Im Land südlich der Sieg - Sven Heuchert - E-Book

Im Land südlich der Sieg E-Book

Sven Heuchert

0,0

Beschreibung

"In den letzten Tagen brachte ich ihm morgens eine Handvoll Munition, und jedes Mal fragte er mich nach der guten Flinte und dem 20er Schrot. Nein, sagte ich. Das Luftgewehr reicht. " Wer ist der Fremde, der seit drei Monaten in dem alten Steinhaus oben auf dem Hügel lebt, den hier alle nur Monte Dung nennen? Was ist den Bewohnern unten im Tal beim Bau der Dammmauer damals verschwiegen worden? Und auf wen wartet der Mann in der Wohnung im zweiundzwanzigsten Stock? Im Land südlich der Sieg leben Einzelgänger, Solitäre und Suchende, die sich dem Leben abseits der ausgetretenen Pfade entgegenstellen, ein jeder für sich. Heuchert kommt diesen eigenen kleinen Welten in seinen Stories ganz nah, erzählt vom Verlorengehen, vom Wiederfinden, von der Suche und vom Ende.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 170

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



verlag duotincta

Über den Autor

Sven Heuchert, geboren 1977 in der rheinländischen Provinz. 1994 dann Lehre, seitdem in Arbeit. Erste Kurzgeschichte »Zinn 40« noch in der Schule. Mit neunzehn Umzug nach Köln. Liebe, Reisen, kleine Niederlagen, große Niederlagen. Rückkehr in die Provinz. Einen Preis.

Mehrere Veröffentlichungen bei Ullstein und Bernstein.

Bei duotincta sind in der Kurzstrecke »Kleiner Glanz. Stories« und »Asche. Stories« erschienen.

http://www.sven-heuchert.de/

Sven Heuchert

Im Land südlich der Sieg

Stories

Kurzstrecke

#5

Impressum

Erste Auflage 2025

Copyright © 2025 Sven Heuchert

Copyright © 2025 Verlag duotincta GbR, Wackenbergstr. 65-75, 13156 Berlin

[email protected]

Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München. www.ava-international.de

Alle Rechte vorbehalten. Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von §44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Lektorat: Verlag duotincta/Ansgar Köb

Satz und Typographie: Verlag duotincta/Nikko Ray Cotelo, Balanga City

Einband: Jürgen Volk, Berlin

Coverabbildung: unter Verwendung von pixabay.com

Printed in EU

ISBN 978–3–946086–92–5 (Print)

ISBN 978–3–946086–93–2 (E-Book)

Bücher haben einen Preis! In Deutschland und Österreich gilt die Buchpreisbindung, was für Dich als LeserIn viele Vorteile hat. Mehr Informationen am Ende des Buches und unter www.duotincta.de/kulturgut-buch.

Sven Heuchert

Im Land südlich der Sieg

Stories

Eingangszitate

»These things I am about to tell you I make it my job to remember. These are the things other people forget.«

Thomas Glynn

»… everyone has to do one really bad thing in life to call their life a life.«

Rick Bass

Inhalt

10 Der Schlüssel zum Königreich

34 Die Linien im Wasser

42 Muss

52 Vielleicht hinter Aachen

58 Irgendwann werden sie kommen

74 Omsk

86 Der letzte der Halbfass

96 Warum die Fische beißen

104 Zweiundzwanzigster Stock

112 Nachtschicht

120 Schwerelosigkeit

130 Schnee in Much

142 Zwanziger Schrot

146 Wahnbachtalsperre

150 Ausputzholz

154 Trauergestecke

160 Grüne Welle

166 Lippenstift

170 Gefrierfleischorden

Der Schlüsselzum Königreich

Rudi lebt den Sommer über im altenBürstner neben dem Haus. Er sagt, manchmal braucht er seinen Freiraum. Seine Frau Barbara ist einen Kopf größer als ich und fast zwei Köpfe größer als Rudi. Ich habe sie noch nie etwas essen oder trinken gesehen. Dafür raucht sie zwei Schachteln Marlboro am Tag.

Rudi hat den goldenen Schlüssel für das Königreich Belgien. Ich habe zuerst nicht verstanden, wie er das meint. Er hat dreißig Jahre für den Forst gearbeitet und sich kurz vor der Rente alle Blätter nachmachen lassen. Gleich hinter dem Haus schließt ein schmales Stück Land an, das Rudi meinen Garten nennt, obwohl dort nichts außer Adlerfarn wächst. Am Ende des Gartens steht ein Metallzaun mit eingefasster Tür. Dahinter liegt ein Naturschutzgebiet, das sich bereits auf belgischem Boden befindet.

