Ich will so bleiben, wie ich war - Monika Bittl - E-Book

Ich will so bleiben, wie ich war E-Book

Monika Bittl

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Beschreibung

Das neue Buch von der Autorin des Bestsellers "Ich hatte mich jünger in Erinnerung": Ein augenzwinkerndes, ironisches Buch über das Älterwerden. --- Schauen wir heute in den Spiegel, hatten wir uns nicht nur jünger in Erinnerung – wir wünschen uns auch oftmals die Leichtigkeit der jungen Jahre zurück. Denn seltsamerweise vermehren sich mit dem Älterwerden nicht nur die Falten, sondern auch die Schrullen und heiklen Gemütszustände. Auch in Monika Bittls Umfeld treibt das Alter seltsame Blüten. So verfestigt sich von Jahr zu Jahr die Hypochondrie ihres Mannes – ein Schnupfen wird für ihn zur dramatischen Nahtoderfahrung. Und die attraktive beste Freundin ist überzeugt, das sie nie Glück hat in der Liebe – und treibt mit ihrem Pessimismus noch den hartnäckigsten Verehrer in die Flucht. In ihren herrlich unterhaltsamen Alltagsgeschichten nimmt Monika Bittl die Tücken des Lebens in der Lebensmitte auf's Korn.

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Monika Bittl

Ich will so bleiben, wie ich war

Glücks-Push-up für die Frau ab 40

Knaur e-books

Über dieses Buch

Schauen wir heute in den Spiegel, hatten wir uns nicht nur jünger in Erinnerung – wir wünschen uns oftmals die Leichtigkeit der jungen Jahre zurück. Denn seltsamerweise vermehren sich mit dem Älterwerden nicht nur die Falten, sondern auch die Schrullen und heiklen Gemütszustände. Auch in Monika Bittls Umfeld treibt das Alter seltsame Blüten. So verfestigt sich von Jahr zu Jahr die Hypochondrie ihres Mannes – ein Schnupfen wird für ihn zur dramatischen Nahtoderfahrung. Und die attraktive beste Freundin ist überzeugt, dass sie nie Glück hat in der Liebe – sie schlägt mit ihrem Pessimismus noch den hartnäckigsten Verehrer in die Flucht. In ihren herrlich unterhaltsamen Alltagsgeschichten nimmt Monika Bittl die Tücken des Lebens in der Lebensmitte aufs Korn. Ein augenzwinkerndes, ironisches Buch über das Älterwerden.

Inhaltsübersicht

VorwortDer Ernst des LebensDas Ärgerliche am ÄrgerPaar, 40+, schweigend am EsstischAuf den Hund gekommenVermisstenanzeigeJa, nein, vielleichtGötterdämmerungSchokoladenkaterJäger und SammlerBiblisches RätselWas du heute kannst besorgen, verschiebe lieber doch auf morgenWarteschlangen und andere SchicksalsschlägeJe ne regrette rienKopfkinoBesser spät als nieVoll das Opfer!Bedienungsanleitung für Ehemänner über 50Bedienungsanleitung für Ehefrauen über 50Act your agePhilosophisches GlücksbotoxMachen Kinder glücklich?Männer sind nie schwerkrank, außer sie haben SchnupfenMich wundert, dass ich fröhlich binJeder Mensch kann Unglück lernen!Smile or dieAls das Wünschen noch geholfen hatNegatives DenkenWettervorhersage für MiesepeterBleib nicht dir treu, sondern ihrHalte jeden Tag ein NickerchenDas Leben ist ein VentilatorNörgelqueenRomeo und Julia, later. Dramolett in drei AktenRein technisch gesehenUnter uns BetschwesternVom BruttonationalglückTriffst du Gott im Treppenhaus …Was Sie schon immer über ein glückliches Sexualleben im Alter wissen wollten …Läuft. Mit FreundinnenIm JammertalSchmetterlinge im OhrHoroskop für SchwarzseherKleine ÜbersetzungshilfeVerbieteritisDie Qual der Wahl, die andere quältAugen auf und durch!All das kann ihr nicht passierenMein Leiden, mein Schicksal, mein ElendMännliche Denker & weibliche GenießerInterview mit dem Bildnis von Dorian GrayTake it or leave it!Hanlon’s razorMein KiwiWarum haben Sie kein Taxi genommen?Special: Plötzlich Bestsellerautorin
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Vorwort

An einem schnöden Freitagmorgen hätte ich mich fast zu Tode erschrocken – aus dem Spiegel warf mir ein grauenhaftes Wesen verbitterte Blicke zu. Mein jüngeres Ich schrie auf: »Hilfe, was ist das denn für eine verbiesterte Alte?!« In Sekundenschnelle plante ich meinen ersten Mord und wollte schon ein großes Küchenmesser holen – da warf sich mein Über-Ich für mich in die Schlacht und rief: »Jetzt komm mal runter! Du bist eben nicht mehr 20! In deinem Alter hat sich das Leben halt ins Gesicht eingeschrieben!« »Von wegen!«, empörte ich mich und stampfte trotzig wie ein kleines Mädchen auf den Boden: »Ich will so bleiben, wie ich war! Jung, fröhlich und unbeschwert!«

