Schnüffelei auf der Hallig - Elke Weiler - E-Book

Schnüffelei auf der Hallig E-Book

Elke Weiler

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Als auf Hallig Grönland eine Lehrerin verschwindet, ist die beste Schnüfflerin Nordfrieslands gefragt: Bearded Collie Julchen hat ein Bauchgefühl für die Dringlichkeit der Angelegenheit. Gemeinsam mit ihrer Assistentin Madame bricht sie sofort auf. Doch bei ihren Recherchen stoßen die beiden auf eine Mauer des Schweigens. Auf der Hallig ist man Fremden gegenüber zurückhaltend, vor allem wenn sie ihre neugierige Schnauze überall hineinstecken. Während Julchen in der Welt des Wattenmeers nachforscht, wird auf Pellworm eine Leiche angespült. Himmelschafundmeer, ist es die Gesuchte?

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Seitenzahl: 262

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Elke Weiler

Schnüffelei auf der Hallig

Ein Hundekrimi von der Nordsee

Impressum

Dieses Buch wird gefördert durch:

 

 

 

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Elke Weiler und Luchioly / stock.adobe.com und Alexander Lesnitsky / Pixabay

ISBN 978-3-8392-7592-4

Zitat

Vertraue nie dem impertinenten Meer, selbst wenn es dir friedlich erscheint.

Julchen

*

Das Meer kracht, klatscht und schäumt? Belle lauter!

Mademoiselle Julie

Glossar: Julchens Welt

Madame: die Chefin in Julchens Zuhause. In anderen Haushalten sagen sie »Frauchen«. Wie niedlich!

Monsieur: der Mann von der Chefin, »Herrchen« sagen sie in anderen Rudeln. Julchens frühe französischsprachige Prägung hat sie vor der Übernahme derartiger Begriffe bewahrt. Wo das Französische herrührt, weiß keiner so genau. Als Welpe hat sie eher auf »Julie« gehört als auf »Julchen«.

Jannimann: von der Verwandtschaft so getaufter Mitbewohner namens Janni, auch »die Schlumpfbacke« genannt. Er stammt zwar aus derselben Geburtshütte wie Julchen, tickt aber ganz anders. Echt kein Vergleich!

Mademoiselle Julie: Julchens Alter Ego ist auf Psychotherapie spezialisiert. Ihr Geheimrezept: Buddeln hilft! Immer.

Grandmadame: Mutter von Madame und Partyhase. Erscheint stets pünktlich zu sämtlichen Feierlichkeiten auf der Bühne.

Gackervieh: unter Lutschern als Hühner bekannt, die nach Julchens Erfahrung ziemlich leckere Eier produzieren. Im Sommer hat sie nämlich mal ein Versteck im Schilf entdeckt und konnte zwei Stück probieren. Chapeau, liebes Gackervieh!

Lutscher: So nennt man abschleckwillige Zweibeiner. Also fast alle. Trifft es nicht zu, spricht man unter Hunden von Nichtlutschern.

Titi: kleiner Zweibeiner, meist groß im Buddeln und damit prädestiniert, Julchens Skills in dieser Disziplin entsprechend zu würdigen.

Chachaputi: ein ausgefallener Kosename für Julchen, der angeblich aus einem verschollenen Inka-Dialekt stammt und so etwas wie »Sonne im Herzen und Hummeln im Hintern« bedeutet. Sagt Madame nur »Chacha«, weiß man nicht so recht, ob von Herz oder Hintern die Rede ist.

Löffelgesicht: in Lutscherkreisen auch Katze genannt.

Rennplüsch/Fellkartoffel: auch als Meerschweinchen bekannt. Als diese noch zahlreich in Julchens Rudel lebten, produzierten »Rennplüsch Media« ihre Filme. Aber das nur so am Rande.

Wollknäuel: Die Schafe sehen unserer Protagonistin zwar ähnlich, wie diverse Lutscher und Lämmer meinen, doch handelt es sich um eine andere Spezies.

Occupy-Bewegung: wenn Wollknäuel im Frühjahr die Deiche besetzen. Eigentlich ein Unding, weil Julchen dort am liebsten selber herumdüst, vor allem auf der Deichkrone.

Löffelträger/Feldflitzer: unter Lutschern als Hasen bekannt. In Julchens Augen überschreiten sie oft die auf den Fennen vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit und entziehen sich durch ihre brillante Fluchttechnik einem Verweis.

Superpiepmätze: Zugvögel, die im Frühjahr und Herbst in riesigen Scharen durch die nordfriesischen Lüfte ziehen und sich gerne an der Theke bedienen, sprich auf den Fennen der Bauern. Was zu Interessenskonflikten führt. Doch der Weg in den Süden oder Norden ist nun mal lang, und irgendwie muss man sich den Bauch vollschlagen.

Plüschomat: Lebewesen mit enorm viel Fell, egal, ob Hund, Schaf oder Moschusochse.

Himmelschafundmeer: typischer Fluch unter Hunden an der Nordseeküste.

Heilige Ackergülle: siehe oben.

Zum Pferdeäpfelpürieren: wenn etwas absoluter Mist ist.

Fenne: heißt eine Weide in Nordfriesland ganz offiziell.

