Ich und die anderen - Jens Corssen - E-Book

Ich und die anderen E-Book

Jens Corssen

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Beschreibung

»Wenn wir gelingende Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen.« Jens Corssen Jens Corssen, Diplompsychologe und laut Manager Magazin der »Guru der deutschen Top-Manager«, ist einer der erfolgreichsten Coaches für Zielerreichung. Sein Markenzeichen ist die von ihm entwickelte Philosophie und Praxis des Selbst-Entwicklers®. Christiane Tramitz, promovierte Verhaltensforscherin, beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit den biologischen Grundlagen des menschlichen Verhaltens. Die Autoren präsentieren in ihrem Buch ihre Erfahrungen und Erkenntnisse aus jahrzehntelanger Beratungspraxis und wissenschaftlicher Forschungstätigkeit. Jens Corssen und Christiane Tramitz zeigen Wege auf, um zu stabilen, gelingenden und respektvollen Beziehungen zu gelangen. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Beziehungen zwischen Mann und Frau, sondern ebenso die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Beziehungen innerhalb der Verwandtschaft, zwischen Chef und Untergebenem sowie die Beziehungen zwischen Kollegen. Erzählerisch und mit Augenzwinkern werden alle Stadien einer Beziehung unter die Lupe genommen, und es werden konkrete Methoden zu Verbesserung der eigenen Beziehungsfähigkeit vorgestellt.

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Seitenzahl: 309

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Jens Corssen / Christiane Tramitz

Ich und die anderen

Als Selbst-Entwickler zu gelingenden Beziehungen

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

VorwortIch und die anderen – ein komplexes GefügeDie heimlichen BegleiterKamodisten, Amodisten und ElmodistenDer Selbst-Entwickler in der gehobenen GestimmtheitWo stehe ich?Wie komme ich in den L-Modus?Ohne Jammern, ohne KlagenLiebe zu sich selbstSchönes denken, Schönes lesen, Schönes erinnernFreude zeigenDas Ziel dieses BuchesZueinanderDer erste EindruckAb in die Schublade!Kontakte knüpfen im L-ModusDas erste Wort und die Angst vor ZurückweisungDie Wirkung körpersprachlicher SignaleIch bin schüchtern! – Na und?Vom Kontakt zur BeziehungStimmt die Chemie?»Ich kann dich gut riechen …«Gleichklang verbindetAbenteuer schaffen NäheGleich und Gleich gesellt sich gernFreundschaft verbindetErfolgreich durch Tricksen und TäuschenSympathie steigernDer Selbst-Entwickler als WertschätzerDer Selbst-Entwickler als WahrheitssammlerDer Selbst-Entwickler als GemeinsamkeitensammlerDer Selbst-Entwickler als AnseherDer Selbst-Entwickler als Lächler und LachenderMiteinanderWas bedeutet es, ein soziales Wesen zu sein?Probleme lösen dank sozialer IntelligenzBlöcke als Gradmesser des Willens und der LeidenschaftDie Verbundenheit stärkenMitfühlenDie Gefühle anderer erkennenGefühle sind ansteckendDas Selbst und die anderenMal besser, mal schlechter als andereOffen sein für NeuesAufwärtsler oder Abwärtsler?Wann gelingen Beziehungen?Geben und nehmenTeilen und schenkenHelfenVertrauenLausenGegeneinanderMacht ist verführerischMacht im L-ModusMacht im A-ModusMacht im K-ModusMachtverlust und UnterordnungMacht und BesitzMacht und GefühleMacht und ErwartungenMacht und RechthabereiWeißer und schwarzer NeidKontrolle – über andere und über sich selbstKontrollverlust IKontrollverlust IIAuseinanderWie sage ich, dass es vorbei ist?TrennungsschmerzDer Selbst-Entwickler in der TrennungsphaseSchritt eins: Gefühle auslebenSchritt zwei: Den Hintergrund betrachtenSchritt drei: Die Trennung nicht persönlich nehmenSchritt vier: Verantwortung für eigene Gedanken übernehmenSchritt fünf: Realität und persönliche Bewertung voneinander trennenSchritt sechs: Loslassen!Ein neuer Anfang – und ein SchlusswortAnhangMerksätze des Selbst-EntwicklersListe der heimlichen BegleiterLiteraturhinweise und AnmerkungenIch und die anderen – ein komplexes GefügeZueinanderMiteinanderGegeneinanderAuseinander
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Vorwort

Wann haben Sie sich das letzte Mal über sich gewundert?

Wann hatten Sie das letzte Mal Herzklopfen, als Sie einen anderen Menschen trafen?

Wann waren Sie das letzte Mal in Gegenwart eines anderen Menschen unsicher?

Wann waren Sie das letzte Mal wütend auf jemanden?

Wann haben Sie das letzte Mal etwas getan, was Ihnen selbst oder einem anderen Menschen guttat?

Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Partner oder Ihre Partnerin angebrüllt, obwohl Sie doch wissen, dass das überhaupt nichts bringt?

Wann wollten Sie das letzte Mal vor Scham in den Boden versinken, weil Ihr Verhalten komplett daneben war?

Wann haben Sie das letzte Mal über Ihren Arbeitskollegen getratscht – obwohl Sie wissen, dass Klatsch- und Tratschgeschichten einen schalen Beigeschmack haben?

 

Eigentlich wissen wir Menschen, wie wir miteinander umgehen sollten. Eigentlich brauchen wir dazu keine Anleitungen, keine Benimmregeln und eigentlich auch keine Zehn Gebote.

Wir Menschen sind soziale Wesen. Zusammen mit unseren biologischen Mechanismen erarbeiten wir uns vom ersten Moment unserer Menschwerdung an Handlungsmuster für das Zusammenleben mit anderen Menschen. Wir fühlen, wir ahnen nicht nur, was man tut – nein, wir wissen es sogar.

Wir alle sind von Geburt an mit einer Art sozialen Grammatik ausgestattet. Wir wissen, was uns guttut, wir wissen, was anderen guttut. Sich in andere Menschen einzufühlen, ihnen zu helfen, wenn sie uns brauchen, ist uns in die Wiege gelegt. Ebenso wie unser Gerechtigkeitsempfinden und unsere grundsätzliche Fähigkeit, auf andere zuzugehen, ihnen zu vertrauen, sie zu lieben.

