Ich schick dir mein Herz - Jo Jonson - E-Book
SONDERANGEBOT

Ich schick dir mein Herz E-Book

Jo Jonson

0,0
5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn das Leben ein Liebeslied wäre ...
Der gefühlvolle Liebesroman, der das Herz zum Singen bringt

Als Emma die Stimme des Sängers Jason Right das erste Mal im Radio hört, löst das Gefühle in ihr aus, die sie bis dahin nicht kannte. Sofort spürt sie, dass er der Mann ist, auf den sie ihr Leben lang gewartet hat. Kurzerhand schreibt sie ihn an und es passiert das Unfassbare – Jason antwortet ihr tatsächlich. Mit jeder neuen Nachricht verliert Emma ein kleines Stück ihres Herzens an den Sänger und endlich beginnt sie das Leben, von dem sie immer geträumt hat. Doch ihre Verbindung beschränkt sich auf kurze Nachrichten und Emma kommen immer mehr Zweifel. Gibt es eine Chance für eine gemeinsame Zukunft oder sind ihre Gefühle nur ein weiterer Traum?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Right for Love –  Gibt es dich?

 

Erste Leser:innenstimmen
„Ein schöner Liebesroman zum Abtauchen!“
„Knisternde Rockstar-Lovestory fürs Herz.“
„Bis zum Schluss habe ich mit Emma mitgefiebert und mich mit ihr auf eine wunderbare Reise begeben. Bitte mehr davon!“
„Der Roman ist eine Liebeserklärung ans Leben und die Liebe!“
„Gefühlvoll, spannend und einfach romantisch.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 423

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses E-Book

Als Emma die Stimme des Sängers Jason Right das erste Mal im Radio hört, löst das Gefühle in ihr aus, die sie bis dahin nicht kannte. Sofort spürt sie, dass er der Mann ist, auf den sie ihr Leben lang gewartet hat. Kurzerhand schreibt sie ihn an und es passiert das Unfassbare – Jason antwortet ihr tatsächlich. Mit jeder neuen Nachricht verliert Emma ein kleines Stück ihres Herzens an den Sänger und endlich beginnt sie das Leben, von dem sie immer geträumt hat. Doch ihre Verbindung beschränkt sich auf kurze Nachrichten und Emma kommen immer mehr Zweifel. Gibt es eine Chance für eine gemeinsame Zukunft oder sind ihre Gefühle nur ein weiterer Traum?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Right for Love –  Gibt es dich?

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Januar 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-147-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-175-9

Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Right for Love (ISBN: 978-3-96087-898-8).

Covergestaltung: Emily Bähr unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © mexrix, © Lukas Gojda, © Aon Khanisorn, © Pertseva_Elena Lektorat: Daniela Höhne

E-Book-Version 11.04.2024, 11:13:11.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier

Website

Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein

Newsletter

Facebook

Instagram

TikTok

YouTube

Ich schick dir mein Herz

In deiner Sehnsucht findest du die Kraft für einen Anfang. – Monika Minder –

Für King’s Tonic

Eure Musik hauchte

Emma und Jason Leben ein.

 Für meinen Papa Reiner

Wir sehen uns wieder

Vorwort

Als ich die Erstauflage von „Ich schick dir mein Herz“ schrieb, gab es in meinem Leben einige Umbrüche. Ich zog das erste Mal in eine größere Stadt, löste mich aus einer alten Beziehung und ging eine neue mit meinem heutigen Ehemann ein. Dieser begann viel mit mir in Deutschland und Europa herumzureisen, was eine völlig neue Erfahrung für mich war. Mir wurde klar – wow, da draußen ist ja noch so viel mehr.

Genau darum geht es in Emmas Geschichte. Es ist nicht einfach nur die Suche nach der einen großen Liebe, sondern die Suche nach sich selbst. Beides war mir viele Jahre vertraut und Musik spielte dabei auch für mich eine große Rolle.

Die Idee zu „Ich schick dir mein Herz“ kam mir bei einem Wochenendurlaub in Dortmund, wo ich mit meinem Mann ein Fußballspiel besucht hatte. Ich lag im Hotelzimmer auf dem Bett und hörte eine meiner Lieblingsbands „Kingstonic“. Und plötzlich war alles da – Emma, Jason, die ganze Geschichte. Es spielte sich wie ein Film vor meinen Augen ab.

Davor hatte ich viele Jahre mit langen Schreibblockaden zu kämpfen. Es war das erste Mal, dass der Stift wieder wie von allein übers Papier fegte. Ich schrieb auf unseren Ausflügen, den Reisen, im Park, Zuhause – überall. Und die Eindrücke der jeweiligen Orte flossen direkt ins Buch mit ein.

„Ich schick dir mein Herz“ war nicht nur eine großartige Schreiberfahrung für mich, es war das erste Manuskript, das mir zu einer Agentin und schließlich zu einem größeren Leserkreis verhalf, als ich es beim dp Verlag veröffentlichte.

Seitdem ist viel passiert. Ich habe drei weitere Bücher veröffentlicht und das vierte steht schon in den Startlöchern. Umso mehr freue ich mich darüber, dass „Ich schick dir mein Herz“ neu gekleidet wird und ich mich mit euch Leser:innen zusammen aus meinem heutigen Blickwinkel damit beschäftigen darf.

Ich danke dem Team des dp Verlags von Herzen für seinen unermüdlichen Einsatz, um uns Autoren so gut es geht zu unterstützen. Und vor allem danke ich euch Leser:innen, dass ihr auf den Spuren unserer Reisen wandelt.

Viel Vergnügen beim Eintauchen in Emmas Geschichte.

Prolog

Ticktack, ticktack.

In den vier Jahren, seit ich nun schon in dieser Wohnung lebte, war mir das Geräusch der Uhr über unserem Küchentisch nie so laut erschienen. Die Heizungsrohre brummten, die Straßenbahn ratterte auf der Straße unter dem Fenster vorbei. Die ganze Welt schien lauter zu werden, als es an unserem kleinen Tisch immer stiller wurde.

Alex hatte seinen Kopf in die Hände gestützt, sein Gesicht war nach unten gerichtet, sodass ich nur seinen braunen Lockenschopf vor mir sah, in den sich seine Hände vergraben hatten.

Das Warten war unerträglicher als es das Sprechen gewesen war. Mein Magen war ein einziger Knoten aus Schuld und Selbstvorwürfen. Wir kannten uns jetzt fast sieben Jahre. Sechs davon waren wir ein Paar gewesen. Seit heute sprach ich in der Vergangenheitsform davon, seit genau einem Augenblick. Seit dem Augenblick der Stille an unserem Tisch.

Dabei war es fast zwei Jahre her, als ich eines Morgens nach einer schlaflosen Nacht aufgestanden war und mit Schrecken festgestellt hatte, dass ich auch diesen wundervollen Mann nicht lieben konnte. Wie die vielen bedeutungslosen Jungen vor ihm auch. Dabei war ich mir so sicher gewesen, dass es mit Alex hinhauen würde. Mit dem ruhigen, geduldigen Alex, der die gleiche Musik mochte wie ich und mit mir über meine Lieblingsserie lachte, selbst wenn ich sie mir zum zehnten Mal ansah.

Wir hatten uns bei der Ausbildung bei Pharmamedia kennengelernt – einer Onlineapotheke, für die wir beide arbeiteten. Tür an Tür. Allein der Gedanke daran, fortan dort seine traurigen Blicke ertragen zu müssen, verursachte mir heftige Magenschmerzen.

