Ida Bindschedler - Judith Burgdorfer - E-Book

Ida Bindschedler E-Book

Judith Burgdorfer

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Beschreibung

Judith Burgdorfers Biografie «Ida Bindschedler. Leben, Wirken und Werk der ‹Turnachkinder›-Autorin» bietet einen einzigartigen Einblick in das Leben der bekannten Schweizer Jugendbuchautorin. Mit ihren fesselnden, autobiografischen Erzählungen über die ‹Turnachkinder› begeisterte sie Generationen von Mädchen und Jungen. Ida Bindschedler (1854-1919) wuchs in behüteter grossbürgerlicher Umgebung in Zürich auf. Sie liess sich zur Lehrerin ausbilden und wirkte 24 Jahre lang in ihrem geliebten Beruf. Ein Herzleiden zwang sie 1897 in den Ruhestand. Sie zog zu ihrer Freundin nach Augsburg, wo sie neben den bekannten Jugendbüchern auch eine Vielzahl von grossartigen Erzählungen, lebendigen Reiseberichten, Novellen und Artikeln für Erwachsene verfasste. Diese wurden jeweils als Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Ida Bindschedler darf als talentierte, wortgewandte und einfühlsame Epikerin bezeichnet werden, deren literarisches Werk weit über die Jugendliteratur hinausgeht. Die vorliegende Biografie veröffentlicht erstmals die weitgehend unbekannte Erwachsenenliteratur aus Idas Feder. Ihre Werke laden dazu ein, den zeitlosen Zauber ihrer Geschichten zu erleben. Die Biografie lässt uns Schweizer Literaturgeschichte durch die Augen einer faszinierenden Frau um die Jahrhundertewende erleben!

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Inhalt

Cover

Titelei

Einführung

Porträt von Aleardo Schüpbach

Teil I – 1854‒1894

1. Kindheit in glücklichsten Verhältnissen

2. Lehrzeit an der Einwohner-Mädchenschule in Bern

3. Erste Stelle als Primarlehrerin an der privaten Mädchenschule in Zürich

4. Es bläst ein neuer Wind – Lehrerin an der Landschule

5. Als Lehrerin in Paris!

6. Zurück in Zürich – Lehrerin mit Herz und Seele

Bild von Ida Bindschedler

Teil II – 1894‒1919

1. Erster veröffentlichter Artikel in Die Philanthropin

2. Jugendbücher

3. Geschichten aus Frankreich

4. Reiseberichte

5. Artikel

6. Novellen

Teil III – Zum Tod von Ida Bindschedler

1. In Erinnerung an Ida Bindschedler und ihre Turnachkinder

Teil IV – Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter

1. Pauline Bindschedler (1856–1933)

2. Emma von Wachter

3. Joseph Viktor Widmann (1842‒1911)

4. Henriette «Netta» Tobler geb. Hattemer (1836‍‒‍1917)

Stammbaum der Familie Bindschedler-Tauber Friedrich Rudolf und Anna Elisabetha

Bibliografie von Ida Bindschedler

Quellennachweis

Gedruckte Quellen

Online-Quellen

Abbildungsverzeichnis

Die Autorin

Über das Buch

Judith Burgdorfer

Ida Bindschedler

Leben, Wirken und Werk der Turnachkinder-Autorin

NZZ Libro

Publiziert mit freundlicher Unterstützung der R.G. Bindschedler-Familienstiftung – www.bindschedler.name

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

Korrektorat: Ulrike Ebenritter, Gießen

Cover: Virueña Design, Bern

Layout: icona basel gmbh, Basel

Satz: 3w+p, Rimpar

Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-907396-71-1

ISBN E-Book 978-3-907396-72-8

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

Einführung

Ida Bindschedler war ein schlanker, in sich abgeschlossener beherrschter Charakter von vornehmstem edelstem Gepräge und grösster Selbstdisziplin. Sie war ausgezeichnet durch eine selten hohe Ethik, die ihre ganze Wesenheit beeinflusste, und von tief religiösem Empfinden.

Mit philosophischem Gleichmut stand sie den menschlichen Dingen gegenüber und war zugleich überaus warmherzig und von grosser Güte immer auf andere bedacht auch in schweren, kranken Tagen.1

Otto von Greyerz (1863‒1940)

Familienbewusstsein und diskreter Stolz auf die vollbrachten Leistungen haben in der Familie Bindschedler dazu geführt, dass das Erbe der Vorfahren sorgfältig gepflegt wird. Diesem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass die Rudolf Gottfried Bindschedler-Familienstiftung, im Jahr 1918 gegründet, heute über reichhaltiges Archivmaterial verfügt. Damit werden längst vergangene Zeiten ausführlich mit Archivalien dokumentiert, die heute Ausgangspunkt für aktuelle Recherchen sind. Sie ermöglichen es, die Lebenswege der Bindschedler-Ahnen lebendig nachzuzeichnen.

Die vorliegende Publikation widmet sich dem Leben, dem Wirken und dem Werk von Ida Bindschedler (1854‒1919). Die Autorin der nach wie vor bekannten Jugendbücher Die Turnachkinder im Sommer und Die Turnachkinder im Winter, publiziert in den Jahren 1906 und 1909, gilt bis heute neben Johanna Spyri und Olga Meyer als eine der erfolgreichsten Jugendbuchautorinnen der Schweiz. Ihre autobiografischen Erinnerungswerke reflektieren ihre glückliche Kindheit im Zürich der 1860er-Jahre und begeistern zu Beginn des 20. Jahrhunderts ganze Generationen von jungen Leserinnen und Lesern.

Ihr post mortem erschienenes letztes Jugendbuch Die Leuenhofer (1919) befasst sich mit der Jugendzeit in der Schule, wo sich Ida wohl der Erinnerung an ihre Zeit als Lehrerin an den Landschulen in Dietikon und Hirslanden bedient. In ihrem letzten Werk stellt Ida bereits die Wichtigkeit des «teamwork» in den Vordergrund. So lässt sie beispielsweise die Leuenhofer-Schulkinder gemeinsam ein verlorenes Büblein suchen und zeigt in einem weiteren Kapitel auf, wie durch geringen persönlichen Verzicht anderen Personen eine grosse Freude bereitet werden kann.

Ida Bindschedler schrieb aber nicht nur Jugendbücher, sondern auch zahlreiche Geschichten, Novellen, Reiseberichte, Artikel und Rezensionen, die in verschiedenen Publikationen zwischen 1891 und 1912 zum Teil als Fortsetzungsgeschichten im In- und Ausland veröffentlicht wurden. Diese Texte – ohne die in der Schweizerischen Lehrerzeitung regelmässig veröffentlichten Rezensionen – geben wir hier ungekürzt wieder. Wir sind der Meinung, dass sie nicht nur Einblicke in das Leben und in die Gefühlswelt von Ida Bindschedler, sondern dass sie uns auch aus kulturhistorischer Sicht wertvolle Einblicke in die Jahre des Jahrhundertwechsels geben. Die Texte wurden aus den Originaldokumenten vollständig transkribiert; die Rechtschreibung und die Interpunktion des frühen 20. Jahrhunderts wurden beibehalten.

Während Idas letzten Lebensjahren befand sich die Welt im Krieg, was der warmherzigen und gütigen Ida schwer zu schaffen machte. Um das Leid zu verringern, konzentrierte sie sich hauptsächlich darauf, Briefe an Soldaten im Feld und Kriegsgefangene zu schreiben und damit deren schweres Schicksal zu lindern. Trotz intensiver Nachforschungen ist es nicht gelungen, Briefe aus der Feder von Ida Bindschedler aufzufinden. In der Nacht des 28. Juni 1919 stirbt Ida Bindschedler während eines Urlaubsaufenthaltes in Zürich.

Gleichentags wird in Versailles (F) der Versailler Vertrag von deutscher Seite von Aussenminister Hermann Müller (1876‒1931) und Verkehrsminister Johannes Bell (1868‒1949) im Spiegelsaal von Schloss Versailles unterzeichnet. Der Erste Weltkrieg ist damit offiziell für beendet erklärt2 und nach Jahren des furchtbaren Kriegstreibens herrscht wieder Frieden! Erreicht diese Freudennachricht Ida noch? Sollte es so gewesen sein, so wird sie dadurch eine enorme Freude, Erleichterung und Befreiung erlebt haben!

Endnoten

1von Greyerz, Otto: Ida Bindschedler ‒ Lebensbild. Undatiert. Burgerbibliothek Bern.

2https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/aussenpolitik/versailles/ (Zugriff: 12. 7. 2023).

Abbildung 1 Porträt von Aleardo Schüpbach, BernArchiv R. G. Bindschedler-Familienstiftung Zürich

Teil I – 1854‒1894

Kinder- und Jugendjahre in Zürich

Lehrjahre in Bern

Einstieg in die Berufswelt und Reisejahre

Pädagogische Laufbahn

1. Kindheit in glücklichsten Verhältnissen

Am Donnerstag, den 6.  Juli 1854, erblickt Ida Bindschedler im Haus zum Gewölb am belebten Zürcher Weinplatz das Licht der Welt. Sie wird in die gut betuchte Familie des Baumwollkaufmanns Friedrich Rudolf Bindschedler (1819‒1892) und der Anna Elisabetha geb. Tauber (1831‒1890) hineingeboren. Die Bindschedlers sind zu diesem Zeitpunkt bereits Eltern von Emma (1852‒1900).

