Immanuel Kant - Uwe Schultz - E-Book

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Uwe Schultz

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Beschreibung

Immanuel Kant (1724-1804) gilt als der Philosoph der Pflicht und des kategorischen Imperativs. Er war in der Tat der Vordenker der preußischen Tugenden – aber darin erschöpft sich seine Bedeutung keineswegs. Sein Hauptwerk «Kritik der reinen Vernunft» hat dem philosophischen Denken die Nüchternheit der Moderne verschafft. Seine zentrale Maxime lautet: «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!» Kants geordneten Lebensweg und die kühl-revolutionäre Kraft seiner kritischen Philosophie vergegenwärtigt diese Monographie.   Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Uwe Schultz

Immanuel Kant

 

 

 

Über dieses Buch

Immanuel Kant (1724–1804) gilt als der Philosoph der Pflicht und des kategorischen Imperativs. Er war in der Tat der Vordenker der preußischen Tugenden – aber darin erschöpft sich seine Bedeutung keineswegs. Sein Hauptwerk «Kritik der reinen Vernunft» hat dem philosophischen Denken die Nüchternheit der Moderne verschafft. Seine zentrale Maxime lautet: «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!» Kants geordneten Lebensweg und die kühl-revolutionäre Kraft seiner kritischen Philosophie vergegenwärtigt diese Monographie.

 

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Vita

Uwe Schultz, 1936 in Hamburg geboren, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte in Hamburg, Freiburg im Breisgau, Wien und München. 1963 Promotion über «Das Problem des Schematismus bei Kant und Heidegger» in München. Seit 1964 als Redakteur, seit 1976 als Hauptabteilungsleiter Kulturelles Wort beim Hessischen Rundfunk tätig. Seit 1995 freier Publizist in Paris.

Publikationen: «Das Tagebuch und der moderne Autor», Hg. (1965), Übersetzung: Erasmus von Rotterdam, «Das Lob der Torheit» (1966), «Fünfzehn Autoren suchen sich selbst», Hg. (1967), «Umwelt aus Beton oder Unsere unwirtlichen Städte», Hg. (1971), Monographie «Peter Handke» (1973), «Toleranz. Die Krise der demokratischen Tugend», Hg. (1974), «Michel de Montaigne» (rowohlts monographien 50442, 1989), «Die Hauptstädte der Deutschen. Von der Kaiserpfalz in Aachen bis zum Regierungssitz in Berlin», Hg. (1993), «Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte», Hg. (1996), Biographie «Descartes» (2001), «Versailles. Die Sonne Frankreichs» (2002), «Madame de Pompadour oder die Liebe an der Macht» (2004), «Der Herrscher von Versailles. Ludwig XIV. und seine Zeit» (2006), «Richelieu. Der Kardinal des Königs» (2009), «Henri IV. Machtmensch und Libertin» (2010), «Der König und sein Richter: Ludwig XVI. und Robespierre» (2012), «Giacomo Casanova oder Die Kunst der Verführung» (2016), «Jongleur der Macht. Kardinal Mazarin, der Lehrmeister des Sonnenkönigs» (2018).

Impressum

rowohlts monographien

begründet von Kurt Kusenberg

herausgegeben von Uwe Naumann

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2024

Copyright © 1965, 2003 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Für das E-Book wurde die Bibliographie aktualisiert, Stand: 2017

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten

Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier

Covergestaltung any.way, Hamburg

Coverabbildung akg-images (Immanuel Kant. Gemälde von Gottlieb Doeppler [Doebler], 1791 [Ausschnitt]. Duisburg, Museum Stadt Königsberg)

ISBN 978-3-644-02054-2

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Was für eine Philosophie man wähle, hängt

davon ab, was für ein Mensch man ist:

denn ein philosophisches System ist nicht

ein toter Hausrat, den man ablegen und an-

nehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern

es ist beseelt durch die Seele des Menschen,

der es hat.

Johann Gottlieb Fichte

Kants Leben und Wirken

Jugend und Elternhaus

In Königsberg, der Hauptstadt des Herzogtums Preußen, wurde Immanuel Kant am 22. April 1724 geboren. Die Stadt erlebte zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung, zumal die Stände meist ihre Unabhängigkeit zu wahren wussten. Diese Opposition aus ständischer Freiheit und Verfassung stützte sich auf einen standhaften Bürgersinn der Handelsherren und Handwerker, zu denen auch der Vater Kants zählte, der in der Sattlergasse, nahe der «Grünen Brücke», wohnte. Die Städte Altstadt, Kneiphof und Löbenicht zusammenfassend, verdankte Königsberg seinen jungen Reichtum dem Handel, der sich hier einen seiner wichtigsten Umschlagplätze eröffnet hatte. Englische und holländische Handelsschiffe liefen Königsberg an, um in der Pregelmündung, ganz in der Nähe von Kants väterlichem Hause, englische Fabrikate, Wein und Kolonialwaren einzutauschen gegen Naturprodukte, die auf flachen Flussfahrzeugen (Wittinnen) aus dem benachbarten Polen unter Leitung jüdischer Händler in die Stadt gebracht wurden. Auf dem Weg zur Schule wie in das Zentrum der Stadt erlebte der junge Kant, besonders im Frühling, dieses Gewirr der Geschäfte und den Reiz unmittelbarer Berührung mit fremden, fernen Völkern und ihren Produkten.

