Kein bisschen verliebt - Sophie Gonzales - E-Book

Kein bisschen verliebt E-Book

Sophie Gonzales

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Beschreibung

Sie sind nicht hier, um Freundinnen zu finden, aber vielleicht, um sich zu verlieben ...

Als die 18-jährige Maya eine Einladung zu »Second Chance Romance« erhält, könnte sie nicht uninteressierter sein. Denn in dieser Realityshow soll ihr fremdgehender, aber leider mittlerweile berühmter Ex-Freund Jordy seine ehemaligen Freundinnen daten. Doch dann wird Maya klar, dass die Show die perfekte Gelegenheit ist, um sich an Jordy zu rächen. Am Set angekommen sieht sie sich aber schnell mit unerwarteten Problemen konfrontiert: Neben diversen Hinterhältigkeiten, Streitereien und Jordy selbst gibt es da noch Skye – das Mädchen, mit dem Jordy sie betrogen hat. Skye, die unerwartet nett und charismatisch ist, und zu der sich Maya schnell hingezogen fühlt. Während sich die Show ihrem Finale nähert, muss sich Maya entscheiden: Bleibt sie ihrem Plan treu oder weicht sie vom Drehbuch ab?

Eine wunderbar witzige und warmherzige queere Enemies-to-Lovers-Geschichte von Bestsellerautorin Sophie Gonzales.

Weitere Romane von Sophie Gonzales bei cbj & cbt:
Nur fast am Boden zerstört
Mein fast perfekter Sommer (E-Only)
Theoretisch perfekt

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Seitenzahl: 550

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Aus dem Englischen

von Doris Attwood

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Erstmals als cbt Taschenbuch Februar 2024

© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Copyright © 2022 by Sophie Gonzales

Published by arrangement with St. Martin’s Publishing Group.

All rights reserved.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Never Ever Getting Back Together« bei Wednesday Books, an imprint of St. Martin’s Publishing Group, New York

Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

Aus dem Englischen von Doris Attwood

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München, unter Verwendung mehrerer Bilder von © iStockphoto (kameshkova, seamartini, Valentina Sheboltaeva, panic_attack)

sh · Herstellung: AW

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-30031-9V001

www.cbj-verlag.de

Für Sarah

1

Maya

Der Typ neben mir an der Bar grinst mich auf diese spezielle Art an, so als wären wir total vertraut, als würde er all meine Geheimnisse kennen, mich aber trotzdem mögen. Es ist ein bisschen verstörend, vor allem, weil ich mir verdammt sicher bin, ihn in meinem ganzen Leben noch nie gesehen zu haben, und ich kann mir Gesichter richtig gut merken. Trotzdem muss ich ihm eins lassen: Es ist die Art von Grinsen, mit der er sein Gegenüber sofort für sich einnehmen könnte, sofern er oder sie in der Lage ist, einem Typen mit charismatischem Lächeln einfach blind zu vertrauen.

Wirklich ein Jammer, dass ich selbst nicht zu diesen Leuten gehöre.

Rein zufällig will ich aber was von ihm, deshalb imitiere ich sein seidig-weiches Lächeln schamlos und warte ab. »Ich hab schon die ganze Zeit über was nachgedacht«, bricht er nach ein paar Sekunden das Eis, wobei er beinahe schreien muss, um die Musik zu übertönen: ein basslastiger Remix irgendeines Popsongs, zig Dezibel zu laut.

»Und was wäre das?« Ich richte den Blick beim Sprechen auf den Barkeeper, der jedoch gerade jemand anders bedient. Es wird noch eine Weile dauern.

Gut.

»Was glaubst du, warum irgendwer irgendwann mal beschlossen hat, dass die leckersten Cocktails auf der Karte Frauendrinks sind? Was macht ein Getränk überhaupt zu einem Frauen- oder einem Männerdrink? Es ist ein einfach nur ein Drink.«

Filme und Fernsehserien haben mich zwar gelehrt, mich für Typen zu wappnen, die mir an Bartheken beim Flirten irgendwelche Fragen stellen, aber das hier hatte ich nicht unbedingt erwartet. Was natürlich auch daran liegen könnte, dass sich diese Bartheken für gewöhnlich in exklusiven Clubs oder geradezu obszön teuren Restaurants befinden. Wenn man hingegen an der Bar in einer recht skurrilen Bowlinghalle mit Neonbowlingkugeln steht, in der die Tische mit Zeitungsausschnitten verschiedener Hunde dekoriert sind und der Spezialdrink des Hauses in einer Suppenschüssel serviert wird, muss man vielleicht damit rechnen, dass es insgesamt ein bisschen unkonventioneller zugeht. Inklusive Anmachsprüche und allem anderen.

»Sexismus, vermutlich?«, erwidere ich mit einem Schulterzucken.

»Na ja, sicher, so viel steht fest. Aber es ist auch klar, dass sich das keine Frau ausgedacht hat, also warum haben wir Kerle uns damit selbst ins Bein geschossen? Männer können Kaffee trinken, ohne schief angeguckt zu werden, aber ich würde jede Wette eingehen, wenn ich mit einem Espresso Martini an unseren Tisch zurückkäme, dürfte ich mir von meinen Freunden definitiv allen möglichen Scheiß anhören. Definitiv«, wiederholt er mit Nachdruck und knallt eine Faust auf die Bar. Der Barkeeper wirft ihm einen genervten Blick zu und er zieht seine Hand hastig wieder zurück.

Dass sich irgendwelche Typen wegen irgendeiner bescheuerten Kleinigkeit einander gegenüber wie Arschlöcher verhalten, ist nicht unbedingt eine Überraschung. Trotzdem bin ich ein bisschen verdutzt, dass er beschlossen hat, diese wahllose Tatsache mit mir zu teilen. »Wen interessiert’s? Ist dein männliches Ego wirklich so fragil?«

Da ist es wieder, dieses einnehmende Grinsen. »Ich weiß, wie arm das klingt, aber ja: Unglücklicherweise ist es das. Und ich arbeite daran. Aber nicht heute.«

Und dann macht es endlich klick. »Na, wie es der Zufall so will, bin ich mit einem ganzen Tisch voller Mädels hier, die sich bestimmt freuen würden, wenn du dich zu ihnen gesellst und in aller Ruhe deinen Espresso Martini trinkst. Vollkommen urteilsfrei.«

»Na, also, das«, erwidert er, »ist ein wirklich interessantes Angebot.«

Er sagt es, als hätte ich ihm komplett aus dem Blauen heraus einen geradezu genialen Vorschlag unterbreitet und als hätte er definitiv auf gar keinen Fall überhaupt nur davon angefangen, um unsere Unterhaltung an einen Punkt zu lenken, an dem er mir einen Drink spendiert. Scheint mir persönlich jedenfalls verflucht viel Aufwand zu sein, wenn ich auch Ja gesagt hätte, wenn er mich einfach – na, ich weiß auch nicht – gefragt hätte, ob ich einen Drink will, aber wenn er meint. Warum einfach, wenn’s auch umständlich geht? »Okay, wie klingt das?«, fährt er fort. »Ich bestelle einen Espresso Martini und was immer du gern hättest, als kleines Dankeschön für dein nettes Angebot, und dann stellst du mich deinem Tisch voller urteilsfreier Freundinnen vor?«

Ich tue so, als würde ich darüber nachdenken, während der Barkeeper den anderen Gast abkassiert. Schließlich nicke ich. »Okay, klingt gut. Dann einen Espresso Martini und einen Pink Passion Crush. Danke.«

Kurz darauf folgt mir der Typ, nachdem er sich mir als Andre vorgestellt hat, mit beiden Getränken in den Händen zu unserem Tisch. »Hier, nimm deinen Drink ruhig schon, wenn du willst«, bietet er mir das Glas an.

»Oh, der ist nicht für mich«, erwidere ich.

Andre verliert an Tempo, während er um die Tische voller Bowlingbahngäste navigiert, die rosa Getränke aus Suppenschüsseln schlürfen. »Und für wen hab ich dann grade einen Drink gekauft?«

»Du«, antworte ich, »hast gerade meiner Schwester einen Drink zu ihrem zwanzigsten Geburtstag spendiert. Sehr ritterlich von dir. Wir sitzen da drüben.«

Wir erreichen den Tisch meiner Schwester, Rosie. Also, genau genommen sind es zwei zusammengeschobene Tische, damit wir alle neun daran Platz haben. Rosie wirft mir sichtlich beeindruckt einen anerkennenden Blick zu. Kinderspiel, versichere ich ihr stumm.

Sie war diejenige, die Andre vorhin beim Bowlen ein paar Bahnen weiter mit seinen Freunden entdeckt hat. Und sie war auch nicht unbedingt subtil, als sie allen in Hörweite verkündet hat, sie würde ein Verbrechen begehen, um seine Nummer zu kriegen. Nachdem wir unser Spiel beendet hatten, sind wir in den Gastrobereich umgezogen, den wahren Anziehungspunkt für Rosie hier in der Bowlinghalle: sehr instagramtaugliche Mocktails und blumige Wände, perfekt für hübsche Fotos. Andre und seine Freunde haben dasselbe getan, sich allerdings auf der anderen Seite des Raums niedergelassen.

