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Mein fast perfekter Sommer E-Book

Sophie Gonzales

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Beschreibung

Das eine Mal, als mir die potenzielle Liebe meines Lebens am Wasserspender auflauerte

Der 17-jährige Ollie Di Fiore verbringt die Sommerferien mit seinen Eltern in North Carolina, um seiner kranken Tante unter die Arme zu greifen. Doch schon sein erster Einsatz als Babysitter für seinen kleinen Cousin und seine Cousine droht in einer Katastrophe zu enden. Rettung naht in Form von Will Tavares – gutaussehend, charmant und ein wahres Wunder im Umgang mit kleinen Kindern. Ollie ist sofort hin und weg … Aber geht es Will genauso?

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Contents

Wie das mit uns begann

Der Tag, an dem meine Cousine bei meinem ersten Babysittereinsatz einen Liter Blut verlor

Als mir die potenzielle Liebe meines Lebens am Getränkespender auflauerte

Der Nachmittag, als ich einem Fremden in den Wald folgte, ohne irgendwem zu sagen, wo ich hingehe

Als Will und ich besser in Codes kommunizierten als das FBI

Wie es mit uns weiterging

Als wir die heimliche Küsserei langsam ziemlich satthatten

Als Will das mit Tante Linda erfuhr

Der Tag, an dem wir das Haus für uns allein hatten und prompt alles kaputt machten

Wie Hayley definitiv dafür verantwortlich war, dass ich nach 2,68 Tagen einknickte

Der Nachmittag, an dem Will mich wieder in seine Sex-Festung verschleppte

Wie das mit uns endete

Als wir »Das war’s« sagten

Als wir »Noch nicht« sagten

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© 2021 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Copyright © 2021 by Sophie Gonzales

Published by arrangement with St. Martin›s Press. All rights reserved.

Das Original erschien unter dem Titel »Tell Me More, Tell Me More« bei Wednesday Books, an imprint of St. Martin›s Publishing Group, New YorkÜbersetzung: Doris Attwood

Covergestaltung: Christl Glatz / Guter Punkt, München,

unter Verwendung eines Motivs von © iStockphoto (chronicler101)

sh · Herstellung: em

Satz: dtp im Verlag

ISBN978-3-641-28610-1V001

www.cbj-verlag.de

Wie das mit uns begann

Der Tag, an dem meine Cousine bei meinem ersten Babysittereinsatz einen Liter Blut verlor

Es wäre wahrscheinlich gar nicht passiert, wenn ich nicht zufällig mit angehört hätte, wie Mom versuchte, Tante Linda von einem Tagesausflug nach Collinswood zu überzeugen.

Ich saß mit meiner Gitarre und meinem Laptop in der Küche und versuchte, einem Tutorial zu folgen. Obwohl es noch lächerlich früh am Morgen war, herrschten in unserem Haus am See bereits eine Million Grad. Wir befanden uns in den letzten Ausläufern einer Hitzewelle – die Art von Hitzewelle, bei der der Fußboden und die Wände richtig aufheizen und man mit dem Gefühl aufwacht, man wäre im Schlaf langsam gegart worden, medium rare.

»So weit ist das doch gar nicht«, sagte Mom neben dem Kühlschrank. »Es dauert höchstens, was, drei Stunden hin und zurück?«

»Wohl eher vier«, widersprach ihr Linda, die mit verschränkten Armen an der Küchentheke lehnte.

»Das halten die Kleinen locker durch.«

»Nicht bei dieser Hitze. Wenn du dich freiwillig melden willst, Dylan auf dem Rückweg bei dir ins Auto zu packen, dann von mir aus, aber ohne Mittagsschlaf hält er den kompletten Ausflug nicht locker durch. Du glaubst gar nicht, wie er schreien kann.«

Sie sprach von meinem Cousin Dylan. Er war zweieinhalb und, na ja, sie musste es schließlich wissen. Ich hatte zwar noch nie einen seiner berühmten Trotzanfälle miterlebt – wir waren noch nicht mal ganz eine Woche am See, und als ich ihn vor diesem Urlaub das letzte Mal gesehen hatte, war er praktisch noch ein Baby gewesen –, aber ich konnte mich noch gut an die Wutanfälle seiner großen Schwester Crista erinnern, als sie im gleichen Alter gewesen war. Fünf Jahre reichten nicht aus, um die Erinnerung an diese Lautstärke auszulöschen.

