Im Tal der Eukalyptuswälder - Elizabeth Haran - E-Book

Im Tal der Eukalyptuswälder E-Book

Elizabeth Haran

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Beschreibung

Sydney, 1925: Die junge Matilda fühlt sich von jeher als Kuckuckskind in ihrer schillernden High-Society-Familie. Als durch einen Skandal um ihren Vater ihre Verlobung platzt, flieht sie in die Idylle des Hinterlandes von New South Wales. In dieser Abgeschiedenheit schreibt sie unter falschem Namen einen Roman über ihre ungeliebte Familie, der unerwartet zum Bestseller wird. Damit wird ihr Leben erst recht kompliziert, vor allem in Hinblick auf die Liebe ...

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536373839Zwei Monate später

Über das Buch

Sydney, 1925: Die junge Matilda fühlt sich von jeher als Kuckuckskind in ihrer schillernden High-Society-Familie. Als durch einen Skandal um ihren Vater ihre Verlobung platzt, flieht sie in die Idylle des Hinterlandes von New South Wales. In dieser Abgeschiedenheit schreibt sie unter falschem Namen einen Roman über ihre ungeliebte Familie, der unerwartet zum Bestseller wird. Damit wird ihr Leben erst recht kompliziert, vor allem in Hinblick auf die Liebe ...

Über die Autorin

Elizabeth Haran wurde in Simbabwe geboren. Schließlich zog ihre Familie nach England und wanderte von dort nach Australien aus. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in einem Küstenvorort von Adelaide in Südaustralien. Ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte sie mit Anfang dreißig, zuvor arbeitete sie als Model, besaß eine Gärtnerei und betreute lernbehinderte Kinder.

ELIZABETH HARAN

IM TAL DER EUKALYPTUS-WÄLDER

Roman

Übersetzung aus dem australischen Englisch von Ulrike Werner-Richter

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der australischen Originalausgabe:

»In the Valley of Rainbow Mist«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2016 by Elizabeth Haran

Published by arrangement with Elizabeth Haran-Kowalski

Dieses Werk wurde vermittelt durch

die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Melanie Blank-Schröder

Textredaktion: Marion Labonte, Labontext

Umschlaggestaltung: Jeannine Schmelzer

Einband-/Umschlagmotiv: © gettyimages/chrisvankan; © shutterstock/Oleg7799;© shutterstock/Anton Watman

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

 

ISBN 978-3-7325-3947-5

 

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

 

This book is for Gail Menner.

Memories last forever.

You’ll always be in my heart my dearest friend.

Dieses Buch ist für Gail Menner.

Erinnerungen bleiben.

Du lebst für immer in meinem Herzen, liebste Freundin.

1

August 1925Sydney

»So glücklich, wie ich bin, grenzt das sicher schon an eine Sünde«, flüsterte Matilda in Bradleys Ohr. Die beiden schlenderten Hand in Hand von einem Privatstrand in Point Piper über die weiten Wiesen des sechs Morgen umfassenden Besitzes der Villa Montrose.

»Gut möglich«, grinste Bradley.

Matilda blickte in seine Augen und verlor sich sofort wieder darin. Sie waren so freundlich, so ehrlich, und blauer als die kleinen Wellen, die hinter ihnen über den Sandstrand plätscherten. »Ich könnte platzen vor Glück«, fügte sie lachend hinzu. »Eigentlich kann uns doch jetzt nichts und niemand mehr etwas anhaben, oder?«

Bradley drückte ihre Hand, antwortete aber nicht. Langsam schritten sie auf das weiße Herrenhaus im viktorianischen Stil zu. Auf einem der Balkone saß Matildas Mutter, Eileen Mooney, und mit ihrem Anblick kehrte die Realität zu den beiden jungen Leuten zurück, so plötzlich, als hätte man ihnen einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Das Lächeln verschwand aus ihren Gesichtern, und auch wenn beide nicht aussprachen, was sie dachten, war ihnen mit einem Schlag wieder bewusst, wie zerbrechlich ihr Glück war.

Eileen war elegant wie immer. Heute trug sie ein blassblaues Kleid aus Crêpe de Chine. Auf ihrem kurz geschnittenen blonden Haar saß ein Filzturban mit einer Verzierung aus Charmeuse. Matilda betrachtete sie mit Beklemmung, und wie schon so oft zuvor kam ihr der Gedanke, dass sie selbst offenbar in die falsche Familie hineingeboren worden war. Ihr fast schwarzes Haar, ihre dunkelbraunen Augen, ihre milchweiße Haut und auch ihr konservativer Kleidungsstil standen ausgesprochen augenscheinlich im Gegensatz zu ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern. Auch charakterlich unterschied sie sich von ihnen. Während ihre Mutter immer großen Wert darauf legte, im Kreise ihrer elitären Freunde möglichst nichts Falsches zu sagen, trug Matilda ihr Herz auf der Zunge und musste sich bei gesellschaftlichen Anlässen nicht selten zusammenreißen, um nicht versehentlich etwas Verletzendes zu sagen. Am liebsten war es ihr allerdings, diesen Situationen gleich ganz aus dem Weg zu gehen.

Matilda seufzte und ließ ihren Blick von ihrer Mutter über die drei Balkone und das prachtvolle Gebäude gleiten, das Sir Edmund Winter 1891 erbaut hatte. Die Mooneys bewohnten die Villa Montrose seit 1905, doch Matilda erinnerte sich nur allzu gern an ihre Kindheit in einem Reihenhaus in Redfern. Sie hatte das winzige Häuschen geliebt, ihre Mutter jedoch sprach nicht mehr gern über die »kleinbürgerlichen« Jahre der Familie, als ihr Vater Randolph, ein Möbelhändler, noch nicht zu Reichtum gelangt war. Auch Gespräche über die Kriegszeiten waren tabu, in denen das Leben sowohl für die Reichen als auch für die Ärmeren nicht einfach gewesen war.

Denn im Jahre 1914 war die Produktion in Australiens Fabriken auf den Bedarf des Krieges umgestellt worden. Dem fiel auch die Herstellung von Möbeln zum Opfer, was zur Folge hatte, dass Matildas Vater keine Ware mehr für seine Einrichtungsläden erhielt. Die Familie hatte nur die Wahl, sich den Umständen anzupassen, oder das gleiche Schicksal zu erleiden wie so viele ihrer Freunde, die ihre herrlichen Häuser am Meer räumen mussten, weil sie nicht länger dafür aufkommen konnten.

Zu Eileens größter Verlegenheit begann Randolph, mit getragener Kleidung und Haushaltswaren zu handeln, womit er aber immerhin genug verdiente, um Montrose zu halten. Matilda liebte diese zuvor schon von anderen Leuten geliebten Dinge, die eine eigene Geschichte hatten und zumeist ganz und gar nicht protzig waren. Als Matilda mit siebzehn ihren Schulabschluss machte und ein Studium an der Universität begann, half sie – sehr zur Bestürzung ihrer Mutter – in ihrer Freizeit gern ihrem Vater im Laden, die zum Verkauf stehende Ware zu sortieren. Sobald sie ein Kleidungsstück oder eine andere Kleinigkeit mit nach Hause brachte, zuckte ihre Mutter zusammen, die weiterhin der irrigen Meinung war, sich etwas Besseres leisten zu können. Und die dieses Ideal bis zum Kriegsende nicht aufgab, weshalb ihre Kleidung schließlich vollkommen abgetragen und fadenscheinig war – die Genugtuung jedoch, sie als Einzige getragen zu haben, war ihr wichtiger als alles andere.

Als der Krieg vorbei war und die Möbelproduktion in Gang kam, begann die glücklichste Zeit im Leben von Matildas Mutter. Randolph handelte mit neuen Möbeln, das Geschäft florierte, und Eileen konnte endlich wieder nach Herzenslust einkaufen und so tun, als hätte es die mageren Jahre nie gegeben. Sie konnte nicht verstehen, dass Matilda der Zeit nachtrauerte, in der sie ihrem Vater beim Sortieren zuvor schon einmal geliebter Dinge hatte helfen dürfen.

Matilda betrachtete ihre Mutter, die ihnen jetzt fröhlich zuwinkte, und winkte halbherzig zurück. Und wieder einmal setzte ihr Herz einen Schlag aus, als ihr Blick zum wohl tausendsten Mal bewundernd an dem Ring hängen blieb, den Bradley ihr zwei Wochen zuvor an einem romantischen Abend bei Mondschein am Seven Shillings Beach an den Finger gesteckt hatte. Sie wusste, dass ihre Mutter und ihre Schwestern ihn nicht besonders beeindruckend fanden, aber sie liebte seine schnörkellose Form und den bescheidenen Diamanten. Noch immer konnte sie kaum glauben, dass sie verlobt war und bald heiraten würde. Mit achtundzwanzig Jahren hatte ihr das Leben doch noch zugelächelt.

Auch Bradley winkte halbherzig zurück. Sein düsterer Gesichtsausdruck sprach Bände. »Ich verspreche dir, alles zu versuchen, damit die Feier im kleinen Rahmen bleibt«, sagte Matilda. Wie ihr selbst waren auch ihm Protzigkeit und überhaupt jegliche Form von Unaufrichtigkeit und Inhaltslosigkeit zuwider. Eine Auffassung, die sie beide teilten, auch als solide Grundlage ihrer Beziehung.

»Ich finde es wirklich nett, dass deine Eltern die Feier für uns ausrichten wollen, Liebling, aber glaubst du, sie wissen, was ein kleiner Rahmen ist?«, fragte er, wohl wissend, dass Eileen vollkommen in ihrem Element war, wenn sie ein pompöses gesellschaftliches Ereignis organisieren durfte. Sie hatte jetzt den Blick wieder gesenkt und wirkte äußerst konzentriert, vermutlich schrieb sie schon wieder eifrig in ein Notizbuch.

