Im falschen Film - Elke Weiler - E-Book

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Elke Weiler

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Beschreibung

Julchen ermittelt am Öresund. Der fünfte Fall führt die pfiffige Hündin und ihre Assistentin in die dänische Hauptstadt. Es ist Herbst und in Kopenhagen wird eine Frau vermisst. Ein gut situierter Mann beauftragt das Team mit der Suche. Julchens erster Auftrag! Leider weiß der Auftraggeber wenig über die Verschwundene und das Foto ist keine große Hilfe. Stammt die Frau aus Schweden? Julchen und ihre Assistentin dehnen die Recherchen bis nach Malmö aus. Während der Zugfahrt passiert es: eine Leiche auf der Öresundbrücke! Mitten im Chaos trifft das Team auf eine gute Bekannte. Polizistin Mette hat sich mitsamt Baby nach Kopenhagen versetzen lassen.

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Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Julchen ermittelt am Öresund

Der fünfte Fall führt die pfiffige Hündin und ihre Assistentin in die dänische Hauptstadt. Es ist Herbst und in Kopenhagen wird eine Frau vermisst. Ein gut situierter Mann beauftragt das Team mit der Suche. Julchens erster Auftrag! Leider weiß der Auftraggeber wenig über die Verschwundene und auch das Foto von ihr ist keine große Hilfe. Stammt die Frau aus Schweden? Julchen und ihre Assistentin dehnen die Recherchen bis nach Malmö aus. Da passiert es: eine Leiche auf der Öresundbrücke! Mitten im Chaos trifft das Team auf eine gute Bekannte. Polizistin Mette hat sich mitsamt Baby nach Kopenhagen versetzen lassen.

Elke Weiler

Die Reisejournalistin und Buchautorin zog 2010 vom Rheinland an die Küste. Auf ihrem mehrfach ausgezeichneten »Meerblog« berichtet sie über das Leben an der Nordsee und schreibt Geschichten vom langsamen Reisen in der Welt. In Nordfriesland entstanden ihre ersten Romane.

Für Janni

ehemals der kleine Pupser

und das Pummelschwein

mit großem Herz

»Hühner haben Vorfahrt!«

Hoppelhase im hohen Gras

Breakdancer am Graben

»Guckt mal, ihr Kühe!«

– plumps –

Seepferdchen-Abzeichen im Graben

Selbsternannter Souschef

Nase hoch für Bratendüfte

»Bloß kein Gemüse!«

Einfühlsame Krankenschwester

Therapeut sowieso

»Das Rudel ist heilig.«

Größtes Knuddelmonster

aller Zeiten

Auf ewig

Glossar: Julchens Welt

Madame: die Chefin in Julchens Zuhause. In anderen Haushalten sagen sie oft Frauchen.

Monsieur: der Mann von der Chefin, Herrchen sagen sie in anderen Rudeln. Julchens frühe französischsprachige Prägung hat sie vor der Übernahme derartiger Begriffe bewahrt. Wo das Französische herrührt, weiß keiner so genau. Als Welpe hat sie eher auf Julie gehört als auf Julchen.

Jannimann: von der Verwandtschaft so getaufter Mitbewohner namens Janni, auch die Schlumpfbacke genannt. Er stammt zwar aus derselben Geburtshütte wie Julchen, tickt aber ganz anders.

Mademoiselle Julie: Julchens Alter Ego ist auf Psychotherapie spezialisiert. Ihr Geheimrezept: Buddeln hilft! Immer.

Grandmadame: Mutter von Madame und Partyhase. Erscheint stets pünktlich zu Feierlichkeiten auf der Bühne.

Gackervieh: unter Lutschern als Hühner bekannt, die nach Julchens Erfahrung ziemlich leckere Eier produzieren. Im Sommer hatte sie nämlich mal ein Versteck entdeckt und konnte zwei Stück probieren, bevor Madame ihre Naschaktion entdeckte.

Lutscher: So nennt man nette, abschleckwillige Zweibeiner. Also fast alle. Trifft es nicht zu, spricht man unter Hunden von Nichtlutschern.

