Im Sog der Seidenstraße - Doris Naisbitt - E-Book

Im Sog der Seidenstraße E-Book

Doris Naisbitt

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Beschreibung

China will das weltweite Handelssystem reformieren. Das wichtigste Projekt auf dem Weg dorthin ist B&R - Belt and Road -, die "Neue Seidenstraße". Was ist die geografische Ausdehnung und wie sehen die wirtschaftlichen Grundlagen aus? Welche Ziele verfolgt die chinesische Führung, welche Vorteile bieten sie Europa und wo liegen Gefahren? Die renommierten China-Kenner und Zukunftsforscher John und Doris Naisbitt analysieren die Strategie hinter dieser Initiative, die viel mehr umfasst als die Wiederbelebung einer alten Handelsroute. Es geht darum, den Vormachtsanspruch der westlichen Welt ein neues, integratives Konzept der Globalisierung entgegenzusetzen. Die fundierte, weitreichende Analyse der Autoren fußt auf Verständnis und Wertschätzung der chinesischen Kultur und Denkweise und stellt eine wichtige Gegenposition dar zur weit verbreiteten Skepsis des Westens.

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Seitenzahl: 206

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Alle Rechte vorbehalten

© für die deutschsprachige Ausgabe und das eBook: 2019 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart

Übersetzung: C. A. T. Translations Christoph Arndt, Wildberg

Lektorat: Martin Bruny, Wien, und Jörn Pinnow, Minden

Karte: MERICS gGmbH, Berlin; www.merics.org

Umschlaggestaltung: Studio LZ, Stuttgart

eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Kirchheim-Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8347-4

Inhalt

Yi Dai Yi Lu – Chinas Belt & Road Initiative

Chinas Weg ins 21. Jahrhundert

Nach dem Muster Chinas

Chinas Vision

Chinas »Belt and Road Initiative« im chinesischen Kontext

Ein Blick zurück

Harmonie im chinesischen Verständnis

Das Bild des eigenen Landes

Globalisierung neu erfinden zum Wohle aller?

Einladung zur Übernahme?

»Guanxi« auf globaler Ebene

Follow the Dragon

Vom Kopieren zum Kooperieren

Kein Geld – Keine Musik

Annäherung an die »Belt and Road Initiative«

Die Neue Seidenstraße, eine Win-win-Strategie als Grundlage?

Lokal denken, global handeln

Mut zu Trial and Error

Die Qualität der Exporte verbessern

Fortschritt auf noch höheren Ebenen

Die »Belt and Road Initiative« im globalen Kontext

Der politische Aspekt der »Belt and Road Initiative«

Die ökonomische Reichweite der »Belt and Road Initiative«

Am Scheideweg/Wettlauf um die Märkte

Das neue Bild Chinas

China sieht sich in seiner Politik bestätigt

Erhalt des dynamischen Wachstums

Krieg mit China als Ausweg?

Wolken am Wirtschaftshorizont

Vernetzte Infrastruktur sichert Marktzugänge

Strategische Verlagerung des Wachstums

Chinas Risikoüberlegungen zur »Belt and Road Initiative«

Denkhorizonte des Reichs der Mitte

Regionale und internationale Zusammenarbeit statt Konfrontation

Wofür steht die »Belt and Road Initiative«?

Die historischen Wurzeln der »Belt and Road Initiative«

Die »Belt and Road Initiative«: Sechs Asien, Europa und Afrika umspannende Wirtschaftskorridore

Chinas Rolle als Seemacht

Weltmacht ja, Kolonialmacht nein

Die Hauptdrehscheiben der »Belt and Road Initiative«

Welche Kontinente sind an der »Belt and Road Initiative« beteiligt?

Afrika

Südamerika

Mittelamerika/Karibik

Mittlerer Osten

Zentralasien

Europa

Ozeanien und Südpazifik

Die Sektorstrategien der »Belt and Road Initiative«

Die Energiestrategie

Die Energiepipelines der »Belt and Road Initiative«

Kraftwerksprojekte der »Belt and Road Initiative«

Handel unter dem Grünen Zertifikat

Der grüne Energieverbund der »Belt and Road Initiative«

Die Telekommunikationsstrategie der »Belt and Road Initiative«

Die Agrarstrategie der »Belt and Road Initiative«

Effizientes Arbeiten entlang der Seidenstraße

Wie die »Belt and Road Initiative« Geschäftsreisende unterstützt

Neue Ziele für Chinas boomende Tourismusindustrie

Zügige Eröffnung neuer Flugrouten

Chinas »Belt and Road Initiative«-Strategien für seinen Binnenmarkt

Diversifizierung der chinesischen Wirtschaft und Steigerung der Auslandsinvestitionen

Bereitstellung von Geldmitteln

Koordination von Investitionen nach Regionen

Gegenseitiges Verständnis als Basis

»Guanxi« auf eine globale Ebene bringen

Das Überspringen von Entwicklungen in Infrastruktur und Technologie

Wird der Yuan zu einer Leitwährung?

