Imperator 2 - Frank W. Haubold - E-Book

Imperator 2 E-Book

Frank W. Haubold

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Nachdem Railan Cortez den "ewigen" Kaiser im Zweikampf besiegt und den Thron bestiegen hat, muss er alle Kräfte bündeln, um sich den Plänen der Maschinenintelligenzen entgegenzustellen. Diese verfolgen nicht nur den verlorenen "Gott" mit einer speziell konstruierten Waffe, sondern haben auch eine mächtige Flotte aufgestellt, um die mit der Menschheit verbündeten Angels aufzuspüren und zu vernichten. Als ein Zeitschiff aus einer möglichen Zukunft zurückkehrt, in der bereits zahlreiche Galaxien von einer unbekannten Macht ausgelöscht wurden, begreifen die Menschen und ihre Verbündeten, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt. Sie beschließen eine Mission zur alten Erde, um das Übel an der Wurzel zu packen, aber für biologische Wesen sind Zeitreisen tödlich…

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

IMPERATORBuch IIDie Offenbarung

Was zuvor geschah …

1 An Bord der Amesha

2 Der Krieger

3 Schattenspiele

4 Verbündete

5 Das Treffen

6 Sternenfeuer

7 Terror

8 Jäger und Gejagte

9 Sarkophag

10 Planspiele

11 Ein Wiedersehen

12 Eine Spur

13 Einsichten

14 Mountain Hall

15 Dünnes Eis

16 Lara und Morgana

17 Nachricht von fern

18 Der Einsatz

19 Die Verwandlung

20 Konfrontation

21 Ohnmacht

22 Gegenschlag

23 Auf verlorenem Posten

24 Die dunkle Seite

25 Vor dem Sturm

26 Rückkehr nach Duino

27 Feuertanz

28 Ein verlockendes Angebot

29 Eine Botschaft

30 Verwirrspiele

31 Abschied von Mountain Hall

32 Countdown

33 Bange Erwartungen

34 Ein letzter Versuch

35 Die Entscheidung

36 Auslöschung

37 Noch ein Abschied

38 Die letzte Prüfung

Epilog

Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Juni 2025 Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-981-3 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

IMPERATORBuch IIDie Offenbarung

Was zuvor geschah …

Nach einer verhängnisvollen Liebesaffäre findet der junge Railan Cortez Zuflucht auf dem Klosterplaneten Agion Oros. Doch er wird verfolgt und um ein Haar Opfer einer Entführung, die einen der Patres das Leben kostet. Railan schwört den Tätern Rache und wird auf einem Sichelschiff der Sikhaner, der legendären Amesha, zum Kämpfer ausgebildet.

Das Schiff verfolgt und stellt die Raumpiraten und Railan tötet den Anführer im Zweikampf. Da seine Schnittwunden über Nacht heilen, wird ihm klar, dass seine Herkunft nicht rein menschlich sein kann. Außerdem verdichten sich die Hinweise, dass er dazu bestimmt ist, eine tödliche Gefahr für die Menschheit abzuwenden.

Zusammen mit seinem virtuellen Mentor Admiral Okura, der sein Leben dem Kampf gegen die Maschinengötter gewidmet hat, folgen sie Hinweisen auf den Planeten Neu-Golea. Dort finden sie eine verlassene Basis der Maschinengötter, die offenbar der Ausrüstung einer neuen Flotte diente. Es kommt zum virtuellen Kontakt mit einer Persönlichkeit, die sich »Administrator« nennt und anscheinend die Aktivitäten der Maschinengötter koordiniert. Der Administrator macht keinen Hehl aus seinem Vorhaben, demnächst die Angels, Verbündete der Menschen, anzugreifen und zu vernichten. Im letzten Augenblick erkennt Railan, dass ihnen eine Falle gestellt wurde, und aktiviert den Notstart, bevor der Planet explodiert.

Von Admiral Okura erhält Railan den Auftrag, sich auf Terra, der alten Erde, mit einer Person zu treffen, die mehr über die ihm zugedachte Mission weiß. Doch Terra erweist sich nur als Zwischenstation, denn die eigentliche Begegnung findet auf Kastell Duino statt, einem geheimnisvollen Ort jenseits von Zeit und Raum.

Auf Schloss Duino materialisiert sich nicht nur sein Begleiter, den Railan »Meister« nennt, sondern auch eine Kommunikationseinheit der Angels namens Armaros. Von ihr erfährt Railan, dass die eigentliche Gefahr von einer übergeordneten Instanz ausgeht, die die Evolution der künstlichen Intelligenzen als eine Art Infektion ansieht, die eingedämmt werden muss, selbst um den Preis der Vernichtung des gesamten Universums. Um diesen Schritt zu verhindern, müssen nicht nur die Maschinengötter unschädlich gemacht werden, Railan muss auch den Nachweis führen, dass von seiner hybriden Existenz keine Gefahr ausgeht.

Als sich Railan darüber mit dem »Meister« ausspricht, offenbart ihm dieser seine Identität als ehemaliger Hüter im Auftrag ebenjener übergeordneten Instanz. Einst waren sowohl die Angels als auch ihre Gegenspieler Schüler des Hüters, bis er sich von ihnen trennte und Menschengestalt annahm, um die Hintergründe der Maschinenevolution herauszufinden. Inzwischen ist ihm jedoch die Rückkehr in seine einstige Position verwehrt.

Sie kehren nach Terra zurück und auf der Fahrt zum Raumhafen wird Railan Zeuge eines Raketenangriffs, dessen Ziel offenbar ihr Treffpunkt oder der »Meister« selbst war.

Nach einem Schicksalsschlag, dem Tod seiner Geliebten, fällt es Jemed, dem Langzeitherrscher des Kaiserreichs, zunehmend schwer, die Amtsgeschäfte weiterzuführen. Von Vera, einer Vertreterin loyaler künstlicher Intelligenzen, erhält er das überraschende Angebot, seine tote Geliebte an einem jenseitsähnlichen Ort wiederzutreffen, wenn er sich einem Zweikampf mit Railan Cortez um die Herrschaft im Reich stellt.

Jemed gewährt Railan eine Audienz, um ihn und seine Absichten kennenzulernen, und willigt schließlich in den Kampf ein. Obwohl er den Kampf dominiert, wird er durch eine vermeintliche Unachtsamkeit tödlich getroffen und Railan wird zum Herrscher gekrönt. In seiner Thronrede kündigt er einen Feldzug gegen die Maschinengötter an, deren Flotte sich bereits zum Angriff auf die Angels formiert hat. Unterstützt von Admiral Okura, schmiedet er ein Bündnis mit den Sikhanern, die sich ebenfalls an dem Feldzug beteiligen werden.

Unterdessen erhalten die Patres von Agion Oros Besuch aus der Zukunft mit einer alarmierenden Nachricht: Fern der bewohnten Welten löscht eine unbekannte Macht ganze Galaxien aus …

1 An Bord der Amesha

Der Anblick der kaiserlichen Flotte, die sich Railans Anweisungen gemäß keilförmig hinter der Amesha formiert hatte, war beeindruckend. Nur wenige Schiffe erreichten auch nur annähernd die Größe des Flaggschiffs, aber allein ihre Vielzahl und das Meer der Positionslichter, vor dem die Sterne verblassten, ließen das Herz des jungen Kaisers höherschlagen.

Obwohl er nur ein paar Tage abwesend gewesen war, empfand er seine Rückkunft an Bord der Amesha wie eine Heimkehr. Hier war er zu Hause, nicht in den prunkvollen Gemächern des Kaiserpalastes von Mountain Hall.

Nachdem er Burgur beauftragt hatte, Sergeant Latimer ein Quartier zuzuweisen, zog er sich auf seine Kabine zurück. Was er jetzt brauchte, waren ein paar Stunden der Besinnung, bevor er die nächsten Schritte plante.

Doch kaum hatte er sein Terminal aktiviert, um das Schiff anzuweisen, ihn nur im Notfall zu stören, meldete es eine dringende Botschaft des Admirals. Allein die Bezeichnung »Botschaft« anstelle von »Nachricht« war ungewöhnlich und so öffnete Railan die Datei mit einem unguten Gefühl.

