In Demut, Deine Beatrice - Séparée-Edition: Band 9 - Valentina Santos - E-Book
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In Demut, Deine Beatrice - Séparée-Edition: Band 9 E-Book

Valentina Santos

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Beschreibung

Ihrem Herren ausgeliefert: Der SM-Roman „In Demut, Deine Beatrice“ von Valentina Santos jetzt als eBook bei venusbooks. Wenn deine dunkle Leidenschaft der einzige Ausweg ist … Beatrice braucht dringend Geld, viel Geld. Darum kellnert sie nach der Arbeit noch bei privaten Empfängen. Als sie dort den mysteriösen Unternehmer Louis kennenlernt, ist sie zunächst abgestoßen von dessen dominantem Auftreten. Aber seiner faszinierenden Präsenz kann sie sich nicht entziehen. Diese Nacht verändert alles: Louis bietet an, sie von allen finanziellen Sorgen zu befreien – für eine besondere Gegenleistung. Doch in einem gefährlichen Spiel aus Leidenschaft, Unterwerfung und Macht droht Beatrice, die Kontrolle zu verlieren … Tauchen Sie mit diesem Erotikthriller ein in die faszinierende Welt der SM-Szene und ihrer geheimen Obsessionen. Empfohlen von der Zeitschrift Séparée: Erotisch, leidenschaftlich und eine Verführung für alle Sinne mit exklusivem Vorwort in der Séparée-Edition! Séparée entstand aus dem ganz persönlichen Bedürfnis der Herausgeberinnen nach einem Erotikmagazin für weibliche Ansprüche. Séparée bietet sinnlichen Fotostrecken, inspirierenden Ideen, aufschlussreichen Interviews und lustvollen Beiträgen eine wunderbare Plattform, auf der das Thema Erotik und Sexualität mit Charme und Esprit beleuchtet wird. Natürlich sind auch Männer herzlich eingeladen, Séparée zu lesen – und das eine oder andere über Frauen zu erfahren, das sie schon immer wissen wollten. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der SM-Roman „In Demut, Deine Beatrice“ von Valentina Santos. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag. Im realen Leben dürfen Erotik, Sinnlichkeit und sexuelle Handlungen jeder Art ausschließlich zwischen gleichberechtigten Partnern im gegenseitigen Einvernehmen stattfinden. In diesem eBook werden erotische Phantasien geschildert, die vielleicht nicht jeder Leserin und jedem Leser gefallen und in einigen Fällen weder den allgemeinen Moralvorstellungen noch den Gesetzen der Realität folgen. Es handelt sich dabei um rein fiktive Geschichten; sämtliche Figuren und Begebenheiten sind frei erfunden. Der Inhalt dieses eBooks ist für Minderjährige nicht geeignet und das Lesen nur gestattet, wenn Sie mindestens 18 Jahre alt sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 663

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Über dieses Buch:

Wenn deine dunkle Leidenschaft der einzige Ausweg ist … Beatrice braucht dringend Geld, viel Geld. Darum kellnert sie nach der Arbeit noch bei privaten Empfängen. Als sie dort den mysteriösen Unternehmer Louis kennenlernt, ist sie zunächst abgestoßen von dessen dominantem Auftreten. Aber seiner faszinierenden Präsenz kann sie sich nicht entziehen. Diese Nacht verändert alles: Louis bietet an, sie von allen finanziellen Sorgen zu befreien – für eine besondere Gegenleistung. Doch in einem gefährlichen Spiel aus Leidenschaft, Unterwerfung und Macht droht Beatrice, die Kontrolle zu verlieren …

Tauchen Sie mit diesem Erotikthriller ein in die faszinierende Welt der SM-Szene und ihrer geheimen Obsessionen.

Über die Autorin:

Valentina Santos lebt im Weinviertel, einer lieblich-verträumten Gegend im Nordosten Österreichs. Am Schreibtisch ihres Landhauses setzt sie ihre Ideen in aufregende Geschichten um und lässt ihre Leser in ein mitreißendes Kopfkino eintauchen: Liebe, Hass, geheime sexuelle Gelüste und die Zügellosigkeit erotischer Leidenschaft sind ihr Markenzeichen.

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Erweitere eBook-Neuausgabe August 2017 im Rahmen der Séparée-Edition

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe 2016 venusbooks GmbH, München

Copyright © der eBook-Neuausgabe im Rahmen der Séparée-Edition 2017 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Séparée © UNA GlitzaStein GmbH

Redaktion: Sabine Zürn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ifong

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (er)

ISBN 978-3-95885-564-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »In Demut, Deine Beatrice« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

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Valentina Santos

In Demut, deine Beatrice

Ein SM-Roman

Séparée-Edition

venusbooks

Vorwort zur Séparée-Edition

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Erotik ist weiblich: Dies ist das Motto von Séparée. In unserem Magazin veröffentlichen wir seit 2013 sinnliche Fotostrecken, Interviews und inspirierende Ideen. Séparée beleuchtet Erotik und Sexualität mit Charme und Esprit – und deswegen begeistern wir uns auch für herausfordernd sinnliche und explizit erotische Romane.

So entstand die Idee zur Séparée-Edition, die wir gemeinsam mit unseren Partnern beim eBook-Verlag venusbooks realisieren – und in deren Rahmen wir Ihnen nun ein besonderes Highlight präsentieren: In Demut, deine Beatrice von Valentina Santos.

Kleine Maus sucht dominanten Kater – dieses Muster bedienen viele erotische Romane, die heute die Bestsellerlisten erklimmen. Aber SM hat mehr zu bieten als schwülstige Fantasien: Das Wechselspiel von Dominanz und Unterwerfung ist jenseits aller Klischees eine ebenso herausfordernde wie sinnliche Erfahrung, sowohl für den Dom als auch die Sub. Genau darüber schreibt Valentina Santos provozierend direkt; sie beleuchtet Zwang und Auslieferung ebenso schonungslos wie einfühlsam. In Demut, deine Beatrice ist das fesselnde Portrait eines ungleichen Paars, das besonders zarte Gemüte vielleicht verstören könnte, selbstbewussten Leserinnen aber feinstes Futter für das sinnliche Kopfkino bietet.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen mit diesem erotischen Highlight! Mehr Inspirationen finden Sie auf unserer Website www.separee.com – oder werden Sie unser Freund auf Facebook: www.facebook.com/separeemagazin

Herzliche Grüße

Janina Gatzky & Ute Gliwa Chefredaktion Séparée

Vertrauen ist eine Oase des Herzens,

die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.

Khalil Gibran

Prolog

Die ältere Dame stand nun schon länger als zwei Stunden vor dem Regal der einschlägigen Literatur. Immer wieder nahm sie ein Buch zur Hand und begann darin zu schmökern. Doch schon nach kurzer Zeit verlor sie das Interesse am Inhalt, blätterte aber in der Hoffnung weiter, um vielleicht an einer anderen Stelle des Werkes noch fündig zu werden. Doch kein Fünkchen Hoffnung erhellte ihr enttäuschtes Gesicht, und seufzend stellte sie ein Buch nach dem anderen wieder ins Regal zurück.

Trixi beobachtete die Kundin nun schon seit geraumer Zeit. Nicht nur deshalb, weil die Lady in ihrem hellblauen Chanel-Kostümchen mit den schicken, hellblauen Pumps und dem frechen Kurzhaarschnitt ihres weißen Haars noch verdammt attraktiv aussah. Es gab noch einen ganz anderen Grund, der Trixis Interesse an der alten Dame geweckt hatte. Frauen dieses fortgeschrittenen Alters waren vorzugsweise in der Belletristik-Abteilung oder bei den Klassikern zu finden. Doch diese hier trieb sich vor dem reichhaltigen Sortiment an sadomasochistischer Literatur herum.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Trixi schließlich die Dame, die erschrocken zusammenzuckte und Trixi verwirrt ansah.

»Ich, ich suche ein Buch«, stammelte sie verlegen.

»Gnädige Frau, das ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen«, erwiderte Trixi höflich. »Wir haben sehr viele Bücher in unserer Buchhandlung. Vielleicht sagen Sie mir, wonach Sie suchen?«

Am nervösen Blick der Lady konnte Trixi erkennen, dass sie nach den passenden Worten suchte, um ihr Anliegen so dezent wie möglich zu umschreiben.

»Ich suche nach einem Buch, das den Zauber von Macht und Unterwerfung beschreibt.«

Trixi musste schlucken. Das alte Mädchen war schon um einiges näher dran, sich aufs Probeliegen am Zentralfriedhof vorzubereiten, als sich irgendwelche abartigen Sexstorys reinzuziehen.

»Da sind Sie hier genau richtig«, sagte Trixi freundlich und ließ sich von ihren abwertenden Gedanken nichts anmerken. »Nach welchem Buch suchen Sie denn genau?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete die Frau völlig orientierungslos.

»Vielleicht suchen Sie ja in der falschen Abteilung.«

Doch die alte Dame schüttelte überzeugt ihren Kopf.

»Nein, ich bin hier völlig richtig. Nur das Buch ist nicht da.«

Trixis Geduld wurde langsam auf die Probe gestellt.

