Wer uns nicht mag, kann uns gernhaben! - Monika Bittl - E-Book

Wer uns nicht mag, kann uns gernhaben! E-Book

Monika Bittl

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Beschreibung

Bestseller-Autorin Monika Bittl schreibt in "Wer uns nicht mag, kann uns gernhaben!" über eine ganz besondere Frauen-Freundschaft – und die wunderbare Chance der Neuerfindung, hat man die 50 erst mal überschritten. Die Kinder sind aus dem Haus, der Mann weilt im Ausland, das Leben wird endlich ruhiger – doch plötzlich steht Monika Bittls alte Freundin Suzi vor der Tür. Sie ist wie ein Wirbelwind und scheint das Chaos regelrecht anzuziehen. Da Suzi gerade ihre Bleibe verloren hat, kapert sie kurzerhand Monika Bittls Wohnung und mischt deren behagliches Leben gründlich auf. Denn mit ihr halten die wirklich spannenden Themen Einzug: Muss man mit über 50 zwangsläufig verspießern? Kann man sein Leben noch mal komplett umkrempeln, um nicht im geistigen Vorruhestand zu landen? Und wie um Himmels Willen kommt frau zu einem Mann, wenn sie eigentlich gar keinen will? Unterhaltsam, identifikatorisch, lebensklug: Eine wohltuende und zugleich zum Lachen verführende Lektüre für alle jenseits der Fünfzig – und ein wunderbares Geschenk für die eigenen Freundinnen.

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Monika Bittl

Wer uns nicht mag, kann uns gernhaben!

Zwei Freundinnen erfinden sich neu

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Die Kinder sind aus dem Haus, der Mann weilt im Ausland, das Leben wird endlich ruhiger – doch plötzlich steht Monika Bittls alte Freundin Suzi vor der Tür. Sie ist wie ein Wirbelwind und scheint das Chaos regelrecht anzuziehen. Da Suzi gerade ihre Bleibe verloren hat, kapert sie kurzerhand Monika Bittls Wohnung und mischt deren behagliches Leben gründlich auf. Denn mit ihr halten die wirklich spannenden Themen Einzug: Muss man mit über 50 zwangsläufig verspießern? Kann man sein Leben noch mal komplett umkrempeln, um nicht im geistigen Vorruhestand zu landen? Und wie um Himmels willen kommt frau zu einem Mann, wenn sie eigentlich gar keinen will?

Bestsellerautorin Monika Bittl schreibt in Wer uns nicht mag, kann uns gernhaben! über eine ganz besondere Frauenfreundschaft – und die wunderbare Chance der Neuerfindung, hat man die 50 erst mal überschritten.

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorbemerkung

Vorwort

Rot-weiß mit Blümchen

Da ist was faul!

Es steht in den Sternen

Die Schule des Lebens lässt sich nicht schwänzen

Gelbe Engel

Zum Nicht-mehr-Davonlaufen

Stimmt immer!

Zettelwirtschaft

Rezept für eine Unglückssuppe

Winterliebe

Fürstlicher Betrug

Doc statt Disco

Ein himmlisches Interview

Auf Leben und Tod, online und analog

Der Berg ruft

Omas Suppenküche

Wie verhext!

Silber ist Gold

Eheringe lügen nicht

Ohne Einbruch kein Aufbruch

Wir sind doch nicht bescheuert!

Fernsprecher

Eine Einkaufsliste, ganz einfach

Flaschenpost

Bike your age

Schwere Jungs

Let’s party

Ghostkids

Eiche, geölt

Generation Gulaschsuppe

Du-Sie-Suzi

So ein Theater!

Schwarze Witwe

Bar jeder Vernunft

Alle für eine

Meinen wunderbaren Freundinnen

Ähnlichkeiten mit lebenden oder mit mir lebenden Personen sind rein zufälliger Natur.

 

Ähnlichkeiten mit meinen Freundinnen sind kein Zufall, sondern ihrer wunderbaren Einzigartigkeit geschuldet.

Vorwort

Die überspitzte Kurzfassung meiner Freundschaft mit Suzi geht so: Wenn ich einen Waldspaziergang mache, stapfe ich eine Stunde durch die Natur, sammle ein paar Zapfen, entspanne mich und komme mit ein paar Handyfotos zurück. Wenn meine Freundin Suzi für eine Stunde unter Bäumen wandert, hat sie mindestens ihren Autoschlüssel verloren, versehentlich eine Tollkirsche probiert, ist einem Wildschwein entkommen, hat ihr Handy geschrottet oder eine Leiche entdeckt.