»Ich hoffe es inniglich«, sagte Matilda.

In diesem Moment erreichten sie die Tennisplätze, wo Matildas jüngere Zwillingsschwestern Fiona und Phoebe ein gemischtes Doppel mit zwei jungen Männern spielten, die so in den Anblick der gebräunten Mädchenbeine vertieft waren, dass sie kaum einen Ball über das Netz bekamen. Matilda lauschte dem entzückten Lachen der beiden Mädchen und beobachtete ihre kurz geschnittenen, blonden Locken, die in der leichten Brise hüpften. Sie konnte nicht umhin, ein wenig Mitleid mit den beiden verwirrten Jünglingen zu empfinden.

Schweigend gingen sie in Richtung der Treppen, die zum Haus hinaufführten. Bradley schien tief in Gedanken versunken. Dem Gesichtsausdruck nach kreisten sie vermutlich um seine Eltern.

Herbert Hamilton-Smith war ein angesehener Arzt und eifriger Kirchgänger, der gesellschaftliche Ereignisse weitestgehend mied. Er hielt diese Art von Zerstreuung für Zeitverschwendung, versäumte aber keine Gelegenheit, seine Mitmenschen spüren zu lassen, dass sie seiner Gegenwart nicht würdig waren. Gwendolyn Hamilton-Smith arbeitete unermüdlich für karitative Organisationen, drängte sich dabei aber nie in den Vordergrund, weil es ihr keineswegs um gesellschaftliche Anerkennung ging. Dass die Mooneys die Verlobungsfeier ausrichten wollten, gefiel Bradleys Eltern ganz und gar nicht. Matilda wusste, dass Bradley sich große Sorgen darüber machte, wie seine Eltern eine Party auf Montrose überstehen würden.

Herbert Hamilton-Smith und Randolph Mooney waren sich bisher nur zwei Mal begegnet, doch von Beginn an hatte kein Zweifel daran geherrscht, dass der Arzt den großspurigen Eigentümer mehrerer »Möbelhäuser für den gehobenen Geschmack« nicht ausstehen konnte. Auch Gwendolyn fällte ihr Urteil über Eileen gleich nach dem ersten Blick. Nicht nur, dass ihr die modische Kleidung von Matildas Mutter nicht gefiel, darüber hinaus hatte diese Frau es gewagt, in aller Öffentlichkeit eine Zigarette zu rauchen. Das war ganz gewiss nicht ihre Welt!

»Ich verstehe deine Befürchtungen durchaus, Bradley«, versuchte Matilda ihren Verlobten zu beschwichtigen. »Aber Mum und Dad haben mir versprochen, dass unsere Verlobungsparty diskret und schlicht ablaufen wird.«

Sie selbst hatte ein gemeinsames Essen im Restaurant nur mit Familie und den engsten Freunden vorgeschlagen. Matilda und Bradley wären damit zufrieden gewesen, aber Eileen und Randolph waren in freudiger Erregung einfach darüber hinweggegangen und hatten sie vor vollendete Tatsachen gestellt: Sie würden zu Hause eine Party für wenige, handverlesene Gäste feiern. Doch Matilda war keineswegs naiv. Sie wusste, dass der Plan ihrer Mutter, »nur ein paar wenige Gäste« einzuladen, mindestens zweihundert Personen bedeutete. Ihre einzige Möglichkeit, eine gewisse Kontrolle zu behalten, war es, die Gästeliste eigenhändig aufzustellen. Dabei kam sie, alles in allem, auf achtundsechzig Leute. Mit gerunzelter Stirn hatte ihre Mutter die Liste überflogen und ein paar zusätzliche Namen erwähnt, die unbedingt noch hinzugefügt werden müssten, aber Matilda war hart geblieben.

Natürlich hatte sie schnell erkannt, dass bereits die Planung der Feier ihre Eltern glücklich machte. Schließlich hatten sie schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass ihre älteste Tochter noch einen Ehemann finden würde. Auch Matilda selbst hatte kaum noch daran geglaubt.

Matilda und Bradley hatten sich auf der Universität kennengelernt und waren ein paarmal miteinander ausgegangen. Doch nach seinem ersten Abschluss wechselte Bradley an eine andere Hochschule, und schon bald munkelte man im Kreis der Kommilitonen, er habe sich wieder mit einer früheren Freundin zusammengetan. Matilda war enttäuscht, ließ sich aber nicht unterkriegen. Sie war attraktiv und sich der Blicke des männlichen Geschlechts durchaus bewusst, kümmerte sich aber kaum um ihr Äußeres. Das missfiel ihren Schwestern beständig, aber Matilda war der Meinung, weder viel Make-up noch schicke Kleider zu brauchen, weil jeder potenzielle Verehrer ohnehin nur auf das dicke Bankkonto ihres Vaters spekulierte. Sie hatte sich schon fast damit abgefunden, als alte Jungfer zu enden, als das Schicksal sie und Bradley wieder zusammenführte.

Matilda war zum Mittagessen in der Innenstadt von Sydney, als Bradley ihr in einem altmodischen kleinen Restaurant zufällig über den Weg lief. Er sah noch immer so gut aus wie früher, und Matilda nahm an, dass er längst verheiratet war. Er fragte sie, ob sie ihren lang gehegten Traum wahr gemacht und Journalistin geworden wäre. Nicht ohne Stolz hatte sie die Frage bejaht und ihm erzählt, dass sie bisweilen Artikel für eine Zeitschrift verfasse. Als er aufmerksam nachfragte, war sie beeindruckt davon, dass sein Interesse nicht geheuchelt war. Sie hatte seinen geradlinigen Charakter schon immer gemocht und fragte ihn aus einer Laune heraus, ob er nicht Lust habe, sich auf einen Kaffee und ein Sandwich zu ihr zu setzen. Dieser erste Schritt zog zunächst eine Verabredung zum Dinner und dann eine Liebesgeschichte nach sich. Die jetzt in einer Verlobungsfeier münden sollte.

Als sie nun das Haus erreichten, drückte Matilda zärtlich Bradleys Hand. In diesem Moment hörten sie Eileen oben nach ihrem Mann rufen, mit der freudigen Mitteilung, dass sie ein Feuerwerk bestellt habe.

»Feuerwerk!«, stöhnte Bradley.

Matilda errötete. Was würden seine Eltern wohl dazu sagen? »Ich rede nochmal mit Mum«, sagte sie entschlossen. »Und mache ihr deutlich, dass wir auf keinen Fall ein Feuerwerk wollen.«

»Wenn das doch nur so einfach wäre«, murmelte Bradley verzweifelt.

Am Abend des 1. September traten Matilda und Bradley um acht Uhr auf den Balkon im ersten Stock hinaus. Sofort wurde ihre Aufmerksamkeit nahezu magisch vom fast vollen Mond am Himmel angezogen, dessen Licht das Wasser im Hafen in schimmerndes Gold tauchte.

Ein Blick in den Garten unter ihnen zeigte dem jungen Paar, dass Eileen sich wie erwartet wieder einmal selbst übertroffen und nichts dem Zufall überlassen hatte. Die Anlage war wunderschön hergerichtet. Die Bäume rings um die Terrasse strahlten im Glanz von Lichterketten, und brennende Fackeln beleuchteten die Gartenwege. Einige Gäste saßen bereits an den mit Kerzen geschmückten Tischen. Mehrere Bars boten Wein und Cocktails an. Kellnerinnen bahnten sich mit Tabletts voller Hors d’ouvres und Kanapees einen Weg durch die Menge. Ein langes, mit exotischen Früchten geschmücktes Büffet stand für die warmen Gerichte bereit, die noch in der Küche von den Lieferanten vorbereitet wurden.

»Der Garten sieht wunderschön aus«, sagte Matilda. »Aber Mum hat für die paarundsechzig Gäste wirklich ein bisschen übertrieben.« Sie versuchte, das nervöse Grummeln in ihrem Magen zu ignorieren, das sich mit der stetig steigenden Anzahl an Menschen im Garten steigerte.

»Kennen wir diese Leute?«, fragte Bradley verwirrt. »Kennen wir überhaupt einen Einzigen von ihnen?«

»Ein paar Gesichter erkenne ich, aber ich muss zugeben, dass auch einige mir völlig unbekannte darunter sind.« Im Grunde war Matilda nicht überrascht, dass Eileen ihre beschränkte Gästeliste ignoriert hatte, und sie ärgerte sich darüber.

Bradley schien Matildas Anspannung zu spüren und legte den Arm um ihre Schultern. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass du umwerfend aussiehst?«, flüsterte er.

Matilda war sprachlos. Noch nie hatte Bradley sie als »umwerfend« bezeichnet. »Findest du dieses Kleid wirklich hübsch? Ich hatte ein anderes ausgesucht, aber meine Mutter hat mir dieses hier gekauft und darauf bestanden, dass ich es trage. Es ist eigentlich nicht meine Art von Kleid, aber auch meine Schwestern meinten, ich soll es unbedingt anziehen. Sie kennen sich aus, schließlich gehen sie ständig auf Partys, also habe ich es gemacht.«

»Es ist wirklich hübsch«, meinte Bradley. »Vollkommen anders als das, was du sonst so trägst, aber trotzdem sehr hübsch.«

Matilda betrachtete ihn liebevoll. Zunächst hatte sie sich geweigert, das Kleid auch nur anzuprobieren, aber Fiona und Phoebe hatten ihr keine Wahl gelassen. Als sie sich schließlich in einem großen Spiegel betrachtete, musste sie zugeben, dass ihr das Kleid tatsächlich stand. Es brachte ihre Beine zur Geltung, die länger waren als die ihrer Mutter und ihrer Schwestern. Der Stoff endete gleich unterhalb der Knie und schmeichelte ihrer Figur. An den Füßen trug sie elegante Lackschuhe mit einer glitzernden Schnalle. Außerdem hatte sie ausnahmsweise mehr Make-up und Lippenstift aufgetragen, fühlte sich aber wohl damit. Beinahe hätte sie sich nicht wiedererkannt, aber das, was sie sah, gefiel ihr.