»Wissen Sie vielleicht den Titel oder den Autor?«

»Leider nicht«, erwiderte die Frau unglücklich. »Ich weiß ja nicht einmal, ob es dieses Buch überhaupt gibt.«

»Hmm, jetzt wird’s schwierig«, sagte Trixi. »Vielleicht erzählen Sie mir einfach, wonach Sie genau suchen. Dann könnten wir eventuell im Katalog fündig werden, und ich bestelle Ihnen das Buch gerne.«

»Junge Frau, das dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich Ihnen erklärt habe, was ich suche.«

»Dafür bin ich da, Gnädigste«, bot sich Trixi freundlich an, deren Interesse jetzt langsam erwachte.

Am Vormittag war die Buchhandlung ohnehin immer sehr spärlich besucht. Erst ab der Mittagszeit trudelte dann vermehrt Kundschaft ein, deren stetiger Strom bis Ladenschluss nicht mehr abreißen würde. Bevor Trixi gelangweilt auf hilfesuchende Kunden wartete, hörte sie doch viel lieber der alten Dame zu. Sie führte die Kundin zu einem der Lesesofas und holte dann zwei Cappuccinos vom Kaffeeautomaten.

»Sie sind sehr freundlich, junges Fräulein«, bemerkte die alte Lady mit einem dankbaren Lächeln. Als sie das sagte, fiel Trixi nicht nur ihr perfektes Gebiss auf, sondern auch der dezente, rote Lippenstift, der in die vielen Fältchen ihrer Oberlippe gelaufen war.

»Das zählt zu unserem Kundenservice«, zwinkerte Trixi ihr einladend zu und stellte der Frau den dampfenden Pappbecher hin. »Und nun will ich wissen, wonach Sie suchen.«

Die Lady nahm einen kleinen Schluck aus dem Becher, während sie ihre Gedanken schweifen ließ.

»Dazu muss ich leider etwas ausholen, damit Sie auch die Zusammenhänge verstehen«, baute sie entschuldigend vor. Irgendwie schien sie zu befürchten, dass Trixi im letzten Moment doch noch abwinken und sich aus dem Staub machen würde.

»Nur zu, verehrte Dame, meine Aufmerksamkeit gehört jetzt ganz Ihnen.«

Erleichtert, dass Trixi bei ihr sitzen blieb, begann sie zu erzählen: »Vor einer halben Ewigkeit – damals war ich so ein junges Ding von Mitte dreißig – nahm ich an einem Abiturtreffen teil. Aber schon nach kurzer Zeit gingen mir meine ehemaligen Schulkolleginnen ziemlich auf die Nerven, so dass ich mich an die Bar des Lokals setzte und einen Cocktail bestellte. Ich war nicht nur frustriert, dass sich ein Großteil meiner ehemaligen Mitschülerinnen zu altbackenen Matronen entwickelt hatte, ich litt damals auch unter einer heftigen Identitätskrise. Trotz meines beruflichen Erfolges fühlte ich mich in allem begrenzt und haderte mit meinem Leben, weil ich nur selten das bekam, wonach ich mich wirklich sehnte. Außerdem ließen meine althergebrachten Moral- und Wertvorstellungen nicht zu, dass meine versteckten Sehnsüchte aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche dringen konnten. Tief in mir brodelte es aber wie in einem Vulkan. Ich wusste, dass etwas Besonderes in mir schlummerte, das danach gierte, entdeckt zu werden.«

»Und, haben Sie es entdeckt?«, fragte Trixi und unterdrückte ein Gähnen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Lady bis zu Adam und Eva zurückgehen würde. Mit einem wissenden Lächeln nickte die alte Dame, und ein Hauch von Wehmut schimmerte in ihren Augen.

»Ich blickte von meinem Glas auf und sah ihm direkt in die Augen. Der intensive Blickkontakt sagte mir sofort, dass dieser Mann anders war. In seinem verwegenen Blick lag eine Mischung aus Herausforderung, Kühnheit, Beherrschung und Inspiration. Damals habe ich seine Ausstrahlung aber noch nicht zu deuten gewusst. Doch ich spürte ganz genau, wie mich seine dunklen Augen durchleuchteten. Ich fühlte mich in wunderbarer Weise nackt und hilflos«, erzählte sie voller Leidenschaft und ließ ihre längst vergangenen Empfindungen wieder aufleben.

»Dies war der Auftakt für ein Intermezzo, das meine bürgerlichen Moralbegriffe auflösen und in ein völlig anderes Licht tauchen sollte.«

Langsam begann Trixi, Geschmack an der Erzählung zu finden, und fragte neugierig: »Wer war dieser Mann?«

»Er war ein, ein … Suchender«, sagte sie nach einigem Überlegen. »Jedenfalls war Theodor ein ungemein anregender Gesprächspartner, der meine grauen Zellen ganz schön durcheinanderwirbelte. Unser inspirierender Gedankenaustausch hat mir damals zum ersten Mal gezeigt, dass der Geist eine unglaublich erogene Zone des Körpers ist.«

Bei dieser Erinnerung lächelte die alte Frau verschämt in sich hinein. Doch schnell tauchte sie aus der Vergangenheit wieder auf und fuhr aufgeregt fort: »Im Laufe des Abends begann die Luft vor Spannung zu knistern. Theodor ließ keinen Zweifel offen, dass es ihn nicht nur erregte, mein Köpfchen zu stimulieren, sondern auch meinen Körper. Und doch vermied er es, mich zu berühren.

Als wir uns spätabends verabschiedeten, bot ich ihm meine Wange zum Kuss an. Ich hoffte natürlich, dass er nicht nur meine Wange küssen würde. Doch obwohl er sanft meinen Arm drückte, berührten seine Lippen nicht mein Gesicht. Stattdessen sog Theodor meinen Duft ein und schloss dabei seine Augen. Irgendwie hatte ich den Eindruck, als ob er sich meinen Geruch unauslöschlich einprägen wollte.«

»Haben Sie Theodor denn danach wiedergesehen?«, fragte Trixi, die nun voll bei der Sache war.

»Natürlich.« Die Lady lächelte glücklich. »Bei unseren Rendezvous hat er meine Sprache, meine Geisteshaltung, mein Naturell und meine Gestik richtiggehend in sich aufgesaugt. Ich spürte aber auch sein steigendes Begehren. Doch diese Sehnsucht war nur in seinen Augen zu erkennen. Seine Passivität irritierte mich allmählich. Ich fragte mich, was ihn daran hinderte, einen Schritt weiter zu gehen.«

Seufzend nahm die alte Dame einen Schluck vom mittlerweile nur noch lauwarmen Kaffee und sah Trixi plötzlich betroffen an. »Langweile ich Sie etwa?«

»Keineswegs«, erwiderte Trixi ehrlich. »Sie haben mich sogar sehr neugierig gemacht.«

Erfreut, dass Trixi Gefallen an ihren Erinnerungen fand, erzählte sie weiter: »Wie schon so oft wurden wir wieder einmal zur Sperrstunde auf die Straße gesetzt. Doch dieses Mal bat mich Theodor, ihn in seine Wohnung zu begleiten. Freudig überrascht, aber auch ein klein wenig ängstlich, willigte ich ein. Ich rechnete damit, dass das wochenlang aufgestaute Verlangen nach Nähe und Zärtlichkeit endlich den Damm des Begehrens brechen würde, und wir beide wie zwei ausgehungerte Wölfe übereinander herfallen würden. Doch nichts dergleichen geschah. Theodors Gesichtsausdruck veränderte sich aber schlagartig, als die Eingangstür seiner Wohnung hinter uns ins Schloss gefallen war. Sein ansonsten so warmer, äußerst wohlwollender Blick wurde plötzlich kühl, berechnend und streng. Es war derselbe Blick, mit dem er mich damals in der Bar so taxierend ins Visier genommen hatte. Plötzlich fühlte ich mich wie auf einem völlig fremden Terrain. Unsicher und verlegen hielt ich meine Handtasche wie einen schützenden Schild an mich gedrückt, während ich von Theodors durchdringendem Blick fixiert wurde. In meinem Leben hatte es nur wenige Momente gegeben, in denen ich mich so gehemmt gefühlt hatte«, beteuerte sie.

»Dann nahm er mich schweigend an der Hand und führte mich zu der Ledercouch in seinem Wohnzimmer. Auf dem Tischchen davor lag ein schwarzer Hochglanzkatalog, auf dem in Goldlettern Shibari stand. Theodor forderte mich auf, die Bilder darin anzusehen. Schockiert erkannte ich auf den Aufnahmen makellos schöne, aber völlig nackte Japanerinnen, die in äußerst erotischer und sehr kunstvoller Form gefesselt waren. Sofort begann sich mein Geist gegen diese Abartigkeit der Darstellungen zu wehren, die so offensichtlich Unfreiheit, Knechtschaft und Diskriminierung dokumentierten. Und doch, je länger ich diese ästhetische Form der Fesselung betrachtete, umso mehr erregte sie mich. Langsam dämmerte mir, was Theodor von mir wollte. Damals stufte ich den Mann als pervers und völlig abartig veranlagt ein, und alle Alarmglocken begannen in mir zu läuten. ›Gefallen dir die Bilder?‹, fragte er mich interessiert. Ich nickte aber nur kurz und sagte dann nervös: ›Ich glaube, ich muss jetzt gehen.‹ Ich wollte aufstehen, doch Theodor drückte mich sanft, aber bestimmt wieder in das Sofa zurück und reichte mir mein Weinglas. In meiner Unsicherheit trank ich das Glas in einem Zug leer. Mit einem wissenden, aber auch verständnisvollen Lächeln nahm er das leere Glas aus meiner Hand und begann mich zu küssen. Dieser Kuss war nicht der animierende Kuss eines Mannes, der Lust hatte, mit mir zu schlafen. Es war der Kuss eines fordernden Mannes, der mir ohne Wenn und Aber zu verstehen gab, was ich zu tun hatte.