Ich kenne Suzi seit der ersten Klasse und ärgerte mich schon vor dem Lernen der ersten drei Buchstaben darüber, dass sie immer einen Tick schneller, lauter und frecher war als ich. Angekommen beim Z, behauptete Suzi, Suzanna mit Z zu heißen und nicht wie so viele Mädchen schnöde »Susanne«. Das käme von ihrer italienischen Großmutter.

Suzis Mutter bestätigte später zwar, dass die Tochter das Temperament der Oma geerbt hätte – von einem Z im Namen wüsste sie jedoch nichts, und immerhin sei sie höchstpersönlich bei der Entbindung dabei gewesen! Als Beweis suchte die Mutter die Geburtsurkunde, in die bisher niemand geschaut hatte – und das Drama war perfekt: Suzi hieß weder Suzi mit Z noch mit S, sondern Marta! Der Vater des Mädchens hatte auf dem Weg zum Standesamt zahlreiche Kumpels getroffen, die mit ihm auf die Geburt des ersten Kindes so zahlreich und hochprozentig anstießen, dass der Mann den Namenswunsch seiner Frau »Suzanna« gründlich verwechselte. Trotzdem blieb sein Mädchen seither eine Suzi, die jeder so rief. Und weil ohnehin schon nichts mehr stimmte, behielt Suzi auch ihr Z, weil ihr das interessanter vorkam.

 

Suzi drängelte sich in den Pausen permanent geschickt vor – andererseits half sie mir aber auch, als ich einmal unerlaubterweise das Treppengeländer im Schulhaus herunterrutschte, mir die Knie aufschlug und deshalb ein Verweis drohte. Suzi verstand auf Anhieb, dass meiner Verletzung eine andere Ursache zugeschrieben werden musste, zog mich zur Seite und erklärte dem dazukommenden Lehrer voller Inbrunst: »Die Treppenstufen sind zu glatt geputzt. Da muss es ja zu einem Unfall kommen, sagt meine Mama auch immer.«

 

Später kamen Suzi und ich uns immer mal mehr oder weniger nahe. Nach der Schule trafen wir uns in der Stadt, in der wir beide studierten, und gingen zusammen auf Demos, schwimmen oder in Kneipen. Wir reisten zusammen nach Griechenland, verloren uns aus den Augen, begegneten uns wieder auf Klassentreffen, über gemeinsame Bekannte oder bei einem Konzert.

Und nun ist sie da. Ganz die Alte, aber doch auch älter geworden.

Wir trafen uns wieder bei der ersten Vernissage der gemeinsamen Freundin Kikki, die im zarten Alter von sechzig auf die Idee kam, ihre Erfüllung in der Malerei zu suchen. Suzi und ich begegneten uns just an dem Abend, als sie obdachlos geworden war.

»Und dann gehst du abends auf eine Vernissage?«, fragte ich die alte Freundin.

»Ich lass mir doch von so einem Scheiß nicht einen schönen Abend verderben!«, antwortete Suzi resolut.

Und das Schicksal gab ihr recht.

»He, dann hast du ja richtig viel Platz in der Wohnung«, bemerkte Suzi, als ich ihr erzählte, dass mein Mann für ein geschäftliches Auslandsjahr in Kasachstan oder sonst irgendwo in seinem Bauingenieuruniversum unterwegs sei. Dass meine Kinder Eva und Lukas urplötzlich erwachsen geworden und schneller ausgezogen waren, als sie jemals ihr Zimmer aufgeräumt hatten. Und dass ich gerade dabei sei, diese Ruhe nach den vielen Jahren Familientrubel zu genießen.

Meinen letzten Satz musste Suzi überhört haben, denn sie rief laut: »Wie wunderbar sich das alles fügt, das nenn ich mal Karma! Dann hast du ja Platz, und ich kann bei dir wohnen! Nur vorübergehend natürlich.«

Verdutzt nickte ich, aber das sah Suzi schon gar nicht mehr, denn sie war plötzlich damit beschäftigt, einen spießigen Kerl mit Bierbauch abzuwimmeln, der mich kurz zuvor blöd angemacht hatte. Er hatte mir Erdbeeren vom Happenteller gebracht und geraunt: »Du bist so süß wie diese Beeren, die übrigens die Lust steigern. Bitte nimm dir, viel, viel!«

Suzi sah ihn bitterböse lächelnd an und meinte: »Männer wie du sind wie Erdbeeren. Schnell zu vernaschen, aber nach drei Tagen faulig. Da lehnen wir dankend ab, denn wir wollen uns ja keine Krankheit holen!«

 

Am nächsten Tag stand Suzi mit Koffern vor der Tür. Nicht nur sie, sondern auch Voss aus dem Erdgeschoss, um den ich bisher einen großen Bogen gemacht hatte. Also vor allem mein Mann, weil er den Typen, der sich aus seiner Sicht unablässig aufdrängte. nicht ausstehen konnte. Aber zu Voss kommen wir später noch.