Dennoch: Betrachten wir unsere Beziehungen zu anderen Menschen, so liegt da trotz dieser großartigen Voraussetzungen, dieses biologischen Fundus so manches im Argen: Wir verspüren Scheu gegenüber anderen, fühlen uns missverstanden, warten sehnsüchtig darauf, dass unsere Gefühle erwidert und unsere Erwartungen erfüllt werden, leiden unter Misstrauen, Kontrolle, Neid und fühlen uns schutzlos den Machtspielen anderer ausgeliefert. Warum ist das so? Warum fällt es uns in unserem Miteinander mitunter so schwer, uns an diesen wertvollen Fundus zu erinnern und daraus zu schöpfen? Warum machen wir in unseren Beziehungen immer wieder die gleichen, groben Fehler?

Viele, sehr viele Wissenschaftler suchen nach Antworten auf diese Fragen: Psychologen, Biologen, Pädagogen, Soziologen. Dazu gehören auch wir, die beiden Autoren dieses Buches, Christiane Tramitz und Jens Corssen. Wir suchen aus unterschiedlichen Perspektiven. Christiane Tramitz stützt sich auf ihre eigenen wissenschaftlichen Studien auf dem Gebiet der Verhaltensforschung sowie auf Erkenntnisse aus dem Bereich der Biologie, der Neurobiologie und der Psychologie. Jens Corssen trägt sein Wissen über die kognitive Verhaltenstherapie bei, seine vierzig Jahre therapeutische Erfahrung aus unzähligen Gesprächen mit Klienten, vor allem aber auch die Philosophie und Praxis des Selbst-Entwicklers, die er in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und in seiner Arbeit angewendet hat. Sie besagt: Veränderungen beginnen stets bei uns selbst. Und das gilt auch für unsere Beziehung zu anderen Menschen. Wir Einzelwesen müssen unser eigenes Verhalten beobachten, einschätzen und verändern – und werden so zum Ausgangspunkt gelingender Beziehungen.

 

Der Einfachheit halber haben wir das Buch aus der Ich-Perspektive von Jens Corssen geschrieben.

Weil es die Handschrift zweier Autoren trägt, die aus unterschiedlichen Disziplinen kommen, birgt es Interessantes und auch Neues. Oder haben Sie etwa schon mal von Elmodisten,Amodisten oder Kamodisten gehört? Oder wussten Sie, dass Sie heimliche Begleiter in sich tragen, die als automatische Mechanismen in Ihnen wirken?

Wir betrachten in diesem Buch alle Stadien einer Beziehung, angefangen beim ersten Blick, dem ersten Eindruck und dem ersten Wort, und enden nicht beim Scheitern in einer Krise, sondern beim Neuanfang.

Unterwegs werden wir Sie immer wieder ermutigen, Ihre Erfahrungen aus dem Beziehungsgeschehen mit anderen Menschen zu überprüfen. Weil nur immer wiederkehrende Erfahrungen zu Verhaltensänderungen führen, durchziehen Übungsangebote das Buch wie ein roter Faden und laden Sie ein, auf dem Weg zu einem gelingenden Miteinander emotionalisierende Erfahrungen zu sammeln.

 

München, im Januar 2014

Christiane Tramitz und Jens Corssen

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Ich und die anderen – ein komplexes Gefüge

Die heimlichen Begleiter

In uns und zwischen uns sozialen Wesen wirken Mechanismen, die sich im Lauf unserer Menschheitsgeschichte als arterhaltend erwiesen haben. Sie haben sich über Jahrtausende hinweg entwickelt und prägen, unseren soziokulturellen Errungenschaften zum Trotz, seit über 200000 Jahren nahezu unverändert unser Verhalten. Wir wollen sie als ein Wunder verstehen, das uns überleben ließ, von Generation zu Generation, bis in unsere Gegenwart, bis zu Ihnen und all den Menschen um Sie herum.

Ich bezeichne diese Mechanismen als heimliche Begleiter, personifiziere sie sogar, indem ich ihnen Namen gebe, damit Sie als Selbst-Entwickler eine emotionale Beziehung zu ihnen aufbauen und sie auf diese Weise erkennen und mit ihnen umgehen können.

Die Bewusstheit über diese heimlichen Begleiter, über ihre Herkunft und Wirkungsweise lässt uns viele Prozesse verstehen, die unsere Beziehung zu anderen Menschen ermöglichen, erleichtern, verbessern, aber auch hemmen, stören oder gar zerstören.

Heimlich sind diese Begleiter, weil wir sie meist nicht wahrnehmen. Und Begleiter sind es, weil sie stets in und zwischen uns wirken: in unseren Sinnen – wenn wir sehen, hören, fühlen und schmecken; in unseren Köpfen als Intuitionen, als Gefühle, als Gedanken und als neuronale Gitterbettchen; in unseren Körpern als Hormone, Endorphine, Serotonin, Dopamin, Adrenalin und vieles andere mehr.

Zwischen uns wirken die heimlichen Begleiter, wenn wir Menschen uns gegenseitig wahrnehmen, uns einander nähern, uns achten und lieben. Sie agieren aber auch, wenn es zu Konflikten, zu Streit und Kampf zwischen uns kommt.

Bewusstheit über die heimlichen Begleiter zu erlangen ist der erste Schritt, den wir gemeinsam gehen. Im zweiten Schritt lernen wir, unsere positiven Seiten für ein gelingendes Miteinander zu nutzen. Der dritte Schritt gibt Antworten auf die Frage, wie wir die negativen Seiten überlisten können.

Und das sind die heimlichen Begleiter:

Der Bewerter bewertet automatisch all das, was unsere Sinne wahrnehmen. Er unterstützt damit die Ordnungsleistung unseres Gehirns, damit wir die Übersicht über all die Informationen behalten, die auf uns einströmen. Im negativen Fall ist dieser heimliche Begleiter für unsere Vorurteile verantwortlich.

Der Warner schürt in uns die Angst vor einem Gesichtsverlust und einem möglichen Ausschluss aus der Gemeinschaft. Manche Menschen, vor allem die Schüchternen unter uns, leiden ausgesprochen stark unter ihm. Sein Wirken kommt besonders zum Ausdruck, wenn das Verhalten anderer für uns nicht vorhersehbar ist oder auf unsere Ablehnung hinausläuft.