Wann kommste mal mit ins Königreich?, fragt Rudi und lacht. Gibt’s Rotwild ohne Ende. Einer mehr oder weniger fällt da gar nich auf. Hast du eigentlich ’ne Büchse?

Zu Hause hab ich ’ne alte Mauser.

Und Kaliber?

Infanterie Spitz.

Mit Schalldämpfer?

Nee.

Im Königreich brauchste ’ne Flüstertüte, ist doch klar. Kannst aber ruhig eine von Barbaras Büchsen nehmen, die hat ’ne .308, die tritt nich so, und da ist vorne auch was drauf. Ich wollt morgen rüber, was sagste? Musst ja nix schießen, wenn du nicht willst.

Ich weiß nicht, Rudi. Glaub, das ist nichts für mich.

Wieso? Haste Schiss vor der Schmier oder was? Musst eben wissen, wie du’s machst, dann kriegt das auch keiner mit. Rudi schüttelt den Kopf. Ich mein, ist doch auch nix, immer allein da oben rumzuhocken, oder? Könnt man glatt meinen, wir sind dir nicht gut genug.

Nee, so meinte ich das gar nicht. Wann gehste denn immer los?

Na also, sagt Rudi und klopft mir auf die Schulter. Auf jeden Fall, bevor die Sonne aufgeht … vier Uhr müssen wir schon drüben sein. Ich komm dich abholen, gar kein Problem. Dann zeigt er auf die Flasche in meiner Hand. Und besorg dir mal eigene Kondensmilch! Mensch, ehrlich, kann doch nicht sein.

Ich verabschiede mich und gehe über die Straße, weiter auf den Hügel, den hier alle nur Monte Dung nennen. Der Hügel hat den Namen erhalten, weil die Kühe, die hier früher grasten, angeblich immer auf den Grat geschissen haben. Dort steht das kleine Steinhaus, in dem ich seit drei Monaten lebe. Rudi scherzt, ich solle immer mit offenen Augen schlafen, denn das Haus stünde schließlich auf einem Fundament aus trockener Kuhscheiße und könnte jederzeit über mir einstürzen. Anfangs hielt er mich für einen Arzt. Ich habe ihn gefragt, warum er das glaube. Weil mein Gesicht so fein aussähe, hat er geantwortet. Viel feiner als das von den ganzen Bauern hier.

Ich habe meine Girokarte das letzte Mal in einem Vorort von Aachen benutzt und so viel Geld wie möglich aus dem Automaten geholt. Danach habe ich die Karte zerbrochen und gemeinsam mit meinem Handy in die Inde geworfen. Meinen Wagen habe ich in einem Industriegebiet bei Charleroi stehen gelassen und bin den Weg zurückgetrampt. Dem Bauern, dem das Haus gehört, zahle ich einen Hunderter im Monat. Er stellt keine Fragen. Das ist alles, was mich interessiert.

Ich stelle die Kondensmilch auf die Fensterbank. Im Haus gibt es kein fließendes Wasser und keine Heizung, nur einen alten Bollerofen und ein Feldbett. Das Feuer glost träge vor sich hin, ich lege ein paar Scheite nach und strecke mich auf dem Bett aus.

In meinem Traum renne ich durch ein Weizenfeld, weit hinten höre ich die Sauen brechen, ich sehe das dunkle, dreckverklumpte Fell zwischen den Halmen. In der Mitte des Feldes tut sich plötzlich ein Loch auf, so groß und tief, dass ein ausgewachsener Mann darin verschwinden könnte. In der feuchten Erde finde ich einen faustgroßen Stein und werfe ihn hinein. Es macht drei Schläge, sie klingen dumpf und hohl wie die Glocken eines Kirchspiels in einer kleinen Stadt mit Straßen aus Kopfsteinpflaster. Dann wache ich auf und begreife, dass es Rudi ist, der an meine Tür hämmert.

Ich dacht mir, gehen wir was früher, is besser, sagt er, nachdem ich ihm geöffnet habe.

Warte gerade. Ich ziehe meine Realtree-Jacke an und Gamaschen über die Stiefel. Rudi reicht mir Barbaras .308, eine Tikka mit kurzem Lauf, der Schalldämpfer ist schon aufgeschraubt.