Auf den ersten Blick wirkte der Admiral kaum verändert. Er hatte seinen üblichen Platz auf der Brücke eingenommen und sprach wie stets deutlich und prägnant. Doch etwas war anders und nach einer Weile wurde Railan auch klar, was es war. Obwohl die goldene Maske jede Gefühlsregung verbarg, lag etwas in seiner Haltung und im Klang seiner Stimme, das vorher nicht da gewesen war: eine tiefe, beinahe heitere Gelassenheit, als wäre eine Last von ihm abgefallen.

Wenn du diese Nachricht erhältst, Railan, werde ich nicht mehr hier sein. Ich habe das Schiff angewiesen, mein künstliches Bewusstsein zu löschen und alle Zugriffsrechte auf dich zu übertragen. Bis zuletzt habe ich diesen Schritt hinausgeschoben, sosehr ich mich auch nach dem Land meiner Väter sehnte. Zu viel war noch zu erledigen und auf jede bestandene Herausforderung folgte eine neue. So ist es auch jetzt, dennoch gehe ich reinen Gewissens, denn du kannst und wirst sie auch ohne mich bestehen. Daran habe ich keinerlei Zweifel.

Sicher glaubst du jetzt, dass du meinen Rat vermissen wirst, oder gar, dass ich dich im Stich gelassen habe, aber dem ist nicht so. Lara ist eine bessere Ratgeberin, als ich es je sein könnte, und was ich ihr an militärischer Erfahrung voraushabe, weiß das Schiff, dass jedes Manöver analysiert und gespeichert hat.

Ich würde gern dabei zusehen, wie du die Pseudogötter demütigst und aus der Geschichte tilgst, aber das wird leider nicht möglich sein. Es gibt keine Verbindung zwischen dem Land der Väter und dem Hier und Jetzt, zumindest keine gegenständliche. Die einzigen Bänder zwischen den Heutigen und jenen, die waren, sind Liebe und Achtung, und ich bin überzeugt, dass wir auf dieser Ebene weiter miteinander verbunden sind.

Es gibt für alles eine Zeit und die Zeit der Heimkehr war für mich längst überfällig. Aber ich gehe in der Gewissheit, dass du das Begonnene zu Ende führen wirst. In deiner Kabine wirst du meine goldene Maske finden. Sie ist mehr als ein sikhanisches Statussymbol, obwohl sie dir auch in dieser Hinsicht nützlich sein kann. Sie gehört dir jetzt und du solltest sie tragen, bis du deine Mission vollendet hast und in ein normales Leben zurückkehren kannst.

Commander Railan Cortez, Ich bin stolz, dass ich dich auf einem Teil deines Weges begleiten durfte. Den Rest musst du allein schaffen. Viel Glück dabei und lebe wohl!

Obwohl Railan gewusst hatte, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, war er wie vor den Kopf geschlagen. Es war nicht nur die Enttäuschung darüber, dass der Admiral sich nicht persönlich verabschiedet hatte, nein, er fühlte sich tatsächlich im Stich gelassen, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem wichtige Entscheidungen anstanden. Der Admiral hatte zwar recht, wenn er argumentierte, das wäre so gut wie immer der Fall, trotzdem waren wichtige Fragen offen wie die Einbindung der sikhanischen Streitkräfte oder die Einberufung eines Krisentreffens auf Agion Oros, wie es von den Orfaniern gefordert wurde. Das alles musste organisiert und abgestimmt werden, und zwar, bevor das Militär unruhig wurde. Und jetzt hatte sich der Einzige, der in alles eingeweiht war, aus dem Staub gemacht und ihn mit den Problemen alleingelassen.

Und Lara?, wies er sich selbst zurecht. Vertraust du ihr etwa weniger?

Der Einwand war berechtigt, denn natürlich vertraute er Lara, auch wenn sie kam und ging, wie sie wollte. Aber würde sie da sein, wenn er eine Entscheidung treffen musste? Der Admiral war dagegen so gut wie immer ansprechbar gewesen …

Aber geschehen war geschehen und er musste sich mit der Situation abfinden, so schwer es ihm auch fiel.

Also zwang er sich, eine Kleinigkeit zu Abend zu essen, und wies das Schiff an, ihn mit weiteren Nachrichten zu verschonen, sofern sie nicht dringlich waren. In der Badezelle fand er wie angekündigt die goldene Maske des Admirals. Sie glänzte und roch wie neu; offenbar hatte Okura sie aufarbeiten lassen. Railan widerstand der Versuchung, sie aufzusetzen. Zweifellos würde sie wie die anderen zuvor wie angegossen passen.

An Bord der Amesha würde er sie tragen, denn es war ein Sikhanerschiff und er der Kommandant. Bei Besprechungen musste er das von Fall zu Fall entscheiden, denn natürlich war er gleichzeitig auch Kaiser und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Aber das war im Moment ein nachgeordnetes Problem.

Trotz aller Aufregungen und Sorgen schlief Railan recht schnell ein, was sicher den Anstrengungen des Tages geschuldet war, und als er gegen Morgen von einer Berührung wach wurde, war er nicht mehr allein.

Beglückt spürte er, wie Lara sich an ihn drängte, als hätte sie ihn genauso vermisst wie er sie. Warm und unwiderstehlich rollte die Woge des Begehrens heran, hob sie empor und ließ sie einander finden und eins werden, als wären sie nie voneinander getrennt gewesen, bis Railan mit einem erlösten Aufschrei in ihr versank.

»Du kannst es ja noch«, bemerkte Lara trocken, als sie wieder zu Atem gekommen waren. »Ich dachte, als Kaiser müsstest du dich höheren Dingen widmen.«

»Die tieferen haben auch ihre Vorzüge«, erwiderte er mit einem Grinsen, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich brauche deine Hilfe.«

»Was, schon wieder?«, erwiderte sie amüsiert. »Glaube ich nicht.«

»Nein, im Ernst.«

»Also Staatsgeschäfte.« Sie seufzte demonstrativ. »Worum geht’s?«

»Ich weiß nicht, wie ich weitermachen soll. Der Admiral ist nicht mehr da und das Militär wartet auf Anweisungen. Aber ich kann die Flotte nicht einfach losschicken, ohne Verbündete und einen wirklichen Plan.«

»Die Sikhaner schicken alle Einheiten, die sie entbehren können. Das hat der Admiral noch geregelt. Das Schiff weiß Bescheid, auch über den Treffpunkt.«

»Dann haben wir eine größere Flotte und immer noch keinen Plan, und außerdem steht das Treffen auf Agion Oros an, das organisiert werden muss, und zwar möglichst schnell.«

»Das wirst du allein kaum schaffen, aber ich bin überzeugt, dass die Patres und diese komischen Seherinnen ihr Bestes tun werden.«

»Du weißt von den Nornen?«, fragte er überrascht.

»Natürlich. Was glaubst du, von wem Jemed seine Informationen bezogen hat über das, was jenseits der Reichsgrenzen vor sich ging?«

»Dann weißt du auch, wo sie herkommen und woher sie ihre Fähigkeiten haben?«

»Nein, aber ich weiß, dass sie seit Jahrhunderten ein Zuchtprogramm mit dem Ziel betreiben, ihre seherischen Fähigkeiten zu vervollkommnen.«

»Und wozu das alles?«

»Macht natürlich, kein Herrscher würde ihre Dienste ablehnen. Außerdem sehen sie sich auf der dunklen Seite der alten Mächte und versuchen, sich bei ihnen anzudienen. Wie weit ihre Beziehungen gehen, werden wir sehen.«

»Und was tun wir, wenn sie keinen Erfolg haben?«

»Dann müssen wir uns – zumindest vorerst – auf unsere eigenen Kräfte verlassen. Trotzdem sollte die Zusammenkunft unbedingt stattfinden, damit wir wissen, wo wir stehen.«

»Dann werde ich die Patres noch einmal kontaktieren und danach die Sikhaner informieren. Das Militär würde ich nur ungern vertrösten.«

»Das musst du auch nicht. Die Flotte kann genauso gut am Portal in Stellung gehen und eine unbemannte Aufklärungsmission starten. Solange wir nicht wissen, was auf der anderen Seite vor sich geht, würde ich ohnehin nicht übersetzen.«

»Und was ist mit dem Treffpunkt, an dem die Sikhaner zu uns stoßen sollen?«

»Der liegt auf der Strecke. Alles andere würde auch keinen Sinn ergeben.«

»Gut, dann sollte ich jetzt das Kommando zur Verlegung geben?«

»Nicht sofort. Sprich erst mit den Patres und warte, ob die Nornen sich melden. Dann ist immer noch Zeit.«

»Danke, jetzt weißt du auch, weshalb ich den Admiral vermisse. Früher war er es, bei dem ich mit solchen Fragen Rat gesucht habe.«

»Dafür hast du ja jetzt mich.«

»Nicht nur dafür, hoffe ich«, erwiderte Railan mit einem Lächeln und rückte etwas näher heran. Er wollte nicht weiter über die Mission reden und sehnte sich nach Laras Wärme.