Fething: ein runder Teich auf der Warft nahe den Lutscherbuden. Früher die einzige Wasserquelle fürs Vieh, hier wurde Regenwasser gesammelt. Versalzte der Fe­thing bei einer schlimmen Sturmflut, mussten die Halligleute Trinkwasser vom Festland ordern. Ebenso in Trockenperioden.

Warft: So nennen sie künstliche Erdhügel in Nordfriesland. Bevor es Deiche gab, versuchte man sich durch aufgetürmten Kleiboden vor Hochwasser zu schützen. Alles Wichtige thronte auf der Kuppe, vor allem die Häuser und Ställe. Auf den Halligen machen sie es heute noch so. Und hoffen.

Multifunktionaler Schnackapparat: »Smartphone« pflegen die Lutscher auf Neudeutsch zu sagen. Quasi die Verlängerung eines Lutscherarms. Neben der Blechhöhle und dem Wunderkasten gehört er zu den drei wichtigsten Dingen im Lutscherleben.

Statischer Schnackapparat: seltenes Teil, das in manchen Haushalten überlebt hat. Einst als Festnetztelefon bekannt.

Wunderkasten: Jeder hat sein Heiligtum. Was dem Gackervieh der Kompostierer, ist dem Lutscher der sogenannte Fernseher. In Wirklichkeit ein Nahseher. Die Welt in Klein. Für den Vierbeiner gilt der ritualisierte Abend vor der Glotze als Glücksfall. Zumindest dann, wenn er einen Platz neben seinem bevorzugten Lutscher ergattern und auf ein zünftiges Krauli hoffen kann.

Blechhöhle: ein beliebtes Fortbewegungsmittel, in Lutscherkreisen auch »Auto« genannt. Julchens sichere Burg für lautstarke Verweise an Schafe, Kühe, Pferde, Hindernisse auf der Fahrbahn und vor allem: Höllenmaschinen.

Höllenmaschinen: das Schlimmste, was sich auf Nordfrieslands Straßen herumtreibt. Höllisch laut, aufreizend schnell und mit vermummten Lutschern bestückt.

Rüdenkram: Damit sind männliche Hunde meist über die Maße beschäftigt, wie Julchen findet. Der gemeine Rüde sucht die Konfrontation mit seinesgleichen und verteidigt sein Territorium bis aufs Messer, oder sagen wir: bis auf den Fangzahn.

Vorderpfotentaps: spezieller Paartanz der Bearded-Collie-Tradition, den auch andere Hunde beherrschen. Die Tänzer stellen sich dazu auf die Hinterbeine, berühren sich mit den Vorderpfoten und lassen es krachen.

Oberjournalistisch und schafsköddelkorrekt: Julchens Devise. Als Ermittlerin ist sie nun mal der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtet.

Tüdelig sein: offizieller plattdeutscher Begriff für »durch den Wind sein«. Also der Normalzustand, wenn du ein Jannimännchen bist.

Prolog

Es war der Sommer der großen Hitze. Der Sommer des Tangos. Der Sommer, in dem Madame das Backen einer italienischen Spezialität namens Focaccia zelebrierte. Ich stand auf Italienisch-Kulinarisch, schon lange. Und dieses Brotding bestätigte mein Urteil. Superjulchen irrt sich nie! Glücklicherweise fielen beim Vertilgen der Köstlichkeit immer ein paar Randstücke für unsereins ab, die den zarten Beißerchen der Lutscher nicht zuzumuten waren. Madame schwärmte von der fluffigen Original-Focaccia aus dem süditalienischen Bari. Getreu dem Motto »Carpe dingsda« schlug ich meiner Assistentin eine Reise dorthin vor und lernte schon mal ein paar Brocken Italienisch bei ihr. Kulinarische Begriffe standen selbstredend an erster Stelle, man musste schließlich irgendwie überleben.

»Amore, amore«, meinte Madame, als ich mich auch noch in einen Hund aus Apulien verguckte. Musste sie ständig ihren Senf dazugeben? Bezüglich der aktuellen Focaccia-Frage streckte ich meine Fühler aus. Madame solle doch bitte eine gekochte Kartoffel unter den Teig mischen, hieß es. Eine verdammt gute Idee! Neben Pizza und Pasta liebte ich Pommes, und da waren meist Kartoffeln drin. Sollte ich vielleicht ein paar Fritten für die nächste Focaccia-Sause aufsammeln? Ich kannte die Böden diverser Lokale in- und auswendig. Nein, Madame schüttelte angewidert das Haupt. Mein neues Mantra lautete jedenfalls: Ein Tag ohne Focaccia ist ein verlorener Tag!

Der Sommer vergaß, dass er in Nordfriesland zu Gast war. Die Sonne schien unerbittlich, es regnete so gut wie nie. So musste es am Mittelmeer sein. Ich riet Madame, die von mir vorgeschlagene Reise nach Süditalien zu verschieben. Frühestens im Herbst oder Winter, so meine Empfehlung. Wenn es hier schon so heiß war! Madame genoss die unsägliche Wärme und hüpfte jeden Tag ins Meer. Sie schmeckte salzig, wenn sie gut gekühlt zurückkam. Ganz Nordfriesland verlegte seine Aktivitäten an die frische Luft, während ich die kühle Reetbude aufsuchte. Um die lautstarken Verwarnungen aufgrund überhöhter Geschwindigkeit auf den schmalen Straßen Eiderstedts musste sich ein anderer kümmern. Vielleicht Jannimann. Ich jedenfalls nahm mir hitzefrei. Sobald Wolken aufzogen und der Wind aufdrehte, blühte ich regelrecht auf.