Hab dir auch genuch Murmeln mitgebracht, sagt er und packt ein paar Patronen in meine Jackentasche. Das Gewehr ist leicht, die Fischhaut am Vorderschaft griffig. Ich gehe in den Anschlag, blicke durch die Optik.

Mit Leuchtpunkt, sagt Rudi und lacht. Richtige Frauenknarre.

Was ist denn mit Wärmebild oder Nachtsicht?

Ach wat!, Rudi winkt ab. Was willste denn noch alles mitschleppen? Musste ja auch immer kontrollieren, hier, Akku geladen, Batterien voll. Und die Viecher da drüben sind doch so groß wien Scheunentor. Also wennde die nich triffst, dann …

Ich nicke.

Nebel über den Feldern. Auf der einzigen Straße hinab ins Tal fährt ein Kastenwagen, ich höre den nagelnden Dieselmotor, sehe das grelle Licht der Scheinwerfer in der Dämmerung.

Der Ott, sagt Rudi. Is mal mein Citroën gewesen, hatter mir abgekauft. Guter Wagen, Motor kriesste nich klein.

Wir gehen am Haus vorbei, in der oberen Etage brennt Licht, die Tür des Bürstner steht offen.

Wart mal ’n Moment, sagt Rudi und verschwindet im Inneren des Wohnwagens. Ich bleibe auf dem Pfad stehen, und als ich mich umdrehe, sehe ich Barbara auf dem Balkon; eine große, hagere Gestalt, eingehüllt in schlohweißen Rauch, die Arme verschränkt, den Kopf zur Seite gebeugt.

Jetzt könnenwer. Rudi schultert seine Büchse, dann gehen wir weiter durch den Garten, der im Schatten der Bäume liegt.

Es ist ein kleiner Schlüssel, vollkommen unscheinbar. Er steckt ihn in das Schloss und dreht ihn zweimal gegen den Uhrzeigersinn. Noch einen Schritt, und wir stehen im Königreich.

Sieht anders aus, als bei uns, sagt er. Die Bäume und so, das Gras. Klingt bekloppt, weil es ja nur ’n Meter is im Grunde, aber is eben auch ’n anderes Land, ist Belgien, und da siehts halt anders aus als bei uns.

Wir schleichen durch das Dickicht. Nach ein paar Metern fällt das Gelände steil ab.

Hier runter, sagt Rudi, aber Vorsicht!, is rutschig.

Eine lange Rückegasse entlang. Das Gras ist so feucht, dass es an den Hosenbeinen kleben bleibt.

Was haste für Schnaps zu Hause?, fragt Rudi.

Was?

Schnaps, sagt er und dreht sich um. Jeder Mann braucht doch ab und zu mal ’n Schluck Schnaps, oder?

Ich weiß nicht. Whiskey?

Also braun.

Braun, ja.

Auch Rum und so was?

Nee, eigentlich nicht. Whiskey.

Ich trink ja nur noch Braunes, Weißes macht mich aggressiv. Er zuckt mit der Schulter. Kann ich nich mehr, Weißes. Ich hab mal einen umgewichst, in ’ner Kneipe, und sagen wir so – ich konnt nich mehr aufhören. Wenn ich Weißes drinne hab, da werd ich zum Tier, also … Er sieht mich an, ein langer, zweifelnder Blick. Ich sags dir, wie es is, ich hab dafür gesessen, in Diez, schwere Körperverletzung und so, und da war dann klar, kein Weißes mehr. Ich hab in den reingedroschen, immer wigger, und kein Ende, ich wusste ja, der hatte genug, aber so war’s halt.

Ja, sage ich. Okay.

Schnaps hat was mit Respekt zu tun. Du willst einem ja keinen Dreck anbieten, wenn er dich schon zu Hause besucht – ich mein, wie sieht das denn aus?

Verstehe.

Er lacht. Ich denk ja immer noch, du bist Arzt.’n Arzt, oder schwul.

Schwul? Wieso das denn?

Er spitzt die Lippen und drückt einen Strahl Spucke auf den Boden. Also, ich weiß nich. Wie du dich bewegst und wie du redest, und so … da dachten wir das eben.

Wir? Wer ist denn wir?

Ja, die Barbara auch, die sachte so, meinste, der ist schwul? Ich dacht ja, das wär so, also … weißt schon, wie ich das meine, nich böse oder so.

Nee, klar. Aber ich bin nicht schwul, wirklich nicht.