»Warum fahren wir denn nach Collinswood?«, wollte ich wissen und legte die Gitarre auf meinen Schoß. Mom und Tante Linda drehten sich überrascht um, als hätten sie völlig vergessen, dass ich auch noch da war.

Tante Linda wohnte in Collinswood, North Carolina. Wir hatten uns diesen Sommer alle hier getroffen und zwei nebeneinanderstehende Häuser am See gemietet, weil Tante Linda sich nicht wohl dabei gefühlt hatte, weiter weg in Urlaub zu fahren. Sie hatte Krebs im vierten Stadium und wollte in Fahrtentfernung ihres Krankenhauses bleiben, nur für den Fall, dass irgendetwas passierte. Aber angesichts der Dringlichkeit in ihren Stimmen – oder, besser gesagt, des Mangels daran – schien der Grund kein medizinischer Notfall zu sein.

Mom winkte mit einer Hand ab und fasste dann mit den Fingern ihr Haar – kastanienbraun und leicht gewellt wie meines – zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Oh, Linda und Roy wollten mir nur was zeigen. Es gibt ein paar neue Wohngebiete in der Gegend.«

»Willst du in Immobilien investieren?«, fragte ich und trommelte mit den Fingern auf der Gitarre herum.

»Vielleicht. Im Moment schauen wir uns nur mal um.«

Also, so aufregend das auch klang, ich war mir nicht sicher, ob ich besonders große Lust hatte, den ganzen Tag damit zu verbringen, durch eine Kleinstadt in North Carolina zu latschen und mir halb fertige Häuser anzuschauen. Vor allem nicht am ersten Tag der Woche, an dem es nicht erdrückend heiß war. »Ist dieser Ausflug optional?«, fragte ich. »Ich wollte heute eigentlich zum See.«

»Sicher, Schatz«, antwortete Mom abwesend.

»Vielleicht sollten wir lieber noch einen Tag warten, bevor wir hinfahren«, sagte Tante Linda zu Mom. »Ich glaube, die Kinder wollten heute auch gerne an den See.«

»Soll ich sie mitnehmen?«, fragte ich beiläufig und spulte das Tutorial zurück, um es mir noch mal von vorne anzuschauen. Ich bekam den Tempowechsel in der Mitte einfach noch nicht richtig hin. Ich blickte auf und musste feststellen, dass Tante Linda und Mom mich anstarrten, als wären mir Tentakel gewachsen.

»Ich hab ganz vergessen, dass du inzwischen alt genug für Verantwortung bist«, murmelte Tante Linda. »In meinem Kopf bist du aus irgendeinem Grund immer noch zwölf. Entschuldige, das sollte keine Beleidigung sein.«

»Hab ich auch nicht so verstanden.«

»Bist du sicher, Ollie?«, fragte Mom. »Wir wären eine ganze Weile weg. Das ist wirklich viel Verantwortung.«

»Ja, ich bin sicher«, erwiderte ich und trommelte weiter mit den Fingern auf der Gitarre. »Die zwei sind doch lieb. Was soll schon passieren?«