 

Suzi wäre nicht Suzi, wenn der Grund ihrer Wohnungssuche ein schnödes Beziehungsproblem, Mietrückstände, Gentrifizierung eines Großstadtviertels oder ein Jobwechsel gewesen wäre – ihr Vermieter hatte bei dem Versuch, Gasleitungen auf eigene Faust zu reparieren, das halbe Haus abgefackelt. Niemand kam zu Schaden – aber aus Sicherheitsgründen durfte dort keiner mehr wohnen bleiben, und alle Mieter standen plötzlich von einem Tag auf die andere Nacht auf der Straße. Eine Unterbringung in einem Hotel auf seine Kosten verweigerte der Vermieter, und eine solch naheliegende Lösung wäre auch ganz deutlich unter Suzis Potenzial als Dramaqueen wider Willen gewesen – oder mit Willen? Das muss ich noch herausfinden.

Denn mit dem Einzug der restlichen Sachen von Suzi – wen wundert’s? – fing es schon an: Die Umzugsfirma verkleidete wie vorgeschrieben den Lift innen und legte damit offenbar die Elektronik lahm. Aber nicht sofort, sondern erst, als Suzi mit Volker Voss aus dem Erdgeschoss, der ihr spontan beim Kistenschleppen helfen wollte, eingestiegen war. So steckten beide über drei Stunden in dem kleinen Raum fest. Denn der Kerl vom Aufzugsnotdienst blieb auf der Anreise selbst stecken, in einem von ihm verursachten Unfallstau, was Suzi im Stakkato der Notfallsprechanlage erfuhr. Bei jedem anderen hätte ich mich an die Stirn gegriffen und gestöhnt: »Das darf doch nicht wahr sein!« Bei Suzi wundert mich so etwas nicht. Sie zieht solche Situationen förmlich an.

Und der Liftgefährte Volker ist nun gefühlt auch gleich noch bei uns eingezogen – er kommt andauernd rauf. Offenbar hat er Gefallen an Suzi gefunden, auch wenn sie ihn meist hinauskomplimentiert: »Hör mal, geh zu deiner Frau und den Kindern, die brauchen dich, häng hier nicht rum. Weißt du eigentlich, was es heißt, ein Kleinkind ins Bett zu kriegen? Nein! Also! Runter mit dir!« In schöner Regelmäßigkeit vergisst das der stark tätowierte Sozialpädagoge und auch Betreuer schwer erziehbarer Jugendlicher Volker aber offenbar wieder, lässt sich von Suzi ein Glas Wein aus der mitgebrachten Flasche einschenken und behauptet, seine Frau sei froh darum, wenn er bei uns »aufgehoben« sei und er sich nicht in ihre »inneren Angelegenheiten« wie Kindererziehung einmische. Ich vermute stark, das ist die typische Kleinkindflucht der Männer, sogar eines Sozpäds, und versuche in alldem meine innere Balance zwischen »Endlich wieder Leben in der Bude« und »Das Theater wird mir jetzt echt zu viel« zu finden.

 

Suzi ist klein, rundlich, schwarzhaarig und arbeitet seit zwanzig Jahren in einem Architekturbüro. Nach der Schule schrieb sie sich für Romanistik ein, machte einen Italienisch-Sprachkurs in Ravenna – und kam schwanger von einem sizilianischen Kerl zurück, dem sie tatsächlich Namen und Anschrift geglaubt hatte. Der charmanteste Mann der Welt war dann allerdings nie wieder auffindbar, Suzi hatte einen Abgang, bekam durch irgendeinen Fehler der Zentralen Studienplatzvergabe einen Medizinstudienplatz, brach die akademische Laufbahn nach dem Sezieren ihrer ersten Leiche ab und wurde erneut schwanger – dieses Mal aber von einem Mann, der auf die Barrikaden ging, weil sie ihn nicht sofort heiraten wollte. Aber Suzi ist nicht blöd – den gleichen Fehler macht sie nicht zweimal, wie sie sagt, sondern nun einen anderen. Und so zog sie ihre Tochter Cindy mit diversen Übersetzerjobs alleine auf, »zu anständig«, wie sie meint, denn Cindy wurde eine »Banktussi« und heiratete in den Augen ihrer Mutter »spießig« nach Rostock.