Zu dumm nur, dass aber Älterwerden die einzige Möglichkeit ist, um zu überleben. Wir können zwar die äußerlichen Begleiterscheinungen mit Botox & Konsorten aus unserem Gesicht verbannen. Wir können Hängepartien mit entsprechender Kleidung kaschieren, Haare färben, Altersflecken entfernen lassen und über spezielle Agenturen jugendliche Liebhaber buchen. Wir können zu wahren Aktionskünstlerinnen bei der Bekämpfung des Körper-Knitterlooks werden. Aber wenn wir dabei vergessen, uns auch innerlich zu pushen, nützt uns das alles nichts. Männer können uns auch mit Falten attraktiv finden und lieben, aber sie gehen auf Abstand, wenn wir zur »Zwiderwurzen«, bösen Alten oder zur »Bitch« mutieren. Und dabei wären die Männer noch egal, wie wir Ü-40-Frauen wissen. Denn wir definieren uns nur noch über sie, wenn wir etwas von ihnen wollen. Es geht viel mehr um uns selbst und unser Lebensglück. Seitdem wir von den Jahren angezählt sind, wissen wir, wie wertvoll jeder einzelne Tag ist.

 

»Frauen sterben zweimal. Einmal als Frau, einmal als Mensch«, heißt es. Kinder lachen im Schnitt 400-mal am Tag, Erwachsene 15-mal. Wissenschaftler stellten außerdem fest, dass Frauen im Schnitt bis zum Alter von 45 Jahren glücklicher sind als Männer, danach kehrt es sich um.

Nach dem 40. Geburtstag geraten wir nicht nur in eine ausgewachsene Midlife-Crisis (»Soll das schon alles gewesen sein?«), sondern schlittern auch noch in ein tiefes Jammertal.

Die Ursache liegt auf der Hand: Frauen definieren sich immer noch stärker über den Körper als Männer. Wir machen unser Selbstwertgefühl viel mehr an einer glatten Haut als an einem Porsche fest. Männer verlieren zwar ihre Kopfhaare, kriegen einen Bauch und beweisen sich mit Marathonläufen noch einmal ihre Leistungsfähigkeit. Der Zahn der Zeit nagt auch an ihnen, aber er bohrt sich nicht in die unbekümmerte Grundstimmung des Daseins hinein.

Und so entdecken wir eines Tages nach dem 40. Geburtstag eine gespenstische Erscheinung im Spiegel und gehen schließlich verzweifelt in uns, um festzustellen, dass wir an einem Punkt des »no return« angekommen sind. Es ist zum Kotzen, zum Heulen, zum Morden!

Moment … haben wir nicht schon ganz andere Abgründe überwunden? Wissen wir denn plötzlich nicht mehr, dass jede Krise auch eine Chance ist? Gilt nicht immer noch der alte Spruch unserer Jugend: Alles, was dich nicht umbringt, macht dich stärker? Ist dieses Gespenst im Spiegel nicht vielmehr unsere größte Chance seit der Pubertät? Ja! Vorausgesetzt, wir nehmen die ultimative Challenge heutiger Ü-40-Frauen an, ergeben uns nicht unserem vermeintlichen Schicksal und beschließen, glücklicher denn je im Leben zu werden.

Nein, wir lassen uns von den Hormonen und Falten nicht seelisch k.o. schlagen. Wir steigen noch mal in den Ring und nehmen es mit der Gesellschaft und uns selbst auf. Bloß – wie packen wir das richtig an?

Der Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski hat einer Figur in den Mund gelegt: »Alles ist gut. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort im selben Augenblick.« Nun war Dostojewski ein Mann im »besten Alter« – um die 50, als er das schrieb. Der Kerl hatte leicht reden. Beim Blick in den Spiegel am Morgen überdeckte vielleicht sein Bart seine Sorgenfalten, und ich vermute mal stark, dass er anno 1872 auch nicht das gefühlte doppelte Jahreseinkommen für nichtsnutzige Anti-Aging-Cremes ausgegeben hat oder Food-Porn-Facebook-Postings seines jüngeren Chefs ertragen musste. Aber trotzdem hat der Mann recht – Dostojewski hat nur sehr verkürzt, wie genial einfach es sein kann, lachend durch den Rest unserer Tage zu kommen.

Wir dürfen uns nur nicht mehr wahlweise als Opfer oder als Versager sehen. Die Opfer glauben, die Gesellschaft sei schuld an ihrem Elend. Die Versager wiederum lasten nichts der Gesellschaft an, sondern alles sich selbst. Zwischen diesen beiden Polen bewegen wir heutigen Frauen uns. Kurz: Wir sehen uns als Fisch, dessen Wert sich daran bemisst, wie schnell er auf einen Baum klettern kann. Und im Jammertal der mittleren Zeit spitzt sich dieses Empfinden meist noch einmal dramatisch zu einem Opferfeeling erster Sahne zu.