»Wie findest du mein Charleston-Stirnband? Sei bitte ehrlich.« Matilda berührte den Schmuckstein über ihrem rechten Ohr und die drei aufragenden schwarzen Federn. Bereits beim Anziehen hatte sie sich besorgt gefragt, was Bradley von derlei modischen Kaprizen halten würde.

Dieses Mal antwortete Bradley nicht sofort.

»Es gefällt dir nicht«, schloss Matilda betreten. »Ich nehme es sofort ab.«

»Nein, lass es an«, beruhigte Bradley sie. »Ich habe nur gerade nach dem richtigen Wort gesucht. Ich glaube, es lautet: glamourös.« Er zwinkerte ihr zu.

In diesem Moment trat eines der Hausmädchen zu ihnen. »Entschuldigen Sie, Miss Mooney. Ich sollte Ihnen Bescheid geben, wenn die Eltern von Mr Hamilton-Smith ankommen.«

»Vielen Dank, Martha.«

Matildas Aufregung steigerte sich auf dem Weg zur Eingangshalle mit jedem Schritt an Bradleys Arm.

Ihre zukünftigen Schwiegereltern lächelten nicht, nicht einmal zur Begrüßung. Steif und hölzern schritten sie anschließend in den Garten, um die Hausherren zu begrüßen. Matilda wollte die Stimmung ein wenig aufheitern und verkündete fröhlich: »Heute Abend gibt es Harfenmusik«, doch ihre Hoffnung, die Aussicht könnte Bradleys Eltern gefallen, erwies sich als falsch.

»Nett«, sagte Gwendolyn lediglich, mit einem geringschätzigen Blick auf Matildas Kopfschmuck.

Matilda fühlte sich sofort verlegen, doch es kam noch schlimmer, als in diesem Moment die Klänge von Gitarren, Geigen, Trommeln und Trompeten erklangen, während eine Gruppe rot gekleideter Männer mit strahlend weißen Zähnen über die Wiese tänzelte und lauthals zu singen begann.

»Eine Mariachi-Band!«, rief Bradley bestürzt. Er beugte sich zu Matilda hinunter: »Deine Mutter hat tatsächlich eine mexikanische Band kommen lassen!«, flüsterte er. »Ich habe ja mit Überraschungen gerechnet, aber damit nun wirklich nicht!«

Matilda starrte in die entsetzten Gesichter seiner Eltern, während die ersten Gäste in Fiesta-Stimmung kamen und begannen, in die Hände zu klatschen und mit den Füßen zu stampfen. »Mum hat davon geredet, dass es Probleme mit der Buchung der Harfenistin gab, aber ich dachte, das hätte sich erledigt«, murmelte sie.

Plötzlich bemerkte Matilda auf der anderen Seite des Rasens ihren Vater, der einen breitkrempigen Sombrero auf dem Kopf trug. Als ein Kellner mit Champagner erschien, entschuldigte sie sich kurz bei ihren zukünftigen Schwiegereltern und flüsterte Bradley zu: »Ich bin gleich wieder da. Ich muss mit meiner Mutter reden.«

Matilda wusste, dass ihre Mutter nie glücklicher war als bei solchen Anlässen. Eileen ging heiter lachend mit einem Glas Champagner in der einen und einer langen Zigarettenspitze in der anderen Hand zwischen den Besuchergruppen umher.

»Mum!«, zischte Matilda.

»Was denn, Liebes? Die Party ist wirklich gelungen, findest du nicht?«, erkundigte sich Eileen.

»Nein, überhaupt nicht. Du weißt ganz genau, dass ich mir Harfenmusik gewünscht habe. Wo bleibt die Harfenistin?«

»Oh, hatte ich dir nicht gesagt, dass sie nicht kommen kann? Sie hat sich die Hand oder einen Finger verbrannt, irgendwie sowas war da.«

Matilda entging nicht, dass Eileen keineswegs enttäuscht klang.

»Ich habe im letzten Augenblick die Mariachi-Band buchen können, ist sie nicht fantastisch? Deine Gäste haben einen Riesenspaß.«

Matilda stöhnte auf und ließ ihren Blick über die Gästeschar gleiten. Am Rand der großen Wiese bemerkte sie zwei Männer, von denen einer gerade ein Stativ aufbaute. »Jetzt sag mir nicht, dass das dort drüben ein Journalist und ein Fotograf sind?«, rief sie.

»Aber natürlich ist das die Presse! Wir sind schließlich die Mooneys aus Point Piper, Schatz. Selbstverständlich wird deine Verlobungsfeier im Gesellschaftsteil der Sunday Times erscheinen.«

»Ich will weder etwas über meine Verlobung in der Zeitung lesen, noch will ich ein Bild von mir in der Sunday Times sehen!«, fauchte Matilda wütend. »Bradley wird sich gedemütigt fühlen, und was seine Eltern empfinden, wage ich mir nicht einmal vorzustellen. Schick diese Leute bitte fort.«

»Ich verspreche, sie bleiben nicht lange«, entgegnete Eileen unbeeindruckt.

»Mum, bitte. Es ist auch so schon zu viel für Bradleys Eltern. Und zu allem Überfluss trägt Dad auch noch einen riesigen Sombrero.«

»Ach wirklich?« Eileen lachte auf, als sie ihn entdeckte. »Tatsächlich. Wo mag er den nur herhaben?«

»Mum, Dad muss sich doch wenigstens heute Abend einmal benehmen!«, bettelte Matilda verzweifelt.

»Aber natürlich, Kind. Ich werde ein Auge auf ihn haben«, versprach Eileen wenig überzeugend.

Doch Matilda ließ sich nicht abwimmeln. »Das Paar dort drüben am Brunnen kenne ich überhaupt nicht«, warf sie ein. »Wer sind diese Leute? Ich bin sicher, dass sie nicht auf der Gästeliste stehen.«

»Aber Matilda, das sind die Franklins. Du kennst doch Morrie und Judith!«

»Nein, die kenne ich nicht. Und genau aus diesem Grund stehen sie auch nicht auf meiner Gästeliste.«

»Morrie ist der Besitzer des Royal Pines Golf Club. Dein Vater ist dort Mitglied.«

»Aber das hat doch nichts mit mir und Bradley zu tun!« Matilda blickte sich wütend um. »Ich kenne nicht einmal die Hälfte der Leute hier.«

»Dein Vater hat noch ein paar Gäste eingeladen. Als Morrie von deiner Verlobung hörte, hat er deinen Dad dazu beglückwünscht, woraufhin dein Dad sich verpflichtet fühlte, ihn einzuladen. Die Einladung sprach sich herum, die nächsten Glückwünsche trudelten ein und so weiter. Aber darüber brauchst du dir wirklich keine Gedanken zu machen. Genieß deinen Abend.«

»Und was ist mit meinen zukünftigen Schwiegereltern? Ich habe dir doch gesagt, dass sie sich in solchen Gesellschaften nicht wohlfühlen, und Bradley geht es genauso. Wir wollten ein kleines, intimes Fest! Ich dachte, das hättest du verstanden.«

»Nun mach dir nicht dauernd Sorgen, Liebes. Ich bin sicher, deine Schwiegereltern haben auch Spaß, sobald sie ein wenig auftauen.«

»Ich wage zu bezweifeln, dass die Hamilton-Smiths jemals auftauen.«

»Na ja, vielleicht sollten sie das mal. Füll sie mit Champagner ab, vielleicht hilft das.«

Durch die Musik und das Stimmengewirr vernahm Matilda das laute, ungehemmte Lachen ihres Vaters, der bei einer Gruppe von Männern stand, die sich offenbar zweideutige Witze erzählten.

»Mum, ich mache mir wirklich Sorgen, dass Dad wieder zu viel trinkt. Kannst du ihn nicht ein bisschen bremsen? Oder noch besser: ganz aufhalten?«

»Es wird schon nichts passieren. Amüsier dich einfach und überlass alles andere mir.« Mit diesen Worten eilte Eileen davon, um ihren Mann in Richtung der Hamilton-Smiths zu lenken.

»Wie soll ich mich amüsieren, wenn alles aus dem Ruder läuft?«, murmelte Matilda. Als sie aus dem Augenwinkel die Presseleute auf sich zukommen sah, machte sie sich eilig auf den Weg zu Bradley.

Dieser hatte seine Eltern an einem Tisch platziert, der so weit wie möglich von der Mariachi-Band entfernt stand. Die Gesichter der beiden sprachen Bände, sie wirkten wie versteinert. Matilda winkte einer Kellnerin und versorgte die Herrschaften mit einem weiteren Glas Champagner.

»Mein Vater und meine Mutter werden gleich hier sein«, sagte sie nervös. »In der Zwischenzeit möchte ich Ihnen gern meine Schwestern vorstellen. Sie müssen hier irgendwo sein.«

Bradley zeigte in Richtung der Zwillingsschwestern, die inmitten einer Gruppe junger Männer standen, welche samt und sonders um ihre Aufmerksamkeit wetteiferten. Die Mädchen tranken Champagner, für den sie eigentlich noch zu jung waren, kicherten, flirteten und genossen die Zuwendung ihres ergebenen Publikums. Und Matilda zweifelte plötzlich, ob sie die beiden wirklich den Hamilton-Smiths vorstellen sollte.