Die Internationalisierung des Yuan

Die Internationalisierung des Yuan als Teil der Exportstrategie der »Belt and Road Initiative«

Die Entwicklung einer alternativen Finanzarchitektur

Alte Muster ablegen

Künftige Risiken bei der Internationalisierung des Yuan

Wie der Yuan auf Reisen gehen wird

Swap-Abkommen in Ländern der »Belt and Road Initiative« und darüber hinaus

Der lange Marsch zur globalen Reservewährung

Drei finanzpolitische Fehler, die China nicht begehen wird

Kann der Yuan wirklich zur Leitwährung der »Belt and Road Initiative« werden?

Umweltpolitik im Zeichen der »Belt and Road Initiative«

Wachstum nicht mehr um jeden Preis

Chinas innenpolitische Herausforderung

Gefahr der Landverödung

Ökonomische Unterentwicklung und ökologische Zerbrechlichkeit gehen oft Hand in Hand

Die Chance auf eine Pionierrolle beim Umweltschutz

»Ökologische Zivilisation«: Chinas Version einer nachhaltigen Entwicklung

Chinas neuer Plan im Detail

Grüne Finanzen für eine grüne Seidenstraße

Die grüne Finanz- und Kreditpolitik der »Belt and Road Initiative«

Grüne Projekte erfordern hohe Investitionen mit niedriger Anfangstilgung

China: Game Changer für grüne Anleihen?

Das Konzept des Bruttoinlandsprodukts wird neu gedacht

Überprüfung natürlicher Ressourcen als neue Bewertung der Leistungen örtlicher Funktionäre

Die Entwicklung neuer Maßstäbe

Ein systemischer Wandel im Finanzierungsschema

Chinas Ansatz übernehmen

Die »Belt and Road Initiative« und grüne Grenzen bei der Entwicklung

»Belt and Road Initiative«, ökologische Werte und Bildung

Die »Belt and Road Initiative« und die »Ökologische Zivilisation« ins rechte Licht gerückt

Die vielleicht größte Plattform der Welt für Zusammenarbeit

Die Neuerfindung der Globalisierung

Von »ausschließender« zu »integrativer« Globalisierung

Greifbare Resultate durch die »Belt and Road Initiative«

Ein Auszug der Erfolge der »Belt and Road Initiative«

Die Welt im Umbruch

Chinas methodisches Vorgehen

Die »Belt and Road Initiative« als geopolitische Strategie und dazugehörige Sicherheitsbedenken

Chronik der Seidenstraße

Karte

Yi Dai Yi Lu一 带 一 路One Belt, One Road (OBOR)Chinas Belt & Road Initiative (BRI)

China stellte sein Projekt erstmals im Jahr 2013 in Kasachstan als »Economic Belt along the Silk Road« vor und ergänzte es kurz darauf in Indonesien um die »21st Century Maritime Silk Road«. Der erste gebräuchliche Name war »One Belt, One Road«:

OneYI Belt DAI – ein (Land-)Gürtel: steht für die Landkorridore der Seidenstraße.

One YI Road LU – eine Straße: steht für die maritime Seidenstraße.

Auf One Belt, One Road (OBOR) folgte die heute meist verwendete Bezeichnung Belt and Road Initiative (BRI).

China legt Wert darauf, dass es sich um keine Strategie handelt, sondern um eine Initiative zu wirtschaftlicher Kooperation und kulturellem Austausch. Kooperationen im Rahmen der BRI umfassen im Wesentlichen:

•die Entwicklung der Infrastruktur

•Investitionen und den Ausbau des Handels

•den Ausbau des Transportwesens

•Energieversorgung und natürliche Ressourcen

•Finanzsicherheit

Chinas Weg ins 21. Jahrhundert

Wer China kennen und verstehen will, muss es bereisen. In den vergangenen Jahrzehnten verbrachten wir einen Großteil unserer Zeit in China. Je mehr Provinzen, Städte und Dörfer wir besuchten, desto klarer wurde uns, wie schnell sich China verändert, wie viel wir immer noch lernen können. Im Jahr 2006, mit der Gründung unseres Naisbitt-China-Instituts und einem Büro in der Tianjin-Universität für Finanzen und Wirtschaft, verstärkten wir unsere Zusammenarbeit mit Studenten, Professoren und Journalisten. In der Folge arbeiteten wir auch mit Teams in anderen Städten, die uns jeweils vor Ort unterstützten.