›Ich will, dass du dich vor mir ausziehst‹, befahl er mir mit strenger Stimme.

›Was?‹, konnte ich nur überrascht erwidern.

›Du hast sehr gut verstanden, was ich von dir will‹, forderte er beharrlich. Noch während ich dachte, dass dieser Perversling wohl total durchgeknallt sein musste, erhob ich mich vom Sofa und zog mein Kleid aus, bis ich nackt vor ihm stand. Tausend Empfindungen wie Scham, Auflehnung, Lust, Gefahr, aber vor allem unglaubliche Auf- und Erregung vor dem Bevorstehenden jagten wie elektrisierende Blitze durch meinen Geist und Körper.

›Du brauchst keine Angst haben, ich werde nichts tun, was du selbst nicht willst‹, raunte er mir ins Ohr, während er meinen nackten Körper gierig betrachtete. Doch als ich immer noch völlig erstarrt vor ihm stand, hob er mein Kinn, um mir besser in die Augen sehen zu können. ›Ich werde dich in eine Welt entführen, die dir bis jetzt verborgen geblieben ist. Du wirst erkennen, dass Sexualität nicht nur aus bloßem Flüssigkeitsaustausch besteht, sondern aus einer ungeheuren Vielfalt an Empfindungen, Reizen und Inspirationen. Der Schmerz, die Kraft des Geistes und die Wollust werden dich weit über die Grenzen deines Wissens und Fühlens hinaustragen und dir die Tore in eine völlig neue Welt öffnen, die du nie mehr verlassen willst. Ich werde dein Führer sein, dich lehren und lenken und mich an deiner neu gewonnenen Lüsternheit erfreuen. Denn in deiner Erniedrigung und Demut wirst du an den Ursprung deines Frauseins zurückgeführt und dadurch die Freiheit deines Geistes und deine Macht über mich spüren. Du wirst bald erkennen, dass das Leben und deine Sexualität aus unglaublich vielen Facetten besteht, die es wert sind, erforscht und gelebt zu werden.‹

Sein Ernst und die Aufrichtigkeit in seiner Stimme flößten mir tiefes Vertrauen ein. Ich war aber auch völlig durcheinander und hatte keine Ahnung, wovon Theodor sprach. Doch ich spürte, dass etwas unbeschreiblich Großartiges bevorstand.

Ich fragte ihn, wieso er gerade mich ausgewählt hatte. Mit wissendem Lächeln strich er eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und sagte mir, dass ihn hohle Schönheit einfach nicht antörnte. Er wollte mehr, viel mehr. Theodor war auf der Suche nach Offenbarung und Erleuchtung, nach der Erfüllung seiner Wünsche, die weit über das normale Denken und Fühlen hinausreichten. Dazu war aber ein Pendant nötig, das diese ausgeprägte Sinnlichkeit in Geist, Seele und Körper trug. Theodor verriet mir, dass er lange danach gesucht und es in mir nun endlich gefunden hatte. Ich war für ihn die unberührte Inkarnation einer Frau, die in ihrem ureigensten Sinne Weib sein wollte, es aber nur noch nicht wusste. Und dieses Urweib wollte er aus mir herausholen und zum Leben erwecken.« »Und, hat er es getan?«, fragte Trixi aufgeregt, die nun völlig in diese unglaubliche Erzählung eingetaucht war.

»Mit sehr zwiespältigen Gefühlen begleitete ich ihn auf diese Abenteuerreise. Mit empathischer Behutsamkeit, die ich bisher noch nie erlebt hatte, führte mich Theodor in die wunderbare Welt der Dominanz und Unterwerfung ein. Ich habe Höhenflüge erfahren, die ich für unmöglich gehalten hatte. Mit unsäglichem Fingerspitzengefühl lehrte mich Theodor, völlig aus mir herauszugehen und aus dem tiefsten Inneren meiner Weiblichkeit zu schöpfen. Diese Spirale der Sinnlichkeit katapultierte mich unglaublich weit über den Rand meiner Psyche hinaus«, erzählte die Lady, deren Gedanken eine längst vergangene Zeit äußerst faszinierend aufleben ließen. »Doch obwohl diese Form des Seins ungemein erregend war, konnte ich mich nie ganz von den Moralvorstellungen meiner erzkatholischen Erziehung lösen. Sie war letztendlich auch der Stolperstein, warum ich Theodor verlassen habe.«

Eine Weile lang herrschte Stille. Während die alte Dame schwieg und sich ein verbitterter Zug um ihre rot geschminkten Lippen zeigte, seufzte Trixi bestürzt.

»Haben Sie Theodor denn jemals wiedergesehen?«, fragte sie.

Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Nein, nie mehr«, erwiderte sie traurig. »Es war ein langwieriger Reifeprozess, bis ich mich endlich dazu durchringen konnte, meine Scheuklappen und mein kleinkariertes Schubladendenken abzulegen. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit, bis ich erkannte, dass die Welt nicht in Gut und Böse oder Schwarz-Weiß einzuteilen ist, sondern aus einer unendlichen Vielzahl an Grautönen besteht. Heute bin ich absolut sicher, dass Theodor in mir die richtige Frau gefunden hatte und ich in ihm den Mann, der mich aus der grauen Masse der Durchschnittlichkeit herausgeholt hat«, sagte sie wehmütig. »Wir hatten damals nur ein schlechtes Timing. Ich war einfach noch nicht reif genug, um zu erkennen, worauf es im Leben wirklich ankommt«, gestand sie Trixi ihren großen Fehler. »Obwohl diese Explosionen aus Gefühlen und Empfindungen schon viele Jahre zurückliegen, ist die schreckliche Leere nie gewichen, die er in mir hinterlassen hat. Als ich dann endlich so weit war, mich diesem Mann bedingungslos zu öffnen, war es leider zu spät, denn Theodor war bereits tot.«

»Das kann doch nicht wahr sein«, stieß Trixi enttäuscht hervor.

Die alte Dame holte ein Taschentuch heraus und wischte sich Tränen aus den Augen.

»Das Glück lässt eben nicht mit sich spielen«, sagte sie mit zittriger Stimme, und plötzlich wirkte die Lady sehr alt. Doch schnell hatte sie sich wieder gefangen und setzte sich sehr aufrecht hin.

»Jedenfalls ist mir danach kein Mann mehr begegnet, der mir diese Hochachtung und absolute Wertschätzung entgegengebracht hat. Diese unglaublich tiefe Verbundenheit unserer Seelen, die eine so intensive und vielfältige Sexualität überhaupt erst möglich gemacht hat, ist mir danach nie mehr widerfahren«, sagte sie bedauernd.

»Sie müssen wissen, dass diese Form von Sexualität zum größten Teil im Kopf stattfindet. Und wenn zwei Menschen wirklich fähig sind, in diesem geistigen Gleichklang zu schwingen, dann entspringt daraus ein fantastisches Feuerwerk an Gefühlen«, versuchte die alte Dame zu erklären. »Sexualität im herkömmlichen Sinn hatte ihren Reiz auf mich weitgehend verloren, da dieser wundervolle Schutz fehlte, die starke Hand, die mich zu führen verstand, ohne dass ich mich dadurch jemals unterdrückt gefühlt hatte. Es fehlte danach einfach so vieles …«

Die Lady trank ihren Becher mit dem nun kalten Kaffee aus und sah Trixi mit einem wissenden Blick in die Augen. »Doch eins ist mir geblieben: die Erfahrung, dass ich meine Weiblichkeit nie stärker empfunden habe als in der Zeit mit Theodor. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir in einer Welt leben, in der eine Frau nicht mehr völlig Frau sein darf und kann. Es fehlen die klaren, uralten Rollenbilder, die Frau und Mann voneinander trennen, aber auch miteinander verbinden. Die immer stärkere Dominanz der Frau irritiert die Männer, und oft wissen sie nicht mehr, worin ihre Bestimmung als Mann besteht. Uns Frauen fehlt diese ureigene Bestimmung ebenso. Vielleicht ist ja gerade das der Grund, warum sich viele Frauen der Unterwerfung hingeben, durch die man für einige Augenblicke wieder zum wahren Ursprung seines Wesens zurückkehrt und erkennt, wer und was man wirklich ist.«

Trixi saß nur da und hörte dieser beeindruckenden Frau sprachlos zu.

»Ich glaube nicht, dass Sie mich ganz verstanden haben«, lächelte die alte Dame Trixi nachsichtig an. »Wenn man dieses Gefühl nicht erlebt hat, ist es schwer nachzuempfinden.«

Trixi wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie wusste nur, dass es dieses Buch nicht gab, nach dem die Lady suchte.

»Nicht so ganz«, gab Trixi freimütig zu. Sie erahnte aber sehr wohl, wie außergewöhnlich diese Beziehung zwischen Theodor und der alten Dame gewesen sein musste.

»Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass Sie hier nicht finden werden, wonach Sie suchen«, fuhr Trixi bedauernd fort.

Seufzend stand die alte Dame auf und legte ihren sauber gefalteten Trenchcoat über den Arm.