Anfang September wurden wir jäh aus unserer Welt satten Sommerglücks gerissen. Madame checkte die aktuelle politische Lage auf ihrem Mini-Flimmerschirm und begann mir etwas vorzulesen. Eine Stellenanzeige? Ich wusste ja gar nicht, dass sie … Gerade wollte ich mit ihr über die Unmöglichkeit eines Umzugs diskutieren, da stellte Monsieur dieses Krachdings von einem Radio an. Konnte er das nicht machen, während ich im Garten war? Ich wollte schon eine Anmerkung bellen, da ließ mich die Meldung aufhorchen: Eine junge Lehrerin war spurlos verschwunden. In Nordfriesland? Ja, Himmelschafundmeer!

Da ich als Beardine von Welt eins und eins zusammenzählen konnte, wurde mir gleich klar, dass die Stellenanzeige und das Verschwinden zusammenzubringen waren. Madame und ich schauten uns an: »Denn man tau!« Wir mussten mediterrane Genüsse hintenanstellen und Kurs auf Grönland nehmen. Hallig Grönland. Über eines war ich mir gleich im Klaren: Mitten im Wattenmeer würde es weder Eisberge noch Focaccia geben. Ein echter Beschiss. Und doch lechzte die beste Schnüfflerin Nordfrieslands nach einem neuen Fall. Nach unkonventionellen Ermittlungen frei Schnauze. Weg von Jannimann, dessen dicke Nase sich so oft vordrängeln wollte. Mein Erfolgsgeheimnis: Den Überblick bewahren. Im richtigen Moment agieren. Gezielt arbeiten. Nicht so hektisch wie die Schlumpfbacke. Ich hatte gelernt, dass Lutscher Spuren hinterließen. Viele Spuren. Manche aus vermeintlicher Schläue, andere aus Vergesslichkeit. Letztens überprüften Janni und ich bei einer morgendlichen Gassirunde den Hafen und fanden eine leere Wasserflasche, zwei stinkende Blechdosen, die längsten Schnürsenkel der Welt, ein nicht mehr ganz sauberes Handtuch, eine ebensolche Unterhose sowie ein voll funktionstüchtiges Gummiboot für Titis. Zweifellos interessante Dinge, die irgendwelche Geschichten erzählten. Nur gab unsere ruhige Halbinsel derzeit keinen Fall mit krimineller Energie her. Da kam mir die Meldung mitten aus dem Wattenmeer gerade recht. Außerdem hatte ich Lust auf eine Schiffstour. Ich sah mich schon stolz an Bord stehen, den Plüsch im Wind …

»Juli, kommst du jetzt?«

Vernahm ich da etwa einen Hauch von Ungeduld in Madames zarter Stimme? Himmelschafundmeer! Sie fühlte doch die unsäglichen Temperaturen unter der gleißenden Sonne Nordfrieslands. Langsam zog ich mich in die Yogastellung Herabschauender Hund, dehnte und streckte mich, schüttelte Reste von Sand aus dem Fell und signalisierte meiner Assistentin: »Kann losgehen.«

1. Tanz auf dem Wasser

Das impertinente Meer gab sich friedlich, als die Fähre ablegte. Ich stand an der Reling und ließ mir die frische Brise durch den Softplüsch wehen. Am Horizont die Hügel der Halligwelt, die sich wie Fata Morganen aus dem Wasser erhoben. Seit unserem Skandinavien-Trip hatte ich mir Seebeine antrainiert. Genauer gesagt, seit der Tour mit diesem läppischen Boot aus Luft und Gummi in Südnorwegen. Ein falscher Biss, und die Luft wäre flöten gegangen! Zum Glück war Jannimann nicht mit von der Partie gewesen, der ja gerne und oft mit halb offenem Maul durch die Gegend tüdelte. Fähren waren zum Glück stabiler gebaut, so stand ich sicher mit meinen norwegischen Seebeinen an Bord. Solange kein Sturmtief drohte. Grundsätzlich vertraute ich den Schiffslutschern und Skippern dieser Welt. Wer es mit dem Meer aufnahm, musste eine gewisse Sturheit besitzen, das war mir sympathisch.

