Im sinnlichen Bann des Feindes - Jenni Fletcher - E-Book + Hörbuch

Im sinnlichen Bann des Feindes Hörbuch

Jenni Fletcher

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Beschreibung

Der Blick aus diesen unglaublich blauen Augen! Als der fremde Krieger sie mustert, spürt Lady Aediva, wie ihr die Hitze ins Gesicht schießt. Ihr ist, als hätte sein Blick eine Feuerspur auf ihrer Haut hinterlassen. Doch sie hat nicht vor, sich diesem normannischen Hurensohn kampflos zu ergeben. Denn Sir Svend ist gekommen, um ihre Schwester zu holen. Und die Normannen haben ihr schon so viel genommen - ihren Vater, ihr Zuhause. Ihre Schwester wird sie ihnen nicht auch noch überlassen! Nein, sie hasst ihn abgrundtief. Ihr Herz schreit nach Rache. Niemals darf sie ihn begehren. Sir Svend ist ihr Feind …

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Zeit:9 Std. 8 min

Sprecher:Sarah Vend

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IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Jenni Fletcher Originaltitel: „Married to Her Enemy “ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICALBand 351 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Carolin Gehrmann

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733736934

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Etton bei Peterborough, Mercia,

Sommer 1067

Aediva stemmte sich so fest gegen das schwere Holztor, dass ihre Füße im schlammigen Untergrund wegglitten. Doch schließlich schaffte sie es, den Riegel zu schließen.

Blitzschnell drehte sie sich um und rannte los, vorbei an den verlassenen Häusern. Die Habseligkeiten der Bewohner lagen überall auf dem Boden verstreut. Sie hatten so hastig fliehen müssen, dass sie nur das Nötigste hatten mitnehmen können. Dann lief sie auf das Haus des Thanes, des königlichen Lehnsherrn, zu, das leicht erhöht inmitten der anderen Hütten stand.

Am Eingang blieb sie stehen und strich sich das vom Wind zerzauste Haar aus dem Gesicht, bevor sie sich voller Angst umdrehte und zurückblickte.

Wie viel Zeit hatten sie noch? Wann würden die Eroberer hier sein?

Wenn sie Glück hatten, vielleicht eine Stunde. Doch das würde nicht reichen.

Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Als sie sie wieder öffnete, war ihre Angst einer eisernen Entschlossenheit gewichen. Die Normannen würden kommen, daran konnte sie nichts ändern. Zuerst hatte sie sich jedoch um einen anderen Notfall zu kümmern.

Sie stürmte in das Haus, lief an der Feuerstelle im großen Gemeinschaftsraum vorbei und hastete in die Geburtskammer.

„Wie geht es ihr?“, fragte sie keuchend und ließ sich erschöpft auf die Binsen neben dem Lager fallen. „Ist es bald da?“

Eadgyth, die alte Hebamme, schüttelte besorgt den Kopf. „Nein. Sie muss stärker pressen.“

„Aber sie presst jetzt schon seit Stunden!“

Aediva biss sich auf die Lippe, während sie abwog, wie ihre Chancen standen, doch noch rechtzeitig fliehen zu können. Wieso dauerte es bloß so lang? Und wie viel würde Cilles zarter Körper noch aushalten können? Jede weitere Verzögerung brachte die Normannen näher zu ihnen und erhöhte die Gefahr, ihnen in die Hände zu fallen. Man würde sie gefangen nehmen … oder Schlimmeres. Trotz allem zeigte Cilles Kind keine besondere Eile, auf die Welt zu kommen.

„Was kann ich tun?“

„Nichts. Nur warten.“

Warten? Aediva versuchte mit aller Kraft, die aufkommende Panik zu unterdrücken. Es kam ihr so vor, als würde ihre ganze Welt, die Welt der Angelsachsen, vor ihren Augen zusammenbrechen. Erst Leofric, dann ihr Vater und jetzt Cille. Ganz zu schweigen von Edmund. Das letzte Jahr hatte ihr mehr Schmerz und Leid beschert, als sie sich jemals hatte vorstellen können. Das Schicksal konnte nicht so grausam sein und ihr auch noch die Schwester nehmen. Oder doch?

Sie kniff vor Schmerz die Augen zusammen bei der Erinnerung daran, wie Cille mit einem dumpfen Geräusch zu Boden gefallen war und sich langsam eine rote Blutlache unter ihr ausgebreitet hatte. Der Schock über die Nachricht, dass die Normannen anrückten, hatte die Wehen bei ihr ausgelöst. Glücklicherweise handelte es sich nicht um eine Frühgeburt. Eher schien es, dass das Kind bereits überfällig war. Aediva hatte geglaubt, dass ihre Schwester schlief und sie nicht hören konnte, als sie den Leuten, die sich in der Halle versammelt hatten, befahl, sofort zusammenzupacken und nach Osten in die ‚Fens‘ zu fliehen, ein Sumpfgebiet in East Anglia, die letzte Hochburg des angelsächsischen Widerstandes. Die durch den Schock ausgelöste Niederkunft ihrer Schwester war schuld, dass sie nicht auch schon längst auf dem Weg dorthin waren.

„Sind die anderen weg?“, fragte Eadgyth und reichte ihr einen Krug mit Met.

„Ja.“

Aediva nahm einen großen Schluck und überlegte. Hatte sie das Richtige getan? Sie hatte einfach über Cilles Kopf hinweg entschieden. Seit dem Tod ihres Vaters traf sie die Entscheidungen im Dorf, während Cille sich in Ruhe auf ihre Niederkunft vorbereitet hatte. Cille hatte ohnehin so gut wie kein Interesse an ihrem Erbe gezeigt. Seit ihrer überraschenden Rückkehr im Frühjahr war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie sprach kaum ein Wort und war zweifellos nicht in der Lage, die Führung zu übernehmen.

Also hatte sie einspringen müssen. So gut sie konnte, hatte ­Aediva die Aufgaben des Thanes übernommen, auch wenn sie den Titel nicht trug. Doch sie wusste, dass ihr Vater es gewollt hätte, dass sie sich um Etton und seine Bewohner kümmerte. Nachdem die Normannen die Schlacht bei Hastings gewonnen hatten, machten sie sich nun das Land untertan. Aediva hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sich ihr Vater den Eroberern gegenüber verhalten hätte. Wäre er geflohen, oder hätte er sich den Normannen mit erhobenem Schwert entgegengestellt, um die Seinen bis aufs Blut zu verteidigen? Ihr Herz sagte ihr, dass er wohl nicht kampflos aufgegeben hätte, doch ihr Verstand hatte ihr davon abgeraten. Welche Chance hatten ein paar angelsächsische Bauern gegen normannische Krieger?

Besorgt blickte sie auf den ledernen Vorhang, der die Geburtskammer von der Halle trennte, als rechne sie damit, dass jeden Augenblick eine Horde Normannen hineinplatzte. Drei einzelne Frauen hätten nicht die geringste Chance.

Sie hoffte inständig, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war.