Chachaputi: Ein ausgefallener Kosename für Julchen, der angeblich aus einem verschollenen Inka-Dialekt stammt und so etwas wie »Sonne im Herzen und Hummeln im Hintern« bedeutet. Sagt Madame nur »Chacha«, weiß man nicht so recht, ob von Herz oder Hintern die Rede ist.

Plüschomat: Lebewesen mit enorm viel Fell, egal ob Hund, Schaf oder Moschusochse.

Himmelschafundmeer: typischer Fluch unter Hunden an der Nordseeküste. Wird aktuell zu Himmelstadtundmeer.

Heilige Ackergülle: siehe oben.

Zum Pferdeäpfelpürieren: wenn etwas absoluter Mist ist.

Multifunktionaler Schnackapparat: Smartphone, so pflegen die Lutscher auf Neudeutsch zu sagen. Quasi die Verlängerung eines Lutscherarms. Neben der Blechhöhle und dem Wunderkasten gehört es zu den wichtigsten Dingen im Lutscherleben.

Statischer Schnackapparat: seltenes Teil, das in manchen Haushalten überlebt hat. Einst als Festnetztelefon bekannt.

Multifunktionale Schnackuhr: Aktuell in der Lutscherwelt trendendes Accessoire. Blinkt und brummt am Arm und hält den Träger mit Meldungen zweifelhafter Qualität auf Trab. Die Uhrzeit ist bei dieser Watch absolute Nebensache.

Wunderkasten: Jeder hat sein Heiligtum. Was dem Gackervieh der Kompostierer, ist dem Lutscher der sogenannte Fernseher. In Wirklichkeit ein Nahseher. Die Welt in Klein. Für den Vierbeiner gilt der ritualisierte Abend vor der Glotze als Glücksfall. Zumindest dann, wenn er einen Platz neben seinem bevorzugten Lutscher ergattern und auf ein zünftiges Krauli hoffen kann.

Blechhöhle: ein beliebtes Fortbewegungsmittel, in Lutscherkreisen auch Auto genannt. Julchens sichere Burg für lautstarke Verweise an Kühe, Pferde, Hindernisse auf der Fahrbahn und vor allem: Höllenmaschinen.

Höllenmaschinen: das Schlimmste, was sich auf den Straßen herumtreibt. Der Wahnsinn auf zwei Rädern. Laut, aufreizend schnell und mit vermummten Wesen bestückt.

Rüdenkram: Damit sind männliche Hunde meist über die Maße beschäftigt, wie Julchen findet. Der Gemeine Rüde sucht die Konfrontation mit seinesgleichen und verteidigt »sein« Territorium bis aufs Messer, oder sagen wir: bis auf den Fangzahn.

Vorderpfotentaps: spezieller Paartanz der Bearded-Collie-Tradition, den auch andere Hunde beherrschen. Die Tänzer stellen sich dazu auf die Hinterbeine, berühren sich mit den Vorderpfoten und lassen es krachen.

Oberjournalistisch und schafsköddelkorrekt: Julchens Devise. Als Ermittlerin ist sie nun mal der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtet.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Der Auftraggeber

2. Eine Spur

3. Huhnweh

4. Schock auf der Brücke

5. Grönland ruft

6. Überraschungen

7. Die Nachricht

8. Es wird ernst

9. Im falschen Film

10. Der Tanz

11. Erkenntnisse

12. Rätsel in der Nacht

13. Die Einladung

14. Mützenalarm

15. Lagebesprechung

16. Hotspot Malmö

17. Falsches Spiel

18. Der Fund

19. Party!

20. Schnitzeljagd

21. Déjà-vu

Epilog

Prolog

»Sie dreht durch.«

Madame blickte mich vielsagend an und stellte das Telefon auf laut. Ich identifizierte Grandmadames leicht rauchige Stimme und die ihres Lovers, dem Fischer aus Hvide Sande. Gemeinsam schmetterten sie eine dänische Weise, was vermutlich die Wände seiner Bude am Ringkøbing Fjord erzittern ließ. Voller Inbrunst sangen sie, ich lauschte andächtig. Meine Beste grinste mich an. Ich bellte Grandmadame gut zu, denn ich wusste: Jodeln stärkt nicht nur die Seele. Gemeinsames Tralala und Wufftata schweißt das Rudel zusammen. Genau das brauchte die Omi dort oben in Mitteljütland, wo sie fern von uns ihre Zelte aufgeschlagen hatte. Gleich am Ende des Sommers. Inzwischen fielen die ersten Blätter, auch wenn der Herbst noch sommerlich wirkte. Das brachte die Natur ein wenig durcheinander, munter blühte der Lavendel. Von lutscherlicher Zeitrechnung hatte er nichts gehört.