Dünung baute sich auf, kroch auf uns zu. Auf der Fähre spürten wir den bewegten Untergrund kaum. Ab und an spritzte Salzwasser vor den Bug und landete vor meinen Pfoten. Madame schien die Fahrt zu genießen, sie schaute tief versunken aufs Wasser bis zum düsteren Horizont. Hinten schien sich was zusammenzubrauen. Ein paar Eiderenten flogen auf, silbrig glänzten ihre schwarz-weißen Körper im gleißenden Sonnenlicht, das sich durch die Wolkendecke bohrte. Was für ein Drama! Vermutlich würde es bald etwas ungemütlicher werden, so las ich die Zeichen. Die erste Offizierin Miss Julie Cook kannte sich aus mit dem Seewetter. Und sie traute dem Meer nicht. Nie. Reichte man ihm vertrauensvoll die Pfote, machte es sich einen Spaß daraus, einen im nächsten Moment nass zu spritzen. Wie Madame gerade, die versucht hatte, an der Reling zu fotografieren, diese Superreporterin. Möwenmätze, ausgerechnet die dreistesten aller Vogelviecher! Madame wirkte wie ein begossener Hering. Unter Hunden sagt man übrigens nie »Pudel« in diesem Zusammenhang. Aus Gründen! Oder passt »begossen« etwa zu einem stets frisch frisierten, wie aus dem Ei gepellten Wesen? Jedenfalls wies ich das Meer sogleich scharf zurecht, doch das half meiner Assistentin nicht mehr. Kurz darauf hatte die verkappte Seefrau schon wieder alles vergessen. Leicht triefend erzählte sie einem anderen Passagierlutscher, dass die Eiderenten sie an die Kapsturmvögel erinnert hätten, für einen winzigen Moment. An die Antarktis! Ich schnaubte. Wenn es eine nicht genehmigte Reise in der wilden Vergangenheit der mir zugeteilten Lutscherin gab, dann diese. Immer dieser ungebremste Entdeckungswahn, Himmelschafundmeer! Musste man wirklich in den hinterletzten Winkel des Planeten reisen, um sich Pinguine live anzuschauen? Um dann zu kapieren, dass man dort nicht hingehörte? Das hätte ihre beste Freundin, ergo moi, ihr gleich sagen können. Am viel beschworenen Lutscherhirn war bisweilen stark zu zweifeln. Mir wurden oft Hummeln im Hintern vorgehalten, aber die Spezies auf zwei Beinen muss ständig und überall unterwegs sein.

Meine Laune verdüsterte sich im gleichen Maße wie der Horizont. Das war zwar alles ganz nett anzusehen, doch tendenziell langweilte ich mich. Konnten wir nicht eine Runde drehen?

»Musst du mal?«, kommentierte Madame mein Hin- und Hergehen. Ich schenkte mir die Antwort und lotste Madame in Richtung Treppe, damit sie kapierte. Sich ein bisschen umzuschauen konnte nicht schaden, vielleicht würden wir ja etwas oder jemand Interessantes entdecken? Eine verschwundene Lehrerin oder so? Deswegen waren wir schließlich zu dem Törn aufgebrochen. Musste ich Madame etwa daran erinnern, dass sie jenes kuriose Stellengesuch für einen Halliglehrer aufgespürt hatte? Dass die Vorgängerin den Job frühzeitig abgebrochen hatte, wurde nicht verschwiegen. Dann die Nachricht ihres seltsamen Verschwindens. Viel zu mysteriös diese ganze Geschichte, als dass wir die Pfoten hätten ruhig halten können. Immer der Intuition nach. Anscheinend glaubte man mitten im Wattenmeer nicht an die Rückkehr der Lehrerin, sonst hätte man die Stelle nicht gleich wieder ausgeschrieben. Und wer wusste schon, auf dem Grunde welchen Fethings das arme Ding gelandet war! Die kleinen Teiche auf den Warften, wo sich einst das Vieh labte, waren ja heutzutage komplett zweckentfremdet.

*

Als wir auf dem Oberdeck landeten, hatte ich ein Déjà-vu der allerfeinsten Sorte. Popeye (sprich: pop’eje)! Da drüben, das musste Popeye sein! Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, zerrte ich Madame in seine Richtung. Etwas hell war der Cockerspaniel um die Nase geworden, alter Chilene! Doch sein Fell glänzte immer noch wie Speck, und die schwarzen Locken an den Ohren drehten sich bis zum Boden. Wie lang hatten wir uns nicht mehr gesehen? Neun Jahre! Auch Popeye schien mich gleich wiederzuerkennen, und so lagen wir uns in den Pfoten. Obwohl in der Zwischenzeit unendlich viel Wasser die Priele hinauf- und hinabgeflossen war, stimmte die Chemie zwischen ihm und mir. Um nicht zu sagen: Die alte Magie war wieder da. Funken sprühten in die Atmosphäre.

Der schöne Typ aus Lüneburg, ein Latin Lover vom Scheitel bis zur Pfote. Und wie er küssen konnte! In diesen Minuten puren Glücks, das alle Blicke auf sich zog, galt nur die unbändige Freude des Wiedersehens.

Ich hatte den zärtlichsten aller Spaniels, von seiner Madame gern als Casanova betitelt, auf der ersten Fährfahrt meines Lebens kennengelernt. Das Schwiegerrudel kam zur Hälfte aus dem fernen Chile, sodass ich eine gemeinsame Tour über den großen Teich in Erwägung gezogen hatte. Leider hatte ich es in Folge noch nicht mal bis Lüneburg geschafft. Auch die Rudelnummern hatten wir dummerweise nicht ausgetauscht. Mit anderen Worten: Popeye und ich hatten es gründlich vermasselt. Lange noch spukte die Wucht der Begegnung in meinen Gedanken und Gefühlen. Mindestens ein paar Wochen. Sein lodernder Blick aus haselnussbraunen Augen! Seine Küsse! Manchmal hatte ich geseufzt: Wenn er mir doch wenigstens ein paar Welpen gemacht hätte! Lauter hübsche, kleine, verrückte, nervige Babys. Mit Popeye war alles anders, ganz anders als mit den anderen Rüden, die ich bis dato gekannt hatte. Niemand tanzte so wie der Halb-Latino. Mit dem Vorderpfotentaps gab er sich gar nicht erst ab, es musste schon Tango sein! Daher dauerte es auch dieses Mal nicht lange, bis wir uns auf die Hinterbeine stellten und in eine innige Umarmung versunken zu einer Melodie tanzten, die in unseren Herzen spielte. Interessanterweise war es dieselbe, jedenfalls traten wir uns nicht auf die Pfoten. Erneut katapultierte uns die Fähre auf Wolke sieben. Wir vergaßen alles um uns herum, überließen uns unseren Gefühlen. Sollten die sensationslustigen Ferienlutscher doch glotzen, wie sie wollten. Noch nie Tango-Hunde auf einer Fähre gesehen?