»Da sind wir«, rief in diesem Moment Eileen von hinten, mit Randolph im Schlepptau. Der trug jetzt keinen Sombrero mehr, war aber bereits deutlich angetrunken, weshalb die Begrüßung alles andere als distinguiert verlief. Randolph bewegte Herberts Hand auf und ab wie einen Pumpenschwengel, küsste die stocksteife Gwendolyn auf beide Wangen und umarmte sie so fest, dass sie puterrot anlief.

»Bald sind wir eine Familie. Betrachten Sie mein Haus als Ihr Haus«, tönte er leutselig. »Kommen Sie vorbei, wann immer Ihnen danach ist«, fügte er hinzu und versetzte Herbert einen derartigen Hieb auf den Rücken, dass der Champagner aus seinem Glas auf die blank geputzten Schuhe schwappte. »Wir könnten einmal zusammen Tennis spielen. Oder Golf. Was ist Ihr Handicap?«

»Ich betreibe keinen Sport«, gab Herbert zurück, zog ein makelloses Taschentuch aus der Tasche und wischte sich damit Finger und Schuhspitzen ab. »Ich kann keine Handverletzung riskieren. Ich bin Chirurg.« Mit diesen Worten rieb er sich die Hand, die Randolph bei seiner Begrüßung fast zerquetscht hatte.

Randolph starrte ihn verblüfft an und wandte sich an Gwendolyn. »Aber Sie treiben doch sicher Sport, Gwennie?« Er musterte sie eingehend, als schätze er ab, welche Sportart er ihr vorschlagen könnte.

Sie schüttelte den Kopf. »Mein Name lautet Gwendolyn.« Mehr sagte sie nicht.

Matilda fürchtete, dass ihr Vater irgendetwas Unerhörtes tun könnte, wie beispielsweise Gwendolyns Hinterteil einen Klaps zu versetzen, und trat zwischen die beiden.

»Würden Sie den mexikanischen Hut-Tanz mit mir tanzen, Gwennie?«, erkundigte sich Randolph hoffnungsvoll.

»Ich kenne keinen solchen Tanz.« Ihr Tonfall war eisig.

»Das macht nichts. Ich zeige es Ihnen gern«, sagte Randolph. »Es macht wirklich Riesenspaß.«

»Vielleicht später, Liebster«, schritt Eileen ein. »Porter und Sarah McNicholls möchten dich begrüßen. Wir kommen gleich zu Ihnen zurück, Gwendolyn und Herbert.« Sie scheuchte Randolph in Richtung der McNicholls, die ebenfalls nicht auf Matildas Gästeliste gestanden hatten.

Matilda musterte ihren künftigen Schwiegervater verstohlen und meinte, seine Gedanken lesen zu können: Er würde nie wieder einen Fuß in diese Villa setzen.

Sie bemühte sich, die Hamilton-Smiths zu unterhalten, was sich als quälendes Unterfangen erwies. Nicht genug damit, dass Bradleys Eltern die Band missfiel, rümpften sie auch die Nase über das Büffet, das hauptsächlich aus mexikanischen Spezialitäten bestand. Gwendolyn erklärte, nie etwas zu essen, dessen ursprüngliche Form nicht mehr zu erkennen sei. Und erst recht nicht, wenn es kräftig gewürzt sei, das vertrugen sie beide nicht. Beide lehnten zudem ab, die anderen Gäste kennenzulernen. Matilda war durchaus bewusst, dass Bradleys Eltern gehen würden, sobald ein Mindestmaß an Höflichkeit dies zuließ.

Als eine schier endlos lange Stunde später die ersten Raketen eines Feuerwerks vom Strand über den Himmel sprühten, staunten alle Gäste entzückt. Alle, außer den Hamilton-Smiths. Und Bradley und Matilda, die fassungslos zusahen. Sie konnten diesen Abend nur als vollkommenes Desaster abschreiben.

Bereits nach zwei Minuten hielt Gwendolyn sich die Ohren zu, doch das schien nicht genug, denn sie wandte sich an Matilda: »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich ins Haus ginge? Ich habe nämlich Kopfschmerzen.«

»Aber nein«, erwiderte Matilda erschöpft.

»Ich begleite dich«, erklärte Herbert und führte Gwendolyn die Freitreppe hinauf.

»Oh, Bradley, es tut mir so leid«, stöhnte Matilda, während bunte Farben im Himmel über dem Strand explodierten. Dies hier war ihre Verlobungsparty, und sie hatte nicht einen Moment davon genossen, sie hatte nicht einmal Zeit für ihre Freunde gehabt. Wieder hörte sie ihren Vater laut lachen. Er hatte Spaß und war inzwischen betrunken. Auch Eileen hatte den Champagner nicht verschmäht und amüsierte sich mit ihren Gästen. Matilda und Bradley waren vergessen.

Nach dem zwanzigminütigen Feuerwerk war die Zeit der Fotos und Reden gekommen. Eileen trat zu Matilda. »Hast du deinen Vater irgendwo gesehen?«, erkundigte sie sich. »Der Fotograf will ein Gruppenfoto von der Familie machen.«

»Nein, Mum«, antwortete Matilda bedrückt.

»Wo sind Ihre Eltern, Bradley?«, fragte Eileen.

»Sie sind ins Haus gegangen«, erwiderte er. »Meine Mutter hatte Kopfschmerzen.«

»Oh, das tut mir leid für sie.« Dann wurde Eileens Aufmerksamkeit abgelenkt. »Seht nur, es gibt eine Polonäse, die Leute stellen sich schon auf.« Ihr Gesicht leuchtete auf. »Ich suche gleich weiter nach Randolph, aber zuerst mache ich mit.«

Eileen huschte davon, und Matilda schlug die Hände vor das Gesicht. »Wann ist dieser Albtraum endlich vorbei?«

Plötzlich ertönte ein lautes Krachen, gefolgt von einigen Schreien. Dann herrschte Stille. Matilda beobachtete, wie sich die Gäste um ein Blumenbeet sammelten.

»Was ist passiert?« Matilda lief los. Ein Sichtschutz aus Bambus war zusammengebrochen, der den Gemüsegarten von den Blumenbeeten trennte. Hoffentlich hat sich niemand verletzt, dachte Matilda und bahnte sich, gefolgt von Bradley, einen Weg durch die Menge. Was sie dann sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Hatte sie wenige Minuten zuvor noch gedacht, dass der Abend nicht mehr schlimmer werden könnte, so hatte sie sich gründlich getäuscht.

Auf dem eingestürzten Sichtschutz lag Randolph Mooney auf dem Rücken. Auf ihm lag Sarah McNicholls, fest von Randolph umklammert, dessen Gesicht über und über mit rosa Lippenstift beschmiert war. Das Geschehen war für jeden der Anwesenden offensichtlich: Die beiden hatten sich im Überschwang der Gefühle an den Sichtschutz gelehnt, der dieser Belastung nicht standgehalten hatte.

Matilda starrte ihren Vater und Sarah an. Eileen stand da wie angewurzelt. Ein Raunen zog sich durch die Gäste. Randolph blickte betreten drein, wie ein unartiger Schuljunge, der beim Rauchen erwischt worden war. Sarahs Kopf war hochrot, vor Scham oder zu viel Champagner.

Entschlossen trat Matilda auf ihren Vater zu. »Steh auf, Dad!«, herrschte sie ihn an. »Wie konntest du nur?«

Aber Randolph war so betrunken, dass es ihm unmöglich war, seine Bewegungen zu koordinieren. Außerdem lag Sarah immer noch auf ihm, der es ebenfalls nicht gelang, sich zu erheben. Ihr Kleid war bis weit über die Knie hochgerutscht, und der eine und andere männliche Gast riskierte einen Blick.

»Nun stehen Sie doch endlich auf, Mrs McNicholls!«, schimpfte Matilda und versuchte, Sarah hochzuziehen. Doch die kam nicht auf die Beine, stattdessen strauchelte Matilda und stolperte vorwärts. Das Kopfband rutschte über ihre Augen, und sie ging zu Boden. Begleitet von einer Welle der Scham wurde ihr bewusst, dass sie in einer wenig damenhaften Haltung auf Sarah und ihrem Vater lag.

»Die sind doch alle sturzbetrunken«, hörte sie eine Stimme hinter sich. Jemand kicherte.

Matilda wäre am liebsten im Erdboden versunken. Doch sie mühte sich, sich aufzurappeln und schob entschlossen den Kopfputz nach oben, der schließlich schräg auf ihrer Stirn saß. Ehe sie sich jedoch erheben konnte, flammte ein Blitzlicht auf. Der Fotograf ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und lichtete Matilda ab, die mit ungläubigem Blick wie die Kirsche auf einem Kuchen auf ihrem Vater und Sarah lag. Der Journalist neben ihm kritzelte in sein Notizbuch. Seinem zufriedenen Gesicht nach zu urteilen hatte er die Story des Jahres gefunden.

Endlich gelang es Matilda, sich aufzurichten. Ihr Blick fiel auf Bradley, der mit aschfahlem Gesicht wie versteinert dastand und nicht den geringsten Versuch machte, ihr zu helfen. Er sah richtiggehend krank aus. Porter McNicholls hingegen, der neben ihm stand, war so rot wie eine überreife Tomate und stand offensichtlich kurz davor, zu explodieren.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich alle drei wieder auf den Beinen befanden. Eileen wies eilig die Mariachi an, weiterzuspielen. Der Reporter fragte Porter McNicholls, wie er dazu stand, dass man seine Frau in flagranti mit Randolph Mooney erwischt hatte. Statt der erhofften Antwort jedoch wurde er mit brachialer Gewalt zum Ausgang geschoben. Der Golfplatzbesitzer drohte ihm, ihn zu verklagen, wenn er nur eine Zeile über den Vorfall in der Zeitung läse. Als das Blitzlicht des Fotografen erneut aufflammte, ließ Porter von dem Reporter ab und stürzte sich auf den Mann mit der Kamera. Die beiden Presseleute rannten eilig davon.