Bei unseren oft monatelangen Aufenthalten in fortschrittlichen, aber auch in noch unterentwickelten Regionen des Landes hatten wir das Privileg, mit lokalen Politikern, örtlichen Geschäftsleuten, Studenten und Menschen aus allen Schichten unzählige Gespräche führen zu können. Das gab uns einerseits die Gelegenheit, zu sehen, wie weit sich die Sicht der Politiker mit jener der betroffenen Menschen deckte, andererseits wurde uns bewusst, dass China nicht gleich China ist. Ganz wie dies in Europa der Fall ist, wo Schweden nicht wie Italien, Deutschland nicht wie Griechenland und Ungarn nicht wie Portugal ist.

Es half unserem Verständnis von China sehr, dass wir von 2008 an im Rahmen eines Buchprojektes eine Studie der sozial-ökonomischen Entwicklung und Reform in der Provinz Sichuan durchführten. Viel Zeit verbrachten wir dabei in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz.

Chengdus Geschichte reicht bis in das 4. Jahrhundert vor Christus zurück, mehr als 2000 Jahre war Chengdu eines der kulturellen Zentren des Landes. Heute ist es eine der wirtschaftlich wichtigsten, aber auch lebenswertesten Städte Chinas – und, wie von offizieller Seite immer wieder betont wird, eine Gartenstadt. Eine sehr große, denn der engere Stadtkreis Chengdus hat an die fünf Millionen Einwohner, im gesamten Umland sind es knapp über 15 Millionen. Außerdem ist Chengdu, wovon damals noch nicht gesprochen wurde, ein wichtiger Knotenpunkt der BRI.

In Europa ist Chengdu für seine Pandazucht und sein Panda-Forschungszentrum bekannt. Viel weniger bekannt ist, dass rund 50 Prozent aller Apple-iPads, mehr als 20 Prozent aller weltweit verkauften Computer und mehr als die Hälfte der Weltproduktion an Halbleiterchips aus Chengdu stammen. Cheng Gang Bian, Intels Vizepräsident und General Manager in Chengdu, mit dem wir uns bei unseren Besuchen viele Male über die unterschiedlichen Unternehmenskulturen in China und im Westen unterhalten haben, wird in diesem Jahrzehnt mehr als 1,6 Milliarden Dollar in die Aufrüstung seiner Fabriken investieren. Doch Intel ist nur eines der heute 278 in Chengdu niedergelassenen Fortune 500-Unternehmen. Und nicht nur Konzerne wie Siemens, auch deutsche Mittelständler, wie zum Beispiel der Industriegas-Hersteller Messer, haben das Potenzial Chengdus früh erkannt.

Für uns war Chengdu aber aus einem anderen Grund interessant. Im Kontext von Chinas Go-West-Strategie war das erklärte Ziel der lokalen Regierung, den Sprung von der Agrarwirtschaft und Armut direkt in das Informationszeitalter und zu Wohlstand für alle zu schaffen. Man war fest entschlossen, auch den bis dahin nur landwirtschaftlich genutzten Großraum Chengdus wirtschaftlich zu erschließen. Wir wollten sehen, mit welchen Maßnahmen man dieses Ziel erreichen würde.