Der Blinker wirkt durch Auffälligkeiten im körpersprachlichen Grundrauschen; damit vermittelt er unsere Absichten und Emotionen nach außen.

Der Binder ist ein vielseitiger Begleiter. Er ist für unsere zwischenmenschliche Chemie verantwortlich und hat die Aufgabe, Beziehungen zu festigen. Weil er unterschiedliche Wirkungsweisen in sich vereinigt, kann er entsprechend vielgestaltig auftreten: mal als chemischer Binder, mal als duftender Binder, oft als synchronisierender Binder, hin und wieder auch als erregender Binder. Häufig ist er als nach Ähnlichkeiten suchender und vertrauender Binder unterwegs. Besonders liebt er seine Rolle als emotionaler Binder. Nicht zu vergessen ist der tricksende Binder, der gern einmal ein wenig schwindelt, damit Menschen sich näherkommen.

Der Mitfühler steht für unsere angeborene Fähigkeit, uns in die Gefühle anderer hineinzuversetzen.

Der Vergleicher ist ein heimlicher Begleiter, der über seine Antennen wirkt. Er vergleicht uns mit unseren Mitmenschen und stellt stets die Frage: Bin ich besser oder schlechter als die anderen?

Der Beschützer, der Erreger und der Behaupter bilden ein eingeschworenes Trio, dessen drei Pole in enger Wechselwirkung zueinander stehen. Der Beschützer sorgt sich um unser Überleben. Er wird dann aktiv, wenn wir uns bedroht fühlen. Der Erreger treibt uns, neugierig, wie er ist, zu neuen Entdeckungen an. Ohne ihn würden wir in unserem Leben auf der Stelle treten. Der Behaupter kümmert sich um unsere Position innerhalb der Gruppe beziehungsweise Gesellschaft. Seine wesentlichen Motive sind Macht und Dominanz.

Der Machthaber ist der große Bruder des Behaupters. Er ist erst dann zufrieden, wenn er, wie der Name sagt, Macht über andere ausübt. In uns wirkt er unterschiedlich stark. Manche von uns haben das Leben nach ihm ausgerichtet, wenn sie von Machtgedanken besessen sind.

Der Kontroller reguliert unsere Gefühle. Er sorgt dafür, dass wir gute Miene zum bösen Spiel machen können. Meist bemerken wir ihn erst dann, wenn er die Kontrolle verliert und wir in einen zerstörerischen Kontrollverlust geraten.

Kamodisten, Amodisten und Elmodisten

Die heimlichen Begleiter stehen in Wechselwirkung mit unserer Grundgestimmtheit, die sich in drei Ausprägungen zeigen kann: dem K-Modus, dem A-Modus und dem L-Modus.

Beginnen wir mit dem Unangenehmsten, dem Ungünstigsten, dem Schlimmsten. Beginnen wir mit dem K-Modus. So bezeichne ich den Zustand, in dem wir auf Krawall gebürstet sind. Adrenalin durchströmt den Körper, das Herz rast, alles in uns ist auf Konfrontation ausgerichtet. Der K-Modus steht für Konflikt, Kompromisslosigkeit und Kampf. In den K-Modus geraten wir, wenn wir uns von anderen ungerecht behandelt, in die Ecke gedrängt oder angegriffen fühlen. Meist empfinden wir dann eine Mischung aus Ohnmacht, Wut und Aggression. Im K-Modus gibt es kein Miteinander, sondern nur ein Gegeneinander. Befinden sich Menschen in diesem Modus, nennen wir sie Kamodisten.

Wenden wir uns unseren Mitmenschen nicht zu, sind wir im A-Modus. A steht für Abkehr, Abwendung, Ablehnung. In diesem Zustand möchten wir keinen Kontakt zu anderen Menschen, entweder weil wir sie ablehnen oder weil wir in Ruhe gelassen werden wollen. Deshalb kennt der A-Modus auch zweierlei Intensitäten – eine sanfte und eine aggressive. Im sanften A-Modus nehmen wir die anderen um uns erst gar nicht wahr. Wenn wir beispielsweise im Café sitzen und in eine Zeitung versunken sind. Dann ist uns bisweilen so, als wären wir allein im Raum, auch wenn um uns herum viele Gäste sitzen, die plaudern, lachen, trinken und essen.

Irgendwie bemerken wir diese Menschen auch, wenn wir von unserer Zeitung aufblicken. Aber weiter als bis zu unserer Netzhaut dringen sie nicht vor. Dort ist Schluss. Sie plumpsen in unserem Kopf ins Nichts, statt im Occipitallappen zu landen, dort, wo die Sinneseindrücke bearbeitet und mit vorangegangenen Erfahrungen abgeglichen werden. Weil diese Menschen irgendwie verschwinden, ohne dass wir sie bewusst wahrgenommen haben, können wir, wenn wir im A-Modus sind, auch keinen Kontakt zu ihnen herstellen. Wir registrieren weder Blicke noch ein freundliches Lächeln. Selbst wenn wir diesen milden A-Modus manchmal genießen, weil wir Ruhe in ihm finden, sollten wir dennoch aufpassen, dass wir uns nicht allzu tief in diesem Rückzug verfangen. Denn auf Dauer schadet das dem sozialen Miteinander.

Die aggressive Variante des A-Modus ist der Ablehnungsmodus. In diesem Zustand begegnen wir anderen Menschen mit Abneigung, Skepsis, Misstrauen, bisweilen auch mit abwertender Arroganz. Wir empfinden die Menschen um uns herum als unfähige Trottel, oft gar als Zumutung. Verharren wir längere Zeit oder überwiegend im aggressiven A-Modus, werden wir unweigerlich einsam werden oder es bleiben. Menschen im A-Modus bezeichnen wir im Fortgang als Amodisten.

Der dritte Modus ist der L-Modus. Dieser Modus ist eine innere Haltung, die wohltuende Gefühle auslöst. L steht in diesem Fall für Liebe, Leidenschaft, Lust, aber auch für Loslassen. Liebe bedeutet hier die Liebe zu sich selbst und die Liebe zu den Mitmenschen. Kommen Lust und Leidenschaft hinzu, genießen wir eine spezielle Ausprägung des L-Modus. Dann sind wir verliebt oder lieben den anderen im erotisch-körperlichen Sinne. Besonders wichtig für den L-Modus ist das Loslassen – das Loslassen von Prozessen, die in Rechthaberei münden, aber auch das Loslassen von unerfüllten und unerfüllbaren Erwartungen an unsere Mitmenschen.