 

Während die Verfassung der USA das Recht auf ein »Streben nach Glück« garantiert, tendiert unsere Geistesverfassung zu einem »Recht auf Glück«. Ganz im Sinne der preußischen Tradition des Obrigkeitsstaates übertragen wir immer noch gerne die Verantwortung für das eigene Wohlergehen im Leben politisch auf den Staat und privat an unsere Mitmenschen. Wir fühlen uns alle ungerecht behandelt und benachteiligt und geben dafür die Schuld stets anderen: Linke fühlen sich vom Kapitalismus ungerecht behandelt, Rechte von der Überfremdung, Frauen vom Patriarchat, Männer von der gnadenlosen Leistungsgesellschaft, Familien von kinderfeindlichen Strukturen, Singles von der Familiendominanz in der Gesellschaft, Hartz-IV-ler von einer brutalen Arbeitswelt, die sie aussortiert hat, und Karrieristen von dem herrschenden Geschäftsbetrieb, der kein Privatleben mehr zulässt. Und wir Ü-40-Frauen sehen uns nun vor allem als Opfer eines Jugendkults, der uns aufs Abstellgleis stellt. Das Perfide dabei ist: Diese Einstellung ist wie eine Selffulfilling Prophecy und macht uns erst recht zu Xanthippen oder Trauerweiden.

Klar, es gibt immer noch zu viele soziale und geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten – aber je mehr wir diese im Fokus haben, desto eher sehen wir uns selbst auch nur noch durch diese Brille und vergessen das Motto unserer Großeltern: »Jeder ist seines Glückes Schmied.« Wo Opa und Oma ausblendeten, dass auch gesellschaftspolitische Faktoren wie Armut oder Geschlechter-Ungerechtigkeit ein Lebensglück mitschmieden, vergessen wir, dass der Temperaturregler zu unserem Wohlfühllevel auch in unserer eigenen Hand liegt. Wir können das Gespenst im Spiegel vertreiben, noch einmal neu starten und glücklicher denn je werden, wenn wir uns aus der Falle des Versager-Opfer-Denkschemas befreien und nicht von unserer Umwelt fordern: »Mach mich glücklich!« Denn wahlweise soll der Partner ausgleichen, was der Job nicht einlöst, oder die Arbeit uns so erfüllen, dass wir damit Defizite im Privatleben wettmachen. Kinder werden zum sorgfältig terminierten Glücksvorhaben und müssen unbedingt halten, was man sich von ihnen versprochen hat.

 

Ich will so bleiben, wie ich war gibt dabei keine Tipps zum Glücklichwerden wie die Ratgeber-Literatur. Denn jede Frau sieht ein anderes Gespenst im Spiegel und kann ihm nur mit den jeweils eigenen Mitteln den Garaus machen. Dieses Buch begegnet den Tücken des (weiblichen) Älterwerdens mit Geschichten von dir & mir, Geschichten davon, wie ich mir das Leben selbst schwermache oder wie andere sich ihr Glück vermiesen.

Frauen ab 40 brauchen keine Handlungsanweisungen mehr – sie sind lebenserfahren genug, um aus beispielhaften Storys ihre jeweils eigenen Schlüsse zu ziehen. Da wir auch schon ein wenig in der Denke eingefahren sind (Mist! Das gebe ich äußerst ungern zu!), reicht nicht mehr nur ein abstrakter Satz zur Veränderung unseres Blickwinkels auf das Leben, sondern wir müssen die neue Einstellung tatsächlich ein wenig einüben. Dabei hilft dieses Buch. Vergnügliche Erzählungen heben die Mundwinkel und ersetzen Kummerfalten durch Lachfalten schon bei der Lektüre. En passant verlernen wir dabei das Opferfeeling, weil wir uns und andere durch eine neue Brille jenseits des Versager-Opfer-Schemas betrachten. Denn frei nach Dostojewski gilt: »Eine Frau ab 40 ist nur unglücklich, weil sie nicht weiß, dass sie glücklich ist.«

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Der Ernst des Lebens

Manchmal ist ein beiläufiges Gespräch mit den Nachbarn im Treppenhaus oder Lift heilsamer als jede Generationenstudie, jeder Ratschlag oder jede stundenlange Selbsterforschung. Verschiedene Altersstufen treffen hier unwillkürlich zusammen und mit ihnen auch die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt. Menschen »mittleren Alters« wie ich sehen die eigene Vergangenheit und die mutmaßliche Zukunft aufeinanderprallen – verdichtet und konzentriert in der jeweiligen Generation der Nachbarn und deren jeweiligen Glücksvorstellungen.

Während die Jüngeren in die Welt starten und ganz automatisch glauben, das Glück wäre mit ihnen, betonen die Älteren die Enttäuschungen und negativen Erfahrungen. Die Verletzungen, Niederlagen und Frustrationen verleiten zu gutgemeinten Warnungen vor diesem und jenem und ergeben in der Summe jenen griesgrämigen Gesichtsausdruck, den wir selbst als Jugendliche einst bei den »alten Omas« (ja, leider speziell bei Frauen) beobachtet haben. Neid, Missgunst und Überheblichkeit spiegeln sich in Mimik, Gestik und Worten wider. Es wirkt, als würde Gott nach und nach den Schalter umlegen von lebensfreudigem Optimismus auf besserwisserischen Kulturpessimismus.