Im Zentrum der Stadt waren es Industriecluster, die effizient Zulieferer und Endproduzenten verbanden und Aufschwung brachten. Hightechparks und Inkubationsnetzwerke förderten Hightech-Start-ups und Nachwuchstalente. Anders war die Situation im ländlichen Bereich. Hier wurde mit anderen Mitteln modernisiert, denn der alte Weg, die Migration der Bauern als Arbeiter in die Fabriken der bereits industrialisierten Küstenregionen des Landes, führte einerseits zur Trennung von Familien, Kindern und Eltern, und andererseits sank der Bedarf an Arbeitskräften mit der Steigerung der Produktivität und zunehmender Automatisierung. Die lokale Regierung setzte daher auf eine Reform der Eigentumsrechte und eine Steigerung der Produktivität und Qualität auch in der Landwirtschaft. So legten die Bauern in einem Gebiet unter der Führung einer jungen Parteisekretärin ihre meist kleinen, verstreuten Parzellen zusammen, um gemeinsam zu einem »Biodorf« zu werden, denn das Bewusstsein in Bezug auf und der Bedarf an biologisch produzierten Lebensmitteln stiegen rasch. In einem anderen Stadtteil Chengdus wurden zusammengelegte Parzellen zu einer riesigen Kiwiplantage, die es den Bauern unter der Führung von Fachleuten ermöglichte, die Produktivität und Effizienz zu steigern und qualitativ hochwertige Produkte zu liefern. Eine andere Gruppe von Bauern verkaufte an einen jungen, mutigen Unternehmer, der »Happy Farmlands«, ein Restaurant für 1000 Gäste, eröffnete und gleichzeitig damit neue Jobs für die ehemaligen Bauern schuf. Damit sie ihren neuen Aufgaben auch gewachsen waren, gab es Schulungen und laufende Fortbildung.

Um diese Veränderungen möglich zu machen, waren umfangreiche Investitionen nötig gewesen. Bei vorangegangenen Besuchen waren wir oft auf leeren, sechsspurigen Straßen zu verstreuten Gehöften und Dörfern gefahren. Eine Infrastruktur ins scheinbare Nichts. Doch das Bild wandelte sich schnell. Mit dem Straßennetz schuf man die Voraussetzung für Unternehmen, sich anzusiedeln. Im Sog der Investitionen in die Infrastruktur folgten Investitionen in diverse Produktionsstätten, die neue Arbeitsplätze schufen. Mit den Arbeitsplätzen kam der Bedarf an Wohnungen für die Beschäftigten, Geschäfte und Restaurants folgten, ebenso Grundschulen und dann auch Gymnasien.

Wir erinnern uns an eine Schule, die gerade erst eröffnet worden war. Einige der Schüler interviewten uns für ihre Schülerzeitung, in ziemlich gutem Englisch. Um den Bildungsstandard möglichst hochzuhalten, wurden die Schüler in verschiedenen Gegenständen – wir waren bei einer Chemiestunde dabei – mittels Videoschaltung aus Schulen, die einen hohen Standard hatten, unterrichtet. Als wir uns auf dem Schulhof mit einigen Schülern unterhielten, erzählten sie uns, dass sie selbst kaum glauben konnten, wie groß der Unterschied zwischen ihrem Leben und dem einiger ihrer Großeltern doch sei. Ein Mädchen brachte es auf den Punkt: »Jedes Mal, wenn ich sie besuche, denke ich, ich wechsle von einem Jahrhundert ins andere.«

Wir haben Dörfer, die sich rund um Firmenniederlassungen bildeten, besucht, nicht nur in Chengdu und in der Provinz Sichuan. Selbst in Tibet, wo die Idee eines Bauern, wilde Walnüsse zu sammeln und daraus ein hochwertiges und hochpreisiges Öl zu pressen, neue Arbeitsplätze schuf, gab es den Willen und die Ideen, regionale Möglichkeiten geschäftlich zu nutzen. Tibet hat, wie China, viele Gesichter und Geschichten.

Auch in den Bergen rund um Peking war das Muster der wirtschaftlichen Belebung das gleiche. Mit einem guten Freund, Wang Wei, CEO von China Merger and Acquisition Association, und Vorsitzender der Asia Merger and Acquisition Association, besuchten wir 2010 Zhu Xinli, den Gründer und Besitzer der China Huiyuan Juice Group, des größten privaten Getränkeherstellers des Landes. Die Firma hatte im hügeligen Umfeld Pekings Obstplantagen im größeren Stil gepflanzt und inmitten der Obstfelder ein Forschungs- und Besucherzentrum gebaut. Auch dort kamen im Sog der Investitionen zuerst die Wohnhäuser der Mitarbeiter, dann folgten Geschäfte und Restaurants.

Vor allem im ländlichen Raum ist das Miteinander ein wichtiges Element der Gemeinschaft. Tai-Chi im Park, essen und diskutieren, vieles davon findet im öffentlichen Raum statt. Auf einer kurzen Rundfahrt durch das abendliche Dorf sahen wir Frauen und Männer vor ihren Häusern sitzen oder in Teehäusern. Sie stellten Stühle und Tische auf Grünflächen und spielten Mahjong, ein altes und ziemlich komplexes chinesisches Spiel. Es schien, als würde es das Dorf schon lange geben.

