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Drei ungewöhnliche Frauen stehen im Mittelpunkt des Stückes: Die deutschstämmige Claudia reist in eine entlegene Gegend von Litauen, um dort Roberto zu treffen, einen jungen Mann, mit dem sie seit längerer Zeit in einem regen Email-Austausch steht und in den sie sich verliebt hat. Statt Roberto trifft sie auf dessen Mutter Cecile und Großmutter Matilda. Beide verhalten sich ausgesprochen merkwürdig – sich selbst und Claudia gegenüber. Und Roberto? Er scheint wie vom Erdboden verschluckt. Claudia versucht, das Geheimnis um die beiden Frauen, Roberto und das seltsame Haus, in dem sie untergekommen ist, zu lüften … Mit "Im siebten Himmel ist Ruh (Ein Stück von der Liebe)" bietet die aus Litauen stammende Autorin Arna Aley eine gelungene Mischung aus Spannung, Witz und Skurrilität und vor allem drei detailreich ausgestaltete Rollen für Frauen unterschiedlichen Alters.
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2020
Arna Aley
Im siebten Himmel ist ruh
Ein Stück von der Liebe
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page
Stücktext
Über die Autorin
Über das Stück
Impressum
Die ärmliche aber saubere Wohnküche eines Holzhauses in einer abgelegenen Ortschaft.Auf der linken Seite ist die Tür zum Vorzimmer zu sehen, auf der rechten Seite befinden sich zwei Türen: Die hintere Tür führt in das Gästezimmer, die vordere Tür bleibt bis auf weiteres verschlossen.
CELINE(aus dem Off) Was sagten Sie?
CLAUDIAAuf dem glatten Boden lässt er sich gut rollen.
CELINE(erscheint in der Gästezimmertür) Wer?
CLAUDIADer Koffer.
CELINEAch so. Ich habe nur nachgeschaut, ob ich genug saubere Bettwäsche habe, sonst hätte ich welche von Oma Franzi geholt. Sie geht aber sehr früh ins Bett, Oma Franzi, sie spart Strom. Sobald es dunkel wird, geht sie ins Bett. Sie ist auch schon uralt.
CLAUDIA(lacht) Oma Franzi.
CELINERoberto hat sie so genannt. Roberto ist mein Sohn. Er sollte gleich nach Hause kommen. Sie werden sehen: großer Junge. Mich hat er schon längst überholt, um zwei Köpfe. Zwei Köpfe größer als ich – aber sehr hilfsbereit.Wie Oma Franzi sagt: goldenes Kind. Er ist aber kein Kind mehr. Es ist schon unheimlich, wie die Zeit vergeht. Was wollte ich noch gerade machen? Ach so, die Bettwäsche habe ich, die brauche ich nicht zu holen, was noch? Setzen Sie sich.
CLAUDIADanke.
CELINEWarten Sie, ich wische den Stuhl ab, nur so zur Sicherheit. Es ist schon sauber hier, Sie müssen überhaupt kein Bedenken haben, aber -
CLAUDIAIch habe kein Bedenken, lassen Sie das.
CELINEIch wische lieber ab. Oma Franzi hat einen Wellensittich, oh, (an den Käfig gerichtet) tut mir Leid, Franzi, Entschuldigung. (zu Claudia) Das ist ein Nymphensittich. (an den Käfig gerichtet) Entschuldigung, Franzi. (zu Claudia) Selbst möchte man auch nicht Dinosaurier genannt werden, oder?
(Claudia prustet.)
Warum lachen Sie?
CLAUDIA(lacht) Oma Franzi.
CELINEDeswegen heißt sie auch Oma Franzi, weil der Nymphensittich Franzi heißt. Er ist aus Deutschland. Sie kommen doch auch aus Deutschland, oder?
CLAUDIA(prustet) Ich bin aber kein Nymphensittich.
CELINEIst das nicht ein deutscher Name „Franzi“?
CLAUDIAVielleicht ein Papageienname, keine Ahnung.
CELINEDas ist ein Nymphensittich. Oma Franzi gönnt ihm ab und zu Auslauf im Freien, natürlich nicht draußen, sonst würde er abhauen, hier in unserer Wohnküche. Der liebe Franzi hinterlässt manchmal böse Überraschungen. Ich wische immer den Stuhl lieber ab, bevor ich mich hinsetze. Was ist daran so lustig?
CLAUDIAIch weiß es nicht.
CELINEDen Namen gibt es bei uns nicht. Er klingt schon lustig: Franzi.
(Claudia prustet.)