„Ich habe es die ganze Zeit gewusst. Ich wusste nur nie, wann es passieren würde.“ Er sprach leise, mit einer mir unbekannten Stimme, die mir das Herz brach. Alex war ein fröhlicher und selbstbewusster Mensch. Unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung. Ich war die Welle, die ihm diese widerlichen Risse beigebracht hatte. Weil ich selbst nicht brechen konnte. Ich verfluchte mich und mein Herz. Mein kaltes Herz, das unfähig schien zu lieben und jetzt dennoch so viel Schmerz empfand. Konnte ich nicht wenigstens gänzlich ohne Gefühl sein? War ich wirklich dazu verdammt, Leid, nie aber Liebe fühlen zu können?

„Wie meinst du das?“ Meine Stimme war ebenso kratzig wie seine.

Endlich sah er auf. Seine braunen Augen hatten noch nie so traurig ausgesehen. „Glaubst du, ich hätte es nie bemerkt? Du hast dich danach gesehnt, mich zu lieben. Aber du hast es nie geschafft, Emma.“

Als er mich bei diesem Namen nannte, zuckte ich zusammen. So hatte mich seit Jahren niemand mehr angesprochen. Seit meinem zwölften Lebensjahr war ich für alle nur noch Georgie gewesen. Ein Name, den meine beste Freundin Sarah für mich erfunden hatte, weil sie meinte, er passe besser zu mir. Emma sei etwas für einen Hund, hatte sie bei unserem ersten Treffen gesagt.

Zuerst war es ein Running Gag in der Schule gewesen, der sich dann so sehr gefestigt hatte, dass selbst die Lehrer Emma vergaßen. Auch mein Vater hatte sofort mitgespielt, weil er dachte, mit dieser Macke seien meine Eltern besser dran als andere, deren Töchter im Alter von zwölf Jahren schon den ersten Schwangerschaftstest machen mussten. Nur meine Mutter hatte sich so lange vehement gegen den Namen gewehrt, bis ihr nichts anderes mehr übriggeblieben war.

Alex hatte ich mich im Alter von siebzehn Jahren als Georgie vorgestellt. Meinen richtigen Namen fand er nur durch einen zufälligen Blick auf meinen Ausweis heraus. Als ich ihm klarmachte, dass ich den Namen nicht mochte – dass er zu einem Mädchen gehörte, mit dem ich mich nicht mehr identifizieren konnte –, war er nie mehr gefallen. Bis zu diesem Augenblick.

„Du hast immer nur gewartet“, sagte er jetzt. „Seit ich dich kenne, legst du jeden Monat fast deinen ganzen Lohn beiseite, weil du von fernen Reisen träumst, pinnst dir Postkarten ferner Länder an die Wände. Du träumst und träumst. Aber in keinem dieser Träume bin ich vorgekommen.“

„Das ist nicht wahr“, verteidigte ich mich, obwohl wir beide wussten, dass es doch so war. „Ich finde die Landschaften einfach schön. Und ja, ich spare mein Geld, weil ich immer vorhatte, viel zu reisen.“

Er zuckte die Schultern. „Aber du hast es nie getan, nicht mit mir.“

Ich sah ihn sprachlos an. Er hatte nie auch nur ein Wort darüber verloren, dass er mit mir verreisen wollte. „Es war auf Arbeit immer zu viel zu tun, das weißt du.“

„Georgie, du hasst deine Arbeit.“ Jetzt wurde er laut und funkelte mich böse an. Das war mir lieber als der gebrochene Alex, der mir so fremd war. Im gleichen Atemzug fragte ich mich, wie fremd wir uns von heute an werden würden.

Wir hatten sechs Jahre lang das Bett geteilt, seit vier Jahren waren wir jeden Tag nebeneinander aufgewacht und nebeneinander eingeschlafen. Ich wusste mit einem Blick, wann er einen guten Tag hatte und wann nicht. Ich kannte seine Launen, sein Lachen, seine Ängste, seine Sehnsüchte. Alles an ihm war mir vertraut. Vom Geruch der Haut hinter seinem Ohrläppchen bis zu der winzigen Narbe an seinem kleinen Finger.

„Weißt du, was ich denke? Dass du nur auf diesen Augenblick gewartet hast, um endlich mit dem Leben zu beginnen!“

Dieser Vorwurf riss mich aus meinen Gedanken und ich spürte, dass ich erbleichte. Gleichzeitig wusste ich, dass er recht hatte. Ich wollte nicht mehr warten. Warten auf etwas, von dem ich nicht einmal genau wusste, was es war. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Ich konnte so nicht mehr weitermachen. Die Lüge, die ich lebte, drohte mich zu ersticken.

Wie die Tränen, die sich nun endlich ihren Weg in die Freiheit bahnten. „Versteh doch, dass es unfair dir gegenüber wäre, so weiterzumachen, selbst wenn ich es könnte. Du verdienst jemanden, der dich richtig liebt mit Haut und Haar. Du bist der beste Mann, den ich kenne.“

„Und immer noch nicht gut genug für dich“, murmelte er bitter und erhob sich. „Ich muss gehen, sonst sage ich Dinge zu dir, die ich später bereue. Ich gehe eine Runde, um mich zu beruhigen und dann bereden wir, wie es weitergehen soll.“

Das war typisch für meinen vernünftigen zuverlässigen Alex. Natürlich würde er mich nicht einfach vor die Tür setzen. Ich blinzelte verzweifelt die Tränen fort, um ihn endlich wieder klar sehen zu können. „Sag mir, was ich tun kann.“

Er seufzte frustriert. „Finde endlich das Leben, das dich glücklich macht, Georgie.“

Kapitel Eins

Zwei Jahre war es nun her, dass er diesen Satz zu mir gesagt hatte. Dennoch holte dieser mich immer wieder ein. Meist an Tagen wie heute, an denen ich mich in Embryonalhaltung in einer Ecke zusammenkauern und heulen wollte, bis nichts mehr von dem Frust in mir übrig war.

Seit dem Augenblick am Küchentisch unserer Wohnung hatte sich nichts in meinem Leben verändert, bis auf die Tatsache, dass ich nicht mehr mit Alex zusammen war. Ich hatte noch denselben verhassten Job, denselben grauen Alltag, war dieselbe traurige Frau. Ich brachte es einfach nicht fertig, mir den nötigen Tritt für eine Veränderung zu geben. Fast schien es, als hätte ich all meine Kraft dafür gebraucht, die Beziehung mit Alex zu beenden.

Während sein Leben seit unserer Trennung unter Abenteuern, neuen Hobbys und Träumen erblühte, igelte ich mich immer mehr ein. Mehr als der freitägliche Mädelsabend mit meiner besten Freundin war bei mir nicht drin.

Bei diesem Gedanken kehrte ich unsanft in die Gegenwart zurück. Von dem Mädelsabend mit Sarah konnte ich mich heute getrost verabschieden. Zu allem Übel hatte ich verschlafen, da ich am Vortag bis spät in die Nacht mit ihr telefoniert hatte, um mir mal wieder ihre Beziehungsprobleme mit Thomas anzuhören.

Als wäre das nicht schon schlimm genug, war auch noch meine Bahn ausgefallen, sodass ich jetzt mit einem Linienbus durch die brechend vollen Straßen Leipzigs tuckelte. An der Station Wielandplatz stieg ich aus und rannte über die Straße zu dem hohen Glasgebäude, welches im fünften bis siebten Stock die Firma beherbergte, für dich ich seit acht Jahren arbeitete.

Im Aufzug hatte ich das erste Mal Gelegenheit, mir die Reaktion meines Chefs auf mein Zuspätkommen auszumalen, was nicht gerade dazu beitrug, meine flatternden Nerven zu beruhigen. Chris war kein besonders verständnisvoller Mann. Um nicht zu sagen: Er war das komplette Chef-Arschloch.

Meine Kollegen waren auch nicht besser. Seit ich mich von Alex getrennt hatte, behandelten sie mich, als wäre ich ein Ungeheuer. Als ich im letzten Jahr zur Büroleitung ernannt wurde, machte sogar das Gerücht die Runde, ich hätte mir diesen Posten durch zweifelhaftere Arbeiten als nur das Sortieren von Akten verdient.