Matilda wusste nur zu gut, dass die Gäste die neue Klatschgeschichte genossen, die eine ganze Weile – oder zumindest bis zu Randolphs nächstem Fauxpas – für Gesprächsstoff sorgen würde. Nur gut, dass die Hamilton-Smiths ins Haus gegangen und nicht Zeugen des peinlichen Vorfalls geworden waren. Sie ließ ihren Blick an der Fassade entlanggleiten, und mit einem Mal stockte ihr der Atem.

An der Balustrade des Balkons im ersten Stock standen Mr und Mrs Hamilton-Smith und beobachteten die Szene. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Die Mooneys hatten sämtliche ihrer Erwartungen in vollem Umfang erfüllt.

2

Matilda lag auf ihrem Bett und las Jig-Saw, den ersten Roman einer neuen Autorin namens Barbara Cartland, als ihre Schwester Phoebe in der Tür erschien.

»Darf ich kurz reinkommen, Tilly?«, fragte sie kleinlaut.

»Natürlich.« Matilda legte das Buch zur Seite. Sie freute sich über die Gesellschaft. Die beiden letzten Wochen hatte sie ziemlich allein und deprimiert in einem unnatürlich ruhigen Haus verbracht, fast wie eine Gefangene, während draußen vor dem Tor die Reporter kampierten. Phoebe und Fiona waren viel mit Freunden unterwegs, ihre Mutter war am Tag nach der Verlobungsparty zu einer Freundin gereist, wurde aber heute zurückerwartet, und ihr Vater hielt sich die meiste Zeit in einem seiner Möbelhäuser vor der Presse versteckt und betrank sich dabei beständig.

»Du hast wieder in der Sonne gelegen«, sagte Matilda vorwurfsvoll. »Irgendwann bist du so braun wie Bambang«, fügte sie in Anspielung auf einen ihrer indonesischen Gärtner hinzu.

Phoebe musste lachen. »Ich war mit ein paar Freunden am Bondi Beach.«

Sie hielt kurz inne, bevor sie Matilda mit ernster Miene einen Zeitungsausschnitt entgegenstreckte. »Das hier habe ich heute gefunden.«

»Was ist das?«

»Eine Seite aus dem Gesellschaftsteil der Zeitung von heute.«

»Ach, Phoebe, das will ich gar nicht lesen«, wehrte Matilda ab. »Es sei denn, es handelt sich um gute Nachrichten oder solche, in denen es nicht mehr ständig um Bradley und mich geht.« Das war höchst unwahrscheinlich, denn die vergangenen vierzehn Tage waren ein wahrer Albtraum gewesen.

»Die gute Nachricht ist, dass ihr beide nicht mehr die Schlagzeilen beherrscht.« Phoebe setzte sich auf das Fußende und breitete die Zeitungsseite aus.

»Wirklich?«

»Ja, es geht jetzt um die Scheidung der McNicholls.« Phoebe deutete auf die Titelzeile.

»Scheidung?« Matilda richtete sich auf. »Seit wann das denn?«

»Seit gestern. Porter McNicholls hat sie eingereicht. Und Dad ist der Scheidungsgrund, was nicht weiter überraschend ist.«

»Das ist ja tragisch! Jetzt hat Dads dummes Verhalten eine Ehe zerstört.«

»Vielleicht ist die Scheidung nicht allein seine Schuld. Im Artikel steht, dass er nicht der erste Mann ist, mit dem Sarah erwischt wurde. Wie es aussieht, hatte Mr McNicholls schon länger ein Problem mit der Moral seiner Frau.«

Matilda überflog den Artikel, der wieder einmal mit dem besagten Foto von ihrem Vater, Sarah McNicholls und ihr selbst verziert war, das schon so oft als Aufreißer hergehalten hatte. Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt. »Der Skandal ist noch immer nicht vorbei. Weder für Bradley und mich noch für unsere arme Mum. Als ob sie nicht schon verletzt genug wäre! Jetzt muss sie tatsächlich noch monatelang weitere Demütigungen ertragen. Vielleicht sogar jahrelang, wenn die Geschichte vor Gericht kommt.«

»Mum geht einfach darüber hinweg und tut, als wäre nichts geschehen«, sagte Phoebe. »Ich weiß nicht, wie sie das fertigbringt, wo doch alle ständig über sie und Dad tratschen. Ich gehe inzwischen schon einigen meiner Freunde aus dem Weg, weil sie immer weiter auf diesem Thema rumreiten. Ich bin fast sicher, die Leute erwarten, dass auch Mum sich von Dad scheiden lässt.«

»Sie lässt sich bestimmt nicht scheiden. Immerhin hat sie ein wenig Übung darin, Dads Flirts mit anderen Frauen zu ignorieren.« Matilda wusste, dass ihre Mutter ihren Schmerz ab und an mit Alkohol betäubte, sie hatte sie in der Vergangenheit einige Male mit einer Flasche Hochprozentigem in ihrem Schlafzimmer erwischt.

»Wie gehen eigentlich Bradleys Eltern mit der peinlichen Situation um? Ich glaube kaum, dass es in seiner Familie je einen Skandal gegeben hat – jedenfalls nichts Ernsteres als vielleicht eine entfernte Verwandte, die acht Monate nach der Hochzeit ein Kind zur Welt gebracht hat.«

Matilda zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Bradley und ich haben vereinbart, uns aus der Öffentlichkeit fernzuhalten, bis der Rummel vorbei ist. Ich habe also noch nicht mit ihm gesprochen.«

»Aber er hätte doch schreiben oder anrufen können, um herauszufinden, wie es dir geht«, warf Phoebe ein.

Matilda war tatsächlich ein wenig enttäuscht darüber, dass Bradley sich nicht meldete, wollte aber nicht darüber sprechen. Vermutlich war er damit beschäftigt, die gerupften Federn seiner Eltern so gut es ging zu glätten.

Jetzt klopfte Fiona und trat ein. »Bradley ist da. Er möchte mit dir sprechen.«

»Wirklich?« Matilda schwang sich freudig überrascht vom Bett und schlüpfte in ihre Schuhe. »Wo ist er? Im Wohnzimmer?«

»Nein, er wartet auf der hinteren Terrasse.«

Zum ersten Mal seit vierzehn Tagen fühlte Matilda sich glücklich. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel flog sie geradezu die Treppe hinunter.

Bradley lehnte mit dem Rücken zu ihr an der Terrassentür.

»Bradley!« Matilda stürzte fröhlich auf ihn zu. »Wie schön dich zu sehen.«

Bradley wandte sich zu ihr um. Als Matilda ihm um den Hals fiel und ihn umarmte, spiegelte sein Gesichtsausdruck Freude und Trauer zugleich.

»Bist du den Reportern vor dem Tor ausgewichen?«, erkundigte sich Matilda, nachdem er ihr kurz einen zärtlichen Kuss auf die Wange gedrückt hatte.

»Ja, ich bin hintenherum gegangen.«

»Das war gut. Mein Dad konnte heute nicht einmal ins Geschäft gehen, so sehr war die Presse hinter ihm her.«

Das Hausmädchen hatte berichtet, dass Randolph nach dem Mittagessen, das er in Morgenmantel und Pantoffeln eingenommen hatte, mit einer Flasche Whisky nach oben verschwunden war.

»Tut mir leid, Matilda, aber daran ist er selbst schuld«, entgegnete Bradley unfreundlich. »Im Gegensatz zu Mr McNicholls. Vor seinem Haus kampiert jetzt ebenfalls mindestens ein halbes Dutzend Reporter im Vorgarten, ich bin an ihnen vorbeigekommen.«

Matilda errötete. »Du hast also die Morgenzeitung gelesen.«

»Ja. Und meine Eltern ebenfalls, Tante Agatha sei Dank.«

Herberts Schwester wohnte nur drei Häuser von den Hamilton-Smiths entfernt, war mit einem Richter verheiratet und noch hochnäsiger als ihr Bruder. Sie hatte es rundweg abgelehnt, zur Verlobungs-Party zu kommen, weil sie Randolph für einen »grässlichen Möbelverkäufer« hielt, »der in Point Piper nichts zu suchen hat«. Aber natürlich las sie insgeheim den Gesellschaftsteil und hatte vermutlich kaum schnell genug mit der Morgenausgabe zu ihrem Bruder laufen können.

Matilda konnte Bradleys Unmut verstehen. Sein Familienleben war immer stabil und ohne besondere Vorkommnisse gewesen. Erst seit er und sie ein Paar waren, hatte er Skandale kennengelernt, auch wenn er selbst nie davon betroffen gewesen war – bis jetzt.

Matilda seufzte. »Sie tun mir wirklich leid. Aber vielleicht kehrt ja dafür nun unser Leben allmählich wieder zu einer Art Normalität zurück.«

Bradley blickte sie ernst an. »Das halte ich für unwahrscheinlich. Porter McNicholls lässt sich von seiner Frau wegen ihres unbedachten Verhaltens mit deinem Vater scheiden.«

Matilda war keineswegs überrascht von seiner Haltung. Sie selbst missbilligte das Verhaltens ihres Vater ebenfalls zutiefst, empfand zugleich aber eine tiefe Zuneigung für ihn als Person. Trotz allem liebte sie ihren Vater.

Randolph hatte sich tränenreich bei seiner Familie entschuldigt, dabei aber darauf verwiesen, dass der Zwischenfall bei der Verlobungsfeier viel harmloser gewesen war, als es den Anschein erweckt hatte und nur von der Presse derart aufgebauscht wurde. Sarah McNicholls und er hätten nur Spaß gemacht. Sarah sei betrunken und in Flirtlaune gewesen, und beide hätten sich nichts dabei gedacht. Eine Erklärung dafür, warum sie hinter dem Sichtschutz gewesen waren, hatte er allerdings nicht geliefert.