Als wir bemerkt haben, dass sich Andre auf den Weg zur Bar machte, kam unser Tisch – natürlich – zu dem Schluss, wir bräuchten jemanden, der Rosie Starthilfe gibt, wobei – ebenso selbstverständlich – ich mich für diese Aufgabe freiwillig melden musste. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in mehreren Staaten gegen das Gesetz verstößt, der eigenen Schwester an ihrem Geburtstag einen Gefallen abzuschlagen. Oder vielleicht ist es auch eher so ein Mafiading. Wie dem auch sei, ich dachte mir, sofern er Single ist und auf Frauen steht, könnte ich ihn bestimmt davon überzeugen, meiner wunderschönen, ungebundenen Schwester zum Geburtstag zu gratulieren. Mission erfüllt. Mehr oder weniger.

»Rosie.« Ich setze mich auf meinen Platz neben ihr. »Das ist Andre. Er hat dir einen Geburtstagsdrink mitgebracht.«

»Das ist so nett, vielen Dank«, sagt Rosie zu ihm, während ihn die anderen Mädels am Tisch unschuldig-freundlich anlächeln, so als hätten wir das Ganze nicht von langer Hand geplant.

Meine beste Freundin, Olivia, lädt ihn winkend ein, sich zu setzen. »Na, sie kann an ihrem Geburtstag schließlich nicht allein trinken, richtig?«

Andre blickt zwischen Rosie und mir hin und her, bevor er sich einen Stuhl von einem freien Tisch in der Nähe schnappt und ihn neben Rosie stellt. Falls er überrascht ist, dass er jetzt neben meiner Schwester sitzt anstatt neben mir, scheint er definitiv nicht unglücklich darüber zu sein. Und das sollte er auch nicht. Wenn er mich fragt, hat er mit Rosie den Jackpot gewonnen.

»Wie machst du das nur?«, fragt Olivia mich leise. »Ich könnte das niemals.«

Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. An meiner atemberaubenden Schönheit kann’s nicht liegen, die hast du schließlich auch.«

»Wohl wahr.«

Ich widme mich meinem Mango-Litschi-Mocktail, der zum Glück in einem hohen Glas und nicht in einer Schüssel serviert wird. »Ich rede einfach mit ihnen. Es sind nur Typen, die schüchtern mich nicht ein.«

»Dann schüchtern dich also nur Frauen ein?«, neckt Olivia mich.

»Nur zu, mach ruhig Witze. Aber es stimmt. Ich könnte nie einfach so ein hübsches Mädchen anquatschen. Vorher würde ich sterben.«

»Siehst du und genauso geht’s mir bei Männern.«

Ihr Lächeln verblasst und sie zieht die Stirn in Falten, während sie irgendetwas über meinem Kopf betrachtet. Ich folge ihrem Blick zu dem über einem Bogen aus pastellfarbenen Krepppapierblumen hängenden Fernseher hinter mir an der Wand.

Die Bildunterschrift lautet: Bruder von Prinzessin Samantha von Chalonne, Jordy Miller, liest Waisenkindern vor. Er schenkt Süßigkeiten und Hoffnung. Auf dem Bildschirm ist Jordy Miller höchstpersönlich zu sehen, vor einem Waisenhaus in Chalonne, wo ihm eine riesige Dankeskarte von besagten Waisenkindern überreicht wird, während er eine Hand auf seine Brust drückt, als würde ihm gleich das Herz explodieren.

Dieses gottverdammte Arschloch.

Ein paar der anderen sehen es auch, einschließlich Rosie und Andre. Andre reagiert als Erster auf unser hypnotisiertes Starren, fröhlich seinen Martini schwenkend. »Ha, ich war mit ihm befreundet, als er noch hier gewohnt hat«, sagt er, sein Tonfall mehr als nur ein bisschen angeberisch. »Ich war einer seiner besten Freunde.«

»Ehrlich?«, frage ich verwirrt. »Sind wir uns schon mal begegnet?«

Wie ich schon sagte: Ich bin mir sicher, dass ich sein Gesicht noch nie vorher gesehen habe, deshalb bin ich wirklich verblüfft, das zu hören.

Jetzt ist er an der Reihe, verdutzt dreinzuschauen. »Warum sollten wir?«

»Ähm.« Rosie lacht. »Weil Maya mit ihm zusammen war, für ungefähr ein Jahr?«

Andre betrachtet mein Gesicht mit bohrendem Blick, als würde er versuchen, mich einzuordnen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was als Nächstes kommt.

Drei, zwei …

»Moment. Moment, Moment, Moment. Du bist doch nicht die, die total durchgedreht ist, als er umgezogen ist, oder?«

Eins.

Ein paar der Mädels am Tisch buhen ihn aus.

»Bitte, tu das nicht«, warnt Rosie ihn.

»Wir haben dich zu uns an den Tisch eingeladen«, fügt Olivia mit finsterer Miene hinzu.

Andre blickt uns der Reihe nach verwirrt an. »Okay, okay. Wie’s scheint, steckt noch mehr hinter dieser Geschichte?«

Ich starre in mein Glas, zähle die Eiswürfel und wünsche mir plötzlich wirklich, ich hätte mich nicht freiwillig als verfluchte Starthelferin gemeldet.

»Er ist ein betrügerischer Mistkerl«, sagt Olivia. »Und wenn du Maya noch mal als verrückt bezeichnest, dann landet dieser Martini über deinem Kopf, bevor du auch nur die Chance hast, mich aufzuhalten.«

»Jordy?«, fragt Andre skeptisch und hebt die Hände. »Ich meine, unser Jordy Miller? Der Kindern vorliest, für wohltätige Zwecke spendet und den Feminismus praktisch erfunden hat? Dieser Jordy?«

Sind wirklich haufenweise Eiswürfel in diesem Glas.

Olivia gibt nicht klein bei. »Er war mit Maya zusammen, er ist nach Kanada gezogen, er hat Maya zwei Monate lang betrogen, und als Maya es rausgefunden hat, hat er Schluss gemacht. Nicht sicher, welcher Teil davon der feministische ist. Oder vielleicht solltest nur noch mal nachlesen, was das Wort bedeutet.«

»Nein, schon okay. Ich meine, ich hab zwar eine etwas andere Geschichte gehört, aber ich versteh dich schon. Manchmal werden solche Sachen ziemlich verdreht.«

Das Problem ist: Er sagt zwar das Richtige, aber ich kann an seinem Tonfall hören, dass er es nicht glaubt. Ich hab in den letzten ein oder zwei Jahren nämlich etwas über andere gelernt. Selbst wenn sie sich für rational und fair halten, glauben sie für gewöhnlich die Geschichte, die sie zuerst hören. Schon mal den Satz gehört: »Angriff ist die beste Verteidigung«? Das hier ist ein Paradebeispiel dafür. Die Person, die ihre Version der Ereignisse als Erstes verkünden kann, ist auch die Person, die die Geschichtsbücher schreiben darf. Geschichte zu schreiben, ist einfach. Sie neu zu schreiben, ist die wirklich harte Aufgabe.

Zu meinem Pech hat Jordy es geschafft, seine Version der Ereignisse zu verbreiten, bevor ich überhaupt wusste, dass ein Wettlauf stattfindet. In Jordys Erzählung hat er sich tränenreich von mir getrennt, als er ins Ausland ziehen musste, und mir erklärt, er würde mich niemals vergessen – was ich angeblich so verstanden habe, als wären wir immer noch zusammen, obwohl Jordy sich mit sehr deutlichen Worten von mir getrennt hatte. Kurz darauf habe ich dann eine Freundin in Kanada darauf angesetzt, ihn zu stalken, und dann vor Eifersucht einen richtigen Tobsuchtsanfall hingelegt, als sie mir berichtete, er hätte eine neue Freundin, und ihn außerdem vollkommen grundlos beschuldigt, er hätte mich betrogen.

Für Jordy ist diese Version der Geschichte super. Er steht darin schließlich besser als gut dar. Da Vinci höchstpersönlich hätte kein schöneres Bild zeichnen können.

Ein Jammer, dass das alles totaler Bullshit ist.

Andres Freunde dürften sich inzwischen wundern, wo er abgeblieben ist, aber es scheint ihn nicht sonderlich zu kümmern, dass er sie einfach hat sitzen lassen. Auch ein Jammer.

Rosie, die nicht mehr allzu begeistert darüber zu sein scheint, dass er bei uns am Tisch sitzt, bemerkt meinen Ausdruck und schreitet zur Tat, indem sie das Thema wechselt. Sie ist und bleibt eben die verdammt noch mal beste Schwester ever. »Dann warst du also auf der Sigmund High?«, fragt sie Andre.

Während er ihr antwortet, lehnt sich Olivia zu mir. »Hey. Alles okay?«

Ich richte mich auf, ein Lächeln im Gesicht. »Mhm. Ich bin dran gewöhnt.«

Jordy ist inzwischen vom Bildschirm verschwunden, aber ich kann immer noch sein Gesicht sehen, wie er vor dem Waisenhaus posiert. Wie er die Moderatorin anlächelt, so wie er mich immer angelächelt hat. Als wäre sie der interessanteste Mensch der Welt.

Gott, bei diesem Blick hatte ich immer das Gefühl, mir würde gleich das Herz in der Brust explodieren.

Ich frage mich, wie viele andere sich genauso fühlen, wenn Jordy Miller ihnen vom Bildschirm zulächelt. Oder aus Zeitschriften. Oder von den Postern an ihren Wänden.

Wie viele von ihnen sehen seine Hülle und glauben, sie wüssten, was sich unter all diesen Schichten aus Charme verbirgt? Und was würden sie sagen, wenn sie es tatsächlich herausfinden würden?

