If This Gets Out - Sophie Gonzales - E-Book
SONDERANGEBOT

If This Gets Out E-Book

Sophie Gonzales

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Tolle Jungs, gute Songs und ganz viel Liebe: Diese queere Friends-to-Lovers-Romance ist cool, gefühlvoll und absolut zum Mitfiebern! Ruben und Zach sind Teil der erfolgreichen US-Boyband Saturday. Mit ihren Bandkollegen Angel und Jon verkörpern die Vier auf der Bühne den perfekten Teenage-Traum, backstage sind sie echte Freunde. Nur dass Ruben schwul ist, darf »draußen« niemand wissen. Denn ihre Rollen sind streng festgelegt. Während der großen, durchgetakteten Europa-Tournee nimmt der Druck auf die Jungs zu – und Ruben und Zach rücken näher zusammen, aus Freundschaft wird mehr. Doch als sie ihre Beziehung öffentlich machen wollen, spielt ihr Label nicht mit. Kann ihre Liebe – und die Band – trotzdem bestehen? Eine hippe Band auf Europa-Tournee: Diese starke Lovestory wirft einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Musikbusiness. »Dietrich und Gonzales ... geben Ruben und Zach eine jeweils ganz eigene Stimme in dieser Friends-to-Lovers-Geschichte, die vor Leidenschaft und Elan nur so sprüht.« Booklist

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophie Gonzales & Cale Dietrich

If This Gets Out

Aus dem Englischen von Christel Kröning

Tolle Jungs, gute Songs und ganz viel Liebe: Diese Friends-to-Lovers-Romance ist cool, gefühlvoll und absolut zum Mitfiebern!

Ruben und Zach sind Teil der weltweit erfolgreichen US-Boyband Saturday. Mit ihren Bandkollegen Angel und Jon verkörpern die Vier auf der Bühne den perfekten Teenage-Traum, backstage sind sie echte Freunde. Nur dass Ruben schwul ist, darf »draußen« niemand wissen. Denn ihre Rollen sind streng festgelegt und ihr Management kontrolliert alles.

Während der großen, durchgetakteten Europa-Tournee nimmt der Druck auf die Jungs noch zu, vor allem auf Ruben. Er und Zach rücken näher zusammen, aus Freundschaft wird mehr. Doch als sie die Beziehung öffentlich machen wollen, spielt ihr Label nicht mit. Kann ihre Liebe – und die Band – trotzdem bestehen?

Eine hippe Band auf Europa-Tournee: Diese starke Lovestory wirft einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Musikbusiness.

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Viten

FÜR CAMERON STEINERT UND SHAYE DIETRICH.

1.

Ruben

Vor einer jubelnden Menge fast zu Tode zu stürzen, ist wohl nur ein weiteres Warnsignal in dieser recht neuen, aber gefühlt endlosen Reihe von Warnsignalen, dass ich mehr Schlaf brauche.

Es passiert bei unserem letzten US-Konzert der Months by Years-Tournee. Meine drei Saturday-Bandkollegen und ich stehen etwa fünf Meter über der Bühne auf einer erhöhten Plattform, die à la Großstadtskyline angestrahlt wird. Gerade sind wir bei dem Part angelangt, wo wir uns geschmeidig niedersetzen und unsere Beine über die Kante baumeln lassen, um das Intro unseres letzten Songs »Deins, meins, unseres« zu summen. Doch statt mich geschmeidig niederzusetzen, gerate ich zu nah an die Kante und stolpere so ungünstig, dass ich ins Leere zu kippen drohe.

Gerade noch rechtzeitig schließt sich eine Hand um meine Schulter und zieht mich zurück. Zach Knights Hand, um genau zu sein. Seine haselnussbraunen Augen weiten sich kurz, doch ansonsten bleibt er ganz gelassen. Hier gibt es nichts zu sehen.

Den Luxus, innezuhalten und ihm zu danken oder auch nur zuzunicken, habe ich nicht, da die ersten Akkorde des Songs erklingen und dichter Bühnennebel – ob er Wolken oder Smog imitieren soll, ist mir immer noch unklar – uns einzuhüllen beginnt. Zach lässt beim Singen seine Hand auf meiner Schulter, als würde das genau so zur Choreografie gehören, und ich verharre in meiner verunfallten Pose völlig gefasst. Zumindest äußerlich.

Nach siebenundzwanzigeinhalb Auftritten in Folge passiert es dieses Jahr nicht zum ersten Mal, dass ein Stolperer oder ein Choreo-Fehler überspielt werden muss. Allerdings passiert es durchaus zum ersten Mal, dass mir ein solcher Fehler fast einen Fünf-Meter-Sturz einbrockt. Weswegen mein Herz durchaus wilder klopft als sonst. Aber wir sind nun mal eine Show.

Also, wir liefern wohlgemerkt nicht eine Show, wir sind eine Show. Und eine Show verschnauft nicht erst mal zwei Minuten, nachdem sie sich fast den Hals gebrochen hat.

Die Show ist aalglatt, die Show hat alles unter Kontrolle, die Show hatte das genau so geplant.

Als Zach mit seinem Part durch ist, drückt er kurz meine Schulter – die momentan einzig mögliche Rückmeldung zu dem Vorfall – und lässt dann los, während Jon Braxton die nächste Strophe übernimmt. Jon hat immer die meisten Solo-Parts. So ist das wohl, wenn dein Dad die Band managt. Einen richtigen Bandleader haben wir eigentlich nicht, aber wenn wir einen hätten, wäre es Jon. Also, vor Publikum zumindest.

Als Jon fertig gesungen hat und ich mit der Bridge dran bin, geht mein Atem wieder einigermaßen normal. Nicht, dass das wichtig wäre. Ich bekomme unweigerlich immer die einfachsten Solos – keine hohen Töne weit und breit. Dabei könnte ich die ehrlich gesagt mit einer Socke im Mund runtersingen. Dass ich von uns vieren am weitesten nach oben komme, ist denen egal. Aus Gründen, die sie mir noch nie näher erläutert haben, ist es ihnen lieber, wenn ich farblos bleibe. »Sie«, das ist vor allem unser Management-Team, Chorus Management, und manchmal auch unser Musiklabel, Galactic Records.

Und gottbewahre, dass ich von ihrem strikt vorgegebenen Pfad abweiche, indem ich die Phrasierung oder das Tempo variiere. Alles soll genau so sein wie in der gemasterten Aufnahme. Erprobt, konfektioniert, ansprechend präsentiert.

Doch vorgestanzte Silben hin oder her: Wenn ich singe, scheint die Menge vor Begeisterung zu explodieren. Die sonst eher vereinzelt im endlosen Menschenmeer aufleuchtenden Kamerablitzlichter vereinen sich zu einem blendenden Lichterteppich, die neonbunten Leuchtstäbe werden noch wilder geschwenkt und Hunderte von Heirate mich, Ruben Montez-Schilder noch weiter in die Höhe gereckt. Bestimmt kommt es mir nur so vor, aber wenn ich ein Solo singe, fügt sich irgendwie alles zusammen. Dann gibt es nur noch die Menge und mich und wir schwingen komplett auf einer Wellenlänge.

Gerade jetzt könnte ich bis in alle Ewigkeit hier stehen, die immergleiche, idiotensichere Zeile schmettern, dem immergleichen Jubel zuhören, das immergleiche Schildergewinke betrachten, und die Ewigkeit würde sich wie ein einziger Augenblick anfühlen.

Doch Angel Phan ist an der Reihe, die Bühne wird in Dunkelheit getaucht und die Musik verstummt fast, sodass Angel mit seinem rauchigen Timbre die letzten Zeilen vorm Refrain hauchen kann. Und dann erheben wir uns synchron und positionieren uns, wie wir es genau so schon Dutzende Male getan haben, jeweils auf unserem mit Leuchtfarbe markierten X, während die Skyline-Plattform auf die Bühne hinunterfährt. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen spüre, entspanne ich mich endlich.

Doch die Entspannung darf nicht lange anhalten. Laser durchschneiden die Dunkelheit und fetzige Instrumentaltakte, die den temporeichen Refrain einläuten, wummern aus den Lautsprechern. Fluoreszierendes Grün und Blau überflutet das Publikum und uns vier gleichermaßen, wodurch wir unseren gemeinsamen Part halb blind absolvieren. Dieser letzte Song des Abends gipfelt – ein grausamer Scherz auf unsere Kosten – in der anspruchsvollsten Hip-Hop-Choreo des ganzen Konzerts, die wir auf den Punkt genau hinzulegen haben, während wir gleichzeitig den vierstimmigen Gesang wuppen müssen. Obwohl ich schon vor der Tournee gut in Form war, hat es mich zwei Wochen Singen auf dem Laufband gekostet, um die hierfür notwendige Lungenkapazität zu erreichen.

Doch wir lassen es leicht aussehen. Wir kennen einander in- und auswendig. Ohne auch nur einen Blick auf Zach, Jon und Angel werfen zu müssen, weiß ich genau, was sie gerade tun.

Zach guckt ernst – denn selbst nach all der Zeit machen die anspruchsvolleren Choreos ihn noch immer nervös – und gleitet übergangslos in den Volle-Konzentration-Modus.

Jon schließt während gut der Hälfte vom Refrain die Augen – wofür sein Dad ihn immer tadelt, aber Jon ist einfach so ergriffen, er kann nicht anders.

