie sich auf, zog ihren Slip zur Seite und versuchte, sich langsam auf ihn zu setzen. Die Ältere riss ihm im gleichen Moment das Klebeband vom Mund, um sich direkt darüber in Position zu bringen. Andre wand sich wie ein Wahnsinniger, drückte dabei die Decke und sich selbst immer tiefer in den Waldboden. Doch die Frauen hielten ihn wie in einem Schraubstock umklammert und ließen keine Zweifel, dass sie ihn noch lange nicht freigeben würden.

Plötzlich knackte es. Er erstarrte und brüllte auf. Blut sickerte. Etwas Spitzes hatte sich aus dem Waldboden durch die Decke seitlich in seine Nieren gebohrt. Der Schmerz war so heftig, dass er das Bewusstsein verlor.

EINS

(Heute)

Das Telefon hatte den halleschen Kriminalhauptkommissar aus dem Schlaf gerissen. Er fühlte sich zu schwach, die Melodie, Highway to Hell, zu stoppen. Dabei war es der Hitze wegen ohnehin ein sehr ruheloser Schlaf gewesen. Draußen herrschten hochsommerliche Temperaturen, auch wenn es noch nicht einmal Pfingsten war.

Erst konnte er am Abend kaum einschlafen und dann hatte er sich nur unruhig hin und her gewälzt, wirres Zeug geträumt und war schließlich vom Telefonklingeln erlöst worden. Das Handy lag neben einer leeren Flasche auf der Schreibtischecke. Nein, ein Trinker war er gewiss nicht, aber er liebte das Samstagabend-Bier vor dem Fernseher, seine Ruhe, das Alleinsein. Niemand, der ihm sagte, was er zu tun oder zu lassen hatte. Keiner, der ihn von A nach B schickte und über seinen Tagesablauf bestimmte. Es war Sonntag, somit hatte Kriminalhauptkommissar Richard Störmer heute frei, eigentlich.

Die Nummer auf dem Display jedoch verriet nichts Gutes.

»Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd, Halle, guten Morgen, Herr Störmer.«

»Morgen.«

»Entschuldigen Sie, aber im Mansfelder Land wurden in einem Waldstück die Überreste einer Leiche gefunden. Die genauen Daten zum Fundort sende ich Ihnen gleich auf Ihr Handy. Ein Beamter wartet vor Ort auf Sie.«

»… weil …«

»Hm, Sie ahnen es, es ist von Fremdverschulden auszugehen. Es ist uns sowieso lieber, wenn gleich jemand dabei ist, na, Sie wissen schon …«

Kriminalhauptkommissar Richard Störmer war es in diesem Moment fast egal, ob Spuren aus Sorglosigkeit verwischt oder beschädigt wurden. Fakt war allein, dass es wieder jemandem gelungen war, über ihn zu bestimmen.

»Okay, rufen Sie ein Team der Spurensicherung, ich komme. In einer halben Stunde bin ich unterwegs.«

»Danke Ihnen, gute Fahrt und viel Erfolg.«

Die Antwort blieb er schuldig, sein Fluch ging in ein Brummen über, nachdem er aufgelegt hatte. Trotzdem nahm Störmer sich Zeit, um zu duschen. Dann also auf ins Mansfelder Land.

Störmer warf einen Blick auf die angekündigte SMS, griff seine kleine Kühltasche für die obligatorische Cola und fingerte die Autoschlüssel vom Haken. Behutsam zog er die Tür ins Schloss. Seine Laune hatte sich längst gebessert. Zum Glück wusste niemand, dass er eigentlich gar nichts für diesen Tag vorgehabt hatte.

Während der Autofahrt versank er in Gedanken. Die morgendlichen Straßen waren nahezu leer. Ab und zu dämpfte eine vorüberziehende Wolke das tiefgelbe Sonnenlicht. Das Thermometer zeigte bereits über zwanzig Grad. Die Kurznachrichten des mitteldeutschen Inforadios hatten ihn mit allem versorgt, was er wissen musste. Ansonsten genoss er die Stille der voraussichtlich gut einstündigen Fahrt und mied die monotone, zweispurige B 80. Er nahm lieber die kurvige Nebenstrecke, die Straße »über die Dörfer«.