Natürlich hatte die Familie solche dürftigen Ausreden schon früher gehört, viele Male. Immer behauptete Randolph, niemanden verletzen oder demütigen zu wollen, und doch geschah genau das immer wieder. Trotzdem fiel es allen Mitgliedern der Familie schwer, ihm böse zu sein, weil er ansonsten ein sehr warmherziger und liebevoller Mensch war. Selbst Fremden gegenüber zeigte er sich in der Not immer großzügig. Es war einfach unmöglich, ihm beizubringen, dass er seine Familie durch die ständigen Skandale immer wieder beschämte.

Matilda empfand tiefe Dankbarkeit dafür, dass sie einen so zuverlässigen und treuen Mann wie Bradley heiraten durfte. Sie vertraute felsenfest darauf, dass er ihr nie derartigen Kummer bereiten würde.

»Lass uns zum Strand hinuntergehen«, schlug Bradley vor.

Matilda war sofort einverstanden. Sie hatte ihn schrecklich vermisst. Freudig hakte sich bei ihm unter, doch während sie die große Rasenfläche überquerten, bemerkte Matilda, dass Bradley sehr angespannt wirkte. Vermutlich waren die letzten Wochen mit seinen Eltern nicht leicht gewesen. »Wie kommen deine Eltern mit der ganzen Sache zurecht?«, erkundigte sie sich.

»Nicht gut. Sie sind es nicht gewöhnt, in einen Skandal verwickelt zu sein.«

»Aber sie sind doch nicht wirklich betroffen«, warf Matilda vorsichtig ein. »Es geht doch um meine Eltern und die McNicholls’.«

»Das stimmt so nicht.« Die Vehemenz in Bradleys Stimme überraschte Matilda. »Dein Vater wurde auf unserer Verlobungsfeier dabei erwischt, wie er mit einer anderen Frau herumturtelte«, fuhr Bradley fort. »Bei dieser Party waren auch meine Eltern anwesend. Damit hat er sie in die Sache hineingezogen, und das missfällt ihnen zutiefst. Die Reporter waren sogar bei uns zu Hause.«

Matilda schwante nichts Gutes. »Warum denn?«

»Sie wollten wissen, wie meine Eltern damit zurechtkommen, über unsere Eheschließung ein verwandtschaftliches Verhältnis zu Randolph Mooney aufzubauen – dem Mann, der seine Frau vor den Augen seiner Familie und seiner Freunde in aller Öffentlichkeit betrügt.«

Matilda errötete vor Scham. »Das tut mir wirklich leid, Bradley. Mein Vater hat uns erklärt, dass die Sache vollkommen harmlos war. Aber du weißt ja, wie die Presse ist: Sensationen um jeden Preis«, versuchte sie, ihn zu beschwichtigen. »Ich werde mich noch einmal bei deinen Eltern für die Situation entschuldigen – dieses Mal persönlich.« Bereits am Tag nach der Feier hatte sie den Hamilton-Smiths einen Brief geschickt, bisher aber keine Antwort darauf erhalten.

»Das nutzt nichts, Matilda«, sagte Bradley ernst.

Sein Tonfall beunruhigte sie, doch sie kommentierte ihn nicht. Schweigend gingen sie nebeneinander her bis zum Sandstrand von Seven Shillings Beach. Dort steckte Bradley die Hände in die Taschen und seufzte. Kummervoll blickte er über den mit Booten betupften Hafen hinweg.

»Irgendwann geht es vorbei«, versuchte Matilda ihn zu trösten. »Ich weiß, es ist heute vielleicht schwer vorstellbar, aber wenn wir beide unser eigenes Leben beginnen, wird die ganze Angelegenheit schnell in Vergessenheit geraten. Es würde mir auch nichts ausmachen, von Sydney fortzuziehen. Im Gegenteil: Ich wäre sogar durchaus dafür.« Das gesellschaftliche Leben hier würde sie bestimmt nicht vermissen.

»Dein Vater wird sich nie ändern«, sagte Bradley kalt.

»Das ist schon möglich«, gab sie zu. »Er hat einfach gerne Spaß.«

Bradley wandte sich ihr zu und hielt dem Blick aus ihren vertrauensvollen, braunen Augen stand. »Meine Eltern weigern sich, eine Verbindung mit deiner Familie einzugehen. Sie haben nichts gegen dich, aber sie sind nicht bereit, so etwas noch einmal zu durchleben.«

Matilda konnte diese Skepsis durchaus nachvollziehen, sah darin aber kein Problem. »Aber das müssen sie doch auch nicht. Wenn wir in einer anderen Stadt leben, habe ich nichts mehr mit den Skandalen meiner Familie zu tun, und sie deshalb auch nicht. Wir könnten zum Beispiel nach Melbourne ziehen. Dort kennt uns niemand.«

»Das geht aber nicht. Erstens bin ich gerade dabei, mir hier eine Lebensgrundlage aufzubauen, und zweitens liebst du deine Familie, und das ist auch richtig so.«

»So wird es auch bleiben. Aber du und ich, wir lieben uns und werden bald heiraten. Als mein Ehemann bist du mir wichtiger als alles andere.«

Bradley wirkte zutiefst erschüttert. »Ja, wir lieben einander. Aber manchmal ist Liebe nicht genug.«

»Was redest du denn da?«, fragte Matilda erstaunt. »Natürlich ist Liebe genug. Sie kann uns durch alle Widrigkeiten schiffen. Darum geht es doch in einer Ehe.«

Bradleys Miene verfinsterte sich. »Unter normalen Umständen stimmt das vielleicht. Wenn zwei Menschen sich lieben, können sie die meisten Hürden des Lebens nehmen. Aber manche Hürden sind unüberwindbar.«

»Willst du damit etwa sagen, dass eine Ehe mit mir zu den unüberwindbaren Hürden gehört?« Matilda war überzeugt, dass er ihre Frage verneinen würde. Sie wartete.

Bradley senkte den Blick. »Es liegt nicht an dir, Matilda«, sagte er leise. »Du bist eine wundervolle Frau. Wäre nur dein Nachname nicht Mooney.«

Matilda war fassungslos.

»Meine Eltern haben mir nahegelegt, dass eine Ehe mit einer Mooney nicht das Richtige für mich ist.«

Matilda starrte ihn an. Sie war schockiert, auch wenn es keineswegs abwegig war, dass die Hamilton-Smiths so reagierten.

»Du weißt ja, dass ich gerade angefangen habe, für Massey, Schultz und Partner zu arbeiten«, sagte Bradley.

Matildas Herz begann zu rasen. Die Wendung, die dieses Gespräch nahm, gefiel ihr ganz und gar nicht. »Ja.« Sie nickte vorsichtig. Edwin Massey war ein guter Freund seines Vaters, und das Angebot einer derart angesehenen Kanzlei war für Bradley ein echter Glücksfall gewesen.

»Edwin Massey kam vor ein paar Tagen zu uns nach Hause, um mit Dad und mir über meine Stellung zu sprechen. Er und mein Vater sind sich einig, dass deine Familie meinen Namen in Misskredit bringen würde, was sich negativ auf die Kanzlei auswirken könnte.«

»Hat er dich etwa gefeuert?«

»Natürlich nicht. Er weiß, dass ich eines Tages zum Partner aufsteigen möchte, machte mir aber unmissverständlich klar, dass mein Ruf dafür makellos zu sein hat. Matilda, wir müssen unsere Verlobung lösen.«

Matilda traute ihren Ohren nicht.

»Ich liebe dich wirklich, Matilda, aber …«

»Aber was? Reicht dir unsere Liebe nicht?«, stieß Matilda fassungslos hervor.

»Manchmal ist Liebe einfach nicht alles«, sagte Bradley leise. »Es tut mir leid, aber es wird keine Hochzeit geben.«

Matilda spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. »Sag das bitte nicht, Bradley«, flüsterte sie, während die Tränen über ihre Wangen strömten.

Bradleys Blick war zärtlich, als er ihr sein Taschentuch reichte. »Ich habe keine andere Wahl. Ich wünschte wirklich, es wäre anders, aber so ist es nun einmal. Wir beide werden nicht heiraten.«

Matilda hörte seine Worte und fühlte sich mit einem Mal wie betäubt. Sie war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

Bradley nahm ihre Hand und betrachtete den Verlobungsring, den er ihr vor gar nicht langer Zeit angesteckt hatte. Seine Hand zitterte, genau wie ihre.

»Ich weiß, es ist nicht üblich, aber du kannst den Ring behalten, wenn du willst«, sagte er kaum hörbar. »Es tut mir unendlich leid, dass alles so enden muss.« Auch seine Augen waren feucht.

»Es tut dir leid?«, flüsterte Matilda. »Ich kann einfach nicht fassen, dass du unsere Verlobung löst. Das hätte ich dir nie zugetraut.« Noch immer verstand sie nicht wirklich, was geschah.

»Ich mir auch nicht.«

»Würdest du mich lieben, wirklich aus tiefstem Herzen lieben, hätte dein Vater dir diese Ehe nicht einfach so ausreden können«, stieß Matilda hervor.

Bradley blickte sie traurig an. »Es war nicht mein Vater, der unsere Verlobungsfeier verdorben hat. Es war auch nicht mein Vater, der eine Ehe zerstört und einen Riesenskandal heraufbeschworen hat, über den man sich noch monatelang das Maul zerreißen wird. Meine Eltern wollen nur mein Bestes. Mein Vater hat hart gearbeitet, um mir das Jurastudium zu ermöglichen. Er weist mir lediglich den richtigen Weg.«

Seine Worte lösten Matilda zumindest aus ihrer Erstarrung. »Und der führt offensichtlich von mir fort«, stieß sie verbittert hervor. Sie spürte, dass sie nicht nur traurig, sondern auch sehr wütend war, dass Bradley nicht um ihre Beziehung kämpfte.

