Ihre schönsten Erzählungen - Louise von Francois - E-Book

Ihre schönsten Erzählungen E-Book

Louise von Francois

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Beschreibung

Louise von François war eine deutsche Erzählerin und Schriftstellerin. deren Geschichten zumeist in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen spielen. In diesem Sammelband finden sich die Erzählungen: Die Geschichte meines Urgroßvaters Der Posten der Frau Phosphorus Hollunder Judith, die Kluswirtin Der Katzenjunker Fräulein Muthchen und ihr Hausmeier

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Ihre schönsten Erzählungen

Louise von François

Inhalt:

Luise von Francois – Biografie und Bibliografie

Die Geschichte meines Urgroßvaters

Einleitung

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Der Posten der Frau

Phosphorus Hollunder

Judith, die Kluswirtin

Rückblick

Vorboten

Gesichte

Erweckung

Enthüllung

Ein Blick

Licht

Irrlicht

Nacht

Klärung

Der Katzenjunker

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

Fräulein Muthchen und ihr Hausmeier

Ihre schönsten Erzählungen, L. von Francois

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849638405

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Luise von Francois – Biografie und Bibliografie

Deutsche Schriftstellerin, geb. 27. Juni 1817 zu Herzberg in der Provinz Sachsen, gest. 24. Sept. 1893 in Weißenfels, Tochter des preußischen Majors Friedrich von F. (gest. 1818), wurde von ihrem Stiefvater, dem Kriegsrat Herbst in Weißenfels (mit dem sich ihre Mutter 1819 vermählte), liebevoll erzogen, lebte 1848–55 meist in Minden, Halberstadt und Potsdam im Haus ihres Oheims, des preußischen Generals Karl v. François, der durch seine Memoiren (»Ein deutsches Soldatenleben«, hrsg. von seiner Tochter Klotilde v. Schwartzkoppen, Schwerin 1873; 3. Aufl., Berl. 1898) bekannt geworden ist, und seitdem bei ihrer Mutter in Weißenfels. Ihr erstes größeres Werk, der Familienroman »Die letzte Reckenburgerin« (Berl. 1871, 7. Aufl. 1900), wurde um seiner innern Wärme und wirklichen Gestaltungskraft willen von der Kritik mit der größten Anerkennung aufgenommen. Ihm folgten noch drei größere Romane: »Frau Erdmuthens Zwillingssöhne« (Berl. 1872, 2 Bde.; 2. Aufl. 1891), »Stufenjahre eines Glücklichen« (Leipz. 1877, 2 Bde.; 2. Aufl. 1878) und »Der Katzenjunker« (Berl. 1879). Ihre kleinern Erzählungen erschienen gesammelt als »Ausgewählte Novellen« (Berl. 1868, 2 Bde.), darunter »Judith, die Kluswirtin«, ein bäuerliches Seitenstück zur »Reckenburgerin« und nach dieser ihr bestes Werk, das später neben »Phosphorus Hollunder« und »Zu Füßen des Monarchen« auch in die Kollektion Spemann aufgenommen wurde; ferner: »Erzählungen« (Braunschweig 1871, 2 Bde.); »Hellstädt und andre Erzählungen« (Berl. 1874, 3 Bde.); »Natur und Gnade, nebst andern Erzählungen« (das. 1875, 3 Bde.). Auch schrieb sie eine populäre »Geschichte der preußischen Befreiungskriege in den Jahren 1813 bis 1815« (Berl. 1873) und ein im Siebenjährigen Kriege spielendes Lustspiel: »Der Posten der Frau« (Stuttg. 1882). Vgl. M. v. Ebner-Eschenbach in »Velhagen u. Klasings Monatsheften«, 1894, Märzheft, und besonders in der »Neuen Freien Presse« vom 23. Febr. 1894; Klotilde v. Schwartzkoppenin »Vom Fels zum Meer«, 1893/94, Heft 10; H. Bender, Luise v. F. (Hamb. 1894); Bettelheim, Marie v. Ebner-Eschenbach und Luise v. F. (in der »Deutschen Rundschau«, Oktober 1900).

Die Geschichte meines Urgroßvaters

Einleitung

Wenn ich dir, lieber Leser, die Geschichte des alten Bürgers, meines Urgroßvaters, erzähle, so setze beileibe keine tiefsinnige Absicht in mir voraus, keinen großartigen Standpunkt oder kühnen Griff in die Region des Zopftums; nicht eine spirituelle historische Auffassung, eine vaterländische moralische, wohl gar ästhetische Tendenz. Denke ja nicht etwa an einen Nettelbeck oder Lorenz Stark und Wirt zum Goldenen Löwen.

Tu mir das nicht zuleide, guter Leser, verdirb mir nicht die Freude an meinem Urgroßvater; lege lieber seine Geschichte aus der Hand, bevor du sie angefangen hast. Willst du mir aber den Gefallen erweisen, sie anzuhören, so siehe von vornherein in mir nichts als einen Enkel, den es glücklich macht, von dem Werte seiner Ahnen zu plaudern, auch wenn diese Ahnen nur schlichte Bürger eines kleinen Landstädtchens gewesen sind, und von der Geschichte meines Urgroßvaters erwarte nichts als das Leben eines Mannes, der unangefochten bis zum letzten seinen Zopf im Nacken und seinen Gott im Herzen trug.

Sein Bild hängt noch heute über dem Sofa seiner Enkelin, meiner lieben Mutter. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen, als er, wie jeden Sonntagsmorgen nach der Kirche, am offenen Fenster seiner Ladenstube stehend, die städtische Garnison, zwei Kompagnien von Prinz Xaver, zur Wachtparade auf den Markt marschieren sah. Da trat ein junger Mensch an ihn heran, der demütig seinen Hut abzog und schüchtern fragte: Ob Herr Haller nicht geneigt seien, sich von ihm malen zu lassen? Er betreibe diese Kunst.

Ich habe in meines Vorfahren Leben keinen weiteren Zug aufzuspüren vermocht, welcher Neigung oder Eitelkeit eines Mäzen bekundet haben würde. Heute aber: ein rascher Blick auf den bittstellenden Künstler – und er ward's! Der junge, blasse Mensch sah aus wie guter Leute Kind. Wie sorgfältig gebürstet war sein knapper Rock, aber wie abgetragen und fadenscheinig! Wie blank gewichst glänzten die Stiefeln, aber wie bedenklich drohten die Flicken auf den Ballen wieder auszuplatzen! Und das mitten im Januar! Er mochte wohl der Truppe angehören, die seit voriger Woche, nicht wie in der guten alten Zeit in der Scheune des Gasthofs zum Goldenen Scheffel, nein, Gott sei's geklagt! im ehrwürdigen Rathaussaale ihre Schauspiele zum besten gab, in dem nämlichen Saale, wo vor dreißig Jahren David Hallers Hochzeitsfest gefeiert worden war.

Ob es nun die Vorstellung dieses Zeitenwandels bewirkte, oder eine noch weheleidigere Erinnerung, kurzum, eine jähe Röte stieg in meines Ahnherrn Gesicht, und ein Schatten tiefer Traurigkeit breitete sich über seine sonst so freundlichen Züge. Er winkte den Komödianten in die Ladenstube und ward ohne Handeln mit ihm einig um sein Porträt; gleichviel ob in Wasser oder Öl, aber versteht sich in natürlicher Couleur und in voller Figur. Zwei Sitzungen und drei Laubtaler Honorar wurden bewilligt, die Ausführung der Muße des Künstlers überlassen.

Vor Ablauf der Woche war das Bild fix und fertig unter Glas und Rahmen, das Honorar erstattet; aber noch selbigen Abends lohnte der großmütige Bürger extra und heimlich mit einem Paar neuer rindslederner Stiefeln und sechs Ellen vom derbsten, grünen Kalmuck aus seinem Geschäft dem Verfertiger sein wohlgelungenes Stück.

Ich habe mich vergeblich bemüht, etwas Näheres, oder eigentlich Ferneres über diesen doppelter Kunst beflissenen Jüngling in Erfahrung zu bringen; er würde eine interessante Staffage für mein Stilleben abgegeben haben. Denn obgleich ich fast zweifle – ich bin kein Kenner –, ob das werte Familienbild einem Kunstwerk entspreche, da es in ein paar Tagen gefertigt worden ist und im Grunde doch nur drei Laubtaler gekostet hat (Stiefeln und Kalmuck waren ja Geschenk!), so lasse ich mir es nicht nehmen, daß der blasse, junge Mensch ein großer Künstler gewesen oder geworden ist, denn das Bild leibt und lebt.

Gerade so habe ich meinen Urgroßvater fast dreißig Jahre später noch gekannt; gerade so sorgfältig aus der Stirn gestrichen und im Haarbeutel zusammengefaßt das starke, nunmehr auch ohne Puder schneeweiße Haar; genau nach dem nämlichen Schnitt der grüne Pattenrock und die safrangelbe Weste über dem rundlichen Leib; dieselben feingefältelten Busenstreifen, das in den Zipfeln gestickte Halstuch, die goldenen Schnallen an der schwarzen Manschesterhose; die weißseidenen Strümpfe und blanken Schuhe und vor allem dasselbe schöne, volle, ja rosige Gesicht mit dem seelenfreundlichen Blick, gerade so stand er an dem nämlichen halbrunden Fenster seiner Ladenstube und sah die Kompagnien allerdings eines anderen Regiments als des Xaver auf die Wachtparade ziehen, wenn Sonntags früh meine Mutter und ich über den Marktplatz kamen, um seine Mittagsgäste zu sein.