 

Suzi bezog eins der alten Kinderzimmer. Wir teilen uns das Badezimmer, den Kühlschrank und immer häufiger auch das Karma, wenn wir im Park mit Voodoozauber Männer verwünschen, die Anzeige auf der Personenwage für vom russischen Geheimdienst manipuliert halten oder eine ganze Nacht in Kneipen durchmachen, so als seien wir noch achtzehn, und dafür drei Tage lang büßen. Mein Leben hat jedenfalls einen neuen »Drive« bekommen, um das mal so zu nennen. Denn Suzi ist nicht nur extrem unternehmungslustig und zieht dabei das Chaos an, auf sie trifft auch der alte Spruch zu: »Gute Freundinnen sind nicht dazu da, dich zu beruhigen, sondern um sich zusammen aufzuregen.« Und schon ist das nächste Mikroabenteuer perfekt …

Rot-weiß mit Blümchen

»Schau mal!«

Suzi kommt von der Arbeit und hält mir nicht wie neulich schelmisch einen Sixpack Bier zum »Männerködern«, sondern ohne Absichtserklärungen einen Sechserpack rot-weiß karierte Geschirrtücher mit Blümchen unter die Nase. »Stark saugend, 29 Euro.«

»Schön«, kommentiere ich etwas verblüfft Suzis Einkauf nach Feierabend. Seit wann präsentiert sie Haushaltsutensilien so aufmerksam? Aber wer weiß, vielleicht denkt Suzi schon an die Ausstattung ihrer neuen Küche, wenn sie endlich wieder in ihre Wohnung zurückkann. Also meine Wahl wären diese rot-weißen Tücher ja nicht, und sie würden auch nicht zum minimalistischen Stil unserer im blauen Farbton gehaltenen Küche passen. Andererseits haben die Dinger fast einen kitschigen Retrocharme, und was geht es mich an, wie Suzi ihre neue Küche gestalten will?

Suzi reißt die Packung auf, hängt mit mürrischem Gesicht zwei Geschirrtücher an die Haken neben unserer Spüle und fischt ein paar alte Exemplare mit Löchern und Flecken aus dem Küchenschrank, um sie in den Müll zu befördern. Dabei sieht sie mich nicht einmal an.

»Was ist los, Suzi?«, frage ich, denn so ein fanatisches Interesse an banalen Haushaltsutensilien ist ihr so wesensfremd wie mir die Begeisterung für Ferrari-Motoren. Ihr scheint mehr als nur eine Laus über die Leber gelaufen zu sein.

»Ist was, Suzi?«, frage ich noch einmal, nachdem sie wortlos nun auch prüfend die Weingläser meiner Tante Hedwig in die Hand nimmt. Hat sie auch neue Gläser gekauft? Hilfe! Will sie die Erbstücke meiner Lieblingstante entsorgen?

»Nein. Nichts, gar nichts ist!«

Um Gottes willen! Ich kenne diesen Satz ja von meinem Mann Alex und vom Hörensagen auch von anderen Männern, wenn sie außer sich vor Wut, schwer verletzt oder gnadenlos beleidigt sind. Aber eine Frau, noch dazu eine Freundin, kann doch gar nicht so emotional verkrüppelt und ausdrucksbehindert sein! Noch dazu Suzi, aus der sonst alles sofort herausplatzt. Dazu dieser alles und nichts sagende Blick. Alarmstufe Rot!

»Komm schon, was ist passiert?«, frage ich nach.

»Dieses Arschloch!«, bricht es aus Suzi heraus, und sie wendet den Blick von Tante Hedwigs Erbstücken ab.

»Wer?«, frage ich nach. Meint sie den Vater ihrer Tochter, von dem ich dieses verbale »Etikett«, seit ich denken kann, kenne.

»Jürgen!«

Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ich nehme sie kurz entschlossen in den Arm.

Jürgen ist Suzis Chef und nach meinem Informationsstand eigentlich ein netter Kerl, der das Architekturbüro, in dem Suzi das pulsierende Geschäftsherz ist oder »Fräulein für alles« – wie sie selbst scherzend sagt –, fast freundschaftlich leitet.

Suzi schleudert die restlichen noch nicht ausgepackten vier Geschirrtücher auf den Boden: »So ein Arschloch! Der sortiert mich einfach so aus wie alten Stoff!«

»Wie? Der kann dir doch nicht so einfach kündigen?«, frage ich.

»Die Pfeiffer ist schuld!«

»Wer oder was ist die Pfeiffer?«

»Ein noch größeres Arschloch!«

Suzi presst wütend die Lippen aufeinander, schnaubt durch die Nase und lässt sich schließlich auf den Küchenstuhl fallen.