»Das habe ich befürchtet«, erwiderte sie. »Diese Bücher hier sind für Dilettanten und Menschen geschrieben, die keine Ahnung haben, worum es bei diesem besonderen Spiel tatsächlich geht.«

»Haben Sie schon einmal daran gedacht, das Buch selbst zu schreiben, nach dem Sie suchen?«, fragte Trixi.

Bedauernd schüttelte die alte Dame den Kopf: »Meine Liebe, ich bin einfach nicht wortgewaltig genug, um diesen Zauber in seiner Größe und Vielfalt beschreiben zu können.«

Die Lady reichte Trixi ihre von Altersflecken übersäte Hand und drückte sie dankbar. »Jedenfalls möchte ich mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken, dass Sie einer wehmütigen, alten Frau Ihre Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt haben. Es hat mir wirklich sehr gutgetan, über meine Empfindungen sprechen zu dürfen.«

»Es war mir eine Freude«, sagte Trixi voller Hochachtung.

Mit einem warmen Lächeln wandte sich die Frau ab und verließ die Buchhandlung.

»Was war denn mit dieser alten Schreckschraube los«, ätzte Ella und rauschte mit einem Stoß Kinderbücher an Trixi vorbei. Die abwertende Bemerkung ihrer Arbeitskollegin fühlte sich an wie eine kalte Dusche, und die Faszination dieses besonderen Moments war dahin.

Eins

Es gab Tage, an denen einfach nichts funktionieren wollte. Nicht nur, dass Trixi von einem nervigen Kunden an den Rand des Wahnsinns getrieben wurde – ein Stromausfall hatte dafür gesorgt, dass ihre halbfertigen Inventurlisten auf einmal futsch waren und sich fast acht Stunden Arbeit in den weiten Welten des Cyberspace in nichts auflösten. Selbst Ella, dem Computerjunkie der Firma, war es nicht mehr gelungen, die gelöschten Dateien zu retten. Frustriert über ihre eigene Dummheit, die Daten nicht zwischengespeichert zu haben, brach Trixi viel zu spät auf und hastete mit wehendem Mantel zur U-Bahn am Stephansplatz.

Normalerweise dauerte es von der Buchhandlung bis in die Kinderklinik kaum länger als eine halbe Stunde. Doch der öffentliche Stromausfall hatte auch in der U-Bahn ein ziemliches Chaos ausgelöst. Und das auch noch zur Rushhour. Zusammengedrängt wie Sardinen in der Blechdose warteten die Menschen auf den Bahnsteigen, bis der Fahrbetrieb endlich wieder losging. Erst nach zwei Intervallen ergatterte sie neben einem ziemlich übelriechenden Penner einen Stehplatz in der U-Bahn-Linie, die sie in den 9. Bezirk von Wien brachte.

Die Isolierstation der Kinderklinik lag in der obersten Etage. Heute hatte Trixi keine Zeit, um auf den Aufzug zu warten, der wie üblich nie da war, wenn man ihn wirklich dringend brauchte. Gleich zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete Trixi in das vierte Stockwerk. Keuchend wie die alte Dampflokomotive der Semmeringer Hochalpenbahn und so erhitzt, als ob sie höchstpersönlich die Kohlen in den Dampfkessel der eisernen Lady geschippt hätte, kam sie völlig erledigt in der Station des Krankenhauses an, wo jene Kinder der Stadt behandelt wurden, die man leider nicht mit fiebersenkenden Zäpfchen, Hustensaft oder Vitaminpillen nach ein oder zwei Tagen wieder nach Hause schicken konnte.

Wie jeden Tag wartete Paulina auch heute an der Stationstür auf ihre Mutter und presste ihr schmales Gesichtchen an das kalte Glas. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre war Paulina nun schon das fünfte Mal in der Isolierstation der Kinderklinik. Die Krankenhausaufenthalte hatte die Kleine einer ganz normalen Schutzimpfung zu verdanken, die bei ihr eine allergische Reaktion ausgelöst hatte. Seither war das Immunsystem von Trixis Tochter schwer beeinträchtigt. Die künstlich hervorgerufene Autoimmunerkrankung hatte es anfänglich auf Paulinas Mundschleimhäute abgesehen, die extrem schnell austrockneten. Mit dieser Trockenheit ging ein heftiges Brennen in ihrer Mundhöhle und in ihrem Rachen einher, die das Sprechen schwierig machte. Vor allem das Schlucken von fester Nahrung verursachte ihr so entsetzliche Qualen, dass Paulina in Extremsituationen nur flüssige Nahrung zu sich nehmen konnte.

Die Schübe kamen so unvermittelt wie die Gewitter im April. Die leichteren Anfälle hatte Trixi mit einem speziellen Medikamentencocktail ziemlich gut im Griff gehabt. Doch die letzten beiden Ausbrüche waren so heftig gewesen, dass Paulina innerhalb eines halben Jahres gleich zweimal stationär behandelt werden musste.

Nicht nur dieser Umstand beunruhigte Trixi, sondern auch, dass sich die Probleme nun stärker auf Paulinas Augen verlagerten. Am Anfang war es nur ein unangenehmes Brennen wie bei einer Bindehautentzündung gewesen. Doch bald hatte Paulina das Gefühl gehabt, als ob rauhe Sandkörner hinter ihren Augenlidern steckten. Außerdem ermüdeten ihre Augen rasch und wurden immer lichtempfindlicher. Die erste Untersuchung hatte eine leichte Schädigung der Hornhaut und der Bindehaut ergeben, die Trixi schon ziemlich beunruhigt hatte. Doch seit man sie nach der letzten Kontrolle darüber informiert hatte, dass sich durch die trockenen Schleimhäute Hornhautgeschwüre auf Paulinas Netzhaut bildeten, war Trixi außer sich vor Sorge. Sie hatte die behandelnden Ärzte so lange gelöchert, bis sie ihr endlich die Wahrheit gesagt hatten. Durch die sich verdichtenden Hornhautgeschwüre würde sich immer mehr die Netzhaut ablösen, was schlussendlich zur Erblindung ihres Kindes führen würde. An einigen Stellen des Auges löste sich die Netzhaut bereits, so dass Paulinas Sehkraft schon etwas beeinträchtigt war.

Die Ärzte waren ratlos und experimentierten ohne nennenswerte Fortschritte an Paulina herum. Nach der letzten Behandlung hatte die Kleine wie bei einer Chemotherapie ihr Haar verloren.

Trixi war in den letzten Monaten aber nicht untätig gewesen und wollte ihr Kind nicht diesen Stümpern überlassen, die in Paulina nichts anderes als ein Versuchskaninchen sahen. Bei ihren Recherchen war Trixi auf einen Artikel in einer ärztlichen Fachzeitschrift aufmerksam geworden, in dem über eine Stammzellentherapie mit sehr guten Ergebnissen im Kampf gegen Autoimmunerkrankungen berichtet wurde. Trixi hatte im Internet nach mehr Informationen gesucht und war auch bald fündig geworden. Mit etwas Glück konnten einige der Patienten durch diese besondere Therapie sogar vollständig geheilt werden. Mit diesen Erkenntnissen und voller Hoffnung war Trixi zu Paulinas behandelnden Ärzten gegangen. Doch diese bremsten ihren Höhenflug gleich wieder, als sie erfuhr, dass die Krankenkasse die hohen Therapiekosten nicht bezahlen würde. Außerdem gab es nur einen einzigen Spezialisten, der diese Form der Stammzellentherapie ausübte – und der praktizierte in Innsbruck. Eher würde sie eine Audienz beim Papst erhalten als einen Untersuchungstermin bei dem Onkologen, der über Jahre hinaus ausgebucht war und nur Privatpatienten annahm. Bis diese Behandlung als Standardtherapie anerkannt und von den Krankenkassen übernommen werden würde, dauerte es bestimmt noch eine halbe Ewigkeit. Bis dahin wäre Paulina längst blind.

Ohne ihre schwarze Lockenpracht sah Paulina noch verletzlicher aus als sonst und erinnerte mehr denn je an einen unglücklichen E. T., der nach Hause wollte. Jedes Mal, wenn Trixi den traurigen Ausdruck im Gesicht ihrer knapp sechsjährigen Tochter sah, schnürte sich ihr Herz zusammen. Doch Paulinas Wehmut war wie weggewischt und pure Freude strahlte aus ihren entzündeten Äuglein, als Trixi zur Tür hereinstürmte.

Schnell desinfizierte Trixi ihre Hände, bevor sie den Riegel der versperrten Tür zur Seite schob und den stark abgemagerten Körper ihrer Tochter voller Liebe an sich drückte. Das war für Trixi der glücklichste Moment des Tages. Mehr als sonst war sie dann von der stillen Hoffnung beseelt, dass es ihr gelingen würde, Paulinas Augenlicht zu retten. Irgendwie musste sie es einfach schaffen, die Kohle für diese verdammte Therapie aufzutreiben und diesen Innsbrucker Halbgott in Weiß zu bezirzen, trotz der langen Warteliste ihre Tochter zu behandeln.

Zusammen gingen sie zurück ins Krankenzimmer, wo die Kleine ihrer Mutter mit krächzender Stimme erzählte, was sie tagsüber erlebt hatte. Viel war es ja nicht, worüber sie berichten konnte. Durch die ständigen Behandlungen war Paulina ohnehin so geschwächt, dass sie vieles auch nur am Rande wahrnahm.