Dann beugte sie sich vor und strich Cille liebevoll über das Gesicht. Ihr Gesicht. Sie sahen einander so ähnlich, dass man sie für Zwillingsschwestern halten konnte. Tatsächlich war Cille aber zwei Jahre älter. Jedes kleine Detail in diesem Gesicht erschien ihr wie ihr eigenes Spiegelbild: die schmalen, geschwungenen Brauen und das zarte, spitz zulaufende Kinn, das hellbraune Haar. Lediglich ihre Augen unterschieden sie voneinander. Cilles Augen leuchteten in einem tiefen Blau, wie die Blütenblätter eines Vergissmeinnichts an einem sonnigen Frühlingstag, während ihre eigenen in einem feurig glühenden Braun erstrahlten, in das sich feine Goldsprenkel gemischt hatten, die wie feiner Sonnenstaub glitzerten.

Eine Träne rann ihr über die Wange, und sie wischte sie schnell ab, ehe sie Cilles zitternde Hände in ihre eigenen nahm. Die Finger der Schwester waren feucht und kalt, als ob sie gleichzeitig schwitzte und fror. Um Gottes willen, wie lange würde sie es noch durchstehen?

„Kümmere dich um das Kind.“

Die Stimme war leise und kaum zu verstehen, doch Aediva zuckte vor Schreck zusammen. Hatte sie es sich nur eingebildet? Nein, Cille blickte sie direkt an, ihre Augen waren von dunklen Schatten umrahmt, als wäre bereits alles Leben aus ihr gewichen.

„Nicht doch“, sagte sie und lächelte aufmunternd. „Du brauchst deine Kraft noch für später.“

„Bitte …“ Cilles Stimme war heiser und schwach, doch ihr Blick war eindringlich. „Versprich es mir. Kümmere dich um mein Kind.“

Aediva stockte der Atem, und sie spürte, wie ihr die Tränen in den Augen brannten. „Ich verspreche es dir.“

„Da ist noch etwas.“ Cille richtete sich mit letzter Kraft auf. „Ich muss dir noch etwas sagen.“

„Später. Jetzt musst du …“

Sie führte den Satz nicht zu Ende, da sie ein Geräusch wahrgenommen hatte. Zuerst war es nur ein fernes Grollen. Doch dann wurde es lauter und lauter, bis ihr klar wurde, was es war: das Trommeln von Pferdehufen.

Schlachtrösser!

Eiskalte Panik packte sie. Sie hatte geglaubt, dass sie ihre Gefühle kontrollieren konnte, doch jetzt, da es so weit war und jegliche Hoffnung auf ein Entkommen verloren war, hämmerte ihr Herz wie wild, und das Blut rauschte in ihren Ohren.

Noch nicht, flehte sie innerlich. Nicht, bevor das Kind da ist! Sie brauchten noch mehr Zeit!

Cille fiel stöhnend zurück auf die Matratze, und sie bäumte sich vor Schmerzen auf. Hatte sie es ebenfalls gehört?

Aediva warf Eadgyth einen Blick zu, und die Frau verstand ihre stumme Nachricht sofort. Sie griff unter das Bettgestell und zog ein langes Eisenschwert hervor. Es war beinahe so groß wie sie selbst und unglaublich schwer, doch es war die beste Waffe, die es im Haus gab … vorausgesetzt, sie hatte genügend Kraft, um es anzuheben.

Sie sah an sich herab auf ihre zerraufte Erscheinung. Heute früh war ihr kaum Zeit geblieben, sich anzukleiden, in Windeseile hatte sie sich eine verschlissene, fleckige Tunika übergeworfen. Ihr Haar war ungekämmt und fiel ihr in langen, zerzausten Strähnen über die Schultern. Daran, sich eine Haube aufzusetzen, hatte sie nicht einmal gedacht. Doch das war auch vollkommen unwichtig. Was die Normannen von ihrem Äußeren hielten, war ihre kleinste Sorge.

Schnell hauchte sie Cille einen Kuss auf die schweißnasse Stirn und zog den Ledervorhang zur Halle auf. Jetzt, da ihr anfänglicher Anflug von Panik überwunden war, wusste sie genau, was sie zu tun hatte.

Sie atmete mehrmals tief durch, damit ihr Puls sich ein wenig beruhigte. Wenn sie Cille schon nicht bei der Niederkunft helfen konnte, dann konnte sie wenigstens versuchen, die Eindringlinge so lange aufzuhalten, bis das Kind auf der Welt war. Sie würde um jeden Preis verhindern, dass sie in die Kammer vordrangen.

Komme, was da wolle! Oder wer da wolle!

Svend stieß einen Fluch aus.

„Sieht so aus, als hätten sie gewusst, dass wir kommen“, stellte Renard, sein Knappe, fest, der die Angewohnheit hatte, stets das Offensichtliche auszusprechen.

Svend kniff die Augen zusammen und nahm mit dem Blick ­eines erfahrenen Kriegers das Terrain in Augenschein. Durch das Tal schlängelte sich ein Fluss in Richtung Osten. Zunächst entdeckte er keine Anzeichen für Besiedelung, doch dann erblickte er im Süden, wo der Fluss eine Kurve machte, ein Dorf auf einer kleinen Anhöhe. Das musste Etton sein. Er lächelte grimmig. Endlich hatten sie den Ort gefunden.

Svend stieß einen weiteren Fluch aus, als sie auf die Ortschaft zu ritten. Um diese Jahreszeit sollten die Bauern eigentlich ihre Ernte einbringen, doch die gepflegten Felder lagen vollkommen verlassen da. Stattdessen sah er die Furchen und Hufspuren, die die Pferdekarren in dem feuchten Boden hinterlassen hatten. Es bestand kein Zweifel, dass die Dorfbewohner die Siedlung verlassen hatten.

„Zehn Schillinge darauf, dass sie nicht mehr hier ist“, sagte Renard.

„Zwanzig“, gab Svend grimmig zurück. Am liebsten hätte er seinem Knappen eine Ohrfeige verpasst für seine Bemerkung.

Er wäre sogar bereit gewesen, eine weit größere Summe zu opfern, um das Ganze schnell hinter sich zu bringen. Eine Frau zu jagen war für einen Ritter wie ihn keine sehr ehrenvolle Aufgabe, und es widerstrebte ihm zutiefst, diesen Befehl auszuführen, auch wenn er vom König persönlich kam. Dessen Vetter, William FitzOsbern, der neue Earl of Hereford, hatte ihm den Auftrag übertragen.

Erneut kniff er die Augen zusammen und ließ seinen Blick über den beinahe nutzlosen Schutzwall der Siedlung streifen. Was in Gottes Namen machte Lady Cille hier? Das Dorf war zwar abgelegen, aber es war gewiss keine Festung. Warum war sie aus einem so gut geschützten Ort wie Redbourn Castle geflohen, um sich hier, in diesem abgeschiedenen Weiler zu verstecken? Und warum zum Teufel verschwendete er überhaupt seine Zeit darauf, sie zu suchen? Die Zukunft der Normannen auf dieser Insel hing sicherlich nicht von einer einzelnen angelsächsischen Frau ab.