Mir fiel diese göttliche Weichenstellung schlagartig auf, als ich vor den Briefkästen in unserem Mehrfamilienhaus zufällig auf den Rentner Albert aus dem dritten Stock und auf den sechsjährigen Leo und seine Mutter aus dem vierten Stock traf.

Leo jubelte uns allen zu: »Bald komm ich in die Schule!«

Bittersüß lächelte Albert dazu: »Dann fängt der Ernst des Lebens an!«

Leo fragte: »Was ist der Ernst des Lebens?«

Albert lachte, strich dem Jungen generös über das Haar und antwortete: »Den lernst du dann schon kennen!«

»Das ist eine Redewendung«, erklärte Leos Mutter dem Kleinen.

»Da wirst du merken, dass das Leben kein Spaß ist!«, ergänzte der Rentner. »Du kriegst nichts geschenkt!«

»Auch nicht mehr zum Geburtstag?«, fragte der Junge.

Albert lachte kurz auf, sichtlich amüsiert über die kindlichen Gedankengänge. Doch dann legte er sofort nach: »Du musst dir im Leben alles hart erarbeiten. Und das fängt in der Schule an. Da ist die unbeschwerte Kindheit dann vorbei. Du wirst schon noch an meine Worte denken!«

Zweifelnd sah Leo den Rentner an. Seine Mutter drängte: »Wir müssen gehen, Essen vorbereiten.«

Ich hatte währenddessen zwei Rechnungen aus dem Briefkasten gefischt, wollte ebenfalls zurück nach oben und stieg mit den anderen in den Lift. Die ganze Zeit über starrte Leo den Rentner fragend an, und dieser versuchte es mit einem gekünstelten Lächeln. Die Verbitterungsfalten, die sich tief in Alberts Gesicht gegraben hatten, erlaubten beim besten Willen kein offenes und freundliches Gesicht mehr. Spätestens ab sechzig hat sich die Lebenseinstellung eines Menschen dermaßen in seinem Gesicht verfestigt, dass es schon mehrerer Stunden Mimik-Training täglich bedürfte, um das noch mal zu korrigieren. Pessimisten werden zu definitiven Grantlern, Optimisten haben zwar auch Falten, aber die bewerten wir automatisch als »interessant« oder nehmen sie in ihrer Tiefe gar nicht so wahr.

Nach einer Schweigepause im Lift sagte der Rentner mit Blick auf die Briefumschläge in meiner Hand: »Es kommt ja keine schöne Post mehr, nur noch Rechnungen!« Ich pflichtete ihm bei und blickte aus den Augenwinkeln auf die Anzeige des Fahrstuhls. Nur noch ein paar Sekunden, dann würde er aussteigen, und Leo, seine Mutter und ich wären erlöst von seiner schlechten Stimmung.

»In der Schule lerne ich auch Rechnungen!«, ruft Leo begeistert.

Der Rentner gluckst. »Ach, du Dummerchen, das heißt Rechnen. Rechnungen musst du bezahlen. Und das ist nicht lustig!«

Mir platzt der Kragen, und ohne dass ich nachdenke, schnauze ich ihn an: »Sie machen einem kleinen, klugen Jungen das Leben nur madig! Schämen Sie sich! Leo, auch der Ernst des Lebens kann richtig Spaß machen, selbst die Schule. Lass dir das von so einem alten Tatterich nicht vermiesen!«

Erschrocken über meinen Ausbruch, starren mich Leo, seine Mutter und Albert an. Warum kann ich auch meine Klappe nicht halten? Soll der Alte doch reden, was er will. Warum muss ich mich da einmischen?

Grußlos steigt der Rentner aus dem Lift und verschwindet in seiner Wohnung. Leos Mutter kichert plötzlich: »Dem haben Sie es aber gut gegeben! Dieser alte Miesepeter!« Leos Mutter lädt mich spontan noch auf einen Kaffee ein, stellt sich als Ines-Maria vor, und zusammen spotten wir noch eine ganze Weile über alte Männer. Wir stellen fest: Lästern ist ein besonderer Spaß im Leben! Es hält uns jung und verhindert – hoffentlich –, dass wir griesgrämige, alte Tanten werden.

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Das Ärgerliche am Ärger

Meine Tochter Eva blockiert schon wieder stundenlang das Badezimmer, mein Sohn Lukas rollt den dreckigen Fußball einfach durch das Wohnzimmer, und mein Mann Alex kann zwar einen Computer bedienen, aber der Eintrag eines Termins in unseren Küchenkalender überfordert ihn offenbar. Und so steht plötzlich unsere Nachbarin vor der Tür und erklärt zu meiner Überraschung, bereits vor Wochen habe sie mit meinem Mann vereinbart, heute vorbeizukommen. Aha.

Laut Statistik ärgern wir uns zweimal in der Woche kräftig, nach durchschnittlich einer Stunde hat sich das Gefühl wieder verflüchtigt. Wobei die Statistik nicht sagt, wie hoch der Ärgergrad auf der Gefühlsskala ist. Der Fußball von Lukas liegt bei mir beispielsweise im unteren Bereich, während das Gefühl, das Alex’ Terminversäumnisse bei mir auslösen, eigentlich kaum mehr als Ärger zu bezeichnen ist, sondern eher als nackte Wut.