Mom und Tante Linda tauschten einen Blick und schauten dann wieder mich an.

~~~

Wie sich herausstellte, hatten die Kinder eine viel höhere Toleranzschwelle für H2O-bedingte Schrumpelfinger als ich. Ich spielte eine geschlagene Stunde mit ihnen im Wasser, aber als ich versuchte, sie zum Mittagessen herauszulocken, weigerten sie sich standhaft. Ich war noch ziemlich unsicher, was diese ganze Disziplinsache anging, sprich: Sollte ich darauf bestehen, dass sie auf mich hörten, oder folgte ich der Mehrheitsentscheidung? Ich meine, wenn sie keinen Hunger hatten, hatten sie keinen Hunger, richtig?

Schließlich entschied ich mich dafür, am Strand zu chillen, nahe genug, um die beiden im Auge behalten zu können. Am See war heute besonders viel los – anscheinend hatten alle dieselbe Idee gehabt wie wir, nachdem die Temperaturen von »Nicht mal die beste Sonnencreme kann dir jetzt noch helfen« auf »Wahrscheinlich kannst du einen Hitzschlag vermeiden, wenn du genügend Flüssigkeit zu dir nimmst« gesunken waren.

Mein Handy vibrierte auf dem Handtuch, und ich schaute für zwei Sekunden – wirklich nur zwei Sekunden – nach unten, um die Nachricht meiner Freundin Hayley zu lesen. Als ich den Blick wieder hob, sah ich, dass Crista aus dem See auf mich zutorkelte, während Tränen über ihr Gesicht rannen und Blut an ihrem Bein hinunterströmte.

Scheiße.

Ich sprang auf und eilte zu ihr. »Hey, ist alles okay? Was ist denn passiert?«

Sie schluchzte zu heftig, um mir antworten zu können. Ich nahm ihre Hand und ging mit ihr zu unseren Sachen zurück. »Dylan«, rief ich. »Komm mal kurz her!«

Okay, okay, es war eine Menge Blut. So viel Blut. Was zur Hölle machte man mit so viel Blut? Es aufwischen?

Obwohl, ja, das klang gar nicht so verkehrt. Ich könnte es aufwischen.

Ich durchwühlte den Rucksack der Kinder, fand jedoch nur ein in hygienischer Hinsicht fragwürdiges Taschentuch. Mangels einer besseren Option drückte ich es auf die blutende Stelle und zwang meinen Magen mit schierer Willenskraft, sich beim Anblick der Schnittwunde nicht umzudrehen.

»Es tut we-e-eh«, jammerte Crista.

»Ja, das glaube ich. Du Ärmste.« Ich blickte auf, um nach Dylan zu sehen, und musste feststellen, dass er immer noch fröhlich im flachen Wasser planschte.

»Dylan, komm sofort aus dem Wasser«, rief ich mit meiner »Strenger Vater«-Stimme – oder zumindest sollte sie danach klingen. Es schwang allerdings ein Anflug von Panik darin mit, und höchstwahrscheinlich war sie einen Tick zu hoch, um irgendjemandem ernsthaft Angst einzujagen. Ich war hin- und hergerissen zwischen Dylan nicht aus den Augen zu lassen – nur für den Fall, dass er ertrank – und Crista meine Aufmerksamkeit zu schenken. Es war schließlich gar nicht so einfach, ungefähr zwanzig Liter Blut aus einer mysteriösen Wunde zu säubern, ohne dabei hin und wieder auf die eigenen Hände zu schauen.

»Nein!«

»Dylan!« So wahr mir Gott helfe.

»Will spielen! Will schwimmen!«

»Autsch, Ollie«, jammerte Crista tränenüberströmt und schob meine Hand weg. »Hör auf.«

»Ich muss das Blut abwaschen.«

»Du tust mir weh.«

»Es brennt höchstens eine Sekunde lang, versprochen.«

»Du machst es nicht richtig sauber. Du kannst Blut nicht mit einem Taschentuch wegwischen. Sonst krieg ich Blutvergiftung.«

Tja, ein Taschentuch war aber alles, was ich hatte. Und woher zur Hölle wusste sie überhaupt, was eine Blutvergiftung war? Ich ignorierte sie und drehte mich wieder zum See um. »Dylan Thomas, wenn du nicht in den nächsten fünf Sekunden hierherkommst …« Ich sprach den Rest der Drohung nicht aus, weil ich nicht wusste, wie eine angemessene Bestrafung für jemanden aussah, der noch nicht mal drei Jahre alt war. Es war erst mein dritter Tag hier und der erste Tag, an dem ich ohne einen Erwachsenen in unmittelbarer Nähe auf meinen Cousin und meine Cousine aufpasste. Normalerweise hätte ich damit gedroht, Tante Linda oder Onkel Roy zu holen, aber sie waren Gott weiß wo, zusammen mit meinen Eltern. Und ich war hier und versuchte, eine Diktatur aufzuziehen, während meine beiden einzigen Untergebenen einen Staatsstreich anzettelten.