Als das Schiff anlegte, landeten wir auf dem harten Boden der Tatsachen. Popeye musste seinem Rudel folgen und aussteigen, wir hatten Pellworm erreicht. Herzzerreißender konnte ein Abschied nicht sein. Immer wieder drehte sich der schöne Spaniel um, während ich an der Reling stand und durch das Gitter schielte. Er verschwand in der Lutschermenge, ich suchte den Hafen mit Blicken ab. Da! Er war stehen geblieben, obschon sein Rudel weiterziehen wollte. Wir warfen uns wilde Herzen übers Wasser zu, die außer dem rassigen Cocker und mir niemand sehen konnte. Dann verschwand er erneut aus meinem Leben. Hoffentlich nicht wieder für neun Jahre.

Schweren Herzens blickte ich zu Madame hinüber, die vor sich hin murmelte: »Was für ein Wahnsinnszufall!« Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie es immer noch nicht glauben. Aber wer wusste schon, wie oft Popeye auf dieser Strecke unterwegs gewesen war? Dass ich nie daran gedacht hatte! Auch unser erstes Tänzchen hatten wir zwischen Nordstrand und Pellworm getanzt. Was, wenn Popeye sein Rudel immer wieder auf die Fähre gelotst hatte? Wenn er genauso verzweifelt wie ich gewesen war? Immerhin war seine Strategie nach etlichen Jahren aufgegangen.

»Sie machen zwei Wochen Urlaub auf der Insel«, steckte mir Madame nun. Sie hatte sich ausführlich mit Popeyes Lutschern unterhalten, als wir in unseren Tango versunken waren. Als wir nichts mehr mitbekommen hatten von unserer Umwelt. Vielleicht waren Popeye und ich prädestiniert für die ganz großen Gefühle? Liebe, die einem Urknall glich. Weil wir es spürten. Weil wir es wollten. Keine Ahnung. Indes hielt unser Schiff Kurs auf Grönland.

2. Kuss und Schluss

Ein polterndes, donnerndes Geräusch kam aus dem Körper der Kuh. Ich schnupperte hier und dort, vernahm aber entgegen aller Prognosen keinen Gasgeruch. Madame bemerkte mein Treiben und grinste. Ja, Himmelhalligundmeer! Konnte man nicht auch als Laie biologische Studien betreiben? Frau Prof. Dr. Dr. Jul Chen live bei der Feld- und Fennenstudie »Rindviecher auf der Hallig«. Mit Festlandskühen hatte ich ja mittlerweile einschlägige Erfahrungen sammeln können.

Besonders viel zu tun blieb der Beardine von Welt auf einem winzigen Landflecken nämlich nicht. Da bot sich eine naturwissenschaftliche Laufbahn geradezu an, wenn es an Alternativen mangelte.

Die Lage vor Ort nahm sich nämlich folgendermaßen aus: Alles, was Spaß machte, war untersagt. Freche Möwenmätze in ihre Schranken weisen? Verboten! Es wurden Kollateralschäden befürchtet, war die Gegend doch dicht mit diversem Vogelvieh bevölkert. Manche von ihnen palaverten dermaßen herum, wenn man in die Nähe kam, dass es einem akustischen Anschlag vom Typ Höllenmaschine glich.

Alternative zwei: Bei natürlichem Bewegungsdrang im gewohnten Habitat frei über die Fennen jagen, aus lauter Lust am Leben? Verboten! Fast alles war abgezäunt, nur winzige Wege blieben Madame und mir. Die waren bisweilen mit interessanten Duftnoten bestückt und irgendwie gewunden, sodass wir nicht ahnten, wo wir rauskommen würden. Doch nach ein paar Tagen kannten wir die Gegend wie Madames Leckerli-Tasche.

Lutscherfreundliche Alternative Nummer drei: Mal zünftig einen draufmachen in irgendeiner netten Location? Pustekuchen! Es gab zwar ein Café, doch musste Madame unsere Mahlzeiten in der Mietbude kreieren. Keinerlei Köttbullar waren mit von der Partie, wie ich es von unserem Trip durch Schweden kannte. So konnte ich nicht arbeiten.