Er war das vierte von elf Kindern, von denen nur drei Mädchen sowie ein Bruder und er ein höheres Alter erreichten. Mit seinem Bruder, der später als Pfarrer in Kurland lebte, sowie mit seinen Schwestern, die Handwerker in Königsberg heirateten, pflegte er nur wenig menschliche und noch weniger geistige Beziehungen (erst 1790 begann zwischen den Brüdern ein intensiverer Briefwechsel). Dieser Bruder, Johann Heinrich Kant, das jüngste Kind (1735 geboren), starb vier Jahre vor ihm; die jüngste seiner Schwestern pflegte den Philosophen zu Tode und überlebte ihn als einziges aller Kinder, die aus der Ehe des Riemermeisters Johann Georg Kant und seiner Frau Anna Regina, geb. Reuten hervorgegangen waren.

Königsberg

Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem die Landescollegia der Regierung desselben sich befinden, die eine Universität (zur Kultur der Wissenschaften) und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Innern des Landes sowohl, als auch mit angrenzenden entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten, einen Verkehr begünstigt, – eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zur Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden, wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann.

Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Absicht, Königsberg 1798

Kants Vater, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Memel gelebt hatte, war ein Handwerker, der seine Familie und sich angemessen ernährte. Bisweilen ist gegen ihn der Vorwurf erhoben worden, er habe es nicht verstanden, in ausreichender Weise für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Belegt ist aber nur, dass er es nie verstanden hat, seine Familie über das finanzielle Niveau seines Standes zu erheben. Sein schlichter Bürgersinn hat ihn vor allen schlechten Geschäften bewahrt, aber auch von allen finanziellen oder geistigen Erfolgen ausgeschlossen, die nicht in den unmittelbaren Grenzen seiner handwerklichen Zunft lagen. Seine Vorfahren, so hat der Philosoph später im Zusammenhang mit Hume gern betont, stammten aus Schottland, doch ist diese Auffassung heute als irrig nachgewiesen. Der Vater schrieb den Beginn seines Namens noch mit ‹C›, während sein Sohn sich schon früh für ‹K› entschied, um die Aussprache Zant zu vermeiden.

Seine Mutter hat sich langsam und mühevoll eine literarische Bildung angeeignet, die vor allem im zeitgenössischen Pietismus wurzelte. Und sie ist es gewesen, die sich wohl nicht nur mit Eitelkeit, sondern auch mit Scharfblick der Erziehung ihres Sohnes Immanuel zuwandte. Ihre Frömmigkeit, die des gemäßigten Pietismus, führte sie in den Zuhörer- und Anhängerkreis von Franz Albert Schultz (1692–1763), des Mannes, der für Kants früheste Entwicklung von allergrößter, kaum zu überschätzender Bedeutung ist. Sie hat es verstanden, diese im damaligen Königsberg hoch geachtete Persönlichkeit – zunächst war er Konsistorialrat und Prediger, bald aber wurde er Professor für Theologie an der Universität und Leiter des Collegium Fridericianum – für die Erziehung des jungen Kant zu interessieren. Ihrer, mehr noch als seines Vaters, hat Kant später in persönlich-herzlicher Weise gedacht: Nie werde ich meiner Mutter vergessen, denn sie pflanzte und nährte zuerst den Keim des Guten in mir, sie öffnete mein Herz den Eindrücken der Natur, sie weckte und erweiterte meine Begriffe, und ihre Lehren haben einen immerwährenden heilsamen Einfluß auf mein Leben gehabt.[1] Und ihr wie ihrer Verbindung zum Pfarrer Schultz, der sich nach gründlicher Prüfung des jungen Immanuel annahm, ist es zu danken, dass Kant 1732 von der Vorstädter Hospitalschule auf das Collegium Fridericianum überwechselte.