Menschen, die sich ärgern, zeigen dies mit einer typischen Mimik: zusammengezogene Augenbrauen, zusammengepresste Lippen, geweitete Pupillen, stechender Blick. Biologen nennen das Drohstarre – jeden Moment kann sozusagen zugebissen werden. Diese besondere Mimik ist ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit; unsere Vorfahren mussten in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, ob sie kämpfen wollten oder flüchten. Die körperlichen Vorgänge, die damals bei höchster Alarmstufe ausgelöst wurden, funktionieren heute noch so. Große Anspannung oder Ärger sorgen für die massive Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Diese lassen den Blutdruck und den Puls steigen, die Atmung wird flacher, die Muskulatur wird besser durchblutet, der Körper ist bereit zum Sprung.

Psychologen bestätigen meine Lebenserfahrung, die besagt, es bringt nichts, sich nicht zu ärgern. »Man kann den Ärger nicht einfach wegschieben und sich befehlen: Bleib ganz entspannt!«, sagen die Therapeuten übereinstimmend. Das wäre aufgesetzt, und daraus ergäbe sich nur ein Gefühlsstau. Was die Therapeuten aber empfehlen, nämlich später in Ruhe darüber zu reden, funktioniert bei uns auch nicht. Denn entweder ich schreie die Kinder wütend an, oder ich rede hinterher mit meinem Mann, der zwar in der Ruhe Einsicht zeigt, aber diese Einsicht innerhalb der nächsten fünf Minuten wieder vergessen hat.

»Ich bin halt so«, sagt Alex in solchen Momenten gerne und tritt die Flucht nach vorne an: »Nörgel doch nicht ständig an mir rum! Warum kannst du Menschen nicht einfach so sein lassen, wie sie eben sind?«

Da trifft er einen wunden Punkt, denn natürlich will ich andere Erwachsene nicht »erziehen«. Erst später fällt mir ein, dass »Termine eintragen« und Umerziehungsmaßnahmen so rein gar nichts miteinander zu tun haben – und schon habe ich wieder einen Grund, mich zu ärgern. Dieses Mal über mich selbst. Warum kann ich Alex so selten Paroli bieten?

Das ist übrigens die höchste Kunst des Ärgerns, das Ärgern über sich selbst. Nur Anfänger und Dilettanten der Disziplin »Möglichst unglücklich werden« ärgern sich über andere. Die wahren Profis knöpfen sich selbst vor. Das hat nämlich gleich zwei Vorteile. Zum einen geraten wir unter den typischen Ärgerstress mit Adrenalin und Noradrenalin. Zum anderen machen wir uns selbst so richtig zur Schnecke und schaden damit unserem Selbstbewusstsein. Unglücksprofis wissen, auf diese Weise schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe.

Weniger Geübte in der Disziplin »Möglichst unglücklich werden«, die sich selbst noch für eine Abwertung zu gut finden, können auch noch eine andere Methode anwenden. Am besten ärgern sie sich schon vorauseilend, also bevor ein potenzielles Ärger-Ereignis überhaupt eintritt. Ich bin inzwischen nach einigen Übungseinheiten ganz gut darin geworden. Noch bevor Lukas vom Bolzplatz heimkommt, rege ich mich bereits darüber auf, dass er sicherlich den dreckigen Fußball wieder durch das Wohnzimmer rollen wird. Wenn es an der Wohnungstür klingelt, schraube ich mich schon vor dem Öffnen auf 180 hoch – sicher kommt jetzt gleich wieder unangemeldeter Besuch, weil Alex nichts in den Küchenkalender eingetragen hat. Und wenn Eva die Badezimmertür hinter sich schließt, rechne ich nicht damit, dass sie nur schnell etwas holt, sondern dass sie dort wieder Stunden verbringen und mir den Zugang blockieren wird, obwohl ich dringend die Waschmaschine befüllen muss.

Diese vorauseilende Methode hat den Vorteil, dass sie nicht bloß auf Menschen anwendbar ist, sondern auch auf Situationen. Mit 40 plus verfügen Sie über reichlich negative Erfahrungen, die sich problemlos hervorkramen lassen. Denken Sie nur mal zurück: Mit 23 haben Sie den Bus verpasst und kamen deshalb zu spät zu einem Vorstellungsgespräch. Das kann Ihnen jederzeit wieder passieren. Ärgern Sie sich also auf dem Weg zur Bushaltestelle schon mal darüber, dass Ihnen der Bus vermutlich auch heute wieder vor der Nase wegfahren wird. Einen reichen Fundus an Möglichkeiten bieten auch Einkaufssituationen, bei denen sich jemand vorgedrängelt hat. Betreten Sie den Bäckerladen in Erinnerung daran und in der sicheren Gewissheit, dass Ihnen heute wieder jemand das letzte Croissant vor der Nase wegschnappen wird. Vergessen Sie auch nicht, an Gegenstände zu denken, die Sie in Ihrem Leben schon verloren haben – Geldbeutel, Haustürschlüssel oder gar die ganze Handtasche. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich dieses Ärgernis gewiss noch einmal wiederholen wird.