Es gab wesentlich wichtigere Aufgaben für einen Mann wie ihn.

Er behielt seine Gedanken jedoch für sich. Über die Jahre hatte er gelernt, immer alles mit sich selbst auszumachen. Zu Recht galt er daher bei seinen Männern als undurchschaubar, als jemand, der seine Gefühle gut zu verstecken wusste.

„Die Männer sollen den Wall umstellen“, befahl er Renard. Nachdenklich rieb er sich über die Bartstoppeln auf seinem Kinn. Er musste dringend ein Bad nehmen und sich rasieren. „Lass es uns endlich hinter uns bringen.“

„Wollt Ihr allein hineingehen, Sir?“

Als er Renards erschrockene Miene sah, zog er spöttisch eine Augenbraue hoch. Er wusste nicht, ob ihn die Frage eher amüsierte oder beleidigte. „Sie ist nur eine Frau.“

„Es könnte ein Hinterhalt sein, Sir. Vielleicht lauern die Angelsachsen Euch auf.“

„Vielleicht.“ Schnell schluckte er die sarkastische Bemerkung herunter, die ihm auf der Zunge lag. „Aber sie wird eher mit uns kommen, wenn wir sie vorher nicht zu Tode erschrecken.“

„Vielleicht ist sie bewaffnet.“

„Davon gehe ich aus.“

Er legte Renard, der dicht neben ihm ritt, ermutigend eine Hand auf die Schulter. Der Bursche war ein guter Knappe, seine übertriebene Vorsicht brachte ihn jedoch oftmals an den Rand seiner Geduld.

„Keine Sorge. Wenn sie versucht, mich zu überwältigen, bist du ja in meiner Nähe.“

Er zwinkerte ihm zu und galoppierte los, damit Renard seinen Sarkasmus nicht bemerkte. Talbot sank mit den Hufen in den Matsch ein, doch er wusste, dass er sich auf die Kraft seines treuen Pferdes verlassen konnte, genau wie auf den Gehorsam seiner Männer, die nun auf den Palisadenzaun der Siedlung zu donnerten. Sein Haar, das er im Gegensatz zur normannischen Mode schulterlang trug, wehte wie eine Fahne aus hellem Gold hinter ihm her, als ritte er in die Schlacht.

Ein frischer Wind blies ihm ins Gesicht, und er lächelte. Er erinnerte sich noch genau daran, wie er zu diesem edlen Pferd gekommen war. Ein unglückseliger französischer Baron hatte an jenem Tag nicht nur sein bestes Schlachtross, sondern auch seine Würde verloren – und zwar vor King William persönlich, damals noch der Duke of Normandy –, da er sich in äußerst herablassender Weise eines jungen Mannes entledigt hatte, der in seinem Dienst stand. Als man diesem Jüngling wenig später die Ausbildung zum Ritter ermöglichte, erhielt sein Leben einen völlig neuen Sinn. Durch seinen niedrigen Rang war er inmitten der hochgeborenen Gefolgsleute am Hofe Williams nicht besonders angesehen, doch dank seiner schnellen, geschickten Fäuste hatte er sich Respekt verschafft. Ritter der königlichen Garde zu werden war für den Sohn eines dänischen Bauern ein beachtlicher Werdegang. Noch dazu für einen Ausgestoßenen wie ihn.

Kurz vor dem Palisadenzaun zog Svend die Zügel an und stieg ab. Dann warf er seinen Umhang zurück und zog mit einer geschmeidigen Bewegung sein Schwert. Der Untergrund war schlammig – es hatte zwei Wochen lang ununterbrochen geregnet –, sodass seine Stiefel sofort in der matschigen Brühe versanken. Zum wiederholten Male fragte er sich, warum sie die Normandie überhaupt verlassen hatten und auf diese graue, verregnete Insel gekommen waren. Er hatte genug von dem rauen Terrain, dem fürchterlichen Wetter und dieser verdammten Suche nach einer Frau, die er langsam für ein Phantom hielt.

Phantom, dachte er mürrisch. So nannten seine Männer sie ­bereits. Sie zu finden schien ein unmögliches Unterfangen. Seit zwei Wochen ritten sie nun schon durch die Grafschaft auf der Suche nach dem abgelegenen Tal, in dem sich Etton angeblich befand. Und allem Anschein nach war sie ihnen wieder entwischt.

Er stieß einen leisen Fluch aus. Der Earl hatte ihm eine reiche Belohnung versprochen, wenn er sie nach Redbourn Castle zurückbrachte. Und der König wollte ihm für seine treuen Dienste während der Eroberung danken. Doch dafür musste er zuerst die Frau finden.

Allerdings sah es ganz so aus, als würde er noch weitere zehn Jahre auf seine Belohnung warten müssen.

Er ließ seinen Ärger darüber an dem hölzernen Tor aus und trat so fest dagegen, dass es augenblicklich aufsprang und der Riegel in hohem Bogen in den Schlamm geschleudert wurde. Da das Tor von innen verriegelt war, bestand die Möglichkeit, dass sie noch hier war. Dumm nur, dass er in seinem Ärger nicht da­rauf geachtet hatte.

Das Dorf war vollkommen verlassen, die kleinen Hütten standen allesamt leer. Aufmerksam ging er an ihnen vorbei. Zerbrochenen Krüge und Decken lagen im Schlamm. Die Bewohner waren offenbar erst vor Kurzem geflohen, und sie hatten es eilig gehabt. Bei dem Gedanken zog sich sein Magen vor Unbehagen zusammen. Die Gerüchte über die Grausamkeit der blutrünstigen Normannen waren anscheinend sogar bis hierher vorgedrungen. Er wusste, dass Grausamkeit der falsche Weg war, um ein Land zu regieren. Leider zeigte sich der König gegenüber allen, die sich ihm nicht unterwarfen, unerbittlich.

Svend wollte mit dieser Art zu herrschen nichts zu tun haben. Zum ersten Mal, seit er im Dienst des Königs stand, zweifelte er an ihm und an dessen Vorgehen. Wie sollte die Eroberung friedlich verlaufen, wenn alle die Normannen fürchteten und hassten?

Als er das Haus des Thanes erreichte, warf er sein Schwert in den Schlamm. Ganz gleich, was Renard sagte, aber selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sie noch hier war, hatte er keine Lust, gegen eine Frau zu kämpfen. Zur Not hatte er immer noch seinen Sax, seinen Dolch, am Gürtel, auch wenn er nicht vorhatte, ihn zu benutzen. Ja, er würde sie zwingen, mit ihm zu kommen, wenn es nötig war, doch er würde sie nicht verletzen – nicht, wenn er es verhindern konnte.