Der alte Herr hatte, soviel ich weiß, eine einzige Liebhaberei: das waren Uhren. Von jeder Leipziger Messe brachte er eine Uhr, in jeder Auktion forschte er nach einer Uhr. Ein Stück Kulturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts hätte ich an den Uhren über und auf dem Schreibpult meines Urgroßvaters studieren können, wenn ich bei seiner Lebzeit nicht noch ein gar zu einfältiges Menschenkind gewesen wäre. Da standen und hingen sie nun alle nach der Größe gereiht und waren also gestellt, daß eine zu schlagen immer anfing, wenn die andere aufgehört hatte. Das Bimmeln war mein Gaudium, Nummer Eins aber, nach der Rathausuhr uns gegenüber gerichtet, der Regulator des Hauses.

Sobald die zwölfte Stunde ausgehoben hatte, stellten wir vier uns hinter unsere Stühle. Der Urgroßvater nämlich, die Großmutter, die Witwe seines einzigen Sohnes, deren einzige Tochter, meine Mutter, und ich, wieder ein einziges Kind. (Obgleich es in diese Geschichte just nicht gehört, will ich beiläufig bemerken, daß der, welchem der fünfte Platz an dem Familientische gebührt haben würde, mein Vater, zur Zeit dieser Erinnerungen beim Kleistschen Besatzungskorps in Frankreich stand und von da ab verschiedentlich das Quartier wechselte, bis er als Landwehrmajor dauernd in meine mütterliche Heimatsstadt versetzt wurde. Was aber die ledigen Gehülfen des Geschäfts und des Gesindes anbetrifft, die beide an Werkeltagen am Herrentische teilnahmen, so tafelten die ersteren sonntägig nach Belieben außerhalb des Hauses, die letzteren unter sich in der eigentlichen Eßstube, die nach dem Hofe hinaus gelegen war. Um der gebührlichen Abwartung dieses Leutetisches willen war der der Familie auch von der elften Stunde in die zwölfte hinausgerückt.)

Also wir standen mit gefalteten Händen hinter unseren Stühlen; der Urgroßvater betete laut, dann verneigten wir uns gegeneinander, setzten uns, und das Mahl begann. Auf zinnernem Gerät nichts als Suppe und Braten; nur an hohen Feiertagen, inklusive der Geburtsfeste der Familie, der noch Lebenden und der Toten, eine Schüssel mehr: gewöhnlich Polnischer Karpfen. Aber wie delikat war alles zubereitet! es zerging einem auf der Zunge. Ach, diese Gänse! Sie wurden auf dem Hofe gezogen; nicht etwa genudelt, das heißt unmenschlich gemartert, nein sattsam gefüttert, ganz nach ihrem gänslichen Belieben. Und dieses Füllsel von Beifuß und Borsdorfer Äpfeln! Kein Enkel ißt wieder solchen Gänsebraten; schon um sein Andenken auf die Nachwelt zu bringen, hätte ich die Geschichte meines Urgroßvaters und seines Hauses schreiben müssen.

Wir tranken auch Wein, alten guten Rheinwein; jeder ein Glas und der Urgroßvater zwei; nie mehr und nie weniger. Sobald der Braten aufgetragen war, stand der alte Herr auf, zog das schwarze Käppchen von seinem weißen Haar, klingte an den grünen Römer und sprach mit lauter Stimme: »Seiner Kurf .... hm, hm! Seiner Majestät dem König!« Unsere Stadt gehörte nämlich zu denen, welche kürzlich nach dem Frieden einem gewissen Kurfürsten genommen und einem gewissen König abgetreten worden waren. Schon hatte sich die Jugend an den letzteren und an den Staat, welchen er repräsentierte, angeschlossen; die Alten aber, und mein Urgroßvater unter ihnen, hingen vor wie nach an dem, der ihr guter Kurfürst geblieben, auch nachdem er dem Namen nach ein König geworden war, dessen Haar sich mit dem ihren gebleicht und der so vieles erduldet und verloren hatte. Sein Leben lang hatte David Haller mit jedem ersten Tropfen, der seine Lippen benetzte, die Gesundheit Seiner Kurfürstlichen Gnaden getrunken; nun wurde es ihm herzlich sauer zu sagen: Seiner Majestät dem König! Aber: »Alle Obrigkeit ist von Gott«, darum schluckte David Haller die alte Liebe hinunter und tat seine Schuldigkeit in diesem wie in jeglichem Stücke.

Die Tafel war aufgehoben, die Danksagung laut vom Urgroßvater gesprochen; wir wünschten uns eine gesegnete Mahlzeit. Die Großmutter, selber schon nahe den Sechzigern, knickste bis zur Erde und küßte dem Herrn Vater ehrerbietig die Hand. Wie aber die Zeiten sich geändert hatten, daß sah man wieder einmal deutlich an dem Mahlzeitsgruße meiner lieben Mutter. Die schlanke, holdselige Frau mit den sanften, schwarzen Augen umarmte den Greis und sagte lächelnd: »Wohl bekomm's Ihnen, Väterchen!« Und gar ich, ich nannte ihn du und Papa, kletterte auf seinen Schoß, zupfte ihn am Haarbeutel und leckte ein Stückchen Zucker, das er in seine Kaffeetasse getaucht hatte.

Der Urgroßvater trank nämlich Sonntags seinen Kaffee schwarz und gleich nach dem Essen, wegen des Wachbleibens in der Nachmittagskirche. Zwar war es nichts Auffälliges, im großen Bürgerstuhle neben der Kanzel ein Weilchen einzunicken; die Mehrzahl der würdigen Herren ruhte während der Predigt auf der harten Bank so sanft als ohne Predigt daheim im gepolsterten Ohrenstuhl. Meinem Urgroßvater aber entging keine Silbe von dem göttlichen Wort; sein frommer Wille und der Kaffee hielten ihn rege.

Bei aller Andacht indessen möchte dieser nachmittägige Kirchgang wesentlich als pflichtschuldiger Akt des Bürgers und Ratsherrn, guten Beispiels halber, zu betrachten sein; Herzens halber war er schon einmal im Gotteshause gewesen; früh um fünf in den Metten. Denn nur ein einziges Mal seit seinen Mannesjahren, an einem bitterbösen Lebenstage, hat David Haller diese morgendliche Betstunde versäumt, und alles, was der bedrängte Mensch mit seinem Gewissen und mit seinem Herrgott abzumachen hatte, das machte er ab in dieser stillen Feier.

Aus den Metten ging es dann regelmäßig, ob's regnete oder ob die Sonne schien, im Winter noch bei Sternenschein auf den Gottesacker, zu welchem der Schlüssel in der Tasche des Sonntagsrocks seinen Platz hatte. Dort ruhte er eine gute Weile zwischen den Gräbern seiner Vorangegangenen auf einer Bank, an deren Stelle er einmal versenkt sein wollte und versenkt worden ist. Bevor aber um acht seine Schwiegertochter mit dem Hausgesinde zum großen Morgengottesdienste aufbrach, da saß er schon wieder gelassen und freundlich wie alle Tage vor seinem Pult in der Ladenstube, der einzigen, in welcher ich ihn jemals gesehen habe. In einem Alkoven, richtiger: in einer anstoßenden kalten, stockdunkeln Kammer schlief er. Heutzutage würde man es für den hellen Tod eines Menschen halten, in solchem luft- und lichtlosen Raume aus- und einzuatmen: David Haller, dem nie in seinem Leben ein Finger weh getan hat, ist nahezu achtzig Jahr darin geworden.

Seine Schwiegertochter wohnte im oberen Stock, neben der guten Stube, die meinerzeit nur noch geöffnet ward, um gelüftet und gereinigt zu werden. Früherhin hatte alljährig an dem Tage, an welchem der Hausherr Bürger und Meister geworden war, für städtische Honoratioren und werte Freunde ein Traktament in dieser guten Stube stattgefunden und David Haller bei dieser Gelegenheit gezeigt, daß er zu leben verstehe und einen würdigen Aufwand nicht scheue. Die Hausfrau, die natürlich in Küche und Keller alle Hände voll zu tun hatte, erschien erst, wenn der Kaffee gereicht ward, die Gäste zu begrüßen und für die Ehre zu danken, die ihrem armen Hause erzeigt worden sei.

Wie gesagt, zu meiner Zeit hatten diese Festlichkeiten aufgehört; ich weiß nicht, ob infolge der beiden großen Sterbefälle in der Familie oder des Königlichwerdens, das einen Wechsel in den Beamtenverhältnissen mit sich gebracht hatte. Die gute Stube blieb unbenutzt.

Nach dem Tode ihres Schwiegervaters und bis zum eigenen lebte die Großmutter weiter in dem alten Hause, das nun mein elterliches geworden war, eine rührige, muntere Matrone, auch dann noch, als der Körper schon recht gebrechlich und das Ingenium zum Fassen und Behalten merklich schwach geworden war. Ihr fehlte der große Haushalt; es fehlten die alten Genossen und Zeiten. Wenn ich, gegen Abend aus der Schule kommend, sie in ihrem Zimmer besuchte, rief sie mir einmal wie das andere entgegen:

»Ich sitze hier wie auf einer wüsten Insel. Erzähle mir was Neues, mein Lämmchen.«

»Es passiert gar nichts Neues, Großmutter,« erwiderte ich.