Idas Vater Friedrich ist in der Textilbranche in Zürich tätig. In dieser Zeit ist der Weinplatz das eigentliche Stadtzentrum und einer der Hauptverkehrsknotenpunkte der Stadt. Von hier aus führt er erfolgreich Handel mit roher Baumwolle. Das Geschäft hat er im Jahr 1851 von seinem Vater übernommen. Daneben betreibt Friedrich Bindschedler eine Baumwollgarnhandlung und eine Baumwollspinnerei mit 4440 Spindeln. Wie es sich für Textilkaufleute zu jener Zeit schickt, ist er in der Zürcher «Zunft zur Wag». Er ist ein grosser Musikfreund und eifriger Förderer des Stadttheaters in Zürich. Für Zusammenkünfte der Familie hat er auch öfters kleine Orchester angestellt.3 Er stirbt am 24. Dezember 1892 im Alter von 73 Jahren in Zürich Hottingen.

Abbildung 2 Weinplatz, Zürich – 1890Baugeschichtliches Archiv Zürich

Idas Mutter Anna stammt aus Fürth in Bayern. Sie schafft die Verbindung zu Deutschland und bringt eine freie nachgoethesche deutsche Geisteskultur ins Haus zum Gewölb. Ida erinnert sich beispielsweise, dass sie und ihre Geschwister beinahe allmorgendlich noch vor dem Frühstück mit Schiller-Gedichten bedacht wurden:

Eine ganze Anzahl wusste die Mutter auswendig; aus andern trug sie uns Bruchstücke vor [...]. Am Taucher, von dem Mama viele Strophen konnte, begeisterten wir uns ebenfalls. Ja, wir trieben da die gute Mutter recht in die Enge. Wenn die Poesie ihr versagte und sie mit der Prosa aushelfen wollte, riefen wir alle aus unseren Betten: «Nein, Mama! nicht erzählen! du musst es sagen, wie Schiller es gemacht hat!»4

Die gelernten Gedichte trägt die Kinderschar jeweils stolz an Vaters Geburtstag, an Neujahr und Ostern vor.

Ida wählte wohl später ihre Mutter als Vorbild für die von ihr gestaltete kluge und gütige Mutter der Turnachkinder. Anna Elisabetha stirbt am 15. Dezember 1890 in Zürich.

Abbildung 3 Die «Seeweid» der TurnachkinderBild aus Studie von M. S. Metz 1954, Foto: Martin Bader-Polt, Staatsarchiv Thurgau 8405, 3/42

Bereits im Jahr 1855 wird Ida grosse Schwester; ihr Bruder, Johann Rudolf (1855‒1907), erblickt das Licht der Welt. Ein Jahr später wird Pauline (1856‒1933) und im Jahr 1860 Maria Elisabeth (1860‒1912) geboren. Ida ist zehn Jahre alt, als ihr jüngster Bruder Arnold Wilhelm (1864‒1925) zur Welt kommt. Sie, ein nach allen Richtungen glücklich veranlagtes Kind, verlebt zusammen mit ihren Geschwistern eine Kindheit in glücklichsten Verhältnissen.

Während der Sommermonate verlässt die Familie jeweils die belebte Stadt und zieht in das Sommerdomizil, in die «Solitude» an den See. Es ist für betuchte Familien üblich, in der warmen Jahreszeit vor dem Lärm und dem Gestank der Stadt zu flüchten, denn Mitte des 19. Jahrhunderts ist Zürich noch ohne Kanalisation. Die ersten modernen Abwasserkanäle werden in den Jahren 1860 bis 1873 gebaut.5 Idas Grossvater, Hans Rudolf Bindschedler (1794‒1851), erstand den Sommersitz «Solitude» von der Familie Landolt gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. Mathias Landolt, seinerseits Statthalter, liess das Haus Mitte des 18. Jahrhunderts errichten.

Idyllisch am Seeufer im Seefeld gelegen, bietet es den Bindschedlers Ruhe, eine frische, gesunde Seebrise und besonders der Kinderschar eine aufregende Umgebung, wo sie sich austoben kann.

Die Erinnerungen an ihre unbeschwerte und glückliche Kindheit wird Ida später in Augsburg in den Jugendromanen Die Turnachkinder im Sommer (1906) und Die Turnachkinder im Winter (1909) verarbeiten. Beide Bücher gelten als autobiografische Werke: Schauplatz des Sommerbuchs ist somit die «Solitude», während sich die Handlung des Winterbuchs vorwiegend am Weinplatz und in der Zürcher Innenstadt abspielt.

2. Lehrzeit an der Einwohner-Mädchenschule in Bern

Wenn Ende der Sechzigerjahre ein Mädchen aus sogenannten gutbürgerlichen Kreisen sich dem Lehrerinnenberuf zuwandte, war das etwas Aussergewöhnliches. Bei Ida Bindschedler (geb. 1854) zeugt es von lebhaftem Geist und echtem Bildungsbedürfnis.

NZZ, 17. 7. 1947

Nach absolvierter Grundschulzeit in Zürich reist die junge Ida im Zug nach Bern. Sie will sich hier am renommierten Seminar der privaten Einwohner-Mädchenschule zur Lehrerin ausbilden lassen. Zum ersten Mal ist Ida allein fern von zu Hause; wie dem jungen Mädchen dabei zumute ist, beschreibt Ida rückblickend selbst:

Der Bahnzug fuhr über die hohe Brücke, und ich wünschte, dass sie zusammenbreche und mit dem ganzen Zug und mir in die Aare hinunterstürze. Ich war um zwei von zu Hause weggefahren und jetzt, um sechs Uhr, schon so unglücklich vor Heimweh, dass ich einen raschen Tod als Erlösung herbeisehnte. Aber die Brücke blieb fest; der Zug glitt ruhig dahin und hielt nach einer Minute im Berner Bahnhof, wo mich eine lebhafte Frau, meine künftige Pensionsmutter, in Empfang nahm und munter auf mich einredete, ohne damit meine stille Verzweiflung zu mildern.6

Zu Fuss wird sie mit ihrer Pensionsmutter vom Bahnhof in die Berner Altstadt gegangen sein, denn ihr Weg führt sie am «merkwürdigen Zeitglockenturm»7 – dem Berner Zytglogge – vorbei. Nach einer ersten Nacht im Pensionat tritt Ida am nächsten Morgen den Weg zum Schulhaus im Eckhaus Kornhausplatz-Statthaltergässchen – heute Rathausgasse – an, um ihre Aufnahmeprüfung zu absolvieren. Auch daran erinnert sie sich genau:

Am nächsten Morgen ging es hinauf durch die Lauben, die mir düster und dumpfig erschienen, zu dem alten «Einwohnermädchenschulhaus», das mir ebenfalls missfiel. Die ausgetretenen Treppen, die engen, niedrigen Schulzimmer, der barsche Abwart und dazu die Angst vor der Aufnahmsprüfung – mir war so trostlos zu Mut, dass ich jetzt noch, nach mehr als vierzig Jahren, Mitleid mit mir habe.8

Die private Einwohner-Mädchenschule setzt sich seit der Gründung 1836 zum Ziel, die «Jugend zu freiem Menschentum zu erziehen, befreit von den Fesseln der Standes- und Glaubensunterschiede»9. In dieser idealistisch geprägten Umgebung wird die wissensdurstige junge Ida ihre erste Ausbildung zur Lehrerin erhalten.

Ida besteht ihre Aufnahmeprüfung, obwohl sie sich dachte: «durchfallen, das wäre eigentlich das Beste; dann könnte man wieder heim».10 In Bern wird sie sich rasch eingelebt haben, denn schon am Abend nach ihrer Auf-nahmeprüfung schreibt sie nach Hause, sie «hätte nicht mehr so schrecklich Heimweh, wie gestern. Die Lauben, durch die man in der Stadt gehe, hätten etwas Heimeliges, und es sei sehr hübsch [...].»11

Bereits am Tag ihrer Aufnahmeprüfung bekam Ida ihren Lehrer Joseph Viktor Widmann, der an den obersten Klassen der Anstalt Pädagogik, Psychologie, deutsche Sprache und Literatur unterrichtete und zudem als Direktor amtete, ein erstes Mal zu Gesicht. Wenig später lernt sie ihn als Lehrer kennen. Sie beschreibt die Stimmung während seines Unterrichts als eine prächtig freie, unbekümmerte:

In andern Fächern wurde doch immer etwas auf das Patentexamen hin gearbeitet. Bei Widmann dachten wir nicht daran. Seine Stunde war die Stunde des Grossen, Schönen und Edeln. Von allen Seiten liess er es hereinfunkeln. Aus der göttlichen Komödie sagte Widmann uns eine Strophe oder aus dem Faust; auf die Fresken der Sixtina kam er zu sprechen oder auf eine Symphonie von Beethoven. Und wie schön drückte sich auch in der flüchtigsten Erwähnung die Ehrfurcht vor dem Erhabenen aus. Shakespeare, Goethe, Schiller, Homer – wenn Widmann bloss den Namen nannte, lag in dem Tone eine stille Huldigung.12

Mit Widmann bleibt Ida bis an sein Lebensende freundschaftlich verbunden.