Wir waren im Nirgendwo gelandet, fernab kulinarischer Spezialitäten, fernab jeglicher Normalität. Ringsherum nichts als das impertinente Meer. Die Sache war klar wie Kloßbrühe: Auf dieser Hallig war die Langeweile zu Hause. Hätte man mich hier eingestellt, spätestens nach drei Tagen hätte ich die Kurve gekratzt, so viel stand fest. Die ach so relaxten Wollknäuel und das extrem gechillte Pensionsvieh waren wohl anderer Meinung. Gerade demonstrierten sie verdächtig großes Interesse an Madame, das gefiel mir gar nicht. Ich schnaubte, während sie mit klobigen Hufen immer näher kamen. Echte Schwergewichte. Nur diese dünnen Zaundrähte trennten uns voneinander. Das interessierte eine Kuh nicht die Bohne, oder sagen wir besser, das Gänseblümchen. Bohnen kannten diese Stalkerinnen gewiss nicht. Schon hob die erste den Kopf über die Grenze und streckte Madame ihre dicke Zunge entgegen. Zum Pferdeäpfelpürieren, welche Dreistigkeit! Auf dem Festland würde sich kein Rindvieh so unbekümmert zeigen. An Selbstbewusstsein mangelte es diesen Exemplaren jedenfalls nicht. Und Madame? War entzückt, wie neugierig diese Tiere waren. Wie sozial. Wie charmant. Entwickelte sie sich gerade zur Kuhflüsterin? Himmelhalligundmeer, was für eine Belagerung! Bei uns herrschten andere Sitten. Ganz andere. Mein erster Fall saß mir noch in den Knochen. Diese Tragik! Und nun ließ Madame sich von den Kuschelmonstern einlullen. Eine Kuh streckte mir ihre Schnauze entgegen. Irgendwie schaffte sie es, ihren dicken Kopf durch die Absperrung zu schieben. Und das Vieh rülpste lauter, als ein Superjulchen es je könnte! Es haute mich geradezu von den Plüschsocken. Ich wich zurück.

Bei diesem ohrenbetäubenden Lärm vergaß ich fast, warum wir in der Einöde gelandet waren. Allerdings nicht lange. Die verschwundene Lehrerin! Es war allerhöchste Zeit, mit einer professionellen Befragung zu beginnen. Wir hatten bereits einige Tage auf der Hallig mit Nichtstun vergeudet. Sondierung nannte Madame das. Erst mal ein bisschen umgucken und dann sachte vortasten. Es sei ja nicht unsere gewohnte Umgebung. Wir kannten niemanden, und keiner kannte uns. Angeblich durften wir nicht mit der Tür ins Haus fallen. Mir reichte es langsam! Wer wusste schon, wo die Verschwundene sich aufhielt. Und wie lange noch! Wir mussten sie retten, bevor es zu spät war.

»Was habt ihr mit der Lehrerin gemacht?«, wuffte ich in strengem Ton. Rindviecher konnten mir nichts mehr vormachen. Diese riesigen, treu dreinblickenden Augen mit den hübschen Wimpern und das ganze unschuldige Getue? Pah! Ich konnte dem Pensionsvieh ganz andere Dinge erzählen. Hammerharte Storys vom Festland.

Die dicke Nase des Fleckviehs näherte sich erneut, und eine Zunge von beachtlicher Größe berührte meine Stirn. Das hatten sie gemacht? Das Kind gebusselt? Brave Kolosse! In dieser dichten Atmosphäre aus purer Liebe und Langeweile – wie konnte ausgerechnet hier eine Junglutscherin entführt oder gar um die Ecke gebracht worden sein?

Aus Höflichkeit erwiderte ich das Bussi der Kuh und erreichte so gerade noch ihre Nase, bevor sie den Kopf wieder anhob. Madame meinte ja immer, ich sei für meine Luftküsse bekannt. Aber der hier hatte gesessen. Die Kuh war happy. Ein echtes Sozialtier, nicht so ein fressgesteuertes Geschöpf wie Jannimann. War ich froh, meinen Mitbewohner bei dieser diffizilen Mission nicht im Gepäck zu haben. Er hätte die Rindviecher in Grund und Boden gebellt, unnötigerweise. Pfotenspitzengefühl? Ein Fremdwort für die Schlumpfbacke. Allerdings, das musste man sagen, waren seine Aktionen gegenüber Kühen grundsätzlich nicht von Erfolg gekrönt. Falls zu Hause vor dem Garten welche grasten, hoben sie nur müde den Kopf, wenn der Schlumpf losdonnerte. Erst gegen Abend schauten sie seinem Breakdance am Graben zu. Manchmal landete der Tollpatsch dabei im Wasser. Amüsierte seine Zuschauerinnen das? Möglicherweise. Ich nannte die Aktion: Coole Kühe gucken Kino.

*

Nun fühlte ich mich fast wie im Urlaub – ohne den Wicht. Wenn es nur irgendwo auf dieser Hallig einen kilometerlangen Sandstrand gäbe! Wehmütig dachte ich an unsere Ferien in Dänemark zurück. Buddeln, was das Zeug hielt. Eine Aufmunterung seitens Mademoiselle Julie war nicht nötig. Ich grub meine Pfoten in den feinen Sand und ließ es krachen. Immer gemäß der uralten Weisheit: »Mit Sand unter den Pfoten bist du ein anderer Hund.« Am meisten fiel das bei der Schlumpfbacke auf. Sah man mal vom heimischen Sofa ab, konnte Jannimann erst am Strand so richtig entspannen. Bei den Lutschern war es übrigens nicht anders. Seltsame Dinge passierten! Madame verlor plötzlich ihre Schuhe oder purzelte Sandhügel hinunter.