Anders als bei normannischen Häusern gab es hier keine Holztür, es hing nur ein schwerer Ledervorhang vor dem Eingang. Vorsichtig schob er ihn zur Seite und trat über die Schwelle. Durch eine Öffnung in der Decke drang ein wenig Helligkeit ins Innere, sodass seine Augen sich schnell an das Halbdunkel gewöhnten. Wie er vermutet hatte, war das Haus leer. Doch sein Gefühl sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Der Raum war zwar leer, aber er wirkte nicht verlassen. Außerdem drangen merkwürdige Geräusche aus dem hinteren Bereich des Hauses, wie von einem gequälten Tier.

Er trat einen Schritt vor, ehe er jäh innehielt. Sein Fehler wurde ihm nur einen Hauch zu spät bewusst, als er bereits die Klinge im Nacken spürte.

„Keine Bewegung!“, erklang die entschlossene Stimme einer Frau. Zu seiner großen Überraschung sprach sie perfektes Französisch. „Hebt Eure Hände hoch!“

Er tat, wie ihm befohlen wurde, wobei er sich über seine Selbstgefälligkeit ärgerte. Er hatte sich überwältigen lassen wie ein dummer Junge, der noch grün hinter den Ohren war, und das, obwohl sie anscheinend ganz allein war. Wo waren ihre Gefolgsmänner? Es musste doch jemand hier sein, um sie zu beschützen.

Langsam legte er seine Hände in den Nacken und drehte sich um. „Ihr wart nicht sehr leicht zu finden, Lady Cille.“

„Halt! Bleibt wo Ihr seid!“

Sie drückte ihm die Klinge jetzt noch fester gegen den Nacken, doch er spürte, dass ihre Hand dabei fast unmerklich zitterte. Sie hatte Angst.

Er dachte kurz darüber nach, ihr das Schwert abzunehmen. Die Art, wie sie es hielt, sagte ihm genug über ihre Kampfkünste. Ein erfahrener Krieger hätte ihm die Klinge an die Kehle gesetzt. Dennoch wollte er es zunächst mit Diplomatie versuchen.

„Mein Name ist Sir Svend du Danemark. Ich stelle keine Bedrohung für Euch dar.“

Es entstand eine Pause, in der er den Duft einatmete, der von ihr ausging und der ihn an sein Zuhause in Dänemark erinnerte.

Du Dummkopf, dachte er. Er hatte kein Zuhause, schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr.

„Mylady?“, wandte er sich erneut an sie und schob die Erinnerung beiseite.

„Wie habt Ihr mich gefunden?“ Sie sprach langsam und wählte ihre Worte mit Bedacht. „Und was wollt Ihr von mir?“

Ärger stieg in ihm auf. Wenn sie glaubte, ihn einem Verhör unterziehen zu können, dann täuschte sie sich. Dennoch, dieser sanften und dennoch unnachgiebigen Stimme konnte er sich nicht entziehen. „Der Stellvertreter des Königs hat mich beauftragt, Euch zu finden.“

„Der Stellvertreter des Königs?“ Die Verwunderung in ihrer Stimme klang echt. „Warum?“

Er schwieg einen Moment, denn auch er hatte in den letzten Wochen vergebens nach einer Antwort auf diese Frage gesucht. Es konnte nicht nur daran liegen, was sie im Falle einer Heirat mit in die Ehe bringen würde. Da sie eine angelsächsische Edelfrau und die Witwe von Aldermann Leofric of Redbourn war, würde sie ihrem normannischen Gemahl die legitime Verfügungsgewalt über ihre gesamten Ländereien ermöglichen. Doch es sah FitzOsbern nicht ähnlich, so viel Zeit und Energie auf jemanden zu verschwenden, der sich als derartig widerspenstig herausstellte. Es musste einen anderen Grund für sein Interesse geben. Irgendetwas an ihr musste besonders sein.

Sein Aufenthalt in Redbourn Castle war jedoch zu kurz gewesen, um sich umzuhören und Gerüchte aufschnappen zu können. Der Earl hatte ihn zu sich bestellt und sofort wieder fortgeschickt. Aber es musste einen Grund geben. Vielleicht konnte sie ihm ja dabei helfen, es herauszufinden.

Die Klinge drückte sich noch fester gegen seine Haut. „Hat es Euch die Sprache verschlagen, normannischer Hurensohn?“

Er grinste, denn er war in der letzten Zeit häufig so genannt worden. Doch selten war die Beleidigung so inbrünstig ausgesprochen worden wie jetzt. Offenbar wuchsen angelsächsische Damen nicht so behütet heran wie ihre normannischen Geschlechtsgenossinnen.

„Bedauerlicherweise hat man mich nicht über die Pläne des Earls unterrichtet, Mylady“, antwortete er mit übertriebener Höflichkeit.

Wieder ertönte ein Schrei hinter ihnen, diesmal klang es weniger wie ein Tier, sondern eher wie eine weinende Frau. Er machte einen Schritt in die Richtug, aus der der Schmerzensschrei gekommen war.

„Ihr könnt da nicht hinein!“, rief sie voller Panik.

„Warum nicht?“ Seine Stimme hatte nun einen gefährlichen Unterton angenommen. Jeglicher Anflug von Ironie war daraus verschwunden.

„Ihr müsst sofort gehen!“ Ihre Tonlage wurde schrill, beinahe hysterisch, und er spürte, wie die Klinge über seine Haut kratzte.

Er musste die Farce beenden.

Seine Bewegung kam so plötzlich, dass ihr keine Zeit blieb, da­rauf zu reagieren. In einem Wimpernschlag hatte er sich umgedreht und ihr das Schwert entrissen, sodass es scheppernd zu Boden fiel. Dann drückte er ihr kraftvoll einen Fuß in die Kniekehlen, bis ihre Beine nachgaben. Erst taumelte sie rückwärts, fiel dann jedoch direkt in seine ausgebreiteten Arme.

Er hatte dieses Manöver noch nie zuvor angewendet, normalerweise sorgte er dafür, dass seine Gegner unter ihm lagen, wenn er sie entwaffnete. Doch bisher waren seine Gegner auch keine Frauen gewesen … und sie waren auch nicht so leicht und zart gewesen wie diese Frau, die nun in seinen Armen lag. Ihr honigbraunes Haar floss in langen Wellen über seine Arme und reichte fast bis zum Boden.

Für einen Schreckensmoment befürchtete er, sie fallenzulassen, überrascht von ihrem Anblick. Sie war eine Schönheit. Ihr zartes, leicht sonnengebräuntes Gesicht verriet, dass sie höchstens Anfang zwanzig war. Ihre vollen Lippen glänzten zartrosa. Es waren jedoch ihre Augen, die ihn augenblicklich in ihren Bann zogen. Er hatte noch nie etwas derartig Schönes gesehen, sie waren groß und strahlend, und er hatte das Gefühl, augenblicklich in ihnen zu versinken, als er versuchte, ihre Farbe auszumachen. Sie schimmerten kupfern und golden, umrahmt von langen, dunklen Wimpern, und sie leuchteten wie kostbare Edelsteine.

Schnell schüttelte er den Kopf, um sich von ihrem Zauber zu lösen. Er hatte nicht gewusst, wer oder was ihn hier erwartete, doch während der Reise waren seine Gedanken nicht sehr wohlwollend gewesen.