Wehmütig dachte er an seine letzten Touren mit dem Motorrad zurück. Endlos lange schien das her zu sein. Mehr als ein guter Grund, das Bike bei nächster Gelegenheit wieder aus der Garage zu holen. Der regnerische Winter war in diesem Jahr außergewöhnlich lang gewesen. Außer einigen kurzen Einführungsrunden zum Saisonstart hatte Störmer kaum Straße unter die zwei Räder bekommen. Das musste sich unbedingt ändern! Schließlich war bald Pfingsten. Und damit lag ein hoffentlich arbeitsfreies Wochenende vor ihm und somit die Gelegenheit für eine längere Ausfahrt.

Die Automatik des silbergrauen Dienstwagens legte für ihn stets den richtigen Gang ein. Störmer schätzte das sehr, seiner Meinung nach war der Daimler mit seinen Bequemlichkeiten genauso solide und zurückhaltend wie er selbst. Umso leichter, sich auf die Landschaft zu konzentrieren, auf die scheinbare Trostlosigkeit des Mansfelder Lands. Brachen inmitten riesiger Schlacke- und Abraumhalden, von der Jugend verlassene Orte mit deutlich sichtbarem sozialen Abstieg. Überall waren Reste früheren Bergbaus zu sehen. Ansonsten Feld an Feld, deren graubraunes Getreide mit dem Alter der Traktoren zu wetteifern schien. Gekrönt wurde die mitteldeutsche Armut durch den Abgasgestank von Autos aus der Vorwendezeit. Gelegentlich gesellte sich schwarzer und dicker Qualm historischer Dampfloks dazu. Der bergige Vorharz war bereits zu erahnen. Wenn der Wind wehte, brachte er den Staub der Schieferberge und einstigen Hüttenbetriebe in die Wäscheleinen der Dörfer. Störmer musste schmunzeln, denn er mochte die Gegend. Er freute sich, hier zu ermitteln, und auf die Aussicht einer bodenständigen, regionalen Bergarbeiterküche.

Die viel zu seltenen Fahrten hierher empfand er wie eine kleine Zeitreise. Schließlich war er hier aufgewachsen. Für ihn fühlte es sich an, als käme er nach Hause. Seine Stimmung wurde besser, ohne dass er es zugegeben hätte.

Direkt hinter Halle waren nur wenige Windräder zu sehen. Dann wurden es mehr. Wenn sie sich über den Waldrändern drehten, sah es aus, als zerhackten sie die Landschaft in gleichmäßige Stücke. Auch wenn sich die Rotoren langsam bewegten, so überholte ihr Schatten doch gelegentlich die Autofahrer.

Daneben fielen die zahlreichen Rapsfelder auf. An vielen Stellen auf der linken Seite war alles komplett gelb. Es schien deshalb so, als würde das linke Auge mehr Farbe vertragen müssen. Irgendwann wechselte dann das Sonnenbrillenlicht wieder ins fast ausschließlich Grüne. Er kam Mansfeld näher. Es war an der Zeit, intensiver über die bevorstehende Arbeit nachzudenken und den Kollegen vor Ort über seine Ankunft zu informieren.

Die Temperatur war hier im Vergleich zu der von Halle immer um zwei bis drei Grad kälter. Eigentlich war das ungerecht, zumindest früher, da mussten die armen Leute auf dem Land länger warten, bis ihre Ernte reif war. Heute spielte das sicherlich keine große Rolle mehr.

Der Kriminalhauptkommissar drückte die Wahlwiederholungstaste. Vorhin war besetzt gewesen. Nun kam er sofort durch, kaum, dass er ein Rufzeichen gehört hatte.

»Siebenhühner.«

»Ah, guten Morgen, grüß Sie, Herr Kollege, hier ist Störmer, Halle. Ich bin in gut zehn Minuten bei Ihnen. Sind Sie noch in der Siedlung?«

Die Pause bis zu Antwort erschien länger als erforderlich.

»Schön, dass Sie endlich da sind, Kollege Störmer.« Die Stimme klang gereizt. »Selbstverständlich bin ich am Fundort. Bitte fahren Sie im Ort einfach geradeaus über die Hauptstraße und biegen Sie am Ortsausgangsschild rechts ab. Wenn die geteerte Straße endet, sehen Sie den Sportplatz. Aber seien Sie vorsichtig, damit Sie auf dem Waldweg nicht mit dem Unterboden aufsetzen.«

Nun ließ sich auch Störmer mit der Antwort bewusst mehr Zeit. Er musste schmunzeln.