Ein weiterer, schier nie versiegender Quell des Ärgers sind Unhöflichkeiten von anderen Leuten: Dieser Idiot vom Büro nebenan, der Ihnen noch nie die Tür aufgehalten hat; der Lehrer, der Sie vor dem Sprechstundenzimmer warten ließ, bis der Elternabend vorbei war, und dann ohne Entschuldigung verschwand; der Jugendliche, der Sie in der U-Bahn absichtlich anrempelte; die Verkäuferin, die Ihnen einfach keine Auskunft gab, als Sie nach der reduzierten Tischwäsche fragten; der Autofahrer, der Ihnen aus unerfindlichen Gründen den Stinkefinger zeigte; der Fitnesstrainer, der Sie nicht mal grüßte. Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, dies als einmalige Entgleisung eines schlechtgelaunten Menschen zu werten.

Profis in der Disziplin »Möglichst unglücklich werden« verstehen sich auf die hohe Kunst, aus Vorfällen wie diesen ein ganzes Weltbild zu basteln. Der Satz »Früher war alles besser!« liefert hierfür eine gute Grundlage. Man kann daraus zum Beispiel ableiten, dass »alles immer schlimmer wird«. Sätze wie »Die Sitten verrohen« oder »Die Menschen werden immer egoistischer« passen auch ganz gut dazu. Genereller Kulturpessimismus macht sich übrigens noch besser. Die heutige kapitalistische Welt ist kaltherzig und vertreibt jegliche Zwischenmenschlichkeit – damit kriegen Sie sogar noch einen politischen Überbau und (hurra!) eine weitere nicht versiegende Quelle an Ärgeranlässen: Politik. Egal welche Partei Sie favorisieren, wenn diese gerade regiert, knöpfen Sie sich die Opposition vor. Wenn Ihre Partei in der Opposition ist, sehen Sie sich den Murks an, den die Regierung verzapft. Jede Tagesschausendung wird Ihnen Anlass zu Kopfschütteln und Verdruss über diese Politiker liefern. Sie können sich über zu hohe Steuern ärgern oder über zu geringe Sozialleistungen. Sie werden sich über unsinnige Gesetze oder ein zu laxes Durchgreifen empören. Wahlweise regen Sie sich über die unmenschliche Asylgesetzgebung oder mangelnde nationale Grenzsicherungen auf. Bewährt hat sich auch der ganz generelle Ärger über Minister: »Für was werden die eigentlich bezahlt?« Vergleichen Sie deren Gehalt mit dem Ihren, und der Stresshormonspiegel in Ihrem Körper wird in ungeahnte Höhen steigen! Und kommen Sie dabei bloß nicht auf die Idee, selbst politische Verantwortung übernehmen zu wollen; das würde Ihnen womöglich noch Einsichten in die Schwierigkeiten der Staats- oder Stadtlenker vermitteln und wäre in diesem Fall äußerst kontraproduktiv.

Ärger ist jedenfalls eine optimale Sache, um nichts verändern zu müssen – und Veränderungen mögen Menschen ab 40 generell nicht mehr so sehr. Mensch! Ärgere dich richtig! Oder mit Kurt Tucholsky gesagt: »Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nutzen.«

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Paar, 40+, schweigend am Esstisch

Mann schweigend am Esstisch

Die Aufstellung heute Abend wird spannend. Auf die Verteidigung kommt es an.

Ich darf nicht vergessen zu gucken, ob noch genug Bier für heute Abend da ist.

Der Schiri am Samstag war geschmiert.

Das dritte Tor bei der WM 2006 war immer noch das schönste.

Ich muss die Wette noch auf 2:1 korrigieren.

Wir haben immerhin Italien jetzt mal besiegt.

Madrid oder Mailand – Hauptsache, Italien. Legendär.

Wenn Bayern ein eigener Staat wäre, wäre die Bundesliga auch im Mai noch spannend.

Ich muss die Wette noch auf 3:1 korrigieren.

Die anderen haben die bessere Offensive.

Hoffentlich gibt es Tore.

Wenn wir nicht gewinnen, Alter …

Ich sollte die Wette doch nicht korrigieren und beim 2:0 bleiben.

Die haben vielleicht die besseren Stürmer, aber wir haben die bessere Verteidigung.

Ich muss noch gucken, ob genügend Chips für heute Abend da sind. Und Bier!

Hoffentlich ist der Schiri nicht wieder so beknackt wie der vom Samstag.

Echt doof gelaufen, dass wir nicht mal ins Finale der EM kamen.

Das Spiel müssen wir gewinnen.

Ich sollte die Wette doch noch auf 2:1 korrigieren.

Es wird auf die Aufstellung ankommen.

Komisch, früher dachte ich alle drei Sekunden an Sex, heute bloß noch an Fußball.

Warum ist es hier eigentlich so still?

Frau schweigend am Esstisch

Jetzt warte ich mal, ob er endlich von alleine darauf kommt, mir zu sagen, wie das Essen schmeckt.

Wenn er kocht, lobe ich sogar, wie schön er alles angerichtet hat.