»Nun denn was Altes, Sohnemann.«

»Ich bin noch so jung, ich weiß gar nichts Altes, Großmutter.«

»So erfinde was, mein Junge, lüge was; die Zeit wird mir gräßlich lang.«

»Erfinden kann ich nichts, und lügen darf ich nicht. Aber weißt du, Großmutter, erzähle du mir was vom seligen Urgroßvater; das hör ich so gern.«

Und gleich war sie im Zuge. Stundenlang hörte ich die alten oft gehörten Geschichten von neuem mit an. Oftmals mochte ich wohl an etwas anderes dabei denken; unwillkürlich aber prägten sie mir sich ein, so, als hätt ich mit dem alten Mann, der mir ein liebes Bild hinterlassen hatte, Stück für Stück erlebt. Die Großmutter erzählte nämlich allezeit nur gern von ihrem Schwiegervater; die Erinnerung an seinen Sohn machte sie traurig. Den hatte sie wohl geliebt, aber jenen hatte sie verstanden; darum wurde sie immer wieder jung, wenn sie an ihn zurückdachte.

Die alte Frau hatte eine Redensart, mit der sie ihr Temperament bezeichnete. »Ich, wie ein Wetter!« hieß es Satz um Satz. »Ich, wie ein Wetter, zum Bette heraus! Ich, wie ein Wetter, die Treppe hinunter oder den Boden hinauf!« und so weiter.

Ihr Schwiegervater wird diese Redensart im Leben niemals angewendet haben, und sie würde auf ihn niemals anwendbar gewesen sein.

»Ich, wie eine Uhr,« hätte der von sich sagen dürfen, wenn er selber nicht der Meister gewesen wäre, der streng nach seinem Gewissen und nach seines Gottes Gebot den Gang dieser Uhr und ihren Schlag gerichtet hätte.

Erstes Kapitel

Ein Wunder!

Die alten Geschichten fielen mir heute alle wieder ein, als ich nach langer Abwesenheit von der Heimat über unseren Friedhof ging, der sich so malerisch in einer Schlucht zwischen zwei schützenden Bergen hinanzieht. Die Gräber meiner mütterlichen Familie liegen liebreich gepflegt auf dem höchsten Punkt, von dem weit hinaus man den westlichen Horizont überblickt. Die Sonne sank wie in einem grünen Rahmen und spiegelte ihre letzten Strahlen im still dahingleitenden Flusse.

Der älteste der alten Leichensteine meiner Ahnen trägt unter der unvermeidlichen Urne seiner Zeit die folgende Inschrift:

»Allhiero ruht in Gott weiland Meister Andreas Haller, Bürger und Tuchmacher hiesigen Orts. Der Herr hatte sein Haus gesegnet. Er überlebte drei Ehefrauen, deren Gebeine an seiner Seite schlummern, und allwelche ihm zweiundzwanzig Kinder gebaren, von denenselbigen eilf ihn hienieden beweinen, eilf ihm in das ewige Freudenreich vorangegangen sind.«

Das älteste von diesen eilf überlebenden Kindern war mein Urgroßvater David Fürchtegott Haller. Bei vierzehn Jahren hatte er schon eine Mutter und eine Stiefmutter verloren; von des Vaters allererster Frau lebten gar keine Nachkommen mehr. Über seine Kindheit schweigt die Familientradition, und die zuverlässigen Nachrichten über ihn reichen nur bis zu der denkwürdigen Silvesternacht 1758. Er ging dazumal in die Katechismuslehre und sollte an Palmarum zum ersten Genusse des heiligen Mahles zugelassen werden.

Also Silvesterabend. Meister Andreas hatte mit seinen Eilfen und dem Gesinde den landesüblichen Heringssalat verzehrt, der an keinem heiligen Abend, wie viel weniger am Neujahrsheiligenabend fehlen darf. Denn wer, heute noch wie vor hundert Jahren, am Silvester nicht Hering und am Gründonnerstag nicht etwas Grünes oder mindestens frischen Honig genossen hat, wie dürfte der die Hoffnung hegen, das Jahr über Glück, will sagen Geld, zu haben? Der Abendsegen war verlesen; nach der alltäglichen Hausordnung würde jeder sein Kokellämpchen angesteckt haben und zu Bett gegangen sein. Aber Silvester war ein Ausnahmstag, an welchem keiner rechtzeitig zur Ruhe wollte und auch die Kleinsten sich nur zögernd entfernten, mit dem Vorbehalt, um Mitternacht wieder aufwachen und mitjubeln zu dürfen.

Meister Andreas setzte sich in den tiefen, ledernen Ohrenstuhl am Fenster, in welchem er sein Mittagsschläfchen zu halten pflegte. Er wußte nicht recht, wie er die drei ungewohnten Stunden hinbringen sollte. Wie sonst an Festtagen zu einem Krug Bier in den Ratskeller gehen, das Haus an dem unruhigen Abend mit Mägden und Kindern allein lassen, wagte er nicht; würde in so feierlichen Entscheidungsstunden auch nicht schicklich befunden worden sein; die guten Freunde aber, die sonst, als seine Hausfrau noch lebte, am Silvester vorgesprochen waren, um ein Gläschen Punsch aufs neue Jahr zu leeren, sie blieben heuer aus.

Warum sie eigentlich nicht kamen, der reiche Gerbermeister Hans Adam Vogel, der ein Witmann, und Keller, der Russe, der gar nicht verheiratet war, die also beide keine Abhaltung haben konnten, weiß ich nicht zu berichten, bemerken aber will ich an dieser paßlichen Stelle, warum Keller, der Kürschner, den Namen »der Russe« bekommen hat. Er behauptete nämlich, auf der Wanderschaft bis hinten noch über Moskau hinaus gekommen zu sein, und erzählte die wunderlichsten Schnurren von den Menschen und Bären in dieser pelzreichen Gegend. Mochte dieser und jener auch viele seiner Eis- und Schneeabenteuer bezweifeln, ein jeder hörte sie doch gern, und keiner wurde müde, wenn Keller, der Russe, erzählte.

Meister Andreas blieb demnach zu Haus und allein, und da er just nichts Wichtigeres mehr zu tun wußte, gab er seinen Gedanken Audienz, und über diesem ungewohnten Zeitvertreib nickte er ein. Eine Weile saßen die beiden ältesten Knaben, ohne sich zu rühren, ihm gegenüber; als es aber auf der Straße immer unruhiger ward, duldete es sie nicht länger im Hause; Silvester ist ja der Abend der Freiheit. Ganz leise auf den Zehen schlichen sie zur Tür hinaus.

Es war eine bitterkalte Nacht, ein schneidender Ostwind pfiff; der Fluß und selber die Brunnen waren eingefroren, kein Flöckchen wärmenden Schnees deckte Gärten und Felder. Trotzdem aber waren die Straßen belebt; Hökerinnen, die Feuerkieken zwischen den Füßen, hielten Obst und Heringe feil, auf die Gefahr hin, die unabgesetzten Äpfel erfrieren zu sehn; in manchen Häusern wurde der Christbaum wieder angezündet, in allen brannte Licht; man wachte und saß gesellig beieinander.

Von zehn Uhr ab wird's immer reger und lauter; Knaben und ledige Bursche ziehen straßauf, straßab in Erwartung des Stundenschlags, der zwei Jahre trennt. Die Hallerschen Brüder schließen sich ihnen an; das ungewohnte nächtliche Umherstreifen ist ein Pläsier trotz Sturm und Frost. Sie trampeln mit den Füßen und hauchen sich in die Hände. Auch Singen und Juchheien erwärmt das Blut. Je näher die verhängnisvolle Stunde rückt, um so dichter drängt sich der Menschenknäuel nach dem Markt. Die Stadtpfeifer erscheinen auf dem Rathaussöller. Man öffnet die Fenster, schaut und spannt. Die vorlauten Stimmen, die mit einem Prosit Neujahr! herausplatzen, werden immer häufiger, kaum daß noch einer sie verhöhnt in der Angst, den ersten Glockenschlag zu verpassen.

Da – endlich! – ein einziger, einstimmiger Schrei! Alle Fenster fliegen auf, alle Menschen draußen und drinnen stürzen sich in die Arme. Dann Glockenläuten, vom Turme Posaunenschall: Herr Gott, dich loben wir.

Schweigend, mit gefaltenen Händen lauscht alt und jung dem ersten Vers. Beim zweiten fallen die Stimmen ein, und: Herr Gott, dich loben wir! schallt's durch die kalte Nacht aus tausend Menschenherzen.

Allmählich verliert sich die Menge, hier und dort noch einen Gruß nach einem hellen Fenster werfend. Auch die Brüder eilen heim; sie hatten drüben an der Ecke gestanden, dort, wo die Schösserwitwe wohnte, mit deren Tochter David in die Abendmahlsstunden und Sonntags in das Kirchenexamen ging, und als mit dem ersten Glockenschlage das helle Köpfchen sich am Fenster zeigte, da hatte David seine Biberkappe geschwenkt und gerufen: »Prosit Neujahr, liebes Christelchen!« Klappernd vor Frost treten sie nun wieder in das Zimmer, wo der Vater rechtzeitig aus seinem Schlummer erwacht ist, küssen seine Hand, nippen ein Spitzgläschen heißen Punsch aufs neue Jahr und gehn zur Ruh!

