Im Cockpit der Biene - Lars Chittka - E-Book

Im Cockpit der Biene E-Book

Lars Chittka

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Beschreibung

Wie Intelligenz bei einem Tier nachweisen, das nur wenige Wochen lebt? Lars Chittka erzählt uns unterhaltsam von den Wundern natürlicher Intelligenz selbst bei winzigen Tieren. Bienen entwickeln im Schwarm faszinierende Fähigkeiten, sind aber auch als Individuen verblüffend intelligent. Neue bahnbrechende Forschungen zeigen, dass sie denken und fühlen, dass sie Persönlichkeit, wenn nicht gar Bewusstsein besitzen. Bienen zählen, erkennen menschliche Gesichter und nutzen Werkzeuge, sie lösen Probleme durch Nachdenken und reagieren individuell auf äußere Reize. Und das alles mit völlig anderen Sinnesorganen: Dank ihres kompakten Nervensystems navigieren sie präzise und speichern Informationen, ihre Antennen sind multifunktional wie Schweizer Messer. Das neue Standardwerk über die Biene

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Seitenzahl: 470

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Foto: Richard Rickitt

DER AUTOR

Lars Chittka, in Bad Homburg geboren, hat in Berlin bei Randolf Menzel promoviert und ist seit 2005 Professor für Sensorische Ökologie und Verhaltensökologie an der Queen Mary University of London. Er forscht auf den Gebieten der Entomologie, Evolutionsbiologie, Kognition, Sensorischen Ökologie und Verhaltensbiologie. Sein spezielles Interesse gilt Modellen der Insekten-Pflanzen-Interaktion, insbesondere der Intelligenz von Bienen und Hummeln.

DIE ÜBERSETZERIN

Karin Fleischanderl übersetzt aus dem Italienischen und Englischen, u. a. Gabriele D’Annunzio, Pier Paolo Pasolini, Giancarlo De Cataldo, Paolo Rumiz. Österreichischer Staatspreis für literarische Übersetzung.

LARS CHITTKA

IM COCKPIT DER

BIENE

WIE SIE DENKT, FÜHLT UNDPROBLEME LÖST

Aus dem Englischen übersetztvon Karin Fleischanderl

Inhalt

1Einleitung

2Merkwürdige Farben sehen

3Die fremdartige Sinneswelt der Bienen

4Bloß Instinkt – oder doch nicht?

5Die Grundlagen der Intelligenz der Bienen und ihrer Kommunikation

6Das räumliche Lernen

7Über Blumen lernen

8Von sozialem Lernen zur „Schwarmintelligenz“

9Das Hirn der Bienen

10Unterschiede in der „Persönlichkeit“ individueller Bienen

11Haben Bienen ein Bewusstsein?

12Nachwort: Was unser Wissen über das Denken und Fühlen der Bienen für deren Schutz bedeutet

Danksagung

Anmerkungen und Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Index

1

Einleitung

Glaubt man etwa, ein Bewohner des Mars oder der Venus, der von einem Berggipfel herab die kleinen schwarzen Punkte, die wir im Raume sind, durch die Straßen und Plätze hin- und herwimmeln sähe, könnte sich … eine genaue Vorstellung von unserem Verstand, unserer Moral, unserer Art zu lieben, zu denken und zu hoffen, kurz unserem inneren und wirklichen Wesen machen? Er würde sich damit begnügen, gewisse erstaunliche Thatsachen festzustellen, ganz wie wir es im Bienenstock thun, und daraus würde er wahrscheinlich ebenso unsichre und irrige Folgerungen ziehen wie wir.

„Wohin gehen sie?“ würde er sich fragen, wenn er uns Jahre und Jahrhunderte lang beobachtet hätte. „Was thun sie? Welches ist der Mittelpunkt und der Zweck ihres Lebens? … Ich sehe nichts, was ihre Schritte lenkt. Heute scheinen sie allerhand Kleinigkeiten aufzuhäufen und aufzubauen, und morgen zerstören und zerstreuen sie sie. Sie kommen und gehen, sie versammeln sich und gehen auseinander, aber man weiß nicht, was sie eigentlich wollen.

Maurice Maeterlinck, 1901

Das Denken außerirdischer Wesen ist gewiss nicht einfach zu verstehen, doch um sich darauf einzulassen, muss man nicht unbedingt ins All fliegen. Lebewesen mit völlig fremdartigen Bewusstseinsformen sind mitten unter uns. Man findet sie zwar nicht bei den mit großem Gehirn ausgestatteten Säugetieren, deren Psyche manchmal nur untersucht wird, um menschliche Eigenschaften in leicht modifizierter Form zu entdecken. Doch bei Insekten wie Bienen gibt es keine derartige Versuchung. Weder die Staaten der Bienen noch die Psyche ihrer Individuen sind im Entferntesten mit denen der Menschen (Abb. 1.1) zu vergleichen. Tatsächlich unterscheidet sich ihre Wahrnehmung vollkommen von unserer, wird von völlig anderen Sinnesorganen beherrscht, und ihr Leben steht im Zeichen ganz anderer Prioritäten, sodass man sie durchaus als irdische Aliens bezeichnen kann.

Abb. 1.1. Fremdartige Bienenwelt. Viele Aspekte im Leben einer Biene oder der Bienenstaaten haben keine Entsprechung in der menschlichen Welt. Aufgrund spezieller Formen der Sinneswahrnehmung, instinktivem Verhalten, Erkenntnisvermögen und sozialer Interaktion entstehen Strukturen wie die in mathematischer Hinsicht optimalen Honigwaben, die in ihrer Regelmäßigkeit und Funktionalität einzigartig in der Tierwelt sind.

Der Insektenstaat erscheint uns auf den ersten Blick mitunter als ein gut geschmiertes Getriebe und das einzelne Insekt als Rädchen in diesem Getriebe. Doch dem Bewohner einer anderen Welt würde sich die menschliche Gesellschaft möglicherweise auch nicht anders darstellen. Ich möchte mit diesem Buch zu der Überzeugung beitragen, dass jede einzelne Biene ein Bewusstsein hat – dass sie sich ihrer Umwelt bewusst ist und Kenntnis von diesem Wissen hat, wozu auch autobiografische Erinnerungen gehören; dass sie weiß, was sie mit ihren Aktionen bewirkt, und zu einfachen Emotionen und Intelligenz fähig ist. Dieses Bewusstsein wird von einem wunderbar komplexen Gehirn getragen. Wie wir noch sehen werden, sind Insektenhirne alles anderes als einfach. Im Vergleich zum menschlichen Gehirn mit seinen 86 Milliarden Nervenzellen besitzt ein Bienenhirn zwar nur ungefähr eine Million, doch jede Zelle ist so komplex verzweigt, dass man ihre Struktur mit der einer ausgewachsenen Eiche vergleichen könnte. Jede einzelne Nervenzelle kann 10.000 Verschaltungen mit anderen Nervenzellen haben – deshalb gibt es in einem Bienenhirn möglicherweise mehr als eine Milliarde Synapsen – und jede ist zumindest potenziell plastisch bzw. kann durch individuelle Erfahrung verändert werden. Diese eleganten Mini-Gehirne sind viel mehr als Input-Output-Maschinen; sie sind biologische Prognosemaschinen, die über Optionen nachdenken. Und sie sind auch ohne äußere Reize, sogar nachts, spontan aktiv.

Wie es sich anfühlt, eine Biene zu sein

Um herauszufinden, wie man sich als Biene fühlt, sollte man die Ich-Perspektive einer Biene übernehmen und sich überlegen, welche Aspekte der Welt in diesem Fall wichtig wären und auf welche Weise. Ich fordere Sie auf, sich vorzustellen, wie es wäre, eine Biene zu sein. Gleich zu Beginn stellen Sie sich bitte vor, ein Exoskelett – eine Art Ritterrüstung – zu tragen. Darunter ist keine Haut: Ihre Muskeln kleben direkt an der Rüstung. Sie bestehen aus einer harten Schale und einem weichen Kern. Unter der Schale befindet sich auch eine chemische Waffe, eine Art Injektionsnadel, die jedes Tier, das gleich groß ist wie Sie, töten und Tieren, die tausendmal größer sind als Sie, enorme Schmerzen zufügen kann – doch der Einsatz dieser Nadel ist die Ultima Ratio, denn auch Sie können bei ihrem Gebrauch draufgehen. Und nun stellen Sie sich vor, wie die Welt aus dem Cockpit einer Biene aussieht.

Sie besitzen ein Gesichtsfeld von 300° und Ihre Augen können Informationen viel schneller verarbeiten als die der Menschen. Ihre Nahrung ist rein vegetarisch, doch jede Blüte liefert nur eine winzige Menge, deshalb müssen Sie oft kilometerweit zwischen einzelnen Blüten hin- und herfliegen – und Sie haben Tausende Konkurrenten, die ebenfalls auf Leckerbissen aus sind. Sie sehen eine größere Bandbreite an Farben als Menschen, sogar UV-Licht, und Sie spüren die Schwingungsrichtung des Lichts. Sie haben sensorische Superkräfte, etwa einen magnetischen Kompass. Sie haben Antennen auf dem Kopf, die so lang wie ein Arm sind und mit denen Sie schmecken, hören und Magnetfelder fühlen können (Abb. 1.2). Und Sie können fliegen. Wie wirkt sich das auf Ihr Bewusstsein aus?