Collegium Fridericianum

Neun Jahre, von 1732 bis 1740, besuchte er das von Schultz geleitete Collegium Fridericianum; bereits 1733 war er Primus der Quinta und gab diesen Platz durch alle Schuljahre nicht mehr ab. Das Institut galt zu jener Zeit als fortschrittlich und «modern». 1698 gegründet aus privater Initiative von einem juristischen Verwaltungsbeamten namens Theodor Gehr, der in Verbindung mit den Pietisten Philipp Jakob Spener und August Hermann Francke stand, war es zunächst eine stark angefeindete «Winkelschule» auf dem Sackheim, einer Königsberger Vorstadt. Bald aber, bereits 1699, durch seinen ersten Lehrer Georg Christian Adler, der in Halle die Francke’schen Erziehungsmethoden kennen gelernt hatte, und durch seinen ersten Direktor D. Heinrich Lysius, der, von Berlin unterstützt, für das Schulwesen Ostpreußens verantwortlich war und über den Rahmen der Königsberger Schule weit hinauswirkte, wurde die Anstalt angesehen, besucht und gesucht. 1703 zog sie um in den «Landhofmeistersaal» auf der Burgfreiheit, der zu diesem Zweck umgebaut und mit einer Kapelle versehen wurde. Das in einer Streitschrift definierte Ziel der Schule, die Kinder «fromm, gelehrt und höflich» zu machen, wurde von allen seinen Lehrern erfolgreich angestrebt, vor allem aber unter Schultz, zu dessen Zeit die Schule ihr größtes Ansehen errang.

Schultz, der aus dem Zentrum des damaligen Pietismus, nämlich aus Halle, hervorgegangen war, zugleich aber mit der dogmatischen Philosophie Christian Wolffs und mit dem Philosophen selbst näheren Umgang gehabt hatte, bemühte sich in Königsberg am Collegium Fridericianum um eine harmonische Verbindung von Pietismus und dogmatischer Philosophie. Obgleich Wolff über ihn gesagt haben soll: «Hat mich je einer verstanden, so ist es Schultz»[2], war die Schule doch vor allem ein Muster der Francke’schen Stiftungen. Als Pädagoge hat Schultz zahlreiche umfassende Reformen eingeführt, etwa 1734 entscheidend bei dem königlichen Erlass mitgewirkt, der zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht in den Ostprovinzen führte, und dennoch als Seelsorger nicht versäumt, sich seiner Gemeinde und deren geistlicher und geistiger Entwicklung zu widmen. Aber auch konkret-materiell hat er den jungen Kant unterstützt, taktvoll, soweit es der Stolz des Vaters erlaubte.

Über die acht Jahre, die Kant auf dem Collegium Fridericianum verlebte, gibt es wenig historische Kunde, besonders wenn man sie daraufhin untersucht, ob sich schon bei dem jungen Kant eine Neigung zu philosophischem Denken nachweisen lässt. Diese Begabung, die noch völlig im Verborgenen lag, hat hier keinerlei Förderung erfahren. Vielmehr lernte er in dem Institut lediglich, was zur Allgemeinbildung der Zeit und zur Vorbereitung für die Universität nötig war. Dazu gehörte vor allem eine gründliche Kenntnis der Alten Sprachen, besonders der lateinischen. So ist es nicht verwunderlich, dass unter seinen Lehrern der klassische Philologe Heydenreich einen besonderen Einfluss auf ihn ausgeübt hat. Dieser Einfluss ging nicht nur von dem Sachwissen aus, sondern auch und vor allem von der Persönlichkeit des Lehrers, dessen geistvolle und geistig selbständige Interpretation der antiken Texte seine Schüler begeisterte.

Der Einfluss der antiken Autoren, besonders von Lukrez – «De rerum natura» –, auf den jungen Kant war so groß, dass er zusammen mit zwei anderen Schülern beschloss, Altphilologe zu werden. Der erste und letzte Schritt auf diesem Weg war die Latinisierung seines Namens: Kantius. Von diesen beiden Mitschülern hat einer das in der Jugend geplante Ziel erreicht, nämlich David Ruhnken, der später als Professor «Ruhnkenius» der klassischen Philologie an der Universität Leyden sich durch seine moderne Interpretation einen glänzenden Namen erwarb. Der andere, Johannes Cunde («Cundeus»), ist trotz hervorragender Talente als Rektor einer unbedeutenden Schule in Rastenburg durch mühevolle Verwaltungsarbeit aufgerieben worden und frühzeitig gestorben. Seinen Tod wie sein Schicksal hat Kant stets bedauert.

Kant verdankt dieser Schule vor allem seinen lateinischen Stil, wie in den Schriften seiner ersten Periode sichtbar ist. Seine Begeisterung für antike Autoren äußerte sich später darin, dass er noch im hohen Alter in der Lage war, lange Perioden ihrer Werke aus dem Gedächtnis vorzutragen. Mit der Fähigkeit, fehlerlos und sogar gewandt seine Gedanken lateinisch auszudrücken, hat Kant alles – aber auch nicht mehr – von diesem Bildungsinstitut erhalten, was für seine spätere akademische Laufbahn wichtig war.