Olivia bedenkt mich mit einem skeptischen Blick, und ich will ihr gerade versichern, dass es mir wirklich gut geht – in diesem schrillen Tonfall, der jeden sofort davon überzeugt, dass man überhaupt nicht defensiv ist –, als mein Handy klingelt. Gerade noch gerettet. »Sorry, warte kurz«, sage ich und halte mir das Handy ans Ohr. »Hallo?«

»Hi, ist da Maya Bailey?«

»Höchstpersönlich.«

»Hier ist hiesgwendbushmin prombacksie …«

Ich stehe auf. »Sorry, Moment kurz, ich kann Sie nicht richtig hören. Ich geh nur kurz nach draußen. Warten Sie … ganz … okay.« Ich schließe die Glastür hinter mir und lasse mich auf eine Bank auf dem Parkplatz plumpsen. »Tut mir leid, hi. Wer ist da, bitte?«

»Gwendolyn Bushman, von Bushman and Siegal Productions. Ich rufe an, weil ich glaube, dir eine spannende Gelegenheit bieten zu können, die du dir bestimmt nicht entgehen lassen willst.«

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie von dieser Produktionsfirma gehört und bin mir ziemlich sicher, dass ich hier eine Trickbetrügerin an der Strippe habe. Sie wird mich jeden Moment nach meinen Kreditkartendetails fragen, richtig?

»Entschuldigung, aber woher haben Sie meine Nummer?«, frage ich und mein Finger schwebt bereits über dem »Anruf beenden«-Button.

»Von Jordy Miller.«

Wenn ich nicht bereits sitzen würde, wäre ich vor Schreck umgefallen. »Jordy?«

»Ja. Unsere Firma hat einige der erfolgreichsten Realityshows der letzten Jahre produziert. Hast du schon mal von Nerds im Urwald, DatesohneKoffein und VomSchmuddelbad zum Luxus-Spa gehört?«

»Wer hat das nicht?«

»Sind alle von uns. Dieses Jahr starten wir ein superaufregendes neues Projekt, eine Show mit dem Titel Second Chance Romance. In jeder Staffel geht es um eine bestimmte Kandidatin oder einen Kandidaten sowie einige Ex-Freundinnen und/oder -Freunde. Sie treffen sich bei Dates wieder, um herauszufinden, ob der Funke, der das Feuer zwischen ihnen beim ersten Mal entfacht hat, womöglich doch noch nicht ganz erloschen ist, nun, da beide Seiten ein wenig älter und reifer sind. Wir sind total begeistert, dass wir in diesem Jahr Jordy als unseren allerersten Kandidaten verpflichten konnten!«

Ich nehme mir einen Moment Zeit, um das sacken zu lassen. »Jordy Miller macht bei einer Realityshow mit?«, frage ich schließlich.

»Ja. Und wir hoffen, du auch?«

Ich blicke instinktiv nach drinnen, wo ich den Tisch mit all meinen Freundinnen sehen kann. Ich verspüre plötzlich den gewaltigen Drang, zu ihnen zu stürmen, um ihnen zu befehlen, mich unter einem Berg aus ihren Körpern zu begraben und mit ihrem vereinten Gewicht die blanke Wut aus mir rauszuquetschen, die in mir zu brodeln begonnen hat. »Sie wollen, dass ich Jordy Miller noch mal date? Vor laufenden Kameras?«

»Ja. Wir drehen die Sendung in Loreux, in Chalonne, und du wirst in einer wunderschönen Villa am See wohnen, die ist wirklich ein Traum. Für dein leibliches Wohl ist natürlich auch gesorgt und du bekommst eine kleine Aufwandsentschädigung für deine Teilnahme …«

»Hören Sie, ich habe keine Ahnung, warum Jordy mich vorgeschlagen hat«, unterbreche ich sie, »aber ich bin nicht interessiert und das sollte er eigentlich wissen.«

»Ich weiß, dass man oft dieses Gefühl hat, wenn eine Beziehung nicht funktioniert hat. Aber die Sache ist: Ihr habt euch damals durch irgendetwas zueinander hingezogen gefühlt. Wenn Leute erwachsen werden, verändern sie sich für gewöhnlich zum Besseren. Die Chancen stehen gut, dass er dieses gewisse Etwas immer noch hat, während die Differenzen, die es zwischen euch gab …«

»Ich möchte mich an dieser Stelle absolut klar und deutlich ausdrücken, Gwendolyn: Ich würde lieber von den Eingeweiden der Hölle verschlungen werden und mich irgendwie mit dem gefallenen Engel Luzifer arrangieren, als je wieder mit Jordy Miller auszugehen.«

Gwendolyns überraschtes Schweigen zieht sich so sehr in die Länge, dass ich beinahe in die Stille lache. »Der gefallene Engel Luzifer ist der Teufel«, erwidert sie schließlich, als würde sie glauben, ich hätte eben eine Kleinigkeit verwechselt.

»Ja, Gwendolyn.«

»Willst du mir ernsthaft erzählen, du würdest lieber mit Satan ausgehen als mit Jordy?«

»Ich will damit sagen, ich würde eher in einer Realityshow mit dem Prinzen der Finsternis höchstpersönlich auftreten, Gwendolyn, ja.«

»Das ist eine verdammt krasse Meinung.«

»Eine höllisch krasse Meinung erscheint mir hier eigentlich noch treffender.«

Mir gefällt unser lustiges Geplänkel, aber Gwendolyn lacht nicht. »Wie wär’s, wenn ich dir noch ein bisschen Zeit gebe, um darüber nachzudenken?«

»Das würde ich lieber nicht.«

»Gibst du mir deine Mailadresse? Ich könnte dir ein Infopaket schicken. Es ist wirklich toll, wir haben eine kleine PowerPoint…«

»Satan höchstpersönlich, Gwendolyn.«

»Dann halte ich dich erst mal als ›vielleicht‹ fest.«

»Bitte nicht.«

»Es war toll, mit dir zu plaudern, Maya! Ich hoffe, wir sehen uns bald im wunderschönen Chalonne. Die Dreharbeiten beginnen übrigens in zwei Monaten.«

»Das könnte mich wirklich nicht noch weniger interessieren, Gwendolyn.«

Sie lacht furchtbar schrill. »Okay, mach’s gut.«

»Sie auch, Gwendolyn.«

Ich lege auf, sitze dann gut fünf Minuten einfach nur da und starre ins Nichts, mein Kopf komplett leer.

Schließlich bricht sich doch ein Gedanke Bahn und schreit Zeter und Mordio in meinem armen Hirn.

Ich wollte nie wieder irgendwas mit ihm zu tun haben!

Es ist ein verzweifelter Gedanke, schmerzend und wuterfüllt und erschöpft, alles auf einmal. Aber ich verdränge all diese Emotionen, weil ich das hier verdammt noch mal im Keim ersticken werde, bevor es sich zu irgendetwas auswachsen kann, weil ich dann nämlich überhaupt nichts fühlen muss.

Ich werde bei dieser Show verflucht noch mal nicht mitmachen. Auf gar keinen Fall. Unter überhaupt keinen Umständen.

Noch nicht mal, wenn sie mir eine Million Dollar zahlen würden.

Na ja, ehrlich gesagt, für eine Million Dollar vielleicht doch. Aber Gwendolyn hat nichts von einer Million Dollar gesagt und das hätte sie wahrscheinlich getan, wenn es relevant gewesen wäre, denn Geld wäre weiß Gott ein deutlich überzeugenderes Argument als die Aussicht, von Jordy Miller umgarnt, verarscht und gegaslightet zu werden.

Mal wieder.

Deshalb gehe ich völlig ruhig und unbeeindruckt und total lässig wieder nach drinnen, lasse mich superbeiläufig wieder neben Olivia nieder und lächle, als hätte ich überhaupt keine Sorgen. Weil ich die auch nicht habe. Mir geht’s gut. Mir geht’s verdammt noch mal gut.

Olivia schaut mich nur an und runzelt die Stirn. »Süße? Was ist los?«, fragt sie. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

2

Maya

Rosie und ich blicken starr vor Schock auf mein Smartphone, das beim Frühstück auf dem Küchentisch vibriert.

Mom, völlig ahnungslos, macht sich ihren zweiten Kaffee an diesem Morgen. »Möchte sonst noch jemand einen, wo ich grade stehe?«, fragt sie.

Sie bekommt allerdings keine Antwort. Weil mich jemand namens WAGEESJANICHTIHMZUSCHREIBENDUVERDAMMTEMASOCHISTINanruft, auch wenn Rosie und ich ganz genau wissen, wer zur Hölle das ist, weshalb dies jetzt nicht der richtige Moment für Kaffee ist.

Der Name ist ein Überbleibsel von vor Ewigkeiten, als ich nach unserer Trennung ziemlich labil war und Olivia Jordys Kontakt hilfreicherweise geändert hat, als kleine Erinnerungsstütze.

Und kotzt mich verdammt noch mal an, weil ich jetzt das Gefühl habe, ich würde Ärger mit meinem eigenen Handy kriegen.

Und das ist echt nicht fair, weil Jordy gerade mich anruft, nicht andersrum. Trotzdem kommt mir der aufleuchtende Name eher wie eine Anklage als eine Benachrichtigung vor.

Versagerin!

Versagerin!

Versagerin, die es verdient hat, dass man ihr noch mal das Herz bricht, schließlich ist und bleibt sie eine gottverdammte willensschwache

Versagerin!

»Lass es klingeln«, sagt Rosie.