Erneut erhob ich die Stimme zu einem kurzen Wuff.

Da unterbrach Grandmadame ihre Arie, während Arne unbeirrt weitersang.

Fröhlich wie ein Piepmatz zwitscherte die Omi in den Hörer: »Prinzessin! Wie geht es dir?«

Ihre Stimme klang voller Elan, vielleicht hatte sie ein bisschen zu viel davon. Meine Vermutung ging dahin, dass sie und ihr Fischer etwas tiefer ins Glas geschaut hatten. Eines, das mit jenem stinkenden Gebräu gefüllt war. Es erfreute sich großer Beliebtheit unter Lutscherinnen und Lutschern. Meist wurde es parallel zum Dinner konsumiert. Der unangenehme Geruch schien dem Genuss keinen Abbruch zu tun. Aber die Lutschernase gilt nicht als bestes Riechorgan in der Tierwelt. Jedenfalls änderte sich nach meinen Erfahrungen ihr Verhalten nach besagtem Konsum. Schwach bis fundamental, ich hatte diverse Studien dazu betrieben. Mancher Mensch wurde laut, ein anderer lustig, einige glücksselig bis losgelöst, die nächsten dünnhäutig oder gar aggressiv wie eine Schafmutter, die ihre Lämmer verteidigt. Es war mir ein Rätsel, wie sich ein und dasselbe Zeug in der Wirkung so unterschiedlich entfalten konnte.

Ich bellte der Omi bezüglich ihrer Frage ein »Alles paletti« zu, doch diese hatte die Antwort nicht abgewartet und frönte weiter dem Gesang.

Madame flötete »Viel Spaß noch« und legte auf. Sie stöhnte.

Bedeutungsschwer sah sie mich an.

»Weißt du, was die beiden tun wollen?«

Ich schüttelte mich. Eigentlich war mir nach einem erfrischenden Gassi zumute, statt in der stickigen Bude stundenlang über Grandmadame zu tratschen. Außerdem hatten wir noch etwas Geschäftliches zu tun.

»Einen Welpen adoptieren!«

Gut, dass unsereins selten auf einem Stuhl hockte, sonst wäre ich gerade vor Schreck hinuntergesegelt. Krachbumm.

»Irgendein Bekannter von Arne hat sich gewundert, als seine Hündin immer runder wurde. Die Tierärztin stellte dann fest, dass das Tier schwanger war. Vater unbekannt. Nun versucht Arnes Freund verzweifelt, acht süße Welpen zu vermitteln.«

»Ja, Himmelschafundmeer! Von Verhütung haben die wohl nie gehört. Hoffentlich erziehen sie die Kleinen wenigstens angemessen!« Ich ließ eine derartige Wufftirade vom Stapel, dass sich der gerade eintretende Monsieur theatralisch die Ohren zuhielt. Was gibt es Schlimmeres als nervige Naivlinge, die euphorisch um dich herumtanzen und meinen, dich ständig mit ihren Haifischzähnchen zwicken zu müssen? Ich kannte das Verhalten aus erster Quelle, schließlich war ich selbst mal jung und begeistert gewesen. Vom Leben, von der Welt, vom neuen Servicepersonal.

Madames multifunktionale Schnackuhr blinkte plötzlich auf. Sie kontrollierte das nervige Ding am Arm und vermeldete: »Warnung vor lauter Umgebung«.

Jetzt reichte es aber!