Abb. 1.2. Porträt einer Biene und wie sie eine Blume sieht. A. Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Bienenkopfes. Die Antennen können Oberflächen abtasten und Luftströmungen fühlen, nehmen Geschmäcker, Gerüche, Temperaturen und elektrische Felder wahr. Die großen gekrümmten Augen auf beiden Seiten des Kopfes können gleichzeitig in alle Richtungen (außer nach hinten) schauen und reagieren auf UV-Licht und polarisiertes Licht. Die sogenannten Facettenaugen bestehen aus Tausenden „Mikroaugen“ (sogenannten Ommatidien), die alle eine sechseckige Linse besitzen (siehe Kasten rechts oben; Maßstableiste 50 µm) und einem Pixel eines Bildes entsprechen. B und C. So könnte eine typische sternförmige Blume aus einer Entfernung von 4 cm von einer Biene gesehen werden. Beachten Sie die geringe optische Auflösung und das aus dieser Perspektive stark verzerrte Bild.

Die Aufgaben einer Blütenbesucherin

Im Bewusstsein eines Tieres (auch des Menschen) sind unterschiedliche Informationen aus dessen evolutionärer Geschichte gespeichert; Informationen, die durch die im Lauf der Evolution entwickelten Sinnesorgane gefiltert werden, Informationen, die es aufgrund von Erfahrung gespeichert hat, und Dinge, die es sich vielleicht vorstellen oder voraussehen kann. Um sich eventuelle Bewusstseinsinhalte vorzustellen, sollte man darüber nachdenken, was für das fragliche Tier im Alltag wichtig ist. Mit ziemlicher Sicherheit kann man zum Beispiel sagen, dass Sex nicht ganz oben auf der Liste der Prioritäten von Bienenarbeiterinnen steht: Sie ist unfruchtbar, Fortpflanzung ist der Königin vorbehalten. Andererseits haben Blumen in der Wahrnehmung einer Biene eine ganz andere Bedeutung als in unserer. Pflanzen verwandeln Sonnenenergie in einen Energydrink – Nektar –, deshalb sichern sie das Überleben der einzelnen Biene und ihrer Familie. Auch Pollen – das Sperma der Pflanze – muss gesammelt werden, denn er ist sehr proteinreich.

Um noch tiefer in das Bewusstsein eines Wesens einzudringen, für das Blumen Leben bedeuten, stellen Sie sich eine junge Biene bei ihrem ersten Flug vor. Die Aufgabe besteht darin, sich die Lage ihres Stocks und die Landmarken in dessen unmittelbarer Umgebung einzuprägen und üppige Nahrungsquellen zu finden. Außerdem erwartet man von der Biene, dass sie schon nach ihren ersten Ausflügen einen Nahrungsüberschuss nach Hause bringt, sonst würden die jüngeren Geschwister verhungern. Auf jeden Fall besitzt unsere junge Biene auf Erkundungsflug einen großen Schatz an evolutionärem Wissen – das Fliegen zum Beispiel muss sie nicht lernen, und sie weiß instinktiv, dass bunte, duftende Punkte in der Landschaft wahrscheinlich Blüten sind.

Doch die Evolution hat die Biene nicht so ausgestattet, dass sie alle Informationen von vornherein deuten kann, denn vieles verändert sich von Generation zu Generation. Die Biene weiß nicht von Geburt an, wo genau sich die Blumen befinden oder wie genau sie aussehen; wie sie sie öffnen soll, ob sie Nektar oder Pollen enthalten, ob es sich um eine gute oder eine schlechte Quelle handelt; nicht einmal, ob sie im Augenblick ergiebig sind, denn möglicherweise sind sie schon von Konkurrentinnen ausgebeutet worden. All das muss jede einzelne Biene in Erfahrung bringen. Anders gesagt, eine Biene muss in drei Wochen – der kurzen Lebensspanne als erwachsenes Tier – viel lernen, oder sie wird niemals mehr zum Stock zurückfinden und keine erfolgreiche Blütenbesucherin werden.

Der erste Flug einer Biene ist der gefährlichste. Bis zu zehn Prozent aller Hummeln kehren von ihrem Jungfernflug nicht zu ihren Geburtskolonien zurück. Manche schaffen es nicht, sich die Lage ihres Stocks einzuprägen; andere fallen insektenfressenden Vögeln oder Lauerjägern wie der Krabbenspinne zum Opfer. Stellen Sie sich Menschenkinder in dieser Situation vor und Sie ahnen, wie schwierig die Aufgabe ist. Um ungefähr einzuschätzen, wie eine gerade mal ein paar Tage alte Honigbiene ausgestattet ist, stellen wir uns vor, unsere Versuchspersonen seien bereits ein paar Jahre alt (sagen wir sechs, also im Schulalter).

Wir setzen sie in einer Wildnis aus – also in einer Umgebung ohne markante Landmarken wie Gebäude (Abb. 1.3). Um es dem einzelnen Kind etwas einfacher zu machen, bewahren wir es vor Raubtieren. Seine Aufgabe besteht einzig und allein darin, Nahrung zurückzubringen, die sich – wie die Nahrung der Biene – in einem Umkreis von fünf Kilometern befindet. Es muss vorausdenken und genug Proviant mitnehmen, um die Reise zu überleben, und wenn ihm der Proviant ausgeht, muss es so intelligent sein, selbst welchen zu finden. Damit Sie ahnen, wie komplex floreale Strukturen sind, stellen wir uns vor, dass die Nahrung unterschiedlichen Knobelboxen entnommen werden muss und dass das Kind selbst, ohne Anweisungen von Erwachsenen, herausfinden muss, wie der Mechanismus funktioniert. Dann muss es ohne die Hilfe eines freundlichen Spaziergängers den Heimweg finden. Wie viele Kinder würde man wohl am Ende des Tages wiedersehen, noch dazu mit einer großen Ausbeute?

Abb. 1.3. Die Aufgaben eines nestgebundenen Insekts in einem natürlichen Habitat. Im Gegensatz zu urbanen Landschaften (in denen es oft einzigartige Landmarken gibt, die als Orientierungspunkte dienen) weisen natürliche Habitate oft ähnliche Silhouetten und Muster ohne erkennbare Merkmale auf. Doch Bienen legen auch in solchen Umgebungen erfolgreich viele Kilometer zurück und erinnern sich nicht nur an die Lage ihres Nests, sondern auch an die vieler Blumenpatches, die zu unterschiedlichen Tageszeiten ergiebig sind. Viele Menschen, die sich ohne moderne Technik, ohne Karten oder Hilfe von kundigen Führern in einer solchen Umgebung zurechtfinden müssten, würden kläglich scheitern.

Die wenigen, die es schaffen, würden natürlich über außergewöhnliche räumliche Vorstellungskraft verfügen, über gute Such- und motorische Fähigkeiten, und sie würden die Qualität der verschiedenen Quellen gut einschätzen können. Im Laufe der folgenden Tage würden einige Kinder immer besser werden. Sie haben sich die Lage der ergiebigsten Boxen eingeprägt, konzentrieren sich darauf, diese auszubeuten (und ähnliche zu erkennen), und schaffen es, auf kürzestem Weg zwischen den besten Lagen hin- und herzugehen. Doch die Dinge verändern sich. Möglicherweise gibt es Konkurrenz von einer anderen Kindergruppe und auch ein paar unvorhergesehene Veränderungen wie in der Blumenwelt: Eine ursprünglich üppige Nahrungsquelle verschwindet und neue Quellen tauchen auf, die erforscht werden wollen. Das sind einige der grundlegenden Aufgaben, die eine Biene bewältigen muss, über die sie vielleicht nachdenkt und die komplizierte Entscheidungen und effiziente Gedächtnisorganisation erfordern.

Der Verstand eines Kunden im Blumen-Supermarkt

Blüten sind im Grunde die Geschlechtsorgane der Pflanzen, und ihre Farben, Muster und Düfte haben die Funktion, Tiere zu einer sexuellen Transaktion zu verführen, die Pflanzen selbst aufgrund ihrer Bewegungsunfähigkeit nicht bewerkstelligen können: der Übertragung des Pollens von männlichen auf weibliche Blütenteile. Doch Bienen bieten diese Dienstleistung nicht gratis an; sie wollen dafür belohnt werden. Unter diesem Aspekt kann man Bestäubungssysteme als biologische Märkte bezeichnen, auf denen Tiere sich für „Marken“ (Blumenarten) aufgrund von deren Qualität (z. B. Zuckergehalt des Nektars) entscheiden und Pflanzen um „Kunden“ (Bestäuber) werben. Bienen lernen, die Werbung der Blumen zu erkennen, und verbinden sie mit der Qualität des feilgebotenen Produkts. Die Angebote auf diesem Markt sind in ständigem Wandel begriffen: Ein Blumenpatch, das am Morgen noch vielversprechend war, liefert vielleicht schon zu Mittag keinen Nektar mehr oder ist bereits von Konkurrenten geplündert worden. Vielleicht ist es am nächsten Vormittag wieder vielversprechend, doch drei Tage später sind die Blumen schon wieder verblüht. Bienen müssen ihre Informationen im Lichte dieser Veränderungen ständig aktualisieren und die Ausbeutung von Ressourcen immer mit Blick auf neue Quellen planen.