Das Taschentuch löste sich bereits auf. Es war dunkelrot, genau wie meine Hände, und langsam befürchtete ich, ich müsste mich übergeben. Was zur Hölle hatte Crista nur angestellt? Sollte ich mit ihr ins Krankenhaus fahren? Würde sie ihr Bein verlieren? Sollte ich Tante Linda anrufen? Oder den Notruf wählen?

Ein Schatten fiel über uns und völlig aus dem Nichts kniete plötzlich jemand neben mir. »Hey«, sagte der Jemand. »Brauchst du Hilfe? Sieht mir nicht so aus, als würde das Taschentuch viel nützen.«

Crista und ich blickten gleichzeitig auf. Unser rettender Engel war ein Junge, ungefähr in meinem Alter, mit dichtem dunklem Haar, das sich an den Spitzen ein wenig lockte, hellbrauner Haut und einem Erste-Hilfe-Set in der Hand.

Ich brabbelte irgendetwas, das noch nicht mal annähernd nach zusammenhängenden Worten klang.

»Dad zwingt mich, das Teil jedes Mal mitzunehmen, wenn ich mit Kane herkomme«, sagte der Junge, öffnete den Reißverschluss der kleinen Tasche und kramte zwischen verschiedenen Tüchern und Pflastern herum. »Das ist mein kleiner Bruder. Er ist da drüben, im Wasser. Ist das erste Mal, dass das Ding tatsächlich zum Einsatz kommt.«

Apropos erstes Mal: Es war das erste Mal, dass Crista die Klappe hielt. Sie starrte den Jungen an, als sei er auf dem Rücken eines Einhorns zu uns geritten. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass ich ihn auf dieselbe Weise anglotzte.

Der Junge hielt eine Packung mit Desinfektionstüchern hoch. »Ist das okay?«, fragte er.

War Wasser nass? War es heute heiß? Waren seine Sommersprossen perfekt?

Natürlich war es okay. In der gesamten Geschichte der Menschheit war noch nie etwas mehr okay gewesen. Irgendjemand musste eine Ballade darüber verfassen, wie okay das hier war. Und ich brauchte unbedingt ein Bild davon, um es dem Oxford English Dictionary schicken zu können, damit sie die aktuelle Definition für »okay« dadurch ersetzten.

Ich glaube, ich brachte ein kaum sichtbares Nicken zustande.

»Wie heißt du?«

Er fragte nicht mich, unglücklicherweise.

Crista antwortete ernst: »Crista.«

»Na, wenn das kein hübscher Name ist. Ich bin Will. Crista, ist es okay, wenn ich dein Bein sauber mache? Sieht aus, als würde es ganz schön wehtun.«

Crista brachte ebenfalls ein kaum sichtbares Nicken zustande.

Will schaute mich an. »Wenn du dir Dylan schnappen willst, kann ich hier für ’nen Moment die Stellung halten.«

Moment mal, kannte er Dylan? Kannte er mich? Hatten wir uns schon immer gekannt? Doch dann erinnerte ich mich plötzlich wieder daran, wie oft ich Dylans Namen quer über das komplette Ufer gebrüllt hatte. Richtig. Das ergab Sinn.

»Ja«, krächzte ich. »Danke.«

Und dann schauten wir einander richtig an, und es kam mir vor, als wären wir in diesem Moment erstarrt. So als hätte ich noch nicht einmal blinzeln können, wenn mir jemand einen Lottoschein mit sechs Richtigen vor die Nase gehalten hätte. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich so fühlte, während ich einem Typen in die Augen schaute. Aber es war vielleicht das erste Mal, dass mich ein Typ auf dieselbe Art anstarrte.

»Jederzeit«, sagte er. Und lächelte.

Es bestand durchaus die Chance, dass Tante Linda mich dafür umbringen würde, dass ich Crista mit einem völlig fremden Jungen allein gelassen hatte, aber da meine einzige andere Option war, ihren zweijährigen Sohn möglicherweise im See ertrinken zu lassen, blieb mir nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Also behielt ich Will und Crista im Auge, rannte zum Wasser, sammelte Dylan ein – der glücklicherweise noch nicht sehr schnell fliehen konnte – und trug ihn zu den beiden zurück, während er wie wild um sich trat und kreischte.