 

Ein paar Äußerungen später, die ich aus Gründen des Jugendschutzes hier nicht wiedergeben kann, ist der erste Dampf abgelassen, und Suzi kann wieder zusammenhängend erzählen und Hintergründe erläutern. Ich erfahre, dass die fünfundzwanzigjährige Pfeiffer eine neue Kollegin ist, die festgestellt hat, dass Suzi ihre Arbeit ohne Qualifikation für Buchhaltung, Rechnungswesen oder steuerrechtliche Anforderung gar nicht verrichten dürfte. Und der Jürgen höre blind auf die, vermutlich hätte er mit ihr ein Verhältnis, nur so könne sie sich erklären, dass ihr Chef sie vor die Wahl gestellt habe, entweder diesen Abschluss nachzuholen oder nur noch zum fast halben Salär ihre Arbeit weiter zu verrichten. Dabei macht sie seit zwanzig Jahren diesen Job zur Freude aller Mitarbeiter, Kunden und sogar Behörden.

»Aber das ist doch absurd!«, wende ich ein.

»Genau!«, ruft Suzi empört. »Nur weil diese blöde Kuh ihm eingeredet hat, bei öffentlichen Ausschreibungen könnte das mal kontrolliert werden! Die will mich nur loswerden.«

Suzi steht auf und hebt die Packung, die sie zuvor auf den Boden geschleudert hat, wieder auf. Irgendwie hilflos. So kenne ich Suzi überhaupt nicht.

»Also, jetzt mal langsam«, erkläre ich. »Du bist eine gestandene Frau, die sich doch nicht von so was ins Bockshorn jagen lässt. Kannst du diese Qualifikation nicht nachholen?«

»Ich? Jetzt?«

»Ja, warum denn nicht?«

»Für nichts und wieder nichts kurz vor der Rente wieder in die Schule gehen!?«

»Geht vielleicht auch alles online und digital«, versuche ich zu trösten. »Und kurz vor der Rente stehen wir auch noch nicht. Da liegt schon noch einiges vor uns.«

Suzi sieht mich fest an, schaut aber durch mich hindurch und lässt ihr Hirn offenbar auf Hochtouren arbeiten. Plötzlich springt sie energiegeladen auf.

»Du sagst es!« Ihre Augen funkeln »Ich weiß zwar noch nicht, wie, aber denen werde ich es allen noch zeigen!«

Ja! So gefällt mir die Freundin wieder.

Suzi reißt die neuen Geschirrtücher wieder vom Haken mit den Worten: »Du hast schon recht mit deinen vielsagenden Blicken, die passen hier gar nicht rein, die schenk ich der Pfeiffer. Das wird sie ärgern, wenn ich auch noch nett zu ihr bin.«

Damit verschwindet Suzi in ihrem Zimmer, taucht kurze Zeit später in Sportklamotten wieder auf, geht laufen mit der Bemerkung »Das hab ich seit sieben Jahren nicht mehr gemacht!« und taucht nicht einmal zum Abendessen mehr in der Küche auf, obwohl ich ihr ihre Lieblingspasta in Aussicht gestellt hatte. Nur als sie es später an der Wohnungstüre klingeln hört, ruft sie mir zu: »Ich hab zu tun, sag dem Voss, er ist auch nur so ein wichtigtuerischer Mann!«

Etwas diplomatischer erkläre ich Volker, dass Suzi heute leider ihre Verabredung nicht einhalten könne, da sie unpässlich sei, und der Hausbewohner macht sich leicht beleidigt und mit der Bemerkung »Wenn es mal wieder eine Audienz gibt, soll sie es mich wissen lassen!« mit seiner Weinflasche wieder auf den Weg zurück.

 

Ich bin baff. Suzi hat offenbar schon wieder ein Ziel vor Augen und verfolgt es entschlossen. Kann man eine Freundin wirklich so einfach trösten? Wenn sie Alex wäre, dann würde mir jetzt eine Nacht mit politischen Diskussionen bevorstehen, also darüber, was der Kapitalismus anrichtet und weshalb er ein ganz mieses Opfer dieses systemischen Hamsterrades sei, ehe er am nächsten Morgen geknickt in die Arbeit ginge und in seinen Arbeitspausen »Demütigungen fieser Chefs« zum WhatsApp-Thema zwischen den Kindern und mir machen würde und sich selbst mindestens noch 1394 Jahre leidtäte.

 

Als ich am nächsten Morgen die Küche betrete, hat Suzi schon Semmeln gekauft, ein üppiges Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft, Rührei und französischem Kakao zubereitet. Sie ist schick gekleidet, duftet nach »Das Leben ist schön«, begrüßt mich lächelnd und fragt aufmerksam nach, ob ich Nutella vermissen würde, denn das sei leider ausgegangen. Schlaftrunken komme ich nur zu einer kurzen kopfschüttelnden Verneinung, ehe Suzi energiegeladen ausführt, sie wolle nicht stressen, aber leider müsse sie gleich weg, denn sie habe heute noch verdammt viel vor.