Umso dankbarer war ich, als der Aufzug an der Etage des Großraumbüros vorbeifuhr, wo sie alle saßen und auf den kleinsten Fehler von mir warteten, um mich bei Chris anzuschwärzen. Wie er und Alex hatte ich in der siebten Etage ein Einzelbüro.

Hier hatte ich zwar Ruhe vor meinen Kollegen, war allerdings den Launen meines Chefs auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, der stets wie ein Rektor hinter dem Schreibtisch seines verglasten Büros saß und jeden vorbeieilenden Mitarbeiter mit Argusaugen beobachtete.

Heute saß er mit dem Rücken zu mir und war scheinbar in ein Telefonat vertieft. Ich atmete erleichtert auf und eilte Richtung Alex’ Büro. Obwohl er allen Grund hatte, mich zu hassen, war er mein einziger Verbündeter hier. Wir hatten vor acht Jahren zusammen die Ausbildung bei Pharmamedia begonnen. Kennengelernt hatten wir uns an der Haltestelle vor der Haustür des Blocks, in dem ich zu der Zeit noch mit meinen Eltern gelebt hatte.

An besagtem Tag hatte ich ein Bushäuschen mehr denn je vermisst, denn es schüttete wie aus Kübeln. Der Regen hatte begonnen, mein Haar unter der durchgeweichten Kapuze zu kräuseln, als Alex scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war und mir seinen Schirm über den Kopf hielt. Wir waren sofort ins Gespräch gekommen und hatten schnell herausgefunden, dass an diesem Tag für uns beide der erste Tag beim selben Arbeitgeber anbrechen würde. Aus Sympathie war schnell Freundschaft und bald darauf Liebe geworden. Zumindest bei Alex.

Ich erwachte aus der Erinnerung und betrat sein Büro.

„Weißt du, wie spät es ist?“, begrüßte er mich, ohne von seinem Aktenstapel aufzusehen.

Ich ließ mich auf einer Ecke seines Schreibtisches nieder, wo wie immer eine zweite Tasse Kaffee auf mich wartete.

„Wie schlimm steht es?“, fragte ich bang und nahm einen großen Schluck des inzwischen eiskalten Getränks.

„Du hast deinen Zwölfuhrtermin verpasst“, erwiderte er gelassen.

Ich sprang so ruckartig auf, dass der Kaffee aus der Tasse auf den Boden schwappte. Zum Glück verfehlte er mein sündhaft teures Business-Kostüm. „O Alex, entschuldige“, jammerte ich, griff nach der Taschentücherbox auf seinem Schreibtisch und wischte den Kaffee zu meinen Füßen auf.

Er war sofort bei mir und legte mir eine Hand auf den Arm. „Georgie, beruhige dich. Egal, was Chris auch sagt, das ist nicht das Ende der Welt. Weder die Kaffeeflecken, noch der verpasste Termin.“

„Aber es ging um eine Großabnahme von –“

„Ich weiß“, unterbrach er mich sanft. „Ich habe den Termin übernommen.“

Meine Augen weiteten sich erstaunt. „Du? Aber du warst nicht vorbereitet.“

„Wir haben den Auftrag“, informierte er mich.

Einen Moment konnte ich ihn nur fassungslos anstarren.

„Alex Hartmann, wie zur Hölle hast du das schon wieder hinbekommen?“

„Ganz einfach. Ich habe den Herrschaften mitgeteilt, dass meine Kollegin wegen Krankheit ausfällt und sie gefragt, ob sie stattdessen mit mir Vorlieb nehmen können oder einen neuen Termin mit dir vereinbaren wollen. Sie entschieden sich schnell und unkompliziert für die erste Variante“, erwiderte er.

„Was wird Chris dazu sagen?“, fragte ich besorgt.

Ich erfuhr es in der nächsten Sekunde, als die Tür hinter mir aufgerissen wurde. „Was glaubst du eigentlich, was du da machst, Georgie?! Meinst du nicht, nach deiner ausufernden Tiefschlafphase hätte dein erster Weg in mein Büro führen müssen? Wie lange stehst du da schon mit einer Kaffeetasse in der Hand?“

„Ich versichere dir, dass sie noch nicht lange hier ist, Chris. Und den Kaffee habe ich ihr gekocht, ehe sie kam“, schritt Alex ein.

Es war zu spät. Unser Chef war voll in Fahrt. „Wenn du so viel Zeit hast, für sie den Diener zu spielen, sollte ich dir wohl mehr Aufgaben geben, Alexander. Im Grunde weiß ich gar nicht, warum ich zwei Gehälter bezahlen soll, wenn du Georgies Aufgaben offenbar spielend erledigst.“

„Es war das erste Mal, das ich einen Termin verpasst habe“, versuchte ich mich wütend zu verteidigen.

Chris war einer dieser Menschen, für die alles Gute nicht der Rede wert war und die auf jeden Fehler warteten, um sich dann gnadenlos und ausufernd daran hochschaukeln zu können.

„Soll ich dir jetzt auch noch dankbar dafür sein? Wie lange willst du hier noch herumstehen?“

Ich biss mir auf die Zunge, um nichts zu erwidern, was mich Kopf und Kragen kosten könnte, und stürmte erhobenen Hauptes an ihm vorbei aus dem Raum. Endlich in meinem Büro angekommen, warf ich frustriert die Tür hinter mir ins Schloss und hätte am liebsten einen Schreikrampf bekommen, als ich die Aktenberge auf meinem Schreibtisch sah. Mit schnellen Schritten ging ich näher. Auf jedem Stapel lag ein Vermerk von Chris mit immer derselben Notiz, die da hieß:

Noch heute zu erledigen!

Mir traten Zornestränen in die Augen, als ich einige der Akten durchsah, von denen die meisten alles andere als dringlich waren. Mir war klar, dass er das nur tat, um mir eins reinzuwürgen; wahrscheinlich mit dem Wunsch, dass ich in sein Büro stürmte und um Aufschub bat. Darauf konnte er lange warten! Dem würde ich es zeigen und wenn ich die ganze Nacht hier säße!

Eine Stunde später wühlte ich mich gnadenlos durch die Papierstapel und ignorierte geflissentlich das Klopfen an der Tür. Mein Telefon hatte ich einfach ausgestöpselt und in mein E-Mail-Postfach sah ich gar nicht erst hinein. Nun galt ausschließlich: Ich gegen Chris!

Viel später – draußen war es aufgrund des Regens fast schon dunkel – ertönte ein Klopfen an meiner Tür. Ich stöhnte und ignorierte es. Als sich die Tür dennoch öffnete, sah ich mit kampfbereitem Blick auf, stellte jedoch erleichtert fest, dass es sich um Alex handelte.

„Meinst du, es ist klug, wenn er uns noch einmal zusammen erwischt?“, fragte ich.

„Du klingst, als hätte dein Ehemann uns in flagranti erwischt.“

Jetzt konnte auch ich mir das Grinsen nicht mehr verkneifen. „So hat es sich auch angefühlt.“

Alex lachte und schloss die Tür hinter sich. „Keine Sorge, dein Göttergatte hat vor drei Stunden das Gebäude verlassen.“

„Vor drei Stunden?“, fragte ich schockiert. „Wie spät ist es denn?“

„Kurz nach vier und Zeit für einen Kaffee. Ich wette, du hast heute noch keinen gehabt, bis auf den Schluck in meinem Büro. Von etwas Essbarem ganz zu schweigen.“ Damit stellte er eine Tasse frischen Kaffee zwischen meinen Aktenbergen ab.