»Ich dachte, das hättest du mitbekommen«, bemerkte sie mit leisem Spott. »Oder war das eine Aufforderung?« Ihre Hand glitt an seinem Körper abwärts und fand, was sie gesucht hatte. »Fühlt sich fast so an.«

»Wieso fast?«, knurrte er und beugte sich über sie.

»Weil immer Platz nach oben ist … Aua, du tust mir weh!«

Aber das war natürlich nicht ernst gemeint. Dazu hatte sie sich ihm zu bereitwillig geöffnet. Das Karussell hatte Fahrt aufgenommen und riss ihn mit sich in einem Taumel aus Verlangen, Wildheit und Gier, der ihn alles um sich herum vergessen ließ. Sie blühten auf und vergingen, und als es endete, fing die Dunkelheit Railan auf wie ein stilles nächtliches Meer.

Er erwachte spät, aber es gab ohnehin keinen Termin, den er hätte verpassen können. Er war der Kommandant, auch an den Gedanken musste er sich erst gewöhnen, und niemandem rechenschaftspflichtig.

Nach dem Frühstück legte Railan eine neutrale Uniform und die goldene Maske an und machte sich auf den Weg zur Zentrale. Gleich an der Tür stieß er auf Sergeant Latimer, die in voller Montur auf ihn gewartet hatte.

»Guten Morgen, Sergeant! Ich glaube zwar nicht, dass mir hier auf dem Schiff Gefahr droht, aber Sie können mich natürlich gern begleiten.«

»Darin liegt meine Aufgabe«, erwiderte sie förmlich, schien aber dennoch erleichtert, dass er sie nicht wegschickte.

Obwohl er nichts anderes erwartet hatte, tat es weh, den verwaisten Sessel hinter dem Kommandeurspult zu sehen. Dass es fortan sein Platz war, war etwas, an das er sich erst gewöhnen musste.

»Soll ich draußen warten, Commander?«

»Nein, etwas menschliche Gesellschaft kann nicht schaden. Allerdings ist alles, was Sie hier sehen oder hören, nicht für Dritte bestimmt.«

»Das versteht sich von selbst, Commander«, erwiderte Latimer pikiert.

»Gut, dann setzen Sie sich irgendwohin. Es ist ja genügend Platz … Schiff, erbitte Statusbericht!«

»Alle Systeme sind einsatzbereit, Commander«, meldete sich umgehend die unpersönliche Stimme der Schiffsintelligenz. »Fernortung aktiv, Hauptreaktor mit Minimallast, Triebwerke im Stand-by.«

»Gut. Können wir eine Engstrahlverbindung nach Agion Oros aufbauen?«

»Negativ, Commander, aufgrund der Entfernung wäre die Streuung zu groß, zumal die Zielstation die erforderliche Sendeleistung nicht bereitstellen kann. Ich empfehle verschlüsselte Dirac-Kommunikation.«

»Die jedermann abhören kann«, wandte Railan ein. »Ist überhaupt ein Verschlüsselungsalgorithmus mit den Patres vereinbart?«

»Selbstverständlich, Commander. Die Sicherheit einer achtfachen kryptografischen Verschlüsselung liegt bei minimal 99 Prozent.«

»Aber das eine Prozent Unsicherheit könnte uns umbringen oder wahrscheinlicher die armen Patres.«

»Das Risiko wäre bei einer zu breit gefächerten Engstrahlverbindung kaum geringer, Commander.« Die Schiffsintelligenz hatte sich festgelegt und ließ ihm nur die Wahl, ihrem Vorschlag zuzustimmen oder auf eine Verbindung zu verzichten.

»Also gut«, seufzte Railan. »Dann sende eine Dirac-Anfrage und bitte um ein Gespräch mit Pater Marius.«

»Zu Befehl, Commander.«

Es verging einige Zeit, was nichts mit der Entfernung zu tun hatte, sondern vermutlich damit, dass Pater Marius erst gerufen werden musste, dann drang die vertraute Stimme des Paters aus den Lautsprechern. Die Dirac-Pakete waren zu klein, um Videosignale zu übertragen, deshalb gab es nur eine Audioverbindung.

»Ich freue mich, von dir zu hören, Railan. Muss ich dich jetzt mit ›Eure Hoheit‹ ansprechen?«

»Natürlich nicht, Pater. Aber ich würde dich nicht behelligen, wenn es nicht dringend wäre.«

»Du meinst sicher das Treffen, das die Orfanier angeregt haben. Dafür gibt es noch keinen festen Termin. Mit den Sikhanern ist vereinbart, dass ihre Delegation auf Abruf bereitsteht. Zu den Angels gibt es, wie du sicher weißt, keine direkte Verbindung. Wir können nur hoffen, dass unsere Bitte erhört wird. Wenn es wirklich so dringend ist, werde ich selbst noch einmal zur Portiuncula hinaufgehen und um ihr Erscheinen zum festgesetzten Termin bitten. Andere Möglichkeiten haben wir nicht.«

»Dann hast du vermutlich auch noch nichts von den Seherinnen gehört, die man Nornen nennt?«

»Nein, ganz sicher nicht.« Zum ersten Mal klang die Stimme des Paters reserviert. »Sie gehören auch nicht zu jenen, die wir um Rat oder Hilfe fragen.«

»Ich verstehe«, erwiderte Railan nun auch etwas förmlicher. »Nur glaube ich nicht, dass wir in einer Position sind, uns die Verbündeten auszusuchen. Also lege ich hiermit den Termin auf heute in drei Standardtagen um 14:00 Uhr terranischer Zeit in der Portiuncula genannten Abtei fest. Die Nornen werde ich selbst informieren.«

»Du bist hart geworden in der Ferne, Railan.« Es klang nicht wie ein Vorwurf. »Und ich weiß nicht, ob ich mich um uns aller willen darüber freuen oder mir den Jungen von damals zurückwünschen soll. Aber selbstverständlich werde ich deinen Wunsch weiterleiten, so gut ich kann.«

»Danke, Pater, und mach dir keine Sorgen um den Jungen von damals. Er ist nicht verloren gegangen, sondern wartet nur auf bessere Zeiten wie wir alle. Wir sehen uns zum Termin. Bis dann!«

»Bis später, mein Junge, und Gott schütze dich!«

Dann war die Verbindung getrennt.

Railan war durchaus klar, dass mit der Anordnung nichts gewonnen hatte. Aber er konnte auch nicht warten, bis sich die Angels und ihre Widersacher zu einer Reaktion bequemten. Nachdem er die Patres unter Druck gesetzt hatte, waren jetzt die Nornen an der Reihe. Nur, dass die nicht auf direktem Wege erreichbar waren.

»Darf ich Sie etwas fragen, Commander?«, unterbrach die Leibwächterin seine Gedankengänge.

»Ja, natürlich, nur zu.«

»Sie kennen ihn wohl sehr gut, diesen Pater?«

»Ich kann nicht in ihn hineinschauen, aber ja, ich kenne ihn gut. Immerhin habe ich einige Monate auf Agion Oros verbracht und er war stets für mich da.«

»Ach so.« Sie nickte eine Spur verlegen, fragte aber nicht weiter nach.