Der soziale Zusammenhalt, der durch die Migration der jungen Leute aus Zentralchina und dem Hinterland in die Industriezentren Chinas empfindlich gestört worden war, wurde durch die wirtschaftliche Belebung vor Ort gefördert und ermöglicht.

Bei allem Fortschritt waren und sind natürlich nicht alle Projekte und Firmengründungen erfolgreich. Es handelt sich nicht bei allen um Investitionen im großen Stil, viele Klein- und Kleinstunternehmen entspringen dem Unternehmergeist, der in vielen Chinesen latent schlummert. Doch bei allen Fehlern und Fehlschlägen war eines klar: Im Sog neuer Niederlassungen wurden Dörfer, Städte und Regionen wirtschaftlich belebt und der Lebensstandard der Bewohner angehoben. Es ist, wie es ein Parteisekretär formulierte: »Wir bauen die Straßen, die Flughäfen, die Hochgeschwindigkeitszüge und die technische Infrastruktur, und dann kommen die Firmen.«

Nach dem Muster Chinas

Es gibt viele Gründe, das Gelingen der BRI infrage zu stellen. Doch wer sich mit der Entwicklung Chinas in den letzten 40 Jahren auseinandersetzt, wird Fortschritt sehen, den man noch Jahre zuvor für unmöglich gehalten hat. Auch wir haben einige Vorhaben bezweifelt. Im Detail wirkte mancher Plan chaotisch und unkoordiniert, doch im Großen betrachtet baut kaum ein Land Flughäfen, Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen schneller und effizienter als China.

Chinas Selbstbewusstsein, seine Überzeugung, Globalisierung neu definieren zu können, entspringt seiner eigenen Geschichte. Es ist kein leeres Versprechen, das China mit seiner BRI abgibt, sondern es ist auf dem eigenen wirtschaftlichen Erfolgsmodell gebaut. Mit Deng Xiaopings Aufruf zu einer Reform und Öffnung Chinas wurden Veränderungen möglich, die einen immer stärkeren wirtschaftlichen Sog erzeugten, der langsam auch das Hinterland Chinas erreichte.

Die Voraussetzungen entlang der Seidenstraße sind nicht direkt mit innerchinesischen Verhältnissen vergleichbar. Kultur, Geschichte und Weltbilder entlang der verschiedenen Routen der Seidenstraße stimmen selten überein, sind oftmals gegensätzlich. Chinas BRI möchte wirtschaftliche Voraussetzungen schaffen, die es Menschen ermöglicht, aufeinander zuzugehen. Die Vision Chinas ist es, Globalisierung so zu gestalten, dass nicht nur die Konzerne, sondern auch die Menschen davon profitieren. Das ist, wie wir uns überzeugen konnten, in Chengdu, als einem Beispiel von vielen, gelungen. Und auch wenn China mit seiner BRI durchaus eigene Interessen national und international bedient, werden im Sog der Seidenstraße staatliche und private Investitionen Staaten und Märkte beleben. Sie haben das Potenzial, jenen Ländern und Regionen den Weg ins 21. Jahrhundert zu ebnen, die bisher abseits internationaler Interessen und Handelswege gelegen waren und Menschen wenig Hoffnung auf ein besseres Leben geben konnten. Ein höherer Lebensstandard und besserer Zugang zu Bildung sind die Basis einer kulturellen Öffnung, die mehr Toleranz für unterschiedliche Denkweisen erlaubt und damit radikale Strömungen bremst.

Chinas Vision

Im Laufe der letzten 20 Jahre hat China seine Position in jenen Ländern und Regionen, die heute unter dem Begriff »Belt and Road« zusammengefasst sind, langsam und beständig ausgebaut. Dabei haben die Routen der BRI die Dimensionen der antiken Seidenstraße weit hinter sich gelassen. »China bildet ein sehr auf das 21. Jahrhundert zugeschnittenes Imperium – eines, in dem Handel und Fremdkapital den Weg bereiten und nicht Flotten und Bodentruppen«, schrieb Bloomberg in einem Artikel im August 2018.