Wie ihr Alltag in Bern ausgesehen haben mag, können wir nur vermuten. Einem Bericht aus dem Jahr 1877 entnehmen wir, dass das Seminar mit «38 Wochenstunden Unterricht in der untersten, 40 in der mittleren und 16 in der obersten Klasse bedacht ist, wobei in der obersten Klasse vorausgesetzt wird, nebenbei einzelne Fachstunden der vorhergehenden Klassen zu besuchen»13.

Im April 1873 besteht Ida das zürcherische Staatsexamen für Lehrerinnen. Ihrem grossen Wunsch, als Lehrerin zu wirken, steht nun nichts mehr im Weg.

3. Erste Stelle als Primarlehrerin an der privaten Mädchenschule in Zürich

Als frischgebackene Lehrerin direkt ab Seminar stellt sich Ida Bindschedler bei Netta Hattemer vor, um sich für die Stelle einer Primarlehrerin an der in Zürich neu gegründeten Privatschule für Mädchen zu bewerben. Auf dieses erste Treffen mit der deutschen Professorentochter blickt Ida hier zurück:

Ich wurde in ein Zimmer geführt und fand mich einer mittelgrossen Dame gegenüber, die mir lebhaft, aber doch mit einer gewissen Haltung entgegentrat. Mit meinen neunzehn Jahren war ich sicherlich keine Menschenkennerin; das fühlte ich aber gleich, dass ich einer Persönlichkeit gegenüberstehe, einem eigenartigen, ungewöhnlichen Menschen. Die hübschen, energischen Gesichtszüge, vom dunkeln Haar umrahmt, machten mir einen starken Eindruck.14

Ida wird angenommen und wirkt ab Mai 1873 als Primar- und teilweise als Sekundarlehrerin an der neu eröffneten privaten Mädchenschule von Fräulein Hattemer in Zürich. In der Schulgründerin findet Ida eine ausgezeichnete Beraterin, die neben ihren vielen Aufgaben auch immer noch die Zeit findet, der unerfahrenen Lehrerin mit Rat beiseitezustehen:

Vom ersten Tag an lief das Räderwerk ausgezeichnet. Es war, wenn man Fräulein Hattemer so walten, anordnen, raten und unterrichten sah, als ob sie schon jahrelang an dieser Morgentalschule gearbeitet habe. Wie gut fand sie sich auch in Dingen zurecht, die ihr fern lagen; wie leicht wusste sie zu helfen: Es war ihr gelungen, mich zur Übernahme von zwei Botanikstunden an der Sekundarschule zu bestimmen. Botanik war im Seminar mein Lieblingsfach gewesen, und nur zwei Stunden in der Woche – das war vielleicht zu überstehen. Aber wie fängt man es mit solch einem Fache denn an? Da suchte Fräulein Hattemer – zu allem fand sie Zeit – unter ihren Büchern ein paar «Pflanzenlehren» heraus, blätterte sie mit mir durch, riet mir, da fast alle Schülerinnen aus Gartenwohnungen kamen, mit den Gartenpflanzen zu beginnen, möglichst durch Zeichnen auf der Wandtafel meinen Unterricht zu erläutern – kurz, gab mir eine vollständige Wegleitung, die sich als sehr gut erwies.15

Abbildung 4 Morgentalschule Netta Tobler-HattemerStadtarchiv Zürich

Aber auch der patenten Frau Professor – Netta Hattemer heiratet im Sommer 1873 Herrn Professor Tobler – gelingt es nicht immer, alle Anfangsfehler zu vermeiden. Für den Erfolg des neu eröffneten Instituts ist es wichtig, dass die Lehrerinnen gut unterrichten und die Schule sich so das Vertrauen der Eltern und einen guten Ruf erwerben kann. Aber die jungen Lehrerinnen mit noch sorglosem Gemüt denken nicht immer daran, welche Auswirkungen Fehler auf den Erfolg der Schule haben können. Eines ihrer Fehler entsinnt sich Ida genau:

Ich erinnere mich z. B., dass ich einer besonders lebhaften kleinen Schülerin ins Zeugnis geschrieben: «Verursacht Störungen während des Unterrichts!» Ich glaube gar nicht, dass dem wirklich so war; aber kurz zuvor hatte meine ungeberdige jüngere Schwester den Satz in ihrem Zeugnis heimgebracht. Er hatte einen starken Eindruck bei uns zu Hause gemacht und mir deshalb imponiert. Durch ein Missverständnis war nun gerade das Zeugnis, das ich mit dem fatalen Zusatz versehen, dem letzten prüfenden Blick von Frau Professor entgangen. Entrüstet kam der Vater der Kleinen zu ihr, tat sehr aufgebracht und erklärte, wenn sein Töchterchen «den Unterricht störe», sei es wohl am besten, es herauszunehmen. Mit Mühe gelang es Frau Professor, den Erzürnten zu beruhigen.16

Nach zwei Jahren Tätigkeit an der Tobler-Schule entschliesst sich Ida, erneut in ihre Bildung zu investieren und sich am Lehrerseminar in Küsnacht auf das Staatsexamen vorzubereiten. Sie verlässt die Tobler’sche Mädchenschule im April 1875.

4. Es bläst ein neuer Wind – Lehrerin an der Landschule

1875 stehen Neuerungen in der Zürcher Bildungspolitik an! Während bisher den Lehrerinnen nur die Mädchenelementarklassen an der Stadtschule von Alt-Zürich offen gestanden hatten, werden nun auch Lehrerinnen auf dem Land eingestellt. Voraussetzung dafür ist allerdings das bestandene allgemeine Primarschulexamen. Um das zu erlangen, besucht Ida während eines Jahres das Küsnachter Seminar, wo sie im Frühjahr ihr Examen besteht.

Kurz danach tritt sie ihre Stelle in der Gemeinde Dietikon als Primarschullehrerin an. Gross ist der Unterschied zur privaten Mädchenschule im Morgental, wo sie artige und hübsch gekämmte Mädchen unterrichtete. In der Elementarschule auf dem Land ist die Stimmung jedoch anders:

Ich hatte da ein Heer unglaublich unartiger Buben und Mädchen «unter mir». Eigentlich war ich unter ihnen. Ich wusste mir am Anfang gar nicht zu helfen; auch im Verkehr mit den bäuerlichen Eltern und Vorgesetzten nicht.17

Ida stellt sich der Herausforderung. Sie wirft die Flinte nicht ins Korn, obwohl sie sich im rauen Wind der öffentlichen Schule nicht wirklich wohlfühlt. Zwei Jahre lang bleibt sie in Dietikon, ein weiteres Jahr unterrichtet sie in Hirslanden. Sie absolviert noch das Sekundarschulexamen, bevor sie sich aufmacht, um die Welt zu erkunden.

5. Als Lehrerin in Paris!

25-jährig reist Ida 1879 nach Paris, in die Stadt der Liebe und der schönen Künste. Hier will sie nicht nur ihre Französischkenntnisse perfektionieren, sondern auch etwas von der Welt sehen und erleben. Otto von Greyerz schreibt, dass sie sich dort «neben sprachlicher Ausbildung auch vielerlei Wissen und Menschenkenntnisse erwarb. Sie bezeichnete diese Jahre immer als eine reiche Erntezeit in ihrem Leben.»18

Die interessierte und unternehmungslustige junge Frau mit offenem Sinn wird sich bald in der Ferne wohlgefühlt haben. Sie wird durch die lauten, belebten Strassen von Paris gegangen sein, die lockenden Auslagen der Schaufenster bestaunend und das farbenfrohe Strassenleben geniessend. Viele Gestalten – oft so elegant, oft so verkommen – werden an ihr vorübergeeilt sein; sie wird die Paläste und Monumente, die ihr die Geschichte Frankreichs erzählten, besucht und bewundert haben. Freudig erregt wird sie durch den Louvre geschritten und im Musée de Cluny auf Entdeckungsreise gegangen sein. Theodor Leuthard, Protagonist ihrer Novellette Madame Yvonne, lässt Ida – als er unter dem rot-weiss gestreiften Vordach eines grossen Kaffeehauses am Boulevard St. Michel sitzt – Folgendes denken:

«Eigentlich lebt man doch nur hier ein wirkliches, volles Leben», seufzte er wohlig. «Man fühlt sich glücklich, klug, unternehmend, – wie getragen vom Ganzen. Man wächst gewissermassen über sich hinaus.» Was für prächtige Ferien waren das nun wieder gewesen in diesem einzigen Paris!19

Wer weiss, wie viel Ida wohl in den Worten des Herrn Leuthard steckt?

Ihren Lebensunterhalt finanziert sie, indem sie Schülerinnen in einem Pensionat unterrichtet. Nebenbei arbeitet sie als Privatlehrerin in vornehmen Häusern. Auch in Paris bevorzugen es die Wohlhabenden, die heissen Sommermonate auf dem Land im Sommerhaus zu verbringen. Ida reist wohl mit einer vornehmen Familie aufs Land, wo sie einige Monate verbracht haben mag. In Tante Nina’s Geschichte beschreibt sie diesen Aufenthalt folgendermassen:

Das alte Landhaus mit dem etwas verwilderten, parkartigen Garten lag in der grünenden Normandie, drei Stunden einwärts von Dieppe.