»Wer ist es denn?«, will Mom wissen. Oh, gut, sie hat endlich unsere vor unvorstellbarem Entsetzen verzerrten Mienen bemerkt.

»Jordy«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Jordy?«, wiederholt Mom. »Geh ran und stell auf Lautsprecher, dann lehre ich ihn das Fürchten.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe und greife nach dem Smartphone, ziehe meine Hand im letzten Moment aber wieder zurück. »Ich bin ihm kein Nein schuldig.«

»Definitiv nicht«, stimmt Rosie mir zu.

»Ehrlich, ich kann nicht fassen, dass er denkt, ich würde das Ganze auch nur in Betracht ziehen«, grummle ich.

»Er ist ein Narzisst«, erwidert Rosie. »Wahrscheinlich findet er überhaupt nicht, er hätte irgendwas falsch gemacht. Vermutlich denkt er sogar, er würde dir einen Gefallen tun, indem er es dir erlaubt, dich im Glanz seiner Großartigkeit zu sonnen.«

»Maya, lass mich mit ihm reden«, beharrt Mom.

Ich schaue wieder auf mein Handy, zögere. Dann wird der Bildschirm dunkel und nimmt mir die Entscheidung ab.

»Gut«, sage ich barsch. »Hoffentlich war das sein letzter Versuch.«

»Dein Verlust«, findet Mom. »Ich hab einen richtig guten Vortrag in petto. Ich arbeite inzwischen seit zwei Jahren daran.«

Rosie betrachtet stirnrunzelnd mein Gesicht. »Ist alles okay, Maya? Wenn du jemanden brauchst, der ihm sagt, dass er dich in Ruhe lassen soll …«

Ich winke ab. »Nee, schon okay. Ehrlich. Irgendwann werden sie es alle aufgeben.«

»Sag ihnen die halbe Wahrheit«, schlägt Mom vor und gießt ein wenig Milch in ihren Kaffee. »Du gehst demnächst aufs College.«

Hmm. Ich würde damit gern vor Jordy angeben, und sei es nur, um seine Reaktion zu sehen.

»Äh, genau genommen«, sage ich mit einem Mund voll Müsli, »würden die Dreharbeiten enden, bevor das College anfängt.«

Wie Gwendolyn mich diese Woche bereits dreimal per E-Mail erinnert hat, um mich förmlich anzuflehen, es mir doch noch anders zu überlegen.

»Aber es sind nicht nur die Dreharbeiten, richtig?«, fragt Mom, während sie umrührt. »Da wären auch noch Interviews und Fotoshootings und wildfremde Leute würden dich erkennen und … und du hättest all diese Karrieremöglichkeiten.«

»Pseudo-Karrieremöglichkeiten!«, korrigiert Rosie sie trocken.

»Ich hab gesehen, wie das bei diesen Reality-Mädels läuft«, erwidert Mom. »Sie kriegen alle ihre eigene Radiosendung. Du bist noch viel zu jung, um überhaupt zu wissen, ob du dir die Verantwortung für eine eigene Radiosendung aufhalsen willst, Maya.«

»Das spielt keine Rolle, weil ich es nicht tun werde«, sage ich.

»Gut. Du kannst dir in deinem ersten Jahr keine Ablenkungen leisten. Der beste Weg, dich an diesem Jungen zu rächen, ist es, erfolgreich zu sein, weißt du?«

Rosie lehnt sich auf den Tisch. »Ich würde behaupten, in deinem ersten Jahr kannst du dir Ablenkungen noch am ehesten leisten. Ich bin mir ziemlich sicher, die meisten Leute in meinem Semester haben letztes Jahr mehr Zeit auf Partys als mit Lernen verbracht.«

»Das ist was anderes«, entgegnet Mom. »Maya geht auf die University of Connecticut.«

Ihre Augen weiten sich und sie wirft Rosie einen hastigen Blick zu, sobald die Worte ihre Lippen verlassen haben. Ich senke den Kopf, starre in mein Müsli und wappne mich innerlich. Drei, zwei …

»Im Gegensatz zu mir?«, fragt Rosie eisig.

»Nein, Rosebud …«

»Du kannst mich wegen der Uni nicht mal eine Minute in Ruhe lassen, oder? Mein Studium ist auch hart, okay?«

»Na ja, du warst diejenige, die behauptet hat, ihre Kommilitonen wären ständig besoffen, nicht ich«, verteidigt sich Mom und hebt die Hände.

»Mom, wir sind Collegestudenten. Collegestudenten feiern. Und ich kann dir versichern, sie feiern an der UConn genauso viel.«

»Okay, okay.«

»Nein, nicht okay, weil mir diese Bemerkung von wegen Radiosendung definitiv nicht entgangen ist.«

Ich stehe auf und stelle eilig meine Schüssel in die Spülmaschine, den Blick gesenkt. Wenn ich sie nicht anschaue, können sie mich nicht sehen, und wenn sie mich nicht sehen können, können sie mich da nicht mit reinziehen.

»Wie, jetzt kann ich noch nicht mal mehr übers Radio reden, ohne dass du darin wieder irgendeine Beleidigung erkennst?«

»Du wolltest damit sagen, manche Berufe sind nicht so gut wie andere, hab ich recht?«

»Schatz«, erwidert Mom mit zusammengebissenen Zähnen, »ich bin sehr stolz auf dich, was immer du auch tust. Aber ich habe mich mit zwei Jobs abgerackert, um euch Mädchen aufs College zu bringen, damit ihr irgendwann mal ein anständiges Gehalt verdient und für eure eigenen Kinder nicht genauso schuften müsst! Maya versteht das.«

Oh, das ist mein Stichwort. Ich schnappe mir mein Handy und setze mich wieder an den Tisch, wo ich mich darauf konzentriere, eifrig zu scrollen. Ich genieße es nicht unbedingt, mir anzuhören, wie die zwei sich streiten, aber ich weiß, wie sie sind, und sie brauchen eine Zeugin, die eingreifen kann, falls es zu persönlich wird. Um ihrer beider willen.

»Na, vielleicht will ich ja ins Radio!«, sagt Rosie.

Mom knallt die Hände auf die Tischplatte der Kücheninsel. »Seit wann?«

»Seit gerade eben. Bei dir klang es einfach zu verlockend.«

Mein Handy brummt und bei dem plötzlichen Geräusch drehen die beiden den Kopf zu mir um. Wenigstens ist es diesmal nicht Jordy. Nur eine weitere E-Mail von Gwendolyn. Ich winke ab: Hier gibt’s nichts zu sehen, macht ruhig weiter.

»Ich werde nach dem College einen Job finden, Mom«, seufzt Rosie. »Er wird mich vielleicht nicht zur Millionärin machen, aber das werde ich schon irgendwie überleben. Mach dir um mich keine Sorgen, okay?«

Ich öffne die E-Mail und finde im Anhang eine Slideshow. Gott Allmächtiger, diese Frau gibt einfach nicht auf, oder? Ich klicke darauf, um die Datei zu öffnen.

»Ich mache mir aber Sorgen. Ich mache mir immer Sorgen um meine Mädchen. Und ich werde erst aufhören, mir Sorgen zu machen, wenn ich alt und grau bin und im Sterben liege. Das ist mein Job.«

Die Slideshow ist auf meinem Handy schlecht zu sehen – der untere Rand ist abgeschnitten. Dafür brauche ich einen Laptop. Ich stehe auf, um zu gehen, und weder Mom noch Rosie scheinen zu bemerken, dass ich mich bewege.

»Mir geht’s bestens. Maya geht’s bestens. Du musst uns vertrauen, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen.«

Ich bin zu weit weg, um Moms Reaktion zu hören. In meinem Zimmer setze ich mich an meinen Schreibtisch und rufe die Slideshow erneut auf.

Die Präsentation beginnt mit einer von Blumen übersäten Titelseite mit animiertem Glitzer und den Worten Second Chance Romance: Handbuch für die Ex.

Ich klicke darauf.

Herzlichen Glückwunsch! Du wurdest eingeladen, bei der aufregendsten neuen Show des Senders PN mitzuwirken: SECONDCHANCEROMANCE. Wenn du diese Einladung erhalten hast, wurde einer deiner Ex-Freunde in dieser Staffel als »Entdecker« ausgewählt – und hofft, jeden Zentimeter von dir noch einmal ganz neu entdecken zu dürfen!

Heilige verfluchte Scheiße, was zur Hölle ist das denn bitte?

Wenige Sekunden später platzt Rosie, ohne anzuklopfen, in mein Zimmer, wirft sich kopfüber auf mein Bett und schreit in mein Kopfkissen. Ich sehe ihr geduldig zu, bis sie schließlich so erschöpft ist, dass sie mit einem Auge zu mir hochlinst. »Ich komme nie wieder zu Besuch nach Hause«, verkündet sie. »Das ist zu gefährlich für alle Beteiligten. Eines Tages werde ich sie erdrosseln, und dann werden wir sehen, wie es um meine berufliche Zukunft wirklich bestellt ist.« Sie rollt sich zur Seite und bemerkt meinen Laptop. »Was ist das?«

Ich setze mich zu ihr aufs Bett und sie überfliegt mit ungläubiger Miene den Bildschirm. Ich klicke auf die nächste Folie.

Also, worum geht es bei dieser Show?, fragt die Überschrift.

Schön, dass du fragst, antwortet das nächste Bild selbst.

Oh, sehr hilfreich.