In diesem Vorhaben unterscheiden sich die Möglichkeiten Chinas sehr von den Wegen, die westliche Nationen beschreiten könnten. Präsident Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas bauen auf langfristige Planung und die Festlegung eines Rahmens, in dem sich Unternehmen zwar frei bewegen können, dessen Grenzen und Richtlinien aber bindend sind.

Die Vorreiterrolle bei Chinas Investitionen in die BRI wird von chinesischen Staatsunternehmen übernommen, deren Kapital, wenn auch im Ausland eingesetzt, chinesisches Vermögen bleibt. Chinas Privatwirtschaft wird den Schwerpunkt von Ankäufen im Ausland auf Inlandsprojekte lenken und Auslandsinvestitionen strategisch und in enger Anbindung an den vorgegebenen Rahmen in den Kontext der Seidenstraße stellen und realisieren.

In seinem Umfang geht das Projekt nicht nur weit über die verschiedenen Routen der alten Seidenstraße hinaus, es liegt ihm, anders als bei den alten Handelswegen, das Gesamtkonzept eines Entwicklungsprogramms in der Größenordnung von mehr als einer Billion US-Dollar zugrunde, und das innerhalb eines Jahrzehnts. Sein Konstrukt ist ein globales Netzwerk von Handelswegen, die über Land und Meer, neue Häfen, neue Zugstrecken und ein neues Straßennetz miteinander verbunden sind. Das erzeugt nicht nur für Chinas Unternehmen eine enorme Sogwirkung.

Chinas BRI wurde 2017 in die Verfassung der Kommunistischen Partei Chinas aufgenommen. Es ist Chinas Projekt des 21. Jahrhunderts und gilt bereits heute als das Vermächtnis von Präsident Xi Jinping. Ein Scheitern des Vorhabens ist im chinesischen Denken nicht vorgesehen und innenpolitisch nicht einmal denkbar.

Chinas »Belt and Road Initiative« im chinesischen Kontext

Ein Blick zurück

Einmal angenommen, die Gründerväter der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (heute EWR) hätten im Jahr 1952 einen 50-Jahres-Plan und einen 70-Jahres-Plan verabschiedet, die dann auch von den Staaten der 1992 gegründeten Europäischen Union (EU) übernommen worden wären. Ziel des 50-Jahres-Plans wäre moderater Wohlstand für alle EU-Mitgliedsstaaten gewesen. Im 70. Jahr, also 2022, sollte das Endziel der EU, die wirtschaftlich dynamischste Region der Welt zu werden, erreicht werden. Um auf Kurs zu bleiben, hätte man mittels Fünf-Jahres-Plänen die jeweiligen Etappenziele festgesetzt und notwendige Korrekturen vorgenommen. Unter diesen Voraussetzungen wäre im Jahr 2018 das angestrebte Ziel so gut wie erreicht worden. Die EU hätte wirtschaftlichen Aufschwung und moderaten Wohlstand in alle seine Mitgliedsländer gebracht. Sie wäre als die dynamischste Region der Welt anerkannt.

Das ist, ziemlich vereinfacht dargestellt, der zeitliche Kontext, in dem China sich selbst sieht und in dem Chinas Führung plant und umsetzt. Natürlich hinkt der stark vereinfachte Vergleich, aber er zeigt Chinas unterschiedlichen zeitlichen Denkhorizont und seine klare Ausrichtung auf ein Ziel. »Tausend Richtungsänderungen vornehmen, aber das Ziel nicht aus den Augen verlieren«, so lautet ein chinesischer Leitspruch.

Das erste 100-Jahr-Ziel, das 1921 mit der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas gesetzt wurde, definierte man folgendermaßen: bescheidener Wohlstand des Landes, der die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt. Entgegen manch westlichen Ansichten hat China mit dem außer Zweifel stehenden Erreichen dieses Zieles für sich selbst bewiesen, dass Wohlstand auch ohne Errichten einer Demokratie nach westlichem Vorbild erzielbar ist. Daraus resultierten das zunehmende Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen, mit welchen China mittlerweile auf der internationalen Bühne agiert. Die wirtschaftlichen Probleme und die Spaltung des Westens sowie der Rückzug Amerikas als Hüter der Stabilität und Wächter westlicher Werte schaffen zudem einen Freiraum, in den China nun seine BRI als neuen, gerechteren Ansatz zur Globalisierung stellt.