Hier umfing Nina nun ein Leben, wie sie es nie zuvor gekannt hatte, ein Leben der Unthätigkeit und der weltabgeschiedensten Stille. [...] Wenn sie so hinten in dem stillen Garten sass, wo die Morgensonne ihren Glanz durch die alten Bäume warf und der Springbrunnen leise plätscherte und die brennroten Geranien bespritzte, die rings im Kreise herum wuchsen, dann hielt sie wohl etwa ein Buch in der Hand; aber es war kein Grammatik- oder Literaturwerk, sondern ein Roman von George Sand oder Alexandre Dumas, den Nina in der gänzlich unbenutzten und verstaubten Bibliothek gefunden hatte. Auch wohl ein Band Musset.20

Ida wird ihre Freizeit in Paris reich ausgestaltet haben, denn die grosse Stadt bietet neben einem belebten Strassenleben, Museen und historischen Bauten noch vielerlei weitere entdeckungswürdige Aktivitäten. So besucht sie beispielsweise Sonntagskonzerte des Dirigenten und Konzertveranstalters Jules Pasdeloup im Cirque Napoléon, heute Cirque d’hiver. Pasdeloup begründete 1861 mit einem eigenen Orchester die «Concerts populaires», die sich besonders der Verbreitung der Werke von Richard Wagner und Robert Schumann in Frankreich – noch zur Zeit des Wagnerhasses – widmeten.21 Wie sie den Tannhäuser im Sonntagskonzert in Paris erlebte, erzählt uns die begeisterte Ida selbst:

Nach jeder Nummer begann da ein wütendes Zischen und Pfeifen, und auf der anderen Seite, wo junge Deutsche sassen, ein frenetisches Beifallstoben und «Bis»rufen. Pasdeloup stand bewegungslos, mit erhobenem Taktstock den Moment erspähend, wo er mit dem Pilgerchor nochmals beginnen konnte – am Schlusse wieder Pfeifen und Gebrüll, oft bis die Polizei eingriff. Es war immer prachtvoll aufregend, beinahe gefährlich.22

Nach 18 Monaten beendet Ida ihren Frankreichaufenthalt. Sie hat sich vielerlei Wissen und Menschenkenntnisse angeeignet und nimmt unzählige wertvolle Impressionen und Erlebnisse in ihrer Erinnerung mit.

Ida mag an einem nebligen Oktobermorgen vom Pariser Westbahnhof in eine neue unbekannte Ferne gereist sein.23 Nun ist ihr Ziel England, wo sie ebenfalls als Lehrerin in einem gehobenen Pensionat unterrichten wird.24 Hierzu liegen keine weiteren Informationen vor. Idas Lebenslauf entnehmen wir aber, dass sie sich lediglich ein halbes Jahr in Grossbritannien aufgehalten hat. An diesen Aufenthalt mag sich Ida erinnert haben, als sie in den Turnachkindern im Winter die Amerikanerin Edith mit adäquatem Akzent auf dem Larstetter Jahrmarkt lautstark Lebkuchen anpreisen lässt:

«Meine Herren und Damen, kommen Sie schnell kaufen, vor es ist zu spät!» rief Edith mit heller Stimme. «Hier, nehmen Sie von diesen ausserordentlich schönen Lebkuchen für – » sie wandte sich zu dem Männlein – «für dreissig Rappen!»25

6. Zurück in Zürich – Lehrerin mit Herz und Seele

Nach zwei Reisejahren kehrt Ida im Frühjahr 1881 zurück nach Zürich. Sie bereitet sich auf das französische Fachexamen vor, um zukünftig auch als Französischlehrerin unterrichten zu können. Erneut tritt sie mit der Tobler-Schule in Kontakt. Frau Professor bietet ihr vorerst ein paar Stunden an, darunter das Zeichnen in den Realklassen. Ida ruft sich ihre Rückkehr ins Morgental ins Gedächtnis:

Die Schule hatte sich vergrössert: Im Frühjahr 1881, als ich wieder zu ihr in Beziehung trat, zählte sie rund 100 Schülerinnen. Man hatte die Klassen teilen und das erste Stockwerk zu Schulräumen umwandeln müssen.26

Nach dem bestandenen Fachexamen übernimmt sie den Hauptunterricht der dritten und vierten Primarklasse an der Tobler-Schule.

Abbildung 5 Ida Bindschedler erhält das Lehrerpatent für französische SpracheNeue Zürcher Zeitung, Nr. 91, 22. 3. 1881

Als Ida 1885 eine Anstellung als Fachlehrerin für Französisch, Zeichnen und Turnen an der Mädchensekundarschule in Zürich (Hirschengraben) erhält, gibt sie den Hauptunterricht an der Tobler-Schule ab. Sie behält aber weiterhin den Unterricht an der unteren Sekundarabteilung, wo sie Geschichte, Geografie, Zeichnen und zeitweise auch Naturkunde und Turnen unterrichtet. Neben den Klassenstunden kommen noch reichlich Privatstunden dazu:

Bald war einer Unbegabten oder einer Schülerin, die länger krank gewesen, nachzuhelfen, oder einer Ausländerin – was ging uns alles an solchen durch die Hände, aus welschen Ländern und aus dem Norden, aus Ungarn und vom Schwarzen Meer, aus Brasilien und Nordamerika, dem Kapland und Vorderindien; – solch einer Ausländerin, also die Anfangsgründe des Deutschen und wohl etwa auch der Kultur überhaupt beizubringen.27

Netta Tobler-Hattemer, die selbst ein ungeheuerliches Pensum absolviert, bietet die Stunden jeweils den Lehrerinnen an als ein selbstverständliches kleines Mehr:

Es wäre nicht gut gegangen, ihr zu sagen: «Ich kann nicht noch mehr übernehmen.» Das hätte sie nicht begriffen. Schliesslich war es ja auch ehrenvoll, 35 oder 40 Stunden zu haben statt bloss 30 und auch hübsch, dass die Einnahmen sich mehrten.28

So verwundert es nicht, dass Ida Bindschedler am Ende der Woche immer todmüde ist; ihr Leben aber geht in jenen Jahren ganz auf in ihrer pädagogischen Arbeit.

Im Jahr 1892 verkauft Netta Tobler-Hattemer ihre Schule an die Wetli-Schwestern, selbst ehemalige Schülerinnen. Ida Bindschedler bleibt auch der neuen Schule als Lehrerin erhalten. Sie erinnert sich:

Warum ich als ältester Matrose auf dem Schiffe blieb, nachdem der Kapitän und die ganze Richtung gewechselt, weiss ich nicht. Ich glaube, Frau Professor hatte es für den Anfang gewünscht. Ich gehörte sozusagen zum Inventar.29

Fünf Jahre später, im Alter von 43 Jahren, sieht sich Ida Bindschedler wegen eines Herzleidens dazu gezwungen, ihr geliebtes Lehramt vollständig aufzugeben. Über ihre Lehrtätigkeit an der Tobler-Schule schreibt sie rückblickend:

Manches in meinem Leben möchte ich streichen oder anders machen können. An jene Jahre aber denke ich mit Freude und Befriedigung. Wir arbeiteten so tapfer; wir liebten die Schule und waren stolz auf sie. Wir betrachteten uns nicht als blosse Angestellte, die ihre Pflicht tun und, wenn die Feierabendstunde schlägt, die Arbeitsschürze ablegen und damit auch alle Gedanken an die Arbeit. Wir waren mit der Schule verwachsen; sie war ein Stück von uns; wir standen für sie ein.30

Trotz umfangreicher Recherchen konnte keine weiterführende Information über Idas Herzkrankheit gefunden werden. Ida selbst erwähnt ihr Leiden in den vorhandenen Dokumenten nur zwei Mal. Ein erstes Mal schreibt sie in einem Brief vom Februar 1909 an Joseph Widmann, während sie noch mit der Fertigstellung der Turnachkinder im Winter beschäftigt ist, dass sie kein weiteres Buch mehr schreiben werde, denn ihr Herz hielte das gar nicht aus.31 Eine weitere Erwähnung findet ihr Leiden im Nachruf auf Netta Tobler-Hattemer im November 1917. Sie schreibt: «Später konnte ich wegen meines Herzleidens die Treppen im Haus an der Asylstrasse nicht mehr ersteigen. Wir, Frau Professor und ich, trafen uns dann im Waldhaus Dolder oder sonst wo in einem Kaffeegarten.»32

1897 verlässt Ida ihre Heimatstadt Zürich, um nach Augsburg ins Heim ihrer Freundin Emma von Wachter und deren Vater Dr. von Wachter zu ziehen, wo sie liebevolle Pflege und Ruhe findet.

Endnoten

3Metz, M. S.: Den kleinen und grossen Freunden Ida Bindschedlers und ihrer «Turnachkinder». Zürich 1952, Archiv R. G. Bindschedler-Familienstiftung Zürich.

4Bindschedler, Ida: Schiller in der Kinderstube. Schweizerische Lehrerzeitung, Nr. 18, 6. 5. 1918, S. 176, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

5https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000171/2015-01-25/ (Zugriff: 12. 7. 2023).

6Bindschedler, Ida: Zu J. V. Widmanns 70. Geburtstag (20. Februar 1842). Schweizerische Lehrerzeitung, 1912, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

7Ibidem.