Vor meinem inneren Auge liefen diverse Szenarien wie in einem Film ab, der bald in die Kinos kommen würde. Eine aufgeregte Grandmadame und ein ebensolcher Freund, die beide hinter einem kleinen Kobold herliefen. Denn es war klar wie Kloßbrühe, dass ein Welpe ihr ausschweifendes Dolce Vita in Hvide Sande, eine Art ewiger Urlaub, komplett auf den Kopf stellen würde. Die bittere Konsequenz: Eine aufgelöste Omi, die Madame am Telefon anflehte, sie möge sich des Neulings annehmen. Doch dieser schlimmsten aller Gefährdungslagen musste ich vorbeugen. Jetzt schon. Ich bellte laut und deutlich: »Nur über meine Leiche!«

Apropos. Wir hatten zwar keine neue in Sicht, doch wollte man uns engagieren. Im fernen Kopenhagen! Zum ersten Mal sollten wir als Privatermittlerinnen im Auftrag handeln. Zum ersten Mal Kohle damit verdienen! Ein Typ hatte Madame angerufen, nachdem er angeblich die Geschichte vom toten Fischer aus Hvide Sande in der Zeitung gelesen hatte. Eigentlich hatte die Lokalredaktion über unsere Aufklärungsarbeit berichtet, was dann überregional aufgegriffen wurde. Wir waren berühmt. In der ersten Zeit sprach man uns manchmal auf der Straße an, doch der Ruhm war schnell verblasst. Woher der mutmaßliche Auftraggeber Madames Telefonnummer hatte, blieb uns ein Rätsel. Jedenfalls sollten Madame und ich eine angeblich verschwundene Frau auftreiben. Die heimliche Geliebte des Anrufers? Der Typ wollte sich möglichst bald mit uns treffen. Mehr wussten wir nicht, hielten jedoch schon einen Vertrag in der Hand, den er uns per Mail geschickt hatte. Ein Lockangebot mit exzellenten Konditionen und einer beträchtlichen Summe als Vorschuss. Ein paar Wochen nach der Aufklärung des vorherigen Falls wollte Madame eigentlich nichts Neues in Angriff nehmen. Die diversen Schockmomente des Sommers saßen ihr noch in den Gliedern. Doch die Neugierde war größer. Aufmerksam las sie den Vertrag durch, und mir schien, als wackelten ihr die felllosen, eigentlich unflexiblen Lutscherohren. Die Augen wurden rund wie die eines Koboldmakis, den ich mal im Wunderkasten bewundert hatte. Das Gesicht meiner Besten war von kräftiger Röte überzogen, ein typisches Anzeichen von Aufregung. Sie sagte lange nichts.

Es folgte ein weiterer Anruf des Typen. Schließlich besprachen wir uns mit stummen Blicken, sie nickte, ich grunzte und legte mich hin. Mir war, es zöge der Duft original Kopenhagener Pølser durch die Hemisphäre. Angeblich hatte man die Wurst im Brot nämlich dort erfunden.

Der in diesem Augenblick eintretende Bürgermeister von Møgeltønder in Form eines Dackels schien den herrlichen Duft gar nicht wahrzunehmen. Lupo stolzierte an uns vorbei und haute sich wie üblich auf unsere Couch. Ich hatte keine Lust, ihm die ganze Geschichte zu erzählen, und vermutete eh, dass wir aus vertraglicher Sicht gegenüber unbeteiligten Dritten zum Stillschweigen verdonnert waren. Mein Blick fiel durch die Fensterwand auf Janni, der mal wieder den im Frühsommer gepflanzten Lavendel düngte. Die Schlumpfbacke glaubte immer noch, sie hätte die grüne Pfote. Madame und Monsieur schienen nichts zu bemerken, also hielt ich mich raus. Ein Schlumpf tat, wie ihm sein Körper befahl. Immer und überall. Nur im Haus hielt er sich zum Glück zurück.