»Danke, Kollege Siebenhühner, lassen Sie ruhig, ich kenne mich hier aus, nochmals danke, bis gleich.«

In der Zwischenzeit war er schon fast an der Kreuzung angelangt, die er geradewegs passieren sollte. Hinter ihm lag Eisleben, rechts Hettstedt und links Sangerhausen, alles ehemalige DDR-Kreisstädte, jeweils 15 Kilometer entfernt. Das Dorf befand sich als Verkehrsknotenpunkt mitten darin. Den Einwohnern verdarb der Schwerlastverkehr gehörig die Laune. Selbst Störmer brauchte mehrere Minuten, ehe er die Chance hatte, die Hauptstraße zu überqueren.

Er passierte den Eingang zum alten Steinbruch. Störmer öffnete die beiden vorderen Fenster und atmete tief ein. Würde der Fund, der ihn gleich erwartete, sein neuer Fall werden?

Vor den rot-weißen Absperrbändern stoppte er seinen Wagen. Es dauerte einen Moment, bis sich der Staub gesetzt hatte. Da sah er auch schon Siebenhühner, der im Schatten eines Baumes lehnte.

»Guten Morgen noch mal.«

Siebenhühner drehte sich sehr langsam zu ihm um und gab ihm die Hand.

Störmers Blick fiel auf die Decke und die Blutflecke.

»Was ist passiert?«

»Ein Liebes-Trio hat sich hier vergnügt. Der Mann, besser gesagt der Jüngling, wurde dabei durch einen extremen Stich am Rücken verletzt. Das ist der Grund für das viele Blut. Er ist in Eisleben im Krankenhaus.«

»Okay, wann war das?«

»Vorgestern Nacht, kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Der Rest des Trios besteht aus zwei Damen, die die Rettung gerufen haben.«

»Vorgestern schon?«

»Genau, dem Notarzt kamen die Wunden seltsam vor, deshalb hat er mich gestern Abend angerufen. Ich bin heute früh hierher gefahren, um die Stelle zu sichern, und habe dabei das hier gefunden.« Er überreichte Störmer eine Plastiktüte mit einem länglichen Gegenstand.

»Da ist doch ein Knochen, oder?«

»Genau, dieses zerbrochene Skelettteil hat die Verletzung hervorgerufen, es ist ziemlich spitz. Da vorn ist noch Blut vom Jüngling dran. Die restlichen Knochenstücke aus der Stichwunde heben sie im Krankenhaus für uns auf.«

»Ein Teenager?«

»Genau, knapp 16. Die beiden Damen haben mehr als das Doppelte an Jahresringen auf der Uhr.«

»Hm, interessant. Egal, warum auch immer die sich ausgerechnet hier mit Liebesspielen vergnügt haben, wir sind schließlich nicht von der Sitte. Sollen die sich darum kümmern.« Störmer betrachtete den Knochen, um ihn anschließend mit dem Handy zu fotografieren.

»Gibt es mehr davon?«

Siebenhühner zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Am Wochenende ist das so eine Sache mit der Spurensicherung.«

Störmer nahm sich zwei Gummihandschuhe. Er fotografierte aus verschiedenen Perspektiven, schob die Picknickdecke zur Seite und fing an, mit den Händen zu graben. Es dauerte nicht lange und er hatte weitere Knochenreste gefunden.

»Das sieht komisch aus, ich schicke die Fotos mal einer Kollegin. Meine letzte Forensikstunde ist etwas länger her. Aber für ein vollständiges menschliches Skelett scheinen es mir zu wenig Knochen.«

Er grub weiter.

»Wo sind die beiden Damen jetzt?«

»Zu Hause, nehme ich an. Ihre Personalien habe ich notiert.«

Siebenhühner zog ebenfalls Handschuhe über und beteiligte sich am Graben. »Also, entweder ist der Rest der Leiche woanders, oder …«

»Oder?«

»Es sind eben keine menschlichen Knochen.«

In diesem Moment klingelte Störmers Handy. Er war froh, aus der gebückten Haltung aufstehen zu können. »Hallo Elena, schön, dass du anrufst.« Störmer klopfte Staub von der Hose, als er zuhörte. Er sah seinen Kollegen an. »Sie können aufhören. Wenn uns nicht alles täuscht, sind das die Knochen einer Katze. Genau kann unsere Kollegin das erst sagen, nachdem sie alles auf dem Tisch hat.«

»Na prima, dann darf wenigstens die Spurensicherung das Wochenende genießen.« Siebenhühner trat wütend in das Erdloch. Man sah ihm irgendwie an, dass es ihm peinlich war, Verstärkung aus Halle gerufen zu haben.