Wär mir auch egal, sagt er. Also trinkste Braunes?

Ich trink Whiskey, sage ich. Ich mag aber auch Bier. Weißte ja.

Rudi grinst und klopft mir auf die Schulter. Lass mal weiter.

Am Ende der Rückegasse wird das Terrain weit und flach.

Treten meistens da aus, sagt Rudi und zeigt auf eine Wildwiese. Aber wart ruhig! Die ersten sind ja nur Gucker. Du hinter die Weide da drüben, ich bleib erst mal hier … wenn’s passt, dann jut, wenn nicht, dann nicht.

Ich war lange nicht mehr auf der Jagd, das letzte Mal in Frankreich, das ist zwei Jahre her.

Wir haben keinen Hund, sage ich leise.

Rudi schüttelt den Kopf. Tja, müssen eben im Knall liegen, so isset halt im Königreich. Dann geht er los.

Ich setze das Magazin in die Tikka, lade eine Patrone in die Kammer und sichere. Dann beobachte ich die Wiese durch die Optik. Der Nebel löst sich langsam auf, das erste Licht gibt der Natur die Tiefe zurück.

Das Ganze ist keine gute Idee, aber ich will nicht, dass Rudi noch misstrauischer wird. Bis zum Winter reichen meine Reserven, danach sehe ich weiter. So lange müssen wir aneinander vorbeikommen.

Ich starre in die Dämmerung, eine Stunde, vielleicht zwei. Nichts tut sich. Dann ein Schuss.

Er klingt durch den Schalldämpfer dumpf und gepresst.

Habn erwischt, ruft Rudi, ich höre ihn von der anderen Seite der Wiese. Nach ein paar Minuten kommt er durch die Gasse gelaufen, das Gewehr bereits geschultert.

Müssn uns beeilen, das warn Mordstrumm!

Wir gehen am Wiesenrand entlang, bis Rudi vor ein paar Bäumen stehenbleibt.

Nix, muss hier liegen, hundertprozentig.

Das Ende der Rückegasse ist schon siebzig, achtzig Meter entfernt.

Kann doch nich sein. Bin gut abgekommen. Er schüttelt den Kopf. Muss hier irgendwo liegen.

Hat vielleicht noch paar Meter gemacht, Rudi. Kannste ja nie wissen, oder?

Ich glaub da vorn, Jung. Da vorn liegt was.

Mit jedem Schritt wird das Tier größer. Wir bleiben vor dem massigen Körper stehen.

Das ist kein Hirsch, sage ich.

Rudi bückt sich und legt eine Hand auf das graue Fell.

Seh ich selber, Mensch. Aber als der da stand, da … also, ich weiß auch nicht. Sah aus wie ’n Hirsch, so im Dunkeln, und ich weiß doch, wie ’n Hirsch aussieht!

Das ist ein Wasserbüffel, Rudi.

Verdammte Scheiße, flüstert er.

Was machen wir jetzt?

Ja, keine Ahnung … weg! Auf jeden Fall erstmal weg hier, oder?

Können wir doch nicht einfach so liegen lassen. Irgendwer wird den sicher finden, und dann …

Rudi atmet aus. Weiß ja keiner was von, nur du und die Barbara. Wennwer alle die Schnauze halten, kann uns nix passieren. Wat sollenwer denn sonst machen?

Ja, aufs Beste hoffen können wir nicht … müssen wir uns schon selber drum kümmern, sonst fliegt uns das um die Ohren, Rudi!

Hast ja recht. Pass auf, ich regel das, ich regel das schon. Ich lass mir was einfallen. Er schnauft und nickt. Haste eigentlich dein Böker dabei?

Ich halte die Klingen meiner Messer scharf und öle sie regelmäßig, auch wenn ich sie nicht mehr so oft benutze. Das Böker war das erste gute Messer, das ich besessen habe. Full Tang, mit Griff aus Erlenholz, ein grundsolides und robustes Jagdmesser. Ich hatte es in den Volieren bei Poperinge und auf Elchjagd in Finnland dabei. Jetzt entbeint Rudi damit den Wasserbüffel.

Ist dat Vieh vielleicht hatlievich, verdammte Scheiße!, sagt er, Blut läuft ihm dabei über den Handrücken. Aber is dat ’ne Keule, wa? Verdammte Axt, dat is ’ne Keule! Meinste wiegt die?

Keine Ahnung, Rudi. Achtzig Kilo?