Um ein Uhr ist im Ort kein Laut und Tritt mehr rege; alles liegt im ersten, festen Schlaf, und lange bleibt daher ein rotes Flämmchen unbemerkt, das anfänglich schwach, aber immer stärker und breiter aus einem Fenster des Eckhauses züngelt, vor welchem David dem hübschen Kinde ein frohes Neujahr zugerufen hatte. Die Lohe hatte schon weit um sich gegriffen, als des Türmers erster Feuerschrei erscholl. Und die müden Schläfer sind so schwer zu ermuntern, und der Wind bläst immer schärfer von Morgen her, und alles Wasser ist fest gefroren, und auf die Löschanstalten vor hundert Jahren nach denen von heute zu schließen, – o, wie ist es da natürlich, daß eine Stunde später eine unzähmbare Glut die unglückliche Stadt überströmt.

Wie beschriebe ich aber das Entsetzen in dem so nahe bedrohten ururgroßväterlichen Hause? Die Gefahr machte den alten Andreas zum Jüngling. Er schrie und riß seine verblüfften Kinder aus den Betten, trieb und zerrte sie in die Ladenstube, aus deren niederem Fenster äußerstenfalls ein Sprung sie retten konnte, und stellte den Gottlieb als ihren Wächter an. Nun erst eilte er, um mit David von Hab und Gut das Wertvollste zu bergen. Aber wo ist David? Niemand hat ihn gesehn. »David, David!« kreischen die Stimmen wirr durchs Haus. Keine Antwort, keine Spur. »David, David!« schreit händeringend der Vater und stürzt vor die Tür.

Und siehe, da drängt der brave, starke Junge sich durch das Gewühl. Er trägt die halbtote Schösserin auf seinen Armen wie ein Kind und schleppt ihr kleines Christelchen, an seinem Rockschoß geklammert, hinterdrein. Sein erster Gedanke ist die Gefahr der unglücklichen Frauen gewesen, in deren Hause das Feuer ausgekommen ist. Ohne Bedenken stürmt er hinüber und findet die Witwe, wohl den Flammen entronnen, aber von Entsetzen gelähmt, von Rauch halb erstickt auf den Fliesen des Flurs liegend, in Gefahr, totgetreten oder von den zusammenstürzenden Balken erschlagen zu werden; neben ihr steht das jammernde Kind, das sich vergeblich bemüht, sie aufzurichten. In diesem äußersten Augenblicke erscheint der Knabe wie ein rettender Engel; er trägt die Witwe in das bis jetzt verschonte väterliche Haus, legt sie auf das Himmelbett in der schon erwähnten dunklen Kammer und eilt hinaus, seinem Vater beizustehn.

Fast vierundzwanzig Stunden saßen die zehn armen Kinder, ohne ihre nächsten Beschützer wiederzusehn. Soweit ihre Blicke reichten, Markt und Straßen ein Feuermeer! Sie sahen die Sonne nicht auf- und nicht untergehn, nur Flammen, Flammen, Flammen; sie hörten keinen Stundenschlag, kein frommes Festgeläut, nur Sturm, Sturm, Sturm. Sie drängten ihre Köpfchen gegen die Scheiben; die Scheiben waren sengend heiß, aber nicht eine war geborsten; die Kleinen saßen wie in einer Arche inmitten des tobenden Elements.

Wie das zugegangen ist? Ganz naturgemäß ohne Zweifel. Keinem Menschen würde hundert Jahre später der erklärlichste Grund für die Rettung just dieses einzigen Hauses gemangelt haben. Der alte Haller fand keinen natürlichen Grund, aber er suchte auch keinen: er sah und glaubte Gottes Wunder.

Die alte Schwarzwälder Uhr hatte eben wieder Mitternacht geschlagen, als er mit David zu seinem zitternden Häuflein zurückkehrte. »Der Herr hat Großes an uns getan,« rief er ihnen entgegen. »Preiset ihn, danket ihm, meine Kinder!«

Sie sanken auf ihre Knie, der Greis voran. Sein Kopf neigte sich auf den Stuhl am Fenster, in welchem er gestern den Jahreswechsel erwartet hatte. Regungslos lag er eine lange Weile; eines der Kinder nach dem anderen erhob sich und schielte lautlos zu dem Vater hinüber; sie glaubten ihn vor Erschöpfung eingeschlafen.

David wollte sich entfernen, um sich noch einmal den Löschenden auf der Straße zuzugesellen. Der Wind hatte sich gelegt, dem Umsichgreifen des Brandes war zunächst Einhalt getan, aber die Glut noch keineswegs gedämpft; ein jacher Windstoß konnte sie von neuem verbreiten. Draußen welch sinnbetäubendes Gekreisch und Gewirr, und hier im Zimmer alles so feierlich still und geborgen.

Er stand schon unter der Tür, als sein Blick noch einmal auf den Vater fiel. Die steif gestreckten Glieder und die Blässe der Wangen befremdeten ihn. Er umfaßte ihn, um ihm eine bequemere Lage auf dem Kanapee zu geben: der Vater regte sich nicht; David rüttelte ihn, er rief ihm ins Ohr: keine Antwort, kein Lebenszeichen! Die Haut war wie Eis, das Auge gebrochen, die Stirn voll kalter Tropfen, der Atem still. »Tot!« schrie David; »tot!« widerhallten die Kinder im Chor.

David stürzte nach einem Arzt. Wo aber in dem Wirrsal einen finden? Stundenlang irrte er umher und kehrte endlich zurück mit dem ersten besten Feldscher, der ihm in den Weg gelaufen war. Der Feldscher beleuchtete den Körper von allen Seiten, begoß ihn mit kaltem Wasser, hielt ihm einen brennenden Schwefelfaden unter die Nase, legte ein Federchen auf die Lippen, – keine Regung, kein Hauch! Meister Andreas Haller war tot. Schreck und Angst hätten ihm das Herz abgedrückt, erklärte der Feldscher.

Zweites Kapitel

Noch ein Wunder!

Ein wahres Glück, daß die Frau Schösserin und Christelchen im Hause waren! Sie vergaßen ihre eigne Not über der fremden und hatten alle Hände zu rühren, um das Hauswesen nur einigermaßen in Rand und Band zu halten. Der arme David fand keinen ruhigen Augenblick für seinen Schmerz. Was lastete nicht alles auf dem guten Jungen, was sollte er nicht alles bedenken und beschaffen!

Nur allein das Begräbnis! Er hatte bei der Bestattung der Stiefmutter gesehn, hatte es oftmals aus des lieben Seligen Munde gehört, wie sehr derselbe auf Anstand und Würde, ja auf ein gewisses Gepränge bei derlei Feierlichkeiten hielt. Nun aber in dieser allgemeinen Bestürzung: zeigten Prediger und Küster, und Kirchenvogt und Leichenbitter, und Totengräber und der Tischler – wegen des Sarges, – und der Zinngießer – wegen der Handhaben des Sarges, – und der Kantor – wegen der Kurrende, – und der Türmer – wegen des Läutens, – und der Stadtpfeifer – wegen der Trauermusik –: zeigten sie nur ein Fünkchen Bereitwilligkeit für den armen, zitternden Knaben? Und nun gar vollends das gute Leichentuch, das mit der silbernen Stickerei und den Fransen, das der wohllöblichen Schneiderinnung dreihundert Taler anzuschaffen gekostet, dafür alljährlich aber auch an dreißig Taler Leihgeld von den Honoratiores eingetragen hatte, war das gute Leichentuch nicht mit der Wohnung des Altmeisters verbrannt? Und der Ratskellerwirt, er, der immer so stolz gewesen war, die Bewirtung der Leidtragenden zu übernehmen und zu allseitiger Zufriedenheit auszuführen, hatte er nicht den Kopf geschüttelt, ihm den Rücken zugekehrt und schier verächtlich ausgerufen: »Aber, Davidchen, um Jesu Christi willen, ich frage dich, wer soll denn nachfolgen? Es wäre ja schade ums liebe Gut, schaffte ich's an.«

Es war abends gegen zehn, als der arme, müdegehetzte Knabe nach Hause zurückkehrte. Die Schösserin, die Kinder, das Gesinde, alles schlief oder rang mit dem Schlafe. Der Leichnam war unten in der Ladenstube liegen geblieben; da ruhte er, auf ein Brett gebunden und mit einem weißen Laken zugedeckt, auf dem Kanapee, das mit schwarzem Leder bezogen war; aber niemand erzeigte dem Seligen den Liebesdienst der letzten Wacht. Wer hätte auch Kraft und Mut dazu gefühlt nach den beiden grauenvollen Nächten?

So matt er war, so eindringlich die Frau Schösserin abmahnte und sagte: »Es kann dein Tod sein, Davidchen, und deinem Vater hilft's ja nichts, der wacht ja doch nicht wieder auf«, der treue David entschloß sich ohne Besinnen zu dieser Pflicht; er nahm ein Licht und ging hinunter. Ihn fror, ihn schauderte, seine Zähne schlugen aneinander, die Knie schlotterten; wankend erreichte er einen Stuhl, der Kopf sank kraftlos auf den Tisch.