8Ibidem.

9H. B.: Hundert Jahre Mädchenschule der Stadt Bern. In: Die Berner Woche in Wort und Bild: ein Blatt für heimatliche Art und Kunst. Band 26, Heft 42, 1936, www.e-periodica.ch.

10Bindschedler, Ida: Zu J. V. Widmanns 70. Geburtstag (20. Februar 1842). Schweizerische Lehrerzeitung, 1912, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

11Bindschedler, Ida: Zu J. V. Widmanns 70. Geburtstag (20. Februar 1842). Schweizerische Lehrerzeitung, 1912, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

12Ibidem.

13Die Einwohnermädchenschule in Bern. In: Pädagogischer Beobachter: Wochenblatt für Erziehung und Unterricht. Band 3, Heft 29, 1877, www.e-periodica.ch.

14Bindschedler, Ida: Nachruf auf Frau Prof. Netta Tobler-Hattemer, † 26. 11. 1917. In: Erinnerungen herausgegeben zur Vollendung des 50. Schuljahres. Stadtarchiv Zürich.

15Ibidem.

16Bindschedler, Ida: Nachruf auf Frau Prof. Netta Tobler-Hattemer † 26. 11. 1917. In: Erinnerungen herausgegeben zur Vollendung des 50. Schuljahres. Stadtarchiv Zürich.

17Ibidem.

18von Greyerz, Otto: Ida Bindschedler ‒ Lebensbild. Undatiert. Burgerbibliothek Bern.

19Bindschedler, Ida: Madame Yvonne. Novelette. In: Sonntagsblatt des Bund, 1903. Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

20Bindschedler, Ida: Tante Nina’s Geschichte. In: Schweizer Frauenheim, Nr. 41 bis 44, 1901, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

21https://www.concertspasdeloup.fr/jules-padeloup/ (Zugriff: 17. 7. 2023).

22Bindschedler, Ida: Meine erste Oper. In: Schweizerische Lehrerzeitung, 2. 6. 1906, Nr. 22, S. 235‒236, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

23Bindschedler, Ida: Tante Nina’s Geschichte. In: Schweizer Frauenheim, Nr. 41 bis 44, 1901, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

24Nachruf in: Schweizerische Lehrerzeitung, Nr. 27, S. 202. 1919, Schweizerische Nationalbibliothek Bern.

25Bindschedler, Ida: Die Turnachkinder im Winter. Huber Verlag, Frauenfeld 1909. Archiv R. G. Bindschedler-Familienstiftung Zürich.

26Bindschedler, Ida: Nachruf auf Frau Prof. Netta Tobler-Hattemer † 26. 11. 1917. In: Erinnerungen herausgegeben zur Vollendung des 50. Schuljahres. Stadtarchiv Zürich.

27Bindschedler, Ida: Nachruf auf Frau Prof. Netta Tobler-Hattemer † 26. 11. 1917. In: Erinnerungen herausgegeben zur Vollendung des 50. Schuljahres. Stadtarchiv Zürich.

28Bindschedler, Ida: Nachruf auf Frau Prof. Netta Tobler-Hattemer † 26. 11. 1917. In: Erinnerungen herausgegeben zur Vollendung des 50. Schuljahres, Stadtarchiv Zürich.

29Ibidem.

30Ibidem.

31Bindschedler, Ida: Brief an J.V. Widmann, 18. Februar 1909, Burgerbibliothek Bern.

32Bindschedler, Ida: Nachruf auf Frau Prof. Netta Tobler-Hattemer † 26. 11. 1917. In: Erinnerungen herausgegeben zur Vollendung des 50. Schuljahres, Stadtarchiv Zürich.

Abbildung 6 Ida Bindschedler, undatiertBild aus Studie von M. S. Metz, 1954; Foto: Martin Bader-Polt, Staatsarchiv Thurgau 8405, 3/42

Teil II – 1894‒1919

Schriftstellerisches Wirken

Wortgewandte, einfühlsame Epikerin

1. Erster veröffentlichter Artikel in Die Philanthropin

Nach der gesundheitsbedingten Aufgabe ihrer geliebten Lehrtätigkeit findet Ida im neuen Heim in Augsburg zur Schriftstellerei. Einen ersten Artikel mit dem Titel «Streiflichter über die heutige Literatur für junge Mädchen» veröffentlichte Ida Bindschedler aber bereits einige Jahre vor ihrem Umzug nach Augsburg.

Im Jahr 1891 erscheint dieser in der Zeitschrift Die Philanthropin. Es ist dies das Organ des Schweizer-Frauenverbandes, der sich «Fraternité» nennt. Nicht nur Ida, sondern auch ihre Schwestern Emma und Pauline sind Mitglieder der Fraternité, die sich für Frauenangelegenheiten (Vorträge, Stellenvermittlungsbüro für Frauen, Kurhaus usw.) einsetzt. Von 1890 bis 1894 ist Dr. med. Caroline Farner (1842‒1913) Herausgeberin der verbandseigenen Publikation. Unter der Rubrik «Erziehungswesen» lässt Ida ihrem Unmut über die ihrer Meinung nach unzulängliche und realitätsfremde Mädchenlektüre freien Lauf:

Streiflichter über die heutige Literatur für junge Mädchen (1891)

Etwas ärgert mich jedesmal, wenn ich daran denke; vielleicht kann ich’s «losschreiben» wie weiland Goethe, mit welchem sich zu vergleichen gewöhnlich Sterblichen sonst nicht wohl ansteht: Wir haben keine rechte Mädchenlektüre, trotz den Dutzenden von Büchern, die alljährlich für Mädchen von 14‒16 Jahren geschrieben werden. Alle diese Bücher haben sicher gleichwohl einen hübschen Absatz; denn mit jeder wiederkehrenden Weihnachtszeit hoffen diejenigen, welche einen Backfisch beschenken sollen, dieses Jahr einmal etwas zu finden, was vorher nicht zu haben war. Sie werden aber die vom Buchhändler empfohlenen Bücher enttäuscht zurücklegen oder, was das schlimmere ist, sie ohne Befriedigung behalten, weil das Töchterlein gar so gerne liest.

Unter all den Schriftstellerinnen, welche sich bemüssigt fühlen, für die weibliche Jugend zu schreiben, greife ich zwei heraus, welche es mir in besonders übler Weise angethan haben, Clementine Helm und Clara Cron; mit der sonst mit Recht beliebten Frau Johanna Spyri hätte ich wegen ihrer Sina auch ein Hühnchen zu rupfen; doch möchte ich unsere Schweizerin durchaus nicht auf die gleiche Linie stellen mit den beiden schon genannten Damen. Was ich nun diesen und verschiedenen andern vorwerfe, und was mich völlig empört, ist, dass die jungen Mädchen durch diese Lektüre recht eigentlich zu einem Gebahren aufgemuntert werden, das wir sonst an ihnen mit aller Strenge zu unterdrücken suchen: Die lieblichen Gestalten der Damen Helm und Cron sind, wenn wir sie bei Licht – es braucht dies gar nicht übermässig hell zu sein – betrachten, oberflächliche, vergnügungssüchtige und eingebildete Dinger. Kränzchen, Tanzstunden, Toilette, Eislauf, kleine Intriguen, wobei schneidige Lieutenants und geistreiche Assessoren ebenso hübsche als wichtige Rollen spielen, bilden den Hauptgegenstand des Gesprächs und des Nachdenkens unserer jungen Heldinnen. Dazu kommt noch etwa die Schwärmerei für einen Geistlichen, oder für einen Professor der Literatur, – beide Herren möglichst jung, möglichst bleich, und mit durchdringenden Augen versehen.

So lebt das junge Mädchen einige Zeit in Lust und Fröhlichkeit, von Jedermann geliebt und bewundert. Aber so kann es nicht durch’s ganze Buch fortgehen; alle Tage Chocolade ist langweilig. Es kommen also schwere Schicksalsschläge: Das Mädchen verliert die Eltern, wird plötzlich arm, bekommt eine Stiefmutter, muss in die fremde Welt hinaus. Nun wird die Gedankenlose, Verzogene mit einem Schlage zur Heldin: Als Krankenpflegerin überwindet sie spielend alle Schwierigkeiten dieses mühevollen, ernsten Berufes und gewinnt in dieser neuen Stellung die Herzen feindlicher Verwandten und liebenswürdiger Assistenzärzte. Als Stütze der Hausfrau leistet sie Ausserordentliches in Küche und Salon, weiss in wenig Wochen die trotzigen Kinder zu fesseln, und ihr grösster Kummer ist auch hier, dass sich der reiche Onkel oder Vetter oder gar der Hausherr zu sehr für sie interessiert. Als Lehrerin zeigt sie, ohne irgend welche berufliche Vorbildung, wahrhaft verblüffendes Talent und Lehrgeschick, wird von ihren Schülerinnen angebetet, von der Direktorin geliebt und von den Kolleginnen beneidet. Auf ihren Wanderfahrten erlebt sie die anregendsten Abenteuer, knüpft trotz ihrer, auf jeder Seite des Buches auf’s neue betonten Schüchternheit, Bekanntschaften an mit jungen Männern, und hat alle Mühe, sich nicht zu verloben, während einer Eisenbahnfahrt von ein paar Stunden.