Es kostete sie viel Kraft, den Verlobungsring vom Finger zu streifen und ihn in Bradleys Hand zu legen. »Den kann ich nicht behalten«, flüsterte sie. Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum einen Ton hervorbrachte. »Ich will nicht an etwas erinnert werden, das hätte sein können, wenn …« Ihr versagte die Stimme.

»Wenn dein Vater uns nicht in Anwesenheit unserer Freunde, eines Reporters und meiner Eltern derart beschämt hätte«, beendete Bradley den Satz.

»Nein. Ich wollte sagen: Ich will nicht an etwas erinnert werden, das hätte sein können, wenn du Manns genug gewesen wärst, zu mir zu stehen.«

Bradley starrte sie erschrocken an, doch sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte zum Haus zurück. Mit jedem Schritt betete sie, er möge sie zurückrufen, ihr sagen, dass er sich geirrt habe und sich den Wünschen seines Vaters doch nicht fügen werde, weil er sie zu sehr liebte. Mit jedem Schritt hoffte sie, dass er ihr folgen und sie in seine Arme schließen würde.

Doch nichts dergleichen geschah. Sie konnte es nicht fassen: Ihre Beziehung war tatsächlich beendet. Nun wollte sie nichts als in ihr Schlafzimmer fliehen und nie mehr herauskommen.

Unglücklicherweise begegnete sie auf der Treppe ausgerechnet ihrem Vater, den sie in diesem Augenblick wirklich nicht sehen wollte. Wieder war er betrunken, doch dieses Mal empfand sie keinerlei Mitgefühl für ihn. Im Gegenteil: Es stieß sie ab, dass er noch immer im Morgenmantel herumlief und weder gewaschen noch gekämmt war.

Er stöhnte und hielt sich den Kopf, während Matilda auf ihn zuschoss. »Was ist los, Tilly?«

»Dein angeblich so harmloser Flirt mit Sarah McNicholls hat mich gerade meine glückliche Zukunft gekostet!«, platzte Matilda hervor.

Randolph richtete sich auf, sichtlich um einen klaren Gedanken bemüht. »Wie meinst du das?«

»Bradley hat soeben unsere Verlobung gelöst, weil sein Vater ihn überzeugt hat, dass sich die Ehe mit einer Mooney karriereschädigend für ihn auswirken würde.«

Randolph schwankte. »Das kann doch nicht wahr sein«, lallte er ungläubig.

»Oh doch, das ist wahr«, widersprach Matilda mit zitternder Unterlippe und zeigte ihrem Vater ihre linke Hand ohne den Ring.

»Was soll das denn?«, stieß Randolph wütend hervor. »Diesem Quatsch werde ich auf den Grund gehen! Wo ist Bradley?«, fauchte er.

»Er ist weg. Und mit ihm meine glückliche Zukunft. Und das alles nur, weil du dich auf unserer Verlobungsfeier nicht beherrschen konntest«, schluchzte Matilda. »Das werde ich dir nie verzeihen!« Weinend rannte sie die Treppe hinauf, verfolgt von Randolphs zutiefst erschüttertem Blick.

Phoebe und Fiona hatten den Wortwechsel auf der Treppe vom Wohnzimmer aus mitgehört und starrten sich ungläubig an. Dann sprangen sie auf und rannten an ihrem Vater vorbei hinter ihrer Schwester her die Treppe hinauf. Sie klopften an Matildas Tür, doch sie antwortete nicht.

»Tilly, lass uns rein!«, rief Phoebe.

Keine Antwort.

»Lass uns rein«, bettelte nun auch Fiona. Sie hörten Matilda schluchzen.

Die Zwillinge überlegten.

»Ist es wirklich möglich, dass Bradley Tilly wegen Dads Verhalten auf der Party das Herz bricht?«, fragte Fiona.

»Offensichtlich. Und alles nur wegen seiner Karriere! Dabei weiß er doch, dass sie nichts für Dads Verhalten kann.«

3

Während der folgenden Tage vergrub Matilda sich in ihrem Zimmer. Die Familie hielt sich im Hintergrund und gab ihr den Raum, den sie brauchte. Sie trauerte um das Ende der Beziehung mit Bradley und weinte Tränen der Verzweiflung, und konnte doch nicht umhin, zunehmend Wut über seine in ihren Augen willensschwache Entscheidung zu empfinden. Sie hatte wirklich geglaubt, ihn zu kennen – nie im Leben hätte sie eine solche Reaktion für möglich gehalten. Mit einem Schlag waren all ihre Träume, all ihre Wünsche und Hoffnungen auf ein gemeinsames Leben mit Bradley zunichte gemacht. Immer wieder kamen ihr Bilder von Situationen in den Sinn, die sie gemeinsam erlebt hatten, Gespräche über das Leben und über ihre gemeinsame Zukunft, immer wieder erschien der Blick aus seinen blauen Augen vor ihrem inneren Auge. Sie versuchte, sich mit Schreiben eines Artikels für die Zeitschrift abzulenken, aber ihre Gedanken wanderten beständig zu Bradley. Gerne hätte sie ausführliche Spaziergänge unternommen, doch angesichts der immer noch vor dem Haus campierenden Reporter war auch ihr auch diese Ablenkung verwehrt. Außerdem bestand die Gefahr, dass die Journalisten irgendwann anfangen würden, Fragen zu stellen zu ihr und Bradley. Noch war das Auflösen der Verlobung nicht öffentlich bekannt, und dem wollte sie sich keinesfalls aussetzen. Mit jedem Tag, der verstrich, sehnte Matilda sich mehr danach, dies alles hinter sich zu lassen und sich an einen Ort zu begeben, an dem sie niemand kannte. An dem sie Abstand gewinnen und einfach sie selbst sein konnte. Und so fasste sie nach zwei Wochen schließlich einen Entschluss. Sie würde Sydney und Montrose für eine Weile verlassen.

»Aber weglaufen nützt doch nichts«, meinte Phoebe bedrückt, als Matilda ihren Schwestern und ihrer Mutter am Abend ihre Entscheidung mitteilte. »Dein gebrochenes Herz wird auch hier irgendwann heilen.«

»Es geht nicht nur um mein gebrochenes Herz …«

»Ein paar Tage bei einer Freundin wirken manchmal Wunder«, versuchte die Mutter sie zu überzeugen.

»Meine besten Freundinnen wohnen hier in der Stadt, Mum. Ich muss einfach für eine Weile weg.«

»Was wird aus deiner Arbeit?«, fragte Eileen.

»Ich bin selbstständig. Ich kann überall schreiben und meine Artikel dann an die Redaktion schicken.«

Eileen seufzte. »Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, wo es dich hintreibt.«

Doch genau das wusste Matilda selbst noch nicht. »Das werde ich erst am Bahnhof entscheiden. Ich kaufe eine Fahrkarte in irgendeine kleine Stadt, wo noch nie jemand etwas von unserer Familie gehört hat.«

»Aber du ziehst doch nicht in einen anderen Bundesstaat, oder?«

»Ich habe es jedenfalls nicht vor. New South Wales dürfte groß genug sein, um Sydney weit hinter mir lassen zu können. Direkt nach meiner Ankunft schicke ich euch ein Telegramm mit der Nachricht, wo ich gelandet bin.«

Eileen blickte sie mit gerunzelter Stirn an. »Ich mache mir große Sorgen, dass du irgendwo landest, wo du niemanden kennst.«

»Aber genau das ist doch meine Absicht, Mum! Und was noch besser ist: Niemand kennt mich.«

»Aber wo willst du unterkommen?«, fragte Phoebe.

»Das weiß ich noch nicht. In einem Hotel oder einer Pension. Ich bin nicht wählerisch, solange es dort friedlich und ruhig ist und sich niemand für mein Privatleben interessiert.«

»Ich halte diese Flucht für ziemlich übertrieben«, erklärte Fiona beklommen.

»Ich nicht. Der Eklat bei der Verlobungsfeier war schon schlimm, aber bald wird auch noch jeder wissen, dass Bradley mich abserviert hat.« Matilda kämpfte gegen die Tränen an, und Fiona legte ihr tröstend einen Arm um die Schulter.

»Ich glaube kaum, dass Bradley die Lösung eurer Verlobung an die große Glocke hängt«, warf Eileen beruhigend ein. »Ich kann sein Verhalten beim besten Willen nicht nachvollziehen, aber du sagst ja, dass er öffentliche Aufmerksamkeit ebenso scheut wie du.«

»Ich war der Überzeugung, Bradley zu kennen. Ich dachte, ich wüsste, wie er in bestimmten Situationen reagiert. Aber jetzt kann ich nur hoffen, dass er diskret damit umgeht. Und außerdem sind da ja auch noch seine Eltern. Sie werden jedem erzählen, dass ihr Sohn endlich zur Vernunft gekommen ist. Sie können es vermutlich kaum erwarten, endgültig nichts mehr mit den Mooneys zu tun zu haben.« Matilda spürte die Wut in sich aufsteigen. »Ich muss weit weg sein, bevor die Reporter anfangen, Fragen über mich und Bradley zu stellen. Dafür habe ich nicht die Kraft, das müsst ihr einfach verstehen.«

Ihre Familie kannte sie gut genug, um zu wissen, dass jeder Einwand zwecklos war.