Für den harmonischen, verständnisvollen und gelingenden Umgang mit anderen Menschen ist der L-Modus unerlässlich. Er schärft unsere Sinne für unser Gegenüber, steigert unsere Kontaktfreude und lässt uns einfühlsamer werden. Vor allem aber führt er uns erfolgreich aus Konfliktsituationen heraus oder lässt sie bestenfalls erst gar nicht aufkommen. Elmodisten, wie wir sie nennen, erfreuen sich großer Beliebtheit und pflegen ein reges soziales Miteinander. Die Grundvoraussetzung für ein Leben im L-Modus ist die gehobene Gestimmtheit, wie sie der Selbst-Entwickler anstrebt. Wie bedeutsam die gehobene Gestimmtheit für uns Menschen ist, hat Demokrit, der lachende Philosoph, bereits vor 2500 Jahren im antiken Griechenland erkannt. Er feierte diesen schönen Zustand unter dem Namen Euthymia als das höchste menschliche Gut. Es heißt, der Philosoph sei mit dieser Einstellung hundert Jahre alt geworden …

Der Selbst-Entwickler in der gehobenen Gestimmtheit

Der Selbst-Entwickler. Wer ist er überhaupt?

Sie selbst.

Was entwickelt er?

Sich selbst.

Zunächst möchte ich für jene Leser und Leserinnen, die noch nichts über die Philosophie und Lebenskunst des Selbst-Entwicklers gehört haben, in Stichworten die Essenz meiner langjährigen psychologischen Beratung vorstellen.

Die Philosophie des Selbst-Entwicklers schließt das Streben nach gelingenden Beziehungen ein:

Der intelligente Selbst-Entwickler hat sich entschieden, andere nicht verändern zu wollen. Er wartet auch nicht darauf, dass sich bei den anderen endlich etwas ändert. Er beginnt mit der Entwicklung bei sich selbst. Das reduziert Ohn-Machtgefühle und erzeugt Eigen-Macht.

Der selbstbestimmte Selbst-Entwickler übernimmt zu hundert Prozent die Verantwortung für seine Gestimmtheit. Sein wichtigster Satz lautet: »Was ist, ist, und wie ich es beurteile, bestimmt mein Erleben und Tun.«

Der weise Selbst-Entwickler klagt nicht über den Lauf der Dinge, über das Leben, auch nicht über andere und sich selbst. Auf diese Weise umgeht er die Opfer-Rolle, die ihn schwächt. Natürlich äußert er seine Gedanken, Gefühle und Wünsche – das allerdings ohne vorwurfsvollen Unterton.

Der bewusste Selbst-Entwickler weiß, dass er da, wo er gerade ist, wirklich sein will. Auch wenn er sich dort nicht wohl fühlt. Alles andere war ihm bisher in seiner Vorstellung zu anstrengend und zu teuer. Er ist also ein schlauer Preisvergleicher.

Für den sportlichen Selbst-Entwickler ist die Fahrt auf der Achterbahn des Lebens keine »Zumutung« und »Unverschämtheit«. Stattdessen betrachtet er sie als tägliche Trainingseinheit und lebt nach der Überzeugung: »Die Situation ist mein Coach.«

Der faire Selbst-Entwickler kritisiert nicht die Person, sondern deren Verhalten, wenn ihm dieses in irgendeiner Weise unangenehm ist.

Der philosophische Selbst-Entwickler sagt sich jeden Morgen, am liebsten am offenen Fenster: »Willkommen, Tag, ich erwähle dich mit allem, was du mir bringst.« Diese Haltung erzeugt Unerschütterlichkeit und mentale Stabilität.

Der achtsame Selbst-Entwickler wird zum Chef seiner Gedanken und seines Tuns. Dadurch erhöht er seine Eigen-Macht, eine wichtige Voraussetzung für den entspannten und verständnisvollen Umgang mit anderen.

Der gelassene Selbst-Entwickler weiß: Auf Dauer nimmt die Seele die Farbe seiner Gedanken an! Durch eine gehobene Gestimmtheit und ein positives Lebensgefühl ergeben sich viele Dinge von allein. Aggression und Konfrontation nehmen ab.

Der vorausdenkende Selbst-Entwickler überwindet Unlust und Schmerz, um seine Ziele zu erreichen. Und das so schnell wie möglich. Sein Credo: »Schmerz? Ja, sofort!« Der Vorteil: Auf diese Weise lassen sich Hindernisse überwinden, solange sie noch überwindbar sind.

Wo stehe ich?

Nun sind Sie dran! Überlegen Sie als Selbst-Entwickler in einem ersten Schritt, ob und wie Sie sich zuordnen können.

Sind Sie überwiegend ein den Menschen zugewandter, mit sich selbst und dem Leben im Einklang lebender Elmodist? Oder ertappen Sie sich häufig im abgekehrten, abgewandten, ablehnenden A-Modus, weil Sie als Ruhesuchender oder Übellauniger und Missmutiger unterwegs sind, der andere Menschen entweder nicht wahrnimmt oder degradiert und schlecht macht? Wie oft werden Sie zum Kamodisten, der wütend die Faust ballt und häufig die Konfrontation sucht?

Selbstverständlich sollen Sie sich hier nicht auf einen Typus festlegen, möglicherweise sehen Sie sich, je nach Gegenüber und Situation, mal so, mal so. Viele Menschen empfinden sich auch als Mischtyp, bei dem der A-, K- und L-Modus gleichmäßig verteilt ist. Das ändert sich jedoch unter Stressbedingungen: In welchem Modus landen Sie dann?

Wenn Sie darauf eine Antwort gefunden haben, stellen Sie sich nun die Frage, wie leicht oder wie schwer es Ihnen fällt, aus dem A- oder K-Modus herauszufinden und in den L-Modus zu kommen. Gehören Sie auch zu den Menschen, denen das nicht immer oder nicht ohne weiteres gelingt, selbst wenn sie es möchten? Stehen Sie sich dabei selbst im Weg?