SECONDCHANCEROMANCE folgt einem auserwählten Entdecker, der aufs Neue mit einer auserlesenen Gruppe seiner Ex-Freundinnen ausgeht, um der Verbindung nachzuspüren, die einst zwischen ihnen bestanden hat, und diejenige unter ihnen zu entdecken, die er womöglich niemals hätte ziehen lassen sollen. Wir von SECONDCHANCEROMANCEglauben, man verliebt sich aus einem ganz bestimmten Grund. Statistiken belegen, dass sich die Dinge, die bei den meisten Paaren zu einer Trennung führen – Meinungsverschiedenheiten, Unvereinbarkeiten, Ortswechsel – mit genügend räumlichem und zeitlichem Abstand für gewöhnlich von selbst erledigen, weil wir als Individuen weiterwachsen und uns verändern. Unsere wundervollen Eigenschaften hingegen, dank der sich andere überhaupt erst in uns verlieben? Sie verändern sich nie!

»Quellenangabe fehlt«, murmle ich und Rosie lacht schnaubend.

Klingt unglaublich! Wer ist in dieser Staffel der Entdecker?

Die nächste Folie ist ein Porträtfoto von Jordy. Ein neueres, da bin ich mir ziemlich sicher, denn sein früher halblanges, welliges braunes Haar ist kurz und adrett geschnitten und der untere Schneidezahn, an dem ihm früher ein winziges Stück gefehlt hat, scheint wieder heil. Er lächelt mit perfekten Lachfalten in die Kamera, als hätte er gerade den lustigsten Witz der Welt gerissen.

Er sieht aus wie ein Märchenprinz.

Na, wenn das kein Witz ist.

Der Entdecker in dieser Staffel ist Jordy Miller! Jordy ist zwanzig Jahre alt, unglaublich attraktiv und charismatisch und der jüngere Bruder von Prinzessin Samantha von Chalonne. Bei der Hochzeit seiner Schwester mit Kronprinz Florian von Loreux flogen Jordy die Herzen der Menschen in Chalonne – und im Rest der Welt – nur so zu und er hat diese Herzen bis heute sicher verwahrt. Obwohl er dank seiner royalen Verbindungen zu Weltruhm gelangte, konnte sich Jordy als Wohltäter und Frauenschwarm schnell selbst einen Namen machen. Im vergangenen Jahr erhielt er die Königliche Ehrenmedaille für Herausragende Humanitäre Dienste, nachdem er im Alleingang genügend Spenden sammelte, um das Alphabetisierungsprogramm in allen staatlichen Schulen in Chalonne von Grund auf zu überholen. Möglicherweise noch bemerkenswerter ist jedoch, dass er im vergangenen Monat vom Magazin Opulent Condition auf Platz acht der sexyesten Männer der Welt gewählt wurde!

Doch auch wenn er unbestreitbar zu Europas begehrtesten Junggesellen gehört, musste Jordy erkennen, dass Ruhm, Reichtum und Privilegien nicht immer halten, was sie versprechen. Obwohl er einen Großteil seiner Zeit der Aufgabe widmet, bedürftigen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, ist auch ihm persönlich – genau wie den Kindern, die er so selbstlos aus den Fängen der Obdachlosigkeit und des Analphabetismus rettet – Leid nicht fremd. Es macht ihn traurig, dass es, obwohl er die freie Auswahl hat, wenn es um schöne Frauen geht, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ihn zu heiraten …

»Oh, was für ein Bullshit«, sagt Rosie und schüttelt den Kopf. Ich bringe sie mit einem Zischen zum Schweigen.

… praktisch unmöglich für ihn ist, zu wissen, wann ihre Gefühle wirklich aufrichtig sind und wann er nur einer Betrügerin zum Opfer fällt, die auf seine Kosten skrupellos nach Ruhm und Wohlstand greift. Im Gegensatz zu den bedürftigen Kindern von Chalonne eilte jedoch niemand zu Jordys Rettung, um sein Leid zu lindern. Bis SECONDCHANCEROMANCE auf den Plan trat. Nun bekommt dieser begehrte Junggeselle die Möglichkeit, seine Verbindung zu seinen Ex-Freundinnen – dich eingeschlossen! – noch einmal neu zu erforschen und seine Wahl unter jenen Frauen zu treffen, die ihn schon vor dem Rest der Welt liebten.

Und du selbst? Du kannst Jordy in aller Ruhe neu kennenlernen, fernab der Millionen von wunderschönen, talentierten, anziehenden Frauen, die dir sonst Konkurrenz machen würden. Bei SECONDCHANCEROMANCE sind die anderen Frauen, mit denen Jordy schon einmal zusammen war, deine einzigen Widersacherinnen! Deine Chancen stehen also nicht schlecht!

Entsetzt nehme ich mir eine Sekunde Zeit, um eine Hand auf meinen Mund zu pressen, bevor ich weiterklicke.

Wie gewinne ich das Herz des Entdeckers?

Das liegt ganz bei dir und geht uns nichts an! Die Gewinnerin der Gruppenchallenge wird jeweils mit einem Date mit Jordy belohnt. Du siehst ihn aber nicht nur bei den wöchentlichen Gruppenchallenges, sondern auch bei unserem Spezialevent, der Notte Infinita, bei der du zusammen mit Jordy und den anderen noch verbliebenen Ex-Freundinnen eine kleine Party feierst.

Wo wird die Show gedreht?

Direkt vor den Toren von Chalonnes malerischer Hauptstadt Loreux. Du wirst mit den anderen Ex-Freundinnen in unserer Villa am See wohnen. Hier schon mal ein Foto davon, was dich dort erwartet (Anm. d. Red.: Tatsächliche Villa kann abweichen).

Unter dem Text ist ein ziemlich verpixeltes Foto einer an Beverly Hills erinnernden Villa zu sehen, bei Nacht und orange beleuchtet. Ich bin mir zu ungefähr neunundneunzig Prozent sicher, dass sie einfach Villa gegoogelt und das erste Foto genommen haben.

Obwohl, jetzt bin ich doch neugierig. Wenige Sekunden später stelle ich fest, dass ich mich geirrt habe.

Es ist das sechste Foto. Mein Fehler.

Muss ich für irgendwas bezahlen?

Für dein leibliches Wohl ist natürlich gesorgt. Außerdem werden deine Fix- und Mietkosten zu Hause von uns übernommen, solange du in Chalonne bist. Und du musst dir selbstverständlich auch keine Gedanken wegen deiner An- und Abreise machen: Wir fliegen dich nach Loreux und schicken dich wieder genau dorthin zurück, wo du hergekommen bist, sobald du fertig bist!

»Das klingt mir doch unnötig aggressiv«, findet Rosie und zieht die Knie an die Brust.

Bekomme ich eine Aufwandsentschädigung für meine Zeit bei der Show?

Ja! All unsere Teilnehmer:innen werden in Erinnerungen, Spaß und, mit ein wenig Glück, einer ordentlichen Portion Romantik bezahlt! Wie könnte man der Chance, die wahre Liebe zu finden, überhaupt einen Wert beimessen? Sie ist wertlos!

»Ich glaube, sie meinen ›unbezahlbar‹«, flüstert Rosie mir extralaut zu.

»Entweder das, oder sie kennen Jordy mittlerweile selbst«, scherze ich.

Wie lange werde ich in der Show dabei sein?

Die Entscheidung, wie lange du in unserer Villa bleibst, liegt allein bei unserem Entdecker. Du nimmst jede Woche an der Notte-Infinita-Party teil, bei der du deine letzte Chance nutzen kannst, den Entdecker zu befriedigen …

Entschuldigung, um bitte was zu tun?

… bevor er seine Entscheidung trifft. Es besteht bei jeder Notte Infinita die Möglichkeit, dass du die Villa verlassen musst. Am Ende der sechsten Woche trifft der Entdecker dann seine endgültige Wahl aus den Verbliebenen. Alle Verliererinnen, die zu diesem Zeitpunkt noch in der Villa wohnen, müssen auch nach der letzten Entscheidung in vorab organisierten Unterkünften in Loreux bleiben, bis in der siebten Woche die große Liveshow Full Circle stattfindet, in der sie dem glücklichen Paar dann zujubeln!

»Oh, nein«, murmle ich. »Das ist echt das Letzte. Das ist … Ich meine, das ist echt das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Ist das nicht das Schlimmste …«

»›Verliererinnen‹«, presst Rosie mit fiepsender Stimme und hilflosem Gelächter hervor. »›Tut uns leid, Jordy hat dich nicht ausgewählt, du jämmerliche Verliererin. Zeit, dich zusammen mit den anderen Verliererinnen ins Hotel der Schmach in Quarantäne zu schicken, wo ihr euch gegenseitig stärken könnt, indem ihr die Tränen der anderen trinkt, während Jordy mit dem Mädchen rummacht, das ihn befriedigt hat.‹«

»Gott sei Dank fürs College, oder?«, erwidere ich und kann fast nicht mehr vor hysterischem Glucksen.