„Danke, aber ich habe ja kaum Zeit, Luft zu holen“, sagte ich deprimiert und warf einen Blick auf den Berg an noch zu erledigender Arbeit. „Kein Wunder, dass er so früh Feierabend machen konnte, wenn er seine ganze Arbeit auf mich abgewälzt hat. Mal wieder.“

„Wirklich, Georgie. Warum bist du noch hier?“, fragte Alex.

Ich runzelte die Stirn, legte einen Stoß an erledigten Papieren beiseite und griff mir den nächsten. „Weil ich das alles heute noch erledigen muss.“

Er zog sich einen Stuhl heran, griff sich ebenfalls einige Akten und begann, sie zu sortieren. „Ich meine nicht nur heute, sondern generell.“

„Du musst mir nicht helfen“, sagte ich statt einer Erwiderung. „Du hast Feierabend, oder?“

„Und du weichst meiner Frage aus“, lächelte er.

„Ach, Alex! Das Thema hatten wir schon tausendmal. Niemand liebt seinen Job.“

„Aber keiner hasst ihn so wie du“, erwiderte er.

Gereizt schmiss ich den Kugelschreiber über den Tisch und sah ihm wütend ins Gesicht. „Fein, dann erzähl mir doch bitte, welcher Job zu mir passt und da draußen nur darauf wartet, von mir entdeckt zu werden.“

„Dass du ständig so gereizt reagierst, wenn das Thema zur Sprache kommt, verrät mir, dass ich richtig liege“, erwiderte er ernst. „Georgie, ich kann dir nicht sagen, wonach du suchst, aber wenn du hierbleibst und dich für dieses Arschloch krummschuftest, wirst du es nie herausfinden.“

„Das ist nicht so einfach“, rief ich frustriert und ignorierte die kleine hässliche Stimme in meinem Kopf, die mir widersprach und mich einen Feigling nannte.

Einige Zeit schwieg er. „Und was ist mit deinem Vorsatz, dein Leben zu ändern?“

Schockiert sah ich ihn an. Das war heute schon das zweite Mal, dass mich der Abend unserer Trennung einholte. Es war kein Wunder, dass er wütend darüber war, dass ich mich leichter von unserer Beziehung hatte lösen können als von einem Arbeitsplatz, den ich von Tag zu Tag mehr hasste. Trotzdem fand ich es unglaublich, dass er mir gerade jetzt diesen Satz entgegenschleuderte.

Auf mein betroffenes Schweigen hin seufzte er: „Lassen wir das. Komm, lass uns weiterarbeiten. Umso schneller sind wir hier raus.“

Ich gab es auf, ihm das ausreden zu wollen und so arbeiteten wir stumm und effizient. Unglaublicherweise waren wir schon um sechs Uhr fertig.

„Jetzt aber nichts wie raus hier“, rief Alex erleichtert und erhob sich.

„Ich danke dir“, sagte ich und hatte ein schlechtes Gewissen. Wie eigentlich immer. „Lass mich dich wenigstens auf ein paar Getränke ins Leos einladen.“

Zögernd blieb er in der Tür stehen. „Und was ist mit deinem Mädelsabend mit Sarah?“

Ich winkte ab. „Ohne deine Hilfe hätte ich ihr absagen müssen. Leiste uns Gesellschaft. Bitte!“

Er grinste. „Alles klar. Wenn du meinst, dass Prinzessin Sarah noch jemanden zu ihrem königlichen Hofstaat lässt, bin ich gern dabei. Ich hole nur noch schnell meine Jacke.“

Als er aus dem Zimmer war, rollte ich die Augen, holte mein Handy aus der Tasche und schrieb Sarah eine kurze SMS, dass Alex mich begleiten würde. Auf die Antworten musste ich nicht lange warten. Sie bombardierte mich mit Nachrichten – das kannte ich schon von den Szenen, die sie Thomas regelmäßig machte. Sie schrieb, dass es unser Abend war und sie Alex nicht dabeihaben wollte. Dass ich genau wüsste, dass sie ihn nicht mochte. Dass auf mich kein Verlass sei, sobald er in meiner Nähe war.

Als ich Schritte hörte, ließ ich das Handy ohne zu antworten wieder in meine Tasche gleiten und setzte ein eiliges Lächeln auf. „Sie hat dir eine Szene gemacht, oder?“

„Nein, alles gut“, log ich schnell, obwohl ich genau wusste, dass er mir nicht glaubte und alles durchschauen würde, sobald wir bei Sarah im Lokal ankämen, die sich keine Mühe geben würde, Freundlichkeit vorzutäuschen.

„Georgie, sie ist nicht die Herrscherin über dein Leben“, knirschte er wütend.

Es war nicht die erste Auseinandersetzung dieser Art, die wir wegen Sarah führten. Während unserer Beziehung hatte Alex mich immer wieder ermahnt, dass sie zu viel Einfluss auf mein Leben nahm. Heute ließ ich ihn gewähren und sank ermattet im Beifahrersitz zurück, während er sich die ganze Fahrt über sie ausließ und das Handy in meiner Tasche wütend vibrierte, bis endlich der Akku versagte.

Als wir im Leos ankamen, saß Sarah allein an einem Tisch am Fenster und warf uns feindselige Blicke zu.

„Lass dich bloß nicht wieder von ihr schikanieren“, flüsterte Alex warnend in mein Ohr.

Meine Antwort darauf war lediglich ein resignierter Seufzer, weil ich – wie immer, wenn ich mit Sarah und Alex gleichzeitig in einem Raum war – das Gefühl hatte, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Oder, was es noch besser traf, von zwei heranrasenden Siebentonnern zermalmt zu werden.

„Du strahlst wie immer so schön wie die Sonne“, begrüßte Alex meine beste Freundin laut.

Ich knirschte wütend mit den Zähnen. Musste er sie jetzt auch noch provozieren? Das tat man mit aggressiven Hunden schließlich auch nicht. Anscheinend empfand Alex es als unbefriedigend, dass er sie bisher zu keiner neuerlichen Explosion hatte hinreißen können, denn er fuhr fort: „Warum hast du Thommy denn nicht mitgebracht?“

Sarah schrie nicht, doch sie spie die Worte hervor wie ein feuerspeiender Drache: „Sein Name ist Thomas! Und er ist nicht hier, weil das ein reiner Mädelsabend sein sollte.“

„Ich habe Alex eingeladen, weil er mir ungemein mit der Arbeit geholfen hat“, versuchte ich zu erklären. „Ohne ihn wäre ich nie so zeitig hier.“

„Zeitig?“, schnappte sie. „Ihr seid fünf Minuten zu spät dran!“

Zum Glück kam uns in diesem Moment ein Kellner zu Hilfe, der unsere Bestellungen aufnahm. Fast schien es, als würde sich die Situation entspannen, aber auf Alex war wie immer Verlass. „Ach, und für unsere Freundin bitte einen doppelten Whisky. Die Runde geht auf mich. Du kannst ihn vertragen.“ Letzteres fügte er mit einem mitleidigen Tätscheln von Sarahs Hand hinzu.

„Nimm deine Pfoten weg oder ich hacke sie dir ab“, fuhr sie ihn an, ehe sie ihm so eilig die Hand entzog, als hätte er eine ansteckende Krankheit.

Ich rieb mir mit einer Hand über die Schläfe, hinter der sich ein pochender Kopfschmerz anbahnte. „Ich flehe euch an, reißt euch zusammen. Ich hatte einen beschissenen Tag!“

Sarah beließ es bei einem gereizten Zungenschnalzen.

Eine Dreiviertelstunde später hatte sie bereits so viel getrunken, dass sie vergaß, sauer auf mich zu sein. Stattdessen widmete sie sich ihrer Lieblingsbeschäftigung, welche darin bestand, mir Männer im Raum zu zeigen, die augenscheinlich perfekt zu mir passen würden. Da Alex dabei war, schien es ihr noch mehr Freude zu bereiten als üblich.