»Sie sind doch nicht etwa neugierig, Sergeant Latimer?«

»Entschuldigung, Commander, kommt nicht mehr vor.«

»Nein, nein, fragen Sie nur, wenn Sie etwas nicht verstehen. Wenn es mich stört, lasse ich es Sie schon wissen.«

»Danke, Commander.«

»Schon gut … Schiff, verbinde mich mit der Palastwache, Major Latimer … Keine Sorge«, setzte er hinzu, als er Latimers erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte. »Ich habe nicht vor, Sie zu verpetzen.«

»Major Latimer hier«, meldete sich im nächsten Moment die Kommandantin über Videocom. Ihre Miene verriet weder Überraschung noch Besorgnis.

»Sie müssen etwas für mich erledigen, Major. Nehmen Sie ein ordentlich bewaffnetes Schiff und statten Sie damit den Nornen einen Besuch ab. Sagen Sie ihnen, dass ich eine Rückantwort erwarte. Der Termin, um den es ginge, wäre in drei Standardtagen. Jagen Sie ihnen ruhig ein wenig Angst ein, möglichst, ohne jemanden zu erschießen.«

Beim Nachsatz huschte dann doch ein Lächeln über die stoische Miene der Kommandantin, aber sie blieb ernst.

»Zu Befehl, Hoheit. Ich werde das umgehend veranlassen.«

»Sehr gut, und wie läuft es sonst? Kommt Josefson zurecht oder plant schon jemand eine Palastrevolution?«

»Über Planungen ist mir nichts zu Ohren gekommen, Hoheit, aber ich kann Ihnen versichern, dass nichts dergleichen geschehen wird.«

»Das wollte ich hören, Major. Behalten Sie den Intrigantenstadel im Auge. Das war’s für diesmal, oder soll ich Sergeant Latimer noch von Ihnen grüßen?«

»Bringen Sie sie heil zurück!«, schnappte die Kommandantin erbost. »Das genügt mir vollkommen.«

»Ich versuche es, Major, dann bis später!«

»Over and out.«

Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte sich Railan zurück und wartete auf einen Kommentar.

»Es macht Ihnen Spaß, Commander, sie auf die Schippe zu nehmen, oder?« Es klang eher amüsiert als verärgert.

»Ja, zumal sie es mir am Anfang alles andere als leicht gemacht hat. Und Spaß werden wir in nächster Zeit nicht mehr viel haben … Schiff, wie lange brauchen wir mit Maximalgeschwindigkeit bis Agion Oros?«

»Unter Höchstlast 16 Stunden und 30 Minuten, bei Schonung der Aggregate und Treibstoffvorräte 34 Stunden.«

»Dann warten wir bis morgen Abend mit dem Ablegen. Bis dahin ist noch einiges zu erledigen. Kommen Sie, Sergeant, für heute sind wir hier fertig.«

»Zu Befehl, Commander.«

Von jetzt an lief die Zeit …

2 Der Krieger

Es war einer jener seltenen Tage, an denen die allgegenwärtige Wolkendecke aufriss und den Blick auf einen fast unwirklich blauen Himmel freigab.

Entsprechend früh war Farin Marsini aufgestanden, um die wenigen Sonnenstunden, die die Wettervorschau verhieß, voll auszunutzen. Obwohl das Dach seines Domizils – einer abenteuerlichen Mischung aus Zelt und Holzhütte – einigermaßen dicht war, hatte die anhaltend hohe Luftfeuchtigkeit der Wintermonate ihre Spuren hinterlassen. Kleidung und Wäschestücke fühlten sich gleichermaßen klamm an, und selbst das Holz seiner Bettstatt und der wenigen Möbel schien von Feuchtigkeit durchdrungen.

Also hatte Farin alles, was er an Habseligkeiten besaß, nach draußen geschleppt und auf dem schmalen Felsplateau, das ihm die Terrasse ersetzte, zum Trocknen ausgelegt. Jetzt, da die Arbeit getan war, hatte er wieder seinen Stammplatz vor der Zelthütte eingenommen und ließ seinen Blick träge über die Wipfel des Lorbeerwaldes schweifen, aus dem sich sein Felsen erhob wie eine Insel im weiten Ozean. Überall stieg Dampf auf wie feiner weißer Rauch von einem unsichtbaren Feuer.

Der alte Mann genoss den Ausblick, die Wärme der Sonnenstrahlen und den sanften Wind, der seiner Haut schmeichelte. Und wie manchmal an solchen Tagen überkam ihn das ketzerische Verlangen, die Maske abzunehmen, um die Sonne direkt auf dem Gesicht zu spüren, und sei es auch nur für einen kurzen Moment. Das war natürlich keine ernsthafte Erwägung, denn abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit – die versiegelten Verschlüsse konnte nur ein Maskenmeister lösen – wäre das ein Sakrileg, das ihn für immer entehren und aus der Gemeinschaft ausschließen würde. Angesichts seines nun schon einige Jahre andauernden Einsiedlerdaseins schien das zwar keine sonderlich dramatische Konsequenz zu sein, allerdings nur bei extrem kurzsichtiger Betrachtungsweise. Viel wichtiger als das Urteil der Mitwelt war das der Väter, zu denen der alte Mann über kurz oder lang heimkehren würde. Und wie alle Sikhaner fürchtete er nichts mehr, als vor ihren Augen nicht zu bestehen.

Ohnehin plagten ihn manchmal Zweifel, ob sie seinen Rückzug aus dem aktiven Dienst gutheißen würden. Immerhin gehörte er zu den wenigen Offizieren, die der Hohe Rat in den Admiralsrang befördert und zum Ehrenmitglied ernannt hatte, und sein Wunsch nach Entbindung von seinen Pflichten war für viele überraschend gekommen. Dass man ihm überhaupt entsprochen hatte, war vermutlich eher seinen militärischen Verdiensten geschuldet und weniger dem Verständnis für seine Motive. Der Abschied von seinen Männern hatte wehgetan, auch wenn der junge Hanari ein durchaus kompetenter Nachfolger sein würde. Aber diesen Schmerz musste er tragen, so wie er ihn getragen hatte, wenn einer seiner Leute im Kampf gefallen war. Alles hatte seine Zeit, die Ausbildung, der Kampf und die Verantwortung für das Leben anderer. Jetzt, da die Pflicht getan war, konnte er sich anderen Dingen widmen, indem er seinen Geist schärfte so wie einst das Schwert für den ersten Zweikampf seiner Kadettenzeit.

Thalys Gren war der ideale Ort dafür – ein abgelegener Reservatsplanet, auf dem der Aufenthalt nur mit Sondergenehmigung und unter strengen Auflagen gestattet war. Schusswaffen waren ebenso verboten wie Motorfahrzeuge und Synthetisatoren, sodass Farin auf die primitiven Mittel seiner fernen Vorfahren zurückgreifen musste, um sich mit Nahrung zu versorgen. Mittlerweile war er ein passabler Bogenschütze, obwohl ihm die flinken Berghasen nach wie vor zumeist entwischten, und nach einigen Fehlschlägen war er auch als Fallensteller erfolgreich. An Pilzen und Waldfrüchten mangelte es ihm selten, nachdem er einige ergiebige Stellen ausgemacht hatte, nur mit dem Angeln wollte es nicht so recht klappen, obwohl er schon Dutzende von Ködern ausprobiert hatte. Alles in allem war Farin oft viele Stunden unterwegs, um die täglichen Mahlzeiten zu sichern, aber das empfand er mittlerweile als durchaus angenehm. Nachdenken konnte er auch unterwegs und außerdem tat ihm die körperliche Ausarbeitung gut. Seitdem er dieses Einsiedlerleben führte, gab es keine durchwachten Nächte mehr und auch keine Albträume von heranjagenden Geschossen, berstenden Schiffswänden und Sterbenden, die seinen Namen riefen. Farin schlief tief und traumlos, bis der Morgen aufdämmerte und er mit geschlossenen Augen noch einige Minuten den zwitschernden Vögeln lauschte, bevor er aufstand, um nach den Fallen zu sehen.

Trotz der Einsamkeit des Ortes empfand er keinerlei Langeweile. Es gab viel zu überdenken – Dinge, die er getan oder unterlassen hatte, militärische Operationen, an denen er selbst beteiligt gewesen war, und Ereignisse, die sich lange vor seiner Zeit zugetragen hatten. Sie erschienen ihm wie Elemente eines Puzzles, die darauf warteten, in der richtigen Ordnung zusammengesetzt zu werden. Ein Gefühl sagte ihm, dass es sie geben musste, diese Ordnung und damit auch das Bild, das dem Ganzen einen Sinn verlieh.