Rosie versucht, ihren eigenen Lachanfall in den Griff zu kriegen, indem sie tief durchatmet. Als sie sich wieder gefangen hat, schüttelt sie den Kopf. »Maya, wer wird diese armen Mädchen beschützen, wenn du da nicht hingehst?«

Ich lache nicht mehr, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob sie immer noch Witze macht. »Wie jetzt, in Undercovermission? Ich geh da rein und vereitle Jordys Pläne von drinnen?«

Rosie nickt, erst langsam, dann schneller – wie ein frisch angeschubster Wackeldackel. »Na ja, das könntest du.« Meine Augenbrauen schießen nach oben, aber das ermutigt sie allem Anschein nach nur noch mehr. »Du könntest die Geschichte neu schreiben. Keine Waisenkinder mehr, keine … gottverdammten Hundewelpen, Süßigkeiten oder Sixpacks. Ausnahmsweise stündest du mal vor der Kamera. Du könntest ihn total bloßstellen, Maya. Der ganzen Welt zeigen, wer er wirklich ist.«

Vielleicht hat mich das viele Lachen ja in eine Art Rausch versetzt. »Du meinst, ich könnte vor den Kameras meine Seite der Geschichte schildern? Die ganze Sache richtigstellen, ein für alle Mal?«

»Ja! Oder du tauschst dich mit den anderen Mädels aus und ihr konfrontiert ihn gemeinsam. Du kannst unmöglich die Einzige sein, die er so behandelt hat. Da gehe ich jede Wette ein.«

»Oder«, erwidere ich langsam, als eine Idee in meinem Kopf Gestalt annimmt, »ich könnte diejenige sein, die ihn befriedigt.«

»Igitt, Maya.«

»Rosie, o mein Gott, nein. Ich meinte, ich könnte ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Dafür sorgen, dass er sich wieder in mich verliebt. Es bis ins Finale schaffen …«

Rosie setzt sich auf, als es endlich klick macht. »Und dem Arsch dann live im Fernsehen eine Abfuhr erteilen.«

»Ganz genau.«

»Du könntest eine richtige Rede halten«, fügt Rosie hinzu. »Ich meine, über alles, was er dir je angetan hat. Und über alles, was du währenddessen noch so rausfindest. Denn du wirst definitiv was rausfinden. Jede Menge.«

»Ich würde Gwendolyn die Show ihres Lebens verschaffen«, überlege ich laut. »Es wäre das dramatischste Finale, das das Reality-TV, ach, was sage ich, die Welt je gesehen hat.«

Und damit ist die Sache beschlossen. Ich springe vom Bett und schnappe mir mein Handy vom Schreibtisch. »Ich rufe ihn zurück.«

»Du machst das wirklich?«, fragt Rosie mit leuchtenden Augen.

»Ich mache das wirklich.«

»Du rufst Jordy an, sagst ihm, du bist bei der Show dabei, marschierst dann nach unten und verkündest Mom, was Sache ist?«

»Ich rufe Jordy an, sage ihm, ich bin bei der Show dabei und verkünde Mom ein andermal, was Sache ist, wenn ich den nötigen Mut aufbringe und sie besser gelaunt ist.«

»Fast dasselbe!«

Ich öffne meine Anrufliste, doch bevor ich mich wirklich in die Sache reinstürzen kann, verzieht Rosie das Gesicht. Ich kenne diesen Blick. »Äh, aber … sei vorsichtig, okay?«

Ich schnaube verächtlich. »Was soll er schon machen? Mir noch mal das Herz brechen? Als ob er das könnte.«

»Vorsichtig mit … allem, meine ich. Wir sprechen hier schließlich vom Fernsehen – alles, was passiert, passiert öffentlich.«

»Äh, ja, ist das nicht genau der Punkt?«

Rosie zuckt mit einer Schulter. »Ich mein ja nur. Was immer du auch sagst oder tust, alle werden es wissen. Und die Leute lieben Jordy. Es wird ihnen vielleicht nicht gefallen, dass ihn jemand im Fernsehen schlechtmacht.«

»Okay, vielleicht mache ich ihn dann gar nicht schlecht? Vielleicht sorge ich nur dafür, dass sie den wahren Jordy sehen? Entzünde das Streichholz und sehe zu, wie er sich selbst in Flammen aufgehen lässt.«

»Flammen breiten sich schnell aus.«

Ich lasse das Handy an meine Seite sinken. Sie nimmt mir irgendwie den Wind aus den Segeln. »Hast du vor einer Sekunde nicht noch versucht, mich von dieser ganzen Sache zu überzeugen?«

»Ja, aber mir ist gerade erst aufgegangen, dass du dabei verletzt werden könntest, deshalb will ich, dass du mir versprichst, vorsichtig zu sein. O nein, ich klinge schon wie Mom.«

»Ich werde vorsichtig sein. Wann immer es möglich ist.«

»Das ist nicht unbedingt superberuhigend, das ist dir schon klar, oder?«

Hämisch grinsend rufe ich WAGEESJANICHTIHMZUSCHREIBENDUVERDAMMTEMASOCHISTIN an, bevor Rosie noch mehr Gründe einfallen, warum sie plötzlich doch gegen die Idee ist.

Er geht beim zweiten Klingeln dran.

»Maya Bailey. Du rufst mich tatsächlich zurück.«

Sobald ich seine Stimme höre, bin ich wieder sechzehn Jahre alt, wahnsinnig verliebt und innerlich total zerbrochen.

Rosie funkelt mit verzerrten Lippen auf mein Smartphone. Ich versuche, durch den Wirbel der Gefühle zu atmen und mich zu fokussieren. Ich bin zumindest halbwegs erfolgreich.

»Natürlich«, erwidere ich und zwinge mich, zu lächeln. »Warum sollte ich auch nicht?«

Jordys Lachen ist ganz weich und warm und vertraut. Das Letzte. »Na, auch wieder wahr, auch wieder wahr. Ich schätze, ich hab mich wegen nichts und wieder nichts total verrückt gemacht. Es ist nur schon so lange her, dass ich mir irgendwie selbst eingeredet hab, du würdest mich jetzt vielleicht hassen oder … ich weiß auch nicht. Ich bin ein Idiot, ignorier mich einfach.«

Was man unbedingt über Jordy wissen muss, ist: Er hat einen Akzent. Es soll ein britischer Akzent sein, aber ich bin mir ziemlich sicher, er kommt dem näher, wie Amerikaner denken, dass Briten klingen, als einem tatsächlichen britischen Akzent. Sein Dad ist Engländer und Jordy hat immer darauf bestanden, er hätte sich den Akzent auf natürliche Weise angeeignet, weil er nicht nur mit seinem Vater, sondern auch mit seinen Cousins und Cousinen väterlicherseits viel Zeit verbracht hat. Unglaublicherweise redet seine Schwester Samantha jedoch ganz normal. Wirklich, was für ein rätselhaftes, ja unerklärliches Phänomen!

Oh, nein, streicht das wieder: Ich kann es euch ganz genau erklären. Jordy Miller ist – um es auf die feine britische Art zu sagen – ein verficktes Arschloch.

»Dich hassen?«, frage ich gespielt schockiert, während Rosie ein Lachen unterdrückt. »Warum sollte ich dich hassen?«

»Ich weiß, ich weiß«, erwidert Jordy. »Ist nur meine übliche Panik. Ich bin … wow. Weißt du, es ist wirklich toll, deine Stimme zu hören, Maya.«

»Was verschafft mir denn eigentlich dieses Vergnügen?«

»Maya. Willst du hier wirklich die Ahnungslose spielen? Ich glaube, da kennen wir einander besser.«

Gott, er trägt ja wirklich mächtig dick auf, was? »Ich vermute, du hast mich angerufen, um mich was zu fragen. Also, schieß los. Frag mich.«

Ein weiteres goldenes Lachen. »Okay, okay, hör auf, Zeit zu schinden, Jordy. Hab’s kapiert. Also, Gwendolyn hat mir erzählt, sie hätte vor ein paar Tagen mit dir über die Show gesprochen und du hättest ihr gesagt, du hättest wahrscheinlich zu viel zu tun, um mitzumachen.«

Ich hab so das Gefühl, die gute Gwendolyn hat meine Worte ein wenig zu frei wiedergegeben, aber sicher, von mir aus. »So was in der Art.«

»Okay. Ich verstehe das, ehrlich, und ich will wirklich nicht, dass du denkst, ich würde versuchen, dich zu irgendwas zu drängen, das du nicht tun willst. Aber die Sache ist: Ich hab echt keine Ahnung, ob ich das Ganze überhaupt durchziehen will, wenn du nicht dabei bist, Maya.«

Ich rolle mit den Augen und lege den Kopf in den Nacken. Rosie tut es mir nach.

»Komm schon, Jordy.« Ich versuche gar nicht erst, meine Skepsis dieser Antwort gegenüber zu verbergen.

»Nein, Maya, ernsthaft. Es ist … okay, das ist total peinlich, aber drauf geschissen. Als ich mich bereit erklärt habe, bei der Show mitzumachen, hab ich es vor allem getan, weil ich dachte, es könnte meine Chance sein, wieder in Ordnung zu bringen, wie das alles zwischen uns gelaufen ist.«

Seine Schauspielkünste sind phänomenal. Oscarwürdig, ehrlich. Aber das kaufe ich ihm in hundert Jahren nicht ab. »Wirklich?«

»Ja. Wenn das nicht das Schlimmste ist, was du je gehört hast, oder? Wie tief sollte ich vor Scham im Boden versinken?«

Rosie tut, als würde sie jemanden erwürgen, und ich muss mich echt beherrschen, nicht laut zu lachen. »Ich weiß nicht so recht, Jordy. Ist ziemlich weit weg.«

»Ist es. Aber für dich wäre es sicher kein Kurztrip.«

Ich schaue Rosie mit hochgezogener Augenbraue an. »Ich glaube nicht, dass du mir so was versprechen darfst.«

»Nein, darf ich auch nicht. Also verrat bloß Gwendolyn nichts.«

»Das würde mir nicht mal im Traum einfallen.«

»Ich würde dich wirklich, wirklich gerne wiedersehen, Maya. Bitte?«

»Ich dachte, du wolltest mich nicht drängen?«

»Nein. Aber von betteln hab ich nichts gesagt.«

»Okay. Dann solltest du vielleicht versuchen, noch ein bisschen engagierter zu betteln.«

»Du hast dich überhaupt nicht verändert, oder?«

Ich warte.