In dieser äußersten Erschöpfung hatte er regungslos gelegen lange, er wußte nicht wie lange. Jählings schreckt er auf. Er spürt Geräusch, leise, ganz leise. Sind das nicht Tritte? klopft es nicht? geht nicht die Tür? hört er nicht seinen Namen »David« flüsternd und bebend wie Geisterhauch? Heiland der Welt, wie fliegen seine Glieder, wie hämmert sein Herz, wie tropft der eiskalte Schweiß von seiner Stirn! Er will den Kopf in die Höh recken, will um sich blicken. Die Blicke sind wie gelähmt, der Nacken wie umklammert von einer ehernen Faust.

In dieser Folterqual kommt es über ihn wie eine Eingebung. »Vater, in deine Hände befehl ich meinen Geist,« betet er; ob er's laut gebetet, weiß ich nicht; aber er betet's im Herzen, und – wundervolles Wort! kaum ist es verhallt, so richtet sich der Nacken in die Höh, der Kopf wendet sich nach der Tür, und – was erblicken seine Augen? Ein Gespenst?

Ach nein, just das Gegenteil von einem Gespenst, ein liebes, rundes Kindergesicht, wenn auch die Bäckchen kreideweiß gefärbt sind, und Hände und Füße zittern wie dürres Laub. Christelchen, ein klapperndes Kaffeegeschirr im Arm, steht wie eingewurzelt unter der Tür.

»Ich habe dir was Warmes gekocht, Davidchen,« hauchte sie kaum vernehmlich, ohne sich zu nähern. »Komm doch her und hol's. Du bist ja noch nüchtern, armer Junge!«

»Ja, wie verschmachtet!« versetzte David, »mir ist, als stürbe ich auch.«

»Trink ein Schälchen,« nötigte die Kleine. »Aber schwarz, David; es sind keine Möhren drin.«

Er nahm das Brett aus ihrer Hand, trug es auf den Tisch, schenkte ein und stürzte eine Tasse hinunter. Das ungewohnte, heiße, starke Gebräu wirkte gleich einem Zaubertrank; in der nächsten Minute fühlte sich David so kräftig und rege wie je.

»Wie das gut tut!« sagte er, indem er dem lieben Mädchen dankbar die Hand reichte. »Aber du zitterst, du bist wie Eis, du fürchtest dich wohl, Christelchen?«

Sie nickte und blickte scheu nach dem Kanapee. Nach einem Weilchen jedoch sagte sie: »Seit du aber mit mir redest, Davidchen, ist mir ganz getrost geworden; gib mir nur deine Hand, dann fürcht ich mich gar nicht mehr.«

Sie schlüpfte bei diesen Worten aus ihren Pantöffelchen und schlich an Davids Hand zum Tisch, schenkte ihm eine zweite Tasse ein, nippte, auf sein Nötigen, ein paar Schlucke aus derselben und fühlte sich so gestärkt wie er selbst. Nun ging sie zum Ofen, fachte das Feuer an und stellte die Kanne in der Röhre warm, alles ganz allein und beherzt, aber ganz behutsam und sachte, daß der Tote nicht dadurch gestört werde. Und als sie es ihrem jungen Freunde auf diese Weise zu seinem schweren Dienst behaglich gemacht hatte, nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm über den Flur bis zur Treppentür geleiten.

»Du hast mir eine große Güte getan, Christelchen,« sagte David gerührt, »ich werd es dir niemals vergessen.«

»Ach, ich weiß ja,« antwortete sie, und ein Tränenstrom überflutete ihre Wangen, »ich weiß ja, wie es einem armen Kinde zumute ist, dem der Vater auf dem Leichenbett liegt. Und ich habe doch noch meine gute Mutter, die du mir aus dem Feuer gerettet hast, David, aber ihr armen Waisen seid ganz allein auf der weiten Welt.«

Sie sprang die Treppe hinauf, und er ging wieder hinein zu seinem Toten. Verwaist, allein, ganz allein auf der weiten Welt, er und die zehn kleinen Geschwister! Der Gedanke wurde ihm zum ersten Male klar in seiner vollen Bedeutung. Keinen Menschen, keinen nahen Verwandten, der für die armen Kinder Sorge trug, und die allgemeine Not in der Stadt, welche die Not des einzelnen so wenig in Betracht kommen ließ! Er hatte den Vater mit der Stiefmutter öfters darüber reden hören, daß der Erwerb wohl allenfalls hinreiche, um die starke Familie zu ernähren, daß aber an Zurücklegen wenig zu denken sei; was sollte aus den hülflosen Kleinen werden? Der Gedanke vernichtete ihn fast.

Er trat zu der Leiche und schlug das Tuch zurück; da lag er, der teuere Mann, der Versorger aller, fast unverändert, aber so kalt, so steif! Er warf sich über ihn und umklammerte ihn mit seinen Armen; seine Tränen fielen in Strömen auf das weiße Totenangesicht.

»Erwache, Vater, erwache!« schluchzte er, seine Hände ringend. »Vater im Himmel, Mutter im Himmel, laßt euere armen Kinder nicht ganz allein auf der Welt!«

Alles Grauen war von ihm gewichen; er fühlte gar nicht mehr die Nähe einer Leiche, er fühlte nur seine ungeheuere Qual. Lange lag er unbeweglich über den Toten gebeugt. Er hörte den Glockenschlag zwei. Auf der Straße war es ruhig geworden; die unglücklichen Menschen hatten endlich auch Schlummer und Obdach suchen müssen; man hörte nur die Tritte der Wächter, die neben den glimmenden, rauchenden Trümmern auf und nieder schritten.

Plötzlich war es dem Knaben, als fühle er die Hände des Vaters sich leise beleben, – aber es ist wohl die Wärme der eigenen Hand, die sich der toten mitgeteilt hat. Jesus Christus, was ist das? Färben sich nicht ein wenig die fahlen Wangen? Oder sollte es eine Flamme von den Brandstätten drüben sein, welche auflodernd diesen rötlichen Schimmer werfen? Aber jetzt – eine Regung der Fingerspitzen, ein leiser Pulsschlag – darf er es glauben? Und warum nicht glauben? Hat nicht Gott, der Herr, erst gestern abend ein Wunder an diesem Hause getan? Er löst die Schnüre von dem steifen Brett, reibt die Schläfen, die Hände, das Herz des teueren Manns; er zieht seine Lippen auseinander und flößt ein paar Tropfen heißen Kaffees in seinen Mund, er hörte sie gleiten, nicht rollen, noch etliche, noch etliche; er legt sein Ohr an des Vaters Mund, seine Hand ihm ans Herz; ja, das war Atem und Pulsschlag, keine Täuschung der Sinne! Er richtet den noch immer ungefügigen Körper in die Höhe, gibt ihm eine sitzende Stellung, noch einmal wirft er sich unter heftigem Schluchzen an seine Brust:

»Lebst du, Vater?« ruft er, »ach lebe, lebe!«

Der alte Mann schlägt die Augen auf, blickt verwundert in des aufgeregten Knaben Gesicht und fragt mit schwacher Stimme:

»Brennt's noch, David? Warum schreist du so, mein Sohn?«

»Ach! Ach! Herr Vater,« stammelte der Knabe, »ich dachte, – ich dachte, Sie wären gestorben!«

»So würde ich anjetzo die Freuden des Paradieses schmecken,« entgegnete gelassen Andreas Haller.

Drittes Kapitel

Kein Wunder!

Lieber Leser, ich weiß, was du sagen willst: zwei schauerliche Schicksale gleich in den ersten beiden Kapiteln, wo der Held noch nicht einmal zum heiligen Nachtmahl gegangen ist, wenn das so fortgeht bis in sein achtundsiebenzigstes Jahr, wie soll eine zartbesaitete Leserin es ertragen?

Aber es geht nicht so fort, gewiß und wahrhaftig, es geht nicht so fort. Ich gebe die heilige Versicherung: mein seliger Urgroßvater hat ein friedfertiges Leben geführt, und mit den schauerlichen Ereignissen sind wir zu Ende.

»Himmel! Das ist ja noch viel miserabeler,« höre ich entgegnen; »zwei spannende Tage am Anfang des Lebens und der Geschichte und hinterdrein etliche sechzig langweilige Jahre. Heißt das anordnen, schreiben, romantisch gliedern? Ja, heißt es nur haushalten, die erste Nutzanwendung, die man doch, wahrlich, aus einer Bürgergeschichte ziehen müßte?«

Lieber Leser, ich wiederhole es: ich bin ein Enkel und erzähle, was mein Urgroßvater erlebt hat, so wie es mir kund geworden. Wäre ich ein Dichter, schriebe ich eine Novelle, o, achte mich nicht so gering, ich würde meinen Stoff anders behandelt haben. Glaube mir, so lieb es mir ist, das alte urgroßväterliche Haus am Markt, in welchem ich diese Ereignisse zu Papier bringe, ja, so lieb es mir ist, ich hätte es niederbrennen lassen bis auf den Grund, hätte es wohl gar über mein Herz gebracht, einen oder die andere von meinen seligen Urgroßonkeln oder Tanten unter den rauchenden Trümmern als kleine, nackte Leichen hervorzuziehen; oder lieber noch – denn ich neige im Grunde mehr zum Romantiker als zum modernen Exaktiker – lieber noch, wäre ich ein Dichter, würde ich den großen historischen Brand meiner Vaterstadt an das Ende meiner Novelle und um einige Jahre hinausgeschoben haben, wo der Held schon ein Jüngling, nicht erst ein Knabe war. Ich hätte ihn dann gezeichnet, wie er, einem Cherub gleich, anstatt der alten Schösserin, sein blondes Mädchen durch die lodernden Gluten trägt und tot neben der Toten niedersinkt. – Ja, ich gestehe noch mehr: Gott mag mir die Sünde vergeben, aber ich hätte es wahrhaftig geschmackvoller gefunden, wenn mein seliger Vorfahre in jener denkwürdigen Nacht wirklich abgeschieden und nicht wieder aufgewacht wäre, wenngleich ich freilich mich fragen muß: Hätte David Haller wohl der Musterbürger werden können, von welchem noch heute die Alten des Städtchens reden als von einem Ersten und Besten ihresgleichen, der Ehrenmann, dessen Andenken seinen Urenkel begeistert, allen kritischen Anfechtungen Trotz zu bieten und sein Biograph zu werden, wenn er als vierzehnjähriger Knabe schutz- und hülflos, bettelnd vielleicht, die Trümmer seines Vaterhauses zu verlassen gezwungen war?