Die Geschichte, die Trixi jeden Abend ihrer Tochter erzählte, war das große Highlight des Tages, und Paulina freute sich wie eine Schneekönigin darauf. Fast täglich durchstöberte Trixi in der Buchhandlung die neuesten Kinderbücher nach lustigen Geschichten, die ihrer Tochter gefallen könnten. Während des Erzählens malte Trixi diese mit ihrer eigenen Fantasie so bunt und aufregend wie möglich aus, um ihrem kleinen Augenstern wenigstens ein paar Momente des Glücks und Vergessens zu bescheren.

Doch heute war es leider nur eine sehr kurze Geschichte, denn Trixi musste spätestens um 19 Uhr in Hietzing sein. Seit Trixi von dieser neuartigen Behandlungsmöglichkeit wusste, jobbte sie nebenbei bei Empfängen und Partys als Kellnerin. Mittlerweile hatte sie schon ein hübsches Sümmchen gespart, was aber letztendlich nicht mehr war als ein Tropfen auf einem heißen Stein. Bis Trixi das Geld hatte, um Paulina behandeln lassen zu können – vorausgesetzt, dass sie einen Termin bei diesem Arzt bekäme – würde noch verdammt viel Wasser die Donau hinunterfließen. Tief in ihrem Innersten wusste Trixi, dass es für ihre Tochter zu spät sein würde, wenn nicht in absehbarer Zeit ein Wunder geschähe. Doch nur herumzusitzen und auf diesen glücklichen Zufall zu warten, war einfach zu wenig. Trixi fühlte sich besser, wenn sie wusste, dass sie für ihr Kind alles in ihrer Macht Stehende tat.

Es war zwar strengstens verboten, doch Trixi hatte keine andere Wahl. Schnell verschwand sie in der Dusche des Krankenzimmers. Durch das Laufen von der U-Bahn in die Klinik und hoch in den vierten Stock hatte sie stark geschwitzt, dass sie nun bestimmt schon so heftig stank wie der Penner in der U-Bahn. Mit dieser scharfen Duftnote konnte sie unmöglich im Haus der Mühlhofers Cocktails und Champagner servieren. Die Zeit reichte heute aber einfach nicht mehr aus, um sich zu Hause frisch zu machen.

Nachdem sie geduscht hatte, bürstete Trixi ihr schwarzes Haar so lange, bis es glänzte. Dann steckte sie es zu einem schlichten Knoten im Nacken fest. Die weiße Bluse, die sie heute Morgen noch schnell gebügelt hatte, fischte sie nun ziemlich zerknittert aus ihrer Tasche. Doch ihre Körperwärme würde die Falten bald wieder glätten; das hoffte Trixi jedenfalls. Der schwarze Rock, der ihr vor Weihnachten noch ziemlich locker auf den Hüften gesessen hatte, war durch die vielen Plätzchen eindeutig zu eng geworden. Die weichen Speckröllchen drängten so heftig über den engen Bund des Rockes, dass sich Trixi wie ein Michelin-Männchen fühlte. Für diesen Abend musste er aber reichen. Das weiße Spitzenschürzchen mit der riesigen, weißen Schleife über ihrem ausladenden Hintern würde dafür sorgen, dass der prall sitzende Rock nicht allzu sehr auffiel.

Sie trug noch etwas Make-up und Lippenstift auf und zog ihre ziemlich ausgetretenen, aber bequemen Collegeschuhe an, mit denen Trixi im Laden heute schon den ganzen Tag über unzählige Kilometer wegen dieser verdammten Inventur zurückgelegt hatte, die letztendlich umsonst gewesen war.

Wie üblich würde der Abend bei den Mühlhofers lange dauern. Bis zum Nachhausegehen sahen ihre Füße bestimmt wie gekochte Weißwürste aus. In weiser Voraussicht hatte sich Trixi daher für ihre alten Treter entschieden und nicht für die neuen, die sie im Ausverkauf zum halben Preis erstanden, aber noch nicht eingelaufen hatte. Wirklich gutes Schuhwerk kostete ein kleines Vermögen, das sie nicht auszugeben bereit war. Lieber investierte sie ihr hart verdientes Geld in die hoffentlich baldige Behandlung ihres Kindes.

Ein letzter kritischer Blick in den Spiegel ließ sie zu der traurigen Erkenntnis gelangen: 15 Kilogramm weniger und ein bisschen mehr Schlaf und Ruhe würden wahre Wunder bewirken und sie nicht so viel älter als 28 Jahre aussehen lassen.

Vor der Krankheit ihrer Tochter war Trixi sehr begehrt gewesen. So manches Männerherz hatte beim Anblick der rassigen Halbitalienerin mit den sexy Rundungen um einiges höher geschlagen. Doch mit den tiefen Sorgenringen unter ihren müden Augen und einem Body, der ziemlich aus der Form geraten war, waren die begehrlich-schmachtenden Blicke liebestoller Verehrer ausgeblieben.

Mit diesem Manko konnte Trixi aber durchaus leben. Für Männer gab es in ihrem Leben ohnehin keinen Platz mehr. Viel zu sehr war sie auf das Wohlergehen ihrer Tochter konzentriert, was neben dem Job ihre völlige Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Paulina war bereits eingeschlummert, als sie aus dem Badezimmer kam. Die Kleine war so erschöpft, dass sie die meiste Zeit schlief. Dafür war Trixi sehr dankbar, denn sie konnte unmöglich den ganzen Tag am Bett ihrer Tochter sitzen. Zärtlich küsste Trixi die eingefallene Wange ihres kranken Kindes, bevor sie mit dem permanent schlechten Gewissen einer alleinerziehenden Mutter die Isolierstation verließ.

Zwei

Dichter Schneefall ließ die Stadt langsam unter einer weißen Decke versinken. Im Schlepptau dieser kühlen Pracht pfiff ein eisiger Wind durch die Straßen. Als ob er auf Trixi gewartet hätte, jagte der kalte Geselle eine ordentliche Brise durch ihr dünnes Mäntelchen und schüttelte ihren Körper wie einen Sack voller Wäscheklammern. Am liebsten wäre Trixi gleich wieder in die Straßenbahn gestiegen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite zurückfuhr. Doch seufzend widerstand Trixi der Versuchung. Mit hochgezogenen Schultern und klappernden Zähnen arbeitete sie sich durch den Schnee die menschenleere Jagdschlossgasse hoch.

Das Haus der Mühlhofers lag im Villenviertel von Hietzing. Sehr schön, sehr elitär, doch vor allem sehr weit abseits vom Schuss, so dass der Weg ohne fahrbaren Untersatz gerade jetzt ziemlich beschwerlich war.

Leise fluchte Trixi vor sich hin. Die Schneemassen waren noch nicht von den Gehsteigen gekehrt worden. Immer wieder tauchte sie so tief in dieses noch bauschige Nass ein, dass ihre Schuhe völlig darin verschwanden. Der feuchte Schnee durchnässte das Leder und weitete ihre Schuhe, so dass ihre Füße darin leicht zu schwimmen begannen.

Das Anwesen der Mühlhofers war bereits festlich erleuchtet, als Trixi bibbernd vor Kälte durch den Vorgarten der Villa hastete. Das Catering war auch schon da, und Angestellte des Partyservices liefen mit unzähligen Tabletts voller Speisen, mit Tischwäsche, Geschirr und Getränken zum Hintereingang hinein. Trixi war nun sicher, dass der Abend lange dauern würde und sie erst in den frühen Morgenstunden nach Hause aufbrechen konnte. Gott sei Dank war morgen Samstag, und Trixi hatte frei. Sie konnte lang ausschlafen, bevor sie am Nachmittag wieder in die Klinik fuhr.

Durch den Hintereingang eilte Trixi direkt in die Küche. Sie wusste, dass es die Hausherren nicht gerne sahen, wenn das Dienstpersonal den Haupteingang benutzte. Trixi freute sich aber jedes Mal, wenn sie von dem Ehepaar gebucht wurde. Für einige Stunden konnte sie dann dem eintönigen Alltag entfliehen und den Luxus bewundern, mit dem sich die wohlhabende Familie umgab.

Die elegante Atmosphäre konnte man in keinster Weise mit ihrem schmuddeligen Zuhause vergleichen. Schon die Küche hier war um einiges größer als ihre gesamte Wohnung.

Das restliche Aushilfspersonal war auch schon da. Andrea, Sebastian und Doris kannte Trixi schon von den letzten beiden Partys. Die Studenten waren dabei, das Geschirr aus den Plastikboxen zu räumen und es auf die mit gestärkten, weißen Leinentischtüchern bedeckten Servierwagen zu stellen.

Die Hektik im Raum erfasste nun auch Trixi. Schnell band sie eine der weißen Spitzenschürzen um und nahm die Tabletts entgegen, die ihr der Mann vom Partyservice an der Hintertür in die Hände drückte. Das Team hier war gut eingespielt, so dass es nicht vieler Worte bedurfte, wer was zu machen hatte. Das Hauspersonal würde in der Küche arbeiten, während sie mit den drei anderen Aushilfskräften die Gäste bediente.

Durch die Haushälterin hatte Trixi erfahren, dass etwa 80 Personen erwartet wurden und bereits in einer halben Stunde die ersten Gäste eintreffen würden. Bis dahin musste alles fertig sein. Auch die Gastgeber würden erst kurz vor 20 Uhr ins Erdgeschoss herunterkommen und prüfen, ob alles zu ihrer Zufriedenheit vorbereitet worden war. Schneller als erwartet war alles an Ort und Stelle, so dass Trixi im Spiegel noch schnell testen konnte, ob Frisur und Make-up passten und die gestärkte Schleife ihrer Schürzenbänder auch groß genug war, um ihre Problemzone weitgehend zu verdecken.