Noch hatte er nicht einmal den Schatten einer Ahnung, wie dieses Bild am Ende aussehen würde, aber das änderte nichts an seiner Entschlossenheit, weiter nach einem Muster zu suchen. Das würde zwar nichts ungeschehen machen und die Toten nicht wieder lebendig, aber wenigstens hätte er dann die Gewissheit, dass ihr Leben und Sterben nicht sinnlos gewesen war. Natürlich war sich Farin darüber im Klaren, wie vage diese Hoffnung war und wie anmaßend sein Anspruch, zum Wesen der Dinge vorzudringen – eine Aufgabe, an der schon klügere Köpfe als er gescheitert waren –, aber wenigstens den Versuch war es wert.

Auf Unterstützung durfte er nicht hoffen, zu tief war der fast schon an Fatalismus grenzende Pragmatismus in der sikhanischen Gesellschaft verankert. Wenn ein Feind auftauchte, fragte man nicht lange nach seiner Herkunft und seinen Motiven, sonst setzte sofort alles daran, ihn zu vernichten, bevor er Schaden anrichten konnte. Ähnliches galt für technische Innovationen und Geschäfte; versprachen sie ausreichend Gewinn, spielten moralische Skrupel eine untergeordnete Rolle. Das hatte sich als eine durchaus erfolgreiche Strategie erwiesen, zumindest steckte die Clangemeinschaft aktuell nicht in so existenziellen Schwierigkeiten wie die Föderation. Nur bedeutete das keinen Schutz vor zukünftigen Heimsuchungen und genau deshalb war Farins einsame Suche nach einem übergeordneten Muster kein Selbstzweck …

Der Admiral war stets ein Kritiker der isolationistischen Militärdoktrin gewesen, die sich auf die Sicherung der eigenen Hemisphäre beschränkte. Seiner Ansicht nach hätte der Zusammenbruch der Föderation verhindert werden können, wenn das Militär damals rechtzeitig und massiv in den Konflikt eingegriffen hätte. So aber hatte sich die offizielle Unterstützung auf eine Handvoll Kampfschiffe beschränkt, die den Einsatz nur dank der Feuerkraft der legendären Amesha einigermaßen unbeschadet überstanden hatten. Das »Geisterschiff«, wie die Rückkehrer es nannten, war seither verschollen und galt offiziell als vermisst. Das war lange her, aber die Haltung des Militärs hatte sich inzwischen kaum verändert. Wahrscheinlich würde sich auch heute keine Mehrheit für einen Großeinsatz jenseits der eigenen Siedlungsgebiete finden.

Ein heftiger Knall, beinahe ein Donnerschlag, ließ Farin zusammenfahren. Als erfahrener Soldat wusste er sofort, womit er es zu tun hatte. Ein Flugobjekt, vermutlich ein Shuttle, hatte die Schallmauer durchbrochen und setzte zur Landung an. In einem ersten Impuls wollte er sich zur Flucht wenden, aber dann wurde ihm klar, dass es nicht um einen feindlichen Angriff handeln konnte. Thalys Gren lag zwar abseits der bewohnten Systeme, aber dennoch tief in sikhanischem Herrschaftsgebiet. Kein feindliches Schiff vermochte, den unsichtbaren Sperrgürtel zu überwinden, der seit dem Großen Krieg die Siedlungsgebiete der Sikhanerclans schützte. Wer immer da gegen sämtliche für Reservatsplaneten gültigen Regeln verstieß, es mussten die eigenen Leute sein …

Das Triebwerksgeräusch übertönte inzwischen selbst das empörte Geschrei der aufgeschreckten Vögel, und obwohl der Nebel keinerlei Blickkontakt zuließ, schätze Farin, dass das Landungsschiff in unmittelbarer Nähe niedergehen würde. Sie kamen seinetwegen, daran bestand keinerlei Zweifel mehr, ebenso wenig wie daran, dass die Angelegenheit keinen Aufschub duldete.

Krieg, war sein erster Gedanke, den Farin aber sofort wieder verwarf. Seine Nachfolge war geregelt und die Befehlsketten geschlossen, daher gab es nicht den geringsten Grund, einen seit Jahren pensionierten Offizier zu reaktivieren. Es musste etwas anderes sein, aber ohne zusätzliche Informationen waren Spekulationen sinnlos.

Also blieb ihm nur, sich reisefertig zu machen und den Peilsender zu aktivieren, der eigentlich für Notfälle gedacht war. Wenn die Mission so wichtig war, wie es den Anschein hatte, konnten die Neuankömmlinge jede Hilfe brauchen …

Keine zehn Minuten später – so lange hatte Farin ohnehin gebraucht, seine Kriegeruniform samt Schärpe und Ehrendolch anzulegen – landete ein Gravikopter lautlos und elegant wie eine Libelle auf dem schmalen Felsplateau. Ein junger Offizier in schwarzer Gardistenuniform sprang aus der Kanzel, salutierte schneidig und erstattete Meldung: »Admiral Marsini, im Auftrag des Hohen Rates habe ich die Ehre, Sie zu einer außerplanmäßigen Zusammenkunft des Gremiums nach Khanara-Stadt zu geleiten. Das Treffen und die Agenda unterliegen der höchsten Geheimhaltungsstufe, sodass ich nur befugt bin, Ihnen mitzuteilen, dass es sich um eine Angelegenheit von existenzieller Bedeutung handelt. Der Rat geht davon aus, so wurde mir versichert, dass Sie sich seiner Bitte nicht verschließen werden.«

»Das sind ja schwere Geschütze, die unsere Freunde da auffahren«, erwiderte Farin amüsiert. »Aber keine Sorge, ich bin zwar alt, jedoch viel zu neugierig, um mir diese Gelegenheit entgehen zu lassen. Stehen Sie doch bitte bequem.«

»Vielen Dank, Admiral«, entgegnete der Offizier ein wenig verlegen. »Ich hoffe, Sie sehen uns den etwas martialischen Auftritt nach. Aber die Zeit drängt.«

»Dann sollten wir uns nicht länger aufhalten, Major. Wie Sie sehen, bin ich reisefertig.«

»Das ist mir nicht entgangen, Sire.« Der Offizier grinste und hielt Farin die Tür auf. »Es ist zwar etwas beengt für drei Personen, aber wir sind nur kurz unterwegs.«

»Nur keine Umstände meinetwegen«, murmelte der alte Mann, während er auf dem Mittelsitz Platz nahm. »Ich bin schon mit Schlimmerem geflogen.«

»Dann los!«, befahl der Offizier in Richtung des Piloten, der sich kurz zur Seite gedreht hatte, um den Passagier in Augenschein zu nehmen. Die Maschine begann, leicht zu vibrieren, und hob im nächsten Augenblick sanft ab. Innerhalb von Sekunden lag das Plateau hinter ihnen, während der Kopter in einer eleganten Kurve hangabwärts schwebte, dem Landeplatz des Shuttles entgegen.

Khanara-Stadt empfing sie mit der Normalität einer pulsierenden Metropole. Die Sicherheitsschotte an der Zufahrt waren weit geöffnet und die gelangweilt wirkenden Wachmänner winkten den kleinen Konvoi anstandslos durch.

Die sechsspurige Magistrale der Höhlenstadt war taghell beleuchtet und die Fußgängerboulevards zu beiden Seiten dicht bevölkert. Holoklamen tanzten wie bunte Irrlichter über den Köpfen der flanierenden Menge. Die modernistische Eleganz der Restaurants und Luxusgeschäfte stand in faszinierendem Kontrast zur konservativen Kleidung der Passanten – überwiegend verschleierte Frauen, die die Vormittagsstunden zu einem Einkaufsbummel nutzten.