In diesem Moment wich ihr erschrockener Gesichtsausdruck dem von eiskalter Wut, und er erstarrte.

Sie zog das Messer so überraschend aus ihrem Ärmel hervor, dass er beinahe nicht mehr reagieren konnte. Doch als Krieger war er es gewohnt, blitzschnell zu reagieren. Ohne nachzudenken, packte er ihr Handgelenk und drehte es kraftvoll um, sodass die Klinge um Haaresbreite an seiner Brust vorbeiging.

„Normannisches Schwein!“, schrie sie wütend auf. In diesem Moment hörte er Stimmen und Schritte, die sich ihnen von draußen näherten. Er rief seinen Männern zu, dass sie stehenbleiben sollten. Im selben Augenblick stieß sie einen weiteren Schrei aus und warf sich der Länge nach gegen ihn, sodass sie beide auf die Binsen fielen, die die Steinfliesen bedeckten.

Svend prallte schwer auf den Boden, versuchte aber dennoch, sowohl ihren Sturz abzufedern als auch zu verhindern, dass sie sich mit der Klinge selbst verletzte. Noch immer zielte sie voller Wut auf seine Brust, und erneut stieg ihm ihr Duft in die Nase – wie eine Frühlingswiese. Am liebsten hätte er sein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Schnell schleuderte er den Dolch von sich weg und zog ihre Arme mit aller Kraft über ihren Kopf. Seine Finger schlossen sich um ihre Handgelenke wie eiserne Fesseln.

Noch immer sträubte sie sich mit aller Kraft, bäumte sich auf wie ein wildes Tier und versuchte vergeblich, ihn mit ihren Fäusten zu treffen. Ihr Verhalten überraschte ihn zutiefst. Sie war mindestens so schön, wie sie wild war, und sie verfügte über ein feuriges Temperament, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte.

Er rollte sich auf sie und drückte ihre Beine mit seinen Knien gegen den Boden. Dabei achtete er darauf, sich mit seinem ganzen Gewicht auf seine Ellenbogen zu stützen. Die Frauen, die für gewöhnlich unter ihm lagen, waren nicht so zart und zierlich wie diese hier, und er hatte Angst, sie zu zerdrücken.

Er entschied sich zu warten, bis ihre Wut nachließ. Obwohl sie unter ihm gefangen war, warf sie sich wie wild umher und versuchte sich zu befreien. Ihre kleinen Brüste drückten sich gegen seinen Brustkorb, und er spürte ein Ziehen in seinem Lenden, das er jedoch schnell ignorierte. Dies war wirklich nicht der passende Moment für derartige Gedanken! Ihr wiederholtes Aufbäumen brachte ihn jedoch auf allerlei Ideen, was er jetzt lieber mit ihr tun würde.

„Ich werde Euch nicht verletzen!“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als er seine Aufmerksamkeit gewaltsam von dem Gefühl losgerissen hatte, wie sie sich gegen ihn drückte und sich an ihm rieb. Er hatte noch nie die Wehrlosigkeit einer Frau ausgenutzt, und er würde auch jetzt nicht damit anfangen. Wenn sie doch nur endlich aufhören würde, sich so aufzubäumen …

„Abschaum! Sohn einer normannischen Hure!“

Wieder warf sie sich gegen ihn und begann, wüste angelsächsische Beleidigungen auszustoßen – zumindest vermutete er das. Ihr seidiges goldbraunes Haar streifte seine Wange. Sein Blick fiel auf ihre Lippen. Sie waren voll und weich und … betörend. Und ihre Augen …

Wenn Blicke töten könnten, dann wäre er heute schon hundertmal gestorben. Die nackte Wut loderte in ihren Augen, und er konnte es ihr nicht einmal verdenken. Er war ein Normanne, und sie hatte ihren Gemahl in der Schlacht von Hastings verloren, die Schlacht, die der Beginn der Eroberung gewesen war. Er hatte denselben hasserfüllten Gesichtsausdruck schon bei vielen ihrer Landsleute gesehen, doch es war etwas anderes, wenn man der Person derart nahe war, die einen so ansah. Er wünschte sich, ein anderes Gefühl als Hass in ihrem Blick zu entdecken … ein ganz anderes Gefühl.

Verdammt! Er hatte schon zu lange keine Frau mehr gehabt. Deswegen fühlte er sich so stark zu dieser Wildkatze hingezogen.

Es kostete ihn gehörige Anstrengung, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Warum widersetzte sie sich noch immer so sehr? Er musste zugeben, dass er sie dafür bewunderte. In all den Jahren hatte er es selten erlebt, dass sich jemand derart lange weigerte, sich zu ergeben, und ihre zornglühenden Augen sagten ihm, dass sie auch nicht vorhatte, es zu tun. Sie würde bis zum bitteren Ende kämpfen.

Dabei wollte er gar nicht gegen sie kämpfen. Sie war nur eines von vielen Opfern der Eroberung. Eine Frau, deren gesamtes Leben von den normannischen Invasoren zerstört worden war. Und jetzt fügte er ihr noch weiteres Leid zu. Dabei wollte er das gar nicht.

Leiser Widerstand regte sich in ihm. Er hatte in seinem Leben schon genug Ungerechtigkeit gesehen. Ja, er war Soldat, aber er war auch ein Mensch. Und dieser Mensch wusste, dass das, was er hier tat, falsch war. Er wollte nicht derjenige sein, der ihren Willen brach.

Im nächsten Moment ließ er sie los, und sie bäumte sich sofort mit voller Wucht auf und drückte ihn nieder, bis sie rittlings auf ihm saß und mit ihren Waden seine Oberschenkel umklammerte. Ihre ganze Körperhaltung war auf Angriff ausgerichtet. Triumphierend schrie sie auf, griff nach dem Messer und holte weit damit aus, zielte auf sein Herz.

Doch dann erstarrte sie plötzlich und sah ihn voller Entsetzen an. Das Messer hielt sie bewegungslos in der Luft.

In diesem Augenblick ging der Vorhang auf, und Renard stand im Türrahmen. Als er sah, was vor sich ging, riss er entsetzt den Mund auf.

„Sir? Sollen wir jetzt reinkommen?“

Svend ließ die Frau, die noch immer mit hasserfüllter Miene auf ihm saß, nicht aus den Augen. Er hob die Hand, um ihr das Messer abzunehmen, doch er wusste, dass es nicht mehr nötig war. Sie atmete schwer, ihre Brust hob und senkte sich so schnell, als wäre sie gerannt. Wie betäubt sah sie ihn an, schien ihn gerade zum ersten Mal bewusst wahrzunehmen.

„Renard.“ Er ließ seine Stimme bewusst beiläufig klingen, als ob nichts Außergewöhnliches an der Situation wäre. „Du hattest recht mit deinem Rat, vorsichtig zu sein. Wir haben unser Phantom gefunden. Das ist Lady Cille.“

2. KAPITEL

Wie lange ist sie schon in diesem Zustand?“

Aediva schnaubte vor Wut. Dieser normannische Eindringling wagte es nicht nur, ungefragt die Geburtskammer zu betreten, nein, jetzt stellte er auch noch Fragen. Als ob ihn Cilles Zustand etwas anginge. Er hatte hier drinnen nichts verloren. Kein Mann hatte hier etwas verloren.