»Ist Broken Hill eine ruhige Stadt?«, erkundigte sie sich schon am nächsten Tag beim Fahrkartenverkäufer im Hauptbahnhof von Sydney. Sie hatte den Namen auf einem Netzplan vor dem Fahrkartenschalter an der Wand gelesen, und interessierte sich dafür, weil die Stadt den letzten Bahnhof der Linie westlich von Sydney markierte. »Ich suche nach einem netten, ruhigen, möglichst einsam gelegenen Ort, an dem ich nicht gestört werde.«

Egal wo, fügte sie in Gedanken hinzu. Weit fort. Irgendwo, wo der Name Mooney nichts bedeutet.

»Broken Hill ist eine Bergarbeiterstadt«, sagte der Verkäufer.

»Das beantwortet nicht meine Frage.« Matilda hörte selbst, wie schnippisch ihre Stimme klang.

»Ich verkaufe hier nur Fahrkarten, Miss«, rechtfertigte sich der Schalterbeamte.

»Entschuldigen Sie, Mr Whitfield«, fuhr Matilda nach einem Blick auf sein Namensschild freundlicher fort. »Es ist einfach sehr wichtig für mich, den richtigen Ort auszusuchen.«

»Dazu müsste ich wissen, warum Sie dort hinwollen. Woher soll ich wissen, ob meine Vorschläge sinnvoll sind?«

Matilda richtete sich auf und überlegte, wie sie antworten sollte. Der Schalterbeamte sah nicht aus, als läse er den Gesellschaftsteil der Zeitung. »Ich möchte irgendwo hin, wo es ruhig ist und wo die Leute sich nicht dafür interessieren, woher ich komme und warum ich dort bin«, sagte sie vorsichtig.

»Das ist keine große Hilfe. Laufen Sie vor jemandem davon?«

Matilda errötete. »Wieso fragen Sie das?«

»Sie sind also nicht auf der Flucht?«

»Natürlich nicht!«

»Aber vielleicht sind Sie Schriftstellerin und brauchen Ruhe, um Ihren nächsten Bestseller zu Papier zu bringen.«

Matilda starrte ihn an. Wusste er etwa, wer sie war? Doch dann bemerkte sie den Schalk in seinen Augen und atmete aus: Er machte sich über sie lustig. »In gewisser Weise haben Sie recht«, sagte sie ausweichend.

»Also gut. Bergleute trinken viel. Und Betrunkene machen häufig Lärm. Beantwortet das Ihre Frage?«

»Dann kommt Broken Hill nicht infrage«, seufzte Matilda. »Ich dachte nur, weil es so weit weg ist. Haben Sie vielleicht einen besseren Vorschlag?«

»Vorschlag?«

»Wohin ich fahren könnte. Ich suche, wie gesagt, einen ruhigen, friedlichen Ort.«

»Nun, ich …«

»Sie verkaufen nur Fahrkarten, ich weiß. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn Sie Ihr Wissen über nette, kleine Städte in New South Wales mit mir teilen würden, Mr Whitfield. Es würde mir wirklich weiterhelfen.«

Der Fahrkartenverkäufer schwieg nachdenklich.

»Also, wenn das Wichtigste nicht die Entfernung, sondern die Abgeschiedenheit ist, dann wäre Wilcannia eine gute Wahl. Allerdings fährt der Zug nicht dorthin.«

»Und wie kommt man dort hin?«

»Von Broken Hill aus fährt ein Bus nach Wilcannia.«

Das klang durchaus abgeschieden. »Wissen Sie, wie viele Menschen in Wilcannia leben?« Matilda flüsterte jetzt, denn hinter ihr hatte sich bereits eine Schlange gebildet und sie wollte nicht, dass jemand sie belauschte.

»Da muss ich raten. Vielleicht ein paar Hundert in der Stadt und ebenso viele in den Stations ringsum. Der Ort ist sehr ruhig und hat einen kleinen Flusshafen. Von Wilcannia aus wird Wolle auf Raddampfern den Darling River hinunter verschifft. Die Wolle stammt von den Stations, großen Schafzuchtfarmen in der Umgebung.«

Vor Matildas innerem Auge erschien eine friedliche Szenerie mit Raddampfern auf einem sanft dahinplätschernden Fluss. »Das klingt geradezu perfekt«, sagte sie erfreut.

»Gut, dann machen wir das. Das Ziel Ihrer Reise heißt Wilcannia.«

Matilda zückte ihre Geldbörse. »Dann hätte ich bitte gern eine Fahrkarte nach Broken Hill. Wo bekomme ich das Busticket nach Wilcannia?«

»In Broken Hill«, flüsterte der Beamte zurück. »Viel Glück, Miss«, fügte er hinzu, als er ihr die Fahrkarte reichte. »Der Zug nach Broken Hill fährt in fünfundvierzig Minuten auf Gleis drei ab. Ich lasse jemanden für Ihr Gepäck kommen.«

»Vielen Dank, Mr Whitfield. Sie haben mir sehr geholfen.« Matilda nickte ihm zum Abschied zu und passierte dann mit gesenktem Kopf die Menschenschlange.

Der Schalterbeamte schüttelte lächelnd den Kopf. »Und ich dachte, ich hätte schon alles gesehen«, murmelte er vor sich hin.

»Wissen Sie, wer das war?«, hörte Matilda eine Frau sagen, und stöhnte innerlich auf.

Randolph Mooney betrat energisch die Praxis von Herbert Hamilton-Smith, wo er kühl und mit schlecht verhohlener Missbilligung von einer matronenhaften Sprechstundenhilfe begrüßt wurde.

»Ich will zu Herbert«, erklärte Randolph mit Nachdruck. »Wo ist das Sprechzimmer? Ich finde alleine hin.«

»Ohne Termin dürfte es ein wenig schwierig werden, Mr Mooney«, bellte die Sprechstundenhilfe.

»Ich brauche keinen Termin«, polterte Randolph. »Wir sind persönlich bekannt.«

Die Sprechstundenhilfe errötete. »Mr Hamilton-Smith ist heute Morgen nicht hier. Er operiert drei Vormittage in der Woche im Royal Prince Albert Hospital.«

Ihre herablassende Art missfiel Randolph. »Wann kommt er zurück?«

In diesem Moment trat Herbert ein. »Wir haben nichts miteinander zu besprechen«, sagte er anstelle einer Begrüßung. Randolph entging nicht der vorwurfsvolle Blick in Richtung der Sprechstundenhilfe. »Ich möchte heute nicht mehr gestört werden, Edwina. Ich muss Berichte schreiben.«

Mit diesen Worten ging Herbert an Randolph vorbei, den Blick stur geradeaus gerichtet. In Randolph wuchs die Wut darüber, wie ein Niemand behandelt zu werden.

»Da bin ich aber anderer Meinung«, knurrte er. »Wir haben eine ganze Menge zu diskutieren.« Er folgte Herbert entschlossen in dessen Büro und knallte die Tür hinter sich zu.

Herbert setzte sich hinter seinen Schreibtisch und blickte Randolph an. »Mein Vormittag war alles andere als angenehm. Ich hätte beinahe einen Patienten verloren. Was auch immer Sie vorbringen wollen – es ist belanglos vor diesem Hintergrund.«

»Wie können Sie das Glück meiner Tochter als belanglos bezeichnen?«, knurrte Randolph. »Ihr Sohn hat ihr das Herz gebrochen. Und nach allem, was ich gehört habe, auf Ihre Anweisung.«

»Das bestreite ich keineswegs. Aber ich habe meinen Sohn nicht jahrelang Jura studieren lassen, um seine Karriere durch eine Verbindung mit Ihrer Familie aufs Spiel zu setzen. Es stimmt nicht, dass Matildas Glück mir nicht am Herzen liegt. Sie ist eine wunderbare Frau, die aber leider in die falsche Familie hineingeboren wurde. Ich bin überzeugt, dass sie mir, was das betrifft, zustimmen würde.«

Randolph starrte ihn an. »Sie aufgeblasener Wicht! Wie können Sie es wagen, so auf meine Familie herabzuschauen?«

»Nicht auf Ihre Familie. Nur auf Sie! Sie produzieren einen Skandal nach dem anderen, von denen jeder einzelne Ihrer Tochter das Herz bricht. Sie sind derjenige, der ihr Glück zerstört hat – nicht ich, und auch nicht Bradley. Wenn Sie wüssten, wie man sich benimmt, wären Bradley und Matilda noch verlobt.«

»Ich bin froh, dass ich nicht ein solcher Spießer bin wie Sie. Ich weiß wenigstens, wie man das Leben genießt.«

»Oh ja, das wissen Sie. Ihr Genuss des Lebens und der Frauen anderer Männer sorgt dafür, dass den Zeitungen nie die Schlagzeilen ausgehen.«

Randolph traute seinen Ohren nicht. »Sie gehen zu weit, Herbert. Sie wissen selbst, dass die Zeitungen jede Kleinigkeit aufbauschen, um die Auflage zu steigern. Ich weiß, dass ich manchmal zu viel trinke und dann und wann ein wenig über die Stränge schlage, aber ich habe meine Familie noch nie bewusst verletzt. Und das weiß sie auch.«

»So naiv können Sie gar nicht sein, Randolph. Und ändern werden Sie sich auch nicht. Ja, ich habe Bradley aufgefordert, seine Verlobung mit Matilda zu lösen. Aber nicht, weil mit Matilda etwas nicht stimmt. Ich kann nur wiederholen, dass ich sie für eine wirklich nette junge Frau halte. Sie hat nur leider den schrecklichsten Vater, den man sich vorstellen kann, und ich will nicht tatenlos zusehen, wie Sie das Leben meines Sohnes ebenso ruinieren wie das Ihrer Tochter. Dafür hat er zu hart gearbeitet.«

Randolphs Wut verrauchte mit einem Schlag. Sie machte einem tiefen Schmerz Platz, wie er ihn noch nie empfunden hatte. Unfähig, weitere Worte zu finden, drehte er sich um und verließ grußlos Herberts Sprechzimmer.