Ich werde ihn nicht fragen. Ich werde überhaupt nichts sagen, bis er vielleicht mal seinen Mund außer zum Schmatzen aufkriegt.

Unglaublich, dass er immer noch nichts sagt.

Ich darf über meinem Ärger nicht vergessen, heute noch die Creme zu besorgen. Britta meint, die würde wirklich was nützen.

Vielleicht denkt er ja auch an eine Jüngere. Oh Gott, ja, könnte gut sein. So wie er gestern geschaut hat, als ich vorm Spiegel stand.

Männer denken doch ständig nur an Sex.

Trotzdem könnte er mir mal sagen, wie das Essen schmeckt. Wenn ich ihn schon bekoche, während er an Sex mit einer Jüngeren denkt.

Ich schau morgen gleich bei dem Schönheitschirurgen vorbei, Britta meint, das sei gar nicht so teuer, und der soll echt nett sein.

Quatsch! Ist doch albern, an eine Schönheits-OP zu denken, bloß weil er an Sex mit einer Jüngeren denkt.

Vielleicht denkt er auch an seinen Job? Ist ja echt stressig gerade.

Zum Essen könnte er jetzt trotzdem mal was sagen, Stress hin oder her.

Ich werde ihn nicht ansprechen, da beiße ich mir lieber auf die Zunge.

Der registriert ja noch nicht einmal, dass ich bewusst schweige! Idiot!

Wahrscheinlich denkt er doch an Sex mit einer Jüngeren und bemerkt mich deshalb gar nicht.

Was für ein unsensibler Trampel!

Der kann mich jetzt echt mal, ich mache mir heute einen schönen Abend mit Britta. Ja! Ich gehe einfach wortlos. Obwohl: Ist heute nicht Fußball? Dann wird er gar nicht merken, dass ich nicht da bin!

Er redet immer noch nicht. Er hat nur Sex mit einer Jüngeren im Kopf. Ich werde nicht nur heute Abend ausgehen! Ich werde ihn verlassen!

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Auf den Hund gekommen

Viele Eltern schaffen sich, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, einen Hund an. Dabei scheint es sich um ein lebendiges Bekämpfungsmittel des »Fürsorgeentlastungssyndroms« zu handeln. Von jetzt auf gleich knallen die lieben Kleinen, die nun zu Teenagern geworden sind, die Zimmertüre hinter sich zu und würden lieber einen Tag ohne Smartphone leben wollen, als noch bemuttert zu werden. Das ist der Dank dafür, dass man mindestens anderthalb Jahrzehnte damit zugebracht hat, sich darum zu kümmern, dass die Kinder eine frische Windel umgelegt bekommen, etwas Warmes an- oder eine Brotzeit im Schulranzen haben. Wir haben nervige Spielplatzmütter ertragen, die Kids in den Kindergarten und später in die Schule gebracht, wir haben »mach endlich deine Hausaufgaben« gebrüllt, Elternabende überlebt und Lateinlehrer zur Hölle gewünscht. Wir haben die ersten Jahre keine Nacht durchgeschlafen und sind später um drei Uhr in der Nacht ins Krankenhaus gefahren, wegen eines akuten Blinddarms oder sonst irgendetwas. Wir haben gefühlte acht Millionen Mal gefragt: »Hast du auch nichts vergessen?« Und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, hören wir gefühlt acht Millionen Mal am Tag: »Misch dich nicht ein! Das geht dich gar nichts an! Lass mich doch einfach in Ruhe!«

Wen wundert es da, dass man oder frau auf den Hund kommt. Endlich ein Wesen, das uns wieder braucht! Es muss gefüttert werden, es muss Gassi gehen und (vor allem!) braucht die zärtliche Zuwendung von Frauchen oder Herrchen. Es will gestreichelt und belohnt werden, muss geschimpft und an die Leine genommen werden und je nach Lebensalter seinen Spieltrieb ausleben. Im Gegensatz zu Katzen oder anderen Haustieren braucht ein Hund den Halter viel mehr, und deshalb taucht er oft gerade dann im Familienleben auf, wenn die Kinder sich aus selbigem zurückziehen, denn sie können acht Stunden am Tag mit Anti-Akne-Cremes im Bad zubringen, aber für ein gemeinsames Abendessen haben sie keine Zeit mehr.

Ich gebe zu, ein paar Tage habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, uns einen Vierbeiner zu besorgen. Fast hätte ich sogar andere Hundehalter angerufen, um mich zu informieren – was niemand tun sollte, der nicht ernsthafte Absichten hat! Da prasseln so viele Ratschläge über Hunderassen und Hundehaltung auf einen ein, dass man versucht ist, das ganze Vorhaben wegen dieser Komplexität wieder abzublasen.