Das zweite 100-Jahr-Ziel, das mit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 gesetzt wurde, lautet: »Die sozialistische Sache Chinas wird durch einen finalen Sieg gekrönt werden.« Oder wie von Xinhua, der Nachrichtenagentur der Regierung der Volksrepublik China, etwas moderner ausgedrückt: China wird »ein modernes sozialistisches Land, das wohlhabend, stark, demokratisch sowie kulturell fortgeschritten und harmonisch ist«. (bit.ly/2r8L6LU) Und, so fügen wir hinzu: das eine seinem Selbstverständnis und Selbstbild entsprechende Position in der Weltgemeinschaft einnimmt.

Harmonie im chinesischen Verständnis

In Chinas Gesellschaft steht immer noch das Kollektiv, die Gemeinschaft, über dem Individuum. China sieht Dinge in einem Kontext. Während im Westen das Gleichheitsdenken dominiert, ist es in China jenes der Zusammenhänge. Diese Art zu denken trifft auch auf seine außenpolitischen und geopolitischen Strategien zu, selbst wenn sie offiziell nicht als solche bezeichnet werden.

Die BRI ist im Kontext der sich verändernden, globalen Rolle Chinas zu sehen. Es führt in diesem Zusammenhang zu weit, um detailliert auf das strategische Denken Chinas einzugehen, doch aus der Geschichte des Landes kann man schließen, dass die BRI weder für Hegemonie noch für Kolonialisierung steht. Ein Ausbau des wirtschaftlichen und politischen Einflusses ist allerdings durchaus erwünscht. Dabei wird es unvorhergesehene Ereignisse geben, doch dem Zufall wird China bei seinem Plan, eine neue Weltordnung zu erreichen und Globalisierung neu zu definieren, nichts überlassen.

In diesem Plan wendet es unter anderem Strategien an, die im eigenen Land bereits erfolgreich umgesetzt wurden. Ungeachtet persönlicher Standpunkte zur Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei Chinas zeigen die Fakten, dass China eines der größten Wirtschaftswunder der Weltgeschichte, ganz sicher in dieser Dimension, geschaffen hat. Mit diesem Wissen im Hintergrund vertritt China nun seine wirtschaftlichen und geopolitischen Ziele. In seiner Rede anlässlich des jährlichen Sommertreffens des Weltwirtschaftsforums in Davos stellte Premier Li Keqiang 2018 fest, dass »der chinesische Markt für jeden weitsichtigen Unternehmer zu groß geworden ist, um ihn zu ignorieren«. »China«, so sagte er aber auch, »heißt seinerseits Unternehmen aus aller Welt willkommen, um die Möglichkeiten, die Chinas Wachstum bietet, zu nutzen.«

Das Bild des eigenen Landes

Teilt die Bevölkerung Chinas den »offiziellen« Optimismus? Eine Umfrage von YouGov ergab, dass von 17 Ländern China mit dem größten Optimismus in die Zukunft blickt. Mehr als 40 Prozent der Chinesen denken, dass die Welt besser wird. Damit sind sie viermal so optimistisch wie der weltweite Durchschnitt (zehn Prozent).

Auf die Frage, ob die Zeiten jetzt besser sind, würde so ziemlich jeder Chinese mit Ja antworten. Ein wenig ernüchternd ist der Blick auf die fünf größten EU-Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien). In einer im Oktober 2018 veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung vertraten 67 Prozent der Befragten die Auffassung, dass die Welt früher besser gewesen sei. In Deutschland sehen nur vier Prozent der Bevölkerung eine positive Zukunft für ihr Land. (bit.ly/2FlDM9u)

Selbst wenn man von persönlichen Erfahrungen der Verbesserung des Lebensstandards absieht, bestätigen die Fakten ein positives Bild Chinas. Mit Stand vom September 2018 erwirtschaftete China 30 Prozent des globalen Wirtschaftswachstums. Der chinesische Arbeitsmarkt umfasst 900 Millionen Menschen, in Chinas Städten werden jährlich 13 Millionen neue Jobs gegründet. 170 Millionen Chinesen verfügen über einen Universitätsabschluss oder sind ausgebildete Fachkräfte, jedes Jahr graduieren acht Millionen Studenten an Universitäten, weitere fünf Millionen schließen eine Berufsfachschule ab. Pro Tag werden im Schnitt 18 000 neue Unternehmen gegründet, die Wachstumsrate der Großunternehmen rangiert weiter im zweistelligen Prozentsatz. Im Global Innovation Index hat sich China von 2013 bis 2018 um 18 Plätze verbessert und damit auf Platz 17 vorgearbeitet (Schweiz: Platz 1; Deutschland: Platz 9; Österreich: Platz: 21). Im Global Competitive Index belegt China Platz 28 (Deutschland: Platz 3; Schweiz: Platz 4; Österreich: Platz 22).