„Die Wehen haben heute Morgen eingesetzt“, antwortete Eadgyth. „Sie ist vor Erschöpfung eingeschlafen, aber es wird nicht mehr lange dauern.“

Aediva warf Eadgyth einen besorgten Blick zu, da sie befürchtete, dass die Hebamme Cille beim Namen nannte. Fürs Erste wollte sie nämlich so tun, als ob sie selbst Cille war. Dabei hatte sie jedoch nicht darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn ihre Täuschung aufflog. Aber es half nichts, sie musste das Spiel zumindest so lange aufrechterhalten, bis das Kind geboren war. Cille war nicht in der Verfassung, um sich mit normannischen Eindringlingen auseinanderzusetzen. Geschweige denn mit diesem Krieger mit den eisblauen, aufmerksamen Augen. Sie musste Eadgyth warnen, sonst verriet sie sie womöglich.

In dem Moment wurde ihr klar, dass er Eadgyth verstanden hatte.

„Ihr sprecht Angelsächsisch?“

Er zog seine blonden Augenbrauen hoch. „Ja, genau wie Ihr Französisch.“

„Meinem Vater war es wichtig, dass wir es lernten, und viele andere Angelsachsen taten es ebenfalls. Doch nicht viele Normannen sprechen unsere Sprache.“

„Das stimmt. Ich bin allerdings kein Normanne.“

Sie neigte den Kopf und sah ihn skeptisch an und merkte, dass er sie betrachtete, als hätte er gerade einen Einfall gehabt. Sie musste sich zwingen, seinem Blick nicht auszuweichen. Der fragende Ausdruck in seinen Augen beunruhigte sie. Was suchte er?

Doch dann löste er den Blick von ihrem Gesicht und ließ ihn langsam an ihrem Hals entlangwandern, über ihre Brüste … und weiter hinunter. Immer weiter. Über ihre Taille, ihre Hüften, hinab an ihren Beinen bis zu ihren Füßen und wieder zurück – wie um sich jedes Detail an ihrem Körper ganz genau einzuprägen. Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss, ihr war, als hätte sein Blick eine Feuerspur auf ihrer Haut hinterlassen. Sie fühlte sich entblößt, als hätte er ihr das Kleid vom Leib gerissen, und sie ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Er mochte vielleicht ein Eroberer sein, aber sie war immer noch die Tochter eines Thanes! Wie konnte er es wagen, sie so schamlos zu demütigen!

Nun deutete er mit dem Kopf in Richtung Bett. „Ist das Eure Schwester?“

Sie nickte vorsichtig. Die Frage hatte beiläufig geklungen – zu beiläufig. Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach, und wagte es kaum, zu antworten. Es war offensichtlich, dass sie Schwestern waren. Hatte er einen Verdacht? Wusste er womöglich, wer sie wirklich war? Sie wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass er sie auf die Probe stellte.

„Ihr seht ihr sehr ähnlich.“

„Das habe ich auch schon bemerkt.“ Noch im selben Moment bereute sie die sarkastische Bemerkung und biss sich auf die Lippe. Sie sollte sich lieber bei ihm einschmeicheln, statt ihn zu beleidigen.

Da sah sie etwas in seinen Augen aufblitzen, war es Belustigung? Wie konnten Augen nur so tiefblau sein wie die dieses Mannes? Jedes Mal, wenn sie ihn anblickte, schimmerten sie in einer anderen Nuance, manchmal waren sie ganz hell, dann erstrahlten sie wieder in einem kräftigen Blau. Schon oft hatte man ihr gesagt, dass sie außergewöhnliche Augen hatte. Doch die Augen dieses Mannes schienen beinahe eine hypnotische Wirkung zu haben. Sobald sich ihre Blicke trafen, schaffte sie es nicht, sich wieder von ihnen zu lösen.

Genau wie jetzt. Was bedeutete dieser forschende Ausdruck in seinem Gesicht? Worüber dachte er nach?

Völlig unerwartet wandte er sich zu Eadgyth um. „Hat sich das Kind bewegt? Liegt der Kopf in der richtigen Richtung?“

„Ja, aber die Mutter ist sehr schwach. Lange hält sie nicht mehr durch.“

„Wie kurz sind die Abstände der Wehen?“

„Sehr kurz.“

Aediva sah aufgeregt zwischen den beiden hin und her, auf einmal fühlte sie sich überflüssig. Sie kannte kaum einen Mann, der auch nur eine Ahnung über die Geheimnisse der Geburt hatte, doch dieser Mann schien sich besser damit auszukennen als sie.

„Braucht Ihr noch etwas?“ Sein Ton klang zuvorkommend.

„Etwas zu essen würde nicht schaden.“

Umgehend verließ er die Kammer, und Aediva sah ihm erstaunt nach. Hatte dieser normannische Krieger tatsächlich gerade einen Befehl von einer alten angelsächsischen Hebamme angenommen?

„Er scheint zumindest kein Ungeheuer zu sein“, murmelte Eadgyth.

Aediva schnaubte. „Aber er ist immer noch ein Normanne.“

„Du kannst froh sein, dass du noch lebst.“ Eadgyth musterte sie prüfend. „Was in Gottes Namen ist mit dir passiert, Mädchen?“

Aediva wandte schnell den Kopf ab, da ihr erneut die Röte in die Wangen schoss. Eadgyth hatte recht. Sie hatte Glück, dass man sie nicht schon längst in Ketten gelegt hatte. Was hatte sie sich nur gedacht? Sie hatte die Normannen mit dem Schwert bloß erschrecken wollen. Und was tat sie? Anstatt um Gnade zu flehen oder mit ihnen zu verhandeln, war sie auf ihren Anführer losgegangen und hatte ihm beinahe ein Messer ins Herz gestoßen. Sie hatte all ihre Wut und Angst an ihm ausgelassen, dabei war es vollkommen sinnlos gewesen. Cille hätte sich niemals so verhalten.

Was genau hatte sie damit bezweckt? Gegen einen Trupp normannischer Krieger war sie vollkommen machtlos. Nicht einmal gegen einen einzelnen Mann könnte sie etwas ausrichten. Er hatte sie genauso mühelos abgewehrt wie eine lästige Fliege. Und nun machte er nicht die geringsten Anstalten, sie zu bestrafen. War sie denn so bedeutungslos? Sie konnte nicht sagen, ob sie erleichtert oder verärgert darüber war.

Als sie plötzlich Schritte hörte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.

„Er glaubt, dass ich Cille bin“, flüsterte sie Eadgyth schnell zu und blickte besorgt zur Tür. Da erschien Sir Svend auch schon im Türrahmen. In einer Hand hielt er einen Pelzumhang, in der anderen einen Weinschlauch.