»Geht es dir wirklich so gut?«, frage ich nach.

»Und ob! Was meinst du, was ich letzte Nacht noch alles in Erfahrung bringen konnte! Aber das kann ich dir nicht so zwischendurch erzählen.«

Will sie mich auf die Folter spannen mit den Plänen, die sie ausgeheckt hat, ganz im Stil einer Dramaqueen, die über Befindlichkeiten, Erlebnisse und Vorhaben nicht mal einfach so berichten kann, sondern ihre Erzählung davon regelrecht inszeniert?

 

Abends finde ich mich mit ihr unversehens beim Joggen im nächsten Park wieder. Nach einem: »Komm, stell dich nicht so an! Ich hab den Muskelkater des Jahrhunderts und stell mich auch nicht so an. Wann, wenn nicht jetzt, wollen wir endlich unseren Arsch hochkriegen?«

Ich schnaufe mir nach gefühlten 74 Jahren Sportabstinenz die Seele aus der Brust und muss mir eingestehen, dass mein Standardsatz »Laufen geht brutal auf die Gelenke« wohl schon ziemlich lange eine faule Ausrede war, um mein Couchpotato-Dasein vor mir selbst schönzureden.

»Ich kann nicht mehr!« Damit lasse ich mich auf die nächste Parkbank fallen. Suzi scheint ganz froh darüber zu sein. »Ich auch nicht mehr! Wir müssen uns langsam hochtrainieren.« Wie zwei Frauen kurz vor der Rente starren wir auf vorbeiziehende junge Kerle im Speedrunning-Modus und schließlich auf die Enten im See vor uns, ehe wir wieder genug Puste haben, um überhaupt sprechen zu können.

»Ich will gar nicht lange rumlabern, sondern komme jetzt gleich auf den entscheidenden Punkt, der dich wahrscheinlich am meisten interessiert.«

Suzi grinst mich schelmisch an.

 

Einen Monat später hat sie all das in die Tat umgesetzt, was sie auf der Parkbank angekündigt hat. Sie besucht nun einen Fortbildungskurs einer IHK-Akademie, um ihre Qualifikation nachzuholen, lernt so richtig intensiv aber nur für Fächer wie Buchhaltung, die ihr »hinterher« auch etwas bringen. »Hinterher« heißt: wenn sie nun endlich ihre Leidenschaft lebt, nachdem sie alles auf brauchbare Füße gestellt hat. Suzi befasst sich nebenbei gerade damit, wie man einen Businessplan für die Bank macht. Sie sieht sich schon mal Ladenlokale an, um Angebote besser einschätzen zu können, wenn die Suche dann konkret wird. Sie konzipiert schon mal eine Website, die dann einer von Volkers »schweren Jungs«, der sich dank dessen Einsatz nach dem Jugendknast mittlerweile zum Webdesigner ausbilden lässt, umsetzen soll. Und sie wird gerade Expertin für schräge Gartenzwerge und vor allem Suppen. Denn sie will eine »Suppenküche aus Omas Garten« oder so ähnlich eröffnen. Der sichere Arbeitsplatz im expandierenden Architekturbüro könne ihr gestohlen bleiben, denn sie hätte in ihrer Restlaufzeit keine Sekunde mehr an schwanzgesteuerte Chefs, blödsinnige Rechtfertigungen ihrer unkonventionellen Erfolge oder idiotische Jungziegen zu vergeuden. Jetzt müsse sie nur noch kurz den Atem anhalten, bis alles unter Dach und Fach sei, denn sie sei schließlich keine achtzehn mehr, wo man alles kopflos über den Zaun breche.

 

Irgendwann bei den weiteren Feinplanungen, die Suzi mit Volker bei einem Glas Wein bespricht (das Anschleppen von schweren Blumentrögen soll zu einem lukrativen Zusatzverdienst für dessen »Klientel« – wie Volker das selbst nennt – und dazu noch pädagogisch wertvoll werden), klingelt es an der Tür, und ich habe das zweifelhafte Vergnügen, einer gewissen Frau Pfeiffer gegenüberzustehen, die einen Pack rot-weißer Geschirrtücher mit Blümchenmuster theatralisch vor mir auf den Boden wirft. »Die kann Suzi für sich behalten, ebenso wie ihre sonstigen Gemeinheiten!«

Ich sehe der Pfeiffer irritiert nach, während sie wutschnaubend das Treppenhaus herunterstöckelt. Suzi hat über die offene Küchentür – kurzzeitig schweigend mit Voss – alles mitgehört und kriegt sich jetzt vor Lachen nicht mehr ein.