„Siehst du den Typ an der Bar? Der mit den dichten schwarzen Haaren und den wahnsinnig braunen Augen? Ich wette, der spricht dich an, sobald du zur Toilette gehst.“

„Dann ist es ja gut, dass ich nicht muss“, erwiderte ich kühl, während ich spürte, wie Alex sich neben mir anspannte.

„Oh, da haben wir ihn wieder.“ Sarah schlürfte genüsslich an ihrem Mai Tai. „Den berühmtberüchtigten A-H-Effekt!“

Alex knallte sein leeres Bierglas so heftig auf den Tisch, dass ich befürchtete, es würde zerspringen, ehe er überstürzt aufstand. „Ich bestelle mir noch einen Drink!“

Der Abend war die reinste Katastrophe. Dieser bescheuerte A-H-Effekt war ein Running Gag von Sarah. Sie hatte ihn kurz nach unserer Trennung erfunden. Ich hatte seitdem beschlossen, mich von allen Männern fernzuhalten. Jedes Mal, wenn ich einem Typen einen Korb gab, kam sie wieder damit an. Das A und das H standen für die Initialen Alexander Hartmann. Dem Mann, der mein letzter Versuch gewesen war, wirkliche Liebe in mir zu spüren.

„Sag mal, musste das sein?“, sagte ich, als er außer Hörweite war.

„Ich kann einfach nicht anders“, kicherte Sarah. „Und irgendwie habt ihr es nicht anders verdient, so verkorkst wie ihr zwei seid. Ich meine, er kommt nicht von dir los und hofft so offensichtlich, dass du deine Meinung änderst, dass er einem fast schon leidtun könnte. Und du suchst so verzweifelt nach einem Mann, der erst noch für dich gebacken werden muss, dass du mir tatsächlich leidtust.“

Es war dasselbe blöde Gerede, das sie immer von sich gab, doch der Alkohol ließ es besonders bösartig klingen. Oder er machte mich sentimental. Jedenfalls trafen mich ihre Worte so tief, dass ich aufstand und aus dem Lokal stürmte. Ich hörte noch, wie sie mir nachrief, dass sie es nicht so gemeint hätte, aber ich ignorierte sie und rannte allein in die Nacht.

Sie konnte nicht verstehen, wie es für mich war – dieses Warten auf das Unerklärliche. Ich hatte nie versucht, es ihr begreiflich zu machen. Sarah war nicht die typische beste Freundin. Sie hätte mir vermutlich geraten, mit dem Warten aufzuhören. Als ob ich eine Wahl gehabt hätte! Ich hatte es mehr als einmal versucht. Immer, wenn ich es fast geschafft hatte, war der Gedanke dieser einen Möglichkeit in mir aufgestiegen. Der Möglichkeit, dass irgendwo da draußen jemand war, der genauso verzweifelt wartete. Und zwar auf mich. Es war nichts Ganzes und nichts Halbes. Ich wollte das Gefühl nicht mehr ertragen, aber loslassen konnte ich es erst recht nicht.

Als sich eine Hand auf meine Schulter legte, wirbelte ich aufgewühlt herum und sah in Alex’ besorgtes Gesicht. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er mir gefolgt war. „Was ist denn passiert?“

„Ich bin einfach völlig fertig. Ich ertrage sie keine Sekunde länger“, erwiderte ich schwer atmend.

„Dass Sarah eine Hyäne sein kann, muss ich dir nicht erst sagen“, erwiderte er schief grinsend.

Es war ein weiteres Zeichen dafür, dass Alex ein Engel sein musste, weil er immer noch versuchte, zu schlichten, obwohl sie den ganzen Abend so ekelhaft zu ihm gewesen war.

Egal wie wütend ich auf Sarah war, dass sie voller Schuldgefühle allein zurückblieb, wollte ich auf keinen Fall. „Tust du mir den Gefallen und gehst bitte zu ihr zurück? Ich bringe es einfach nicht über mich, aber ganz allein will ich sie auch nicht sitzen lassen.“

Sein Blick verfinsterte sich. „Verdient hätte sie es. Und dich soll ich allein nach Hause laufen lassen?“

„Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“

„Klar, du bist eine Heldin“, erwiderte er spröde. „Damit du es weißt, ich mache das nur, damit du abschalten kannst! Schreib mir wenigstens, sobald du in deiner Wohnung bist.“

Manche Gewohnheiten ließen sich einfach nicht ablegen. „Versprochen. Ich danke dir!“

„Das war das letzte Mal, dass ich dich aus ihren Klauen befreit habe. Du musst endlich lernen, auf deine eigenen Bedürfnisse einzugehen.“ Damit wandte er sich um und ließ mich fröstelnd in der Nacht zurück.

Ich ließ mich auf dem kalten Stein des kleinen Brunnens auf dem Platz vor der Thomaskirche nieder und fragte mich, wie ich auf meine eigenen Bedürfnisse eingehen sollte, während ich gleichzeitig das Gefühl hatte, keinen Deut in das Leben zu passen, welches ich zu diesem Zeitpunkt führte.

Kapitel Zwei

Das Wochenende darauf war das schlimmste seit Langem. Ich tat nichts anderes, als auf der Couch zu liegen und in Selbstmitleid zu baden, während ich mich dumpf von den geistlosen Nachmittagssendungen quälen ließ.

Da ich nie mehr als Fertigterrinen im Schrank hatte und mich nicht zum Einkaufen aufraffen konnte, aß ich nichts. Das Wohnzimmer verwandelte sich langsam, aber sicher in ein staubiges Chaos. Nicht, weil ich unordentlich gewesen wäre, sondern weil mir an meiner Bleibe einfach nichts lag.

Hatte Sarah recht, was Alex und mich betraf? Waren wir ebenfalls so jämmerliche Gestalten wie die, die sich gerade auf meiner Mattscheibe anbrüllten? Der eine konnte sich nicht von einer Beziehung lösen, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war, während die andere ewig einem Ideal hinterherrannte, das wohl nur in ihrer Fantasie existierte.

Ich fluchte, als die schrille Türklingel mein Selbstmitleid durchbrach.

„Niemand zu Hause“, murmelte ich, drehte mich entschieden auf den Rücken und starrte zu der trostlosen Raufasertapete empor. Der ungebetene Besuch würde schon wieder verschwinden, wenn der Türsummer nicht betätigt wurde.

Gerade als ich wieder in mein Gedankenkarussell einsteigen wollte, klopfte es an meiner Wohnungstür. Ich stieß einen wüsten Fluch aus und stand auf.

Als ich mit wildem Blick die Tür öffnete, unfrisiert und ungeschminkt, brach Alex in lautes Gelächter aus.

„Welcher meiner blöden Nachbarn lässt einfach Leute ins Haus?“, fuhr ich ihn an.

„Das war die nette alte Frau Stein. Und ich musste ihr lang und breit erklären, wer ich bin, in was für einer Beziehung ich zu dir stehe und warum ich jetzt hier bin. Von einfach kann also gar keine Rede sein“, erwiderte er vergnügt.

„Findest du das auch noch lustig?“, fauchte ich. „Wenn jemand die Tür nicht öffnet, bedeutet das in der Regel, dass er allein sein will.“

Alex hob eine Braue. „Es bedeutet in der Regel auch, dass er in Selbstmitleid ertrinkt.“

Ich wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, doch er ahnte die Reaktion voraus und hatte seinen Fuß sofort dazwischen. „Autsch.“

Ich stampfte mit dem Fuß auf den Boden wie ein wütendes Kleinkind. „Alex, ich will allein sein!“

„Tu einfach so, als wäre ich nicht da.“ Damit schob er mich einfach beiseite und trat in die Wohnung.