Zum ersten Mal wagte sie es, ihn genauer zu betrachten, jetzt, da seine Aufmerksamkeit nicht mehr ihr galt. Sie verstand selbst nicht, warum sie es nicht schon vorher getan hatte, doch seine blauen Augen ließen alles andere an ihm in den Hintergrund treten.

Noch nie zuvor hatte sie einen Mann wie ihn gesehen. Er sah aus wie ein Wikinger aus einer alten Sage, wie ein gefährlicher Krieger aus dem Winterland auf der anderen Seite des Meeres. Er war noch recht jung, vielleicht Mitte zwanzig, doch er strahlte eine natürliche Autorität aus. Sein Oberkörper war kraftvoll und muskulös, was der einfache Waffenrock aus Leder betonte. Als Rüstung trug er nur ein leichtes Kettenhemd.

Eadgyth hatte recht. Er war kein Ungeheuer, ganz im Gegenteil. Wenn er nicht ihr Feind wäre, dann hätte sie sogar gesagt, er sei gut aussehend. Nein, korrigierte sie sich, gut aussehend traf es nicht ganz. Seine Gesichtszüge waren zu hart, seine Kiefer zu markant, und dennoch war er beinahe unverschämt attraktiv. Und diese Augen … seine Augen waren so durchdringend und von so tiefem Blau … nahezu beunruhigend. Warum nur musste sie immer wieder in diese Augen sehen?

Sie beobachtete, wie er durch den Raum schritt, und erinnerte sich an das Gefühl, als er mit seinem muskulösen Körper auf ihr gelegen hatte. Sie hatte gefühlt, dass er seine Kraft zurückgehalten hatte. Obwohl sie einen Dolch auf sein Herz gerichtet hatte, hatte er ihr nichts getan, er hatte sie nicht einmal angefasst, außer um sie von sich fernzuhalten. Und dann hatte er sie einfach losgelassen. Warum? Natürlich war sie nicht in der Lage, ihn zu überwältigen, und dennoch hatte er zugelassen, dass sie sich den Dolch zurückholte. Hatte er nur mit ihr gespielt? Oder hatte sie tatsächlich eine Lücke in seiner Abwehr gefunden?

„Einer meiner Männer kocht eine Suppe“, brummte er und reichte Eadgyth den Weinschlauch. „Hier, das sollte die Schmerzen lindern, es sind Kräuter darin.“

Er setzte sich ans Kopfende des Lagers, richtete ihre Schwester ein wenig auf und legte ihr den Umhang um die Schultern. Als die Hebamme ihr die Flüssigkeit einflößte, hielt er Cille fest.

Aediva starrte wie gebannt auf die Szene, die sich da vor ihren Augen abspielte. ‚Er ist unser Feind!‘ hätte sie am liebsten geschrien. Ein Normanne, oder zumindest fast! Spielte denn die ganze Welt verrückt? Normannen waren grausame, herzlose Eindringlinge! Sie hatten nicht nur Leofric auf dem Gewissen, sondern auch ihren Vater … und Edmund war ihretwegen verschwunden. Sie hatten das Leben ihrer Familie zerstört! Warum also half er ihnen jetzt, anstatt sie zu bestrafen? Und durfte sie seine Hilfe überhaupt annehmen, wo er doch ihr Feind war?

Cilles flatternde Augenlider gaben ihr die Antwort. Gierig trank sie von dem angebotenen Wein, als hätte sie schon seit Tagen keinen Tropfen mehr zu trinken bekommen. Mit jedem Schluck schien sie kräftiger zu werden.

„Hier.“

Ohne aufzusehen, machte Svend ihr Platz, damit sie übernehmen konnte, und Aediva ging vorsichtig an ihm vorbei und versuchte dabei angestrengt, ihn nicht zu berühren. Dann legte sie Cille den Arm um die schmalen Schultern. Sie war sich seiner Nähe auf unangenehme Weise bewusst, konnte die Hitze, die von seinem Körper ausging, spüren, und sie erinnerte sich daran, dass sie sich vor weniger als einer Stunde in ihrer blinden Wut noch mit aller Kraft gegen ihn geworfen hatte. Sie wusste nicht, was sie schlimmer fand – dass er sie für eine liederliche Frau hielt oder für eine, die bereit war zu töten.

Doch im Grunde konnte es ihr egal sein.

Offenbar hatte er ihr Unbehagen bemerkt, denn er begab sich auf die andere Seite des Lagers und ging auf die Knie, um mit Cille auf Augenhöhe zu sein.

„Mylady, im Namen von King William gebe ich Euch mein Wort, dass weder Euch noch Eurem Kind etwas geschieht.“

Selbst durch den dicken Umhang konnte Aediva fühlen, wie Cilles Anspannung ein wenig nachließ. Voller Erstaunen blickte sie ihn an. Sein ruhiger, ermutigender Tonfall, der so sehr im Gegensatz zu seinem kriegerischen Äußeren stand, hatte auch auf sie selbst eine beruhigende Wirkung. Wie konnte ausgerechnet dieser Mann, ihr Feind, neuen Mut in ihr wecken?

Kurz schaute er zu ihr auf, senkte den Blick aber sofort wieder, als hätte er sie nicht gesehen. Sogleich packte sie die Wut. Zwar half er ihnen jetzt, aber wenn er und seine Soldaten nicht gekommen wären, dann könnte Cille jetzt in Ruhe ihr Kind zur Welt bringen. Ihnen seinen Schutz zu gewähren war das Mindeste, was er tun konnte!

Cille stöhnte laut auf, und Eadgyth befühlte ihren runden Leib. Dann nickte sie zufrieden. „Es kommt.“

Svend wandte sich zum Gehen. Auf der Schwelle blieb er jedoch stehen, seine breiten Schultern füllten den Türrahmen vollkommen aus.

„Falls Ihr etwas braucht, einer meiner Männer steht draußen.“

Dann ging er hinaus, und Aediva starrte ihm sprachlos hinterher. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken wie wild durcheinander. Natürlich war sie erleichtert, dass er endlich fort war, doch seine Anwesenheit war auf unerklärliche Weise beruhigend gewesen, als ob Cille in Sicherheit war, wenn er in der Nähe war. Diese Normannen waren wirklich unmöglich! Erst drängte dieser Kerl sich ihnen auf, und dann verschwand er einfach.

„Hilfst du mir oder nicht?“

Eadgyth’ Stimme unterbrach ihre Gedanken.

„Los! Hol Wasser, Mädchen!“

In Windeseile sprang sie auf. Schuld stieg in ihr auf, weil sie abgelenkt gewesen war und Cille für einen Augenblick vergessen hatte. Doch das war schließlich auch seine Schuld!

Aber es wird nie mehr passieren, schwor sie sich.

Svend du Danemark würde sie nicht noch einmal ablenken. Nie wieder!

Aediva stolperte nach draußen, wo sie sofort die frische Luft tief einatmete. In der Geburtskammer war es so stickig gewesen, dass es guttat, unter freiem Himmel zu sein.