Dem sei nun, wie ihm wolle, ich kann's nicht ändern. Meister Andreas Haller hatte wirklich nur vierundzwanzig Stunden in Ohnmacht gelegen, sein Haus stand unversehrt, und er schaltete und waltete darin noch manches Jahr mit gewohnter Umsicht und Pünktlichkeit.

Seine Gesundheit indessen scheint infolge jenes grausamen Anfalls gelitten zu haben, und ich schreibe es diesem Umstande zu, daß er nicht zum vierten Male eine Ehefrau zu Gottes Altar geführt hat, wie dieses vor jener Unheilsnacht seine Absicht gewesen sein soll. Ja, ich habe dringenden Grund zu der Vermutung, daß die Frau Schösserin die Würdige gewesen ist, auf welche seine Wahl gefallen sein würde, und ich sehe mit Bedauern auch in diesem Betracht, welch ein hübsches Stück romantischer Verwicklung mir durch jene unglückselige Ohnmacht aus dem Garne gegangen ist. Sobald nur einigermaßen ein Steinmetz im Städtchen seine Hände frei hatte, ließ Andreas Haller die Tafel meißeln, deren Gedenkspruch noch heute die Blicke der Vorübergehenden auf unsere Torfahrt lenkt. Der Spruch lautet:

»Gott des Allmächt'gen starke Hand

Bewahrt' dies Haus beim großen Brand,

Als neunundneunzig neben ihm

Verzehrt' des Feuers Ungestüm.«

Mein Vorfahre hat diesen Vers selber gedichtet, und da außer demselben keine Probe einer poetischen Ader in seinem Nachlasse oder in der Erinnerung seiner Zeitgenossen aufgespürt werden konnte, so bin ich zu dem auch für meine eigene Person recht ermutigenden Schlusse gelangt, daß es durchaus keiner übersprudelnden Gaben bedarf, um, wenn nur irgend die anregende Gelegenheit sich bietet, ein recht erfreuliches Talent an den Tag treten zu sehen.

Die Frau Schösserin und ihre Tochter verließen, sobald eine kleine Wohnung aufgefunden worden war, ihr gegenwärtiges Asyl. Das erheischte der Anstand; alles Entbehrliche aber an Haus- und Vorrat wurde der armen Witwe, die Hab und Gut eingebüßt, zur ersten Einrichtung von Meister Andreas zum Geschenk gemacht; das erheischte die Christenpflicht. Sie arbeiteten fleißig. Ja, Christelchens Hände waren so flink und geschickt, daß ihr die ehrenvolle Aufgabe übertragen werden konnte, für die wohllöbliche Schneiderinnung ein neues Leichentuch, noch prächtiger als das verbrannte, mit frommen Sprüchen und Sinnbildern in Silber zu besticken. Länger als ein Jahr war sie von Sonnen-Aufgang bis Niedergang mit dieser Arbeit beschäftigt, und es mußte ein eigenes Gefühl erwecken, das helle Köpfchen so unverdrossen emsig über dem düsteren Werke ihrer Hände zu erblicken. Natürlich fand sie zu diesem erst ununterbrochene Muße, nachdem sie, gleich unserem David, am Tage Palmarum aus der Schule entlassen und kirchlich eingesegnet worden war. Die feierliche Handlung gewährte in diesem Jahre eine vorzugsweise Erhebung in Betracht des großen Brandes, welchen der Herr Superintendent zum Hauptgegenstande seiner Rede machen konnte. Auf herzerschütternde Weise erinnerte der fromme Mann daran, daß dieses Feuer ein Vorgeschmack der ewigen Höllenqualen, welche der Sündigen harren, gewesen sei und ein Flammenzeichen unseres Herrgotts zur Reue und Buße über unsere, wie dermalen Sodom und Gomorra, in ihren Lüsten schier erstickende Stadt. Völlig zerknirscht von dem Eindruck dieser gewaltigen Worte, wie von der Enthüllung so ungeahnter teuflischer Spuren in ihrer nächsten Umgebung legten David und Christelchen Mittwoch nachmittag ihr reumütiges Beichtbekenntnis ab, um darauf am Grünen Donnerstag, nachdem sie sämtliche Anverwandten, Paten, Lehrer und Freunde des Hauses um Vergebung ihrer zahllosen Beleidigungen und Vergehungen angefleht hatten, am ersten Genusse des Leibes von unserem Herrn und Heiland teilzunehmen.

Es wird bei dieser Gelegenheit kaum zu übergehen sein, daß und warum Christelchen an diesem hochwichtigen Tage weniger gesammelt und mehr mit sich selber beschäftigt erschienen ist, als man es dem frommen Kinde nach der Zerknirschung des letzten Palmsonntags hätte zutrauen sollen. Man will beobachtet haben, daß sie zweimal mit sichtlichem Wohlgefallen über ihr schwarzes Gros de Tours-Kleid gestrichen sei und den scharfen, rauschenden Ton bemerklich gemacht habe, welcher durch diese Bewegung entstand.

Ach, schon Jahr und Tag hatte die arme Schösserwitwe zur Beschaffung eines würdigen Anzugs für ihre Tochter gearbeitet und gespart, und nun war der sauer erworbene Schatz mit allen anderen Habseligkeiten ein Raub der Flammen geworden. Gewiß, ein Hartes für die vortreffliche Frau, sich ihre Tochter, so guter Leute Kind, an ihrem Ehrentage in einem Kleide von Serge einhergehend vorzustellen, und die Serge obendrein geborgt, auch hatte sie allen Ernstes darüber nachgesonnen, die heilige Handlung um ein Jahr hinauszuschieben. Aber, abgesehen davon, daß es gegen alles Herkommen gewesen sein würde, ein Kind länger als vierzehn Jahre ohne die Erneuerung seines christlichen Taufbundes zu belassen, welche Aussicht konnte die Verarmte haben, binnen Jahr und Tag eine so schwere Anschaffung zu bestreiten? Man mußte sich Gottes unerforschlichem Ratschlusse auch in diesem Stücke fügen und die Schmach auf sich nehmen; aber die Prüfung war hart für ein Mutterherz. –

Der letzte Stich am schwarzen Sergekleide war eben getan, da – da kommt eines Abends von Leipzig die gelbe Kutsche (sie hatte sich heute des schlechten Weges halber um ein Stündchen verspätet, gewöhnlich fuhr sie recht gut die Meile in vier Stunden). Die gelbe Kutsche bringt einen Brief an »die Wohl-, Ehr-, Sitt- und Tugendbelobte Jungfer, Jungfer Löfflerin, anbei ein Paquet in Wachsleinwand.«

Der Postillion zeigt dem Schirrmeister an, daß ein Paket an Löfflers Christelchen in der Schoßkelle liege; der Schirrmeister teilt den kuriosen Fall dem Postschreiber mit, der Postschreiber drückt seine höchste Verwunderung gegen den Postmeister aus. Die Frau Postmeisterin hält sich während des Pferdewechsels gewöhnlich in der Nähe ihres Ehegatten auf, denn da sie keine Kinder, wohl aber eine hülfreiche Seele besitzt, unterstützt sie ihren Herrn in seinem Geschäft und sieht die Briefe und Pakete durch, welche auf der Station liegen bleiben. So gerät denn auch diese Sendung in ihre Hände, und welchen Eindruck sie hervorbringt, nun, das läßt sich vorstellen, wenn man erwägt, daß weder die Frau Schösserin noch ihre Tochter jemals einen Brief erhalten oder abgesendet haben. Und nun gar ein Paket! Von wem mag es nur sein? Was mag es enthalten? Sie untersucht den Umschlag: Wachsleinwand. Sie führt ihn zur Nase: Wachsleinwand. Sie bohrt mit dem Finger hinein: die Wachsleinwand gibt nach, also nichts Festes, aller Wahrscheinlichkeit nach Zeug. Sie reibt mit der Hand, horcht dicht am Ohr: ein eigentümlich scharfer Ton – am Ende gar Seidenzeug! Sollte es möglich sein, Seidenzeug! Sie hält den Brief gegen das Licht, aber das Papier ist zu dick, kein Buchstabe durchzulesen. Die Frau Postmeisterin hat immer so viel Mitleiden für die arme Schösserwitwe gehegt, ihr freundschaftliches Gemüt läßt ihr keine Ruhe, sie erklärt ihrem Eheherrn: Da der Briefträger schon Feierabend gemacht habe, wolle sie selber das Paket noch fix hinüberbesorgen, man könne doch nicht wissen, was es enthalte.