Ich warf die Tür so fest ins Schloss, dass von unten jemand verärgert mit dem Besenstiel gegen die Decke klopfte. Ich ignorierte es geflissentlich und knurrte: „Erwarte nicht, dass ich dir Kaffee und Kuchen serviere.“

„Keine Sorge. Wenn ich Lust auf Kuchen hätte, wäre ich nicht zu dir gekommen“, erwiderte er fröhlich und verschwand in meiner Küche. „Hattest du nicht mal dieses Instantkaffee-Zeugs?“

„Sieh doch selbst nach“, schnappte ich und begab mich auf kürzestem Weg zurück auf die Couch.

Bald schon hörte ich das Klappern von Tassen und das Blubbern meines Wasserkochers. Als ich den Geruch von frischem Kaffee einatmete, fiel es mir schwer, noch länger wütend auf ihn zu sein.

„Hast du über Nacht einen schweren psychischen Schock erlitten oder gehen dir Sarahs dumme Worte tatsächlich derart an die Nieren?“, fragte Alex, als er den Raum betrat und mir eine Tasse Kaffee reichte, ehe er sich neben mir niederließ.

Es lag in seiner Natur, sich selbst dann noch aufopferungsvoll um die Menschen zu kümmern, die er liebte, wenn sie einfach ekelhaft zu ihm waren. Bestes Beispiel hierfür waren seine Eltern. Seit Alex’ achtem Lebensjahr lebten sie getrennt. Seine Mutter wohnte an einem Ende der Stadt und sein Vater am anderen. Alex hatte mir mal erzählt, dass der schwelende Konflikt zwischen den beiden immer dann explodiert war, wenn er bei dem anderen mehr Zeit verbracht hatte. So war er im Alter von acht Jahren jeden Sonntag mit Sack und Pack in der Bahn zu einem Elternteil gefahren, weil sich der andere geweigert hatte, ihn hinzubringen. Er hatte sogar darauf bestanden, dass wir uns eine Wohnung in der Mitte dieser beiden Punkte nahmen, damit sein Weg nicht zu weit wäre, wenn er die beiden am Wochenende besuchte. Samstag seine Mutter, Sonntag seinen Vater. Die ersten Male war ich mitgekommen, bis ich es nicht mehr ertrug, mitanzusehen, wie sie versuchten, Alex gegen den anderen auszuspielen.

„Es waren keine dummen Worte“, sagte ich schließlich. „Sie hat höchstwahrscheinlich recht. Das denkst du doch auch, sei ehrlich!“

Er sah in seinen Kaffee, seufzte schwer und wandte schließlich den Blick zu mir. „Ich bin immer ehrlich, Georgie. Und nein, ich denke nicht, dass du derart einfach gestrickt bist. Wieso zweifelst du plötzlich an dir? Weil deine frustrierte, divenhafte Freundin dir deinen Traum missgönnt? Vielleicht hat sie einfach Angst davor, dass er wahr wird.“

Das irritierte mich derart, dass ich meinen Kummer vergaß. „Wieso sollte meine beste Freundin mir mein Glück missgönnen?“

„Überleg doch mal. Was wird mit Sarah, wenn du die Liebe deines Lebens triffst?“, fragte Alex.

Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Was hat das denn mit ihr zu tun?“

„Wirst du noch die Zeit haben, dich jeden Freitagabend mit ihr zu treffen? Wirst du dir jeden zweiten Abend am Telefon ihre Sorgen anhören? Oder wirst du glücklich darüber sein, endlich deinen Traummann an deiner Seite zu wissen?“ Obwohl es um Sarah und mich ging und all seine Worte rein hypothetisch waren, schaffte er es nicht ganz, die Bitterkeit aus seiner Stimme zu nehmen. „Außerdem ist sie die Letzte, die sich anmaßen kann, über irgendwelche Beziehungen urteilen zu können.“

„Wie meinst du das?“

„Ist das dein Ernst?“, fragte er ungläubig. „Hast du mal mitbekommen, wie sie mit Thomas umgeht? Er ist für sie doch nicht mehr als ein Fußabtreter.“

Ich runzelte die Stirn. „Das glaube ich nicht. Im Grunde behandelt sie ihn nicht anders als jeden anderen auch.“

„Eben“, erwiderte Alex. „Du kannst sagen, was du willst. Sarah liebt diesen Kerl nicht. Und genau das ist der Punkt.“

„Jetzt hör aber auf“, sagte ich unbehaglich, obwohl seine Worte einen schrecklichen Sinn ergaben, mit dem ich mich einfach nicht befassen wollte. „Sie ist so herrisch, seit ich sie kenne. Nicht erst, seit sie mit Thomas zusammen ist.“

„Was ich dir eigentlich damit sagen wollte ist, dass Sarahs Verhalten nichts mit dir, aber alles mit ihr selbst zu tun hat. Ich bewundere dich. Du hattest immer dein Ziel vor Augen und du hast es immer verfolgt. Du hast recht damit, auf den Richtigen zu warten“, schloss er ernst.

Ich sah ihn an und in diesem Moment ängstigte ich mich schier zu Tode, dass ich den Richtigen bereits vor mir hatte und ihn nicht erkannte.

Am Abend stellte ich beinahe verwundert fest, wie gut Alex’ Besuch mir tat. Und was für ein Glück ich hatte, dass er mich nicht einfach zur Hölle schickte, nachdem ich ihm das Herz gebrochen hatte. Wir hatten eine Flasche Wein geöffnet – Alkohol war etwas, das ich immer im Haus hatte – und es uns mit dicken Decken und Wärmflaschen auf dem Balkon gemütlich gemacht. Der Wein und ein scharfer Märzwind röteten uns die Wangen, die Decken und der Alkohol hielten uns warm.

„Sag mal, hast du eigentlich genaue Vorstellungen vom Mann deiner Träume?“, wollte Alex mit einem prüfenden Seitenblick wissen.

„Ich habe keine genauen Vorstellungen. Im Grunde ist er nicht mehr als ein vages Gefühl.“ Ich sah in die rubinrote Flüssigkeit meines Weinglases und fügte schließlich hinzu: „Es ist, als ob ich ihn kenne, obwohl ich rein gar nichts über ihn weiß. Wie ein vager Geruch, den man ab und an in der Nase hat. Oder ein Déjà-vu. Ich weiß, wer er ist und weiß es gleichzeitig nicht. Doch wenn er vor mir stünde, würde ich ihn unter achtzig Millionen erkennen.“

„Ich hoffe wirklich, dass du ihn bald findest“, sagte Alex leise, dieses Mal ohne das geringste Fünkchen Bitterkeit.

Ich lächelte ihn dankbar an. „Und du? Hast du endlich deine Mrs. Right gefunden?“

„Nein. Aber, ehrlich gesagt, kann sie sich noch etwas Zeit lassen. Ich ziehe nämlich aus, um die Welt zu erkunden.“

Ich riss die Augen auf, nicht sicher, ob er mich nur auf den Arm nehmen wollte. „Ich wusste nicht, dass du davon träumst, in die Welt hinauszuziehen.“

„Das habe ich auch nicht“, erwiderte er lächelnd und sah zu den Sternen hinauf. „Aber du hast immer davon gesprochen, weißt du nicht mehr? Als wir noch zusammen gewesen sind, hast du dir in den buntesten Farben ausgemalt, in welche Länder du reisen und was du dir alles ansehen würdest. Kannst du dich an unseren Bollywood-Abend erinnern?“

Ich fragte mich, ob er den kleinen Stich bei der Erinnerung daran genauso fühlte wie ich. „Wir haben über Indien gesprochen. Über die laute Musik und die bunten Gewänder. Für dieses Land brauchte ich zur Ausschmückung nicht viele Farben hinzuzufügen.“

„Du hast es dennoch so bildhaft veranschaulicht, dass ich fast schon glaubte, dort zu sein“, sagte er lächelnd.