Die Höhlenstädte waren von jeher weiblich dominiert, waren sie doch allesamt erst während oder als Folge des Großen Krieges entstanden, um Frauen und Kindern Schutz zu bieten, während die Männer in den Streitkräften Dienst taten. An dieser Verteilung hatte sich auch in der Phase der Konsolidierung wenig geändert, auch wenn die allgemeine Wehrpflicht inzwischen abgeschafft worden war. Die Tradition blieb auch in Friedenszeiten dominant und keine Familie von Ehre würde darauf verzichten, ihre erst- und zweitgeborenen Söhne auf eine möglichst renommierte Kadettenschule zu schicken, was einer lebenslangen Verpflichtung zum Militär gleichkam.

Khanara-Stadt bildete insofern eine Ausnahme, als sie nicht nur Schutzraum für Zivilisten war, sondern auch Sitz der Admiralität und des Hohen Rates der Clanältesten. Die Regierungsgebäude lagen in einem von Eliteeinheiten bewachten Sonderareal, das einer antiken Festungsanlage nachempfunden war, nur dass eine bläulich fluoreszierende Feldbarriere die Stelle des Wassergrabens einnahm und eine nur fußläufig passierbare Transferzone als Zugbrücke fungierte.

Das Prozedere war dem Admiral hinreichend vertraut und bot zunächst auch keine Überraschungen. Allerdings schienen die Wachmannschaften verstärkt worden zu sein, die die Neuankömmlinge zwar passieren ließen, aber auf schwer zu erklärende Weise angespannt wirkten. Anscheinend war die Sicherheitsstufe erhöht worden, was vollends offenbar wurde, als Farin nach Betreten der Sicherheitsschleuse von einer Computerstimme aufgefordert wurde, seine Kleidung vollständig abzulegen und auf einem Transportband zu deponieren. Zwar dauerte es nur wenige Minuten, bis er die Kleidungsstücke sorgfältig gebündelt zurückerhielt, dennoch empfand er die Prozedur als überflüssig und entwürdigend. Um Waffen konnte es zudem kaum gegangen sein, denn er erhielt seinen Dolch anstandslos zurück.

»Ich nehme an, es gibt einen plausiblen Grund für diese eigenartige Prozedur«, beschwerte er sich bei seinem Begleiter, als sie das Transportband Richtung Ratssaal bestiegen.

»Tut mir leid, Admiral.« Der Major zuckte bedauernd mit den Schultern. »Offiziell gibt es natürlich keine Stellungnahme dazu, aber ich nehme an, es geht um illegale Abhörgeräte. Das Militär will sicherstellen, dass keinerlei Informationen aus dem Ratssaal nach außen dringen. Sie sollten das Privileg zu schätzen wissen, Sire, immerhin gehören Sie zu den Auserwählten.«

»Das ist recht unbefangene Sicht der Dinge, Major, und zweifellos Ihrer Jugend geschuldet.« Der Admiral lächelte melancholisch. »Ich habe dagegen gelernt, dass Privilegien dieser Art auch ihre Schattenseiten haben. Man verliert seine Urteilskraft, wenn zu viel auf dem Spiel steht, und manchmal sogar den Mut.«

»Sie denken, es steht so schlimm?«, fragte der Offizier erschrocken.

»Nein, ich glaube nicht, dass Sie sich Sorgen machen müssen, zumindest jetzt noch nicht. Danke für Ihr Geleit und wünschen Sie mir Glück, Major.«

Sie hatten das Foyer des Ratssaales erreicht, vor dessen Eingang farbenprächtig uniformierte Ehrenwachen postiert waren. Das Personal war allerdings nur Staffage, denn der Zugang wurde automatisch freigegeben, sobald die Identifizierung abgeschlossen war. Der Admiral war noch einige Schritte entfernt, als die Türflügel aufschwangen und die Wachen zu beiden Seiten in erstaunlicher Synchronizität salutierten.

Zu Farins Überraschung waren die meisten Plätze bereits besetzt, sogar die Logen der Großclans, deren Wortführer sich üblicherweise bis zuletzt Zeit ließen. Die Admiralität war mit der gesamten Führungsspitze vertreten, selbst der greise Marschall Said Bashar und Sicherheitschef Admiral Sistani waren schon vor Ort und nickten Farin zur Begrüßung zu, als er vom Saaldiener an seinen Platz geführt wurde. Der Gast hatte sich kaum gesetzt und einen kurzen Blick in die Runde geworfen, als auch schon die traditionellen drei Hammerschläge erklangen, mit denen der Sprecher die Sitzung eröffnete.

Der junge Mann in schlichter schwarzer Robe war Farin unbekannt; er nahm aber an, dass es sich um einen von Sistanis Adjutanten handelte. »Verehrte Anwesende, Euer Ehren«, begann dieser mit sonorer, von der Audioanlage subtil verstärkter Stimme zu sprechen. »In Abweichung vom üblichen Prozedere darf ich Sie zur heutigen außerplanmäßigen Sitzung des Hohen Rates begrüßen, die im Grunde nur einen, allerdings zweigeteilten Tagesordnungspunkt hat.« Er hielt kurz inne, um sich der allgemeinen Aufmerksamkeit zu versichern, und fuhr dann mit sorgfältiger Betonung fort: »Beratung und Abstimmung über ein Hilfeersuchen der Ordensgemeinschaft von Agion Oros, das nach Einschätzung des Sicherheitskabinetts mit höchster Priorität zu behandeln ist. Der Wortlaut des Ersuchens liegt Ihnen in Schriftform vor, aber im Interesse eines zügigen Ablaufs werde ich die zentralen Punkte noch einmal kurz zusammenfassen. Ebenfalls auf Empfehlung des Sicherheitskabinetts habe ich Admiral a. D. Farin Marsini als Gast hinzugebeten, der unserer Bitte dankenswerterweise nachgekommen ist.«

Farin nutzte die Gelegenheit, um sich für eine kurze Verbeugung zu erheben, war aber dankbar, dass sich die allgemeine Aufmerksamkeit alsbald wieder dem Sprecher zuwandte.

»Wenn die Befürchtungen der Ordensvertreter zutreffend sind – und nach ersten Analysen spricht leider einiges dafür –, dann sehen wir uns mit einer Bedrohung konfrontiert, deren Dimension alles bis dato Vorstellbare überschreitet. Etwas oder jemand löscht ganze Galaxien aus und es besteht kaum ein Zweifel, dass sich die Zone der Vernichtung ausbreitet und auf uns zubewegt.« Der Sprecher wartete, bis sich die Unruhe unter den Zuhörern etwas gelegt hatte, und fuhr dann fort: »Wir haben bislang keine Erkenntnisse darüber, ob es sich um ein kosmologisches Phänomen handelt oder um einen bewusst in Szene gesetzten Zerstörungsakt. Doch unabhängig davon sind alle konsultierten Experten der Ansicht, dass wir keine Möglichkeit haben, dieser Bedrohung mit militärischen Mitteln zu begegnen …«

»Ist das nicht ein Armutszeugnis?«, rief einer der Clanführer aufgebracht dazwischen. »Wer soll denn dem Feind Paroli bieten, wenn nicht wir?«

»Entschuldigung, Sire, aber das ist keine Frage der Motivation, sondern allein der Dimension«, erklärte der Sprecher kühl. »Wir verfügen schlicht und ergreifend nicht über die Mittel, uns einer Macht entgegenzustellen, die ganze Galaxien zu vernichten vermag. Das wäre in etwa so, als würden wir mit leichter Reiterei in einen Nuklearkrieg ziehen.«

»Aber was können wir dann überhaupt unternehmen, wenn ein Militäreinsatz ausscheidet?«, fragte der Vertreter des Taruni-Clans, ein hochgewachsener Mann mit einer helmartigen Kopfbedeckung. »Und wie kann es sein, dass die Ordensbrüder über Informationen verfügen, die unseren Diensten nicht zugänglich sind?«

»Der Orden ist nur der Überbringer der Nachricht«, stellte der Sprecher klar. »Die ursprüngliche Information stammt von Orfania, einer zukünftigen Ansiedlung von humanoiden Outer-Space-Rückkehrern, deren Bewohner vermittels eines Zeitschiffes Kontakt mit dem Orden aufgenommen haben. Wir wissen, wie fragwürdig sich das anhört, aber das gibt uns nicht das Recht, eine real existierende Bedrohung zu ignorieren.«

»Und weshalb wenden sich die Ordensleute dann an uns? War nicht von einem Hilfeersuchen die Rede?«

Die Stimmung war gereizt und Farin bezweifelte, dass es eine gute Idee gewesen war, der Ratsversammlung gleich zu Beginn die Machtlosigkeit des Militärs vor Augen zu führen. Immerhin waren die Streitkräfte und das Vertrauen auf ihre Leistungsfähigkeit der Kitt, der die Clangemeinschaft zusammenhielt. Noch mehr beschäftigte ihn allerdings die ihm zugedachte Rolle, auf die bislang niemand mit auch nur einem Wort eingegangen war.