Aus der Distanz vorgerückten Alters hat er sich über die pädagogischen Methoden des Collegiums besonders negativ geäußert und vor allem auf den religiösen Zwang hingewiesen, den seine Erzieher ausübten. Jeder Unterrichtstag an dieser pietistischen Pflanzstätte begann mit einer recht ausgedehnten gemeinsamen Andacht, jede Lehrstunde wurde mit einem Gebet eingeleitet und abgeschlossen, und auch außerhalb des Unterrichts wurden die Zöglinge zu religiösen Bekehrungen, Belehrungen und Besprechungen in der Schule herangezogen, ganz abgesehen von den Aufmunterungen zu häuslichen Gebetsübungen. Durch dieses Übermaß religiöser Andacht wurden die Schüler zu einer von ihnen selbst widerwillig ertragenen Heuchelei verleitet, sodass sich bei Kant eine Abneigung gegen das Gebet, selbst in seinen allgemeinsten Formen, ausbildete und er sich später mit Schrecken und Bangigkeit an diese Jugendsklaverei[3] erinnerte. Auch zu den sonntäglichen Kirchgängern hat er nie gezählt.

Universität

In demselben Jahr 1740, als Friedrich der Große den preußischen Thron bestieg, bezog der sechzehnjährige Kant die Königsberger Universität. Möglich war der Studienbeginn allerdings erst nach einer Aufnahmeprüfung, einem Abiturexamen vergleichbar, von dem Kant trotz seiner glänzenden Schulleistungen nicht befreit wurde und das nur Söhnen reicher Leute erlassen wurde, wenn sie auf die Vergünstigungen der Universität verzichteten. Der Wunsch seiner drei Jahre vorher verstorbenen Mutter war es gewesen, ihr Sohn möge die geistliche Laufbahn einschlagen, und Schultz war es, der später diese Absicht förderte.

Bereits zu dieser Zeit verließ Kant das elterliche Haus, wohnte gemeinsam mit seinem Freund Johann Heinrich Wlömer auf einer «Bude» und bestritt seinen Lebensunterhalt durch Privatstunden. Studentischen Auslassungen und fröhlichen Unternehmungen war Kant wenig zugetan, konnte es aus finanziellen Rücksichten auch wenig sein, sodass seine einzige Belustigung das Billardspiel war, das er mit seinen Freunden Wlömer und Heilsberg eifrig und so geschickt betrieb, dass Heilsberg sogar mit dem gewonnenen Geld einen französischen Sprachlehrer bezahlen konnte.

Ob der junge Kant jemals ernste Absichten zu einem Studium der Theologie und späterer Berufsausübung hatte, ist sehr zweifelhaft und umstritten, gewiss aber ist, dass diese Absicht nach kurzer Zeit aufgegeben wurde. Wenn auch die etwas forciert pietistische Erziehung ihm die Neigung zum Studium der Theologie genommen hatte, falls er sie je besaß, so hatte er doch keinerlei konkrete Vorstellungen über die Studienrichtung, die er an der Königsberger Universität einzuschlagen gedachte. Von Philosophie, die am Collegium Fridericianum als «ancilla theologiae» geachtet und auch missachtet worden war, ist in seinen Absichten zu dieser Zeit noch nichts zu verspüren.

Mit dem Beginn der Studienzeit aber setzte der junge Kant entschieden die Richtung fest, in der sein späteres Leben verlaufen sollte. Hier kam er zum ersten Male mit all jenen Wissensgebieten in nähere Berührung, die ihm auf der Schule verschlossen blieben: Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaft. Wieder, wie im Collegium Fridericianum, war es eine Persönlichkeit, deren Einfluss für Kant richtungweisend wurde. An der Königsberger Universität lehrte damals der außerordentliche Professor Martin Knutzen, der, ein Jahrzehnt älter als Kant, in jungen Jahren zu einer verheißungsvollen Karriere ansetzte. Sein Lebensweg weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kants auf; er führte ein zurückgezogenes, arbeitsreiches Gelehrtendasein und entfernte sich von seiner Vaterstadt Königsberg nicht weiter als auf einige Meilen. Gegensätzlich aber ist der kometenhafte Aufstieg, den Knutzen im Alter von 21 Jahren als außerordentlicher Professor für Logik und Metaphysik begann. Es lag nicht in den Grenzen seines Talents, sein Werk ruhig und stetig wachsen zu lassen. Äußere Widerstände verhinderten, dass er über die außerordentliche Professur hinauskam. Auch hat sein ungestümes Wesen seine Lebenskraft schnell aufgebraucht; er starb 1751 im Alter von 37 Jahren, hoch geachtet, vor allem aber maßlos bewundert von einer großen Schüler- und Anhängerzahl, zu der auch der junge Kant gehörte.