Die Superlative, die in vielen wirtschaftlichen Belangen auf China zutreffen, spiegeln sich auch in den Plänen zur BRI, deren Dimension ohne Beispiel ist. Die Einwohnerzahl aller beteiligten Staaten der BRI beläuft sich auf 4,4 Milliarden Menschen. Dies entspricht fast 63 Prozent der Weltbevölkerung und rund 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. (bit.ly/2qO8JJp)

Im Mai 2018 erreichte das Handelsvolumen zwischen China und den an der BRI beteiligten Staaten die Marke von fünf Billionen US-Dollar – 25,7 Prozent von Chinas gesamtem Außenhandelsvolumen. (bit.ly/2Gmbj49) China ist der wichtigste Handelspartner von 25 Staaten der BRI, darunter auch Deutschland mit einem Handelsvolumen von 187 Milliarden Euro. (bit.ly/2Qd4821)

Die an der BRI beteiligten Staaten haben 82 Wirtschafts- und Handelskooperationen mit einem Gesamtvolumen von nahezu 30 Milliarden US-Dollar unterzeichnet und 3995 Unternehmen gegründet, die 244 000 neue Jobs schufen und ein Steueraufkommen von zwei Milliarden US-Dollar haben. Chinas Fokus liegt dabei auf bilateralen Abschlüssen. Ein Handelsabkommen, das alle an der BRI beteiligten Staaten einschließt, scheint derzeit ziemlich unwahrscheinlich.

Globalisierung neu erfinden zum Wohle aller?

Nicht nur die Dimension der BRI ist beispiellos. Die Veränderungen, die mit ihr einhergehen, sind nicht die Folge von multinationalen Entwicklungen, sondern werden von China strategisch geplant und umgesetzt. Dabei bleibt als übergeordnetes Ziel die Neudefinition von Globalisierung und eine neue, seiner wirtschaftlichen und politischen Bedeutung gerecht werdende Rolle auch in Global Governance.

Aus der Sicht Chinas ist die heutige Globalisierung mit Modernisierung unter der Dominanz des Westens gleichzusetzen. Das offiziell gesetzte Ziel Chinas ist es, mit seiner BRI die Welt dezentralisiert zu modernisieren, frei von Kolonialisierung, Imperialismus und dem Streben nach Hegemonie.

Hätte China die Möglichkeit gehabt, den Kontext für eine Renaissance seiner einstigen Weltmachtstellung zu schaffen, hätte es wohl kaum ein besseres Szenario wählen können. Die Globalisierung hat die Welt enger zusammengebracht, aber das hatte seinen Preis. Komplexität und Geschwindigkeit des Wandels haben zugenommen, viele fühlen sich abgehängt – und sind es auch tatsächlich. Während eine große, aufstrebende globale Mittelschicht in China, Brasilien, Indien und Indonesien profitiert hat, fühlen sich die Menschen am unteren Rand der Schwellenländer, aber auch jene der unteren Mittelschicht in den Industrienationen als die Verlierer.

So manche westlichen Politiker wenden sich hin zu einer Anti-Globalisierung und protektionistischen Politik. Dieses Bild bestätigt eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung, die ergab, dass 53 Prozent der befragten Europäer sich politisch eher rechts der Mitte sehen und überzeugt sind, dass Einwanderer Einheimischen Jobs wegnehmen. 78 Prozent gehen so weit zu sagen, dass »Einwanderer sich nicht in die Gesellschaft integrieren möchten«. Dass der Begriff »alte Welt« längst im buchstäblichen Sinn des Wortes als »alt« interpretiert, eine Vergreisung aber nur durch Immigration ausgeglichen werden kann, wird dabei gern übersehen. Anstatt Chancen zu öffnen, schafft populistische Angstmacherei neue Unsicherheit.

Einladung zur Übernahme?

Jenseits des Ozeans erweist sich die nationalistische, protektionistische Einstellung Präsident Trumps offensichtlich als ermutigend für Europas Rechtspopulisten. Die orientierungslose Außenpolitik Amerikas, die lähmende Polarisierung und die Abkehr von internationalen politischen Organisationen kommen für China einer Einladung zur Übernahme der Führungsposition in der globalen Gemeinschaft gleich.