Das Bewusstsein einer Biene kann man im Grunde nur im Lichte der Herausforderungen der sich ständig verändernden Marktökonomie verstehen. Die Zwänge, die mit dem Agieren auf diesem Markt einhergehen, manifestieren sich oft als körperliche Leistung. So kann eine Biene zum Beispiel ihr eigenes Körpergewicht an Nektar und/oder Pollen transportieren; unter Umständen muss sie 1000 Blüten aufsuchen und zehn Kilometer fliegen, um ihren Magen ein einziges Mal zu füllen; und 100 solcher Ausflüge sind vonnöten, um einen Teelöffel Honig zu produzieren. Weniger bekannt sind die geistigen Anstrengungen, die unterwegs erforderlich sind: Wenn eine Biene 1000 Blumen besucht, muss sie 1000 Knobelboxen öffnen, deren Mechanik mitunter so kompliziert ist wie die eines Schlosses (Abb. 1.4). Jede Blumenart weist eine eigene Mechanik auf, die die Biene kennen muss, um das jeweilige Schloss zu öffnen und an den Inhalt heranzukommen. Beim Fliegen über eine Blumenwiese wird die Biene ständig mit Reizen (Farbmustern, Duftmischungen, elektrischen Feldern) bombardiert, unterschiedliche Blumen verschiedenster Arten erscheinen sekündlich im Blickfeld, weshalb die Biene nur die wichtigsten zur Kenntnis nehmen darf und den Rest ignorieren muss. Wenn sie 1000 Blumen aufsucht, muss sie vielleicht 5000 andere ignorieren, die sie entweder nicht kennt oder von denen sie weiß, dass sie unergiebig oder zu einem anderen Zeitpunkt belohnend sind (Abb. 1.5).

Abb. 1.4. Eine Blume als natürliche Knobelbox. A. Frontalansicht und B. seitliche Ansicht eines Eisenhuts (Aconitum variegatum); und C. Eine Hummel im Inneren der Blüte, die ihren Rüssel über dem Kopf in die „Kapuze“ der Blume steckt, um Nektar zu saugen. Unerfahrenen Hummeln gelingt es oft nicht, den Nektar zu finden; erfahrene Individuen haben oft Dutzende Versuche gebraucht, um die Technik zu beherrschen.

Abb. 1.5. „Einkaufen“ im Blumen-Supermarkt. Eine Biene, die über eine Blumenwiese fliegt, ist mit einer verwirrenden Vielfalt von Sinnesreizen konfrontiert, etwa den Farben und Gerüchen zahlreicher Blumenarten. Wie ein menschlicher Einkäufer muss die Biene die Blumenarten („Produkte“) erkennen, die das beste Kosten/Nutzen-Verhältnis versprechen (z. B. die größte Nektar- und Pollenbelohnung bei möglichst geringer Anstrengung, um an sie heranzukommen). Sie muss sich die Werbesignale dieser Blumen (ihre Farbe, ihre Form und ihren Geruch) einprägen und ihre Aufmerksamkeit auf nur diese Blumenarten richten und darf sich nicht von den Signalen anderen Blumen ablenken lassen.

Wenn die Biene auf Futtersuche Dutzende leere Blumen hintereinander vorfindet, die ein Konkurrent vor ihr geleert hat, muss sie mit der Frustration fertig werden und dafür sorgen, dass sie nicht verhungert, sie muss entscheiden, wann sie ihre Verluste begrenzt und sich auf die Suche nach einer alternativen Quelle begibt. Da die Biene pro Tag mehrere Tausend Blumen befliegt, kristallisieren sich allmählich Regeln heraus: Sind zum Beispiel bilateral symmetrische Blumenarten wie Löwenmäuler ergiebiger als radialsymmetrische wie Gänseblümchen, unabhängig von Art und Farbe? Die vorherrschende Meinung ist, die Intelligenz eines Insekts reiche nicht aus, um Regeln zu lernen, doch wie wir bald herausfinden werden, machen die Zwänge des Agierens auf dem Blumenmarkt derartige Operationen erforderlich. Noch dazu muss sie Angriffe von Beutetieren abwehren, sich an Blumenpatches erinnern und jene meiden, wo das Risiko, einem Beutetier zum Opfer zu fallen, besonders hoch ist. Sie muss die Lage ihres Nests im Gedächtnis behalten, auch wenn die Flugroute noch so gewunden war und obwohl sie vielleicht durch Windstöße von der bekannten Route abgebracht worden ist.

Komplexe Entscheidungen, Kommunikation und Nestbau

Bei ihrer Rückkehr stellt die Biene möglicherweise fest, dass ein Bär gerade ihr Nest plündert. Was soll sie tun? Zuerst ihre Nahrung abladen oder den Bären attackieren und den Tod riskieren? Soll sie summend um den Kopf des Bären herumfliegen und hoffen, dass das als Abschreckung reicht? Oder soll sie schlau auf einem nahen Baum warten, bis der Angriff vorüber ist? Man könnte glauben, dass die Entscheidung aufgrund instinktiver Mechanismen vorprogrammiert ist, doch Bienen können sich aufgrund ihrer Präferenzen individuell entscheiden.

Kaum ist der Bär weg, muss das Nest repariert und der gestohlene Honig ersetzt werden. Um eine Wabe zu bauen, müssen exakt sechseckige Zellen aus Wachsplättchen geformt werden, die von den Wachsdrüsen an den hinteren Bauchschuppen der Bienen produziert werden, wobei die Zellen gerade mal so groß sind, dass eine Bienenlarve darin Platz hat. Aus unbekannten Gründen bilden die Arbeiterinnen bei dieser Aufgabe hängende Ketten (Abb. 1.1). Bienen hängen in der Luft und halten mit ihren Schwestern Händchen, während sie die Waben rund um die Uhr reparieren.

Im typischen Nest der westlichen Honigbiene (einem, das nicht gerade von einem Bären zerstört wurde) ist es Tag und Nacht dunkel, und die Welt darin ist nicht minder faszinierend als die Außenwelt, in der die Biene sich bewegt. Stellen Sie sich einen fensterlosen Wolkenkratzer mit 100 Stockwerken vor, der so voll ist wie ein Bus zur Stoßzeit. Alle Oberflächen sind vertikal, und die Bewohner laufen ständig die Wände rauf und runter. Wie wissen die Individuen, was sie angesichts der unzähligen Aufgaben, die der Bienenstaat insgesamt erfüllen muss, zu tun haben?

Die Kommunikation der Bienen funktioniert zum Großteil über Pheromone (chemische Verbindungen, die von zahlreichen Drüsen – 15 im Fall der Honigbienen – abgegeben werden) und mittels elektrostatischer Signale, die Bienen erzeugen und über mechanosensorische Haarzellen wahrnehmen. Doch Bienen können einander auch mithilfe symbolischer Bewegungen über die Lage von Blumen informieren: ein merkwürdiges Bewegungsritual, das als Bienentanz bezeichnet wird. Eine Honigbiene vollführt auf einer vertikalen Wand einen Solotanz. Die anderen Bienen müssen aufgrund der Bewegungen der Tänzerin auf die genaue Lage eines Nahrungseldorados schließen.

Da es dunkel ist, müssen sie die tanzende Biene fühlen, um ihre Bewegungen zu verstehen. Dazu legt die Biene ihre Fühler auf den wackelnden und vibrierenden Hinterleib der Tänzerin. Um diesem Vorgang eine evolutionäre Perspektive zu geben, stellen Sie sich einmal vor, Ihr Überleben hinge davon ab, ob Sie die Bewegungen der Tänzerin richtig fühlen und interpretieren. Manche von uns bewähren sich auf dem dunklen Tanzparkett vielleicht besser als andere. Manche bewähren sich überhaupt nicht. Andere besitzen ein spezielles Talent dafür, in der Dunkelheit mithilfe von Tanzbewegungen zu kommunizieren; manche sind geschickt darin, sich diese Art der Kommunikation anzueignen. Im Laufe der Zeit, über viele Generationen hinweg, wurden besonders gelungene Methoden, Botschaften als Tanz zu codieren, selektiert, aber auch die Fähigkeit, den Code mithilfe des Tastsinns zu dechiffrieren.

Warum es wichtig ist, sich andere Denkweisen vorzustellen, um sie zu verstehen

Manche Philosophen halten es für sinnlos, sich solche merkwürdigen alternativen Welten vorzustellen. Mir hingegen erscheint es außerordentlich nützlich. Ich kann mir zwar nicht genau vorstellen, wie es sich anfühlt, so zu sein wie Sie (und noch weniger, ein anderes Lebewesen zu sein), aber wenn ich Sie kenne, kann ich es mir ein bisschen besser vorstellen. Ich kann nicht wissen, ob Sie die Farbe Rot auf dieselbe Weise wahrnehmen wie ich, aber ich kann herausfinden, ob wir dieselbe Farbe übereinstimmend als Rot bezeichnen und ob wir zwischen zwei Rot-Tönen unterscheiden (was eine Biene nicht kann). Ich kann mir auch vorstellen, was es bedeutet, eingeschränkte Sinneskräfte zu besitzen (etwa, wenn ich die Brille abnehme oder mich in einem dunklen Keller zurechtfinden und zur Kompensation des mangelnden Sehsinns den Tastsinn zu Hilfe nehmen muss), und ich kann mir sogar vorstellen, wie es wäre, sensorische Superkräfte wie einen Röntgenblick zu besitzen. Diesen könnte man sicher untersuchen – man könnte zum Beispiel messen, wie dick die Mauer ist, die ich mit dem Blick durchdringe, oder man könnte feststellen, ob ich die Farbe der Kleidung eines Menschen durch die Wand hindurch sehen kann, usw. Derartige Tests bezüglich der Wahrnehmung eines anderen Lebewesens helfen uns, dessen Welt ein wenig besser zu verstehen.