Die Witwe und ihre Tochter waren, wenn möglich, noch mehr erstaunt als ihre Gönnerin, ja beinah erschrocken. Sie wollten eine Namensverwechslung voraussetzen, aber das »Jungfer Löfflerin« war deutlich zu lesen und keine Löfflerin weiter im Ort. So griffen sie denn zu mit zitternden Händen und öffneten, die Mutter das Paket und die Tochter den Brief. Da sie noch in die Schule ging, wäre sie mit dem Lesen von Geschriebenem wohl fertig geworden, aber sie vermochte es vor Schluchzen nicht, die Frau Postmeisterin mußte ihr das Blatt aus der Hand nehmen und fortfahren.

Ja, unverhofft kommt oft! Christelchens Gevatterin, in Leipzig verheiratet, durch die Nachricht von dem großen Brande in ihrer Vaterstadt aufgerüttelt, erinnert sich zum ersten Male im Leben der übernommenen Christenpflichten und macht ihrem Patchen das heilige Nachtmahlskleid zum Präsent.

Die drei Frauen waren anfänglich sprachlos; dann aber lösten sich Herzen und Zungen. Welch ein Stoff, und wie reichlich! Man hätte zweimal Rock und Kontusche daraus schneiden können. Nein, diese Seide! Die stand von selber wie ein Brett und rauschte wie ein Gießbach! Solches Zeug war natürlich nur in Leipzig zu kriegen; das konnte im Leben nicht verwüstet werden, nein, in Ewigkeit nicht! Wieviel mochte nur die Elle gekostet haben?

Ich bin außerstande, diese letztere Frage zu beantworten, daß aber die guten Frauen in ihrer Herzensfreude übertrieben, das kann ich bezeugen. Der Stoff war zu verwüsten, ich selber habe die letzten Flicken davon als Futter in meinem ersten Schulrocke aufgetragen. Wenn ich mich aber über diesen, dem Leser vielleicht geringfügig dünkenden Zwischenfall etwas umständlich ausgelassen habe, so geschah es, weil er als ein neuer Beleg gelten kann für die wunderbare Weltordnung, die aus dem größten Unsegen einen immer noch größeren Segen sich entwickeln läßt. Die Waise des seligen Schössers würde ohne den Brand allerdings standesgemäß in Seide am Tische des Herrn erschienen sein; aber doch nur in leichtem Taft. Der Taft mußte erst verbrennen, das Stadium der Serge in Demut überwunden werden, auf daß sie, die Waise nämlich, in schier unverwüstlichem Gros de Tours zu Gottes Ehre erscheinen durfte.

Nach dieser zweifelsohne dem frommen Sinne meines Urgroßvaters entsprechenden Auslegung kehre ich zu ihm selber zurück, wie er, unberührt von dem Dämon der Weltlust, der seine junge Freundin kitzelte, in ungestörtem Ernst das gnadenreiche Sakrament empfing. War er von Natur schon gesetzt und tüchtig, niemals zerstreut und allezeit bei der Sache, so hatten die jüngst erlebten gewaltigen Eindrücke ihn nur noch völliger gereift. Und so gelobte er sich denn heute im innersten Herzen, ein Christ zu sein und zu bleiben. Ein Christ, das hieß nach der bürgerlich protestantischen Auffassung jener Tage: tugendhaft sein und Gottes Willen tun; und ich glaube, wenige Menschen haben sich im Leben so Wort gehalten als dieser gute Knabe.

Er wurde nun dem Namen nach erst der Lehrling, dann der Geselle seines Vaters, in der Tat aber sein Gehülfe und seine rechte Hand. Das Geschäft nahm einen blühenden Aufschwung, seitdem Auge, Hand und Kopf dieses besonnen tätigen, klugen Jünglings sich demselben widmeten. Er war am ersten und letzten wach im Hause; nie sah man ihn müßig, nie ermüdet, aber auch niemals aufgeregt und übereilt. Bei sechzehn Jahren zeigte er in Arbeit, Erholung und Ruhe ein Maßhalten, das man Weisheit nennen dürfte, wenn ein so großes Wort sich für einen so jungen Menschen schicken wollte. Daher ward er denn auch von den Vätern der Stadt als Muster gepriesen und von den Arbeitern und Dienern seines Vaters recht von Herzen geliebt. Es schaffte sich lustig unter seinen Augen, pflegten sie zu sagen; denn er verstand es, selber wenn er Schweres von ihnen forderte, sie guter Dinge zu erhalten durch einen Zug von Humor, ein »Späßchen«, wie man es nannte, das gelegentlich in unveränderter Gestalt wiederkehrte und wozu die Neigung, trotz aller großbürgerlichen Würde, ihm bis in das späteste Alter treu verblieb.

Auch sein Äußeres entwickelte sich früh und vorteilhaft. Im siebenzehnten Jahre war er schon vollständig erwachsen und begann »auszulegen«, das heißt stark zu werden. Er war groß und regelmäßig gebaut, hatte ein schön geschnittenes, offenes, blühendes Gesicht mit blauen Augen so freundlich ernsthaft, wie sein ganzes Wesen; er hielt sich kerzengerade, bewegte sich gemessen, ja etwas feierlich, wie es einem Bürgersohne ziemte, und kleidete sich immer mit der ausgesuchtesten Sauberkeit. Wenn er Sonntags früh zur Kirche ging im zeisiggrünen, goldgeknöpften Manschesterrock, mit schneeweißen Strümpfen und Schnallenschuhen, das sorgfältig gepuderte Haar auf dem Rücken zusammengebunden in den längsten und stärksten Zopf der ganzen Gemeinde, so konnte das Auge nicht anders als mit Wohlgefallen auf ihm weilen, und man mußte dreist erklären, daß er unter sämtlichen Bürgersöhnen nicht seinesgleichen habe.

Da er noch nicht Meister war und kein Recht auf einen Sitz im großen Bürgerstuhl neben seinem Vater besaß, nahm er seinen Platz auf dem Chor. Zufällig saß gerade unter ihm im Schiff die Jungfer Löfflerin, und er konnte es gar nicht vermeiden, sooft die Gemeinde sich erhob, ihr helles Köpfchen und den zierlichen Wuchs, freilich nur von hinten, vor Augen zu haben und zu sehen, wie ehrfürchtig tief sie sich neigte, sobald von Altar oder Kanzel der Name unseres Herrn und Heilands verkündigt ward. Auch ihre helle, frische, von der Katechismuslehre her wohlbekannte Stimme glaubte er beim Singen zu unterscheiden, und im Herausgehen traf es sich immer ganz von selbst, daß sie unter der Pforte aufeinanderstießen. Er zog seinen dreikrempigen, goldgebordeten Hut und sagte, sich verbeugend:

»Gehorsamer Diener, Jungfer Löfflerin!«

Sie machte einen Knicks und erwiderte:

»Gehorsame Dienerin, Mosjö Haller!«

Und beide setzten ihren Weg nach Hause fort.

Die Frau Postmeisterin will bemerkt haben, daß bei diesen zufälligen Begegnungen die beiden Abendmahlskinder jedesmal purpurrot geworden seien bis unter den Puder. Aber die Frau Postmeisterin sah zuzeiten ein wenig zuviel. Ich schreibe nicht gern Böses von Toten, aber wahrhaftig, ich stehe dafür ein, daß sie geradezu gelogen hat, wenn sie bis an ihr Lebensende behauptete, daß am zweiten Osterfeiertage Anno zweiundsechzig in der Frühkirche der Mosjö Haller ganz verstohlen ein Blümelein Vergißmeinnicht der Jungfer Löfflerin auf ihr Gesangbuch hinabgeworfen, daß die Löfflerin über und über wie ein Scharlach geworden sei und das Blatt umgewendet habe, lange ehe die Seite zu Ende gesungen war. Das blaue Blümchen ist allerdings auf das Buch des jungen Mädchens hinuntergefallen und konnte bis zu ihrem Tode an derselben Stelle von »Jesus meine Zuversicht« gefunden werden; aber kein Zug in David Hallers Leben berechtigt zu der leichtfertigen Voraussetzung, daß es nicht zufällig seinem Knopfloch entglitten sei, dahinein er es gesteckt hatte, als er es, das erste des Jahres, am Morgen im väterlichen Garten fand.

Viertes Kapitel

Der Sternkönig

So wäre ich denn in der Geschichte meines Urgroßvaters schon bis zum Frühling des Jahres zweiundsechzig vorgeschritten. Auch in seinem Herzen war heller, frischer Frühling; frohschaffendes Leben, wohin er sich wendete.

Am Sonntage nach Ostern wurde im Schießhause das erste Sternschießen gefeiert; die großen Schützenfeste der beiden Gilden mit glattem und mit gezogenem Gewehr, das Vogel- und Mannschießen, fielen in den hohen Sommer. Meister Andreas war Mitglied beider Gesellschaften und ein namhafter Schütze; sein Sohn fühlte Lust und Geschick, ein ebensolcher zu werden, blieb aber, solange er nicht Bürger und Meister war, von der Ehre dieser Genossenschaften selbstverständlich ausgeschlossen.

Dieses Sternschießen war nun ein Vergnügen, das sich alljährlich die jungen, ledigen Bürgersöhne veranstalteten, und unser David nahm zum ersten Male daran teil.

Sein gutes Glück hatte sich auch heute bewährt; er hatte die Scheibe ins Schwarze getroffen, war Sternkönig geworden, durfte den Tanz des Abends, den ersten Tanz seines Lebens, aufführen, den Ball eröffnen, wie wir heute sagen.