Von allen akademischen Lehrern Kants war Knutzens Einfluss am bedeutendsten. Wenn es das Bemühen von Schultz gewesen war, Pietismus und dogmatische Schule zum Ausgleich zu bringen, doch in religiös-pädagogischer Absicht, so bemühte sich Knutzen in seinen Vorlesungen ebenfalls darum, pietistische Elemente an die Schriften Christian Wolffs heranzutragen, doch stets so, dass die Philosophie eigenständig und beherrschend im Vordergrund stand, so etwa in der 1740 vorgelegten Schrift «Philosophischer Beweis von der Wahrheit der christlichen Religion». Durch Knutzen ist Kant auf die Schriften der Engländer, besonders auf die physikalischen Forschungen Isaac Newtons, hingewiesen worden. Der freundschaftliche Verkehr zwischen Lehrer und Schüler war so eng, dass es Kant erlaubt war, die Bibliothek seines Lehrers uneingeschränkt zu benutzen.

Einen derartig unmittelbar-persönlichen Kontakt hat Kant mit keinem seiner weiteren Lehrer gehabt, obgleich ihm wichtige Erkenntnisse der Physik von Professor Teske übermittelt wurden. Über naturwissenschaftliche Wissensdata hinaus aber verdankt Kant diesem akademischen Lehrer wenig. In den Jahren 1740 bis 1746 ist keine andere Wissenschaft in den Vordergrund seiner Studien gerückt, nicht klassische Philologie und auch nicht Theologie. Die Begeisterung für antike Autoren konnte auf der Universität nicht wissenschaftlich erweitert werden, da die Lehrer fehlten. Dagegen hat Kant die theologischen Vorlesungen seines ersten Förderers regelmäßig besucht, ohne dass sie jedoch die Richtung seiner eigenen Studien entscheidend beeinflusst haben.

Wichtig aber vor allem ist, dass Kant sich in diesen Jahren entschloss, den Weg eines wissenschaftlichen Lehrers zu gehen. Über die dazu notwendige ökonomische Grundlage verfügte er freilich nicht. Es konnte in seiner Studienzeit beispielsweise geschehen, dass sein einziger Rock Schaden nahm und Kant das Haus nicht verlassen konnte, bis der Schneider die Reparatur vorgenommen hatte.

Im Jahre 1746 starb sein Vater, von dem er bisher wenig finanzielle Hilfe erhalten hatte. Kant musste also den Weg nehmen, den die begabte Jugend vor und nach ihm eingeschlagen hat und den keine Geringeren als Schelling, Hegel, Fichte und Hölderlin gegangen sind: sich als Hauslehrer zu verdingen.

Ob Kant, als er 1746 die Universität verließ, seine Studien zu einem formellen Abschluss gebracht hat, ist ungewiss und auch nicht wahrscheinlich, da keine Examina überliefert sind. Dennoch gab er sich Rechenschaft über den Stand seiner Bildung, den er bis zum Jahre 1746 erreicht hatte, indem er seine erste, in deutscher Sprache abgefasste Abhandlung schrieb: Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (erschienen 1747). Die Arbeit greift ein großes, schwieriges und zu seiner Zeit noch ungeklärtes Thema der Philosophiegeschichte auf, eine der größten Spaltungen, die jetzo unter den Geometern in Europa herrscht[4], ohne doch durch ihren Vermittlungsvorschlag eine selbständige und überzeugende Lösung bereitzustellen. Der Versuch, zwischen Cartesianern und Leibnizianern einen Ausgleich zustande zu bringen, kann kaum mehr als ein Indiz dafür angesehen werden, dass sich der junge Kant bereits zu dieser Zeit nicht scheute, eine distanzierte und bedingt eigene Haltung gegenüber den damaligen größten philosophischen Autoritäten einzunehmen, und nicht wie das Vieh der Herde der Vorangehenden zu folgen[5], wie er unter Hinweis auf Seneca als seine Absicht formulierte. Im Übrigen war er noch nicht in der Lage, sich adäquat mit Leibniz und Descartes auseinanderzusetzen, sodass Lessing angemessen verfuhr, als er sein Urteil über die Arbeit in vier Zeilen komprimierte:

Kant unternimmt ein schwer Geschäfte,

der Welt zum Unterricht,

er schätzet die lebend’gen Kräfte,

nur seine schätzt er nicht.[6]

Hauslehrer

Neun Jahre – von 1746 bis 1755 – ist Kant als Hauslehrer bei drei verschiedenen Familien tätig gewesen, doch hat er es stets verstanden, seine Wahl so zu treffen, dass er die nähere Umgebung von Königsberg nicht verlassen musste. Zuerst, 1747 bis 1751, unterrichtete er drei Söhne des reformierten Geistlichen Daniel Andersch in Judtschen, einem Dorf zwischen Gumbinnen und Insterburg; sodann ab 1751 war er Hofmeister bei der Familie von Hülsen auf dem Gut Arensdorf bei Saalfeld und Mohrungen – das ist zugleich Herders Geburtsort –; zuletzt auf Schloss Rautenburg in der Tilsiter Niederung oder auf Capustigall bei Waldburg beim Grafen Keyserling, der den größten Teil des Jahres in Königsberg lebte. Dessen Frau, die gebildete Reichsgräfin Karoline Charlotte Amalie, geborene Truchseß zu Waldburg, war es hier wie später in Königsberg (wo Graf Keyserling ein glänzendes Haus hielt), die den Philosophen mit der feineren Lebensart vertraut machte. Dass diese Dame keine Provinzgröße war, beweist, dass sie zu den Mitgliedern der Königlichen Akademie der Künste in Berlin zählte. Von ihrer Hand stammt das früheste, 1755 entstandene Bildnis Kants.