»Es geht dabei weniger um militärische Unterstützung als um Kooperation«, stellte der Sprecher klar. »Konkret um eine Art Krisentreffen, zu dem der Orden alle relevanten Parteien nach Agion Oros eingeladen hat. Benannt sind Vertreter der alten Erde, Orfanias, der sikhanischen Gemeinschaft sowie der nicht humanoiden Spezies der sogenannten Angels.«

»Und was ist mit der Föderation selbst?«, wollte ein Zwischenrufer wissen.

»Der Föderationsrat existiert nicht mehr und durch den Zusammenbruch der N-Raum-Trassen ist der Kontakt zu den meisten noch bewohnbaren Planeten abgerissen. Seit einiger Zeit sind von unserer Seite zwar Versuche im Gange, einzelne Handelsbeziehungen auf niedrigem Niveau zu reorganisieren, aber als Machtfaktor hat die Föderation aufgehört zu existieren. Die Frage, die gegenwärtig zur Abstimmung steht, ist die nach einer offiziellen Beteiligung der sikhanischen Gemeinschaft an besagter Zusammenkunft und im Falle einer Zustimmung des Hohen Hauses die Benennung eines autorisierten Vertreters.«

»Den die Verwaltung uns ja bereits präsentiert hat«, bemerkte der Taruni-Vertreter mit einem vielsagenden Blick in Farins Richtung. »Womit ich nichts gegen die Benennung eines unserer erfahrensten Kommandeure gesagt haben möchte. Aber sollten wir nicht vor der Abstimmung erfahren, welchen Zielen die geplante Zusammenkunft eigentlich dienen soll?« Zustimmendes Gemurmel bestätigte, dass der Clanführer mit seiner Forderung nicht alleinstand.

»Zunächst geht es natürlich um Informationsaustausch, ein Thema, bei dem wir eigentlich nur profitieren können, und im Weiteren um die Vorbereitung einer gemeinsamen Mission, deren Umfang und inhaltliche Ausrichtung bislang nur vage beschrieben sind. Das Ziel der gemeinsamen Bemühungen dürfte allerdings unstrittig sein: den zerstörerischen Prozess aufzuhalten, mit welchen Mitteln und Verbündeten auch immer. Das Sicherheitskabinett und die Verwaltung möchten Sie daher bitten, dem ersten Punkt der Vorlage zuzustimmen, die unsere Beteiligung an dem Projekt autorisiert. Die Abstimmung ist wie bei allen sicherheitsrelevanten Themen geheim, weshalb ich Sie bitten möchte, Ihr Votum jetzt abzugeben. Die Terminals bleiben für 60 Sekunden freigeschaltet. Vielen Dank.«

Wieder kam leichte Unruhe auf, aber es gab keinen offiziellen Protest. Somit konnten Abstimmungsberechtigte und Gäste den Countdown auf dem Zentralmonitor beobachten, unmittelbar gefolgt vom offiziellen Abstimmungsergebnis von 9 zu 3 für die Beschlussempfehlung, was angesichts der vorangegangenen Debatte durchaus als Vertrauensbeweis gelten konnte.

Jetzt wird es ernst, dachte Farin und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Zwar hatte er eine Ahnung, weshalb Sistani und die anderen Militärs auf seine Person verfallen waren, aber die Gründe waren dem Rat kaum zu vermitteln und standen auch nicht im Kontext der aktuellen Bedrohung.

»Nachdem die Zustimmung des Hohen Hauses nunmehr im Grundsatz vorliegt, kommen wir nun zu Punkt 2 der Vorlage, der Benennung des Delegationsleiters. Und natürlich – wie auch schon angemerkt wurde – steht der Vorschlag der Administration in Zusammenhang mit der Einladung von Admiral Marsini in dieses Hohe Haus. Zweifellos bedarf es der Erläuterung, weshalb wir für diese anspruchsvolle Aufgabe einen Offizier favorisieren, der bereits aus dem aktiven Dienst ausgeschieden ist. Die Begründung hierfür lautet: Unabhängigkeit und absolute Loyalität. Jeder aktive Offizier ist in die militärische Hierarchie eingebunden und seinen Vorgesetzten gegenüber rechenschaftspflichtig. Ein freies Verhandlungsmandat ist damit kaum vereinbar, denn der Betreffende müsste bei jeder Entscheidung von Relevanz die Zustimmung einholen, was auch kommunikationstechnisch nicht umsetzbar wäre. Andererseits wäre es natürlich auch möglich, einen Zivilisten als Delegationsleiter zu benennen, was jedoch einen Bruch mit allen Traditionen darstellen würde, ganz abgesehen davon, dass angesichts der Bedrohungslage militärische Aspekte durchaus eine Rolle spielen.«

Das macht er nicht ungeschickt, musste Farin zugeben. Aber für die Abstimmung ist es immer noch zu dünn. Irgendetwas sollte noch kommen …

Seine Erwartung bestätigte sich fast umgehend, allerdings völlig anders als angenommen.

»Der dritte und entscheidende Punkt, weshalb wir Admiral Marsini für diese Aufgabe favorisieren, ist rein praktischer Natur. Er ist einer der letzten Offiziere, die noch auf einem Sichelschiff ausgebildet wurden, und besitzt nach unseren Unterlagen sogar ein Kapitänspatent für diese Schiffsklasse.« Der Sprecher wartete, bis die leichte Unruhe im Saal abgeklungen war, und fuhr dann fort: »Sie werden sich jetzt natürlich fragen, welchen Wert diese Qualifikation heute noch hat, nachdem die letzten Kampfschiffe dieses Typs bereits vor Jahrzehnten verschrottet und durch kleinere und flexiblere Einheiten ersetzt wurden. Die Antwort ist einfach, zwingt uns allerdings auch, einen Sachverhalt offenzulegen, der aus gutem Grund strengster Geheimhaltung unterliegt.« Der Sprecher hielt erneut inne, wie um sich noch einmal der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu versichern. Es war totenstill im Saal, als er endlich zum entscheidenden Punkt kam: »Durch Umstände, die im Moment nicht zur Debatte stehen, hat Admiral Okura, den die meisten von Ihnen wohl nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen, vor seinem Heimgang ins Land der Väter vorgeschlagen, dass ein gewisser Railan Cortez, den er selbst über Jahre ausgebildet hat, zu seinem Nachfolger als Kommandant ernannt wird. Der Hohe Rat hat diesem Vorschlag nicht nur aus Respekt, sondern auch aus pragmatischen Gründen zugestimmt. Wir werden in den anstehenden Verhandlungen mit dem Kaiserhaus jedoch darauf bestehen, dass sowohl das Oberkommando der gemeinsamen Streitkräfte als auch das Kommando über das Flaggschiff geteilt wird. Admiral Marsini wird also – Ihre Zustimmung vorausgesetzt – nicht nur die Delegation leiten, sondern auch unsere Streitkräfte an Bord der legendären Amesha anführen.«

Das aufgeregte Stimmengewirr, das sich nach dieser überraschenden Eröffnung im Saal erhob, verriet lebhaften Diskussionsbedarf und auch Farin selbst fühlte sich in unfairer Weise überrumpelt. Außerdem brannte ihm eine Frage auf der Zunge, die er aber kaum selbst stellen konnte, ohne seine Unkenntnis zu offenbaren. Ein Zwischenruf, diesmal vom Vertreter des einflussreichen Kermeni-Clans, enthob ihn jedoch der Notwendigkeit, selbst aktiv zu werden:

»Und wie wollen Sie sicherstellen, dass auch die anderen Parteien die Amesha als Flaggschiff der Mission akzeptieren?«

»Das ist aus unserer Sicht eine Selbstverständlichkeit«, erklärte der Sprecher kühl. »Wir gehen davon aus, dass Schiffsgröße, Reichweite und Feuerkraft für diese Regelung sprechen … Ja, bitte?« Er reagierte damit auf die Wortmeldung eines weiteren Clanführers, der es augenscheinlich vorzog, nur nach Aufforderung zu sprechen.