»Du bist eine Heldin!«, jubelt Volker, »für dich lass ich mir noch ein Tattoo stechen!«

»Jaaa!«, ruft sie. »Haben wir Schampus?« Und sie erklärt dem verblüfften Volker und mir, dass wir nun alle feiern müssten, dass der kleine, aber emotional nicht ganz unwichtige Teil ihres Planes aufgegangen sei: Suzi hat Jürgens Frau auch einen Pack dieser Geschirrtücher geschickt, mit einer Karte dazu: »Also, ich finde es nicht in Ordnung, dass Ihr Mann nur der Frau Pfeiffer so ein nettes Geschenk macht, um sich für ihre Haushalts- und sonstigen Dienste zu bedanken. Deshalb kriegen Sie von mir auch solche Geschirrtücher, wie sie Ihr Mann unserer Kollegin geschenkt hat.« Wie erwartet hatte das Jürgens Frau auf die Fährte gebracht, mal nachzuforschen, wo genau ihr Mann nun seit geraumer Zeit seine immensen Überstunden verbringt.

Da ist was faul!

Schau mal!« Voller Stolz zeigt Suzi mehrere befüllte Stoffbeutel und hebt sie beim Betreten der Küche hoch.

»Jetzt boostern wir uns mit Vitaminen!« Sie wedelt mit den Taschen herum, um mich neugierig zu machen. Ich schaue von meinem Laptop auf, mit dem ich am Küchentisch sitze.

»Was ist da drin?«

»Gesundes«, erklärt Suzi geheimnisvoll.

»Also, dass du jetzt keine geschmuggelten Kokainbeutel heimbringst, davon bin ich ausgegangen.«

»Unterschätz mich nicht, wer weiß, was ich alles könnte!«, erklärt Suzi, zieht die Jacke aus und legt die Beutel auf den Küchentisch.

»Ach, und wie willst du da rankommen? Also, ich wüsste nicht, wie!«, erkläre ich. »Ich wüsste ja nicht mal mehr, wie ich was zum Kiffen besorgen könnte!«

»Willst du kiffen?«, fragt Suzi etwas entgeistert.

»Nein, natürlich nicht. Aber neulich ist mir mal in den Kopf geschossen, dass ich überhaupt niemanden mehr fragen könnte, ob er was zum Rauchen hätte, falls ich es doch mal wollte.«

Suzi lacht laut auf. »Weißt du, wie man das nennt? ›First world problems‹. Falls ich was haben möchte, was ich eigentlich gar nicht will, kenne ich niemanden, der mir das beschaffen kann!«

Ich muss grinsen. Sie hat ja recht. »Es ist doch nur so – als ich Anfang zwanzig war, da hätte mir jeder dritte Freund was besorgen können … Und heute kenne ich offenbar nur noch Spießer.«

Suzi sieht mich mitleidig an. »Jetzt mach ich uns erst mal einen Cappuccino!« Dazu holt sie den Espressokocher aus dem Küchenschrank und befüllt ihn mit italienischem Kaffee. Sie hält plötzlich inne. »Du meinst also, alle, die so wie wir nicht kiffen, sind Spießer, weil sie sich gesetzeskonform verhalten?«

»So ähnlich wohl«, gestehe ich.

»Das ist kein Spießerproblem, das ist ein Altersproblem«, erklärt Suzi resolut und befüllt nicht nur den Espressokocher, sondern setzt auch Milch für Schaum dazu auf. »Du möchtest noch rebellisch sein wie als junge Frau, auch wenn du längst deinen Weg gefunden hast. Wieso glauben wir immer, noch rebellieren zu müssen?«

»Weil halt …«, stammle ich und halte dann inne. Diese Frage ist mir zwischen einer langen Liste Mails, die ich gerade beantworten wollte, zu viel. Darüber denke ich mal nach, wenn ich in Rente bin oder es mir der Tagesablauf erlaubt, solche Luxusprobleme zu analysieren.

»Und willst du jetzt gar nicht wissen, was ich erbeutet habe?«, fragt Suzi.

Tatsächlich war ich gerade gedanklich so anders beschäftigt, dass diese schönen Stoffbeutel in den Hintergrund gerückt waren. »Natürlich!«

»Acht Kilo Äpfel!«

»Aha!«

»Draus mach ich Bratäpfel oder Saft, ich hab schon mal im Internet geschaut, so eine Saftpresse gibt’s in guter Qualität schon um die fünfzig Euro.«

»Aber rentiert sich das? Da musst du schon viel Saft pressen, bis die Ausgaben für die Maschine und das Obst wieder rein sind.«

»Bioäpfel!«

»Bioapfelsaft kostet mittlerweile auch kaum mehr als einen Euro der Liter«, entgegne ich. Die Preise für Apfelsaft hab ich im Blick, weil meine Tochter Eva ihn liebt.