 

Ziel des übenden Selbst-Entwicklers im Umgang mit anderen ist es, so schnell und einfach wie möglich vom ablehnenden A- oder vom kampfeslustigen K-Modus in den liebevoll-zugewandten L-Modus zu wechseln.

 

Im L-Modus zu agieren ist eine Entscheidung. Wir können uns ganz bewusst entscheiden, für das Leben, für uns selbst und für die anderen zu sein.

Das Agieren im L-Modus ist ein Agieren in gehobener Gestimmtheit, und ob Sie sich in den L-Modus und damit in gehobene Gestimmtheit bringen, ist letztlich eine Frage von Entscheidungen, die Sie treffen. Die wichtigste Entscheidung betrifft Ihre Sicht auf das Leben. Sie können sich entscheiden, das Leben zu lieben, indem Sie bedingungslos für das Leben sind, mit allem, was dazugehört. Für das Leben sein bedeutet, dass Sie nicht nur dessen freundliche, helle und schöne Momente lieben, sondern auch die negativen, dunklen, traurigen und zerstörerischen Seiten akzeptieren. Für das Leben sein heißt, das Auf und Ab als gegeben anzunehmen.

 

Hadern, Klagen und Wüten ist durchaus wichtig, wenn das Leben Anlass dazu gibt. Beobachten Sie sich jedoch dabei, was Sie denken und wie Sie reagieren, wenn es nicht so läuft, wie Sie es möchten.

Wie komme ich in den L-Modus?

Ohne Jammern, ohne Klagen

Jammern ist der ärgste Feind der gehobenen Gestimmtheit und verhindert, dass Sie in den L-Modus kommen. Also hören Sie auf mit dem Jammern!

Verzichten Sie in den kommenden drei Wochen auf das Klagen, sei es über das Leben, über andere oder über sich selbst. Beklagen Sie sich nicht über das Wetter. Schimpfen Sie nicht über den Stau, auch nicht über unmögliche Menschen, nicht über Beziehungsprobleme oder über schlampige Kinder. Und erst recht nicht über Ihr »Schicksal«. 21 Tage lang sollten keine Sätze wie die folgenden über Ihre Lippen kommen: »Das gibt’s doch nicht! Das darf doch nicht wahr sein! Was für ein Pech! Wieso passiert das ausgerechnet mir?«

Nach diesen 21 Tagen können Sie sich ja entscheiden, ob Sie weitermachen oder doch lieber wieder in die alte vertraute Klagekiste zurückspringen wollen.

 

Seien Sie wütend, enttäuscht, traurig, wenn Sie sich auf einer Talfahrt des Lebens befinden. Aber klagen und jammern Sie nicht! Betrachten Sie die Situation als Ihren Coach und die Aufgabe, die er Ihnen stellt, als Herausforderung.

Liebe zu sich selbst

Wenn Sie sich für das Leben entschieden haben, bedeutet das auch eine Entscheidung für Ihr Selbst. Lieben Sie sich so, wie Sie sind, sozusagen als Gesamtkunstwerk. Sind Sie gegen sich selbst eingestellt, dann projizieren Sie Ihre eigenen, von Ihnen nicht akzeptierten »dunklen« Seiten auf andere und bekämpfen sie dort. Dieser Prozess, dieses Betonen der eigenen unangenehmen Seiten, führt bei vielen Menschen in eine allgemeine Missstimmung und somit in den A- oder K-Modus. Beobachten Sie sich mal an den Tagen, an denen Sie gegen alles und jeden sind und meinen, die Menschen um Sie herum seien lauter Deppen, Rücksichtslose und Ignoranten. An solchen Tagen sagen Sie sich: »Willkommen in meiner Welt, so sieht sie gerade aus. Voller Widerlinge. Das bedeutet für diesen Moment: Ich bin ein ablehnender Amodist.« Befreien Sie sich aus dem Teufelskreis, indem Sie sich bewusst entscheiden, dem Leben und sich selbst gegenüber eine bejahende Haltung einzunehmen. Vielleicht sogar eine humorvolle. Das erzeugt Abstand und ist ein wichtiger Schritt hin zur gehobenen Gestimmtheit im L-Modus.

Zum Auf und Ab des Lebens gehören auch Ihre Mitmenschen. Ich möchte an dieser Stelle nochmals den lachenden Demokrit zu Wort kommen lassen. Euthymia, die schöne Stimmung, so der weise Mann, erlangt man durch eine Theorie über das Wesen der Dinge: »Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.« Ein Satz, der mich an den Selbst-Entwickler erinnert. Der betrachtet sich und seine Mitmenschen, poetisch ausgedrückt, als »strahlende Sterne«, gemäß der Erkenntnis, dass alles Energie ist. Das Verhalten dieser »strahlenden Sterne« ist aus Sicht des Selbst-Entwicklers entweder »günstig« oder »ungünstig«. Mit dieser Sichtweise schafft er es, andere nicht abzuwerten, auch wenn sie sich ihm gegenüber »ungünstig« verhalten.

Schönes denken, Schönes lesen, Schönes erinnern

Bringen Sie sich mit schönen Worten in die gehobene Gestimmtheit des L-Modus. Zahlreiche Experimente konnten belegen, dass dies wunderbar funktioniert. Zum Beispiel ein Versuch von Emmett Velten. Der Psychologe legte zwei Gruppen von Versuchspersonen jeweils unterschiedliche Kartenstapel vor. Der eine beinhaltete aufbauende Botschaften, die von Karte zu Karte immer positiver wurden. »Der heutige Tag ist weder besser noch schlechter als irgendein anderer Tag«, stand auf der ersten Karte, gefolgt von der zweiten, auf der zu lesen war: »Ich fühle mich jedoch ziemlich gut.« Die andere Gruppe der Versuchspersonen bekam Karten mit neutralen Inhalten vorgelegt, etwa: »Der Orient-Express fährt von Paris nach Istanbul.« Nachdem die Probanden alle Karten laut vorgelesen hatten, bat der Psychologe sie, Angaben über ihre Stimmung zu machen. Die Gruppe, die die positiven Botschaften laut gelesen hatte, war im Gegensatz zur zweiten Gruppe in guter Stimmung. Dieses Experiment wurde von anderen Psychologen in diversen Varianten wiederholt. Jedes Mal konnten positive Texte die Stimmung beeinflussen. Mehr noch: Wurden die Probanden aufgefordert, so zu reden, als wären sie glücklich, veränderte das die Stimmung ebenfalls in eine positive Richtung.