Was Angel angeht, so würde ich meinen letzten Cent verwetten, dass er das Publikum mit den Augen auszieht und seine Moves mit kleinen Extra-Kicks und Hüftstößen garniert, obwohl er das eigentlich nicht darf. Unsere Choreografin Valeria, eine drahtige Tänzerin mit kaugummirosa Haaren, spricht ihn nach den Auftritten regelmäßig darauf an. »Du stichst zu sehr hervor«, behauptet sie. Aber wir wissen alle, wo das eigentliche Problem liegt: Chorus vermarktet Angel – ausgerechnet Angel! – seit mittlerweile zwei Jahren als den unschuldigen jungfräulichen Typen, den ein Mädchen bedenkenlos Mom und Dad vorstellen würde. Und das ist er einfach ganz und gar nicht.

Nach dem Refrain positionieren wir uns neu, und dabei erhasche ich einen Blick auf Zach. Das kastanienbraune Haar klebt ihm an der schweißnassen Stirn. Er und ich müssen beide in Jacke tanzen. Ich in einer Bomber-, er in einer Lederjacke. Man beachte, dass dank Scheinwerferlicht, Bühnenqualm und Körperwärme von Tausenden in einem vollgestopften Stadion bis zu vierzig Grad hier oben herrschen, oft auch mehr. Eigentlich ein Wunder, dass unsere Bühnen-Missgeschicke bisher noch keinen Herzinfarkt beinhalten.

Zach bemerkt meinen Blick und schenkt mir ein flüchtiges Lächeln, bevor er sich wieder dem Publikum zuwendet. Erst da fällt mir auf, dass ich geglotzt habe. Eilig sehe ich weg. Zu meiner Verteidigung muss gesagt werden, dass unsere Haar- und Make-up-Stylistin Penny, eine kurvige Mittzwanzigerin, Zach vor der Tournee angewiesen hat, sich die Haare wachsen zu lassen. Und zwar auf eine Länge, die nur dafür gemacht ist, in schweißnassem Zustand lauthals Sex! zu schreien. Mir fällt lediglich auf, was das Publikum schon längst bemerkt hat. Wer hingegen nicht bemerkt, wie gut Zach aussieht, ist einzig und allein Zach selbst.

Ich schalte meinen Kopf aus und lasse mich von der Musik auf Autopilot stellen. Ich wirbele und kicke und springe in einem Tanz, den mein Körper auswendig kennt. Der Song endet, alle Scheinwerfer lodern ein letztes Mal in einem Feuerwerk aus Orange und Gelb auf, bevor es dunkel wird, und wir erstarren in der Endpose, schnappen nach Luft, während die Menge in Applaus ausbricht. Zach nutzt die Gelegenheit, um seine feuchten Haare mit einer schwungvollen Bewegung aus der Stirn zu werfen.

Mist. Ich glotze schon wieder.

Ich zwinge mich, mich auf Jon zu konzentrieren, der in die Bühnenmitte tritt und die Menge anweist, den Musiker*innen an den Instrumenten zu danken, dem Security-Team, dem Licht- und dem Ton-Team. Dann kommt das obligatorische: Orlando, ihr wart super! Vielen Dank! Das wars von Saturday! Gute Nacht, allerseits! Dann winken wir und während wir von der Bühne joggen, wird der Jubel so laut, als wolle er sich selbst übertönen.

Und das wars. Der US-Teil der Months by Years-Tournee ist vorbei, einfach so.

Erin, eine große rundliche Frau Mitte vierzig mit langem rotbraunem Haar erwartet uns schon auf dem grauen Beton des Backstage-Bereichs. »Herzlichen Glückwunsch, Jungs!«, lobt sie dröhnend und hebt die Hand, um uns der Reihe nach abzuklatschen. »Ich bin so stolz auf euch! Wir haben es geschafft!«

Als Tourmanagerin ist Erin quasi unser Elternersatz, immer wenn wir unterwegs sind. Sie organisiert unseren Zeitplan, stellt unsere Regeln auf, bestraft uns, lobt uns, denkt an unsere Geburtstage und Allergien und stellt sicher, dass wir jede einzelne Stunde jedes einzelnen Tages dort sind, wo wir sein sollen.

Ich finde Erin als Menschen durchaus sympathisch, aber wie bei allen Chorus-Angestellten bleibe ich ihr gegenüber stets ein wenig auf der Hut. Chorus Management mag das Team sein, das uns vermarktet, bewirbt und koordiniert, aber sie sind eben auch diejenigen, die uns in die Form gegossen haben, die wir dieser Tage zur Schau tragen. Und sie wachen mit Argusaugen darüber, mit wem wir sprechen, was wir sagen und welche Freiheiten wir genießen.

Was die Freiheiten angeht – von denen gibt es jetzt schon nicht viele. Deswegen versuche ich, ihnen keinen Grund zu liefern, sie noch zusätzlich einzuschränken.

Wir alle vier versuchen das.

Zach taucht neben mir auf, und gemeinsam gehen wir an diversen Mitgliedern der Bühnencrew vorbei. Sein Haar hat sich wieder selbstständig gemacht und hängt ihm in wilden Strähnen ins verschwitzte Gesicht. »Geht es dir gut?«, raunt er.

Ich kriege heiße Wangen. Das mit dem Fast-Sturz habe ich beinahe schon wieder vergessen. »Ja, alles in Butter. Ich glaube, niemand hat was gemerkt«, raune ich zurück.

»Wen kümmert das? Ich will wissen, ob es dir gut geht.«

»Ja doch. Schwamm drüber.«

»Warum sollte es Ruben nicht gut gehen?«, fragt Angel, drängelt sich zwischen Zach und mich und legt uns je einen Arm um die Schulter. Da ich einen halben Kopf größer bin als er, und Zach mit seinen eins achtzig noch größer ist als ich, fällt ihm das nicht leicht. »Wir haben es geschafft! Schon morgen gehts ab nach Hause!«

»Wo wir ganze vier Tage bleiben dürfen«, fügt Jon ironisch hinzu und reiht sich bei uns ein.

»Mh-hmm, vielen Dank auch, Officer Offensichtlich, zählen kann ich selber«, versetzt Angel und wirft Jon einen Seitenblick zu. »Erstens: Wenn ich vier Tage Auszeit kriege, dann nehme ich mir die auch. Zweitens: Innerhalb dieser vier Tage wird das großartigste Event eures Lebens stattfinden!«

»Ach, ist deine Geburtstagsparty jetzt großartiger als die Grammys?«, frage ich.

»Und die Billboard Music Awards?«, ergänzt Zach und grinst mir zu.

»Großartiger als beides zusammen!«, verkündet Angel. »Es wird Pfauen geben!«

Jon schnaubt belustigt, verkneift sich das Grinsen jedoch, als Angel ihm einen bösen Blick zuwirft. »Ich kann deine Einladung immer noch zurückziehen.«

»Nein, bitte, ich darf doch nicht die Pfauen verpassen!« Jon geht rückwärts weiter und ringt mit Blick auf Angel die Hände.

»Dünnes Eis, Braxton, ganz dünnes Eis.«

Wir erreichen die Garderobe, wo unsere Stylist*innen schon auf uns warten. Systematisch pellen sie uns aus unseren Outfits, markieren alle Kleidungsstücke, hängen sie in der jeweils richtigen Reihenfolge auf den jeweils passenden der vier rollbaren Kleiderständer und ziehen dann damit ab Richtung Reinigung. Sie lassen ihre Aufgabe leicht und geschmeidig wirken, genau wie wir unsere, aber um den Stress, penibel auf die vielen Dutzend Outfits achten zu müssen – und wer von uns vieren wann genau welches trägt –, beneide ich sie nicht.

Als jemand, der schon als Kind in Musicals aufgetreten ist, bin ich es durchaus gewohnt, nach der Show aus dem Kostüm gepellt zu werden. Der Unterschied hier aber ist, dass während der ganzen Tournee gilt: raus aus dem einen Kostüm, rein in das nächste. Denn solange sich eine Kamera auf uns richten könnte, dürfen wir unsere Klamotten nicht selbst aussuchen. Chorus hat schon vor Jahren für jeden von uns eine bestimmte Rolle festgelegt. Füttern unsere Stylist*innen also gerade nicht das Outfit-Förderband für die Shows, dann erstellen und kaufen sie lässige Ensembles, in denen wir, wenn wir im Dienst sind, unserer jeweiligen Marke gerecht werden. Und wir sind immer im Dienst.

Im Prinzip demonstriert diese Kleidung – diese Kostümierung – den Menschen da draußen, wer wir sind. Bloß nicht, wer wir wirklich sind.

Zach ist quasi der Bad Boy: Leder, Stiefel, zerrissene Jeans und so viel Schwarz wie nur irgend möglich. Angel ist der sorglose fröhliche Spaßvogel, also viel Farbe und Muster und – sehr zu seinem Leidwesen – nichts zu Enges oder auch nur im Entferntesten Heißes. Jon ist der charismatische Schönling, deswegen gilt für seine Garderobe: Bringt diese Muskeln zur Geltung oder sterbt einen schrecklichen, grausamen Tod.

Was mich angeht: Ich bin der Nette mit dem hübschen Gesicht – nahbar, harmlos und unauffällig. Viele Pullover mit Rundhalsausschnitt und Kaschmirsachen in warmen gedeckten Farben, in denen ich möglichst weich und kuschlig aussehe. Und natürlich macht es keinen Sinn, harmlos und unauffällig auszusehen, wenn man sich nicht auch so verhält, daher sind meine Vorgaben glasklar: In Interviews und Co. erwähne ich meine sexuelle Orientierung nicht, ich tue mich auf der Bühne nicht hervor, ich vertrete keine kontroversen Meinungen, und ich bin definitiv nicht öffentlich mit einem Typen zusammen. Ich bin die weiße Leinwand, auf die Fans ihre Traumpersönlichkeit malen können. Der Joker für jene, deren Geschmack noch nicht durch die anderen drei bedient wird.