Bedeutet der Name für Sie was, dass Sie so lachen müssen?
CLAUDIA(lacht) Nein.
CELINEWas ist denn?
CLAUDIAIch weiß nicht, wo ich den Koffer ablegen kann. (prustet) Ich stehe so bescheuert hier rum, (prustet) als ob ich mich an dem Koffer festhalten würde, (prustet) damit ich nicht umkippe oder was?
CELINEStellen Sie ihn ab. Ich weiß es nicht, möchten Sie, dass ich Ihnen das Gästezimmer zeige?
CLAUDIANein. (prustet) Ich stelle ihn irgendwo hier ab.
CELINEJa, dort in der Ecke. Stellen Sie ihn dort in der Ecke ab, dann stolpert keiner über ihn. Oder – Warten Sie – Besser dort, an der Wand. Lehnen Sie ihn dort an die Wand an.
CLAUDIAEr muss nicht angelehnt werden, er steht von selbst. (prustet)
CELINEDann stellen Sie ihn an der Wand ab.
CLAUDIAOder doch besser in der Ecke? Was war das Argument (prustet)
CELINEWas?
CLAUDIAWas war das Argument für die Ecke?
CELINEDass keiner über den Koffer stolpert, aber –
CLAUDIAIst doch gut.
CELINEAber in der Ecke versammeln sich die Staubfusseln so schnell. Ich habe zwar heute Morgen geputzt – Stellen Sie den Koffer an der Wand ab, dann habe ich ein ruhigeres Gewissen.
CLAUDIAWegen den Staubfusseln? (prustet)
CELINEWegen dem Foto.
CLAUDIAWelchem Foto?
CELINEVielleicht sollte ich es wieder aufhängen, solange Roberto nicht gesehen hat, dass ich es abgehängt habe. Es wird ihm bestimmt sofort auffallen, dass das Foto da nicht mehr hängt. Und dann wird er sich sicherlich fragen, warum ich das Foto seines Vaters abgehängt habe, wo es doch seit zwanzig Jahren, genauer gesagt, seit achtzehn Jahren an der Stelle gehangen hat. Mir wird er nichts sagen, Roberto redet soundso wenig, nur das Wichtigste aber er denkt viel nach.
CLAUDIARoberto ist schon so ein kleiner Philosoph. (Pause)Ich meine –
CELINEKlein ist er nicht. Er ist zwei Köpfe größer als ich.
CLAUDIAIch meine, wenn einer viel denkt und wenig redet, das hat schon was Philosophisches – (prustet)
CELINEWarten Sie, ich helfe Ihnen mit dem Koffer.
CLAUDIAIch glaube, das kommt von der Übermüdung.
CELINEDass ich das Foto abgehängt habe?
CLAUDIA(prustet) Nein, ich meine, dass ich ständig lachen muss.Das Lachen kommt von der Übermüdung.
CELINE(deutet auf den Koffer) Schöne Farbe.
CLAUDIAJa, ich mag türkis auch gerne.
CELINETürkis?
CLAUDIADas ist türkis.
Pause.
CELINE(verträumt) Mittelblaugrün. (Pause) Haben Sie schon einmal einen Italiener getroffen, der mittelblaugrüne Augen hat?
CLAUDIAEinen Italiener?
CELINE(stolz) Der Vater von Roberto ist ein Italiener.
CLAUDIATrägt er Farblinsen? (prustet) Entschuldigung.
CELINEDer Koffer ist ganz schön schwer. Ich wüsste nicht, womit ich so einen Riesenkoffer voll kriegen könnte.
CLAUDIAIch bin schon seit einigen Wochen unterwegs. (versucht das Lachen zu unterdrücken) Und das Klima wechselt von Land zu Land. In Deutschland war es um einiges kälter als in Frankreich. Und hier – Ihr habt hier sogar Schnee.
CELINEWir haben hier viel Schnee. Haben Sie noch nie Schnee gesehen?
CLAUDIA(prustet) Natürlich habe ich Schnee gesehen, aber – Ich meine, nicht in diesem Jahr.
CELINEEs ist auch bei uns nicht jedes Jahr so, dass es so früh im Winter schneit. Und wenn man so will, ist eigentlich noch Herbst. Jetzt ist doch erst Mitte November, oder?
CLAUDIADer siebzehnte November.
CELINE(atmet laut aus, betrachtet die Stelle, an der das Foto gehangen hat, nickt nachdenklich mit dem Kopf) Der siebzehnte November.
CLAUDIAMan kann die Stelle erkennen, wo das Foto gehangen hat.