 

Der übende Selbst-Entwickler

Schreiben Sie als zeitweiliger Amodist positive Sätze auf Papierkärtchen, zum Beispiel:

– Willkommen, Tag, ich erwähle dich mit all dem, was du mir bringst. Und darauf bin ich gespannt.

– Heute achte ich nur auf das, was funktioniert.

– Heute bin ich besonders dankbar für …

Nennen Sie mindestens drei Dinge.

Dankbarkeit ist ein wichtiger Auslöser für gute Laune. Dabei kann sich Ihre Dankbarkeit auch auf Selbstverständliches beziehen. Zum Beispiel auf unsere fünf Sinne, die uns das Leben in all seiner Intensität genießen lassen.

Nehmen Sie sich nun vor, sich diese Sätze täglich vor dem Frühstück laut vorzulesen. Ähnlich positiv wirken Erinnerungen an schöne Erlebnisse und Begegnungen, die Sie sich immer wieder bewusst vergegenwärtigen, indem Sie sich einige davon notieren und sich regelmäßig laut vorlesen.

Freude zeigen

Setzen Sie sich auf einen Stuhl, aufrecht und erhaben wie ein großer Herrscher. Dann nehmen Sie einen Bleistift oder einen Kugelschreiber quer in den Mund, so dass Ihre Mundwinkel nach oben gezogen und Sie zu einem Lächeln gezwungen werden. In dieser Position verharren Sie eine Minute und vertrauen auf die Wissenschaft, die festgestellt hat, dass derartige körperliche Reize über eine Rückkoppelung die Stimmung verändern.

Körperliche Aktivität setzt Endorphine frei, das ist hinlänglich bekannt. Wenn Sie schnell in gehobene Gestimmtheit kommen wollen, müssen Sie nicht ein anstrengendes Fitnessprogramm absolvieren. Wesentlich effektiver ist Tanzen in jeder Form. Bewegen Sie sich dabei so, als wären Sie glücklich. Hüpfen Sie in die Luft und drehen Sie sich dabei. Aber vergessen Sie währenddessen nicht, zu lächeln! Es wirkt. Versuchen Sie’s!

Das Ziel dieses Buches

Niemand wird seinen Mitmenschen immer und überall im L-Modus, mit Liebe, mit Freude begegnen. Jeder von uns hat auch trübe Tage, ist manchmal mit sich selbst mehr als mit seiner Umwelt beschäftigt, sucht und braucht Ruhe oder ist geladen, weil man zu Recht oder zu Unrecht getadelt wurde, weil man etwas durchsetzen möchte oder eine Enttäuschung erlebt hat. Jeder von uns erlebt auch bedrückte Tage, an denen man in sich gekehrt oder mit Problemen beschäftigt ist. Und nicht offen und bereit ist für den anderen. Wir kennen auch Tage, an denen wir wütend und enttäuscht sind, weil uns etwas verwehrt geblieben ist, was wir gerne hätten. Keine Frage, an diesen Tagen sind wir weit entfernt vom L-Modus. Mehr noch, wir legen gar keinen Wert auf ihn. An diesen Tagen sind wir, wenn wir ehrlich sind, unleidlich, missmutig, wir sind Stinkstiefel.

Am Ende suhlen wir uns in Selbstmitleid. Jetzt sind wir Amodisten, die wir eigentlich nicht sein wollen. Wir ziehen uns zurück, wir sind unversöhnlich, wir wehren ab, wir verstehen falsch, weil wir falsch verstanden werden wollen. Wir fühlen uns verletzt, vielleicht wollen wir uns auch verletzt fühlen. Wir sind in solchen Momenten, ohne dass wir es merken, ziemlich verblendet und blind.

Dann mutieren wir zum Kamodisten. Wir fangen an, zu bellen, zu schimpfen und zu pöbeln. Wir sagen zum anderen, du Depp, du Trottel, warum pampst du mich an? Mitunter rutschen uns auch noch schlimmere Worte raus. Eigentlich wollen wir das so gar nicht. Wir wollen doch alle eingebettet sein in Harmonie, wollen uns nicht allein und einsam fühlen, auch wenn wir mit dem linken Bein aufgestanden, schlecht gelaunt und auf Krawall gebürstet sind.

Seien Sie ehrlich, wenn Sie in einer solchen Stimmung sind, ist dann eine harmonische Beziehung möglich?

Und die wollen wir doch, wir wollen doch eingebettet sein. Wir wollen Harmonie, Wärme, Verständnis. Geben und erfahren.

Es ist nicht die Beziehung, die die Harmonie verhindert, es ist vor allem unsere eigene Stimmung. Deswegen versucht der Selbst-Entwickler, so schnell wie möglich vom »ungünstigen« K- und A-Modus in den »günstigen« L-Modus zu kommen. In den folgenden Kapiteln zeigen wir, wie dies gelingen kann. Indem wir uns für die Signale unseres Beziehungsgeschehens und für die Wirkungsmechanismen unserer heimlichen Begleiter sensibilisieren. Damit Sie dann als Selbst-Entwickler verstehen: Gelingende Beziehungen wurzeln in Ihnen selbst.

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Zueinander

Eines sei vorweg gesagt: Nach der folgenden Übung sollten Sie mit dem Lesen aufhören und sofort mit ihr beginnen, falls Sie wirklich etwas Neues erfahren und lernen wollen. Klappen Sie das Buch zu und begeben Sie sich dorthin, wo fremde Menschen sind.

 

Der übende Selbst-Entwickler

Sie verlassen das Haus. Nehmen wir an, Sie fahren dann mit der U-Bahn oder dem Bus. Irgendwohin. Oder Sie gehen mal eben in den Supermarkt um die Ecke. Schlendern wäre auch eine gute Option. Einfach durch die Straßen gehen, egal wo, Hauptsache, Sie sind nicht allein und haben immer Menschen um sich. Fremde Menschen.