Ich bin das Gegenteil von allem, was mir als Kind anerzogen wurde.

Unsere ergebensten Fans jedoch, diejenigen, die sich jeden kleinsten Schnipsel von Saturday einverleiben, durchschauen die Maskerade öfter, als man denken würde. So kursieren online Beschreibungen, die der Wahrheit viel näher kommen. Von einem sensiblen, liebenswerten Zach ist die Rede, von einem zurückhaltenden Jon mit Typ-A-Persönlichkeit, einem hemmungslosen, schlagfertigen Angel und einem perfektionistischen Ruben mit Hang zu finsterem Sarkasmus. Oft entbrennen hitzige Diskussionen zwischen den scharfsichtigeren und den erfolgreich getäuschten Fans, denn beide Seiten sind der Überzeugung, die echten Versionen von uns zu kennen. Natürlich kennt die niemand von ihnen, weil sie nun einmal uns nicht kennen, ganz egal, wie sehr sie sich das wünschen. Aber, wie gesagt, manche durchschauen uns immerhin ein wenig. Und bleiben uns dennoch treu. Sie durchschauen uns und mögen uns offenbar dennoch am meisten von allen.

Schon interessant, hm?

Während wir umgezogen werden, scrollt Erin – stets der unerschütterliche Anker im organisierten Chaos – durch ihr iPad. »Sobald alle fertig sind, möchte ich mit euch über nächste Woche sprechen«, sagt sie. Wir stöhnen einhellig, und Zach bricht einen Wettbewerb mit mir vom Zaun, wer lauter stöhnen kann. Bevor jedoch ein Gewinner feststeht, bringt Erin uns zum Schweigen: »Ich weiß, ich weiß. Ihr seid alle müde und –«

»Wir sind Zombies«, korrigiert Angel und macht sich eine Flasche Sprudelwasser mit den Zähnen auf.

»Ja, Ruben ist fast ohnmächtig geworden«, meldet sich Zach, und ich trete ihm gegens Schienbein. Erin wirft mir einen scharfen Blick zu.

»Das war nichts«, sage ich. »Ich bin bloß … gestolpert.«

»Es dauert auch nur ein paar Minuten«, verspricht Erin. »Zehn maximal.«

Jon drückt sein graues Hemd unserem Chef-Stylisten Viktor in die Hand und entblößt eine breite, haarlose Brust, die mir, wie auch die von Angel und Zach, mittlerweile fast so vertraut ist wie meine eigene. Als Jon oben ohne dasteht, schüttelt Angel seine Flasche und spritzt ihm das eiskalte Wasser entgegen. Jon schreit auf, schnappt nach Luft und hüpft auf der Stelle, während Zach losprustet. »Angel! Du Arsch! Warum tust du das?«

»Aus Langeweile?«

»Alter!«

Zach, der immer noch lacht, wirft Jon ein Handtuch zu, womit der sich grummelnd das Wasser von der braunen Haut tupft. Obwohl Jon unleugbar gut aussieht, macht es mir nichts aus, dass er hier halb nackt und triefend in der Gegend herumsteht. Es gehört zur täglichen Routine, dass wir vier uns voreinander ausziehen. Inzwischen braucht es schon deutlich mehr als einen entblößten Sixpack, um mich aus der Fassung zu bringen.

Als natürlich Zach sein T-Shirt auszieht, gucke ich – wie mittlerweile schon seit ein paar Monaten – tunlichst nicht hin. Denn was immer dieses »mehr« ist, das meine Aufmerksamkeit einfängt, Zach wirft damit nur so um sich. Egal, wie verbissen ich versuche, das Gefühl zu unterdrücken, ich kann es nie ganz abschalten. Sprich: Bevor ich nicht in den Griff kriege, was mein Hirn da neuerdings abzieht, muss ich einen Zach oben ohne wie Medusa behandeln. Angucken bei Todesstrafe verboten.

Angel steht mit dem Rücken zu mir, also ergreife ich die nächstbeste Wasserflasche, leere sie über seinem Kopf und verwandle damit die gestylten schwarzen Haare in einen traurig herunterhängenden Lappen. Angel schnappt nach Luft und fährt herum. »Verräter!«, ruft er. Ich flüchte mich hinter Zach, der jetzt – Entwarnung – wieder ein T-Shirt anhat.

»Leute, Leute!«, ruft Penny und wirft sich vor ihre Ausrüstung wie eine Mutter vor ihr Kind. »Keine Wasserschlacht in Make-up-Nähe. Ruben, du musst dich eh noch abschminken. Na los.«

Angel senkt seine drohend erhobene Flasche und streicht sich mit der freien Hand die nassen Haare aus dem Gesicht. Als ich jedoch hinter Zach hervorkomme, versucht er mich mit einer schnellen Drehung aus dem Handgelenk zu erwischen, was ihm misslingt.

In großem Bogen gehe ich an ihm vorbei zu den Abschminktüchern und fange mit den Augen an. Im Laufe der Jahre ist unser Make-up immer präsenter geworden. Mittlerweile gehört das dezente, aber offensichtliche Augen-Make-up zum obligatorischen Styling der Band. Penny verbraucht bestimmt so etwa einen braunen Eyeliner pro Woche. Sie verblendet ihn auf eine Weise mit zurückhaltendem Lidschatten und Highlighter, dass er super die Augen betont. Ich hab das einmal selbst versucht und sah am Ende aus, als wollte ich für Fluch der Karibik vorsprechen. Seitdem überlasse ich den Eyeliner tunlichst Pennys fähigen Händen.

Als wir endlich alle abgeschminkt und umgezogen sind, trotten wir Erin hinterher in den Aufenthaltsraum. Ich werfe mich auf das Sofa und schließe die Augen, während Zach sich im Sessel neben mir die Zeit damit vertreibt, in regelmäßigen Abständen an meine Stirn zu tippen. Mit einer Hand schlage ich halbherzig in seine Richtung, mein Lächeln verstecke ich im Sofapolster.

Angel unterbricht das Spiel, indem er gegen meine Beine tritt, bis ich sie vom Sofa nehme. Ich muss mich aufsetzen, wodurch Zach nicht mehr an mich rankommt. Angel und Jon quetschen sich neben mich, und ich muss mich sehr zurückhalten, um Angel nicht aus Rache ordentlich zu schubsen. Es gelingt mir gerade so. Hauptsächlich, weil ich zu müde dafür bin. Ich lehne den Kopf zurück und schließe wieder die Augen.

Es war kein Witz, als Angel uns Zombies nannte. Seit Wochen ackern wir ohne Pause durch. Jeden Tag das Gleiche. Früh aus dem Bett, dann Publicity-Termine – Interviews, Fernsehauftritte, von Balkonen winken, als wären wir die verdammte Königsfamilie oder so –, gefolgt von Abendessen, dann Einsingen, Umziehen, Schminken, Auftreten, Umziehen, Abschminken, dann entweder ins Hotel oder direkt zum Privatjet, ab in den nächsten Bundesstaat, und alles wieder von vorne.

Aber morgen nicht. Morgen gehts ab nach Hause.

Meine persönliche Vorfreude hält sich in Grenzen – Mom ist an guten Tagen passiv-aggressiv, herkömmlich-aggressiv an schlechten, und Dad könnte genauso gut in seiner Praxis wohnen. Allerdings wirkt es durchaus verheißungsvoll, mal wieder bis nach Sonnenaufgang schlafen zu können.

»Okay«, sagt Erin, und ich mache die Augen auf, hebe aber nicht den Kopf. »Ich wollte nur sichergehen, dass wir alle wegen nächster Woche auf dem gleichen Stand sind. Wenn ihr noch Fragen habt, stellt sie bitte jetzt.«

Nächste Woche. Nächste Woche sagen wir dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten Adieu und treten unsere Europa-Tournee an. Erster Halt: London.

Ich war noch nie außerhalb der USA. Während der letzten Jahre habe ich mich daran gewöhnt, meine Eltern wochen-, manchmal sogar monatelang nicht zu sehen, aber das hier kommt mir zum ersten Mal richtig ernst vor. Bisher war ich immerhin noch im gleichen Land wie Mom und Dad. Obwohl ich da in Flugstunden gerechnet vielleicht sogar weiter von ihnen entfernt war, fühlt sich die Europareise irgendwie größer an. Ehrlich gesagt überfordert es mich fast ein bisschen, darüber nachzudenken, darum habe ich mir bisher auch nie Zeit dafür genommen. Es erschien mir einfacher, es als etwas zu betrachten, womit sich mein Zukunfts-Ich würde befassen müssen.

Leider werden dieses Zukunfts- und mein Jetzt-Ich in Kürze die gleiche Person sein.

Irgendwie wusste ich, der Plan ist nicht makellos.

Schläfrig hebe ich die Hand, denn es gibt eine Frage, die ich mir tatsächlich stelle. Na ja, zwei. »Ja, also: Ist nicht vielleicht doch noch ein Abstecher zum Londoner West End drin?«, hake ich zum mittlerweile dritten Mal nach. »Für einen klitzekleinen Theaterbesuch? So als Überraschung für mich?«

»Wenn sie dir das jetzt sagen würde, wär die Überraschung ja eher mau«, gibt Jon zu denken.