CELINESoll ich es zurückhängen? Wo bleibt Roberto so lange? Ich glaube, es ist besser, ich hänge das Foto zurück.
CLAUDIAIch weiß es nicht.
CELINEDoch, ich hänge es zurück. (will raus, um das Foto zu holen)
CLAUDIATragen Sie auch sein Foto in ihrem Portemonnaie? Hinter der Klarsichtfolie?
CELINE(zögert) Nein.
CLAUDIAIch finde es immer so unangenehm, wenn Frauen an der Supermarktkasse ihre Portemonnaies aufmachen, und man wird gezwungen, auch wenn man es überhaupt nicht möchte, deren ganzen Haufen Elend mitzuerleben: den harmlosen Ehemann, die vernünftigen Kinder, die süßen Enkelkinder, den schlauen Hund, die kuschelige Katze. Auch wenn das nur eine Minute lang, nur eine halbe Minute lang dauert, fühle ich mich für den Rest des Tages missbraucht.
CELINEIch hole das Foto.
CLAUDIALassen Sie das mit dem Foto, hängen sie es nicht zurück, wenn sie es schon einmal abgehängt haben.
CELINEAber das ist doch was völlig anderes –
CLAUDIADie kleinen Fotos hinter der Klarsichtfolie, die man seit zwanzig Jahren mit sich rumträgt, nimmt man genauso wenig wahr wie auch ein Porträtfoto, das zwanzig Jahre an der Wand in der Wohnküche hängt.
CELINEUm genauer zu sein, seit achtzehn Jahren. Vor achtzehn Jahren habe ich das Foto an dieser Stelle aufgehängt, seitdem habe ich Robertos Vater nicht mehr gesehen.
CLAUDIAFür einen selbst ist es völlig egal, ob das Foto an der Wand hängt oder nicht, weil man es nicht wahrnimmt. Schon nach einem Jahr, nach einem Monat, nach einer Woche nimmt man es nicht mehr wahr. Man hängt das Foto an die Wand oder man steckt es hinter die Klarsichtfolie, damit die anderen das sehen. Man hofft, dass die anderen sich dafür interessieren werden. Aber die anderen interessieren sich nicht dafür, weil sie die eigenen Ehemänner, Katzen und Enkelkinder hinter die Klarsichtfolie ihres Portemonnaies gesteckt haben und sie genauso seit zwanzig Jahren nicht mehr wahrnehmen. Man ist im Grunde sowieso immer allein. Ob meine Mutter mich im Personalausweis-Foto-Format mit einem freien Ohr hinter der Klarsichtfolie ihres Portemonnaies mit sich rumträgt oder nicht: Was macht das für mich für einen Unterschied? Was bringt mir das, dass der nächste Kunde, der in der Schlange eines Supermarktes hinter meiner Mutter steht, mein freies Ohr sieht? Ich stehe hier sowieso mutterseelenallein!
CELINELeiden Sie unter Depressionen?
CLAUDIAIch glaube, ich bin einfach müde.
CELINESie sollten sich untersuchen lassen, ich meine, solch plötzlicher Stimmungswechsel könnte ein Anzeichen für psychische Dysregulation sein.
CLAUDIASind Sie Medizinerin?
CELINENein, seit der Vater von Roberto weggefahren ist, leide ich an akuter psychischer Dysregulation.
CLAUDIASeit achtzehn Jahren?
CELINE(stolz) Seit achtzehn Jahren akut.
CLAUDIAWau! Ich glaube nicht, dass ich an akuter psychischer Dysregulation leide.
CELINEDer plötzliche Stimmungswechsel deutet aber darauf hin.
CLAUDIAIch bin einfach müde, die Reise war ziemlich anstrengend.
CELINEEs geht doch schnell mit dem Zug. Vielleicht leiden Sie an einer latenten psychischen Dysregulation?
CLAUDIAIch bin nicht mit dem Zug gekommen, ich bin geflogen.
CELINEDann können Sie nicht müde sein. Ich habe gelesen, dass bei Ihnen immer mehr junge Leute unter Depressionen leiden. Und dass sich das Alter der Betroffenen immer weiter nach unten verschiebt. Die werden immer jünger, die jungen Leute, die unter Depressionen leiden.
CLAUDIAIch falle bestimmt nicht in die Zielgruppe der Studie, von der Sie gelesen haben, ich bin viel zu alt dafür und außerdem leide ich an nichts.
CELINEJeder Mensch leidet an etwas. So was gibt es nicht, dass man an nichts leidet, das glaube ich Ihnen nicht. Auch wenn das nur Männerlosigkeit ist, unter der man leidet, man leidet trotzdem darunter.