»Fahrt ihr nach Kopenhagen?«, fragte Monsieur in die Stille. Madame nickte, zuckte die Schultern und meinte: »Anhören werden wir uns die Geschichte schon.«

1. Der Auftraggeber

Die Hennen pickten sorglos in der Morgensonne, als wir Møgeltønder verließen. Sie tanzten ihren Tschaka Dance, schmissen die Beine nach rechts, nach links, liefen zwei Schritte vor, einen zurück. Irgendwie war ich neidisch auf sie. Unsere Hühner lebten in den Tag hinein, hatten keinen Auftrag, keinen Job. Wenn ein Ei kam, war das gut. Wenn nicht, piepegal.

Monsieur stand winkend vorm Haus, daneben Ole, der zufällig oder absichtlich vorbeigekommen war um mitzuwedeln. Janni gab ein paar dunkle Wuffs von sich, die nicht misszuverstehen waren: »Keine Eskapaden, okay?«

Ich schnaubte zur Antwort und schritt wie eine torkelnde Diva über die Rampe in den hinteren Teil der Blechhöhle, wo ich mich grunzend niederließ. Nach einer mehrstündigen Tour, bei der man sich zwischendurch mal bewegen und an einer Raststätte mit umgebender Botanik herumschnüffeln konnte, war mir gerade überhaupt nicht. Lieber hätte ich mich zu den Hennen gesellt und ihnen beim Picken zugeschaut, während eine frische Brise unsere Nasen umwehte. Ein Gruß des Meeres! Mein Bedürfnis nach Entspannung war so groß wie der blaue Mond der letzten Nacht. Gemeinsam mit Madame hatte ich im Garten gestanden und das Ding am Himmel bewundert, während die Jungs schon schliefen, beziehungsweise anderweitig beschäftigt waren.

Auch meine Beste schien voller Zweifel zu sein, was unseren Städtetrip betraf. Dabei hatte unser Auftraggeber bereits eine beträchtliche Summe überwiesen, was uns ein wenig unter Zugzwang setzte. Eine hundefreundliche Unterkunft hatte er vorschnell gebucht. Kopenhagen Nordhavn!

Madame hatte allein die Aussicht auf ein schickes Panorama einen kleinen Schrei der Verzückung entlockt: Glitzerndes Wasser direkt vorm Fenster! Schiffe, die am Horizont entlangzogen. Gassis, untermalt vom Tuten der Fähren. Sie schwärmte und schwärmte. Mir schwante, dass sie dieses Kopenhagen mochte.

Aber lag die Stadt nicht am Öresund? Dabei handelte es sich quasi um die Ostsee. Dieses Plätscherwasser mit wenig Salz!

Ich hegte diesbezüglich keine großen Erwartungen. Mein Lieblingsmeer blieb die Nordsee. Frech und ungestüm, wie sie war. Diese Brandung! Ihr wisst ja, dass ich nie müde werde, mit dem wildesten aller Meere zu diskutieren. An laschen Fjorden und anderen Binnengewässern machte das einfach weniger Spaß. Und was den Fall betraf: Es schien sehr dringlich zu sein, dabei war nicht mal jemand umgekommen. Ein neuer Fall ohne Leiche. Unterschrieben und pfotensigniert hatten wir allerdings noch nichts.

*

Ein stattlicher Typ mit grauen Schläfen und piekfeinem Ersatzfell kam uns entgegen, als wir die Penthouse-Bude betraten. Rundherum verglaste Wände mit Blick auf die Stadt, den Hafen, funkelnagelneue Gebäude und Wasser.

Viel Wasser. Der elegante Auftragslutscher reichte Madame eine Hand. Er stellte sich als Mikkel vor und bat sie an einen Tisch von familiärem Ausmaß. Madame schien zu überlegen, auf welchem der diversen Designerstühle sie Platz nehmen sollte. Ich kannte meine Beste gut. Sie war drauf und dran, alle Stühle der Reihe nach auszutesten. Da musste ich kurz an das Kunstmuseum im heimischen Tønder denken. Beim vorigen Fall war ich auf der Suche nach Madame unbemerkt in der Oberetage gelandet. Inmitten einer nicht minder kuriosen Stuhlauswahl konnte ich die Aussicht auf die Stadt nicht so recht genießen. Akute Schwindelgefühle vermiesten mir den Ausflug. Lieber stieg ich gleich wieder in den Aufzug nach unten. Mein Lieblingsort im Kunstmuseum war eh der blaue Kuppelraum. Perfekt für Jodelproben, sage ich nur. Natürlich alles für euch getestet.