»Oder?«, stimmt Erin zu. »Aber damit du dir keine falschen Hoffnungen machst: Das werden wir nicht hinkriegen. Tut mir leid, Ruben.«

Ich bringe nicht die Energie auf, enttäuscht zu sein. »Dachte ich mir schon. Aber du sagtest, wir schaffen es vielleicht zum Wiener Burgtheater …?«

Erin lächelt. »Das sagte ich und stehe dazu. Wie versprochen habe ich uns Zeit freigeschaufelt. Eine Stunde sollten wir erübrigen können.«

Die Vorfreude macht mich direkt etwas munterer. Meine ganze Familie liebt die Bretter, die die Welt bedeuten. Ich habe Andrew Lloyd Webber und Stephen Sondheim mit der Muttermilch aufgesogen. Schon als Kindergartenkind wurde ich von Mom zu Privatstunden geschickt, wo ich Vibrato und Belting perfektionierte, und ab dem Grundschulalter ging ich mit professionellen Ensembles auf Tournee. Die USA habe ich in Sachen Musical und Oper abgegrast. Wenn ich also schon mal nach Europa fliege, will ich wenigstens etwas Bühnentourismus betreiben, und die Atmosphäre und Geschichte des Burgtheaters haben es mir schon lange angetan.

Jon, der als Einziger von uns vieren zumindest äußerlich noch nicht total in den Seilen hängt, ergreift das Wort. »Der Vatikan steht aber auch weiterhin auf dem Programm, ja?«

»Definitiv.«

Denn natürlich haben wir keine Zeit für eine West-End-Show, verbringen aber Jon zuliebe einen ganzen Vormittag im Vatikan. Wen wunderts? Jon ist, wie seine Mum, super-katholisch, und auch wenn es seinem Dad, Geoff Braxton, nicht so geht: Für Jons Zeug wird Platz geschaffen. So war das schon immer.

Erin nickt Angel zu. »Hast du auch noch eine Frage?«

Angel tut so, als würde er überlegen. »Ähm, Alkohol ist in England immer noch ab achtzehn?«

Erin seufzt. »Ja.«

Angel grinst. »Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.«

Ich hebe den Kopf, um Zach anzusehen, der das Kinn in die Hand gestützt hat. »Du bist so still«, sage ich.

»Wie? Was?« Er blinzelt. »Oh, schon gut. Keine Fragen. Theater und Alkohol und, ähm … Jesus … klingt alles super.«

»Schlafenszeit, hm?«, frage ich, und er nickt mit schweren Lidern.

Erin versteht den Wink. »Okay, euer Bus steht bereit. Mailt oder schreibt mir, falls doch weitere Fragen auftauchen, ansonsten sehe ich euch frisch und munter am Sonntag.«

Eilig setzen wir uns in Bewegung, bevor Erin womöglich doch noch irgendein wichtiger Programmpunkt einfällt. »Ich weiß ja«, ruft sie uns hinterher, »dass ihr unter Einundzwanzigjährigen euch an amerikanische Gesetze haltet! Aber denkt trotzdem daran, dass ein Kater sich nicht gut mit Fliegen verträgt.«

Zach und ich setzen uns nebeneinander in die hintere Reihe vom Minibus, Angel und Jon nehmen die Einzelplätze rechts und links vor uns. Normalerweise haben wir auf dem Weg zum Hotel immer viel zu bequatschen, aber heute bin ich müder als jemals zuvor. Als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Die letzte Energiereserve, die mich über die Ziellinie trug, ist erschöpft. Vier Tage frei hatten wir nicht mehr seit … einer echt verdammt langen Zeit.

Obwohl es bis zu unserm Hotel so spät abends keine fünf Minuten dauert, rollt Angel sich zusammen, um zu dösen, und Jon setzt seine Kopfhörer auf, um beim Musikhören runterzukommen.

Zach und ich sind jetzt also quasi allein. Ich sehe ihn an. »Nicht zu glauben, dass es vorbei ist«, raune ich leise, um Jon und Angel nicht zu stören.

Er zieht eine Augenbraue hoch. »Uns steht doch noch ganz Europa bevor.«

Zachs Stimme verändert sich kaum, wenn er flüstert. Sie ist ein Rehkitzfell. Ein Moosbett ist sie. Ein Singsang, der einen in den Schlaf wiegen könnte.

»Stimmt. Aber das fühlt sich anders an.«

»Es wird sich in Nullkommanix normal anfühlen.«

»Hast wohl recht. So wie sich ja auch all das hier«, ich zeige um mich, »mittlerweile normal anfühlt.«

»Genau.«

»Das ist ein deprimierender Gedanke.«

Zach lehnt müde den Kopf zurück. Dieser Hals! »Was?«, fragt er.

»Egal, wie großartig oder aufregend etwas anfängt, nach einer Weile ist es nur noch Durchschnitt. Ist doch deprimierend.«

Der Bus überquert eine Bodenschwelle, und Angel schnarcht auf, als es ihn durchschüttelt. Wie kann er so schnell eingeschlafen sein?

Zach denkt über meine Worte nach und gibt dann ein überrascht zustimmendes »Hmmm« von sich. Mal wieder springt mir die Ironie ins Auge: Chorus besteht darauf, Zach als gequälte Seele und finsteren Grübler zu vermarkten. Er ist aber nicht still, weil er ständig grübelt oder ihn etwas quält. Sondern weil er aufmerksam und umsichtig ist. Jemand eben, der einen Tick zu lang darüber nachdenkt, welche Erwiderung sein Gegenüber wohl am liebsten hört. Er mag nicht der Typ Mensch sein, der ein Gespräch dominiert oder einen Raum voller Leute für sich einnimmt, aber gequälte Seele? Finsterer Grübler? Zach ist in etwa so finster wie ein Hundewelpe. Ganz egal, was die Medien auf Geheiß unseres PR-Managers David nicht alles Gegenteiliges behaupten.

Zach stellt die Füße an Jons Rückenlehne, wodurch seine Knie fast seine Nase berühren. Sofort informiert mich meine innere Stimme, wie gefährlich diese Haltung bei einem Verkehrsunfall wäre. Ich weiß, wenn ich diese Sorge zu ignorieren versuche, wird sie mich nicht mehr loslassen, also drücke ich Zachs Beine sanft wieder nach unten. Er schenkt mir ein schiefes Lächeln und gehorcht etwas widerwillig. »Die Grachten in Amsterdam«, sagt er dann ohne erkennbaren Anlass.

»Die Alpen in der Schweiz«, erwidere ich. »Ich liebe Improspiele!«

»Nein.« Er stößt mir den Ellbogen in die Seite. »Die will ich sehen, meine ich. Ihr habt alle euer Ding, und ich wollte es vor den andern nicht sagen, aber falls ich in Europa auch was machen darf, dann hoffentlich das. Einfach … eine Weile am Grachtenufer sitzen.«

»Warum wolltest du es nicht vor den andern sagen? Das ist doch jetzt nicht übermäßig skandalös oder so. Wenns dir ums Rotlichtviertel gegangen wäre, okay, aber …«

»Oh, da will ich auch hin«, witzelt er.

»Logisch.«

Zachs Lächeln erlischt, und er drückt eine Fußspitze wieder an den Sitz vor sich. »Es ist dumm. Aber da hat mein Dad meiner Mom den Heiratsantrag gemacht. Ich will sehen, wie es da so ist. Und ich weiß, dass sie dadurch nicht etwa auf magische Weise wieder zusammenkommen oder so. Ich will einfach … Keine Ahnung.«

»Es ist nicht dumm«, sage ich. »Wir kriegen das hin.«

Das Lächeln kehrt zurück. »Ja?«

»Ja, ich meine, wir lassen Angel auf Europa los, von daher hat Erin bestimmt mindestens zwei Polizeitermine eingeplant, für alle Fälle. Und wenn wir uns dafür Zeit nehmen, dann auch für deine Grachten.«

»Ich kann euch hören«, grummelt Angel mit gedämpfter Stimme.

Als ich gegen seinen Sitz trete, jault er vorwurfsvoll auf.

Niemand, den ich kenne, hat weniger mit einem Engel gemein als unser Angel hier. Tatsächlich ist sein echter Name ja auch Reece, aber so hat ihn keiner mehr genannt, seit wir die Band gegründet haben. In unserem allerersten PR-Meeting, als David geradezu paranoid wurde, weil die Presse »Ruben« und »Reece« verwechseln könnte, lieferte Angel ihm einfach diesen schon seit Kindertagen etablierten Spitznamen. Den hatte ihm sein Dad verpasst, da der ursprüngliche und weitaus passendere Spitzname »Satansbrut« bei Reece’ Mom so gar keine Begeisterung auslöste. Und Mr Phan, na ja, hat nun mal einen gesunden Sinn für Humor.

Neben mir macht Zach die Augen zu und rutscht tiefer in den Sitz, wodurch sein Arm jetzt meinen berührt.

Ich glaube nicht, dass ich auf dieser Fahrt noch einmal atmen werde.

2.

Zach

Ich bin ziemlich sicher, dass mein Fahrer Saturday-Fan ist.

Er guckt immer wieder in den Rückspiegel und lächelt mich an.

Da! Schon wieder. Mir stellen sich die Nackenhaare auf. Statt zu Moms Wohnung könnte er mich ja theoretisch sonst wohin fahren, und so wie er lächelt, ist er womöglich stolzer Besitzer eines mit Saturday-Postern tapezierten Kellers, aus dem ich nie wieder entkommen werde.