Die Frage, über die manche Philosophen sich den Kopf zerbrechen – können wir wirklich nicht wissen, wie es sich anfühlt, ein anderes Tier zu sein? –, ist wahrscheinlich sinnlos. Letzten Endes ist es völlig unspektakulär, in einer anderen Sinneswelt zu leben, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat. Nur der Erwerb einer neuen sensorischen Fähigkeit, sofern überhaupt möglich, wäre aufregend, doch auch das würde bald seinen Reiz verlieren und sich normal anfühlen. Sinneswahrnehmungen werden nur dann zu bedeutungsvollen subjektiven Erfahrungen, wenn sie mit emotionalen einhergehen – im Falle der Biene wäre das vielleicht ihre Reaktion auf die Entdeckung einer besonders reichen Nahrungsquelle, die erfolgreiche Flucht vor einer Krabbenspinne oder der Schock, dass ihr Nest gerade von einem großen Säugetier geplündert wird. Im Folgenden werden wir den Nachweis erbringen, dass Bienen psychische Zustände kennen, die man, wenn man auf wild lebende und auf Haustiere dieselben Kriterien anwendet, als gefühlsartige Zustände beschreiben kann.

Ein wichtiger erster Schritt besteht darin – wie bereits angedeutet –, herauszufinden, wie es sich anfühlt, das Leben aus der Perspektive eines Tieres zu erfahren, zu verstehen, was für dieses Tier wichtig ist. Wenn wir verstehen, dass Tiere wie Bienen die Welt mithilfe völlig anderer Sinne wahrnehmen als wir und dass für ihr Wohlbefinden und ihr Überleben andere Umweltaspekte wichtig sind als für uns, können wir unsere Fantasie spielen lassen, ohne in die Falle des Anthropomorphismus zu gehen und menschliche Eigenschaften auf tierisches Verhalten zu projizieren.

Welche Bienen?

Bei Bienen mögen viele Leser an soziale Arten denken, vor allem an die domestizierte westliche Honigbiene Apis mellifera. Was wir über das Denken und Fühlen der Biene wissen, wurde tatsächlich zum Großteil anhand dieser weitverbreiteten Art und einer Handvoll anderer sozialer Arten wie Hummeln erforscht (Hummeln sind, stammesgeschichtlich betrachtet, auch Bienen). Ihr soziales Leben weist faszinierende psychologische Aspekte auf. So wenden sie etwa äußerst komplexe Kommunikationsmethoden an, um effiziente Arbeitsteilung – Nahrungsbeschaffung, Wärmeregulierung, Verteidigung – innerhalb der Kolonie zu gewährleisten. Doch nur wenige Hundert von insgesamt mehr als 20.000 Bienenarten sind sozial, und Biologie und Verhalten der vielen Solitärbienen sind nicht weniger faszinierend. Auch diese Bienen praktizieren Brutpflege und bauen ein Nest für ihre Jungen – doch anders als Arbeiterinnen der sozialen Bienen sind sie Solomütter. Bei allen Arten sind die Männer nur für Sex zu gebrauchen. Weibliche Solitärbienen müssen genau wie soziale Bienen viele Lernaufgaben bewältigen – sie müssen sich ebenfalls die Lage ihres Nests einprägen und sich mit dem Erscheinungsbild und der Bearbeitung verschiedener Blumen vertraut machen. Doch Solitärbienen sind außerdem „Mädchen für alles“: Während soziale Bienen bestimmte Aufgaben an Spezialisten delegieren, müssen Solitärbienenmütter im Alleingang passende Nistplätze suchen, Nester bauen, sie vor Parasiten und Raubtieren schützen und die Nahrung für die Brut besorgen. Ich will in diesem Buch jedoch nicht die gesamte Literatur zur Psychologie der zahlreichen Bienenarten referieren, sondern mich auf einige aussagekräftige Beispiele konzentrieren.

Aufbau des Buches

Die beiden folgenden Kapitel geben zunächst eine Übersicht über den Sinnesapparat der Bienen. Alle im Hirn der Biene gespeicherten Informationen müssen nämlich zuerst von den Sinnesorganen gefiltert werden – und wir werden bald feststellen, dass die Sinneswelt der Bienen sich nicht nur völlig von jener der Menschen unterscheidet, sondern auch reichhaltiger ist. Doch nicht alle Informationen im Hirn eines Tieres (wie auch in dem des Menschen) werden individuell erworben: Unsere Instinkte bestimmen zumindest zum Teil, was wir begehren, was wir fürchten, wie wir bestimmte Bewegungen ausführen usw. In Kapitel 4 geht es dann um das vielfältige Repertoire der angeborenen Verhaltensweisen der Bienen und um die Frage, wie sehr diese ihre Psyche und ihr Lernverhalten beeinflussen. In Kapitel 5 erforschen wir, warum die Grundlage der Intelligenz der Bienen in ihrer Lebensweise als ortsgebundene Insekten (die zu ihrem Nest zurückkehren müssen) zu suchen ist. Bereits die Vorfahren der Bienen haben ihr Vagabundenleben aufgegeben und sind dazu übergegangen, Nester zu bauen, in denen sie ihre Nachkommen beschützen und mit Nahrung versorgen konnten, und das erforderte ein gutes räumliches Gedächtnis, damit das Nest auch nach langen Flügen wiedergefunden werden konnte. Kapitel 6 beschäftigt sich ausführlich mit der räumlichen Vorstellung der Bienen.

In Kapitel 7 erfahren Sie, wie Bienen durch die Gewohnheit, Blumen zu befliegen, zu den intellektuellen Riesen der Insektenwelt geworden sind; wie Bienen, abgesehen von der grundlegenden Notwendigkeit, die Lage von Blumen, Farben und Gerüche zu erkennen, darüber hinaus während ihres kurzen Lebens Regeln und Konzepte entwickeln, die ihnen dabei helfen, Ressourcen effizient zu nutzen. In Kapitel 8 beschäftigen wir uns mit der Frage des sozialen Lernens. Bienen können eine überraschend große Menge an Informationen erwerben, indem sie andere Bienen beobachten: nicht nur welche Blumen sie aufsuchen, sondern auch, wie sie komplexe Aufgaben, etwa die Manipulation von Objekten, bewältigen. So gesehen sind viele komplexe soziale Verhaltensweisen das Ergebnis individueller Problemlösungsstrategien und nicht, wie man bisher dachte, eines diffusen Schwarmwissens.

Auf der Basis dieses Grundlagenwissens von der Sinneswahrnehmung bis zur komplexen sozialen Erfahrung versuchen wir in Kapitel 9 herauszufinden, wie das Mini-Nervensystem der Bienen eine derartige Komplexität tragen kann. In Kapitel 10 widmen wir uns den Persönlichkeitsunterschieden einzelner Bienen und deren neuronaler Grundlage.

In Kapitel 11 stellen wir auf der Grundlage der vorangehenden Kapitel die schwierigste Frage: Haben Bienen ein Bewusstsein? Da die Antwort mit hoher Wahrscheinlichkeit „ja“ lautet, befassen wir uns in Kapitel 12 abschließend mit ethischen Fragen in Bezug auf den Bienenschutz, die sich aus unserer Beschäftigung mit den subjektiven Erfahrungen und der Wahrscheinlichkeit ergeben, dass Bienen ein zumindest elementares Gefühlsleben aufweisen.

Ein Blick in die Geschichte

Bienen und der von ihnen produzierte Honig begleiten die Menschen seit Beginn ihrer Evolution. Unsere engsten Verwandten, die Menschenaffen, fressen Honig und verwenden Werkzeuge, um Honig aus wilden Bienenkolonien zu gewinnen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass erste Hominiden dasselbe taten. Auf prähistorischen Höhlenmalereien vieler Kontinente ist die Plünderung von Bienenkolonien dargestellt, und noch heute gewinnen Jäger-Sammler-Stämme Honig von verschiedenen Wildbienenarten. Honig ist der kohlenhydratreichste Energydrink, den die Natur zu bieten hat, und manche Wissenschaftler glauben, dass die Praxis des Honigsammelns möglicherweise die Entwicklung unserer energiehungrigen Gehirne befeuert hat.

Doch wie viele kluge Köpfe bezeugen werden, ist mehr als Zucker vonnöten, um zündende Ideen hervorzubringen. Tatsächlich waren Bienen auch für Rauschzustände zuständig: Met, aus vergorenem Honig gewonnen, ist eines der ältesten alkoholischen Getränke. Met wurde seit mindestens 9000 Jahren von Menschen konsumiert und war in so weit voneinander entfernten Ländern wie China, Finnland, Äthiopien und dem präkolumbianischen Mexiko seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden bekannt. Und bevor das elektrische Licht erfunden wurde, haben Kerzen aus Bienenwachs die Nacht (und die Schreibstuben der Gelehrten und Tempel) erhellt.

Angesichts der lange währenden Beziehung zwischen Menschen und Bienen ist es nicht verwunderlich, dass es eine Menge wissenschaftlicher Werke über das Verhalten von Bienen gibt. Während meiner Arbeit an diesem Buch habe ich mit großem Vergnügen die historische Literatur zu diesem Thema gelesen, etwa die Werke des blinden Schweizer Wissenschaftlers François Huber, der an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert herausfand, dass zum Bau von Honigwaben Planungsfähigkeiten notwendig sind; außerdem vertrat er die Meinung, die individuell unterschiedlichen „Persönlichkeits“-Merkmale der Bienen seien der Grund für die Arbeitsteilung in der Kolonie. Sehr inspirierend ist auch die Geschichte des afro-amerikanischen Wissenschaftlers Charles Turner (1867–1923), der Pionierarbeit bei der Erforschung der Psyche der Bienen und anderer Insekten leistete, obwohl er mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte: Als Lehrer an einer High School hatte er keinen Zugang zu Labors oder einer wissenschaftlichen Bibliothek.