Suzi sieht mich an, als hätte ich sie aus einem schönen Traum geweckt. »Mach doch nicht alles madig!«, erklärt sie mit beleidigtem Unterton und stellt uns den Cappuccino auf den Tisch.

Okay, verstehe. Sie will selbst Saft machen und sich nicht durch so schnöde pekuniäre Überlegungen ausbremsen lassen. Letztlich geht es ihr mehr um die Freude am Tun als um Geldersparnis.

Doch nein, es geht um viel mehr, wird mir plötzlich klar, denn Suzi erklärt: »Das wäre vielleicht was für meinen Laden. Ich könnte da auch Bratäpfel oder selbst gemachte Obstsäfte anbieten.«

»Ah!«, rufe ich. Auf den naheliegendsten Zusammenhang war ich nicht gekommen. »Eine alte Bekannte von mir, die Christiane, macht das auch, sie hat sich ein extrafeines Gerät gekauft … Sie verkauft nämlich auch manchmal auf dem Wochenmarkt. Die haben selbst einen großen Garten mit Apfelbäumen. Vielleicht war sie heute auch da? Die ist auffällig mit ihren roten langen Haaren und bunten Ketten, die sie immer trägt …!«

»Ja! Genau! Bei ihr hab ich die Beutel gekauft!«, ruft Suzi.

»So klein ist die Welt dann doch immer wieder!«, sagen wir beide fast gleichzeitig.

 

Ich erzähle Suzi von Christiane. Als meine Kinder klein waren, haben wir uns bei einem Yogakurs kennengelernt und scherzten gerne darüber, dass wir nun esoterisch würden – denn Yoga war damals in den Augen von Älteren noch »so komischer Hokuspokus«. Christiane zog irgendwann mit ihrem Mann aus der Stadt hinaus in ein Haus mit Garten, denn der Gatte, ein Arzt, wollte gerne eine Praxis auf dem Land haben – und die gelernte Dekorateurin Christiane war mit ihrem Faible für Architektur begeistert dabei, ein Häuschen zu kaufen und es einzurichten. Nach ihrem Umzug schien sie richtig »angekommen« im Leben, und zu keinem anderen Menschen passt es – im Nachhinein gesehen – so gut wie zu ihr, mit den Hühnern aufzustehen, beim Biobauern-Nachbarn morgens Milch zu holen und die neuesten Pflanzentrends in die Balkonbepflanzung zu integrieren (»Geranien sind wieder in! Stell dir vor, was man alles herausgefunden hat, warum die in Bayern so eine Tradition haben, die passen perfekt zu den kleinen Ökosystemen auf einem Balkon, gut für Insekten und doch Schädlinge abweisend«). Christiane kennt jede Weihnachtstischdeko und würde nie einen konventionellen Christbaum aufstellen, aber versteht es wie keine andere, die ganze Wohnung im Weihnachtszauber erstrahlen zu lassen. Sie ist diejenige, die voller Inbrunst empfiehlt: »Kauf dir eckige Becherl, nicht runde, die kannst du besser im Kühlschrank verstauen«, so als würde es darum gehen, mich im größten Liebeskummer zu trösten.

Kurzum: Sie ist bodenständig, kreativ und pragmatisch. Und sie hat vor allem noch eine wunderbare Eigenschaft: Sosehr sie ihr kinderloses Landleben und ihr Häuschen liebt, so wenig sieht sie sich als Nabel der Welt oder gar als Maßstab, dass andere Leute auch nach dieser Fasson zu leben hätten, dies also der Königsweg zum Glücklichsein wäre. Christiane sagt immer: »Also für mich wäre …« Dieses oder jenes toll. So als hätte sie einen inneren Kompass darauf eingestellt, für sich selbst das Optimale zu finden, aber niemand anderem ihren Weg aufzwingen zu wollen.

 

Suzi packt die Äpfel aus, legt sie auf den Küchentisch. Unsere Gesichter werden immer länger. Unschön. Die Äpfel. Sie haben alle faule Stellen oder sind verrunzelt.

»Das gibt’s ja nicht!«, schreit Suzi schließlich empört auf. »Deine Christiane hat mich total beschissen! Deshalb waren die Äpfel in den schönen Beuteln, damit man nicht sieht, wie schlecht sie sind. Und in den Steigen daneben hat sie 1-a-Ware ausgestellt, um uns zu blenden!«