Störmer winkte ab und griff ihn plötzlich am Arm. »Moment, warten Sie.«

Er zeigte auf eine Stelle im Boden, die wie Messing glänzte, bückte sich und grub weiter. Kurze Zeit später hatte er ein Grablicht freigelegt.

»Voll mit Erde, wer weiß, wie lange das hier schon liegt.«

Unmittelbar darauf hielt er die Reste einer Gürtelschnalle sowie einen Schuhabsatz nach oben.

»Jetzt wird es wirklich spannend. Manche Dinge verrotten nämlich viel langsamer, als die Leute denken. Wir bestellen die Spusi nicht ab, die sollen sich das ruhig ansehen.« Er hob den Metalldeckel an und blickte in das Innere des geschmiedeten Grablichtes. »Das ist keine Erde.«

»Nein? Was könnte das sonst sein?«

»Asche, Herr Kollege. Sehen Sie?«

Auf dem grauweißen Inhalt lagen zwei Haarspangen, ein Ring sowie eine Kette. Siebenhühner wurde blass. »So eine Scheiße.«

Wortlos ging Störmer zum Kofferraum und holte zwei Cola aus der Kühltasche. Dann fotografierte er die Seiten aus Siebenhühners Notizbuch mit den Personenangaben der drei Zeugen. »Ich fahre zuerst zu den Damen, später ins Krankenhaus. Viel bringen wird es nicht. Wer weiß, wie lange die Überreste hier schon liegen. Würden Sie auf die Spusi warten? Die müssten bald kommen.«

Er setzte sich ins Auto.

(Vor dreißig Jahren)

Er wollte nicht böse sein.

Im Moment konnte er kaum unterscheiden, was schlimmer war: das Zittern seiner Hände oder die Hungerkrämpfe. Vorsichtig öffnete er die massive Holztür mit der altdeutschen Aufschrift »Luftschutzkeller, geeignet für vier Personen«.

Gierig sog der Junge die Sommerhitze ein, würgte die Vorahnung herunter. Nasskalter Moder umfing ihn schon auf der obersten Treppenstufe, ein fürchterlicher Gestank in einer zähen Mischung aus Früher und Heute. Rasch zog er die Tür hinter sich zu, damit ihm die Fliegen nicht folgten. Sein Rucksack mit der gestern gekauften Desinfektionsmittelflasche war leicht. Für Lebensmittel hatte das Geld nicht mehr gereicht. Der Monatsscheck war noch nicht in der Post gewesen.

Er folgte den ausgetretenen Sandsteinstufen und genoss die Stille des Ortes. Im flackernden Halbdunkel einer fast verbrannten Kerze konnte er ihre Gestalt auf der Liege ausmachen. Bevor er herantrat, stellte er den Rucksack mit der Flasche auf ein Regal. Dann beugte er sich hinab, um zu prüfen, ob sie atmete. Erschrocken zuckte er zurück, als sie die Augen öffnete und ihn gleichzeitig ein Schwall grün-galliger Speichelmasse nur knapp verfehlte. Geduldig wartete er das Ende eines Hustenanfalls ab und rollte ihre fleckige Wolldecke zurück.

Es wird gleich wehtun, dachte er bei sich.

Er nahm seinen alten Walkman, stülpte die Kopfhörer über und schob die Lautstärke fast auf Anschlag. Schließlich drehte er die Flasche mit dem Desinfektionsmittel auf und tränkte ein Geschirrtuch. Dann löste er die Fessel an ihrer linken Hand. Routiniert wischte er in einer schnellen Bewegung unter dem Lederriemen durch. Die klapprige Frau schrie auf. Dank der Musik sah er nur ihr verzerrtes Gesicht. Anschließend befreite er die rechte Hand. Ein Wisch mit dem Geschirrtuch ließ sie erneut das Gesicht verzerren. Jetzt erst sah er, dass sie weinte.