Weshalb ich den Plan aber schließlich fallenließ, hatte einen anderen Grund. Ich stellte plötzlich fest, dass ich schon ein Haustier habe und das bloß nicht bewusst wahrgenommen hatte, weil die Kinder ja ständig meine Fürsorge brauchten. Bei einem ganz normalen Weg vom Schlafzimmer ins Badezimmer bemerkte ich: Ich habe einen Vogel. Und der piepste plötzlich in meinem Kopf: »Wie blöd kann man eigentlich sein, die Wäsche im Schlafzimmer zu vergessen?«

Diese Wäschegeschichte ist auch wieder der Pubertät der Kinder, in diesem Fall der meines Sohnes, zu verdanken. Eines der schönsten Gefühle, als ich damals mit meinem Partner, der später mein Mann wurde, zusammenzog, war die Freiheit in unserer Wohnung. Im Gegensatz zu den bisherigen WGs konnte ich mich so nackt und frei, wie es mir gerade passte, durch die Zimmer bewegen. Kein Handtuch nach der Dusche war mehr unabdingbar für den WG-Frieden. Ich hüpfte aus der Nasszelle und ging zu meinem Kleiderschrank, wie Gott mich schuf. Als die Kinder klein waren, badeten wir auch noch zusammen, aber irgendwann kam der Tag der Scham – und selbstverständlich rennt seit der Pubertät des Nachwuchses keiner mehr nackt durch die Wohnung, und jeder schließt die Badezimmertüre hinter sich ab. Deshalb nehme ich auch meine Wäsche mit ins Badezimmer – wenn ich sie nicht vergesse, wie an dem Tag, als sich mein Vogel bemerkbar machte.

»Wie blöd bist du eigentlich?«, piepste es in meinem Kopf. Der Vogel lobte mich nicht für die ungeheure Transferleistung (die kein Mann der Welt jemals verstehen wird!), ohne vorheriges Anprobieren und ohne Spiegel die Kleidungsstücke für den Tag zusammengestellt zu haben. Nein, im Hirn zwitscherte es, voller Häme.

Ich versuchte das, so gut es ging, zu ignorieren. Ein Gedanke zum Thema eigene Blödheit kann ja jeder mal durch den Kopf schießen. Doch ein paar Tage später meldete sich der Vogel schon wieder. Ich stand im Supermarkt vor dem Regal mit Nudeln und wusste nicht, ob ich welche kaufen sollte oder nicht. »Wie blöd bist du eigentlich?«, rief mein innerer Vogel. »Kannst du nicht vor dem Einkauf nachschauen, ob noch genug Pasta im Vorratsschrank ist?« Und nur einen Tag darauf sagte das Federvieh zu mir, nachdem ich zum wiederholten Male meinen Mann nicht auf einen Abendtermin aufmerksam gemacht hatte – ja, Sie wissen schon: »Wie blöd bist du eigentlich?«

Ich habe eine glückliche Kindheit ohne körperliche oder seelische Grausamkeiten verbracht. Niemand sprach mich so blöd an wie ich mich selbst. Und niemand, wirklich niemand hackte so systematisch auf mir herum, wie ich es seit einiger Zeit selbst machte, wenn der Vogel mich immer wieder als »blöd« bezeichnet (Ausnahme: Einmal schimpfte er mich sogar »saublöd«).

In meinem Alter sollte man es sich aber nicht gefallen lassen, sich selbst schlecht zu behandeln. Also legte ich mich auf die Lauer, um zu beobachten, wann der Vogel zuschlägt. Zunächst erkannte ich keine Systematik – er beschimpfte mich im Supermarkt, in der Wohnung und im Büro. Er kam morgens oder auch abends. Er tauchte zwar meist auf, wenn ich alleine war, aber bisweilen auch, wenn meine Familie mit am Tisch saß. Nachdem ich also kein Schema erkennen konnte, wollte ich mich schon auf die schnöde Bekämpfung des gemeinen Rufers beschränken (Lass mich endlich in Ruhe!).

Doch dann kam jener eiskalte Wintertag, an dem Eva in einer dünnen Jacke zur Geburtstagsfeier ihrer besten Freundin aufbrechen wollte. Kurz bevor sie aus der Wohnungstür entschwand, entfuhr es mir: »Bist du auch wirklich warm genug angezogen? Hast du auch nichts vergessen?« Meine Tochter atmete tief durch. Es war offensichtlich, wie sehr sie sich bemühte, mir nicht postwendend an den Kopf zu werfen, dass sie groß genug sei, um selbst an alles zu denken. Wenn sie in so einer dünnen Jacke das Haus verließ, würde es schon seine Gründe haben. Ich seufzte – und hörte den Vogel sagen: »Kannst du sie nicht endlich in Ruhe lassen? Wie blöd bist du eigentlich?«

In diesem Moment begriff ich, dass mein Vogel immer dann daherflatterte, wenn es um Vergesslichkeit ging. Ich hatte die Wäsche im Bad vergessen, das Überprüfen von Lebensmittelvorräten, ein Buch im Büro, die Terminansage für meinen Mann – oder eben auch, dass Eva kein kleines Kind mehr ist und eine solche Art der Fürsorge nicht mehr braucht.

Diese Erkenntnis brachte mich ins Grübeln. Früher hatte ich doch auch schon mal was vergessen, aber mich nicht dafür gescholten! Wieso tat ich das jetzt? Litt ich unter einer neuen Light-Version von Demenz, die zugleich Selbstbeschimpfungen als Symptomatik aufweist?