Wenn Sie sich also gleich auf die Straße begeben, dann schauen Sie sich, sagen wir, 15 andere Menschen an. Blicken Sie nur ganz kurz zu ihnen hin, gönnen Sie jedem einzelnen nicht mehr als eine Sekunde Aufmerksamkeit, keine Sekunde länger. Nur eine Sekunde.

Und denken Sie dabei an: nichts.

An absolut nichts!

Sollte Ihnen diese Aufgabe zu zeitraubend erscheinen oder mangelt es gerade an Menschen in Ihrer unmittelbaren Umgebung, dann loggen Sie sich, wenn Sie einen Computer haben, ins Internet ein und googeln Sie »Menschen« oder »Gesichter«. Klicken Sie dann auf »Bilder«. Sie werden jede Menge Menschen sehen, unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Aussehens, unterschiedlicher Herkunft. Betrachten Sie die Personen jeweils eine Sekunde lang – und denken Sie dabei an nichts …

Und? Haben Sie es geschafft, an nichts zu denken, während Sie die Menschen angesehen haben?

Ich vermute, es ist Ihnen nicht gelungen. Dafür sorgt der Bewerter.

Immer wenn Ihr Blick auf jemandem verweilt, auch nur für Bruchteile von Sekunden, wird Ihnen der Bewerter unweigerlich mit seiner Bewertung dazwischengrätschen. Ob Sie wollen oder nicht.

Tolle-Figur-Hingucker-Frau, Strammer-Karriere-Schlipsträger, Schau-nicht-so-komisch-Mann, Superlässiger-Möchtegern-Brad-Pitt, Wow-was-für-eine-Wahnsinns-Frau, Der-lächelt-aber-freundlich-Mann.

Sie glauben mir nicht? Dann können Sie es gern noch einmal auf eine andere Weise versuchen.

Denken Sie dabei aber bloß nicht an einen weißen Eisbären! Auf keinen Fall! Bitte Konzentration: kein weißer Eisbär!

Merken Sie, was der heimliche Begleiter in diesem Moment mit Ihnen macht? Und wie ohnmächtig Sie dagegen sind? Allein schon, weil Ihr Gehirn das Wort »nicht« nicht mag. Es kann damit nichts anfangen. »Nicht denken« dreht es um in ein: »Denke!«, wie Daniel Wegner von der Harvard University mit seinem berühmten Eisbärenexperiment zeigte.

Bei nahezu allem, was wir bewusst wahrnehmen, produziert der heimliche Bewerter beurteilende Gedanken. So auch beim Eisbären, an den Sie nicht denken sollen. Im Falle eines erzwungenen Nichtdenkens bemüht sich unser Gehirn zwar um Ablenkung, produziert dabei die verrücktesten Gedanken, etwa an die Kindheit, an komische, tragische Momente, an starke Erinnerungen eben. Dennoch bleibt der Eisbär im Kopf, immer wieder schleicht er sich verstohlen aus der hintersten Ecke hervor.

 

 

Warum diese Übung, werden Sie sich jetzt womöglich fragen. Was lerne ich aus einem An-nichts-Denken?

Eigenmacht statt Ohnmacht durch Bewusstwerdung ist einer der wichtigsten Grundsätze des Selbst-Entwicklers. Die Bewusstwerdung wird auch in diesem Buch eine zentrale Rolle spielen.

Weil nur immer wiederkehrende, emotionalisierende Erfahrungen zu Verhaltensänderungen führen, werden entsprechende Übungen das Buch durchziehen wie ein roter Faden. Sie können diese mitmachen oder auch nicht. Die Lektüre des Buches soll schließlich anregend sein und Spaß bereiten. Auch das ist eine emotionalisierende Erfahrung. Besser wäre jedoch ein Mitmachen, weil Sie dann eigene Erfahrungen sammeln. Die Nebenwirkungen der Übungen, auch wenn diese manchmal skurril erscheinen mögen, können sich günstig auf Sie auswirken.

Die erste Übung zielte auf die Bewusstwerdung der allerersten Anfänge von Beziehungen ab. Wie kommen wir mit anderen zusammen, wie lernen wir sie kennen? Dabei spielt es keine Rolle, um welche Art von Beziehung es sich später handeln wird. Eine der Freundschaft, der Liebe, der Kollegialität, eine zum Vorgesetzten. Ihnen allen gemeinsam sind die Vorgänge, die im ersten Moment der Begegnung stattgefunden haben.

Eine Beziehung beginnt lange bevor wir meinen, dass sie begonnen hat. Der heimliche Begleiter namens Bewerter bezieht sich automatisch auf das erste und oftmals entscheidende Urteil über den anderen – ohne dass wir es bewusst merken.

Der erste Eindruck

Ich und der andere – ob daraus eine längere Begegnung wird, entscheidet sich genau genommen nicht in Sekunden, sondern in Millisekunden. Denn der heimliche Begleiter ist nicht nur heimlich, sondern auch extrem schnell am Werk, im Dienst der Arterhaltung. Freund oder Feind ist die zentrale Frage des Überlebens.

Haben Sie einen Hund? Wenn nicht, beobachten Sie doch mal in einem Park, in dem Hundefreunde ihre Lieblinge laufen lassen, wie sich zwei fremde Hunde einander nähern. Die Tiere gehen bis zu einer gewissen Distanz aufeinander zu. Halten an. Taxieren sich. Es dauert einige wenige Sekunden, und dann ist klar, wie beziehungsweise ob es überhaupt zwischen ihnen weitergeht, sie miteinander spielen, sich anknurren oder einander gezielt aus dem Weg gehen.

 

Freund oder Feind? Wem kann ich vertrauen, wem nicht? Darüber schnell entscheiden zu können ist nahezu allen Lebewesen angeboren. Auch dem Menschen.

 

Bereits Neugeborene sind auf eine möglichst rasche Einschätzung des Gegenübers ausgerichtet. Schneller, als wir glauben, erkennen sie ihre Mütter, wissen, wer ihnen Schutz und Geborgenheit geben kann.

Freund oder Feind, diese Frage begleitet unser gesamtes Leben, wenngleich auf einer kaum wahrnehmbaren Ebene. Je schneller diese Entscheidung oder Einschätzung erfolgt, desto größer war einst die Überlebenschance bei einem Zusammentreffen mit einem unbequemen Zeitgenossen.