Mit einer Ecke des Tuches tupfte er ihr die Schweißperlen von der Stirn. Zufrieden bemerkte er, dass ihr Fieber gesunken war. Er wischte weiter, schließlich unter der Kleidung, darauf bedacht, jederzeit ausweichen zu können. Einmal, erinnerte er sich, hatte sie ihn mit ihren zahnlosen Kiefern gepackt und mit der Kraft eines Schraubstockes zugebissen, sodass das Fleisch an seinem Arm fast bis zum Knochen zerquetscht wurde. Von da an war er vorsichtig.

Er sah nicht hin, als er ihren Unterleib entblößte. Für einen kurzen Moment hörte er auf zu atmen. Dann griff er mit beiden Händen in die eklige, breiige Masse, die aus aufgequollenen Papier- und Stofffetzen bestand. Hastig stopfte er alles in eine Mülltüte. Mit dem Geschirrtuch wischte er gründlich nach, auch an den Stellen, wo er Entzündungen vermutete. Sie wimmerte. Wenn er wieder Geld hätte, würde er vielleicht richtige Windeln kaufen. Jetzt musste genügen, was da war.

Die Musik wummerte weiter in seinen Ohren, als er die mageren Beine säuberte. Damit sie nicht von der Liege fiel, beließ er die Fesseln an den Fußgelenken, umwischte sie nur mit einem Schwall Desinfektionsmittel. Zum Schluss faltete er das Tuch zu einer provisorischen Windel. Den letzten Rest aus der Flasche brauchte er, um seine eigenen Hände zu reinigen. Manchmal träumte er davon, sich Handschuhe zu kaufen.

Zufrieden schob er den Walkman in den Rucksack zurück.

Körperpflege war wichtig. Außerdem musste sie bei Kräften bleiben. Deshalb griff er nach einem angebrochenen Glas Babynahrung. Er warf zwei Beruhigungstabletten hinein und bückte sich nach der Blechschüssel, mit der er das von den Wänden laufende Wasser aufgefangen hatte. Es war genug Wasser da, um die Babynahrung zu verdünnen.

Er schüttelte das Glas, bis sich eine lockere Masse gebildet hatte. Sie versuchte, ihren Mund geschlossen zu halten. Aber dazu war sie inzwischen zu schwach. Ein kurzer Druck auf ihr Kinn genügte. Schnell schüttete er den Brei hinein, presste seine Hand auf ihren Mund und rieb ihre Kehle so lange, bis sie schluckte.

Später hörte sie auf zu weinen und sah ihn an. Die graugelbe Haut bildete einen scharfen Kontrast zum irren Glanz ihrer Augen, der dem bläulichen Flügelschlag einer schillernden Schmeißfliege ähnelte. Ihm schauderte.

Der Arzt hatte vor einiger Zeit gemeint, dass sie sich in wenigen Tagen erholen würde. Irgendwann verging jeder Anfall, das wusste er. Er hatte Angst um sie und wünschte sich sehr, sie bald wieder mit nach oben zu nehmen. Dann würde er auch wieder für sie tanzen. Er würde ihre lachenden Augen sehen, wenn er die blanken Elektrodrähte zwischen die eigenen Zehen steckte, um sich zuckend im Strom zu bewegen. Dass er danach Turnschuhe statt Sandalen tragen musste, störte ihn nicht. Wichtiger war, dass die anderen Kinder die schwarzen Brandstellen an seinen Füßen nicht sahen.

Er legte seine Stirn an die ihre: Alles wird gut. Du musst gesund werden, ja? Und ich werde tanzen.

Vorsichtig schob er ihre Hände zurück unter die Lederfesseln, sie ließ es geschehen. Kurz strich ihre aufgequollene Zunge über die rissigen Lippen. Ihr Atem wurde gleichmäßiger, sie schlief.

Zuletzt legte er die Wolldecke wieder über den fiebrigen Körper, griff seinen Rucksack, erneuerte die Kerze und stieg nach oben.

Auf der letzten Stufe bekreuzigte er sich. Dann betete er leise zur Mutter Gottes.