Der Schießhaussaal war recht ansehnlich lang, doch gebe ich zu, daß er ein wenig breiter hätte sein können. Keller, der Russe, der behauptete, er gliche einer »Quehle«, hatte indessen gut spotten. In seinem Moskau konnte man allerdings weitläufiger bauen, denn Eis und Schnee, aus welchen zu seiner Zeit die Paläste und Schießhäuser dahinten bestanden haben sollen, sind freilich ein wohlfeileres Material, als unsere Balken und Ziegel. Ich will übrigens auch zugeben, daß der Saal nicht übermäßig hoch gewesen ist; aber das ist eine handgreifliche Übertreibung von Keller, dem Russen, wenn er versicherte, der lange David habe sich beim Tanzen immer bücken müssen, um nicht mit dem Kopfe an die Decke zu stoßen. Denn, urteile selber, einsichtiger Leser, hätte mein Urgroßvater wohl so lustig dreinschauen können, wenn er bei der geringsten unvorsichtigen Bewegung in Lebensgefahr geschwebt? Ach, und wie lustig sah er aus! Das einzige Mal in seinem ganzen Leben was man so sagt lustig!

Er sollte die erste Menuett aufführen. Ja, mit wem nun wohl? Mit Christelchen? Das wäre ihm allerdings am leichtesten geworden, denn zwischen Abendmahlskindern besteht immer eine Art von kameradschaftlicher Vertraulichkeit. Mit Christelchen als Partnerin würde die Würde eines Vortänzers ihn weit weniger verlegen gemacht haben als mit jeder anderen. Aber einmal dachte er es sich doch noch angenehmer, Christelchen im raschen Ländler zu schwenken, und zum zweiten, so jung er war, so sah er doch ein, daß auf Rangverhältnisse einige Rücksicht genommen werden müsse und daß die blutjunge, von ihrer Hände Arbeit lebende Tochter der armen Witfrau nicht den ersten Tanz mit dem Sternkönig aufführen dürfe. Die Ehre gebührte einer Älteren und Höhergestellten; ohne Zweifel keiner anderen als der Jungfer Sophie Vogelin, der einzigen Tochter des schon erwähnten reichen Gerbermeisters Hans Adam Vogel.

Sie war nicht mehr in der ersten Blüte, vielleicht schon mündig, sie sah ein wenig blaß und traurig aus, die Jungfer Vogelin, und was am schlimmsten für sie war, sie hatte keinen ganz geraden Bau, wie man zu sagen pflegt, einen kleinen »Verdruß«; zwar nur einen ganz kleinen, aber doch einen Verdruß, und verdrießlich bleibt das immer. Indessen ein Hindernis war es nicht, daß mehrere angesehene Bürgersöhne und selber der Postschreiber – wie seine Frau Patronin versicherte – sich um die Hand der reichen Erbin bemühten. Vergebliche Mühe! Jungfer Sophie teilte einen Korb nach dem anderen aus, und da sich unmöglich annehmen ließ, daß sie freiwillig eine alte Jungfer zu werden verlange, so hieß es von ihr, sie trage große Rosinen im Sack und lauere auf einen Studierten. Ihre selige Mutter, eine geborene Leipzigerin, war auch schon ein wenig überspannt gewesen, und durch sie das unnütze Bücherlesen, samt anderen absonderlichen Schrullen, der Tochter in den Kopf gesetzt worden. Hatte sie doch sogar den alten, schwachen Hans Adam überredet, in der Auktion des seligen Herrn Amtshauptmanns das schöne Klavier zu erstehen und dem Mädchen beim Kantor Sing- und Spielstunden geben zu lassen. Da sitze sie nun abends nach neun, wenn der Vater zu Bette sei, und klimpere oft die halbe Nacht hindurch, aber um ihresgleichen kümmere sie sich wenig.

Als der junge Sternkönig die Tochter von seines Vaters Freund zur ersten Menuett aufzog, sprach er in seinem Leben das erste Wort mit ihr. Er teilte nicht im entferntesten die Vorurteile der anderen über ihre Person. Im Gegenteil: Meister Hans Adams anderes Wort war sein »Fiekchen«, der alte Mann wußte nicht, wie er sein stilles, häusliches Kind genugsam rühmen solle. Das hatte David oftmals mit angehört, und er nahte sich ihr daher voll großer Wertschätzung. Ja, so hochachtungsvoll war ihm zumute, daß er wirklich in Verlegenheit geriet, welche würdige Unterhaltung mit ihr zu beginnen.

Nachdem er einige Zeit bedenklich an seinem Busenstreifen gezupft hatte, fragte er endlich errötend: »Lieben die Jungfer Vogelin das Tanzvergnügen?«

»Ich habe noch niemals getanzt,« antwortete sie mit sanfter Stimme, indem sie das dunkle, große Auge zu Boden schlug und ihre Wange sich ein wenig färbte, »und ich bin auch heute nur hier, weil mein Vater es wünschte.«

Lege es der Leser meinem Urgroßvater nicht als Einfalt aus, daß er sich durchaus auf keine neue Wendung des Gespräches besinnen konnte. Ich versichere, daß er im späteren Leben niemals um ein Wort zu rechter Zeit verlegen gewesen ist und daß er auch an jenem Abend noch nach Herzenslust geplaudert hat. Im Ländler nämlich mit Christelchen! Das ging hast du nicht gesehen, die Lippen und die Füße! Sie trippelte wie eine Bachstelze, die muntere Christiane, und wie sie lachte! Vielleicht ein wenig zu laut für eine wohlerzogene Jungfrau, aber das Herz im Leibe lachte einem mit.

Er führte sie schon zum zweiten Male nach einem Tanze auf ihren Platz zurück. Ein neuer begann, ich glaube ein Englischer. Sie waren wirklich zu sehr außer Atem, sie mußten einmal überschlagen, und da just kein anderer Platz im Saale als der im Ofenwinkelchen ledig war, setzten sie sich nebeneinander und plauderten. Sie kamen auf die Vergangenheit, auf ihre Abendmahlsstunden; auf sein »Prosit Neujahr«, das sie wohl unterschieden hatte, auf die zwei schrecklichen Nächte, die darauf folgten. Er nannte sie »Christelchen«, wie vormals, und sie, da sich Davidchen doch nicht schickte und Mosjö Haller nicht über ihre Lippen wollte, sie nannte ihn lieber gar nicht. Fröhlich, ja ausgelassen, wie sie gewesen waren, die guten Kinder, nach und nach wurden sie ernsthaft, ja traurig. Er gestand ihr, daß, als er den ersten wiederkehrenden Atemzug seines Vaters gespürt, er auf seine Knie gesunken und seinem gütigen, wunderbaren Gotte gelobt habe, nur seinen Willen zu tun jederzeit, auch wo es schwer sei und kein Mensch es fordere.

Wie er das dem jungen Mädchen sagen konnte, mit welchem er noch vor einer halben Stunde so unbefangen gespaßt und getanzt? David Haller hätte es früher oder später in seinem Leben nicht begriffen, wie er das einem Menschen sagen konnte.

Sie waren erschrocken, auf einmal alles im Aufbruch zu finden. Es mußte mehr als der eine Englische gewesen sein, den er mit ihr im Ofenwinkelchen verplaudert hatte. Wie ein Pfeil sprang sie in die Höhe und den guten Freundinnen nach, mit welchen sie zum Tanze erschienen war. David hatte die größte Lust, sie nach Hause zu begleiten, kannte aber die Frauenzimmer ihrer Gesellschaft zu wenig und war zu schüchtern, sich deren Erlaubnis zu erbitten. So waren sie denn die beiden Letzten, die den Saal verließen, er nahm ihre Hand und sagte:

»Gute Nacht, liebes Christelchen!«

Sie blickte zu ihm auf – war das eine Träne in ihren blauen, freundlichen Augen? Er fühlte einen leisen Druck seiner Hand, ein Schauer überrieselte ihn vom Kopf zur Zeh – das liebe Mädchen war verschwunden.

Junge Kameraden forderten ihn auf, mit ihnen nach Hause zu gehen; er wich ihnen aus. Er wollte allein sein und nahm einen Umweg, um nur von keinem Nachfolgenden bemerkt zu werden. O dieser Heimgang! Ihm war nicht, als ob er den Berg nach der Stadt herniedersteige, ihm war, als ob er flöge, oder schwebe wie selige Geister.

Nach und nach ward er ruhiger, besonnener. Das bürgerliche Element, sein eigentliches Element, machte sich Bahn. Er fand, daß es nötig sei, einen Plan über seine Zukunft zu fassen, wollte den Vater bitten, seine Wanderschaft bald antreten zu dürfen, und heimgekehrt, sich im Orte niederlassen, um Christelchen freien und klein anfangen, ganz klein, wie zwei arme Menschen es müssen, aber fleißig und glücklich sein, wie die Fleißigsten und Glücklichsten auf Erden. Er konnte sich diese Vorstellung nicht weiter ausmalen, selbst in der dunklen Nacht mußte er die Augen niederschlagen vor so beschämender Freude.

In dieser seligen Stimmung kam er zu Hause an und war erstaunt, ja erschrocken, seinen Vater noch wach und seiner harrend zu finden.

»Dem Herrn Vater ist doch nicht wieder ein Unfall zugestoßen?« fragte er ängstlich.