Dieser Mikkel schien die schönen Künste jedenfalls zu lieben, die Bude wirkte wie das reinste Museum. Opulente Farbklecks-Szenarien zierten die Wände ebenso wie Fotografien, deren Sujets nur schwer zu identifizieren waren.

Madame hatte sich inzwischen für einen Stuhl entschieden und sah sich interessiert um, während Mikkel ihr Tee und Gebäck anbot. Der Chefermittlerin hingegen wurde noch nicht mal eine Schale Wasser gereicht, was ich mit einem Laut des Unmuts quittierte.

Unser Klient bekam gerade nichts mit. Er machte sich in einem anderen Raum zu schaffen und kam mit einem verglasten Teil in der Hand zurück.

»Ich habe leider nur dieses Foto von ihr.« Der Typ entfernte den Rahmen und reichte Madame das Bild.

Durfte die Chefermittlerin vielleicht auch einen Blick auf das Foto werfen? Einen weiteren akustischen Einwurf konnte ich mir nicht verkneifen.

Der Ignorant blickte von Madame zu mir und wieder zurück.

Er verzog keine Miene. Bestimmt wollte er meiner Besten zu mehr Disziplin zu raten, zu ebenso langweiligen wie unnützen Regeln, die nur einem Lutscherhirn entspringen konnten. Es gab genug von diesen Typen, die dachten, alles mit Strenge und diesem Erziehungskram ausrichten zu können, quasi das ganze Leben. Und dann wunderten sie sich tatsächlich, wenn etwas anders lief. Außerplanmäßige Dinge brachten sie aus dem Konzept, sie lähmten sie.

»Er braucht die volle Kontrolle, um sich sicher zu fühlen«, kam prompt eine erste Einschätzung von Mademoiselle Julie. Hallo Psychotante! Lange nichts gehört.

Vermutlich lag sie richtig. Ich erhob mich und lief für eine olfaktorische Einordnung auf den Mann zu. War er trotz fortgeschrittenen Alters eher der ängstliche Typ, der schnell die Contenance verlor?

Als ich mich näherte, bat er Madame mich zurückzupfeifen.

Na, was dachte er denn, wie wir arbeiteten?

»Es wäre nett, wenn du ihr eine Kontaktaufnahme erlauben würdest. Wir arbeiten und entscheiden im Team«, klärte die beste aller Assistentinnen ihn auf.

Eben. Wir konnten die ganze Sache an dieser Stelle knicken und uns ein paar schöne Tage in Kopenhagen machen. Kohle hin, Aussicht her.

Er rutschte ein wenig auf seinem Sessel herum, als ich mich näherte, und ließ ein vorsichtiges Schnuppern zu. Als meine Nase seine Hand leicht berührte, winselte er um Gnade.

Schließlich wäre er kein Krimineller, sondern unser werter Auftraggeber. Mikkel rang sich ein kurzes Lächeln ab und blickte gleich wieder ernst drein. Ich also des lieben Friedens willen zurück zu meiner Assistentin. Außerdem wollte ich einen Blick auf besagtes Foto werfen. Sie kapierte das gleich und hielt mir eine Schwarzweißaufnahme mit scharfen Kontrasten hin. Das Ganze wirkte eher wie Kunst denn wie ein aussagefähiges Foto. Man sah eigentlich nur den Rücken der mutmaßlich Verschwundenen, ihr hübsches langes Kopffell, das im Wind wehte, und ein sommerliches Kleid, ebenfalls in Bewegung. Keine Beine, kein vernünftiges Profil, nichts. Das Bild schien auf einem Boot gemacht worden zu sein. Unscharfes Wasserglitzern im Hintergrund.

»Du hast kein Bild von vorne?« Madame runzelte die Stirn, sie verfügte über ein sogenanntes offenes Gesicht. Ein bisschen Fell vor den Augen hätte ihre Gedanken besser geschützt.

Der Typ schüttelte den Kopf.