Ein Teil dieser historischen Literatur ist heutigen Wissenschaftlern kaum bekannt, ihre Entdeckung dagegen so spannend, als hätte man die Durchbrüche im eigenen Labor erzielt. In diesem Buch versuche ich deshalb, jüngere Erkenntnisse in einen historischen Kontext zu stellen, zumal manche scheinbar aktuellen Ansichten zum Denken der Bienen in der einen oder anderen Weise schon vor über einem Jahrhundert geäußert wurden. Da unsere wissenschaftlichen Ahnen oft auch exzellente Schriftsteller waren und ihr Stil weniger trocken und fachsprachlich ist als der vieler heutiger Gelehrter, werde ich Kostproben dieser historischen Werke einstreuen, in der Hoffnung, Sie dazu anzuregen, die Originale zu lesen. Zumindest kurz möchte ich auch auf die Biografien der Wissenschaftler eingehen, deren bahnbrechende Erkenntnisse mich inspiriert haben. Denn kein Wissenschaftler arbeitet in einem Vakuum: Sowohl zu entscheidenden Entdeckungen wie eminenten Irrtümern haben die Zeit und die Umstände beigetragen, unter denen sie jeweils gearbeitet und die sie beeinflusst haben.

Begleiten Sie mich auf dieser Reise in das Bewusstsein der Bienen. Den Anfang macht ein Blick auf ihre fremdartige Sinneswelt.

2

Merkwürdige Farben sehen

Die Idee, dass helle Farben für Insekten attraktiv sind, scheint auf der Annahme zu basieren, dass das Farbensehen der Insekten ungefähr dasselbe wie das unsere ist. Doch das ist überhaupt nicht erwiesen.

Lord Rayleigh, 1874

Um zu verstehen, was im Kopf einer Biene vorgeht, müssen wir zuerst herausfinden, wie die Sinne der Biene beschaffen sind, denn alle Informationen, die ein Tier aufnimmt, werden von seinen Sinnesorganen gefiltert – und die unterscheiden sich beträchtlich von Art zu Art. In diesem und im folgenden Kapitel werden wir erfahren, dass die Sinneswelt der Bienen in keiner Weise ärmer ist als unsere, obwohl ihr Nervensystem so winzig ist. Bienen besitzen dieselben Sinne wie wir (Tastsinn, Sehsinn, Gehörsinn, Geruchssinn, Geschmackssinn, Wärmeempfinden) und darüber hinaus einige, derer wir uns oft nicht bewusst sind (wie Gleichgewichts- und Zeitsinn). Sie besitzen aber auch Sinne, die uns fehlen (etwa einen magnetischen Kompass). Faszinierend ist jedoch, dass die Wahrnehmung der Bienen in jedem einzelnen Sinneskanal völlig anders ausgeprägt ist als bei uns. In diesem Kapitel beginnen wir mit dem Farbensinn der Bienen, der sich – wie Lord Rayleigh im obigen Zitat andeutet – grundlegend von unserem unterscheidet. Wir werden das Farbsehen der Bienen als Fallstudie verwenden, um zu zeigen, wie man die Sinne eines Tiers erforschen kann, bevor wir uns (in Kapitel 3) anderen Sinneswahrnehmungen der Bienen zuwenden.

John Lubbock (1834–1913, siehe Kapitel 3) beschäftigte sich als erster mit dem eigentümlichen Farbensinn von Insekten. Lubbock beobachtete, dass Ameisenkolonien, wenn man sie beleuchtet, ihre Brut aus dem Licht zu dunkleren Plätzen transportieren. Dann benutzte er verschiedene Farbfilter. Er stellte fest, dass Ameisen Larven und Eier aus violettem Licht entfernen, obwohl Menschen diese Wellenlänge fast als dunkel wahrnehmen. „Es hat den Anschein, dass ihre Farbwahrnehmung sich sehr von unserer unterscheidet. Doch ich wollte darüber hinausgehen und unbedingt herausfinden, inwieweit die Grenzen ihrer Wahrnehmung unseren entsprechen.“ Lubbock legte daraufhin Ameisenpuppen unter UV-Licht – und die Arbeiterinnen vieler Ameisenarten entfernten die Larven schnell aus der für sie potenziell schädigenden, für uns jedoch völlig unsichtbaren Strahlung. Darüber hinaus brachten die Ameisen ihre Larven oft in Rotlicht, das in den Augen eines menschlichen Betrachters sehr hell ist, für die Ameisen jedoch fast der Dunkelheit zu entsprechen scheint, in der sie ihre Brut gut aufgehoben wähnen. Dies war ein erster Hinweis darauf – der sich erst Jahrzehnte später bestätigte –, dass viele Insekten rotblind sind bzw. ihre Wahrnehmung sich nicht so weit wie unsere in die längeren Wellenlängen des Spektrums erstreckt.

Die Entdeckung, dass Insekten auf einen Teil der elektromagnetischen Strahlung reagieren, den Menschen nicht wahrnehmen, ermöglichte einen ersten Blick in eine Sinneswelt, die sich total von unserer unterscheidet (Abb. 2.1). Inzwischen wissen wir, dass die meisten Tiere (und alle Bienen) UV-Licht sehen können – eine Fähigkeit, die uns Menschen (und den meisten Säugetieren) erstaunlicherweise fehlt.

Abb. 2.1. Bienen reagieren auf UV-Licht, deshalb sehen sie Blumenmuster, die einem menschlichen Beobachter verborgen bleiben. Wir sehen die Blütenblätter der Blume (links) einfarbig gelb, doch die Biene sieht sie zweifarbig, wie in dem Bild (rechts) zu sehen ist, das mit einem speziellen, für UV-Licht durchlässigen Filter angefertigt wurde, der alle für ein Menschenauge sichtbaren Wellenlängen blockiert. Die weiße Hinterleibsregion der Hummel reflektiert ebenfalls UV-Licht, die gelben Steifen und der schwarze Teil jedoch nicht.

Carl von Hess versus Karl von Frisch – die Debatte über das Farbensehen der Bienen

John Lubbock hatte mithilfe seiner Forschung an dressierten Honigbienen bewiesen, dass Bienen lernen konnten, verschiedene Papierfarben mit Honig in Verbindung zu bringen. Doch der deutsche Augenarzt Carl von Hess (1863–1923) wandte ein, dies sei kein formaler Beweis für Farbensehen: Sogar ein völlig farbenblinder Mensch könne aufgrund der Intensität der jeweiligen Farben Rot von Blau unterscheiden. In ähnlicher Weise könnten zwei unterschiedlich pigmentierte Papierstreifen in den Augen eines farbenblinden Tieres als unterschiedliche Grauschattierungen erscheinen. In seinem ersten umfangreichen Buch über Farbensehen bei Tieren (1912) kam der angesehene von Hess, der für sein wissenschaftliches Werk in den Ritterstand erhoben worden war, zu dem Schluss, alle Wirbellosen (und auch Fische) seien farbenblind.

Im selben Jahr stellte der 26-jährige Universitätsassistent Karl von Frisch (1886–1982) die berechtigte Frage, warum es denn bunte Blüten gäbe, wenn Bestäuber die Farben gar nicht sehen könnten. Warum sonst sollte die Evolution dafür gesorgt haben, dass die meisten Blüten sich deutlich von den Blättern abhoben? Von Frisch führte ein Experiment durch, mit dem er von Hess widerlegte. Er stellte ein Schälchen mit Zuckerwasser auf ein buntes quadratisches oder rechteckiges Papier, inmitten von Papieren in verschiedenen Grauschattierungen (Abb. 2.2). Die Bienen setzen sich immer auf die bunte Karte, auch wenn die Lage dieser Karte verändert wurde, die Bienen sich also nicht einfach die Lage dieser Karte eingeprägt haben konnten.

Abb. 2.2. Originalabbildung aus Karl von Frischs bahnbrechender Publikation (1914) über das Farbensehen der Bienen. Bienen, die darauf dressiert waren, Zuckerwasser aus Glasschälchen auf blauem Papier zu schlürfen, entdeckten „Blau“ auch, wenn es sich an einer anderen Stelle befand, und konnten es von allen Grauschattierungen unterscheiden, womit bewiesen war, dass sie nicht nur die Helligkeit des Reizes gelernt hatten.

Wenn man im damaligen deutschen Universitätssystem als junger Wissenschaftler einem etablierten Professor widersprach, bedeutete das unter Umständen das Ende der Karriere. Wie erwartet tobte von Hess vor Wut. Als er von von Frischs Experimenten erfuhr, beeilte er sich, seinen Bericht noch vor von Frischs Buch zu veröffentlichen. Bei seinen Versuchen, Bienen das Farbensehen beizubringen, hatte von Hess Honig als Belohnung benutzt (anders als von Frisch, der geruchloses Zuckerwasser verwendete), doch der Geruch von Honig ist für Bienen so unwiderstehlich, dass er alle anderen Eigenschaften des Zieles übertönt. Deshalb war von Hess zu einem negativen Ergebnis gekommen. In seiner Schrift „Experimentelle Untersuchungen über den angeblichen Farbensinn der Bienen“ (1913) prahlte er: „Es ließ sich zeigen, dass sowohl die älteren Angaben Lubbock’s … wie auch die neueren von Frisch’s, nach welchen eine „Dressur“ der Bienen auf bestimmte Farben möglich sein sollte, sämtlich unrichtig sind … Es ist bisher nicht eine einzige Tatsache bekannt geworden, die die Annahme eines dem unseren irgendwie vergleichbaren Farbensinnes bei Bienen auch nur wahrscheinlich machen könnte. Dagegen ist durch meine Untersuchungen … diese Annahme endgültig widerlegt.“

Doch von Frisch war weder beeindruckt noch eingeschüchtert. In seinem ausführlichen Bericht über seine Experimente (1914) legte er den Beweis für das Farbsehen der Bienen klar und deutlich dar. Auch in seinen Kommentaren zur Arbeit von von Hess nahm er kein Blatt vor den Mund:

Von Hess gibt dies freilich nicht zu. Er sucht meine Arbeiten dadurch zu diskreditieren, dass er immer wieder erklärt, sie seien laienhaft und ohne Kenntnis der Physik und Physiologie der Farben angestellt. Ein stichhaltiger Beweis für diese Behauptung wird nicht erbracht. … Meine entscheidenden Versuche erklärt er sämtlich für unrichtig … ich protestiere gegen die in der Wissenschaft nicht unübliche Methode der Polemik, und ich kann verlangen, dass v. Heß so wegwerfende Redensarten … unterlässt.