Will hatte Cristas Bein bereits verarztet, als wir zu den beiden zurückkehrten. Dylan schrie und zappelte weiter in meinem Griff, aber ich wagte es nicht, ihn abzusetzen, für den Fall, dass er direkt ins Wasser zurückrannte. Und diese Sorge war auch durchaus berechtigt, da er mir in Endlosschleife damit drohte, genau das zu tun.

»ICHWILLWIEDERREINICHWILLWIEDERREINICHWILLWIEDER …«

»Deine Schwester hat sich verletzt, Dylan«, versuchte ich, ihn zu überbrüllen. »Sie braucht dich jetzt. Siehst du nicht, dass sie ein dickes Pflaster hat«

»… REINICHWILLWIEDER …«

Ich starrte Will panisch an. Er hatte erwähnt, dass er einen Bruder hatte, richtig? Vielleicht wusste er ja, wie man mit einer Situation wie dieser am besten umging?

Er fing meinen fragenden Blick ein, zuckte jedoch nur mit den Schultern und verzog ratlos das Gesicht. »Ähm, vielleicht versuchst du’s mal mit Bestechung?«, schlug er vor.

»Das ist illegal«, warf Crista ein und strich mit einer Hand über ihr Pflaster, um es glatt zu streichen.

»Nicht, wenn du über sechzehn bist«, erwiderte Will sofort und so bestimmt, dass Crista es akzeptierte. Wenn ich nicht damit beschäftigt gewesen wäre, mit einem außergewöhnlich schweren Kleinkind zu ringen, hätte ich vielleicht sogar gelacht.

»Dylan«, versuchte ich es mit lauterer Stimme. »Wenn du dich wieder beruhigst, können wir nach Hause gehen und uns einen Film anschauen.«

»KEINFILM!«

»Willst du vielleicht einen Hotdog?«, versuchte ich es.

»KEINHOTDOG!«

»Dylan«, sagte Crista und streckte ihr Bein aus, »wie wär’s mit Nutella? Ja?«

»KEINNUTELLA!«

Will räusperte sich. »Eine Stunde iPad spielen! Was immer du willst!«

Dylan verstummte, drehte sich um und blickte Will mit einem Ausdruck an, den man nur als Ich bin ganz Ohr beschreiben konnte.

Auch ich schaute ihn an, obwohl mein Ausdruck höchstwahrscheinlich näher an Willst du mich heiraten? lag.

Will schnitt eine Grimasse, als ihm bewusst wurde, was er gerade gesagt hatte. »Wahrscheinlich hätte ich das nicht anbieten dürfen«, sagte er entschuldigend zu mir. »Bei Kane ist das nur immer die beste Waffe, deshalb dachte ich …«

»Nein, nein, das klingt toll«, versicherte ich. »Willst du nach Hause und ein bisschen iPad spielen, Dyl?«

Er nickte strahlend. Sämtliche Spuren von Tränen oder Röte waren komplett verschwunden. Wenn sich Erwachsenenprobleme genauso schnell lösen ließen, würde sich Apples ohnehin bereits krimineller Gewinn vermutlich über Nacht verdreifachen.

»Du bist unglaublich«, sagte ich zu Will und setzte Dylan auf dem Boden ab, hielt aber weiter seine Hand fest. Ich mochte vielleicht noch ein Anfänger sein, aber so viel wusste ich. »Danke. Du bist ein echter Lebensretter.«

»Kein Pro…«

»Nein, ehrlich, du bist echt ein Naturtalent. Willst du vielleicht bei uns einziehen? Weil das bei Dylan nämlich ungefähr zehn Mal am Tag passiert.«

»Er ist eben gerade in diesem Alter.«

»Ich mein’s ernst. Wir könnten dich adoptieren?« Was mich und diesen extrem heißen Typen zu Brüdern machen würde. Was für ein ausgezeichneter und gar kein bisschen unheimlicher Vorschlag, Ollie. »Oder ihre Eltern. Das wäre wahrscheinlich sinnvoller. Damit wären wir dann Cousins.«

Warum hatte ich bitte geglaubt, das würde die ganze Sache irgendwie weniger seltsam machen? Was war bloß los mit mir?

»Oh, ich dachte, ihr wärt alle Geschwister.« Will lachte. »Ich schätze, das erklärt wohl auch den Ausdruck des blanken Entsetzens.«

»Ausdruck des blanken Entsetzens?«

»Ja, deinen.« Er ahmte mich wenig schmeichelhaft nach und starrte mit hervortretenden Augen und zusammengebissenen Zähnen auf seine leeren Hände.