Schliesslich nun wendet sich das Geschick: Der vielgeprüfte Backfisch erhält sein Vermögen zurück, versöhnt sich mit der reuigen Stiefmutter, oder mit dem menschenfeindlichen Onkel und so weiter. – In jedem Falle aber sinkt sie im letzten Kapitel selig weinend in die Arme eines ebenso glücklichen Gutsbesitzers oder Professors.

Verehrte Leserinnen, sind das Gestalten aus dem Leben gegriffen, sind das Gestalten, welche Sie Ihren Töchtern als Vorbilder geben mögen? Sie sind alle jung gewesen, die meisten unter Ihnen hübsch und liebenswürdig, manche reich oder doch in guten Verhältnissen. Hat man Sie als glanzvollen Mittelpunkt des Hauses betrachtet, haben Sie überall Liebe und Bewunderung genossen, sind an Ihrem Lebensweg links und rechts Männer gestanden, die nichts wichtigeres zu thun hatten, als sich in Sie zu verlieben? Nein! – Haben Sie, wenn Prüfungen über Sie kamen, gleich immer den Muth und das Geschick bekommen, sie zu bestehen? Haben Sie als Haushälterin, als Erzieherin, als Pflegerin, kurz in jeder Stellung, die Sie übernommen, nicht vielmehr Demüthigungen und Enttäuschungen jeder Art erfahren, und hatten Sie diese Erfahrungen nicht fast jedesmal Ihrer Ungeschicklichkeit, Ihrem Leichtsinn, Ihrer Selbstsucht zuzuschreiben? Haben Sie nicht die oder jene Stellung in dem bittern Gefühle der eigenen Unzulänglichkeit aufgeben müssen, oder ihr erst nach langem mühsamen Ringen genügen können?

Was gewinnen nun unsere jungen Mädchen aus diesen obgenannten Büchern? Man klagt so viel über Zerstreutheit, Phantasterei, Begehrlichkeit unserer Töchter. Wahrlich, wenn ich Abends solche Lektüre durchgehe, so muss ich mich Morgens wundern, wenn manche junge Leserin von Helm und Cron bescheiden zur Schule wandert, wo es eben gar nicht so interessant ist, wie in den Bücherpensionaten, wenn die junge Leserin frohgemuth nach dem einfachen Heim zurückkehrt, wo durchaus kein Wesens aus ihr gemacht wird. Dieser hat also die Lektüre nicht geschadet. Sind aber das empfehlenswerte Bücher, an denen man rühmt, dass sie möglichst wenig Eindruck machen und in Ausnahmefällen nicht schaden?

Oft genug aber schaden sie wirklich. Es gibt unzufriedene, verdriessliche, verträumte, grundlos vergrämte, junge Mädchen, denn die Welt, wie sie ist, sie gleicht so gar nicht ihrem Ideal! Wessen Schuld ist das? Ich habe nicht zu richten und weiss, dass unendlich viel andere Einflüsse dazu mitwirken. Ob aber die beiden Schriftstellerinnen Helm und Cron, auf ihr Gewissen gefragt, den Muth hätten sich ganz freizusprechen von einem Theile dieser Schuld?33

Abbildung 7 Probenummer Die Philantropin, Juni 1890Schweizerische Nationalbibliothek Bern

2. Jugendbücher

«Jeder Einsichtige weiss, in welch hohem Masse charakterformend ein gutes Jugendbuch sein kann. Ida Bindschedler [...] hat sich den wärmsten Dank nicht nur der jüngeren Leser ihrer unverwüstlichen Werke, sondern ebenso sehr denjenigen der Erzieher verdient.»  

Reinhold Frei-Uhler, Schweizerische Lehrerzeitung, 194934

Ida Bindschedlers erstes Jugendbuch Die Turnachkinder im Sommer war nach Weihnachten 1906 das Jugendbuch, das jedermann lesen wollte! Ihr autobiografisches Erinnerungswerk wird zum Bestseller und macht sie über Nacht bekannt – in ihrer neuen wie auch in ihrer alten Heimat.

So verkündet 1909 der Bayerische Volksfreund in Nürnberg35, dass in der reichen, fortwährend wachsenden Jugendliteratur ein Büchlein erschienen sei, das wohl mit zu den allerbesten gezählt werden dürfe. Dies betreffe sowohl die Art der Erzählung als auch vor allem den bildenden Wert:

Mit grosser Gewandtheit und feinem Verständnis für alles, was in des Kindes Herzen an Lust und Freude, an kindlichem Glauben und Fragen sich regt, schildert die Verfasserin die kleinen Tageserlebnisse von vier Schweizer Stadtkindern während ihres Sommeraufenthaltes auf dem Lande. Nirgends ist auch nur eine Spur von Schablone oder langer schriftstellerischer Ausschmückung zu merken. Im Gegenteil, ganz naturgetreu, originell und wahr ist alles beschrieben. Es sind keine kleinen Jugendhelden geschildert, sondern Kinder, wie sie lieben und leben. Die Stellen, an denen die Kinder getadelt werden, oder sich selber gegenseitig auf ihre Unarten aufmerksam machen, sind Punkte, an denen sie zum Beten angehalten werden oder selber frei beten, die Erzählung, in der sie in ihrer kindlichen Weise eine biblische Geschichte spielend nachmachen oder die Stelle, bei der sie ihrem kindlich reinen Trieb zur Barmherzigkeit folgen, sind geradezu mustergültig für die Erziehung der Kinder zur Aufrichtigkeit, Frömmigkeit und Nächstenliebe. Damit erreicht das Buch in gemütlich erzählender Form einen pädagogischen Wert, wie er in dieser Form nur äusserst selten erreicht wird. Solch ein Buch ist geradezu klassisch zu nennen.

Abbildung 8 Die Turnachkinder im Sommer, Huber & Co. Verlag, Frauenfeld 1906Archiv R. G. Bindschedler-Familienstiftung Zürich    

Auch in der Schweiz stösst das Buch auf viel Begeisterung. Hier geben wir die Rezension von Idas ehemaligem Lehrer, verehrtem Freund und sicher auch Mentor Joseph Viktor Widmann wieder. Er schrieb sie in seiner Funktion als Feuilleton-Redaktor der Berner Tageszeitung Bund, wo sie im Feuilleton des Bund vom 26./27. November 1906 erscheint:

Die Turnachkinder (1906 und 1909)

J.V.W. Wer sind die Turnachkinder? – Heute noch niemand. Aber wartet nur bis nach Weihnachten und Neujahr, dann, ihr Eltern, werdet ihrs von euern eigenen Kindern bald zu hören bekommen, was es mit den Turnachkindern für eine Bewandtnis hat. «Die Turnachkinder!» wird da im jungen Volk die Rede hin und her gehen, «welches von ihnen hast du am liebsten? Die Marianne mit dem dicken Zopf oder den tapfern Hans? Das lustige Lotti oder den kleinen Werner, der am Sonntagmorgen die Zipfel von den Hörnchen, dem Frühstücksgebäck, abbrach und sie ‹zum Besten der Nachkommen› im Garten vergrub?»

Die Leser merken: es handelt sich um eine Geschichte, um ein Buch, um eine Jugendschrift, die aber derart ist, dass sie in der jungen Welt Epoche machen wird, sobald erst einige Exemplare in die Hände von Knaben und Mädchen gelangt sein werden. Aus diesem Grunde darf denn auch hier in der Zeitung für Erwachsene von ihr gesprochen werden. In Frage steht ein Buch von erzieherischem Wert, aus dem jedoch nirgends die erzieherische Physiognomie sich vordrängt. Gemütbildend und doch «moralinfrei», vor allem frisch, lebendig, poetisch ist dieses wunderbar geglückte Buch, dessen vollen Titel wir doch endlich nennen müssen:

Die Turnachkinder im Sommer. Von Ida Bindschedler. Für Knaben und Mädchen von 8‒14 Jahren. (Verlag Huber u. Co. in Frauenfeld. Preis geb. Fr. 4.‒).