»Das Foto hast du gemacht? Bist du Fotograf? Es ist sehr ästhetisch.« Mikkel schien sich geschmeichelt zu fühlen. »Danke dir. Ich bin Hobbyfotograf. Im Hauptberuf arbeite ich als Architekt, aber das ist für euch nicht von Interesse. Bitte lasst meinen Namen in der Sache unerwähnt, vor allem gegenüber der Presse.« Madame sagte dies leichtsinnigerweise zu, ohne mit mir Rücksprache zu halten. Was, wenn der Typ Dreck am Stecken hatte? Leichen unter frisch gegossenem Beton. Ich hoffte, ihm war wenigstens bewusst, dass die zugehörige Industrie bei der Erderwärmung kräftig mitmischte?

Mademoiselle Julie fluchte leise vor sich hin.

»Architekt in Kopenhagen, interessant«, vernahm ich nun seitens Madame, die lieber an ihre Kunstgeschichte als an die Klimakrise dachte.

»Hast du auch Gebäude in Nordhavn entworfen?«

Mikkel nickte fast unmerklich und sah aus dem Fenster. Es war klar wie Kloßbrühe, dass er nicht drüber reden wollte.

Vermutlich saßen wir gerade in einem seiner Entwürfe.

»Hauptsache, der kracht nicht ein«, ließ die sonst gar nicht so witzige Mademoiselle Julie verlauten.

»Okay. Hast du den Namen der Frau für uns?«

»Ehrlich gesagt, weiß ich nur, dass sie Freya mit Vornamen heißt. So hat sie sich mir vorgestellt.«

Großgütiger Auftraggeber, wir hatten also ein Frisurenbild und einen nicht verifizierten Vornamen. Wie zur Ackergülle sollten wir diese Person finden, wenn wir sie nicht identifizieren konnten?

Madame wurde langsam ungeduldig. Einer ihrer Füße wippte, wie aus Bodenperspektive unschwer zu erkennen war. Meine Assistentin blickte erneut auf das Foto, dann fragte sie Mikkel: »In welcher Beziehung steht ihr zueinander?«

»Wir kannten uns flüchtig, fühlten uns jedoch einander verbunden. Ich erzähle dir, beziehungsweise euch …«, jetzt blickte er mich widerstrebend an, als wäre es ein Unding, mit einem Hund zu schnacken, »… gerne die ganze Geschichte.«

Mikkel holte tief Luft und setzte an.

»Ich weiß nicht, wo sie herkommt. Vielleicht aus Malmö.«

Wir suchten also eine Schwedin. »Die Mutter von Ole?«, bellte ich versiert. Mir war schon klar, dass es noch andere Schwedinnen außer der Mama unseres besten Freundes gab.

Andererseits hatte ich schon größere Zufälle erlebt.

»Alles an Freya ist so schleierhaft wie dieses Foto. Sie spricht gut Dänisch, jedoch mit einem Akzent. Kein deutscher wie deiner, eher mit leichtem Singsang, daher vermute ich Schweden als Herkunftsland.«

Okay, wieder keine konkrete Information. Ich war gespannt, was da noch alles an persönlichen Vermutungen und wilden Spekulationen zum Vorschein kam. Eine gesungene Sprechweise! Da dachte man doch zuallererst an Brasilien oder Italien. Vor meiner Zeit hatte Madame mal in letzterem Land gelebt. Jedenfalls brachte mir diese Italophile bei Bedarf wichtige Vokabeln bei. Man konnte schließlich nie wissen, wohin einen das Schicksal oder der nächste Fall verschlug.

Wie sollte ich unvorbereitet die korrekte Pizza bestellen? Ich liebte Italienisch-Kulinarisch in allen Facetten.

»Ich habe Freya auf einer Vernissage kennengelernt. Dort waren unter anderem Fotografien von mir zu sehen. Sie stand vor einer und wirkte irgendwie entrückt. Ja, sie erschrak sogar ein wenig, als ich sie ansprach.«

Der Typ machte eine Pause.

»Nicht, dass ihr meine Absichten falsch versteht. Ich lebe in Scheidung und habe eine etwa gleichaltrige Freundin. Freya ist eher im Alter meiner Tochter.«

Ungläubiger Blick seitens Madame.