Nee, meinste? Achtzig Kilo?

Vielleicht auch mehr.

So vell wie ’ne janze Minsch! Rudi lacht. Hattet sich ja doch gelohnt.

Ich nehme seine Büchse, ein Geradezugrepetierer mit hochmoderner Optik von Swarovski, und er trägt die Keule über der Schulter.

Weiß auch nich, sagt er. Kam da einfach so plötzlich aus der Dickung, stand da rum, und … na ja, machste nix. Jetzt isset so, wie et is. Und weißte was, irgendwie … Dann zuckt er mit den Schultern. Ach, was drauf geschissen.

Sagste der Barbara was davon?

Ach wat, der könnt ich auch ’n Elefantenfuß mitbringen, da würd die den Unterschied gar nicht mitkriegen, für so wat interessiert die sich nich, hat die noch nie.

Ich liege bis mittags auf dem Feldbett, dann brühe ich mir einen Kaffee auf und setze mich auf die Bank vor dem Haus. Die Wolken ziehen mit hoher Geschwindigkeit über den Himmel; es riecht schon nach Gewitter.

Rudi kommt den Monte Dung hochgeschlendert.

Keule is soweit feddich, sagt er und setzt sich neben mich. Hab ich zerwirkt und alles, größte Teil geht inne Kühle.

Rudi, also … ich will da jetzt nicht drauf rumreiten oder so, aber ich kann echt keinen Ärger gebrauchen. Wenn hier nachher wirklich einer auftaucht und dumme Fragen stellt, dann …

Dann gibste Fersengeld, oder was? Mach dir mal keinen Kopp. Er lehnt sich an die Steinmauer. Ich geh heut Nacht nochmal rüber. Ich nehm die große STIHL mit und mach den parat, und danach isses so, als wär nix passiert. Der Ott leiht mir den großen Citroën, ich hab gesagt, ich muss noch bisschen Sperrmüll zum Wertstoffhof fahren, da lad ich die Teile rein und verbuddel die dann im Staatsforst. Gibt’s jede Menge Schwarzkittel, die fressen alles, Problem erledigt. Er räuspert sich. Ist wohl so: Die habn da vorn paar Monaten so ’n Projekt gestartet, Barbara hat’s mir heute Morgen erzählt, ich wusste da nix von, oder wenn ich was gewusst hab, hab ich’s schon wieder vergessen. Auf jeden Fall haben die da drüben diese verdammten Büffel angesiedelt, sind angeblich schon fünfzig oder sechzig Stück von denen, sollen gut für die Landschaft sein. Fressen hier, scheißen da, Artenvielfalt.

Ich nicke, und wir schweigen eine Weile.

Sag mal, haste schon mal Büffel gemacht?, fragt Rudi mich dann.

Du meinst gekocht?

Was machste da draus?

Am besten so was wie Eintopf … Fleisch kleinschneiden, anbraten und mit Gemüse in den Topf.

Würdeste das machen? Für Barbara und mich? Also, du natürlich auch, bist eingeladen, klar.

Kochste nicht gerne?

Rudi schüttelt den Kopf. Nee, ich kann mir gerade mal ’n paar Eier inne Pfanne hauen, und Barbara, tja, weißte, die frisst ja so gut wie nix, das is ’n echtes Problem, und da dacht ich, wenn ich da jetzt anfang rumzubrutzeln und das geht inne Hose – wär ja schad drum, ums gute Fleisch, oder?

Ja, das wär schad drum, hast recht. Willst du, dass ich mit rüberkomme? Heute Nacht?

Nee, lass mal, Jung, bei dir hab ich immer das Gefühl, wenn du irgendwo festhältst, dann ist das so, als ob woanders zwei loslassen. Schaff ich schon alleine, kein Problem. Aber mit dem Fleisch und so, das wäre super.

Mach ich, Rudi. Morgen?

Müssten wahrscheinlich in der Stadt noch paar Sachen besorgen. Schmeißenwer zusammen, bist ja was knapp bei Kasse, oder?

Kann das vielleicht nicht die Barbara erledigen, die kennt sich doch auch sicher mit den Geschäften aus, oder? Wo du was am besten kriegst.

Nee, die geht nich freiwillig in die Stadt, Einkaufen hasst die sowieso wie die Pest … also, Jung, wenn ich jetzt nachts schon da rübergeh und da alles klarmache, dann … Er sieht mich an. Oder hab ich was verpasst? Haste nachher noch, hier wie heißt das: Platzangst?