„Das haben wohl eher die Filme geschafft“, winkte ich lachend ab.

„Vermutlich war es beides“, räumte er ein. „Jedenfalls hat mich der Gedanke daran seitdem einfach nicht mehr losgelassen und ich habe angefangen, einen Teil meines Geldes für eine dreiwöchige Expedition dorthin zurückzulegen.“

Das machte mich sprachlos. Ich hatte immer geglaubt, Alex in und auswendig zu kennen. „Das hast du mir nie erzählt.“

Er seufzte wie ein Mensch, der sich schon lange auf das vorbereitet hatte, was er dann sagte. „Du warst die, die immer von ihren großen Plänen über Reisen in ferne Länder philosophiert hat. Als ich heimlich begann, nach unserer Trennung für Indien zu sparen, kam ich mir vor, als würde ich dir deinen großen Traum stehlen.“

Ich war wie vom Donner gerührt. Als ob es nicht schlimm genug gewesen wäre, dass ich die Jahre einfach an mir vorbeziehen ließ. Nein, nun wirkte ich auch noch so jämmerlich, dass sich in meiner näheren Umgebung niemand wagte, sich seine Träume zu erfüllen.

„Versteh mich bitte nicht falsch“, fügte Alex beim Anblick meiner bitteren Miene hinzu. „Ich wollte auf keinen Fall damit sagen, dass es deine Schuld wäre. Ich wollte nur …“

„… erklären, warum du es mir bisher nicht erzählt hast, schon klar“, erwiderte ich und fügte nach einigem Überlegen hinzu: „Tu mir bitte einen Gefallen und behandle mich künftig wie einen ganz normalen Menschen. Hör auf mit diesem Rücksichtnahme-Scheiß.“

„Geht klar.“ Er lächelte und salutierte kurz.

Den Rest des Abends malten wir uns aus, wie es Alex in Indien ergehen würde. Er sagte, er wolle die buddhistischen Tempel besuchen. Ich lachte und sagte, dass ihn die Mönche sicher rauswerfen würden, sobald sie von seinen ausufernden Alkoholorgien der letzten Jahre erfuhren.

Es tat gut, sich hinfort zu träumen. Gleichzeitig machte es mich rastlos und traurig. Weil es mich ebenso fortzog. Meine Reisen beschränkten sich auf Träume von fernen Ländern, die sich manchmal über einen kompletten Samstagnachmittag erstrecken konnten. Nichtsdestotrotz ging jeden Monat ein beträchtlicher Anteil meines Lohnes auf ein Sparkonto, das ich ausschließlich dafür angelegt hatte und das nun bereits ein stattliches Vermögen beherbergte.

Ich fragte mich, was passieren musste, damit ich über meinen Schatten sprang, eine Reise buchte und einfach in den nächsten Flieger stieg.

Kapitel Drei

Irgendwie hatten dieser letzte Abend mit Alex und der Disput mit Sarah ein Monster in meiner Brust geweckt, das dort schon lange geschlafen hatte. Die Sehnsucht war zurück und fuhr ihre Krallen nach mir aus. Dieselbe Sehnsucht, die mich vor zwei Jahren dazu gezwungen hatte, mich von Alex zu trennen und nicht genügend Kraft in mir zurückließ, ein ganz neues Leben zu beginnen.

Es war einer dieser bedeutungslosen Tage, die mit unwichtigem Kram angefüllt waren. Zu viel Schein statt Sein. Zu wenig von allem. Zu viel von nichts.

Ich dachte an die gähnend leere Wohnung, die mich erwartete und stand überstürzt auf, als die Straßenbahn an der nächsten Station hielt. Einige Passagiere sahen auf und lachten, als ich in letzter Sekunde auf die sich schließende Tür zuhetzte und mich gerade noch auf die Straße drängen konnte, wobei ich fast von einem vorbeirasenden Auto erfasst wurde.

Mit hämmerndem Herzen überquerte ich die Straße. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich war drei Stationen zu früh ausgestiegen. In dieser melancholischen Stimmung konnte ich auf keinen Fall in meine leere Wohnung gehen.

Obwohl Sarah seit letztem Freitag überraschend versöhnlich gestimmt war, brachte ich es nicht über mich, ihre Nummer zu wählen. Niemand von den Menschen, die ich liebte, verstand mich. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich wollte mir die Haut vom Leib reißen und eine neue überstreifen.

Jemand rempelte mich im Vorbeigehen hart an und pöbelte: „Steh nicht so dumm im Weg rum.“

Ich erwachte aus meinen Gedanken und setzte automatisch einen Fuß vor den anderen, ohne mein Ziel zu kennen. Darin hatte ich Übung. So handelte ich mein ganzes Leben schon.

Ich landete vor einer baufälligen Kneipe, die sich in der Schlippe zu irgendeinem Hinterhof verbarg, und blieb nur stehen, weil ich mich fragte, wie sich ein solcher Laden halten konnte. Erst das Schild über dem Eingang weckte mein Interesse und ließ sogar ein Lächeln über mein Gesicht zucken. Substanz hieß es da in großen schwarzen Lettern auf einem verwitterten Holzschild, das drohte, bei der nächsten Windböe aus den Angeln zu fallen.

Wer sagte eigentlich, dass sich nur Männer nach einem beschissenen Tag volllaufen lassen können?

Als ich die Bar betrat, blieb ich kurz orientierungslos im Eingang stehen, da ich vor einer Steinmauer gelandet war. Ich wandte mich nach rechts und sah eine kleine Nische, in der sich alte Sessel und eine mottenzerfressene Couch um einen kippelnden Tisch gruppierten. Nichts daran wirkte besonders einladend. Als ich mich nach links wandte, entdeckte ich die Bar, vor der sich einige Hocker befanden. Ich war der einzige Gast, abgesehen von dem stark schwankenden Mann, der sich am anderen Ende des Tresens an einen Bierkrug klammerte, der aussah, als stamme er noch aus der Vorkriegszeit.

Hinter dem Tresen stand eine so schöne junge Frau, dass es fast an Misshandlung grenzte, sie in einer solchen Spelunke arbeiten zu lassen. Sie hatte dichte rote Locken, milchig weiße Haut, die von unzähligen bunten Tattoos verdeckt wurde, und grüne, schräg in ihrem schönen Gesicht liegende Katzenaugen. Sie nahm mich sofort ins Visier, als hätte sie nur auf mein Eintreffen gewartet. Grüßend nickte sie mir zu und fragte mit der heiseren Stimme einer gescheiterten Sängerin: „Kleine Feierabendfeier?“

Eigentlich hatte mir der Sinn mehr nach einem dunklen Tisch in einer hinteren Ecke gestanden, um in Ruhe in meinem Selbstmitleid ertrinken zu können, aber ihr Lächeln war dermaßen ansteckend, dass ich mich am Tresen niederließ. „So in etwa. Irgendwelche Empfehlungen des Hauses?“

„Standardmäßig müsste ich jetzt mit Buddys Budweiser antworten. Dem besten Budweiser in dieser gottverdammten Gegend.“ Letzteres sagte sie in einer tiefen Männerstimme und rollte die Augen himmelwärts. „Das würde mein Chef jedenfalls sagen. Du siehst mir aber eher wie ein verirrtes Mädchen aus der Oberklasse aus, dem ich einen Chardonnay empfehlen sollte. Wenn du einen Whiskey nimmst, trinke ich ein Gläschen mit.“

Ich spürte, wie sich auf meinem Gesicht ein breites Grinsen ausbreitete. „Ich trinke nicht gern allein.“

„Braves Mädchen“, sagte sie, griff nach der Whiskeyflasche und zwei Gläsern. „Ich bin übrigens Randy.“