Diese Jahre bilden die stillste Periode im Leben des Philosophen; Kant hat später (zu kritisch) geäußert, dass er als Pädagoge nicht sehr glücklich gewesen sei und dass es wohl kaum jemals einen schlechteren Hofmeister mit besseren Grundsätzen gegeben habe. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass er es in diesen Jahren verstanden hat, sich eine gesellschaftliche Bildung anzueignen und auch die Anerkennung der Familien zu gewinnen, deren Kinder ihm anvertraut waren, sodass ihm von Seiten der Zöglinge wie deren Eltern eine lebenslange Achtung und Anerkennung entgegengebracht wurde. Zudem hat der junge Hülsen später in Kants eigenem Haus als Zögling Quartier bezogen; derselbe Georg Friedrich von Hülsen, der zu den ersten Großgrundbesitzern in Preußen gehörte, die bereits vor den Reformen Steins und Hardenbergs die Leibeigenschaft aufhoben.

Auch darüber, wieweit diese Jahre sein Wissen vertieft, ihn mit den wichtigsten philosophischen Schriften seiner Zeit intensiver bekannt gemacht und seiner Absicht, nämlich der Habilitation, näher gebracht haben, gibt es keine konkreten historischen Hinweise. Nur mittelbar, wenn man seine Erstlingsschrift mit den Arbeiten, die nach seiner Tätigkeit als Hauslehrer entstanden, vergleicht, lässt sich ungefähr beurteilen, welchen denkerischen Weg die Entwicklung Kants in diesen Jahren zurückgelegt hat.

Privatdozent

Im Jahre 1755 gab Kant seine Hauslehrertätigkeit endgültig auf, um sich in Königsberg zu habilitieren. Mit einer lateinischen Abhandlung Über das Feuer promovierte er am 12. Juni; die Arbeit fand besonders die Zustimmung seines früheren Lehrers Teske, der sie nicht nur als Gutachter lobte, sondern freimütig eingestand, aus ihr reiche Belehrung geschöpft zu haben. Mit einer zweiten lateinischen Schrift über Die Grundprinzipien der metaphysischen Erkenntnis, die er am 27. September öffentlich verteidigte, wurde Kant Privatdozent für Philosophie an der Universität Königsberg. Da jedoch – gemäß einer königlichen Verordnung aus dem Jahre 1749 – niemand, der nicht dreimal über eine gedruckte Abhandlung disputiert hatte, für eine Professur vorgeschlagen werden konnte, erfüllte Kant auch diese letzte Bedingung für ein ordentliches Lehramt im April 1756 mit einer lateinischen Abhandlung Über die physische Monadologie.

Damit hatte er alles getan, was an ihm allein und in seinen Kräften lag, um auf dem akademischen Weg voranzukommen, und begann seine Vorlesungen, täglich von 7 bis 9 Uhr, aber oftmals bis zu zwanzig Stunden wöchentlich. Auch thematisch weit gespannt war der Bogen der Fächer, die er im akademischen Unterricht behandelte: Mathematik, Naturlehre, Anthropologie, physische Geographie, Logik, Metaphysik, Moralphilosophie, natürliche Theologie, bisweilen auch philosophische Enzyklopädie, Pädagogik, anfangs sogar Kritik der Gottesbeweise und mit nicht geringem Interesse auch Fortifikation und Pyrotechnik.

Wenig später bewarb er sich um die außerordentliche Professur für Mathematik und Philosophie, die sein Lehrer Knutzen innegehabt hatte, der bereits 1751 gestorben war. Die preußische Regierung hatte aber beschlossen, die außerordentlichen Professuren im gegebenen Zeitpunkt – ein Jahr vor Beginn des Siebenjährigen Krieges – bis auf Weiteres nicht zu besetzen. Zwei Jahre später, 1758, wurde die ordentliche Professur für Logik und Metaphysik frei, die trotz des Krieges besetzt werden musste. Schon zu dieser Zeit hatten die Russen die Provinz Preußen besetzt und im Januar ihren Einzug in Königsberg gehalten, sodass die gesamte militärische und zivile Verwaltung, damit auch die Besetzung der akademischen Ämter, in den Händen des russischen Generalleutnants Nikolaus von Korff lag. Kant bewarb sich um die vakante Stelle, unterstützt von seinem ersten Lehrer und Gönner Schultz, der ihn, bevor er ihm seine Protektion angedeihen ließ, feierlich zu einer Audienz mit der Frage empfing: «Fürchten Sie auch Gott von Herzen?»[7], um sich zu vergewissern, dass der junge Privatdozent der Philosophie noch nicht gar zu weit von der Theologie entfernt stehe. Aber ein Mitbewerber namens Johann Friedrich Buck, der schon länger als Kant Privatdozent war, wurde zum Professor berufen.