»Es liegt mir fern, den Personalvorschlag der Verwaltung in Zweifel zu ziehen«, begann der kleine grauhaarige Mann vorsichtig, »zumal Admiral Marsini einen exzellenten Ruf genießt. Allerdings erhebt sich für mich die Frage, ob er auf Dauer den Strapazen einer zeitlich nicht limitierten Mission gewachsen ist. Aus meiner Sicht sollte zumindest über eine Stellvertreterregelung nachgedacht werden.«

»Das ist richtig, Sire«, stimmte der Sprecher zu. »Und das Auswahlverfahren für diese Position ist auch bereits angelaufen. Allerdings sehen wir hier auch ein Mitspracherecht unseres Kandidaten, der – wie Sie wissen – erst heute eingeflogen worden ist. Was die Eignung von Admiral Marsini anbetrifft, hat unser Oberkommandierender Raummarschall Bashar darum gebeten, im Vorfeld der Abstimmung eine persönliche Erklärung abzugeben. Falls es keine Einwände von Ihrer Seite gibt, erteile ich ihm hiermit das Wort.«

Das war eine weitere Überraschung, wie das Getuschel im Saal deutlich machte, denn der Marschall ging öffentlichen Auftritten normalerweise aus dem Weg. Mit seinen Stabsoffizieren kommunizierte er entweder schriftlich oder über Audiocom, und Farin konnte sich nicht erinnern, ihn jemals bei einer längeren Diskussion oder gar Ansprache erlebt zu haben. Außerdem hatte er auch nie den Eindruck gehabt, dass ihm der Marschall besonders gewogen war.

»Verehrte Anwesende, Euer Ehren, die meisten von Ihnen kennen zumindest meinen Namen und meine Position, was zweifellos damit zu tun hat, dass ich schon einige Jahrzehnte im Amt bin. In meinem Alter ist eine gewisse Amtsmüdigkeit normal und ich habe ihr bislang aus zwei Gründen nicht nachgegeben. Erstens habe ich nichts anderes gelernt, als Untergebenen meinen Willen aufzuzwingen, und zweitens verspüre ich keinerlei Neigung, wie unser Kandidat in irgendeiner Wildnis auf Hasenjagd zu gehen.« Verhaltenes Gelächter verriet, dass der alte Mann den richtigen Ton getroffen hatte. »Wenn ich heute für die Annahme der Vorlage der Administration plädiere, dann bedeutet das keineswegs, dass Admiral Marsini und ich während seiner aktiven Dienstzeit besonders häufig einer Meinung gewesen wären. Der Mann war in seiner Dienstauffassung jederzeit vorbildlich, im Übrigen aber eine schreckliche Nervensäge.« Wieder Raunen und leises Gelächter, und Farin spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. »Unser Freund hatte jede Menge Ideen«, fuhr der Marschall mit undurchdringlicher Miene fort, »und die meisten davon waren vermutlich nicht einmal schlecht. Das Problem war, dass er sie nicht für sich behalten konnte. Die Hälfte seiner Vorlagen und Anträge landete sofort in meinem Papierkorb; die anderen gab ich an die Zuständigen weiter in der berechtigten Hoffnung, nie wieder etwas davon zu hören. Wer selbst gedient hat, und das sind die meisten von Ihnen, weiß, wie beliebt Vorschläge von Untergebenen sind, die auf Veränderungen abzielen, besonders bei einem Traditionalisten wie mir. Das heißt nicht, dass sie unbegründet waren; zwei oder drei davon haben wir sogar umgesetzt, zum Beispiel den beschleunigten Ausbau der Fernaufklärung. Aber bei sensiblen Themen wie der Ausrichtung der Militärdoktrin konnte und wollte ich seinen Vorschlägen natürlich nicht folgen. Somit blieb unser Verhältnis stets eher distanziert als harmonisch. Dass ich mir dennoch keinen geeigneteren Kandidaten als Admiral Marsini vorstellen kann, hat vor allem zwei Gründe. Erstens verfügt er über die Fähigkeit, über den manchmal recht begrenzten Horizont militärischen Freund-Feind-Denkens hinauszuschauen, was ihn für Verhandlungen mit potenziellen Verbündeten prädestiniert, und zweitens hat er sich mehrfach als einer der kompetentesten und entschlossensten Kommandeure erwiesen, die ich in meiner Laufbahn kennenlernen durfte. Ich will Ihnen nur ein Beispiel aus der Zeit der Mareen-Krise nennen. Zwar handelte es sich bei diesem Angriff nicht um eine Invasion im klassischen Sinne, sondern eher um eine Art Kampfaufklärung, dennoch gelang es dem Feind, mit vergleichsweise starken Kräften die Grenzbefestigungen zu durchbrechen und einige der inneren Welten zu bedrohen. Natürlich beorderten wir alle in der Region des Durchbruchs operierenden Einheiten auf schnellstem Wege dorthin, mussten aber dennoch damit rechnen, zwei schwächer befestigte Planeten an den Feind zu verlieren. Dass es nicht dazu kam, ist einzig der Einheit des damaligen Lieutenant Colonels Marsini zu verdanken, der die Schiffe seines Geschwaders unter Verletzung sämtlicher Sicherheitsrichtlinien mit unzulässig hoher Dauerbeschleunigung dem Feind entgegenjagte und die Angreifer mit koordiniertem Sperrfeuer so lange aufhielt, bis Verstärkung eintraf und den Gegner zum Rückzug zwang. Die Operation war hochriskant, und wenn auch nur ein Rotatron aufgrund der Überlastung explodiert wäre, wäre Marsinis Karriere beendet gewesen. Aber in Anbetracht der drohenden Vernichtung von zwei Planeten mit 60 000 Kolonisten war es dennoch die richtige Entscheidung. Das war wie gesagt nur ein Beispiel, aber was ich damit sagen will, ist Folgendes: Ich bin ein alter Soldat, doch wenn ich – was die Vorsehung verhüten möge – noch einmal in den Krieg ziehen müsste, dann wäre Admiral Marsini der Mann, den ich an meiner Seite wissen wollte. Vielen Dank!«

Für einen Moment war es totenstill im Saal, dann brach der Beifall wie eine tosende Woge von allen Seiten über den Redner herein. Said Bashar war schon zu Lebzeiten eine Legende und allein die Tatsache, dass er so lange und offen zu ihnen gesprochen hatte, riss die Männer buchstäblich von den Sitzen. Der infernalische Lärm, den sie mit Händen, Füßen und allerlei Gegenständen erzeugten, stellte alles in den Schatten, was das Hohe Haus jemals erlebt hatte. Die anschließende Abstimmung geriet so zur reinen Formsache und endete ohne Gegenstimme.

Unter diesen Umständen wäre eine Ablehnung des ehrenvollen Auftrags einem Sakrileg gleichgekommen und so schluckte Farin seinen Zorn über die Überrumpelung herunter und gelobte satzungsgemäß, sein Wissen und seine ganze Kraft zum Wohle der sikhanischen Gemeinschaft einzusetzen, ihren Nutzen zu mehren und jedem Feind tapfer und entschlossen entgegenzutreten. Seine Träume von einem beschaulichen Ruhestand waren damit wohl ausgeträumt und die Berghasen von Thalys Gren ihres Lebens fortan sicher.

Die anschließende Gratulationsprozedur ließ Farin stoisch und mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln über sich ergehen. Erst als Sistani, der Sicherheitschef und zweifellos einer der Hauptakteure des Spektakels, an ihn herantrat, ermannte er sich, die Frage zu stellen, die ihn schon die ganze Zeit über bewegt hatte: »Wenn die Amesha tatsächlich nach all den Jahrhunderten zurückgekehrt ist, wie konnte Admiral Okura so lange überleben?«