Ich fahre mir durch die Haare und gucke konzentriert aus dem Fenster. Ruhig Blut. Denken wir doch mal logisch. Erin hat den Fahrer engagiert, also muss er vertrauenswürdig sein. Allein schon, weil Erins Karriere einen kapitalen Sturzflug hinlegen würde, wenn nicht. Eigentlich weiß ich also, dass nichts Schlimmes passieren wird.

Warum aber lächelt dieser Typ mich unentwegt an, als ob er irgendwas im Schilde führt?

Da dringt ein vertrautes Gitarrenriff an mein Ohr. Oh, nein.

Der Fahrer hebt die Brauen und grinst mich an, als wollte er sagen: Oh, doch.

Punktgenau da, wo meine Stimme aus den Lautsprechern dringt, macht er lauter. Kann er mich stattdessen bitte doch einfach nur kidnappen? Nicht, dass ich »Ertappt« nicht mögen würde. Das Lied macht Spaß, ist sogar einer meiner Lieblings-Saturday-Titel, hauptsächlich wegen dieses absolut smoothen Riffs und Rubens gesanglicher Topleistung. Im Ernst mal, er klingt so was von abgefahren gut in diesem Song.

Ich lehne den Kopf gegens Fenster, und der Refrain beginnt. »Ertappt« ist einer unserer früheren Songs aus der Zeit, in der ich den Punk-Einschlag noch nicht ganz abgelegt hatte – jene Art zu singen, die Geoff so freundlich als weinerlich und unverkäuflich beschrieb. Meine Stimme ist darum ganz wacklig und das Auto-Tune unüberhörbar. Bekäme ich eine zweite Chance, würde ich den Song besser hinkriegen, aber wenn man berühmt ist, verfolgt einen alles bisher Fabrizierte quasi auf ewig.

Prüfend gucke ich in den Rückspiegel und, jepp, der Fahrer lächelt mich noch immer an. Scheißgruselig.

Ich wippe mit dem Kopf zur Musik und tue so, als würde ich sie genießen. Nach dem Motto: »Ertappt«, yeah, könnte ich den ganzen Tag hören.

»Meine Tochter ist von dir besessen, Zach«, sagt der Fahrer und stellt schon wieder lächelnd Blickkontakt her. »Von euch allen, aber besonders von dir. Sie sagt, sie ist dein größter Fan.«

Ich winde mich unangenehm, zwinge mich aber zurückzulächeln. »Wow, danke, wie schön das zu hören.«

Er kichert. »Gern geschehen. Ich bin ja eher so der Rockmusik-Typ, aber mal unter uns gesagt: Ein paar eurer Songs gehen echt ins Ohr, muss ich zugeben.«

Die alte Leier. Fast kein Kerl lobt Saturday, ohne dabei eine Fußnote zu setzen: Eigentlich seid ihr scheiße, aber …

»Mh-hm.« Ich zögere, dann versuche ich’s einfach mal. »Ich bin auch eher so der Rockmusik-Typ.« Der erste ehrliche Satz, den ich zu ihm sage.

Ich zupfe an dem Lederarmband herum, das Viktor mich zu tragen anweist.

Fürs Protokoll: Ich mag unsere Lieder durchaus. Nur sind sie weder das, was ich in meiner Freizeit am liebsten höre, noch das, was ich singen würde, wenn ich selbst entscheiden könnte.

Kann ich aber nicht. Deswegen spielt es keine Rolle.

Die Fahrt dauert lange genug, um unsere halbe Diskografie durchzuhören und um herauszufinden, wie oft hintereinander man peinlich berührt sein kann, aber endlich kommen wir vor Moms Wohnung an. Ich schiebe die Autotür auf, trete in den vormittäglichen Sonnenschein hinaus und strecke mich ausgiebig, damit ich meinen Blick unbemerkt über die Straße wandern lassen kann. Doch niemand ist in der Nähe, vor allem keine Paparazzi, zumindest, soweit ich sehen kann. Mit am schrägsten am Berühmtsein ist, in Zeitschriften Fotos von sich zu finden, obwohl in der entsprechenden Situation scheinbar gar keine Fotograf*innen anwesend waren. Die werden ja auch immer raffinierter, so mit Fotoapparaten, die einen noch aus hundert oder mehr Metern Entfernung erwischen. Inzwischen gibt es ständig überall Bilder von mir, deswegen habe ich auch ständig das Gefühl, angestarrt zu werden. Zu Recht offenbar.

Mit Blick ins Autofenster fange ich also an, mich zurechtzuzupfen, denn Chorus würde die Wand hochgehen, wenn ich auf einem Foto wie hingerotzt aussehe. Meine Haare sind unordentlich. Und zwar nicht auf die gekonnte Art – ein paar Strähnen stehen zu sehr ab. Auf Geoffs Anweisung hin habe ich meinen Null-Aufwand-Stachelschnitt rauswachsen lassen und mich immer noch nicht an die neue Länge gewöhnt. Ständig fallen mir die Haare in die Augen oder kitzeln mich am Nacken. Geht mir tierisch auf den Geist, und ich bin nicht einmal sicher, ob es jetzt so viel besser aussieht, dass es den Ärger wert wäre.

Der Fahrer holt mein Gepäck aus dem Kofferraum, bevor ich es selbst tun kann.

»Danke«, sage ich und gebe ihm fünfzig Dollar Trinkgeld.

»Kein Problem.« Er sieht mich immer noch an. »Könnten wir ein Foto schießen? Meine Tochter bringt mich um, wenn ich nicht wenigstens frage.«

Ich stelle sicher, dass mein Lächeln extra fröhlich ist. »Knipsen Sie los!«

Er holt sein Handy raus und legt den Arm um mich für ein Selfie. Ein Teil von mir will das hier abbrechen und einfach nur weg, zu Mom, doch ich reiße mich zusammen. Sei nicht einer von diesen Promis, tadelt mich meine innere Stimme. Ist doch nur ein kleiner Gefallen. Ist doch alles gut.

Nachdem der Fahrer genug Fotos geschossen hat, um ein Album zu füllen, verabschiedet er sich. Ich gehe ins Haus, rufe den Aufzug mit meiner Keycard und fahre in den obersten Stock. Keine fünf Sekunden nachdem ich geklopft habe, geht die Tür auf.

Mom stürzt mir entgegen und drückt mich ganz fest. Sie hat sich offenbar fein gemacht für unser Wiedersehen – trägt eine in die Jeans gesteckte gestreifte Bluse. Als wir uns voneinander lösen, glänzen Tränen in ihren Augen. Sie wischt sie weg, als wären sie etwas Peinliches und nicht das Süßeste überhaupt. Dann streckt sie wieder die Arme aus und drückt mich noch einmal, und zwar diesmal so fest, dass es glatt ein bisschen wehtut. Sie trägt Parfum, von daher, jepp, sie hat sich definitiv fein gemacht. Mein Dad mag ein Stück Scheiße sein, das abgehauen ist und sich nicht mehr blicken lässt, aber Mom hier ist ein echter Glücksgriff.

»Du hast mir so gefehlt«, sagt sie.

»Ach, echt?«

Sie lacht, schüttelt den Kopf und tritt einen Schritt zurück. »Holla. Diese Muckis sind aber neu.«

Ich stecke eine Hand in die Hosentasche. »Erin schickt uns jetzt zweimal täglich zum Workout.«

Mom runzelt die Stirn. Ich weiß, dass sie ihre eigene Meinung über die, in ihren Worten, voll bescheuerte Extraarbeit hat, die Erin und Chorus uns aufbürden. Die ständigen Workouts sind Teil davon. Aber ich bin ja nicht etwa überarbeitet. Alles gut. Als ich noch normal zur Schule ging, war ich Stürmer im Fußballteam, was auch jede Menge Zeit gefressen hat und trotzdem total schön war. Wenn ich als Teil eines Teams auf ein Ziel hinarbeite, kommt mir Befehle-Befolgen überhaupt nicht wie Arbeit vor. Mit Saturday ist das genauso. Außerdem bin ich keine sechzehn mehr, deswegen leuchtets mir durchaus ein: Mit süß kommt man nun mal nur soundso weit. Ich muss dringend auf heiß umschwenken, wenn ich weiter Karriere machen will. Und das will ich. Vielleicht nicht so sehr wie Ruben, aber trotzdem.

»Was ist?«, frage ich Mom, die mich immer noch ansieht.

»Nichts. Du ähnelst bloß so sehr deinem Vater.«

Ich frage mich, wie das für sie sein muss. Ich meine, die Ähnlichkeit sehe ich auch, jetzt erst recht mit den breiteren Schultern und so. Und das bedeutet, ich sehe aus wie der Typ, der einfach eine neue Familie mit einer Kollegin gegründet hat, die zehn Jahre jünger ist als er. Der Typ, der erst seit Saturdays Durchbruch angefangen hat, sich wieder regelmäßiger zu melden. Der Typ, der meine musikalischen Ambitionen anfangs für die Tonne fand, nur um nachher angekrochen zu kommen und zu erwarten, an jedem kleinen bisschen Profit beteiligt zu werden.

Aber ich spreche nichts davon aus, nicke Mom nur zu.

Ihre Wohnung ist groß, hochwertig ausgestattet und bietet durch die Glastüren, die auf den Balkon führen, einen herrlichen Ausblick auf Portland. Hier bin ich nicht etwa aufgewachsen. Mom musste nach Saturdays Durchbruch umziehen, weil unsere alte Mietwohnung einfach zu ungeschützt lag. Was spätestens dann klar wurde, als ein Fan die Adresse herausfand und vor der Tür ein Zelt aufschlug in der Hoffnung, einen Blick auf mich zu ergattern. Wenige Wochen später habe ich Mom diese Immobilie gekauft.