ZWEI

Alles scheint durchwoben wie ein rotgraues Nebelnetz. Dunkelheit drückt wie ein zähes Gelee auf die Augen. Für Erinnerungen ist es viel zu früh, ihr Gehirn ist noch nicht bereit dazu. In Bruchstücken kommen und gehen erste Gedanken und Geräusche, Geschmack und Duft. Wie in einer Disco-Show: da, weg, da, weg …

Die Momente der Klarheit werden länger. Einzelne Szenen reichen schon über Sekunden hinweg. Sie verbinden sich zu Anfängen von Gedanken, auch wenn sie noch nicht greifbar sind. Atmen. Heftig und tief, ohne Pause. Aus einem Instinkt heraus. Denn da ist sonst nichts. Weder ein Geräusch noch eine Bewegung, absolut nichts, noch nicht mal ein Blitz. Völlige Dunkelheit und Stille.

Sie schläft fast die ganze Zeit.

Erst später dann die ersten Empfindungen. Ein leichter, undefinierbarer Geschmack nach Wald, Erde und Moos. Schlucken geht nicht, keine Kraft. Alles geschwollen. Die Augen sind zu, der Mund ebenso. Hätte sie es beschreiben können, dann hätte sie es Wollwärme genannt. Es ist fast so, als wenn es brennt, in ihrem Hals, im Kopf, überall. Wie eine alles umhüllende Fiebertemperatur. In einem der kurzen Momente, in denen sie nicht bewusstlos ist, erinnert sie sich in Bruchstücken an den Rest ihres Körpers, versucht etwas zu spüren. Aber keine ihrer Mühen wird belohnt, keine einzige Bewegung gemacht. Dumpf hämmert der Schmerz. Dann döst sie weg, viel zu schwach, um Träume zu sehen.

Etliche Stunden darauf ist der Kampf entschieden. Sie lebt. Auch wenn ihr noch alles fehlt, ihre Erinnerungen, Bewegungen und Gefühle. Vorerst hat sie nur ihre Instinkte. Ihren Kopf kann sie nicht drehen und auch keine Hände oder Füße bewegen. Etwas hält sie fest. Mit aller Kraft versucht sie, die Augen aufzureißen. Vergebens. Der Schmerz bleibt dabei gleich, egal was sie tut. Verzweifelt testet sie, den Mund zu öffnen, immer wieder, es will ihr nicht gelingen. Als sie dann einen Laut im Hals formt, weiß sie nicht, ob sie es sich doch nur wieder eingebildet hat. Auf die Idee, zu weinen, kommt sie nicht. Noch nicht. Später ist es wie ein kleiner Erfolg, als sie ihren Atem bewusst steuern kann. Sie riecht den Moder der Erde und die Wolle, die ihr Gesicht umhüllt. Zeit aber spielt jetzt keine Rolle mehr. Sie hat das Erlebte verdrängt. Unbewusst träumt sie sich weg. Jeder andere Ort ist besser als hier.

»Nicht schon morgen, aber bald, mein Kind, weißt du, wer du bist und wie du heißt. Schlaf dich aus, denn du wirst deine Kraft noch brauchen. Ganz bestimmt … und nun gute Nacht, schlaf schön …«

Durch die geschlossenen Lider sieht sie ein sanftes Licht, das zuerst auf das linke und dann auf das rechte Auge fällt. Sie bemerkt nicht, dass es der Schein einer Taschenlampe ist. Erneut versucht sie, die Augen zu öffnen. Etwas streicht sanft über ihr Gesicht, ohne sie wirklich zu berühren. Wie ein leichter Stoff oder auch nur wie ein Windhauch.

Ihre Schmerzen spürt sie nur leicht. Irgendwann entsteht das Gefühl, als würde sie sich zur Seite drehen. Die Zeit bis zum Einschlafen reicht nicht, um den kurzen Druck in beiden Armen zu bemerken. Viel lieber gibt sie sich wieder der Müdigkeit hin.

Etwas hat sie geweckt, ohne dass sie es hätte beschreiben können. Der Schlaf hat nichts Erholsames gehabt. Er hatte sie nur ein weiteres Mal alles vergessen lassen. Sie weiß nicht, wer sie ist. Sie dämmert nur. Die Wachphasen werden länger. Bewegungen sind noch nicht möglich, sie empfindet nichts. Sie starrt stumpfsinnig in die tiefschwarze Dunkelheit. Irgendwann bemerkt sie wieder einen spitzen Druck an beiden Armen, der jedoch schnell verschwindet.