In der Verfasserin dieses Buches, einem in Deutschland lebenden, aus Zürich gebürtigen Fräulein, scheint uns ein Ersatz der unvergesslichen Meisterin Johanna Spyri zugedacht zu sein. Ich meine das nicht so, als ob eine stark ausgeprägte dichterische oder künstlerische Individualität und Persönlichkeit jemals durch eine andere völlig könnte ersetzt werden. Gottfried Keller ist ein anderer als Gotthelf, C. F. Meyer ein anderer als Keller, C. Spitteler ein anderer als Meyer usw. Und so behält auch die Dichterin des «Heidi» ihre unvergleichliche Eigenart. Aber ebenso hat Ida Bindschedler ihre uns nun neue Eigenart, die also anders, jedoch derjenigen Johanna Spyris gleichwertig ist. Johanna Spyri war lyrischer; Ida Bindschedler ist epischer. Ihr köstliches Erstlingswerk, «Die Turnachkinder im Sommer» ist ja eine ganze Iliade des Kinderlebens, so reich ist die Handlung, so frisch der Fluss der Erzählung, so plastisch sind die Gestalten. Auch Johanna Spyri, die ihren Erzählungen einen so grossen lyrischen Stimmungszauber zu geben wusste, war natürlich Epikerin in der Führung der Handlung. Aber im Vergleich zu dem Werke der neuen Zürcher Jugendschriftstellerin ergibt sich ein Unterschied ungefähr wie zwischen der italienischen und der niederländischen Malerei, so weit es sich ums Stoffliche handelt. In den Erzählungen der Frau Johanna Spyri war häufig ein schicksalsvolles Walten über ungewöhnlichen Lebensläufen und ihm entsprechend eine spürbare Nähe himmlischer Mächte, daher ein religiöser Augenaufschlag der bedrängten Kindesseele. Dies alles auf Grund einer supernaturalistischen Weltanschauung. In der Erzählung von den Turnachkindern feiert das Schicksal, hält Unglück oder was sonst auch schon dem Kindesalter Verwirrung und Leid bereiten kann, gleichsam den Atem an. Nichts Schweres, nichts Bedenkliches begibt sich. Der Reichtum der Handlung quillt einfach aus dem echt «niederländischen» Sinn der Verfasserin für die kleinen Ereignisse des Alltags, die jedoch, wenn sie so schön und poetisch geschaut und geschildert werden, wie es hier der Fall, nichts Triviales mehr haben, sondern durch die glückliche, dem Leben abgelauschte Natürlichkeit der Darstellung die herzlichste Anteilnahme der Leser gerade so gewinnen, als ob es sich um grosse Gegebenheiten handelte. Nur eine besonders glückliche Veranlagung in Verbindung mit gesonnener Kunst konnte bei solcher stofflicher Selbstbeschränkung so viel erreichen. Und darum dürfen wir Ida Bindschedler als eine wahrhaft prädestinierte Jugendschriftstellerin begrüssen.

Die Geschichte von den Turnachkindern erzählt, wie die vier Kinder der Familie Turnach, die man sich als Zürcher Stadtkinder zu denken hat, mit Anbruch des Frühsommers das kleine, in der Nähe der Stadt am See gelegene Landgut «Seeweid» beziehen, und wie sie den ganzen Sommer bis zum Herbst daselbst zubringen, was sie dort, jedes seiner genau charakterisierten Individualität gemäss, dachten und vollbrachten, was ihre Spiele, ihre Arbeiten, ihre kleinen Erlebnisse waren, welche Bekanntschaften und Freundschaften sie schlossen, wie es an schönen Sommertagen zuging, wie bei Regenwetter und Sturm, was der Verkehr mit Haustieren und den noch interessanteren Naturgeschöpfen in Wald und Feld ihnen für Freude brachte, wie ihre lebhafte Kinderphantasie aus all den stets wechselnden Eindrücken neue Nahrung zog, wie ihr geschwisterliches Verhältnis war, wie das zu den Eltern, Anverwandten, zu dienenden Leuten im Hause – kurz, wir erhalten gleichsam den Durchschnitt durch ein Stück Jugendleben von vier gut gearteten, wenn auch keineswegs für Tugendspiegel ausgegebenen, frischen Kindernaturen.

Gerade weil dieser Stoff nichts Schicksalsvolles und Abenteuerliches mit sich brachte, war seitens der Verfasserin grosse Findigkeit der Phantasie notwendig, ihn reizvoll und anziehend zu machen. Eigene Erinnerungen mögen ihr manches an die Hand gegeben haben. Sie muss aber eine rechte Jugendfreundin sein, die ihr Lebtag viel in die Seele der Kinder hineingelauscht hat, dass sie solch einfachen Verlauf eines Sommerlebens zweier Mädchen und zweier Knaben zu einer so spannenden Erzählung auszuspinnen vermochte. Neben der Erfindung hat ihr auch eine Dosis guten Humors zur fröhlichen Belebung ihrer Erzählung geholfen.

Wie köstlich sind in dieser Beziehung besonders die Kapitel: «Pfahlbauergeschichten» und «Marianne als Pharaonentochter». Die Kinder haben in der Schule von dem kulturhistorischen Wert der Überbleibsel aus der Pfahlbautenzeit gehört und beschliessen, ihrerseits auch etwas für die Nachwelt zu tun. So vergraben sie am Seeufer allerlei Spielsachen – notabene doch nur mehr oder weniger defekte! Und auf den Scherben einer Schiefertafel schreiben sie ihre Namen mit «freundlichem Gruss» an die Menschheit, die nach 4000 Jahren diese Herrlichkeiten ausgraben würde. Im Kapitel von der Pharaonentochter hatten Marianne und Lotti ihr kleinstes, noch im Steckkissen liegendes Schwesterchen zu hüten und beschlossen, es als kleinen Moses zu behandeln, den die Pharaonentochter im Schilf findet. Wie ist das der Mädchenseele angelauscht, in der schon früh mütterliche Gefühle sich regen, aber auch die Lust an prinzessenhaft schönem Schmuck, mit dem Marianne sich phantastisch schmückt. Jede Mädchenschullehrerin weiss, wie diese biblische Geschichte auf die kleinen Zuhörerinnen immer ganz besonders starken Eindruck macht. Bei einer Prüfung an der Einwohnermädchenschule in Bern fragte der Inspektor die Klasse, woran denn die Schwester Moses’ die Pharaonentochter erkannt habe. «An den Krallen» war die prompte Antwort einer kleinen Bernerin; «Krallen» meinte «Korallen», d. h. ein Halsband von Glasperlen.

Aber das Wesen der Knaben wird von der Verfasserin ebensogut begriffen und geschildert wie das der Mädchen. Man lese die Geschichte «Indianerleben» und die von dem Fackelzug mit ausgehöhlten weissen Rüben, den die Knaben, nach vorausgegangenen Kämpfen in der Schule, einem erkrankten Lehrer bringen. Diese letzte Geschichte speziell kann Lesern, die das Buch auf seinen pädagogischen Wert hin untersuchen, den besten Begriff von der ungewöhnlich feinen Art geben, wie Ida Bindschedler charakterbildend zu wirken versteht, ohne dass die jungen Leser der erzieherischen Absicht bewusst werden. Es ist so gar keine Spur von drückender Autorität der Erwachsenen gegenüber den Kindern, vollends gar von pedantischem Geltendmachen moralischer Grundsätze in dieser herrlichen Jugendschrift, und dennoch ist sie nirgends ohne heimliche Lenkung der Kinder zum Guten und Schönen, zur Freude an der Landschaft, für die der Sinn durch poetische feine Schilderung geweckt wird, zu schlichter Frömmigkeit und vor allem zur inneren Wahrhaftigkeit. Dieses Buch in seiner Natürlichkeit, mit den vielen entzückenden Zügen aus dem Kinderleben, mit den reizenden schalkhaften kleinen und unschuldigen Abenteuern (die Schreckensnacht, als der Igel in der Schlafkammer der Mädchen war), ist ein wahres Labsal für Alt und Jung und entschieden die beste Jugendschrift, die seit dem «Heidi» der Johanna Spyri, alle deutschen Lande zusammengenommen, geschrieben wurde. Das also sind «Die Turnachkinder im Sommer». Der Titel lässt hoffen, dass es in einem künftigen Jahre auch «Turnachkinder im Winter» gibt; wenn aber nicht – so dürfen wir uns mit diesem einen Buche zufrieden geben, es ist ein Schatz.

Widmanns Wunsch nach einer Fortsetzung sollte Ida Bindschedler drei Jahre später erfüllen; 1909 publiziert der Huber Verlag in Frauenfeld endlich die von vielen lang ersehnte Fortsetzung der Turnachkinder-Geschichte. Wie von Widmann bereits 1906 vorausgesagt, nennt Ida den zweiten Band ihrer Jugenderinnerungen Die Turnachkinder im Winter. Im Februar 1909 schreibt sie von Augsburg aus an Widmann:

Ich sass auch ziemlich viel an der Arbeit; ich sagte Ihnen vor einem Jahre, dass ich die Turnachkinder im Winter weggelegt habe, weil ich allen Mut verloren hatte. Aber sie liessen mir keine Ruhe; ich habe sie im Herbst dann wieder vorgenommen & will sie jetzt fertig & ins Reine bringen, was zu drei Vierteln schon geschehen ist.36

Das Buch erscheint im Winter 1909 und wird ebenfalls von Widmann – diesmal im Sonntagsblatt des Bund – beinahe überschwänglich rezensiert:

Die Turnachkinder im Winter ... wir glauben ein Hurrageschrei auf der ganzen Linie der grossen Schüler- und Schülerinnenarmee unseres Landes und auch von jenseits des Rheinstroms zu hören.