Nach und nach trafen jetzt die Gäste ein. Trixi verließ die Küche mit einem Silbertablett und bot ihnen prickelnden, kalten Kir Royal in hauchdünnen Bleikristallschalen an. Zumeist ignorierte man sie und unterhielt sich weiter, während man ein Glas vom Tablett nahm. Doch manchmal lächelte auch einer der Gäste zurück und fragte Trixi nach ihrem Befinden. Dies waren dann jene Momente, in denen sich Trixi doch nicht so ganz wie ein Niemand fühlte.

Einige der Gäste kannte Trixi schon von den letzten beiden Partys. Sie zählten zum engen Freundeskreis der Mühlhofers. Die meisten waren aber Geschäftsfreunde des Hausherrn oder jene, von denen er hoffte, dass sie es bald sein würden.

Der Abend war schon weit fortgeschritten und eine angenehm lockere Atmosphäre erfüllte das Haus. Trixi war mit einem Tablett schmutziger Gläser in die Küche unterwegs. Eine der teuren Champagnerschalen stand so unglücklich auf dem Tablett, dass sie jeden Augenblick abzustürzen drohte. Im letzten Moment gelang es Trixi, das fallende Glas zu retten, worauf sie erleichtert durchatmete und ihren Weg in die Küche fortsetzen wollte.

Als ob sie ein heftiger Stromstoß durchrüttelte, blieb Trixi wie angewurzelt stehen. Der Mann musste gerade durch die Eingangstür gekommen sein, denn Schneeflocken lagen noch auf seinen breiten Schultern, die aber in der Wärme langsam dahinschmolzen und in das feine Tuch seines Sakkos drangen.

Sein intensiver Blick fühlte sich an wie der einer Königskobra, die ihre Beute fixierte, bevor sie zubiss.

Der Mann war groß, verdammt groß sogar. Er trug einen dunkelgrauen, perfekt sitzenden Anzug, der ihn noch wuchtiger und imposanter wirken ließ, als er ohnehin schon war. Das Auffälligste an ihm war aber eine Narbe, die sein markantes Gesicht in zwei Hälften zu teilen schien. Wie ein roter Blitz verlief sie schräg über die spiegelglatte Glatze, entlang der linken Stirnhälfte über seine Wange und Lippen bis hinab zum Kinn. Sein tief in der Höhle liegendes linkes Auge hatte von dem Schnitt, oder was auch immer diese furchtbare Verletzung verursacht haben mochte, nichts abbekommen. Hypnotisierend starrte er Trixi an.

Trixi hatte keine Ahnung, wie lange sie so dagestanden und ihn unverwandt angeblickt hatte. Erst als Doris mit einem Tablett voller Petits Fours vorbeirauschte und ihr zurief: »Vorsicht, sonst erstarrst du noch zu einem Arbeiterdenkmal«, kam Trixi wieder zu sich und eilte in die Küche.

Aufgeregt fragte sie sich, wer dieser späte Gast wohl war. Vielleicht handelte es sich um einen Freund der Mühlhofers? Gesehen hatte sie ihn hier jedenfalls noch nie, denn an dieses Prachtstück hätte sie sich bestimmt erinnert.

Ein ganz eigentümliches Gefühl umfing Trixi, das sie sich nicht erklären konnte. Der Mann strahlte die archaische Überlegenheit eines Alphatiers aus, was Trixi unwillkürlich in seinen Bann gezogen hatte. Doch auch sein eindringlicher Blick ließ sie nicht kalt. Diese stahlblauen Augen hatten etwas von Röntgenstrahlen an sich, die bis in die letzte Faser ihres Körpers vorzudringen versuchten.

Bei dem Gedanken an diese Augen begann es in Trixis Bauch wie in einem Ameisenhaufen zu kribbeln. So ein heftiges Vibrieren war ihr bis jetzt völlig fremd gewesen. Trixi musste sich zusammenreißen und diese unbestimmte Nervosität unterdrücken. Doch als sie mit dem frisch befüllten Gläsertablett wieder der Bibliothek zusteuerte, begann ihr Herz laut und ungewöhnlich schnell zu pochen. Sie hielt nach ihm Ausschau und musste nicht lange suchen, denn wegen seiner enormen Größe war er kaum zu übersehen. Der Mann stand mit dem Rücken zu ihr und unterhielt sich mit der Dame des Hauses. Doch als ob er ihren Blick spürte, wandte er sich langsam Trixi zu und fixierte sie wieder.

Dieses Mal wollte sich Trixi aber nicht mehr in die Flucht schlagen lassen und starrte mit derselben Intensität zurück. Dieses Blickduell erwies sich für Trixi aber als fataler Fehler. Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen, ehe er seine Hand hob und Trixi wie einen Lakai zu sich beorderte. Sein herrisches Winken zerstörte den besonderen Zauber, der ihr Herz für kurze Zeit im Dreivierteltakt hatte schlagen lassen. Instinktiv wusste Trixi, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte und sie gleich auf die Schnauze fallen würde.

Fast widerwillig folgte Trixi seiner Aufforderung. Im Grunde machte es ihr nichts aus, wenn man sie ignorierte. Trixi zählte schließlich zum Dienstpersonal und nicht zu den Gästen dieser Abendgesellschaft. Doch von oben herab ließ sie sich nicht gern behandeln. Trixi war zwar arm wie eine Kirchenmaus, vielleicht sogar noch eine Spur bemitleidenswerter, doch in ihr wohnte die Grandezza einer spanischen Adeligen-, auch wenn sie nur eine kleine Halbitalienerin war.

Der Versuch eines Lächelns ging in einer kläglichen Grimasse unter. Irgendwie wollte es ihr nicht gelingen, ihr Missfallen zu verbergen.

»Sie wünschen?«, fragte sie tonlos.

»Bringen Sie mir ein Glas trockenen Rotwein.«

Das Volumen seiner tiefen Baritonstimme beutelte Trixi durch. Was hatte sie erwartet? Dass aus diesem mächtigen Resonanzkörper die Fistelstimme eines Kastraten tönte? Das Timbre seiner Stimme hatte aber auch etwas unglaublich Arrogantes, was Trixis Blut noch mehr in Wallung versetzte. Und was das Fass fast zum Überlaufen brachte, war die Tatsache, dass der Typ auch noch ein überheblicher Piefke-Schnösel war. Jetzt war der Zauber endgültig gebrochen.

Schnell konzentrierte sie sich wieder auf seine Bestellung. Einen trockenen Rotwein wollte er also. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Der burgenländische Zweigelt, der heute serviert wurde, war alles andere als trocken.

An ihrem verwirrten Gesichtsausdruck musste dieser Kleiderschrank wohl erkannt haben, dass sie leicht überfordert war, so dass er sich ein wenig genervt an Frau Mühlhofer wandte.

»Liebe Marianne, hast du vielleicht noch eine Flasche dieses guten kalifornischen Pinot Noir, den ich Franz bei meinem letzten Besuch mitgebracht habe?«

»Ja, es könnten noch ein oder zwei Flaschen da sein«, überlegte Frau Mühlhofer. »Trixi, können Sie bitte im Weinkeller nachsehen?«

»Sehr wohl. Ich werde gleich nachschauen und Sebastian bitten, Ihrem Gast ein Glas zu servieren«, antwortete Trixi und war froh, dass sie wieder abtauchen konnte. Doch gerade als sie sich von ihm abgewandt hatte, fuhren seine scharfen Worte wie Peitschenhiebe auf ihren Rücken nieder. »Spreche ich so unverständlich? Ich sagte doch klar und deutlich, dass Sie mir den Wein bringen sollen.«

Von einer Sekunde auf die andere war eine Spannung entstanden, die die Luft knistern ließ. Auch Frau Mühlhofer fühlte sich von der aggressiven Äußerung ihres Gastes ein wenig vor den Kopf gestoßen. Als ob er auf diese Reaktion gewartet hätte, setzte er gleich noch eins drauf: »Es ist wirklich fast unmöglich, heute noch kompetentes Dienstpersonal zu finden. Findest du nicht auch, Marianne?«

Trixi fuhr herum, und der aufgestaute Zorn ließ ihre Augen böse funkeln. Was bildete sich dieses hässliche Narbengesicht eigentlich ein? Doch bevor sie ihm vor die Füße spucken konnte, dass er sich seinen Rotwein sonst wo hinschieben sollte, kam ihr Frau Mühlhofer zuvor und glättete die Wogen. Mit freundlicher, bittender Stimme berührte sie Trixis Arm: »Liebe Trixi, seien Sie bitte die Retterin in der Not und erfüllen Sie unserem ungeduldigen Gast seinen Wunsch.«

Der beschwörende Blick der Gastgeberin ließ Trixi zur Vernunft kommen, und sie drosselte ihre Wut.

»Wie Sie wünschen«, antwortete sie.