»Wie läufts mit dem neuen Album?«, fragt sie.

»Gut, denke ich. Ich habe Geoff ein paar meiner Songtexte geschickt, also Daumen drücken, dass sie Galactic gefallen.«

»Ganz bestimmt. Ich habe deine Texte schon immer geliebt.«

»Ja, aber du bist meine Mom. Du musst das sagen.«

»Soll ich sie etwa verreißen? Wär dir das lieber?« Sie grinst, also zieht sie mich bloß auf. Ich schüttle den Kopf.

»Dann beschwer dich nicht.« Sie lächelt. »Ernsthaft, wie stehen die Chancen für dich? Ist ja eine ganz schön große Sache.«

»Mh-hm. Ich mache mir besser nicht zu viele Hoffnungen, schätze ich. Aber es wäre schon cool, einen selbst geschriebenen Song dabeizuhaben.«

»Dann wärst du ein richtiger Chansonnier.«

Ich mache Kotzgeräusche.

Endlich entdecke ich unsere Katze Cleo, die sich jetzt aus Moms Schlafzimmer bequemt. Seit ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie definitiv zugenommen.

»Hallo«, sage ich, hebe den Brocken von Katze hoch und ächze übertrieben, um Mom zum Lachen zu bringen.

Mit Cleo auf dem Arm und Mom im Schlepptau gehe ich in die Küche. Dort thront ein riesiger Schokoladenkuchen, auf dem in etwas verwackelten Zuckergussbuchstaben steht: Willkommen zu Hause, Zach!!! Keine Ahnung, wo Mom die Zeit fürs Backen hergenommen hat, denn obwohl ich mehr als genug für uns beide verdiene, arbeitet sie immer noch Vollzeit in einem Pflegeheim.

»Ist vielleicht zu viel des Guten«, sagt sie und guckt etwas unsicher. »Ich wollte dir einfach was Schönes machen.«

»Nicht doch, er ist toll, vielen Dank! Ich muss nur erst mal unter die Dusche, von daher: Kann er so fünf Minuten warten?«

»Klar«, sagt Mom. »Was hast du den Rest des Tages vor?«

»Wir könnten gemütlich Trash-TV wegsuchten und uns irgendwas nur einigermaßen Gesundes vom Lieferservice bestellen.«

»Bin so was von dabei.«

Ich gehe in mein Zimmer und setze Cleo auf dem Bett ab. Als wir noch in der alten Wohnung waren, hingen meine Wände voll mit Punkband-Postern. Hier sind sie weiß. Was erwachsener ist, aber auch irgendwie doofer. Ich schnappe mir ein altes T-Shirt und eine Jogginghose und gehe ins Bad. Viktor würde solche Klamotten vermutlich in Brand setzen, und genau darum gehts mir. Zach Knight von Saturday meldet sich ab. Ich bin einfach nur Zach. Endlich.

Als ich aus dem Bad komme, hat auch Mom ihre Schlafklamotten an. Auf dem Couchtisch stehen zwei Teller Kuchen und im Fernsehen pausiert American Ninja Warrior. Plötzlich fühle ich mich wieder wie fünfzehn, wie zu den Zeiten, als wir das jeden Abend so gemacht haben. Bevor Mom jemand wurde, die ich vielleicht zweimal im Jahr sehe.

Ich setze mich neben sie, nehme meinen Teller, und sie drückt auf Play.

»Dann erzähl mal«, sagt sie. »Hat es diesmal eine übers Meet and Greet hinaus geschafft?«

Ich gucke auf meine Smartwatch. »Kaum zwanzig Minuten bin ich hier, und schon horchst du mich über mein Privatleben aus? Könnte ein neuer Rekord sein.«

»Wer redet von aushorchen? Ich bin doch nur neugierig. Komm schon, wie heißt die Glückliche?«

Ich hefte meinen Blick auf den Fernseher. »Für so was habe ich gar keine Zeit. Bin vollauf mit Songschreiben beschäftigt.«

»Na schön, Mister Geheimnisvoll.«

»Bei dir in der Richtung was Neues?«

»Wenn du nichts sagst, sag ich auch nichts.«

Ich verdrehe die Augen.

Dann kriege ich eine Nachricht von Ruben. Lächelnd lese ich sie.

Du fehlst mir jetzt schon!

»Wer bringt dich denn so zum Lächeln?«, fragt Mom. »Ist das vielleicht die Glückliche?«

Ich halte das Handy von ihr weg. »Hab bloß eine Nachricht von Ruben gekriegt.«

»Jetzt schon? Habt ihr euch nicht gerade erst verabschiedet?«

»Schon, aber er ist mein … Ruben.«

Mom wuschelt mir durch die Haare. Ich lasse sie so. So sind sie mir eh lieber.

Ich schreibe zurück: Du mir auch, Kumpel.

Ruben antwortet mit einem hochgereckten Daumen, mit dem er mich, das weiß ich genau, nur ärgern will. Erst letztens habe ich mich darüber ausgelassen, dass ich dieses Emoji irgendwie passiv-aggressiv finde.

NIMM DAS ZURÜCK.

Er schickt mir noch einen Daumen.

Arsch.

Ich grinse und dann schalte ich das Handy mit der festen Absicht aus, es nicht vor Ablauf von mindestens achtundvierzig Stunden wieder einzuschalten.

Was immer passiert, passiert eben. Und kann warten.

Zach Knight von Saturday ist offiziell abgemeldet bis zu Angels Party.

Angels Party ist, in einem Wort: übertrieben.

Wie sich herausstellt, hat er das mit den Pfauen ernst gemeint. Mir sind jetzt schon mehrere über den Weg gelaufen. Über den Weg stolziert, muss man wohl sagen. Tierpfleger*innen in grünen Overalls führen sie an der Leine herum. Also, ja. Übertrieben ist das passende Wort dafür. Die Feier findet am Ufer eines großen Sees statt, und vor dem Gebäude mit Tanzfläche und Bar haben sie allen Ernstes einen halben Jahrmarkt errichtet. Mit Buden und Akrobaten und allem. Ja, auch zwei Fahrgeschäfte: eine Piratenschiffschaukel und so ein Drehding, das sich überschlägt. Und, natürlich, eine Riesenhüpfburg.

Für wen? Weiß der Himmel.

So hoffnungslos drüber diese Location auch ist, ich muss dennoch lächeln. Das Ganze ist so Angel. Außerdem sind zwar jede Menge Gäste da, aber ausschließlich solche, die dazugehören. Weder Presse noch Fans. Und um die Location herum halten Sicherheitsleute Wache. Also darf ich hier ausnahmsweise mal aufatmen. Zumindest, was meine Sicherheit anbelangt.

Ich stehe neben Jon auf dem Parkplatz, wo wir das Spektakel aus sicherer Entfernung betrachten. Jon hat ein hautenges Shirt an, ich was Schwarzes, sodass wir sogar hier unserer Marke entsprechen. Er zieht sein Handy hervor und tippt auf dem Display herum. Schon klar, ihn können solche Feiern nicht mehr beeindrucken. Mein aufregendster Kindergeburtstag hingegen war eine Party bei McDonald’s, und so ab zwölf, dreizehn habe ich mich dann ganz gegen eine Party und für mehr Geschenke entschieden. Jon, Ruben und Angel können das nicht nachvollziehen. Vor allem Rubens und Jons Eltern waren schon immer reich, da hat Saturdays Durchbruch gar keinen großen Unterschied mehr gemacht. Nur für mich waren Partys wie diese hier mal gänzlich außer Reichweite.

Ist vielleicht rührselig, aber ich wünschte, Mom könnte das sehen.

Heute früh musste ich mich von ihr verabschieden. Ich beiße mir auf die Lippe. Jetzt nicht traurig sein. Heute Abend will ich mich amüsieren, also Schluss damit, bevor ich mich noch reinsteigere. Es ist nur … Es ist nur so: Ich war doch gerade erst angekommen.

»Sind das Feuerschlucker?«, fragt Jon und zeigt auf zwei muskulöse eingeölte Typen oben ohne mit Fackeln.

Der jüngere hat ein Tattoo seitlich am Oberkörper, aber ich kann es mir nicht genauer ansehen, ohne zu glotzen, und dann würde ich einen halb nackten Kerl anglotzen. Muss so ein Boyband-Ding sein, keine Ahnung, jedenfalls gelte ich, wie auch der Rest von Saturday, gerüchteweise als schwul. Bei Ruben stimmt es zwar, aber das wissen diejenigen nicht, die solche Gerüchte verbreiten, und die Leute sind ständig auf der Suche nach irgendwelchen ›Beweisen‹. Ich finde dieses Gemunkel so was von übergriffig und unangebracht, und ich hasse es, dass ich mich deswegen fragen muss, ob ich mir das Tattoo eines Typen angucken darf.

»Tja, das sind entweder Feuerschlucker«, sage ich zu Jon, ziehe eine Braue hoch und lege den Kopf schief. »Oder schlechte Stripper.«

Jon scheints spannend zu finden, also gehen wir hin und gesellen uns zu den Partygästen, die einen Kreis um die beiden Akrobaten gebildet haben. Ich erkenne ein paar Jetzt-noch-B-aber-bald-schon-A-Promis, diverse supererfolgreiche Instagramer*innen, und, oh mein Gott, da ist Randy Kehoe, Leadsänger von Falling for Alice. Er trägt Lederhandschuhe und ein Totenkopf-Shirt mit gruselig echt wirkenden Blutflecken. Seine Haare sind kaugummirosa gefärbt, passend zum Cover des neuesten Falling-for-Alice-Albums, in das ich regelrecht verknallt bin. Wie gern würde ich jetzt zu ihm rübergehen und zum überschwänglichen Fan mutieren, aber heute Abend sind wir alle außer Dienst. Niemand hier möchte belagert werden.