Nach der Thronbesteigung des Zaren Peter III. im Jahre 1762, als Russland vom Gegner zum Verbündeten Preußens wechselte und somit der Ausgang des Siebenjährigen Krieges für Friedrich II. günstiger geworden war, fand auch die preußische Regierung Zeit, sich kulturellen und akademischen Problemen zuzuwenden. In Berlin war eine Schrift Kants Über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral, die er auf die Preisfrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften verfasst hatte, mit dem zweiten Preis ausgezeichnet worden – hinter der Arbeit von Moses Mendelssohn. Auch der Ruf seiner Vorlesungen war bis nach Berlin gedrungen, sodass die Regierung der Provinz Preußen, die aus vier Etats-Ministern – dem Landhofmeister, dem Kanzler, dem Oberburggrafen und dem Obermarschall – bestand, beschlossen hatte, ihm die erste frei werdende Professur zuzusprechen.

Im Juli 1764 war es unglücklicherweise die Professur für Dichtkunst, die als nächste neu besetzt werden musste. Zwar geschah es damals recht oft, dass ein Gelehrter eine Professur, die ihm thematisch ferner lag, übernahm, da die Grenzen zwischen den einzelnen Wissenschaften noch nicht so starr wie heute gezogen waren und viele Gelehrte über die verschiedensten Gebiete dozierten. Doch Kant lehnte die Professur für Dichtkunst ab, nicht zuletzt deshalb, weil ihrem Inhaber die Aufgabe zufiel, alle jene Gelegenheitsgedichte zu verfassen, zu denen das akademische und öffentliche Leben reichlichen Anlass bot. Wie recht er tat, sich trotz dieser günstigen Situation zurückzuhalten, wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Aufgaben den neu berufenen Professor für Dichtkunst bereits erwarteten, bevor er sein Amt angetreten hatte. Denn der Freund Hamanns und Herders, Johann Gotthelf Lindner, Rektor in Riga, der schließlich die Professur übernahm, wurde, noch bevor er Königsberg erreicht hatte, dringend aufgefordert, als designierter «Professor Poeseos» das «Carmen» zu dem «Programma Festivum» (Weihnachtsfest) und zwei «Deutsche Carmina» für das Königliche Krönungsfest und den Geburtstag des Königs «mit erster Post einzuschicken».[8]

Obgleich Kant diese Professur ablehnte, hat sein Verhalten die preußische Regierung nicht verstimmt; vielmehr ließ der damalige Justizminister und Großkanzler von Fürst die preußische Provinzialregierung wissen, dass er den begabten Gelehrten weiter im Auge habe und gefördert sehen wolle: «Deß ungeachtet sind Wir nicht weniger gnädigst entschlossen, den Magister Immanuel Kant zum Nutzen und Aufnehmen der dortigen Akademie bei einer anderweitigen Gelegenheit zu placieren.»[9] Erst ein Jahr später (1765) fand sich eine Möglichkeit, Kant eine geringe, aber feste Besoldung zukommen zu lassen: Die keineswegs glänzende Stelle eines Unterbibliothekars an der Königlichen Schlossbibliothek wurde ihm zugesprochen. In dem Erlass des Königs, in dem von «dem geschickten und durch seine Schriften berühmt gemachten Magister Kant»[10] lobend die Rede ist, wird ihm das bescheidene Einkommen von jährlich 62 Talern zuerkannt. Es ist die erste feste Amtsstellung Kants; er war damals bereits 42 Jahre alt.

Schließlich aber vermochten widrige Umstände nicht länger, dem wachsenden Ruf des jungen Gelehrten äußerliche Anerkennung vorzuenthalten, vor allem deshalb nicht, weil man außerhalb Königsbergs auf ihn aufmerksam geworden war. Obwohl Kant sich niemals darüber beklagt hat und beklagen konnte, dass der Prophet wenig oder nichts in seinem Vaterlande gelte – Kant ist später in seiner Vaterstadt alle Ehre zuteil geworden –, waren es doch im Jahre 1769 eine Berufung nach Erlangen und wenig später eine nach Jena, die ihm zum ersten Male eine ordentliche Professur antrugen. Kant war im Begriff, dem Ruf nach Erlangen zu folgen; er hatte auf eine vorläufige Anfrage bereits zusagend geantwortet, als sich in letzter Minute in Königsberg eine Situation abzeichnete, die seinen Wünschen entsprach. Im März 1770 wurde die Professur für Mathematik vakant, die Buck, der vor Kant die Professur für Logik und Metaphysik erhalten hatte, zu übernehmen bereit war, sodass Kant die Professur seiner eigensten Fächer, nämlich die der Logik und Metaphysik, übertragen wurde. Es war die Stelle, um die sich er, der fünfzehn Jahre lang Privatdozent bleiben musste, zwölf Jahre vorher vergeblich bemüht hatte.