Als Trixi wieder in der Küche war, fischte sie ein benutztes Rotweinglas aus dem Geschirrspüler und schenkte die Weinreste aus den Gläsern zusammen, die für den Abwasch bestimmt waren. Nie und nimmer würde sie für diesen Fiesling in den Keller gehen und nach diesem Pinot Noir suchen. Ein so guter Tropfen war für diesen überheblichen Mistkerl einfach zu schade, selbst wenn er ihn irgendwann einmal mitgebracht hatte. Mit ihrem speichelnassen Finger wischte sie den Abdruck eines roten Lippenstifts vom Glas, stellte es auf ein kleines Silbertablett und wartete dann noch ein wenig. Die Schadenfreude ließ ihren Groll nun etwas abklingen. Fast hatte sie ein bisschen Mitleid mit dem überheblichen Typ. Vielleicht wäre sie ja auch so gemein, wenn sie mit einer so abstoßenden Narbe mitten im Gesicht herumlaufen müsste.

Mit einem nun überaus freundlichen Lächeln steuerte sie den Fremden direkt an und reichte ihm das Glas. Dieser ignorierte Trixi samt ihrem Lächeln und nahm einen Schluck Wein. Natürlich erkannte er sofort, dass es nicht die Sorte war, nach der er verlangt hatte. Verärgert wollte er sich erneut auf Trixi einschießen, doch diese hatte vorsichtshalber schon das Weite gesucht.

Aus sicherer Entfernung sah Trixi über die Schulter zurück und blieb irritiert stehen. Mit einem beifälligen Schmunzeln beobachtete der Mann, wie Trixi sich aus der Gefahrenzone manövrierte. Sein Gesicht hatte plötzlich nichts Herrisches oder Herablassendes mehr. In seinem Lächeln lag sogar etwas Verbindliches, als seine Lippen das Wort Touché formten.

Verwirrt drehte sich Trixi um und eilte in die Küche. Wer war dieser Typ, der so anders war als alle Männer, die sie bis jetzt kennengelernt hatte?

Für den Rest des Abends hielt sich Trixi lieber außerhalb seiner Reichweite auf. Doch selbst wenn sie sich in der entferntesten Ecke aufhielt, fühlte sie sich von seinen Blicken berührt. Sie hatten etwas Aufwühlendes, Geheimnisvolles und Aufregendes, waren aber fordernd und brutal, was Trixi ziemlich nervös machte. Immer wieder musste sie zu ihm hinsehen, als ob er mit einem Magneten ihre Blicke anzog.

Doch nicht nur Trixi war der Mann aufgefallen. Auch einige der anwesenden Damen hatten ein Auge auf ihn geworfen und suchten den Blickkontakt mit ihm. Eine dieser Ladys war so unverfroren und ging sogar einen Schritt weiter. Die aufgetakelte Wasserstoffblondine, die dem fünfzigsten Lebensjahr eindeutig schon näher war als dem vierzigsten, hatte den Mann in ein Gespräch verwickelt und flirtete ihn hemmungslos an. Ihrem Begleiter, der sie mit gerunzelter Stirn beobachtete, schien das weniger zu gefallen, und er schüttete ein Glas Wein nach dem anderen hinunter.

Trixi hatte nicht den Eindruck, dass den Fremden die Avancen der Blondine sonderlich antörnten. Er schien mehr an Trixi als an diesem Vamp interessiert zu sein, was Trixi ganz tief in ihrem Innersten sogar schmeichelte, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte.

Plötzlich war er weg, und die schon ein wenig in die Jahre gekommene Lady hatte nun ordentlich Zoff mit ihrem Begleiter. Zumindest fing Trixi beim Vorbeigehen die Worte notgeile Schlampe auf.

Der Fremde musste gegangen sein, während Trixi im Esszimmer das benutzte Geschirr abgeräumt hatte. Im ersten Moment atmete sie erleichtert durch, und ein seltsamer Druck wich von ihr. Dafür war aber eine eigenartige Leere entstanden, die sich Trixi nicht erklären konnte.

Es war schon sehr lange her, dass ein Mann ihr Blut dermaßen in Wallung versetzt hatte. Tief in ihrer Seele spürte Trixi, dass dieser innere Aufruhr nicht nur durch den Schlagabtausch von vorhin ausgelöst worden war. Ihr sechster Sinn sagte ihr, dass die Begegnung mit diesem Mann bestimmt nicht die letzte sein würde. Zu diesem Zeitpunkt wusste Trixi noch nicht, wie recht sie damit hatte.

Drei

Um vier Uhr morgens verließen die letzten Gäste endlich das Haus. Die Köchin hatte sich schon vor Stunden zurückgezogen, und auch die Aushilfskellner waren kurz nach zwei Uhr gegangen. Trixi hatte sich bereit erklärt, bis zur bitteren Neige zu bleiben.

Ihre Fußsohlen brannten nun wie glühende Kohlen. Das aufgeweichte Leder der Schuhe hatte sich nach dem Trocknen nicht mehr zusammengezogen, was sich als echtes Problem erwies. Den ganzen Abend über hatte Trixi ziemlich verkrampft in den ausgetretenen Schuhen gestanden, um sie nicht zu verlieren. Die nassen Schneeränder hatten außerdem eine hässliche weiße Spur auf dem nun brüchigen Leder hinterlassen. Doch das war jetzt unwichtig. Trixi wollte nur noch nach Hause. Seit beinahe 24 Stunden war sie jetzt auf den Beinen, und durch den Schlafentzug schmerzten allmählich ihre Glieder.

Trixi war zum Weinen zumute, als sie an die weite Strecke dachte, die sie jetzt noch bis zum Nachtbus zurücklegen musste und der eine halbe Ewigkeit von der Jagdschlossgasse entfernt seine Haltestelle hatte. Vielleicht sollte sie noch eine Stunde warten, bis die erste Straßenbahn fuhr, oder sollte sie sich doch den Luxus eines Taxis leisten? Doch das Taxi von hier bis zu ihrer Wohnung würde bestimmt mehr als 50 Euro kosten. Teures Geld, das auf ihrem Sparbuch sicherlich besser angelegt war.

Nachdem Frau Mühlhofer die letzten Gäste verabschiedet hatte, kam sie in die Küche und drückte Trixi 200 Euro in die Hand. Das waren 50 Euro mehr als vereinbart.

»Vielen Dank, Trixi, dass Sie so lange ausgehalten haben.«

»Vielen Dank, dass Sie so großzügig sind, Frau Mühlhofer.«

»Das ist doch kaum der Rede wert. Mein Mann und ich sind immer sehr froh, wenn Sie uns helfen, besonders dann, wenn wir schwierige Gäste im Haus haben.«

Trixi wusste natürlich sofort, auf wen sie anspielte.

»Nun ja, soviel ich weiß, ist morgen Vollmond. Da kann es schon passieren, dass der eine oder andere ein wenig aus dem Rahmen fällt«, schmunzelte Trixi.

»Das kann durchaus möglich sein«, stimmte Frau Mühlhofer zerstreut zu und suchte unter den offenen Weinen eine bestimmte Flasche. »Gibt es noch etwas von diesem Pinot Noir, den Sie für unseren speziellen Gast geöffnet haben?«, fragte sie schließlich.

»Ja, aber die Flasche ist noch im Keller.«

Trixi hatte vorhin die vollen Weinflaschen wieder in den Keller gebracht. Dabei waren ihr drei Flaschen dieses kalifornischen Rotweins aufgefallen, die im Regal der erlesenen Tropfen gelagert waren.

»Aber ich hatte Sie doch gebeten …«

»Ich weiß, dass es mir nicht zustand, Ihre Anweisung zu ignorieren. Doch ich brachte es einfach nicht übers Herz, diesen guten Wein für diesen schrecklichen Mann zu öffnen«, unterbrach Trixi Frau Mühlhofer schuldbewusst. »Ich laufe aber schnell in den Keller hinunter und hole eine der Flaschen für Sie und Ihren Mann.« Schon machte sie sich auf den Weg in den Keller.

»Das ist wirklich nicht nötig«, hielt Frau Mühlhofer Trixi auf. »Doch welchen Wein hat er dann getrunken?«

»Natürlich den Zweigelt, den alle anderen auch getrunken haben«, zwinkerte Trixi ihr zu. Dass sie Reste zusammengeschüttet hatte, verriet sie natürlich nicht.

Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm Frau Mühlhofer eine der halbleeren Flaschen und zwei saubere Gläser vom Tisch.

»Kleine Sünden bestraft der Herr eben sofort«, grinste sie Trixi an. »Jedenfalls war die Party ein voller Erfolg, auf den ich mit meinem Mann noch einmal anstoßen will.«

»Darf ich Sie noch etwas fragen«, rief Trixi ihr nach. »Wer war dieser sonderbare Mann?«

Frau Mühlhofer lehnte sich in den Türrahmen, und ein Schatten von Bedauern huschte über ihr hübsches Gesicht.

»Louis Oppenheim ist ein guter, wenn auch selten gesehener Freund meines Mannes. Er stammt aus einer alten Hamburger Reederfamilie und ist sozusagen das Enfant terrible im ehrwürdigen Oppenheim-Clan«, sagte Frau Mühlhofer. »Zumindest hat er sich nicht dem Willen seines Vaters unterworfen, der ihn in das enge Korsett der Firma und der alteingesessenen und teilweise sehr spießigen Familien von Hamburg pressen wollte.«

»Und woher stammt diese schreckliche Narbe?«, setzte Trixi nach, die sich mehr für Oppenheims Äußeres interessierte als für seine biedere Familiengeschichte.