Nun neigte sich der Sommer dem Ende zu, und wir waren selbst verschuldet auf einem Fleckchen Erde mitten im Wattenmeer gelandet. Ringsherum nur eine flache Steinkante zur Absicherung, damit das wilde Meer kein Land klaute. Ich machte mir Sorgen. Wie sollten die Hügel halten, auf denen Lutscher- und Tierhütten in die Höhe ragten? Hier mussten sich die Zwei- und Vierbeiner bei jedem handelsüblichen Land unter auf engstem Raum zusammenfinden. Die Fennen standen dann unter Wasser, wie Madame mir verklickerte. Heilige Ackergülle, das ganze Grün verschwand? Ich wollte mir das gar nicht vorstellen. Zu gut kannte ich mein Meer, das schlimmste aller! Es konnte so dermaßen frech werden, dass ich, obschon erklärte Zaungegnerin, ausnahmsweise froh war, auf dem Festland über entsprechende Absperrungen zu verfügen, sprich Deiche. Erstens hatte man als Hütehund erster Sahne von der Krone den besten Weitblick. Selbst meine Vorfahren aus den schottischen Highlands hätte das glücklich gemacht. Zweitens holte man sich keine nassen Pfoten, wenn die See vor Wut schäumte. Drittens schleppte das Meer allerlei Dinge an, die man im Flutsaum auf dem Deich in aller Ruhe analysieren konnte, wenn das Wasser sich wieder zurückgezogen hatte. Man fand Grüße aus der ganzen Welt darin. Alles für die Tonne, meinten Madame und Monsieur, die ganzen Plastikteile. Sie sammelten das Zeug lieber auf, soweit es ging, bevor Wildtiere sich darin verhedderten. Aber Hauptsache, manch ein Zweibeiner konnte sich über die natürlichen und schnell abbaubaren Hinterlassenschaften von unsereins erregen! Sprach’s und entsorgte seinen geliebten Glimmstängel in der Natur. Alles schon dagewesen. Laut Madame lösten sich diese Kunststofffilter erst nach Jahrzehnten auf, mein Produkt hingegen nach zwei Wochen. Irgendwann wurde mir klar, dass das Meer den ganzen Plastikmüll nicht haben wollte und ihn daher bei Sturmflut ausspuckte. Den Lutschern quasi direkt vor die Füße, die ihn schließlich auch reingeworfen hatten. Mich würde es nicht wundern, wenn die Zahl der Stürme zunähme. Wind und Wasser arbeiteten bei dieser Reinigungsaktion Hand in Hand.

So sinnierten wir in der Einöde vor uns hin. Am schönsten sei die Ruhe nach dem Sturm, fand die mir zugeteilte Lutscherin. Als würde die Welt kurz den Atem anhalten. Dann könne man Geräusche hören, die von weit her kämen. Einen Schiffsmotor, kilometerweit entfernt. Stimmen. Ein Tuten. Madame wurde gar philosophisch in diesem Ambiente: Alles sei mit allem verbunden. Die Halligen, die Inseln, das Festland. Verbunden durch das Meer.

Himmelhallignochmal! Für mich war die Hauptsache, dass die Nordsee endlich mal die Klappe hielt. Lärm konnte ich schließlich selbst machen.

Aber eines war so sicher wie die Schafsköddel auf den Deichen: Wenn es auf diesem winzigen Fleck mitten im Meer eine Leiche gab, würden wir sie schnell finden! Viele Möglichkeiten gab es nicht. Und nur einen Weg nach draußen, übers Wasser. Entweder hatte man ein Boot oder man nahm die Fähre. Natürlich hofften wir inständig, dass die Verschwundene noch lebte. Auf der Hallig oder wo auch immer. Grönland, das klang so vielversprechend, geradezu traumhaft. Doch kaum dass wir angekommen waren, erschien mir der Name der Hallig wie blanker Hohn. Gab es doch in unseren Breitengraden weder Treibeis noch zig Sorten Schnee noch Schlittenhunde. Und es war ein verdammter Beschiss, dass das Eis des Nordpols abschmolz, weil die Lutscherheit die Atmosphäre verpestete, und es im echten Grönland bald so aussehen würde wie in Nordfriesland. Grün bis matschgrau. Wovon sollte man dann noch träumen? Bevor Superjulchen die Welt retten konnte, musste ich mich auf die Suche nach der Lehrerin konzentrieren. Denn je schneller der Fall gelöst war, desto eher verließen wir diese Einsamkeit. Die rülpsenden Rindviecher erschienen mir, sah man mal von den großzügig produzierten Treibhausgasen ab, frei von jeder Schuld.

3. Die Informantin

Madame kreierte gerade das Frühstück, als sie einen Anruf erhielt.

»Hm, ja … Prima, danke! Dann bis später!«

Ich stutzte über dieses Gemurmel in den multifunktionalen Schnackapparat. Bis auf ein paar Kühe kannten wir niemanden auf Grönland. Und Letztere waren meines Wissens noch nicht mit Handys ausgerüstet. Ich dehnte und streckte mich. Meiner Vermutung zufolge kam nun endlich Leben in die Bude, und unsere Recherchen würden Fahrt aufnehmen. Mir kribbelte es unter den Pfoten. Diese Warterei, Sünde!

Als Madame mir beim folgenden Gassi eröffnete, dass wir an einer von der Schutzstation organisierten Führung über die Hallig teilnehmen würden, fiel ich aus allen Wolken. Himmelschafundmeer, waren wir etwa als Ferienrudel hier? Mir platzte der Plüschkragen, ich bellte eine vorbeiziehende Möwe an.