Von Hess legte „zur Prüfung dieser Angabe“ seinen Bienen, die er auf Blau dressiert hatte, einen gelben, mit Honig beschmutzten Bleistift vor und sah, dass sie diesen besuchten; auch eine blaue Jacke besuchten sie erst, als er sie mit Honig beschmutzte. Der Versuch zeigt nur – was jedermann weiß –, dass Bienen durch Honig angelockt werden können.

Als junger Wissenschaftler setzte von Frisch mit derartigen Aussagen seine Zukunft aufs Spiel. Er schrieb an seine Mutter, er hätte „das nicht ganz behagliche Gefühl, nun einen wirklichen Feind in der Welt zu haben, den ersten, und einen, der mir genug schaden kann“. Doch von Frischs Beweise waren so eindeutig, dass von Hess’ Versuche, den jungen Wissenschaftler zu diskreditieren, ins Leere liefen. In seiner Autobiografie räumte von Frisch sogar ein, dass ihm die Auseinandersetzung geholfen habe, hatte sie ihm doch Bekanntheit verschafft. Sicher bereitete sie ihn darauf vor, zukünftige Entdeckungen mit unwiderlegbaren Beweisen und Argumenten zu untermauern. Von Frisch wurde 1973 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, während von Hess’ Ansichten allmählich in Vergessenheit gerieten.

In einer Sache hatte von Hess allerdings recht. Wie er in einem speziellen Experiment bewiesen hatte, reagieren Bienen unter bestimmten Umständen nicht auf Farben, sondern auf Licht: Phototaxis bezeichnet die Orientierung nach dem Licht, die viele Insekten an den Tag legen, wenn sie bedroht werden. In diesem Fall sind die Bienen tatsächlich farbenblind. Doch unter bestimmten Umständen farbenblind zu sein, bedeutet nicht, dass der Organismus überhaupt keine Farben sehen kann. Menschen zum Beispiel sind im Dämmerlicht oder in der Dunkelheit farbenblind – daher das Sprichwort „Nachts sind alle Katzen grau“. Doch sowohl Menschen als auch Bienen sehen zumindest am Tag Blüten in Farbe. Außerdem fand von Frisch Beweise für die Annahme, dass sich das Farbensehen der Bienen grundlegend von dem der Menschen unterscheidet: Er stellte fest, dass Bienen kein Problem damit haben, ein blaues oder gelbes Viereck inmitten von grauen zu finden, dass sie jedoch regelmäßig rote mit dunkelgrauen verwechselten. Daraus schloss er, dass Bienen rotblind sind, was erklärt, warum rote Blumen in der europäischen Flora relativ selten sind.

Karl von Frisch und die Nazis

Danach wandte sich Karl von Frisch anderen Themen zu (vor allem der Tanzsprache der Bienen, siehe Kapitel 5). In den 1920er-Jahren fand man heraus, dass bestimmte Bienenarten auf UV-Licht reagieren und Blüten UV-Licht reflektieren, doch danach überließ er die ausführliche Erforschung des Farbensehens der Bienen seinen Studenten, vor allem Karl Daumer in den 1950er-Jahren (s. u). Doch man kann von Glück sprechen, dass er überhaupt weiter forschen durfte, denn in der Nazizeit 1933–1945 fiel von Frisch in Ungnade. Eine seiner Großmütter war Jüdin; sie war allerdings gleich nach der Geburt getauft worden. Das Reichserziehungsministerium forderte eine Entlassung des Forschers, eines „Mischlings zweiten Grades“ (Vierteljuden, wie es in ihrer Diktion in einem Brief vom 12. Januar 1941 hieß), von seiner Stelle an der Universität München. Einflussreiche Kollegen warfen ihm eine „außergewöhnlich große Liebe für Juden und Judenstämmlinge“ und eine „geradezu bornierte Haltung zum Antisemitismus“ vor; eines seiner Werke wurde als „Musterbeispiel jüdischer Reklame“ moniert. Sie beschwerten sich, es sei „höchste Zeit, dass das modernste und bestausgestattete Zoologische Institut Deutschlands, das zur Zeit noch von einem kleingeistigen Spezialisten beherrscht wird, der der neuen Zeit verständnislos und auf’s feindseligste gegenübersteht, eine Leitung erhält, die diesen Zuständen ein Ende macht“.

Wahrscheinlich aus Verzweiflung hat von Frisch einiges unternommen, um die Nazis zufriedenzustellen (obwohl er nie Parteimitglied wurde): Sein ansonsten sehr aufschlussreiches Buch Du und das Leben. Eine moderne Biologie für Jedermann von 1936 enthält im Schlussteil verstörende Aussagen über Rassenhygiene und die Empfehlung, geistig Behinderte ohne deren Einwilligung zu sterilisieren. Von Frisch, der selbst so kurzsichtig war, dass man ihn im Ersten Weltkrieg vom Wehrdienst befreit hatte, beklagt darin, dass die Kurzsichtigen, die beim Überlebenskampf unserer Vorfahren auf der Strecke geblieben wären, von der modernen Zivilisation verzärtelt würden. Es ist zu hoffen, dass diese Stellen auf Druck der Nazi-Behörden entstanden und vom Autor nicht freiwillig verfasst wurden. Vielleicht hoffte von Frisch auf diese Weise nicht nur seinen Job zu behalten, sondern auch die vielen jüdischen Wissenschaftler zu beschützen, die Mitte der 1930er-Jahre noch an seinem Institut arbeiteten. Auf jeden Fall ist dieser Text ein unbequemes Beispiel, wie ein Intellektueller, der vom Naziregime bedroht wurde, sich in diesen extrem schwierigen Zeiten zu arrangieren versuchte.

Letzten Endes rettete der Ausbruch einer Bienenseuche vorübergehend die Stellung des Wissenschaftlers. Zwischen 1940 und 1942 fielen Hunderttausende Bienenstöcke einem Einzeller, dem Nosema-Parasiten, zum Opfer (eine frühe Form von Bienensterben), was die Ernährungssicherheit gefährdete: Viele Nutzpflanzen wurden nicht bestäubt. Martin Bormann, Reichsleiter und Privatsekretär Hitlers, beschied, dass von Frischs Pensionierung bis zum Kriegsende aufgeschoben werden sollte (in der Hoffnung, dass die Nazis den Krieg gewinnen und von Frisch danach feuern würden). Bis 1945 übernahm von Frisch die undankbare Aufgabe, das Bienensterben zu beenden. Es gelang ihm zwar nicht, ein Mittel gegen die Nosemose zu finden, doch der Aufschub rettete seine Anstellung und seine Bienenforschung, und er hatte die Möglichkeit, weitere junge Wissenschaftler auszubilden. Er machte weitere bahnbrechende Entdeckungen, und die meisten Wissenschaftler, deren Arbeit in diesem Buch erwähnt wird, waren seine Studenten, die Studenten seiner Studenten oder die Studenten der Studenten seiner Studenten (wie ich, aber ich bin nur einer von vielen).

Eine fremdartige bunte Welt

Karl Daumer (* 1932), ebenfalls ein Student von Frischs, entdeckte sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zwischen dem Farbensehen der Bienen und dem der Menschen. Seine Doktorarbeit machte die Biene, einmal abgesehen vom Menschen, zum in Hinblick auf das Farbensehen am besten erforschten Tier. Und dank vieler Generationen talentierter Wissenschaftler, die in seine Fußstapfen traten, hat die Biene diese Stellung beibehalten. Doch bevor wir uns dem Farbensehen der Bienen widmen, ein paar Worte über unsere Farbwahrnehmung:

Auch das Farbensehen des Menschen ist einigermaßen merkwürdig, denn die Wahrnehmung der Farbe erlaubt uns keine Rückschlüsse auf die spektralen Eigenschaften eines Objekts. Wenn wir gelbes mit rotem Licht mischen, sehen wir Orange – und können weder sagen, dass die Farbe durch das Mischen zweier Farben (mit unterschiedlichen Wellenlängen) entstanden ist, noch können wir die Mischung von monochromatischem orangem Licht (einer einzigen Wellenlänge) unterscheiden. Weiß nehmen wir aufgrund der additiven Vermischung von Komplementärfarben – Blau und Gelb, Rot und Cyan, Grün und Magenta – oder der drei Grundfarben – Grün, Rot und Blau – wahr.

Wenn wir die kurzwelligen und die langwelligen Farben am jeweiligen Ende des Spektrums (Violett und Rot) mischen, entsteht ein Eindruck, den es im Spektrum gar nicht gibt: Purpur. Wir sind an diese Farbphänomene so gewöhnt, dass wir uns gar nicht bewusst sind, wie wenig sie der materiellen Welt entsprechen: Aufgrund der Farbe, die wir sehen, können wir nicht einfach auf den physikalischen Reiz (oder die Reize) schließen. Beim Hören hingegen können wir bei einem Akkord von drei Tönen sehr gut die einzelnen Töne heraushören. Eine Mischung von 400 Hz und 800 Hz würden wir niemals als einen durchschnittlichen Wert (von z. B. 600 Hz) wahrnehmen – doch beim Sehen passiert genau das.