»Bitte, Maya. Ich flehe dich an. Bitte, zwing mich nicht, das Ganze ohne dich durchzustehen. Ich verspreche dir, es wird sich für dich lohnen. Ich garantiere dir eine echte VIP-Behandlung. Alles, was ich dir geben kann, wirst du auch bekommen. Aber, bitte. Bitte sag mir, ich hab mich nicht für nichts und wieder nichts mit dieser Sache einverstanden erklärt.«

Er ist überzeugend.

Das war er schon immer.

Das Seltsame an diesem Telefonat ist: Es erinnert mich daran, warum ich mich damals überhaupt in ihn verknallt habe. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, wütend auf mich selbst zu sein, weil ich nicht erkannt habe, wie er wirklich war, weil ich ihn beim Wort genommen habe. Aber wisst ihr, was? Es war nicht fair, mir selbst die Schuld dafür zu geben. Es gab keine Warnsignale. Nicht wirklich.

Genau das macht ihn ja so gefährlich.

»Ich schätze«, sage ich schließlich, »ich könnte noch mal einen Blick in meinen Terminkalender werfen und ein paar Sachen verschieben.«

»Warte, ernsthaft?«

»Wo du schon so nett gefragt hast.«

»Du hast mir gerade den Tag versüßt«, sagt er. »O mein Gott. Großartig.«

»Aber im Moment bin ich ehrlich gesagt ziemlich beschäftigt. Also, wenn du Gwendolyn Bescheid sagen könntest …«

»Ja, klar, ich ruf sie an. Also, du bist dabei? Das hier ist ein definitives Ja?«

»Ja, ich mache es. Warum auch nicht?« Okay. Es passiert wirklich. Jetzt gibt’s kein Zurück mehr.

Cool. Cool, cool.

H i l f e.

»Fantastisch. Das ist der Hammer. Also, jetzt freu ich mich richtig drauf.«

»Wie schön. Tut mir leid, dass ich nicht länger plaudern kann. Ich hab ein paar echt wichtige Sachen zu … sachen.«

»Nein, kein Problem, ehrlich. Wir, äh, sehen uns dann bald, okay?«

»Okay. Mach’s gut, Jordy.«

»Mach’s gut, Maya. Es war wirklich schön, mit dir zu reden. Wirklich schön.«

Rosie sieht aus, als würde sie gleich explodieren. Ich lege hastig auf, gerade noch rechtzeitig, bevor sie ein angewidertes Quäken ausstößt. »Ist das sein Ernst?«

»Alles totaler Bullshit, alles«, erwidere ich. »Er kann noch nicht mal Luft holen, ohne beim Ausatmen zu lügen.«

Sie nickt und beißt sich dann auf die Lippe. »Hey, Maya? Mir ist da was eingefallen, als du telefoniert hast.«

Oh, gut, der Tonfall klingt vielversprechend. »Ja?«

»Glaubst du, Skye wird auch dabei sein?«

Mein Siegerlächeln verblasst zu einem entsetzten Stirnrunzeln.

Scheiße. Skye hatte ich total vergessen.

ZWEI MONATE SPÄTER

3

Skye

Mein Dad sagt immer, ich wäre schon besorgt auf die Welt gekommen.

Er zeichnet gern ein Bild von mir als rotem, verschrumpeltem kleinem Neugeborenen, das mit permanent gerunzelter Stirn und misstrauischem Ausdruck auf dem Gesicht das Licht der Welt erblickte und nur für die wenigen Glücklichen lächelte, bei denen ich beschlossen hatte, dass sie mein Vertrauen verdienten. Außerdem behauptet er, ich wäre ihr entwachsen, als ich in die Schule kam. Der Reserviertheit, meine ich. Ich persönlich glaube, ich bin einfach besser darin geworden, so zu tun, als wäre ich nicht jedem gegenüber misstrauisch.

Die Leute mögen dich lieber, wenn sie deine Mauern nicht sehen können.

Hinter meine lasse ich nur sehr wenige. Meinen Dad natürlich und meine beste Freundin. Ein einziges Mal war noch jemand nahe dran. Nahe dran, aber die Mauern konnte er doch nie ganz überwinden. Und schließlich hat er meinen persönlichen Orbit, wie es die Menschen so häufig tun, genauso schnell wieder verlassen, wie er hineingeraten war.

Ich hatte ehrlich gesagt nicht erwartet, je wieder von ihm zu hören.

Und ich hatte ganz sicher nicht erwartet, mich am internationalen Flughafen von Loreux wiederzufinden und darauf zu warten, in eine Villa am See chauffiert zu werden, um eine Realityshow mit dem Einen zu drehen, den ich vielleicht nie hätten gehen lassen sollen. Nein, das entspricht definitiv nicht meinen ursprünglichen Reiseplänen – und von Plänen abzuweichen, ist äußerst untypisch für mich.

Andererseits hat Jordy Miller die Angewohnheit, unerwartete Seiten an mir zum Vorschein zu bringen.

Während ich der Menge durch einen mit grauem Teppichboden ausgelegten Korridor zur Gepäckausgabe folge, schicke ich meinem Dad und meiner besten Freundin, Chloe, eine Nachricht, um ihnen Bescheid zu sagen, dass ich demnächst handytechnisch von der Bildfläche verschwinden werde. Mein Telefon beginnt nur Sekunden später zu vibrieren.

»Hey«, sage ich zu Chloe und ergattere einen Platz mit guter Sicht auf das Gepäckband. »Warum bist du denn noch auf? Bei euch ist es doch, was, drei Uhr nachts oder so?«

Ein Mann im mittleren Alter stellt sich direkt vor mich, um auf sein Gepäck zu warten. Ich mache einen Schritt zur Seite und baue mich neben ihm wieder auf, ganz zufällig scheint er mich jedoch gar nicht zu bemerken.

»Ja, aber ich konnte nicht einschlafen, ohne mich zu verabschieden. Es war schon schlimm genug, dass wir in den letzten sechs Wochen nicht zusammen abhängen konnten, und jetzt kann ich dir noch nicht mal mehr schreiben. Ich werde dich vermissen.«

»Oooh, ich werde dich auch vermissen.« Die ersten Koffer ergießen sich auf das Band, und ich suche nach meinem Rucksack, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich an Gepäckausgaben vom Pech verfolgt bin und meiner garantiert der Letzte sein wird, falls er es überhaupt außer Landes geschafft hat. »Aber, bitte, sag mir, dass du mich nicht nur anrufst, um wieder zu versuchen, mir die Sache auszureden.«

»Warum denn nicht? Es ist noch nicht zu spät.«

»Chloe.«

»Ich verstehe nur nicht, warum ausgerechnet Jordy Miller derjenige ist, für den du deine Ein-Fehler-Regel brichst.« Ihre Stimme klettert innerhalb eines Satzes von vollkommen ruhig zu schrill. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, sie grübelt schon seit mindestens einer Stunde darüber nach.

»Ich weiß es nicht.« Ich atme laut schnaubend durch die Nase aus. »Er war beinahe was Besonderes.«

»Wow, kannst du die Leidenschaft mal ein bisschen runterdrehen, Skye? Du befindest dich schließlich in der Öffentlichkeit.«

»Ist es wirklich so schockierend, dass ich rausfinden will, was hätte sein können?«, frage ich.

»Du? Ja. Daher auch mein Dauerschock. Freut mich, dass es dir endlich auffällt.«

»Er hat aber nicht wirklich was falsch gemacht. Theoretisch könnte man argumentieren, dass er sich noch gar keinen Fehler geleistet hat.«

»Dann ignorieren wir also die Tatsache, dass er dich verlassen hat?«

»In ein anderes Land zu ziehen, kann nicht als mutwilliges Verlassen eingestuft werden, wenn du mal genau darüber nachdenkst.«

»Vielleicht nicht, aber er hat mutwillig aufgehört, mit dir zu reden.«

»Stimmt, aber ich habe auch aufgehört, mich bei ihm zu melden, deshalb muss er gedacht haben, ich wäre drüber weg. Im Prinzip war es also einvernehmlich.«

»Komisch. In meiner Erinnerung lief es ein bisschen anders ab.«

»Wollen wir unser letztes Telefonat wirklich damit verbringen, uns über Jordy Miller zu streiten?«, frage ich ein wenig genervt. Der Mann neben mir schaut mich an und zieht die Augenbrauen hoch. Ich antworte mit einem Schulterzucken, und er tut wieder so, als würde er mich gar nicht bemerken.

»Na schön. Machst du wenigstens haufenweise Fotos für mich?«

»Definitiv nicht, weil sie mein Handy konfiszieren werden.«

»Mist, stimmt ja. Amüsierst du dich dann wenigstens prächtig für mich?«

»Das lässt sich einrichten.« Ich lächle.