Eigentlich würde ich Randy ja echt gern um Rat für meine Songtexte fragen, aber allein bei dem Gedanken werde ich rot. Er ist ein Textgenie, ich singe vorgestanzte Zuckerwattezeilen über Mädchen, die es nicht gibt. Warum sollte so jemand mit mir übers Songschreiben quatschen wollen?

Die Feuerschlucker zeigen ihre nächste Nummer, bei der sie ihre Fackeln irre schnell durch die Luft wirbeln. Ich spüre die Hitze auf meinem Gesicht, während sie sich völlig synchron an mir vorbei bewegen. Der Tattootyp hat dunkelbraune Haare und hohe Wangenknochen. Er sieht echt gut aus. Jetzt halten er und sein Kollege die Fackeln an den Mund und spucken eine Flüssigkeit hinein. Flammen schießen empor. Es sieht original so aus, als würden die beiden Feuer atmen.

Die Umstehenden jubeln und klatschen.

Ach, drauf gepfiffen, ich riskiere einen Blick. Das Tattoo ist ein Drache mit langem, geschupptem Schwanz, der auf der Hüfte des Typen endet.

Ha. Irgendwie ziemlich cool. Ich speichere die Idee für später einmal, wenn mir endlich all die Tattoos erlaubt sind, die ich mir schon seit Jahren stechen lassen will. Speichere sie für ein Ich, das mit seiner eigenen Haut machen kann, was es will, ohne zuerst ein Management-Team um Erlaubnis zu fragen.

Jon und ich gehen weiter und steuern das Gebäude an. Vor dem Eingang steht Geoff Braxton mit einem Glas Champagner in der Hand. Gerade ist niemand bei ihm, was eine Seltenheit ist. Jon, Ruben, Angel und ich werden ja schon oft genug belagert, aber bei Geoff ist das noch mal eine ganz andere Hausnummer. Geoff erweckt Superstars zum Leben. Er macht dich reicher und berühmter, als du es dir je hättest träumen lassen. Für alle, die es in der Musikbranche zu was bringen wollen, ist Geoff ein Gott.

»Geh hin und sag Hallo.« Jon stupst mich an. »Frag ihn, ob er Rückmeldung von Galactic hat, was deine Songs angeht.«

»Meinst du? Ich –«

»Na los!«

Jon schubst mich in die Richtung, und ich schlucke schwer, bevor ich auf seinen Vater zugehe. Jons Mutter ist Schwarz, sein Vater so weiß, wie man nur sein kann, und schon etwas in die Jahre gekommen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er seine Haare inzwischen färbt. Was sein schicker Anzug gekostet hat, will ich gar nicht wissen, tippe aber auf eine obszön hohe Summe.

»Hallo, Geoff«, sage ich, strecke die Hand aus, und er drückt sie mit einem professionell-perfekten Lächeln. Das bedeutet wohl, er gewährt mir eine Minute. Wollte er sich länger mit mir unterhalten, würde er mich in die Arme schließen wie einen lang vermissten Busenfreund.

»Gefällt dir die Feier?«, frage ich.

»Sehr.« Er guckt. »Aber deine Miene sieht nicht nach Smalltalk aus. Geschäftliches also?«

»Ja.«

»Deine Prioritäten gefallen mir.« Wir gehen ein paar Schritte weiter zu einem ruhigeren Fleckchen.

Mir klopft das Herz bis zum Hals. Wie gesagt, ich will mir nicht zu große Hoffnungen machen, aber wenn ihm auch nur einer meiner Songs gefallen hat, wäre das schon riesig.

»Und?«, frage ich. Geoff weiß genau, was ich meine.

»Ich fand sie gut. Galactic hat sie aber leider abgelehnt. Sie fanden sie zwar auch gut, nur sind sie einfach nicht für Saturday geeignet, verstehst du?«

Ich senke den Kopf und bringe es nicht über mich, Geoff in die Augen zu sehen. »Oh. Ach so.«

»Aber bleib dran, du hast es definitiv drauf, und es wäre doch super, wenn wir dich beim nächsten Album als Co-Texter nennen könnten.«

»Ja?«

»Schreib uns einen Saturday-Song, Zach. Schieb mal beiseite, was dir gefällt. Was gefällt Galactic? Galactic ist Popmusik. Was für einen Song würdest du im Einkaufszentrum hören, oder im Supermarkt?«

Ich schlinge die Arme um mich und versuche, nicht zu weinen. Das hier ist nicht persönlich gemeint. Auch wenn es sich wie was sehr Persönliches anfühlt – ich habe so viel von mir selbst in diese Songs hineingeschrieben! –, das hier ist Geschäft. Trotzdem: Supermarktgedudel? Nichts von dem, was ich je geschrieben habe, würde dafür taugen.

»Cool, okay«, sage ich. »Dann gehe ich das Ganze noch mal anders an.«

»Super. Gutes Gespräch. Viel Spaß auf der Party!«

»Danke. Okay.« Mir bricht die Stimme. Verdammt. »Popmusik also, ist notiert.«

»Freu mich schon drauf.«

Mit hängenden Schultern trete ich den Rückzug an. Geoff würde mir nie ins Gesicht sagen, dass meine Texte scheiße sind, aber wie soll ich das sonst auffassen? Ich versuche es wegzuschieben. Schon okay. Singe ich halt weiter Zuckerwatte statt ausnahmsweise mal über irgendwas, das eine Bedeutung für mich hat. Ist schließlich ein Job, mehr nicht. In welcher Welt darf man im Job tun, was einem gefällt?

Ich trotte nach drinnen. Wo es so schummrig ist wie in einem Nachtclub. Blaue Laser durchschneiden das Halbdunkel, und die Musik wummert dermaßen, dass ich den Bass unter meinen Füßen spüre. Neben dem DJ-Pult steht, ohne Witz, ein riesiger brüllender Löwe aus Eis. Und was ist das da hinten? Ah, logisch, ein mobiles Tattoo-Studio. Eine junge Kundin lässt sich – ich kneife die Augen zusammen – ERTAPPT auf den Arm stechen. In Großbuchstaben.

Am anderen Ende des Raumes entdecke ich Ruben. Lässig lehnt er an der Wand und sieht in Sweater und Wollmantel unverschämt cool aus. Er könnte Model sein, sagen die Fans ständig, und ich muss ihnen zustimmen. Perfekt unperfekter schwarzer Lockenschopf, markante Kinnpartie. Und während ich, um heiß statt süß zu sein, Muskeltraining brauche, ist Ruben auch so schon längst heiß. Was ihm bewusst ist, wie ich stark vermute.

Gerade unterhält er sich mit der Reinkarnation eines griechischen Gottes. Der Adonis lacht und legt Ruben kurz eine Hand auf die Schulter. Bei dem Anblick sticht es mich in der Magengrube. Dass Ruben schwul ist, ist noch nicht öffentlich, und selbst auf einer Privatparty wie hier will ich ihm jetzt am liebsten sagen, er soll sich nicht ganz so auffällig verhalten. Dafür, dass er so schlau ist, kann er manchmal ganz schön dumm sein, besonders wenn es um heiße Typen geht. Schon klar, mich machen Mädchen ja auch dumm, aber meine Dummheit hat weitaus weniger das Potenzial, weltweite Schlagzeilen hervorzurufen.

Jon taucht neben mir auf. »Hey«, ruft er über die Musik hinweg. »Hast du Angel gesehen?«

Ich schüttle den Kopf. »Noch nicht.«

»Verflixt«, macht er und runzelt die Stirn. »Er ist nicht aufzutreiben.«

»Oh, scheiße. Okay, ich schreibe ihm.« Mit so was ist nicht zu spaßen. Angel hat von uns vieren schon immer am wildesten gefeiert, noch dazu ist er inzwischen auf Stärkeres als Alkohol umgestiegen. Er hat einen ganz neuen Bekanntenkreis, der ihn mit allem versorgt, was er will. Ich verstehe also, warum Jon so guckt, wie er guckt.

»Geschrieben hab ich ihm auch schon«, sagt er. »Aber nur zu.«

Hi, gerade angekommen. Wo steckst du?

Angel schreibt, steht erst da, dann verschwindet es wieder.

»Er ist bei Bewusstsein«, sage ich zu Jon.

»Immerhin etwas.«

Jon lässt den Blick über die Menge schweifen. Ich erkenne ein paar Leute, deren berühmte Gesichter sekundenweise im Halbdunkel auftauchen. Die meisten von ihnen schwanken schon jetzt bedenklich oder reiben sich in Kombinationen aneinander, die einem Klatschblattredakteur das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen würden.

»Wo ist Ruben?«, ruft Jon.

»Er unterhält sich mit irgendeinem Typen. Da, an der …« Ich unterbreche mich, weil Ruben und sein Adonis den Platz an der Wand verlassen haben. Und ich versuche, nicht darüber nachzudenken, was sie jetzt stattdessen tun.

Jon sieht mich verwundert an.

»Ähm, zumindest standen sie da, als ich reinkam. Sie schienen sich gut zu verstehen.«

Jon presst sich die Faust an die Stirn. »Würdest du Ruben suchen und ihn fragen, ob er Angel gesehen hat? Ich halte solange hier die Augen offen. Und schreib mir, ob Ruben was weiß.«

»Okay.«

Ich verlasse die Tanzfläche und gehe zurück auf den Minijahrmarkt. Jede Wette, dass Ruben sich hier mit seinem Adonis rumtreibt. Bleibt nur zu hoffen, dass sie sich nicht allzu offensichtlich benehmen.