»Als ich mit Freya sprach, war ich berührt und fühlte mich ihr nah. Ich wusste gleich, sie ist eine Seelenverwandte.

Sexuelle Anziehung gab es nie zwischen uns.«

Seelenverwandtschaft! Dieser Mikkel hatte sich einfach gebauchpinselt gefühlt, weil eine schöne Junglutscherin sein Werk angestarrt hatte. Manchmal musste man die Lutscher auf den harten Boden der Wirklichkeit zurückbringen, diese Träumer! Ich unterdrückte meine Erkenntnis, da ich seinen Redefluss nicht stören wollte. Ein kurzes Schnauben konnte ich mir allerdings nicht verkneifen, was seinen Blick erneut auf mich lenkte.

»Vielleicht wundert ihr euch, warum ich ausgerechnet euch beide engagieren möchte …«

Madame sah ihn fragend an.

»Freya war diejenige, die das Bild von euch in der Zeitung entdeckte. Und sie strahlte übers ganze Gesicht.«

Madame und ich blickten uns an. Er hatte uns ausgesucht, weil die mutmaßlich Verschwundene von uns oder unseren letzten Ermittlungen beeindruckt war?

»Viele finden den Hund süß. Deswegen hast du uns aber nicht ausgewählt, oder?«

Wie redete sie denn von der Chefermittlerin in deren Gegenwart?

»Süß? Jetzt hackt’s aber!«, bellte ich an Madame gewandt.

Wir hatten selten eine Meinungsverschiedenheit. Aber wenn, dann wollte ich die Sache gleich aus der Welt schaffen.

Meine Beste blieb ungerührt.

Mikkel runzelte die Stirn. Ja, Hunde bellen. Manche mehr, manche weniger. Sonst noch Fragen?

Plötzlich lächelte er, als hätte er etwas kapiert.

»Das war viel mehr als ein Oh-wie-süß bei Freya. Ich wollte wissen, ob sie euch kennt. Sie ließ die Frage unbeantwortet, gab mir die Zeitung zurück und hielt ein kleines Plädoyer. Es wäre höchste Zeit für ein korrigiertes Weltbild. Wir Menschen würden die Natur, die Tiere, einfach alles in unserem Dienst stellen, nach Nutzen beurteilen und in seiner Freiheit einschränken. Wir verstünden nichts. Tiere würden anders kommunizieren, feinfühliger, das habe sie oft genug erlebt. Letzten Endes wären wir Menschen bei weitem nicht so intelligent wie gedacht. Wir würden den Planeten bis zum bitteren Ende ausbeuten und sämtliche Ökosysteme ruinieren.«

Meine verdammten Worte! Erwartungsvoll sah ich Mikkel an. Kam da noch mehr?

»Seit Freya verschwunden ist, muss ich immer wieder an diesen Ausbruch denken. Und ihr beide seid eine Art Verbindung zu ihr geworden.«

Das klang kurios.

»Glaubst du, sie hat sich einer Aktivistengruppe angeschlossen? Ist vielleicht in den Untergrund gegangen?«

Mikkel schüttelte vehement den Kopf. »Nicht jeder, der so denkt, wird aktiv. Dann würden wir uns alle auflehnen!«

Das wäre nicht verkehrt, dachte ich. Wenn man zum Beispiel an eine nicht gerade unbedeutende Sache wie die Rettung des Planeten dachte, sogar recht nützlich.

»Ich bin dabei!«, bellte ich mit Inbrunst. Vielleicht würde es ihn motivieren.

»Weißt du etwas über Freyas Arbeit?«, fuhr Madame mir in die Parade.

»Nicht sonderlich viel. Sie hat mal erzählt, dass sie in Dänemark zunächst im Tourismus gejobbt und die Sprache gelernt hat. Ich habe keine Ahnung, was sie vorher gemacht hat.«

Natürlich nicht. Das wäre ja auch zu schön gewesen.

»Hast du irgendetwas von ihr? Ein Kleidungs- oder Schmuckstück?«

Mikkel sah Madame verwirrt an.