»Juli!«

Da! Noch eine! Grollend fegte ich hinterher. Madame musste wohl oder übel mitlaufen, schließlich waren wir durch dieses zarte Band verknüpft. Keuchte sie etwa? In der Tat, sie kam kaum mit und schimpfte leise. Jeder Orkan ein Witz gegenüber Superjulchen.

»Juli!«

Zum Pferdeäpfelpürieren! Ich bremste scharf ab und wandte mich meiner Followerin zu. Doch was musste ich sehen? Madame schmollte. So ging das nicht. Wenigstens ein Leckerli sollte drin sein, schließlich stand ich brav neben ihr. Demonstrativ schnupperte ich an ihrer Hand. Nichts. Da! Die Möwe drehte eine neue Runde. Wollte sie mich verkackeiern?

»Juli!«

Wenigstens gab es ein Leckerli, als ich spontan aufhörte. Und das bisschen Sport in Kombination mit der Sicherung des Luftraums hatte Madame gewiss nicht geschadet. Außerdem, durfte man überhaupt von jemandem, der gerne Höchstgeschwindigkeit auf Hundekurzstrecken trainierte, ein lahmes Ruhegassi nach dem anderen verlangen? »Slow« nannten die Lutscher das, alles musste heutzutage »slow« sein. Ich hielt dagegen: »Langsam ist langweilig, wenn du eine Chachaputi bist!« Über die Deichkrone mit wehendem Plüsch zu rasen, losgelöst von Zeit und Raum. Die volle Freiheit. Das war es. Aber auf der Hallig gab es nicht mal Deiche. Nur etwas Mickriges rund um die Warften. Ringdeich nannten sie das. Ganz ehrlich: Es war den Namen nicht wert. Eine winzige Erhebung, die temperamentvollen Wellen bei Sturmflut die Stirn bieten sollte, damit sie nicht am Erdhügel nagten? Lächerlich! Nicht allen Konstruktionen von Lutschern war zu trauen. Vor allem im Hinblick auf das impertinente Meer und das kaputte Klima. Eile war geboten, doch von der Erkenntnis bis zur Umsetzung dauerte es in der Lutscherwelt einfach zu lange. Man hielt sich mit Bedenken, Begierden und was weiß ich nicht alles auf. Der gemeine Lutscher, das größte Trödeltier der Evolution! Dass die noch nicht ausgestorben waren. Ein Wunder.

Madame und ich erreichten die Halligkante, wo das Wasser schon hochgekrabbelt war und ordentlich über den Stein schwappte. Aber dort hinten, am Horizont, da schimmerte Hoffnung! Pellworm! Vielleicht stand genau in diesem Moment ein gut aussehender Cocker am Deich und blickte in meine Richtung. Popeye, du Traum meiner sternenklarsten Nächte!

»Schau mal«, unterbrach Madame meine Tagträume. Ich schaute und schaute. Wasser, das vor den Rand der Hallig spritzte. Noch mehr Wasser. Einige Bänke, die Spazierlutschern normalerweise für Ruhepausen dienten (noch mehr Ruhe?!), waren kaum noch zu sehen. Grund genug, der Nordsee gleich eine akustische Breitseite zu verpassen.

»Lass alles raus!«, ermutigte mich Mademoiselle Julie. Also palaverte ich gegen das dröhnende Wellenklatschen an. Ich konnte mich in endlosen Diskussionen mit dem Meer verlieren, das war schon zu Welpenzeiten so gewesen. Madame rief mich jedes Mal zur Räson, wodurch die Nordsee das letzte Wort hatte. Jedes verdammte Mal! Wie mich das wurmte! Ob meiner lautstarken Beschimpfungen waren nicht mal mehr die Austernfischer zu hören, und das will was heißen. Nicht wenige von ihnen hatten sich auf einem Rest der Steinböschung niedergelassen, der noch aus dem Wasser lugte. Als das Wasser sich näherte, flogen sie auf.

Indes hielt Madame sich auf ihre wundersame Entdeckung fixiert. »Das Land liegt an dieser Stelle tiefer als das Meer!«

Himmelhallignochmal, wie konnte das sein? Ich hoppelte zu ihr zurück und sah zur Wasserkante. Tatsächlich! Wenn das hier volllief, konnten die Bewohner wie in einer Badewanne planschen. Sie brauchten Boote, um sich keine nassen Füße zu holen. Jeder, der Lutscher kannte, wusste, dass diese Spezies nasse Pfoten nicht sonderlich schätzte. Weder bei sich noch bei unsereins. Wenn man das Meer aktuell so betrachtete: Viel fehlte zum Überlaufen nicht. Vielleicht konnte man die Frage mal an diese Schützer weitergeben, ausgewiesene Spezialisten in Sachen Wattenmeer? Schließlich hatten wir gleich einen Termin, wir Ferien-Koalas. Ich warf mich mit einem Köpper ins salzige Gras und rollte auf dem Rücken von rechts nach links, von links nach rechts. Die beste Massage überhaupt! Danach roch man lokal. Ein Duft aus Kräutern und Meer. Auf der Hallig war alles salziger, das Grün und das Blau. Plus eine kräftige Prise Schaf oder Rind, je nachdem, wer an der Stelle schon langgelaufen war. Die von mir bevorzugte Wellness-Behandlung wurde stets mit einem ordentlichen Schütteln abgeschlossen, um überflüssigen Kram aus dem Plüsch zu katapultieren. Danach fühlte ich mich frisch wie ein Lamm im Vorfrühling.