Ich schüttle den Kopf. Was Ruben macht, ist seine Sache.

Wäre er doch nur bitte etwas vorsichtiger. Jeder konnte ihn sehen. Wenn es mir aufgefallen ist, dann bestimmt auch anderen.

Als ich Ruben allerdings vor der Schiffschaukel entdecke, ist der griechische Gott nicht länger bei ihm. Ruben ist allein und wirkt gehetzt, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Ein Mädchen ruft seinen Namen, aber er winkt ihr nur und geht weiter, lässt sie geknickt stehen.

Ich gehe ihm nach.

Am Seeufer, ein gutes Stück von der Party entfernt, bleibt er stehen und hebt einen Stein auf. Er lässt ihn springen, und der Stein hüpft so weit übers Wasser, dass ich ihn aus den Augen verliere.

Ich stelle mich an Rubens Seite und blicke mich um. Niemand sonst in der Nähe. Nur er und ich, vor uns der See, hinter uns die Neonlichter und die dumpfen Klänge der Party.

Mir fällt auf, dass Rubens Augen feucht glänzen. Sofort ist Angel vergessen.

»Alles okay?«, frage ich.

Ruben zuckt die Schultern. »Ich bin … Egal. Schönes Hemd.«

»Danke, ähm, schöner Sweater«, erwidere ich stockend.

Er hebt einen weiteren Stein auf und wirft. Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen und stelle mich noch etwas näher neben ihn. Normalerweise lasse ich es ihm durchgehen, wenn er auf Smalltalk umschwenkt. Aber irgendwas ist doch los, und es hat mit diesem Typen von eben zu tun, das spüre ich. Wenn ich das in Ordnung bringen will, müssen wir auf den Punkt kommen.

»War was mit dem Typen eben?«, frage ich. »Willst du drüber reden?«

»Ähm. Nein. Eigentlich nicht.«

Ich hebe ebenfalls einen Stein auf und lasse ihn springen. Er ditscht nur einmal auf, dann versinkt er. Während der Ferien im Hollow-Rock-Musik-Camp, wo Saturday seinen Anfang nahm, konnte ich das echt gut, bin aber wohl außer Übung.

»Es war so«, fängt Ruben an, und ich muss lächeln, weil er noch nie der Schweigsame war. Keine fünf Sekunden hat er durchgehalten, bis er es nun doch ausspuckt: »Ich hab mich mit dem unterhalten, und es lief gut. So richtig gut, weißt du?«

»Mh-hm.«

»Aber dann fragt er auf einmal, ob ich mir nicht seine Demo-CD anhören und sie, falls sie mir gefällt, an Galactic weiterleiten will.«

»Oh, fuck.«

Ruben schenkt mir ein schmales Lächeln. »Ja. Fuck.«

»Tut mir echt leid.«

»Komm schon. Was kannst du dafür?« Er lässt noch einen Stein springen. »Mir tuts leid, dass ich so schlecht drauf bin. Ich hatte wirklich gedacht, er würde mich um meiner selbst willen mögen, weißt du?«

Seine Miene bricht mir das Herz.

Ruben ist der freundlichste, gutherzigste Mensch auf der Welt. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen scheint er ein Magnet für Typen zu sein, die ihn bloß ausnutzen wollen. Dabei ist er doch heiß. Und witzig. Und cool! Der komplette Hattrick im Grunde. Und doch behandeln die Kerle ihn ständig wie Müll. Eines Tages, sage ich mir, eines Tages wird jemand zu schätzen wissen, was für ein Traummann er ist. Ist nur eine Frage der Zeit.

Hoffentlich aber bald. Ruben so zu sehen, macht mich fertig.

»In zehn Minuten drüber weg«, sagt er und zeigt auf sich. »Nur einen Augenblick noch. Geh ruhig vor.«

»Nein, schon okay.«

»Sicher? Du verpasst ›das großartigste Event unseres Lebens‹!«

Ich lächle.

Denn, mal im Ernst? Ich weiß, dass ich genau da bin, wo ich sein will.

3.

Ruben

Zach harrt bei mir aus, während ich mich am Seeufer langsam wieder einkriege. Ich wollte nicht mitten auf Angels Party einen Wutanfall bekommen und bin einerseits sauer auf mich, dass ich Zach mit reingezogen habe, aber hauptsächlich froh, dass er hier ist.

Eine Medaille, zwei Seiten.

Ach, es kotzt mich einfach so an, dass dieser Typ mich nur ausnutzen wollte. Ein Typ, der rückblickend wahrscheinlich eh hetero war – so für die Extraportion Demütigung. Als Einzelfall wäre das ja schon schlimm genug, für mich aber ist es keiner. Erinnern wir uns an Christopher Madden, den Schauspieler, der mich monatelang hat glauben lassen, er würde auf mich stehen, nur um dann, als ihm das Ganze wohl doch nicht geheuer war, Stein und Bein zu schwören, er sei hetero. Sei schon immer hetero gewesen. Wenn das stimmt, hat er seinen Oscar aus gutem Grund bekommen. Wenn das stimmt, war ich nur ein Experiment für ihn. Ich bin aber kein Experiment und auch keine Tür zu Galactic Records. Ich bin ein menschliches Wesen, verdammt noch mal.

Normalerweise kann ich solche Sachen einfach beiseiteschieben, aber heute bin ich im Grunde ein Kleinkind, das keinen Mittagsschlaf gekriegt hat. Statt nämlich während der vier Tage Pause wie erhofft zu verschnaufen und neue Kräfte zu tanken, bin ich nach der Zeit mit Mom und Dad noch ausgelaugter als vorher. Hätte ich eigentlich wissen müssen, aber die lange Abwesenheit hat meiner Erinnerung wohl die rosarote Brille aufgesetzt. Schon interessant, was einem das Hirn manchmal für Streiche spielt.

Kräfte tanken, die Seele baumeln lassen – so etwas gibt es in meiner Familie nicht. So etwas gilt als Zeitverschwendung. Und, hey, jetzt stehe ich hier, bin Mitglied einer der momentan berühmtesten Bands der Welt. Vielleicht also liegen Mom und Dad nicht ganz falsch. Vielleicht wäre ich ohne sie nicht so weit gekommen. Vielleicht brauche ich ihre ständigen Hinweise, ihre scharfkantigen Ratschläge, ihre endlose quälende Krittelei.

Fröstelnd schiebe ich die Hände in die Manteltaschen und gebe mir einen Ruck. »Wir sollten zurück zur Party, bevor Angel noch einen Suchtrupp losschickt.«

»Tatsächlich ist es Angel, den Jon und ich suchen.«

»Was?« Eine Bö durchfährt mich, und ich presse in der Märzkälte die Arme enger an den Körper.

»Hast du ihn gesehen?«, fragt Zach. »Dir ist doch bestimmt was aufgefallen.«

»Als ich ankam, konnte ich ihn nicht finden, aber ich dachte, er wird in einem der Fahrgeschäfte sitzen oder so. Und dann hat dieser Typ mich abgelenkt. Warum hast du mir nicht gleich gesagt, dass Angel verschwunden ist?«

»Er ist nicht verschwunden«, wiegelt Zach ab. »Und ich wollte es dir sagen, aber du warst so niedergeschlagen wegen … na ja.«

Ich stöhne frustriert. »Ach, scheiß auf diesen wimpernklimpernden Hetero«, stoße ich hervor. »Wir müssen Angel finden. Komm.«

»Ja, scheiß auf Heteros«, echot Zach. Um mich zum Lachen zu bringen, schätze ich, aber stattdessen erinnert er mich bloß aufs Neue daran: Ich muss diese plötzliche In-Zach-Verknalltheit loswerden, und zwar besser gestern als heute.

»War nicht böse gemeint«, sage ich.

»Soso«, macht er und sieht mich an »Hey, Ruben, beruhig dich. Angel wird schon irgendwo sein. Bestimmt hat Jon ihn längst gefunden.«

Meine Sorge steht mir wohl ins Gesicht geschrieben. Und Zach hat recht. Er hat absolut recht. Kein Grund zur Panik. Aber Angel hat es vor allem in der zweiten Hälfte unserer US-Tournee schon ein paarmal ziemlich übertrieben. So was passiert eben früher oder später, schätze ich, wenn man folgende Zutaten mixt: Erschöpfung, Narrenfreiheit, schier unbegrenzter Reichtum und zig Celebrity-Connections, die wiederum ihre Erschöpfung oder einfach ihre Langeweile mit allen möglichen Pillen und Pülverchen vertreiben. Was mich zu dem Gedanken führt: Heute ist Angels großer Abend, er wird von ebendiesen Connections umringt sein, und sie werden ihm Geschenke mitgebracht haben. Ist es da wirklich paranoid, sichergehen zu wollen, dass zumindest einer der Gäste ihn wohlauf gesehen hat in diesem Irrsinn von einer Feier? Wenn er nicht bewusstlos über der Kloschüssel hängt, muss ihn jemand gesehen haben, schließlich ist Angel selbst an seinen entspanntesten Tagen unübersehbar.

Während der letzten halben Stunde hat die Party sogar noch mehr an Fahrt aufgenommen, jetzt wo alle Gäste, auch die schick verspäteten, eingetrudelt sind. Ich umschiffe einen Pfau und scanne die Menschenmenge. »Siehst du immerhin Jon irgendwo?«, frage ich Zach.