Es dämmerte schon, und ihr fiel auf, dass sie gar nicht wusste, welcher Tag heute war. Sie hatte das Gefühl, dass eine halbe Ewigkeit vergangen war, seit sie das letzte Mal im Freien gewesen war.

Erschöpft lehnte sie sich an die Mauer und sah sich die blinkenden Sterne an. Die Anspannung wich aus ihren Gliedern. Endlich war es vorbei. Cille hatte einen Sohn zur Welt gebracht, ein rotes kleines Bündel mit kräftigen Lungen, wie sein lautes Schreien verriet.

Sie erinnerte sich an Cilles glücklichen Gesichtsausdruck, als sie ihren kleinen Sohn zum ersten Mal nach der langen Qual im Arm gehabt hatte, und musste lächeln. Cilles zierlicher Körper war wesentlich stärker als gedacht. Aediva wusste, dass eine Niederkunft nicht ungefährlich war, doch sie hatte nicht geahnt, wie hart es war.

Tränen stiegen ihr in die Augen. War es für ihre Mutter auch so schlimm gewesen? Hatte sie sehr gelitten?

„Lady Cille?“

Vor Schreck zuckte sie zusammen. Es war ihr unangenehm, in einem Moment der Schwäche gesehen zu werden. Sie verlor selten die Kontrolle über ihre Gefühle, doch der heutige Tag war so aufreibend gewesen, dass sie müde und erschöpft war.

Sie hatte Sir Svend gar nicht kommen hören, doch jetzt stand er dicht neben ihr, kaum eine Armlänge entfernt, und seine hellen Augen funkelten wie Eiskristalle in der Sonne. Offenbar hatte er sich rasiert, die Barstoppeln an seinem Kinn waren verschwunden, sodass seine Wangenknochen nun noch stärker in seinem sonnengebräunten Gesicht hervortraten. Sein hellblondes Haar war feucht und nach hinten gekämmt, als hätte er gerade ein Bad genommen. Sie hatte noch nie einen Mann ohne Bart gesehen. Seine Haut war glatt, und seine Wangen sahen so weich aus, dass sie den Drang verspürte, mit den Fingern darüberzufahren. Doch sie hielt sich zurück und funkelte ihn stattdessen grimmig an.

„Vergebt mir.“ Er machte eine steife Verbeugung. „Ich wollte Euch nicht erschrecken. Gibt es Neuigkeiten?“

„Was interessiert es Euch?“

Aediva warf ihr Haar nach hinten und starrte an ihm vor­bei. Auf keinen Fall wollte sie ihm in die Augen sehen, ehe sie ihre Gefühle nicht wieder unter Kontrolle hatte. Seit er sie in der Kammer so unangemessen lange angeschaut hatte, hatte er es vermieden, in ihre Richtung zu blicken. Doch nun war er wieder da, dieser forschende, durchdringende Blick. Warum starrte er sie ausgerechnet jetzt so an, wenn sie nichts anderes wollte, als allein zu sein? Und wie lange beobachtete er sie schon?

Sie glaubte, ein Seufzen zu hören, doch als sie zu ihm hinübersah, war sein Gesichtsausdruck unergründlich.

„Ihr solltet etwas essen“, sagte er schließlich.

Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, sich zu weigern, doch dann merkte sie, wie ausgehungert sie war. Von einem der verlassenen Häuser stieg Rauch auf, und ein durchdringender Geruch nach Fleischsuppe zog zu ihnen herüber. Sofort krampfte sich ihr Magen schmerzhaft zusammen.

Sir Svend machte ihr Platz, damit sie vorbeigehen konnte, und folgte ihr dann. Schon wieder eine aufmerksame Geste von ihm, dachte sie, wollte es zugleich aber nicht wahrhaben. Jetzt da die Krise überstanden war, merkte sie, wie erschöpft sie war. Und angespannt. Und gereizt. Warum fiel es ihr nur so schwer, sich zu beherrschen?

Sie sah sich um und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Entgegen ihren Erwartungen hatten sich die Normannen nicht im Haus des Thanes einquartiert, sondern in den verlassenen Bauernhäusern im Dorf. Verdammt! Warum verhielten sie sich so rücksichtsvoll? Sie wollte nicht das Gefühl haben, ihnen dankbar sein zu müssen.

Da sie nicht auf den Untergrund achtete, stolperte sie, als sie das Cottage erreichte, und schwankte. Dann verhedderte sich ihr rechter Fuß im Rocksaum, und sie verlor das Gleichgewicht. Doch schon spürte sie eine starke Hand an ihrem Ellenbogen. Sofort riss sie sich los, sie wollte seine Hilfe nicht, und stürzte zu Boden. Noch eine ehrenwerte Tat von ihm und sie würde schreien!

Sir Svend warf ihr einen langen, eisigen Blick zu, den sie voller Trotz erwiderte. Dabei ignorierte sie den Schmerz, der ihr durch Hände und Knie schoss, und machte eine abwehrende Geste, damit er bloß nicht auf die Idee kam, ihr aufzuhelfen.

„Wie Ihr wünscht“, gab er frostig zurück und ging weiter zur Feuerstelle. Dort schöpfte er etwas von der dampfenden Suppe in eine Schale. „Lasst Ihr Euch dazu herab, normannisches Essen zu probieren, oder wollt Ihr lieber den Dreck vom Boden?“

Aediva kam auf die Füße, lief zu ihm und löffelte gierig die Suppe. Damit war auch ihr letztes bisschen Würde dahin. Wohlige Wärme breitete sich in ihr aus, und sie fühlte sich augenblicklich gestärkt. Dennoch brachte sie es nicht über sich, ihm zu danken.

Stattdessen leckte sie sich die letzten Tropfen der schmackhaften Brühe von den Lippen und vermied es, ihn anzusehen. Die Scheite in der Feuerstelle knackten, und die Flammen warfen gespenstische Schatten auf die Wände der Hütte. Rauch drang ihr in die Nase, und sie fühlte ein unangenehmes Gefühl in sich aufsteigen. Sie sah sich um. Bis auf ein paar zerschlagene Tontöpfe und eine Strohmatratze war die Hütte leer. Dabei war es noch heute Morgen das Zuhause von jemandem gewesen.

Sie konnte seine Blicke förmlich spüren. Doch als sie aufsah, wirkte er abwesend und traurig.

„Es ist ein Junge“, sagte sie schließlich. „Eadgyth sagt, er ist groß und kräftig.“

„Das ist ein gutes Zeichen.“

„Das hat sie auch gesagt.“

Sie schwieg, denn sie wollte ihm auf keinen Fall noch mehr erzählen. Doch aus irgendeinem Grund kam es ihr undankbar vor, es nicht zu tun.

„Meine Schwester schläft jetzt.“

Aediva, ermahnte sie sich. Ich sollte Aediva sagen. Doch sie wagte es nicht, ihn so dreist anzulügen … noch nicht. Nicht wenn er so dicht neben ihr stand.

„Das freut mich.“

„Das Baby heißt Leofric nach ih… meinem Gemahl.“