CLAUDIABitte was?
CELINEDas ist das Leiden von Oma Franzi: Männerlosigkeit. Die lateinische Bezeichnung für diese Krankheit kann ich Ihnen leider nicht sagen, die kenne ich nicht. Wenn man an dieser Krankheit leidet, leidet man daran, dass man keinen Mann hat. Klarer kann ich es nicht mehr sagen. Man ist halt männerlos, so wie andere kinderlos sind.
CLAUDIADas ist mir schon klar, danke.
CELINEWarum sagten Sie, dass Sie nicht in die Zielgruppe der Studie fallen, weil Sie zu alt sind?
CLAUDIAWeil ich zu alt bin.
CELINEIch weiß nicht, ob ich mir das erlauben darf, aber ich würde Sie auf Anfang zwanzig schätzen und die Studie umfasste Jugendliche zwischen sechszehn und fünfundzwanzig.
CLAUDIAIch werde öfter auf viel jünger geschätzt, als ich in Wirklichkeit bin.
CELINEFreuen Sie sich nicht darüber?
CLAUDIAWarum sollte ich mich darüber freuen, dass ich auf Anfang zwanzig geschätzt werde, wenn ich in Wirklichkeit dreißig bin. Wozu habe ich die Jahre gelebt, wenn man sie mir nicht ansieht.
CELINEFür die innere Reife.
CLAUDIAInnerlich würde ich mich auf sechzehn schätzen. Das Problem ist, dass ich mich mit jedem Jahr, das dazukommt, immer jünger fühle. Heute fühle ich mich viel jünger als ich mich vor zehn Jahren gefühlt habe.
CELINEVielleicht sollten Sie sich doch ärztlich untersuchen lassen. Ich meine es ernst.
CLAUDIAMeine Diagnose lautet: Alterslosigkeit oder wie? (Pause) Vor zehn Jahren wäre ich nicht auf die Idee gekommen, hierher zu fahren, ich hätte es für unvernünftig gehalten. Jetzt sitze ich in Ihrer Wohnküche.
CELINEIch kann Ihnen gerne das Gästezimmer zeigen, aber das hier ist der wärmste Raum in dem ganzen Haus. Finden Sie es hier nicht gemütlich?
CLAUDIADoch, doch. Die Luft ist nur ein wenig muffelig.
CELINE(schnuppert) Man kann hier nicht lüften, die Fenster sind zugenagelt. Oma Franzi hat Angst vor Einbrechern. Ich könnte aber ein wenig Lufterfrischer in den Raum sprühen.
CLAUDIANein, bitte nicht. Die Luft stört mich überhaupt nicht, was ich sagen wollte, dass ich es für eine verrückte Idee von mir halte, hierher zu kommen. Das merke ich erst, wo ich hier, in Ihrer Wohnküche sitze. Nicht, dass ich es hier nicht gemütlich finde, das überhaupt nicht, das wollte ich auch nicht sagen, nur jetzt, wo der ganze Reisestress vorbei ist, merke ich besonders deutlich, dass es verrückt von mir war, so eine Reise zu unternehmen.
CELINEDas alte Lied: Man fährt nach Spanien, nach Italien, aber um hierher zu kommen muss man ein Verrückter sein.
CLAUDIADas muss man wirklich, glaube ich.
CELINEUnd was muss man sein, um hier zu leben? Ein völliger Idiot?
CLAUDIAReicht es nicht, dass man hier geboren ist?
CELINEUnd dann ist man automatisch ein Idiot? Das wollten Sie damit sagen.
CLAUDIAMan ist ein Einheimischer. Das ist etwas völlig anderes als –
CELINEAls was?
CLAUDIAAls wenn man nur als –
CELINEAch, lassen Sie es!
CLAUDIAAls wenn man nur als Tourist hierher kommt.
CELINEDas ist es genau: Alle Touristen sind Menschen und wir sind alles Idioten hier.
CLAUDIASo habe ich es nicht gemeint.
CELINEDas ist meine Meinung. Das Schlimmste ist, die meisten merken nicht einmal, dass sie Idioten sind. Was glauben Sie, warum ich mich in einen Italiener verliebt habe? Es sieht scheußlich aus.
(Claudia schaut auf sich runter.)
Die Stelle, an der das Foto gehangen hat, sieht scheußlich aus. Ein hellerer Fleck ist an der Wand geblieben. Den sieht man ganz deutlich. Sehen Sie?
CLAUDIA