»Klaust du mir ein Souvenir?«

»Geht klar.«

»Irgendwas Teures?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Mach mich stolz.«

»Auf das Souvenir?«

»Nein, auf dich. Und sag Jordy, wenn er sich doch einen Fehler leistet, dann kriegt er es nach dem Dreh mit mir zu tun.«

»Ich bin mir sicher, ihm werden vor Angst die Knie schlottern.«

»Oh, das sollten sie auch.«

Mein Rucksack – ein 65-Liter-Monstrum mit limettengrünen Trageriemen – rollt in Sicht. Ich stürze vorwärts, um ihn mir zu schnappen, und mein Nachbar – der sein Gepäck immer noch nicht hat – wirft mir einen verbitterten Blick zu. Mit einem süßen Lächeln verabschiede ich mich zum letzten Mal für lange Zeit von Chloe und ziehe los, um die Person zu finden, die mich abholen soll.

Mein Flug von Zürich nach Loreux ging um 11:05 Uhr heute Morgen und ist um 11:58 Uhr gelandet. Laut dem Produzenten, der meine Reise organisiert hat, war dies jedoch keine kolossale Geldverschwendung, auch wenn man mit der Kohle hundert andere Sachen hätte machen können.

Wenigstens haben sie keinen Helikopter geschickt, um mich abzuholen, wie es der Produzent zuerst vorgeschlagen hat, als er erfahren hatte, dass ich ganz in der Nähe war. Obwohl es durchaus sein könnte, dass das reiner Sarkasmus war. Per E-Mail lässt sich das nur schwer sagen.

Ich lasse den hässlichen Teppich der Gepäckausgabe hinter mir, mische mich auf glänzend schwarzen Fliesen in eine Traube von Anzug tragenden Geschäftspendlern und steuere auf die Rolltreppe zu. Ich habe sie gerade erreicht, als mein Handy erneut in meiner Tasche vibriert, deshalb gehe ich einen Schritt beiseite, um den Anruf entgegenzunehmen.

»Hey, du.« Jordys Stimme klingt warm und freundlich, und ich kann nicht verhindern, dass ein Lächeln über meine Lippen huscht, als ich sie höre. »Willkommen in Chalonne. Du bist gerade gelandet, richtig?«

»Vor nicht mal zwanzig Minuten«, antworte ich und lehne mich mit dem Rucksack ans Geländer, um es mir für ein paar Sekunden leichter zu machen. »Ich verlasse gleich den Flughafen.«

»Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bist.« Jordy stößt ein atemloses, aufgeregtes Lachen aus. »So langsam fühlt es sich wirklich real an.«

»Ja, oder? Bist du nervös?«

»Hm. Eher freudig erregt als nervös. Ich freu mich drauf, dich zu sehen.«

Ein Flattern in der Magengegend erinnert mich daran, dass ich, im Gegensatz zu Jordy, ziemlich nervös bin. Ein Gefühl, das durch den Gedanken verschlimmert wird, dass er vielleicht gerade in einem Hotelzimmer sitzt und die Minuten zählt, bis wir uns wiedersehen.

»Aber, äh, es gibt einen Grund, warum ich dich anrufe«, fügt er hinzu. »Außer um deine Stimme zu hören, meine ich.«

Ich ziehe die Stirn in Falten und schiebe meinen Rucksack höher. »Und der wäre?«

»Ehrlich gesagt wollte ich dir eine kleine Vorabinfo zukommen lassen. Eine Warnung, wenn du so willst.«

»Du willst mich wegen irgendwas warnen, im selben Moment, in dem ich in einem fremden Land aus dem Flieger steige?«, frage ich. Falls meine Stimme ein wenig schrill klingt, dann liegt es vermutlich daran, dass mir in diesem Moment ein wenig schrill zumute ist.

»Kannst du dich noch an meine Ex-Freundin Maya erinnern?«

»Ich glaube schon. Ich erinnere mich an ihren Namen?«

»Cool, also, sie wird auch dabei sein.«

»Rein zufällig ist das nicht unbedingt ein Schock für mich, Jordy. Ich weiß, auf welche Show ich mich eingelassen habe.«

»Okay … aber ich bin mir nicht sicher, ob du weißt, worauf du dich mit Maya Bailey eingelassen hast.«

»Könntest du dich ein bisschen genauer ausdrücken, bitte?«

»Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, dass sie tatsächlich mitmacht. Ich wollte sie echt nicht hierhaben, aber die Produzenten haben darauf bestanden, weil die Show ein gewisses Drama braucht. Und Maya steht auf Drama. Außerdem hab ich Angst, sie könnte es auf dich abgesehen haben.«

»Auf mich?«, frage ich. »Ich kenne sie ja noch nicht mal.«

»Jap. Es ist … argh, es ist schwer, zu erklären. Uns verbindet eine komplizierte Geschichte. Ehrlich gesagt hab ich dir damals eine Menge Sachen nicht erzählt, weil ich dich nicht verrückt machen wollte, wenn es nicht unbedingt nötig war. Aber als du und ich zusammengekommen sind, hat Maya mich für eine Weile praktisch gestalkt.«

»Was? Was ist denn passiert?«

Jordys Tonfall klingt spöttisch. »Hast du schon mal mit jemandem Schluss gemacht, der dazu einfach Nein gesagt hat?«

»Das kann ich nicht behaupten. Ich wusste auch gar nicht, dass das eine Option ist.«

»Für Leute wie dich und mich ist es auch keine Option. Für Leute wie Maya hingegen …«

»Sie hat die Trennung nicht gut verkraftet«, vermute ich.

»Die Trennung an sich hat sie überraschend gut aufgenommen, aber im Nachhinein glaube ich, das lag nur daran, dass sie sie einfach verdrängt hat. Erst als sie erfahren hat, dass wir beide zusammen sind, wurde es ziemlich hässlich. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst, aber ehrlich gesagt war sie ein bisschen bedrohlich. Sie hat dich ein paarmal erwähnt. Und du kennst mich, ich würde niemals … einem Mädchen wehtun, weißt du? Aber ich bin sofort in volle Abwehrhaltung gegangen, als sie von dir angefangen hat, und hab ihr klargemacht, dass sie und ich richtig Ärger miteinander kriegen, falls sie sich mit dir in Verbindung setzt. Deshalb hat sie es stattdessen an mir ausgelassen. Gerüchte über mich verbreitet, mir vorgeworfen, ich hätte sie betrogen und sie emotional ausgenutzt, lauter solche Sachen. Es war echt heftig.«

»Und davon erfahre ich erst jetzt?«

Jordy seufzt. »Ich weiß. Ich weiß. Aber du und ich waren damals noch ganz frisch zusammen. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Aber ich wollte auch nicht, dass du zu dem Schluss kommst, ich wäre den ganzen Stress nicht wert. Ich hab damals gehofft, es würde irgendwann einfach aufhören, und am Ende hat es das ja auch. Sie hat sich schließlich nie bei dir gemeldet, oder?«

»Nein …«

»Eben. Aber jetzt musst du es wissen. Und, Skye, ganz ehrlich, ich bin wahrscheinlich nur paranoid. Ich hab Maya seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es immer noch auf uns abgesehen hat. Aber nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass dem doch so ist und sie für die Kameras mit irgendwelchem Scheiß anfängt, wollte ich, dass du darauf vorbereitet bist.«

»Ja, tausend Dank für die Warnung kurz vor knapp, Jordy.«

»Wie schon gesagt: Ich hätte nicht gedacht, dass sie kommt. Das schwöre ich, Skye. Ich hab auch eben erst erfahren, dass sie zugesagt hat. Ich glaube, die Produzenten haben es vor mir geheim gehalten, weil sie wussten, dass ich mich nicht wohl dabei fühle, wenn sie auch kommt. Mehr deinetwegen als wegen mir selbst. Ich komme mit allem klar, was sie mir entgegenschleudert. Aber ich habe keine Ahnung, was ich tun werde, falls sie dich ins Visier nimmt. Obwohl … Jetzt, wo ich es laut ausgesprochen habe, wird mir klar, dass die Produzenten vermutlich genau das wollen: Drama. Aber … na ja, du bist nun mal meine Schwachstelle. Daran kann ich schließlich nichts ändern, stimmt’s?«

Ich erlaube es mir nicht, in dem glücklichen Kribbeln zu schwelgen, das seine Worte in mir auslösen. »Aber was soll sie denn schon tun?«, frage ich. »Es werden die ganze Zeit Kameras auf uns gerichtet sein.«

»Und ich habe Angst, dass sie genau das ausnutzen könnte. Sie ist wütend und sie ist manipulativ. Sie kann jede noch so weit hergeholte Story wie die Wahrheit klingen lassen. Manchmal hat sie es sogar geschafft, dass ich selbst an mir zweifle, obwohl ich wusste, was passiert war. Du darfst nicht zulassen, dass sie deine Version der Wahrheit durcheinanderbringt, okay? Du weißt, was und wer du bist. Lass dir von ihr nichts anderes einreden. Wenn du dich gegen sie behauptest, kann sie die Wahrheit für die Kameras auch nicht verdrehen.«

Ich kneife die Augenbrauen zusammen. »Du machst mir ein bisschen Angst.«

»Nein, nein, Skye, keine Sorge. Wir beide werden nicht zulassen, dass sie irgendwelche Scheiße abzieht. Ich werde es nicht zulassen. Falls sie es irgendwie bei dir versucht, kommst du sofort zu mir. Ohne mich haben sie keine Show, deshalb müssen sie nach meinen Regeln spielen – und meine wichtigste Regel ist: Skye ist tabu.«

Der Knoten in meinem Magen löst sich wieder ein wenig. »Wahrscheinlich hast du recht«, sage ich. »Dass sie inzwischen drüber weg ist, meine ich. Wer ist schließlich zwei Jahre lang so nachtragend?«