Der Grund dafür liegt zunächst in der Ausrüstung der Rezeptoren. Wir haben nur drei Typen von Farbrezeptoren (für blaues, grünes und rotes Licht), und jede einzelne von ungefähr einer Million Farben, die wir wahrnehmen, wird durch die jeweilige Stimulierung dieser drei Rezeptoren erzeugt. Im Gegensatz dazu befinden sich in unserem Innenohr Tausende von Rezeptoren, die auf unterschiedliche Frequenzen reagieren, die Wahrnehmungen werden parallel ausgewertet und konkurrieren nicht miteinander wie beim Farbensehen.

Das Farbensehen des Bienenauges ist gegenüber dem des Menschen in den kurzwelligen Bereich verschoben, es reicht von 300 nm (UV) bis zu 650 nm (gelb-orange) (Abb. 2.3). Daumer konstruierte einen raffinierten Apparat, mit dessen Hilfe er verschiedene monochromatische Lichter vermischte; auf diese Weise stellte er fest, dass Honigbienen stärker auf UV–Licht als auf alle anderen Farben reagieren und dass beim Farbensehen der Bienen ähnliche Mischungsgesetze gelten wie beim menschlichen (Abb. 2.4). Mischt man zwei monochromatische Farben (etwa Blau und Grün), entsteht eine Farbe, die von einer monochromatischen mit einer mittleren Wellenlänge (Türkis) nicht zu unterscheiden ist. Wie beim Menschen kann bei Bienen die kurz- und die langwellige Farbe am Ende des Spektrums vermischt werden, wodurch eine einzigartige Wahrnehmung entsteht, die keiner Wellenlänge entspricht und die Daumer als „Bienenpurpur“ bezeichnete. Außerdem fand er heraus, dass es auch im Farbensehen der Bienen Komplementärfarben gibt, wie Blau-Grün und UV, Violett und Grün, „Bienenpurpur“ (UV plus Grün) und Blau. Bienen verwechseln weiße Flächen, die kein UV-Licht reflektieren, mit Blau-Grün (Türkis).

Abb. 2.3. Die Farbrezeptoren der Bienen im Vergleich zu jenen der Menschen. Die spektrale Empfindlichkeit der Farbrezeptoren von Menschen (links) und jene von Bienen (rechts) auf einer Wellenlängenskala von 300 bis 700nm (UV bis rot). Beide Arten haben drei Farbrezeptoren, mit Empfindlichkeitsmaxima bei einer bestimmten Wellenlänge, wobei die Empfindlichkeit auf beiden Seiten der Spitze stark abnimmt. Im Gegensatz zu Menschen, die UV-Licht überhaupt nicht sehen können, haben Bienen einen speziellen UV-Rezeptor. Andererseits reicht die Empfindlichkeit des Langwellen-Rezeptors der Bienen nicht so weit in den Rotsektor hinein wie die des Menschen.

Abb. 2.4 Der Farbraum der Bienen illustriert die Grundsätze der Farbmischung. Die (von der Mitte aus gemessene) Winkelrichtung gibt Aufschluss über den Farbton, der von der Biene gesehen wird. Objekte, deren reflektiertes Licht vor allem einen Lichtrezeptor stimuliert (UV-, Blau oder Grün) befinden sich jeweils unten links, oben und unten rechts. Mischungen (wie zwischen Grün und Blau, oben rechts) liegen dazwischen. Der Farbraum der Bienen umfasst auch eine Region, die (wie Purpur beim Menschen) im Spektrum nicht vorhanden ist – nämlich eine Mischung aus dem langwelligen Grün und dem kurzwelligen UV-Licht – im unteren Bereich des Farbraums (der in manchen Artikeln Bienenpurpur genannt wird).

Allein mithilfe psychophysischer Experimente und ohne direkten Zugriff auf das Hirn der Biene kam Daumer zu dem Schluss, dass die Farbwahrnehmung der Bienen genau wie die der Menschen trichromatisch ist, also auf drei Grundfarben, im Fall der Bienen auf UV-Licht, Blau und Grün, beruht. Doch damals war die Trichromazität nur eine Hypothese, sowohl bei Bienen als auch bei Menschen. 1962 gelang es dem deutschen Zoologen Hansjochem Autrum (1907–2003), der Karl von Frischs Lehrstuhl in München übernommen hatte, und seinen Kollegen zum ersten Mal, Mikroelektroden (Glasröhrchen mit einem Durchmesser von 1/10.000 mm an der Spitze) in die winzige Lichtrezeptorenzelle im Bienenauge einzuführen und die elektrischen Signale zu registrieren, die entstanden, wenn man Licht mit unterschiedlicher Wellenlänge auf den Kopf der Biene richtete. So konnte bestätigt werden, dass sich im Auge der Honigbiene drei verschiedene Lichtrezeptorzellen befinden, eine mit maximaler Empfindlichkeit im Grün-, eine im Blau- und eine im UV-Bereich. Die Rezeptoren reagierten auf einen breiten Bereich von Wellenlängen rund um die Empfindlichkeitssmaxima, die Kurven sind mehr oder weniger glockenförmig (Abb. 2.3).

Randolf Menzel (* 1940), ein deutscher Neurobiologe und akademischer „Enkel“ von Karl von Frisch, maß die Geschwindigkeit, mit der Honigbienen lernten, verschiedene Farben mit süßen Belohnungen in Verbindung zu bringen. Sie lernten sehr schnell, wie sich herausstellte. Schon John Lubbock hatte die Vermutung geäußert, dass Blau die Lieblingsfarbe der Honigbienen sei, und tatsächlich fand Menzel in seiner Doktorarbeit heraus, dass eine einzige Belohnung auf einer blau-violetten Farbe reichte, damit die Bienen eine präzise Erinnerung aufbauten. In der Folge bevorzugten Bienen Blau sehr eindeutig gegenüber allen anderen Farben, die man ihnen präsentierte. An die meisten anderen Farben erinnerten sich die Bienen erst nach mehreren süßen Belohnungen, und zehn Belohnungen waren nötig, damit sie sich an unbeliebte Farben wie Türkis erinnerten.

Kein anderes Tier lernt derart schnell Farben. In den folgenden Jahrzehnten wurden diese bahnbrechenden Versuche zum Farbenlernen der Honigbienen auch mit vielen anderen Tieren durchgeführt. Bei einer vergleichenden Studie zur Lerngeschwindigkeit von elf verschiedenen Tierarten waren Bienen die schnellsten, gefolgt von Fischen, Vögeln … und Menschenkindern ganz am Schluss. Kurioserweise wurde dieses Ergebnis, das der Erwartung widerspricht, Menschen seien die Klügsten, in einem Lehrbuch über den tierischen Lernerfolg als Argument dafür zitiert, dass Lerngeschwindigkeit kein guter Gradmesser für Intelligenz sei. Wahrscheinlich gibt es gute Gründe, Lerngeschwindigkeit nicht mit Intelligenz gleichzusetzen, doch die Tatsache, dass Menschen nicht ganz oben auf der Liste stehen, sollte nicht dazugehören. Bienen können sich Farben deshalb so gut einprägen, weil die Evolution sie darauf trainiert hat, sich an florale Reize zu erinnern: Arbeitsbienen sind geborene Farbenwähler, die auf ihrem Flug ständig die Blumenangebote evaluieren; sie müssen schnell einschätzen können, ob eine Farbe nicht mehr ergiebig ist und eine andere Blumenfarbe mehr Nektar und Pollen verspricht.

Hat sich das Farbensehen der Bienen als Reaktion auf Blumenfarben evolviert?

An dieser Stelle drängt sich natürlich die Frage auf, warum sich das Farbensehen der Bienen so sehr von unserem unterscheidet – warum sie zum Beispiel UV-Licht sehen und ihre Lichtrezeptoren genau auf die Wellenlängen eingestellt sind, die sie sehen, und auf keine anderen. Die naheliegende Antwort lautet, dass dies mit ihrem Lebensstil des Blütenbesuchs und den speziellen Farben zu tun hat, die Blumen den Bienen darbieten.

Bei meiner Doktorarbeit (1991–1993) war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um diese These zu überprüfen. Mein Betreuer, Randolf Menzel, hatte gerade seine Zusammenarbeit mit dem auf Bestäubungsbiologie spezialisierten Botaniker Avi Shmida begonnen, und auf einer Forschungsreise in Israel maßen sie die physikalischen Eigenschaften der Farben von Dutzenden Blumenarten. Sie quantifizierten die von Blumen reflektierte Lichtmenge in den Wellenlängenbereichen, auf die verschiedene Tiere jeweils reagieren – von 300 nm (UV) bis zu 700 nm (dunkelrot). Da es damals nicht möglich war, genetisch modifizierte Bienen mit verändertem Farbensehen zu züchten, bestand die Alternative darin, verschiedene Farbsehsysteme zu programmieren, etwa die einer Biene und viele völlig andere, und dann zu fragen, welches Farbsehsystem sich theoretisch am besten eignete, um Blumenfarben zu entdecken und wiederzuerkennen.

Ich fütterte einen Computer mit allen diesen Daten und programmierte ihn darauf, die optimalen Farbrezeptoren zu finden. Alles wurde variiert: die Lage der Empfindlichkeitsmaxima der drei Farbrezeptortypen (die bei Bienen für gewöhnlich auf UV-Licht, Blau und Grün reagieren), die neuronalen Prozesse, die die Rezeptorsignale auswerten, und die Lichtverhältnisse, unter denen sich die Blumen den Bienen präsentierten. Das Ergebnis der jeweiligen Simulation erhielt ich oft erst einige Tage später – die damals verfügbaren Computer waren langsam und meine elementaren Programmierfähigkeiten auch nicht hilfreich. Damals gab es noch keine billigen Software-Packages, und jeder Forscher musste seine eigene Software basteln.