Ich zog die Brauen nach oben, woraufhin sie ein heiseres Lachen ausstieß. „Kannst du lange drauf warten, dass ich dir meinen echten Namen verrate. Dieses Geheimnis nehme ich mit ins Grab.“

Sie wurde mir mit jeder Minute sympathischer. „Ich bin Georgie.“

Randy grinste. „Ich tippe auf Ute?“

Ich lachte so laut, dass der Typ am anderen Ende des Tresens zusammenzuckte und sich desorientiert umsah. Schon jetzt war ich heilfroh, die Bar betreten zu haben. „Du bist noch nicht mal dicht dran.“

Grinsend schob sie eines der Gläser so energisch über den Tresen, dass die bernsteinfarbene Flüssigkeit darin drohte, überzuschwappen und erhob ihr eigenes Glas. „Sei’s drum, Georgie. Trinken wir auf das Leben und namenlose Fremde, die es uns versüßen können.“

Ich erhob das Glas mit einem Lächeln und realisierte, dass ich mich in den letzten zehn Minuten bei Randy besser gefühlt hatte, als die ganzen letzten drei Monate anderswo. „Auf namenlose Fremde!“

Irgendwie erinnerte mich dieser Toast an all die bedeutungslosen Liebschaften vor der Zeit mit Alex. Die One-Night-Stands nach durchtanzten Diskobesuchen, die chaotisch-kurzen Beziehungen während meiner Abizeit und die zerstörten Hoffnungen, jemals den einen zu treffen, der allem eine Bedeutung gab.

„Du schwelgst in Erinnerungen“, stellte Randy fest.

Ich schreckte schuldbewusst hoch, was sie zum Lachen brachte. „Nur zu. Die meisten Leute, die hierherkommen tun nichts anderes als das.“

„Ich bin nicht hergekommen, um das zu tun“, erwiderte ich ehrlich, während sie unaufgefordert mein Glas nachfüllte. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal, warum ich hergekommen bin.“

Sie strahlte mich an. „So beginnen immer die besten Geschichten.“

Ich lachte. „Ich wette, du hast sie alle gehört.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, erwiderte sie grinsend.

Ich hätte es im Leben nicht geglaubt, wenn man mir einen Tag zuvor gesagt hätte, dass ich morgen in eine abgefuckte Spelunke gehen würde, um dort der Bedienung mein Herz auszuschütten. Aber genauso war es. Dennoch war es kein einseitiges Geschwafel meinerseits. Bis auf ihren richtigen Namen erzählte Randy mir ihre komplette Lebensgeschichte. So erfuhr ich zum Beispiel, dass sie nach der Trennung ihrer Eltern ab dem siebzehnten Lebensjahr bei ihrem Großvater gelebt hatte, der im letzten Jahr verstorben war. Und dass sie seit dem Ende ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau – die sie als so abschreckend empfunden hatte, dass sie eine Bank noch heute nur betrat, wenn ihr Kühlschrank drohte, Spinnweben zu bekommen – in dieser Kneipe arbeitete. Dass der Job nur als Übergangslösung gedacht gewesen und es ihr so gut gefallen hatte, dass sie geblieben war.

Am besten gefiel mir die Geschichte, dass jedes ihrer Tattoos ein Symbol für eine ihrer verflossenen Liebschaften war. Im Dämmerzustand zwischen dem vierten und fünften Whiskey dachte ich darüber nach, auf meiner Haut eine ähnliche Timeline einzuführen. Dann fiel mir allerdings ein, dass ich mich nach der Trennung von Alex selbst zu lebenslangem Zölibat verdammt hatte und ich verwarf die Idee wieder.

Ich weiß nicht mehr, wie es dazu gekommen war, aber irgendwann erzählte ich Randy von der Geschichte und erstaunlicherweise verstand sie mich. „Ja, irgendwann hat man keine Lust mehr auf Enttäuschungen. Aber hast du nicht Angst, dass du dadurch genau den Mann verpasst, auf den du dein ganzes Leben lang gewartet hast?“

Ich drehte das Glas in meiner Hand und sah zu, wie das Licht hinter der Theke den Whisky darin in flüssigen Bernstein verwandelte. „Ich glaube längst nicht mehr daran, dass es diesen Mann gibt.“

In exakt diesem Augenblick hörte ich seine Stimme zum allerersten Mal. Ich nahm noch wahr, dass Randy etwas erwiderte, doch ihre Worte erreichten mich nicht mehr. Alles – bis auf die Stimme dieses Mannes – war weit außerhalb meiner Umlaufbahn. Als wäre er die Mitte meines Sonnensystems. Mein persönlicher Urknall. Als hätte ich jeden Tag meines Lebens für diesen Moment verstreichen lassen.

Seine Stimme kam nicht etwa von einem Mann, der gerade den Pub betrat. Nein, sie ertönte aus den Lautsprechern des Radios, die in jeder Ecke des Raumes angebracht waren. So war er allgegenwärtig und doch meilenweit entfernt – wer wusste das schon. Das Einzige, was ich wusste war, dass das der Mann war, über den wir gerade philosophiert hatten. Der Mann, auf den ich mein Leben lang gewartet hatte.

Ich nahm seinen Gesang nicht ausschließlich über meine Ohren wahr. Er floss wie ein unsichtbarer Sog direkt in mein Herz und umflutete es wie die See den Fels an einem sonnigen Morgen. Seine Stimme war die perfekte Mischung aus Sandpapier und Seide. Ein nie gekanntes Gefühl stieg in mir auf. Als würde Gott in meinem Herzen eine Kerze anzünden.

„Bist du noch da?“ Randy schnippe vor meinen Augen mit zwei Fingern.

Ich blinzelte. Zu gern hätte ich geantwortet, dass ich so da war wie noch nie zuvor. Stattdessen fragte ich benommen: „Wer ist das? Der da singt?“

„Green Lemon heißt die Band“, erwiderte sie lächelnd und sah mich fragend an. „Sag bloß nicht, das war es, was dich so sprachlos gemacht hat? Hätte ich gar nicht erwartet, dass du auf solche Musik stehst.“

Kurz fragte ich mich, ob es zu weit ginge, Randy zu fragen, wie der Sänger der Band hieß. Ich entschied mich dafür, dass diese Peinlichkeit in Zeiten von Google nicht nötig war.

„Willst du noch einen?“ Fragend hielt sie die Whiskeyflasche hoch.

„Nein, ich glaube, meine Laune ist gut genug, um in meine einsame Wohnung zurückkehren zu können“, erwiderte ich schnell, rutschte vom Barhocker und kramte meine Geldbörse aus der Tasche.

„Wow. Ich nehme an, deine einsame Wohnung ist ein Loft“, kommentierte sie das großzügige Trinkgeld.

„Alles andere als das“, erwiderte ich lachend. „Ich spare mein Geld für etwas Besseres.“

„Für das Trinkgeld von uns Kellnern?“, fragte sie grinsend.

„Unter anderem“, erwiderte ich lachend.

„Ich hoffe, ich sehe dich irgendwann noch einmal“, sagte sie mit fragendem Unterton.

Ich lächelte, während die sanfte Knospe, die das Lied aus dem unsichtbaren Samen in mir geformt hatte, langsam erblühte. „Versprochen.“

Ich rannte den ganzen Weg bis nach Hause, weil ich vor Energie nur so strotzte und keine Geduld hatte, auf den Nightliner zu warten. Die kalte Märzluft klärte meine Sinne und machte mich hellwach.

In meiner Wohnung angekommen, warf ich Tasche und Jacke in die Ecke und fuhr den PC hoch, ehe ich Green Lemon in die Suchmaschine hämmerte. Ich wurde sofort fündig. Sie besaßen einen Wikipedia-Eintrag, was nicht weiter verwunderlich war bei einer Band, die es offenkundig schon über fünfzehn Jahre gab und die nicht nur im deutschsprachigen Raum Erfolge feierte.