Wieder ein Hauch über ihrer Haut, ein Luftzug wie ein unabsichtliches Vorbeistreicheln. In grauen Schatten zeichnen sich Konturen ab. Was sie verschwommen sieht, ist die hohe Decke eines Raumes. Es ist angenehm, mehr als Nichts zu sehen. Und dieses Gefühl gibt ihr die Gelegenheit, beruhigt einzuschlafen. Im schwachen Licht, das für einen Moment auf sie fällt, streicht jemand den Stoff neben ihr glatt.

»So ist es gut, mein braves Kind, schlaf dich aus, sammle Kraft und werd gesund. Nachher habe ich mehr Zeit für dich. Ich werde dir helfen. Ganz vorsichtig, das verspreche ich dir. Gute Nacht, mein Kind …«

DREI

Telefonisch war Staatsanwalt Bernhard Nagel nicht zu erreichen. Er konnte nur einen Rückrufwunsch hinterlassen. Die beiden Zeuginnen hatte Störmer vernommen, ohne neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die Befragung des Jünglings würde er an seine Assistentin Sabine delegieren. Er war froh, dass er sie hatte. Wenn ihn jemand bitten würde, sie zu beschreiben, dann konnte er sie uneingeschränkt als zielsterbig, loyal und zurückhaltend bezeichnen. Sabine blieb dabei im Hintergund, hielt ihm den Rücken frei und bügelte seine Unzulänglichkeiten und Launen aus. Sie war schüchtern und zweifelte oft an sich selbst. Jede neue Herausforderung bei einer Ermittlung bereitete ihr Sorgen und gab ihr gleichzeitig Kraft. Ganz am Anfang ihrer Zusammenarbeit hatte sie sich gewünscht, nie direkt ermitteln zu müssen, immer in der zweiten Reihe bleiben zu dürfen. Störmer wusste kaum etwas von ihrem Privatleben, das sie komplett hinter den Dienst zurückgestellt hatte. Ihre treffsichere Intelligenz bei der Verfolgung komplexer Tathergänge und ihre Liebe zur Schreibtischarbeit füllten ihr Leben aus. Zwischen ihnen bildete sich schnell ein besonderes Vertrauensverhältnis und das gegenseitige Wissen, sich blind aufeinander verlassen zu können. So oft er konnte, beschützte er sie vor der Welt außerhalb der Polizeidienststelle. Sie mochten einander und wirkten auf Außenstehende oft wie ein altes Ehepaar. Und tatsächlich waren sie auch so aufeinander angewiesen.

Was wohl einen Sechzehnjährigen an einem Sexabenteuer mit den effektiv viel zu alten Damen reizte? Ansonsten erhoffte er sich davon kaum brauchbare Informationen. Der Kerl hatte die Leiche nur zufällig gefunden und mit dem Rest höchstwahrscheinlich nichts zu tun.

Er fuhr nach Halle zurück, um sich um seine Tochter Verena zu kümmern. Eigentlich. Sie hatte ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, er sollte heute Abend zurückrufen. Er hatte seine Tochter lange nicht gesehen, im letzten Jahr maximal ein- bis zweimal. Nun wollte sie ihn plötzlich besuchen, zum ersten Mal überhaupt. Sie plante, für ein ganzes Wochenende zu kommen. Was aber sollte er zwei volle Tage mit einer Teenagerin anfangen?

Der neue Fall ging vor, Störmer versuchte, sich zu konzentrieren. Bestimmt würde es helfen, zu Hause einen detaillierten Bericht zu schreiben. Genau in diesem Moment klingelte sein Handy.

»Hallo Richard, ich wünsche dir einen schönen Sonntag!« Das Lachen des Staatsanwaltes Nagel am anderen Ende war deutlich zu verstehen.

»Vielen Dank auch, trotzdem gut, dass du zurückrufst. Sag mal, Bernhard, hast du schon von unserem Fund im Mansfelder Land gehört?«

»Aber sicher, mein Guter, ich war unterwegs, konnte aber das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Du weißt, ich bin auf der Suche nach einem neuen Auto. Jetzt habe ich ein Audi-Cabriolet zur Probefahrt, nicht schlecht, alter Schwede. Soll ich dich vielleicht abholen und wir drehen eine Runde? Bei mir ist nette Begleitung an Bord.«

Störmer vernahm ein Kichern.

»Prinzipiell gern, aber dafür habe ich leider keine Zeit, fahre gerade zurück nach Halle.

---ENDE DER LESEPROBE---