Doch die Ergebnisse waren sehr beeindruckend. Die vom Computer generierten optimalen Farbrezeptor-Sätze waren nahezu identisch mit jenen im Auge der echten Bienen (Abb. 2.5). Während qualitative Beobachtungen oft zu der Vermutung Anlass gegeben hatten, dass die Sinnesapparate von Tieren an deren ökologische Nische angepasst sind, war dies der erste quantitative Beweis, dass der Farbensinn sich optimal für die zu lösende Aufgabe eignete. Ein Informatiker könnte kaum eine bessere Methode, Farben zu codieren, entwickeln als die der Bienen. Mithilfe ähnlicher Modellierungsansätze untersuchten Wissenschaftler in der Folge die evolutionäre Anpassung vieler anderer Sinnesorgane, etwa das Farbensehen der Primaten in Bezug auf Obstfarben. Ich war sehr aufgeregt, als ich entdeckte, dass das Farbensehen der Bienen und die Farben von Blumen aufeinander abgestimmt zu sein schienen. Genauso wie meine Kollegen – das ist genau die Art Geschichte wechselseitiger Anpassung, die jeder gerne hört.

Abb. 2.5. Empfindlichkeitsmaxima der Farbrezeptoren typischer Gliederfüßer (Insekten, Krebstiere und Cheliceraten) und deren Stammbaum. Der Stammbaum zeigt den Verwandtschaftsgrad von Tierarten und das ungefähre Zeitalter, in dem sie zum ersten Mal auf der Erde in Erscheinung traten. Schwarze Kreise: Lage der Empfindlichkeitsmaxima der UV-Rezeptoren auf der Wellenlängenskala; Dreiecke: Maxima der Blau-Rezeptoren; Rauten: Maxima der Grün-Rezeptoren; Vierecke: Maxima der Rot-Rezeptoren. Fast alle Gliederfüßer verfügen über ähnliche Sätze von UV-, Blau- und Grünrezeptoren. Rot-Rezeptoren treten immer wieder bei verschiedenen Gliederfüßern, etwa Daphnien, Libellen und einigen Hautflüglern in Erscheinung. Schon die im Kambrium lebenden Vorfahren der heutigen Gliederfüßer besaßen UV-Rezeptoren; sie sind somit 400 Millionen Jahre älter als die Evolution der Blumenfarben. Schwarz gestrichelte Linien: optimale Empfindlichkeitsmaxima der Lichtrezeptoren, um Blumenfarben zu codieren.

Doch bedeutet dieses optimierte System der Bienen beim Entdecken und Identifizieren von Blumen, dass sich das Farbensehen der Bienen im Lauf der Evolution gleichzeitig mit den Blumenfarben entwickelt hat?

Hat die Evolution in diesem Kommunikationssystem zwischen Bienen und Blumen auf beide Komponenten gewirkt? Um zu beweisen, dass Blumensignale tatsächlich auf die Evolution des Farbensehens der Bienen eingewirkt haben, müsste man nachweisen können, dass die Vorfahren der Bienen andere Farbrezeptoren besaßen, bevor Blumen auf der Erde auftauchten. Doch wie können wir herausfinden, in welchen Farben Insekten die Welt vor 200 Millionen Jahren gesehen haben, als die ersten Blumen auf dem Planeten in Erscheinung traten?

Evolutionsbiologen besitzen ein wunderbares Werkzeug, um einen Blick in die ferne Vergangenheit zu werfen: die vergleichende phylogenetische Analyse. Ein Beispiel: Alle lebenden Säugetiere füttern ihre Jungen mit Milch. Deshalb können wir sicher zu Recht annehmen, dass der im Jura lebende Vorfahre aller heutigen Säugetiere bereits Brustdrüsen hatte und damit seine Jungen fütterte. Ebenfalls zu Recht können wir annehmen, dass der Vorfahre ein Warmblüter war. Anders gesagt, auch wenn wir keine Fossilien von morphologischen Details wie Brustdrüsen besitzen, können wir Rückschlüsse auf Eigenschaften und sogar auf das Verhalten und die Physiologie der Vorfahren ziehen. In Bezug auf unsere Frage zu Bienen und Blumen muss man Gliederfüßer untersuchen (andere Insekten sowie Spinnen und Krustentiere), die sich von den Bienen wegentwickelten, bevor es Blumen gab. Wenn sich ihr Farbensehen nicht von jenem der Bienen unterscheidet, bedeutet das, dass auch ein gemeinsamer Ahne bereits vor der Evolution der Blumenfarben ein ähnliches Farbensehen aufwies. Zum Glück hatten Physiologen bereits umfangreiche Daten bezüglich der Farbrezeptoren bei Gliederfüßern gesammelt. Wir mussten sie nur über dem Stammbaum aller fraglichen Arten eintragen, und die Anpassungsmuster waren augenblicklich sichtbar.

Aufgrund einer solchen phylogenetischen Studie konnte bewiesen werden, dass das Farbensehen der Bienen einige Hundert Millionen Jahre älter ist als die erste Blume (Abb. 2.5). Offenbar besitzen so gut wie alle Insekten, auch Libellen, Heuschrecken und Küchenschaben, UV-Rezeptoren. Und sie alle sind keine typischen Blumenbesucher … sogar im Meer lebende Krebstiere haben UV-Rezeptoren. Bei der Feineinstellung auf der Wellenlängenskala gibt es zwar Unterschiede zwischen den Arten – doch es gibt keinen schlüssigen Beweis dafür, dass der Lebensstil des Blütenbeflugs eine bedeutende Änderung beim Farbensehen der Insekten bewirkt hat.

Daraus schlossen wir, dass der im Kambrium (wahrscheinlich im Wasser) lebende Vorfahr aller Insekten und Krustentiere bereits UV-, Blau- und Grünrezeptoren besaß. Und schon Hunderte Millionen Jahre, bevor es Blumen gab, waren Insekten gut für die Codierung der Blumenfarben vorbereitet – vor der großen Verbreitung der Blütenpflanzen, die in der mittleren Kreidezeit (vor 100 Millionen Jahren) oder vielleicht sogar in der Trias (vor 250–200 Millionen Jahren) stattfand. Kurz gesagt, die Antwort auf die Frage „Warum besitzen Bienen UV-Rezeptoren?“ lautet: „Weil schon ihre Vorfahren welche hatten“.

Die Hypothese, dass sich das Farbensehen der Bienen als Anpassung an spezielle Objektkategorien – Blüten – entwickelte, muss somit verworfen werden. Die Tatsache, dass Bienen eine Kombination aus UV-, Blau- und Grünrezeptoren besitzen, könnte höchstens eine allgemeinere Anpassung sein, die sich dazu eignet, die Farben aller möglichen Objekte bei unterschiedlichem Lichteinfall zu codieren. Die Blumenfarben passten sich ans Farbensehen der Insekten an, nicht umgekehrt. So gesehen bemalten die Bestäuber die Welt. Bevor Pflanzen hungrige Insekten als Pollentransporteure einstellten, war die Lebenswelt auf der Erde zum Großteil grün (Blätter) und braun (Baumrinde).

Erst aufgrund von Untersuchungen am Sinnesapparat der Insekten hat man festgestellt, dass unsere Wahrnehmung der Welt kein reines Abbild physischer Realität ist. Sie wird durch die Sinnesorgane gefiltert, die jede Tierart im Lauf der Evolution entwickelt hat.

Nach dieser Einführung in das merkwürdige Farbensehen der Bienen können wir uns mit noch seltsameren Wahrnehmungsformen der Umwelt im Werkzeugkasten der Bienen befassen – und Sinnesmodalitäten erforschen, die keine Entsprechung bei Menschen haben.

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Die fremdartige Sinneswelt der Bienen

Bei Tieren finden wir komplexe, üppig mit Nerven versorgte Sinnesorgane, deren Funktion wir jedoch noch nicht erklären können. Wahrscheinlich gibt es 50 andere Sinne, die sich von unseren so sehr unterscheiden wie der Gesichts- vom Hörsinn; und selbst innerhalb der Grenzen unserer eigenen Sinneswahrnehmung gibt es wahrscheinlich unzählige Töne, die wir nicht hören, und Farben, von denen wir keine Vorstellung haben, obwohl sie so verschieden sind wie Rot und Grün … Tieren stellt sich unsere vertraute Umwelt womöglich ganz anders dar. Ihre Welt ist vielleicht voller Musik, die wir nicht hören, voller Farben, die wir nicht sehen, und Empfindungen, die wir nicht kennen.

John Lubbock, 1888

Briten ist der Name John Lubbock noch immer ein Begriff, weil er der Vater der „Bank holidays“ ist – Feiertage, an denen Banken und Geschäfte geschlossen sind. Zusätzlich zu den freien Tagen an Weihnachten und Ostern führte der Parlamentarier und Bankier John Lubbock noch viele andere Feiertage ein, vor allem im Frühling und im Sommer. Er war nämlich ein eifriger Insektenforscher und beklagte, dass seine „Pflichten als Abgeordneter … meine Zeit vor allem zu jener Jahreszeit beanspruchen, wenn man die Insekten am besten erforschen kann“. Politiker können ihre Macht auf vielfältige Weise einsetzen, um zugleich sich selbst und dem Volk zu dienen – einer ganzen Nation freizugeben, damit man Insekten untersuchen kann, ist bestimmt die schönste.

Der Sohn eines reichen Bankiers hatte schon im zarten Kindesalter eine Leidenschaft für Insekten, doch 1843, im Alter von acht