Um das nachvollziehen zu können, versetzen Sie sich bitte in Gedanken zurück in die Steinzeit, als wir Menschen noch in Höhlen lebten. Als es ums nackte Überleben ging, ohne Gesetze und moralische Leitlinien wie die Zehn Gebote.

Sie sitzen also in einer Höhle, vor Ihnen flackert ein Feuer. Eigentlich ganz gemütlich. Plötzlich kommt jemand rein. Ein Fremder.

Stellen Sie sich nun vor, was passiert, wenn beim Anblick dieses Fremden in Ihrem Kopf Folgendes abläuft: »Ah, da kommt jemand, den kenne ich nicht. Sein Gesichtsausdruck, nun ja, wie lässt der sich beschreiben? Hm, aufgerissener Mund, gefletschte Zähne, stechender Blick. Könnte bedeuten … bin mir aber nicht ganz sicher … und dann hat er auch noch eine Keule in der Hand, wozu das denn?«

Und während Sie so vor sich hin sinnieren und Ihren ersten Eindruck reflektieren, hinterfragen und nochmals korrigieren, ist es um Sie, nicht gerade arterhaltend, geschehen.

Jeder längere Gedanke, der das Gegenüber nach Pro und Kontra abcheckt, kann tödlich sein. Freund oder Feind, diese Entscheidung wird allein von dem aufs Überleben fixierten Gehirn gefällt. Genauer gesagt ist es die Amygdala, von der diese schnelle Einschätzung ausgeht. Im Mandelkern, wie man sie auch nennt, sind alle emotionalen Erfahrungen gespeichert, die wir im Lauf unseres Lebens gesammelt haben. Von hier aus werden vor allem die Angstgefühle, aber auch Abenteuerlust und Mut gesteuert. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Amygdala entspricht – im Fall einer drohenden Gefahr – drei Flügelschlägen. Nicht etwa denen eines großen Vogels, eines Adlers oder Bussards, sondern denen einer Honigbiene.

Dass diese Reaktionsgeschwindigkeit im Hinblick auf die Begegnung mit fremden Menschen für unser Gehirn die wichtigste ist, zeigten die beiden Wissenschaftler Janine Willis und Alexander Todorov. Sie legten ihren Versuchsteilnehmern Gesichter fremder Menschen vor. Jeweils 100 Millisekunden lang, was einem Wimpernschlag entspricht. Am meisten fokussierten sich die Probanden auf den Faktor »Vertrauenswürdigkeit«.

 

Der erste Eindruck wirkt in uns lange nach, denn er beeinflusst, heimlich, die nachfolgende rationale, bewusste Einschätzung unseres Gegenübers.

 

Selbstverständlich nehmen wir im alltäglichen Leben nicht jeden, der uns über den Weg läuft, bewusst wahr.

Wozu auch, das wäre unnötig und für unseren Wahrnehmungsapparat viel zu anstrengend. Und zweifelsohne sind wir inzwischen zivilisierte Wesen, beim Schlendern durch die Stadt müssen wir nicht mehr so wachsam sein wie unsere Vorfahren in der Steinzeit. Unser Überlebens-Modus kann auf Stand-by laufen. Doch ausschalten können und sollen wir unser biologisches Erbe, diese aufs Überleben fixierten Automatismen nicht. Und das ist gut so.

Ab in die Schublade!

Es ist 17.00 Uhr. Sie verlassen das Büro, sind müde und angeschlagen. Den Tag würden Sie am liebsten abhaken. Ihr Chef hat Sie angemault, weil Ihnen angeblich ein dummer Fehler unterlaufen ist. Angeblich. Und wennschon, kann ja mal passieren, bei diesem Arbeitspensum. Trottel, fluchen Sie in Gedanken. Dennoch, die Beförderung steht auf der Kippe. Und Herr Müller, Ihr Kontrahent, hat heute den ganzen Tag schadenfreudig gegrinst und schlecht hinter Ihrem Rücken über Sie geredet. Es beginnt leise zu nieseln, Sie haben den Schirm im Büro liegenlassen. Misttag! Ausnahmsweise beschließen Sie, mit dem Taxi nach Hause zu fahren.

Sie stehen am Straßenrand und warten, dass eines kommt. Der Regen wird stärker, Sie winken mehreren Taxis zu, doch keines hält. Was für Deppen die Taxifahrer doch sind, haben keine Augen im Kopf! Kein Wunder, dass die andauernd übers Geld jammern! Taxifahrer sind eben »durzig«, schießt es Ihnen durch den Kopf. »Durzig« ist ein Phantasiewort, das Sie, liebe Leser, durch Ihre eigene Bewertung ersetzen können. Sie befinden sich nun als Amodist im Abwehr-Modus, jenem Zustand, in dem Sie gegen etwas sind. Gegen das Wetter, gegen den Kollegen Müller, gegen die Taxifahrer. Der Rest des Tages hält nichts Besseres für Sie bereit, um Sie herum sind lauter Deppen, Trottel, Vollidioten. Im Supermarkt, in der Schlange an der Kasse, kramt ein Rentner umständlich in seinem Geldbeutel. Das dauert! Und dauert! Meine Güte, denken Sie sich, da haben die Rentner den ganzen Tag nichts zu tun und müssen immer ausgerechnet dann einkaufen, wenn ich Büroschluss habe. Das machen die doch absichtlich, diese »galdigen« Rentner! Mann, Mann, Mann!, würden Sie am liebsten brüllen. Der Selbst-Entwickler in Ihnen weiß: Oha, jetzt bin ich aber ordentlich in den Kampf-Modus geschlittert, ich alter Kamodist.

Der erfahrene und fortgeschrittene Selbst-Entwickler beißt sich in solchen Fällen auf die Zunge und denkt: Willkommen, Situation, du bist mein Coach. Der weniger geübte Selbst-Entwickler würde irgendwann den vollen Einkaufswagen in die Ecke schieben und kommentarlos den Laden verlassen.

 

Wenn Ihr Bewerter bewertet, schiebt er seine Eindrücke in die Schubladen, die Sie ihm zur Verfügung stellen.

 

Taxifahrer sind durzig, Rentner sind galdig. Wie auch immer Sie Ihre Schubladen beschriften, in die Ihr Bewerter