Fortsetzungen, zweite Teile – es ist eine riskierte Sache; wie selten gelingen sie! Hier liegt der erstaunliche Fall vor, dass der zweite Teil, der übrigens ganz selbständig kann verstanden und genossen werden, den ersten sogar noch übertrifft. Die Verfasserin mochte sich wohl darüber klar sein, dass die Aufgabe eine schwierigere war. Im Sommer auf dem Landgut am See – was da die ferienfrohen Kinder alles beginnen konnten, wie da die ganze Landschaft, die weite Gegend, in die man Ausflüge unternahm, mitspielt. Der Winter dagegen zwingt die kleine Gesellschaft ins Stadthaus und ins Schulzimmer. Da hiess es nun Phantasie in Arbeit setzen, um gleichwohl ein frisches fröhliches Buch spannenden Inhalts zuwege zu bringen. Und glänzend wurde bei solch sichtlich stärkerem Aufgebot der erfindenden Kräfte das Ziel erreicht. Für 8 bis 14-jährige Kinder –, ja, gewiss! aber auch für Erwachsene, die von der Erinnerung an ihre Kindheit her oder, noch besser, im Hinblick auf eigene Kinder und Enkel ein – wie soll ich sagen? – ein Weihnachtsherz bewahrt haben, wie werden sie sich an den kleinen und grossen Erlebnissen der wohlgemuten Turnachkinder freuen. Zu den Eigenschaften, die das Kindesalter so liebenswürdig machen, gehört die glückliche Gabe der Phantasie, die oft über eine beengende Gegenwart hinweg hilft und so köstliche Einfälle zeitigt. Die Verfasserin hat das Kinderquartett, von dem sie uns hauptsächlich erzählt, reichlich mit dieser Gabe ausgerüstet, was sie natürlich nur vermochte, weil sie ihr selbst eigen ist. Sie ist Dichterin, sie ist für den kleinen Bezirk der kindlichen Freuden und Leiden ein wahrer Homer an Erfindung und epischer Gestaltung. Man lese nach der Schilderung des herrlichen Weihnachtsabends der Turnachkinder, was dann an den folgenden Tagen mit den neuen Spielsachen alles angefangen wird. Mit dem Baukasten z. B. bauen sie ein turmartiges Monument und da ihnen der Vater angibt, es könnte das Grabmal Dietrichs von Bern sein, so dünkt sie, der Held, von dem sie schon einiges wissen, sollte als schöner Leichnam drin zu sehen sein. Da wird dann aus der Puppenstube der Puppenvater geholt, der mit seiner winzigen Zeitung friedlich auf dem Sopha sass. In seiner braunen Joppe konnte er natürlich nicht gut den König Theodorich vorstellen. Aber bald fand sich ein Stückchen dunkelroten Sammets zum Königsmantel und aus einem Goldbörtchen machte Marianne eine kleine Krone und so wurde der Puppenvater seiner Familie entrissen und in die Gruft gelegt. «Jetzt sollten wir es noch von innen beleuchten!» rief Hans. «Mama, wenn wir das Nachtlicht haben könnten mit dem blauen Glas!» Es wurde geholt und in die Gruft gestellt, wo es die Nacht hindurch brennen sollte. Damit man wisse, wie das in der Dunkelheit aussehe, musste die gute Mama auf ein Weilchen die Lampe löschen. Es war geheimnisvoll wie ein schönes Märchen, wenn man in das Grabgewölbe schaute: das bläuliche Licht fiel auf die Pfeiler der Gruft und auf die Krone des Theodorich, der still dalag, bedeckt von seinem langen roten Königsmantel.

Bevor die eigentlichen Wintertage der Turnachkinder beginnen, haben sie noch einen Herbstferienaufenthalt bei der Tante Doktor in Larstetten machen dürfen. Dort treffen sie im Pfarrhause als Pensionärin eine originelle junge Amerikanerin, mit der die Ferienkinder gleich gute Freundschaft schliessen. Die drolligen Dinge, die da begegnen, sind nicht willkürliche Einfälle der Verfasserin, sondern bei allem Ungewöhnlichen die gut ausgedachten Ergebnisse der Charaktere, besonders des praktischen, entschlossenen und ungeheuer selbständigen Wesens des amerikanischen Backfischchens. Und darum wirken diese Geschichten so natürlich, man sieht alles vor sich, als ob man dabei gewesen wäre. Auch in den spätern Erzählungen, die das Leben der Turnachkinder im Stadthaus schildern, die zweimalige halsbrecherische Kletterpartie auf dem Dache, das rechtzeitige tapfere Zugreifen des Hans, als in der erbauten Schneehütte die Petroleumlampe umgeworfen wird und eine der kleinen Freundinnen in Gefahr kommt zu verbrennen – in allen diesen Geschichten ist ebenfalls jeder Zug gut motiviert. Gewiss ist die Phantasie der Verfasserin eine poetisch erfindende und zwar reich erfindende, aber sie hat stets den Verstand zum Begleiter, so dass, da auch ein liebevolles Herz seine Schätze in die Erzählungen ergossen hat, so eine poetische, gesunde, gute und liebenswürdige Jugendschrift entstanden ist, wie man sich keine bessere wünschen kann. Dabei die pädagogische Weisheit, die alles sanft durchdringt, den jungen Lesern kaum irgendwo zum Bewusstsein kommt und sie dennoch unmerklich aufs schönste leitet. Wirklich, in hoher reiner Seelenheiterkeit ein klassisches Buch der Jugendliteratur!37

Abbildung 9 Die Turnachkinder im Winter, Huber & Co. Verlag, Frauenfeld, 1909Archiv R. G. Bindschedler-Familienstiftung Zürich    

Auch die Neue Zürcher Zeitung widmet der Neuerscheinung in ihrer Ausgabe vom 8. Dezember 1909 lobende Worte und preist diese wie folgt an:

Das prächtige Kinderbuch von Ida Bindschedler «Die Turnachkinder im Sommer», das schon in fünfter Auflage erschienen ist, hat von der gleichen Verfasserin eine Fortsetzung erhalten in dem kürzlich bei Huber u. Cie. in Frauenfeld erschienenen Buche: «Die Turnachkinder im Winter». Wie die ersten Geschichten, deren Helden die (Zürcher) Turnachkinder bilden, so sind auch die zwanzig des neuen Bandes von entzückender Naturwahrheit und Frische und dabei erzählt in einem natürlich gesunden und zugleich vornehmen plastischen Stil. Ausser der wohltuenden Abwesenheit jeder moralischen Tendenz, wobei unabsichtlich doch die edelste sittliche Wirkung nebenher läuft, besteht ein Hauptvorzug dieser so lebenswahren, weil erlebten Geschichten in einem köstlichen Humor, der die Kinder gewöhnt, auch die sonnige Seite des Lebens zu sehen und zu empfinden und Freuden aus allen kleinen Vorfällen des Lebens herauszuschlagen.38

Beide Bücher wurden wiederholt neu aufgelegt und auch digitalisiert.

1998 publizierte der Oratio Verlag Schaffhausen eine Neuauflage beider Bände. Hier wurde das aus heutiger Sicht politisch unkorrekte Kapitel im Sommerbuch «Es kommt Besuch in die Seeweid und führt sich schlecht auf» – die Turnachs werden von Verwandten mit dunkler Hautfarbe aus Martinique besucht – stillschweigend und ohne Hinweis eliminiert.

Im Jahr 2011 wurden die Turnachkinder vom Hamburger tredition Verlag im Rahmen seiner Buchreihe «Tredition Classics» neu veröffentlicht. Mit dieser Reihe verfolgt der Verlag das Ziel, «tausende Klassiker der Weltliteratur verschiedener Sprachen wieder als gedruckte Bücher zu verlegen – und das weltweit! Die Buchreihe dient zur Bewahrung der Literatur und Förderung der Kultur. Sie trägt so dazu bei, dass viele tausend Werke nicht in Vergessenheit geraten.»39

Erfreulicherweise ist in dieser Ausgabe wie auch in der digitalisierten Online-Ausgabe des Projekts Gutenberg-DE das Kapitel enthalten.40 Es ist gut zu wissen, dass dem heutigen Leser «das für die Wahrnehmung von Fremden im alten Zürich so aufschlussreiche Kapitel»41 nicht durchwegs vorenthalten bleibt.

Die Leuenhofer (1919)

Das dritte und letzte Jugendbuch von Ida Bindschedler wird im Winter 1919 post mortem veröffentlicht. Es erscheint wiederum im Huber Verlag in Frauenfeld.

Während sich die Turnachkinder mit der ungetrübten Kindheit und mit der Erziehung der Kinder in der Familie befassen, schildert ihr drittes Buch die Jugendzeit in der Schule. Auch hier nimmt sie zweifelsfrei ihre Erinnerungen an ihre Zeit als Lehrerin in den Landschulen in Dietikon und Hirslanden zu Hilfe und erschafft mit der ihr eigenen Fantasie daraus den Leuenhof, die Schule, die früher ein Kloster gewesen ist und eine spannende Geschichte aufweist:

Abbildung 10 Die Leuenhofer, Huber & Co. Verlag, Frauenfeld, 1919Archiv R. G. Bindschedler-Familienstiftung Zürich  

Die Fünftklässler sahen einander an. Das war fein, in einer Schule zu sein, wo es einmal gebrannt hatte und wo Mönche gemalt und gesungen und Brot und Käse gemacht hatten. Mitten auf dem grünen Platz, der früher der Klosterhof gewesen war, stand eine dicke niedrige Säule und auf ihr sass ein seltsames steinernes Tier. Nach ihm hiess das Haus der Leuenhof. Denn das Tier war ein Löwe. Man hatte einige Mühe, das zu erkennen. Der dicke Kopf war verwittert, und über der Nase waren ein paar Rinnen. Wenn das Rotschwänzchen vom Holzverschlag herüberflog und sich auf den dicken Kopf setzte, sah es aus, als ob der Leu nach oben blinzle und sich ärgere, dass er den Vogel nicht abschütteln könne.42