Nee, habe ich nicht.

Geh doch einfach zum EDEKA, da kriegste alles, und is nur die Straße runter.

Hast recht, das könnt ich machen. Und lass mal stecken. Geht auf mich. So knapp bin ich nicht bei Kasse.

Rudi lächelt. Wie lang biste jetzt hier, aufm Monte Dung? Zwei Monate?

Seit Juli.

Na siehste. Er legt mir seine Hand aufs Knie. Ich frag schon nich, Jung. So was mach ich nich. Dann steht er auf. Morgen is gut. Morgen kommste, machen wir mit Fleisch und allem, super.

Rudi, sag ich und er dreht sich um.

Ja?

Hast du wirklich gesessen?

Bin ich nich stolz drauf.

Nee, glaub ich dir.

Redet man nich so drüber. Aber, sagt er und zuckt mit der Schulter, et is wie et is.

In der Nacht glaube ich Rudis Kettensäge zu hören, wie sie sich durch die Knochen des Büffels schneidet.

Am nächsten Morgen stehe ich früh auf, ziehe mich an, brühe Kaffee auf, lasse mir Zeit mit der ersten Tasse, trinke sie draußen auf der Bank. Der Wind weht von Süden her den Hang hinauf. Unten liegt die Stadt, Häuser aus rotem Backstein, die vom Tau feuchten Dachrinnen glänzen in der Morgensonne.

Als ich über den Parkplatz auf den großen, hell erleuchteten EDEKA zugehe, frage ich mich, ob es hier Überwachungskameras gibt. Wie lange sie die Aufzeichnungen aufbewahren, wann sich die Bänder selbst überspielen?

Die Gänge sind um diese Uhrzeit leer. Olivenöl, frischen Knoblauch, Schalotten, Cocktailtomaten, Senf und scharfes Paprikapulver. Ich bleibe vor dem Weinregal stehen, nehme eine Flasche weiß, eine Flasche rot und lege noch einen Wodka in den Wagen, stelle ihn aber wieder ins Regal und tausche ihn gegen eine gute Flasche Bourbon; Rudi trinkt kein Weißes.

An der Kasse beobachte ich die Kassiererin, die jeden Artikel scannt, ohne hinzusehen. Nach dem Erfassen ertönt ein schriller Signalton, und irgendwann treffen sich unsere Blicke doch, ihre Augen sind blau und klar wie Wasser. Ich halte ihr einen Hunderter hin, der Schein fühlt sich neu und glatt an. Sie legt das Rückgeld in die Schale über der Kasse, ich sammle die Münzen in der hohlen Hand, erst dann nehme ich den Zwanziger, falte ihn in der Mitte und stecke ihn in meine Hosentasche. Bevor ich gehe, drehe ich mich noch einmal um; da ist nur ein Mann in einem beigefarbenen Pullover, der zwei Kartons Vollmilch unter dem Arm trägt.

Ich drehe eine Runde um den Parkplatz, bleibe mit vollen Einkaufstüten vor dem Eingang stehen. Sie sieht jeden so an, wie sie mich angesehen hat, ich bin einfach nur ein weiterer Kunde, ein Niemand, der kommt und wieder geht.

Vor der Haustür stehen zwei Paar Gummistiefel, der getrocknete Schlamm hell auf dem grünen Kunststoff.

Schuhe aus, sagt Rudi, is besser, Barbara is da ’ne ganz Genaue, die will das Haus immer sauber haben, weißte?

Klar. Ich stelle meine Stiefel auf den Abtritt und gebe Rudi die Tüten in die Hand.

Hab auch was Braunes besorgt.

Guter Mann. Weißt Bescheid.

Barbara sitzt am Ende des Küchentisches.

Rudi meint, du wärst ’n guter Koch.

Na ja, mal sehen.

Bleibt uns ja jetzt nicht mehr viel übrig, sagt Rudi und lacht. Willste erstmal ’n Bier, Jung?

Ich nicke, und er geht zum Kühlschrank und holt zwei kleine Flaschen heraus.

Wieder was aus Belgien?

Warum soll ich den Dreck von hier trinken, wenn ich ’n echten Klassiker trinken kann? Fährste immer richtig mit, oder? Aber Vorsicht!, das Glasmantelgeschoss hier hat zehn Kaliber.

Er gießt das Bier in zwei bauchige Kelche, der Schaum