Gemäß den Satzungen der Königsberger Universität war Kant gehalten, seine Professur mit einer lateinischen Dissertation anzutreten, die öffentlich verteidigt werden musste. Er entledigte sich dieser Aufgabe mit einer Arbeit, die ihn bereits auf dem Weg zu seiner eigenen philosophischen Position zeigt: Über Form und Prinzipien der sinnlichen und intelligiblen Welt. In der öffentlichen Disputation war sein Responsent Markus Hertz, der Mann, der zusammen mit seiner genialisch-geistreichen Frau, der berühmten Henriette Hertz, im wissenschaftlichen und literarischen Leben Berlins später eine große Rolle spielte. Ebenfalls ist es der Mann, dem Kant auch später, als sich ihre Lebenswege trennten, eine freundschaftliche Neigung bewahrte, die sich in zahlreichen Briefen äußerte. Nur dadurch, dass Hertz mit Kant auf akademischer Basis in dem Augenblick zusammentraf, als der Philosoph seine eigene, eigenste denkerische Arbeit begann, ist es erklärlich, dass Kant dem fern von Königsberg in Berlin weilenden Hertz über die (noch zu schildernden) Schwierigkeiten und Hoffnungen berichtete, die ihm die große kritische Arbeit bereiten sollte, deren Ausgangspunkt die Dissertation von 1770 ist.

Das Jahr 1770 war deshalb in zweifacher Hinsicht ein Einschnitt im Leben Kants. Als akademischer Lehrer hatte er mit der ordentlichen Professur die höchste Stufe erreicht. In diesem Jahr war seine äußere berufliche Karriere abgeschlossen; in diesem Jahr, im Alter von 46 Jahren, stand er aber auch und erst an der Schwelle eigener denkerischer Leistung, die ihn nach zehn Jahren intensiver, aufreibender Arbeit zur Kritik der reinen Vernunft führen sollte.

Professor

Nun, da Kant die ordentliche Professur erreicht hatte, war sein akademischer Ehrgeiz erfüllt. Um sich ganz auf das Lehramt zu konzentrieren, gab er im Jahre 1772 seine Tätigkeit an der Schlossbibliothek auf, weil sie seine Arbeit als Professor zudem zeitlich stark belastete. Lediglich in der Fakultät rückte er auf, gemäß seinem Alter, aber nicht schneller. In der Königsberger philosophischen Fakultät waren die ersten vier Mitglieder zugleich im akademischen Senat vertreten, in den Kant 1780 eintrat, als er die vierte Stelle der Fakultät erreicht hatte.

Im Sommer 1786 fiel ihm zum ersten Male das Rektorat der Universität zu; in seiner Amtszeit hatte er die Aufgabe, im Namen der Albertina dem soeben gekrönten König Friedrich Wilhelm II. die Huldigung der Universität darzubringen, als der Monarch Königsberg besuchte. Der Kabinettsminister Graf von Herzberg, der den König als Huldigungskommissar begleitete, versäumte nicht, bei dieser Gelegenheit den Philosophen besonders auszuzeichnen, ohne dass dieser sich in irgendeiner Weise – das ist bestätigt – danach gedrängt hätte. Ebenfalls in diesem Jahre erfuhr das Gehalt Kants eine große, ungewöhnliche Aufbesserung von 220 Talern auf 620 Taler jährlich, eine Zulage, die Kant zugesprochen erhielt, ohne dass er darum nachgesucht hatte. Im Sommer 1788 wurde er zum zweiten Male Rektor, vier Jahre später Senior der philosophischen Fakultät sowie der gesamten Akademie.

Kants Tätigkeit als akademischer Lehrer aber hat in dem Augenblick, da er zum ordentlichen Professor berufen wurde, keine entscheidende Veränderung erfahren, einfach deshalb nicht, weil er seine akademischen Gepflogenheiten sowie die Gestaltung seines Tagesablaufs unverändert beibehielt. Nicht nur seine akademische Ordnung unterlag einer strengen Einteilung, auch sein ganzes Leben wurde einem genauen Tagesrhythmus unterworfen, der keinerlei Abwandlung zuließ. Jeder Arbeitstag dieses Mannes, der mit seinen Kräften haushielt und haushalten musste, war ihm und seinen Absichten so genau angepasst, dass der Erfolg diese Ordnung bestätigte, die nur dem nicht tyrannisch erscheinen konnte, der sie sich selbst gesetzt hatte.