»Die hat er sich vor Jahren bei einem dieser verheerenden Buschbrände in Australien zugezogen. Der glühende Draht einer herabfallenden Leitung hat ihn erwischt und sich tief in sein Gesicht gebrannt.«

»Das muss ja schrecklich gewesen sein.«

»Ja, das war es. Aber die Narbe war sicherlich noch das kleinste Übel …«

Im letzten Moment hielt sich Frau Mühlhofer zurück, Trixi die ganze Tragödie zu erzählen.

Mit einem bedauernden Seufzen stieß sie sich vom Türrahmen ab und lächelte Trixi entschuldigend an.

»Jedenfalls hat der Mann sehr viel durchgemacht. Deshalb dürfen Sie ihm auch seine Unbeherrschtheit nicht allzu übel nehmen.«

Nachdem Frau Mühlhofer gegangen war, überlegte Trixi, welcher Schicksalsschlag diesen Mann wohl getroffen haben könnte. Doch dann kamen Trixi wieder ihre eigenen Probleme in den Sinn. Jeder musste eben sein Kreuz tragen. Trotzdem hatte niemand das Recht, sein Leid an anderen auszulassen.

Mit einem lauten Gähnen zog Trixi ihren Mantel an. Der Gedanke, sich von dem großzügigen Zuschuss nun doch ein Taxi zu leisten, war sehr verlockend. Doch dann dachte Trixi an ihre kaputten Schuhe. Mit dem zusätzlichen Fünfziger konnte sie sich ohne schlechtes Gewissen ein neues Paar kaufen oder das Geld wie geplant aufs Sparbuch legen.

Vier

Der Schneesturm des Vorabends war nicht mehr ganz so heftig, aber immer noch stark genug, um die vom Himmel fallenden Schneeflocken wild herumzuwirbeln. Bis weit über ihre Knöchel versanken Trixis Beine im Schnee. Jetzt bereute sie es, kein Taxi gerufen zu haben. Müde zog sie die Kapuze ihres Mantels über den Kopf und band den Schal fester um den Hals, um ein wenig besser gegen den kalten Wind geschützt zu sein.

Die Reifen eines näherkommenden Wagens pressten den auf der Straße liegenden Schnee dumpf zusammen. Ein untrügliches Zeichen, dass die Temperatur weit unter null Grad liegen musste.

Das Auto fuhr nicht weiter, sondern blieb neben ihr stehen. Trixi hatte jetzt absolut keine Lust, einem verirrten Autofahrer Auskunft zu geben. Genervt wandte sie sich dem dunklen Geländewagen zu, während der Fahrer die mit einer dünnen Schneeschicht bedeckte Fensterscheibe herunterfahren ließ. Erschrocken fuhr Trixi zusammen, als sie das Narbengesicht hinter dem Steuer sitzen sah.

»Kann ich Sie ein Stück mitnehmen?«

»Nein danke, ich gehe lieber zu Fuß«, erwiderte sie und setzte nun etwas schneller ihren Weg fort.

Der Wagen fuhr neben ihr im Schritttempo weiter.

»Wo wohnen Sie denn?«

»Nicht in diesem Bezirk«, wich Trixi seiner Frage aus.

»Na, dann noch viel Spaß. Wenn man dem Verkehrsfunk glauben darf, so sind alle öffentlichen Verkehrsmittel wegen des heftigen Schneefalls eingestellt.«

»Was?«, rief Trixi bestürzt und blieb abrupt stehen. »Das kann doch nicht wahr sein.«

Bis nach Hause konnte sie unmöglich laufen. Bei diesem Wetter würde das sicherlich einen halben Tag, wenn nicht noch länger dauern. Das würde sie auf keinen Fall schaffen, und Trixi spürte einen Anflug von Verzweiflung in sich hochkriechen.

»Es hat in der Nacht stellenweise über 40 Zentimeter geschneit. Kein Wunder, dass alles lahmgelegt ist«, sagte der Mann und sah auf ihre durchnässten Schuhe, deren weiße Schneeränder nicht mehr zu sehen waren.

»Bis in die Innenstadt könnte ich Sie mitnehmen«, bot er an.

Trixi wusste nicht, was sie tun sollte. Stolz, Vernunft und furchtbare Müdigkeit lieferten sich in ihr ein hartes Gefecht. Sollte sie über ihren Schatten springen? Es war gefährlich, zu einem fremden Mann in den Wagen zu steigen, selbst wenn er ein Freund der Mühlhofers war. Ihre Abneigung gegen diesen Typen war ein weiterer Grund, warum sie nicht mitfahren wollte. Andererseits fuhr er in die Stadtmitte. Das war mehr als zwei Drittel der Strecke bis nach Hause.

Als keine Reaktion von Trixi kam, ließ der Mann die Fensterscheibe langsam wieder hochfahren, während er sagte: »Wie Sie wollen. Sie stehen in der Kälte, nicht ich.«

»Warten Sie, ich komm ja schon«, rief Trixi aufgeregt und stieg in den Wagen.

Langsam setzte sich das Auto in Bewegung. Wie auf Eiern fuhr der Fremde die Straße bergab, die wie die meisten anderen Seitenstraßen noch nicht geräumt war.

Lange Zeit herrschte Schweigen. Der Mann musste sich aufs Fahren konzentrieren. Unter der Schneeschicht war die Straße spiegelglatt, so dass der Wagen immer wieder wegzurutschen drohte. Erst als sie in die Hietzinger Hauptstraße einbogen, wo die Schneefahrzeuge bereits mit vollem Einsatz unterwegs waren und das Streusalz die Eisschicht auf der Straße gelöst hatte, war die Gefahr gebannt.

»Wie heißen Sie?«, fragte er unvermittelt.

»Trixi Graziano.«

»Welch schöner und wohlklingender Name, wenn man ihn richtig ausspricht.«

Der Mann hielt an einer Ampel und wandte sich ihr zu: »Ich werde Sie Beatrice nennen und Sie nicht so fantasielos Trixi rufen.«

»Wie Sie wollen«, erwiderte sie und zuckte mit den Schultern. »Ich glaube aber kaum, dass Sie dazu viele Gelegenheiten haben werden.«

»Wir werden ja sehen, was das Schicksal noch bereithält«, lächelte er sie rätselhaft an.

Diese Aussage machte Trixi ein wenig stutzig. Von welchem Schicksal sprach er? Sicherlich keines, dass sie miteinander teilen oder verbinden würde.

»Übrigens, ich heiße Louis Oppenheim.«

Er konzentrierte sich nun wieder auf die Straße, so dass sie ihn unbemerkt von der Seite mustern konnte. Diese Gesichtshälfte war nicht durch die Narbe entstellt. Von ihrem Platz aus betrachtet, war der Mann gar nicht so hässlich. Er hatte eine hohe Stirn, eine lange gerade Nase, schön geformte Lippen und ein energisches Kinn, zumindest auf einer Seite. Seine Gesichtszüge waren aber zu ausgeprägt, als dass man ihn schön nennen konnte, bestenfalls attraktiv.

Sein völlig haarloser Kopf machte es schwer, sein Alter zu schätzen. Doch sicherlich war er schon Mitte dreißig.

»Wieso haben Sie sich meiner Anweisung widersetzt und mir nicht den gewünschten Wein gebracht?«, riss er Trixi aus ihren Gedanken. Für einen Moment wusste sie nicht, was er meinte.

»Weil ich mir nicht gerne etwas befehlen lasse.«

»Das Leben besteht aber aus Befehlen und Anordnungen, liebe Beatrice.«

»Aber es ist immer noch der Ton, der die Musik macht.«

»In der Regel tanzt man nach meiner Pfeife.«

»Sie müssen wissen, dass ich eine sehr schlechte Tänzerin bin«, konterte sie angriffslustig, worauf Oppenheim vergnügt grinste.

»Sie hatten Angst, als Sie zu mir ins Auto stiegen, nicht wahr?«, fragte er sie genauso plötzlich, wie er sein Auto vor einem Stopp-Schild eingebremst hatte.

»Nein«, erwiderte sie eine Spur zu überzeugt. Doch dann rückte Trixi doch mit der Halbwahrheit raus: »Vielleicht ein ganz klein wenig.«

»Und trotzdem sind Sie eingestiegen.«

»Nun ja, es war kalt, und der Weg nach Hause ist weit. No risk, no fun eben«, versuchte sie so leichthin wie möglich, ihre Entscheidung herunterzuspielen.

»Und jetzt haben Sie keine Angst mehr?«

»Nicht wirklich«, log Trixi, während sich ihre Nackenhaare noch mehr aufstellten als vorhin im kalten Wind.

»Ich könnte Sie aber bedrängen oder gar vergewaltigen«, sagte Oppenheim. »Der Wagen hat eine Zentralverriegelung. Ein Knopfdruck, und eine Flucht ist unmöglich. Dann wären Sie mir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.«

In Trixi standen plötzlich sämtliche Alarmzeichen auf Rot. Worauf wollte dieser Verrückte hinaus? Sollte sie gleich aus dem fahrenden Auto springen, noch bevor er die Türen verschließen konnte und sie seine Gefangene war? Doch diesen Sprung wagte sie dann doch nicht. Trixi setzte an seinen Genitalbereich die einzige Waffe an, die ihre Handtasche zu bieten hatte. »Ein Knopfdruck, und Sie sind kein Mann mehr«, entgegnete sie drohend.

Oppenheim blickte an sich hinunter und lachte amüsiert: »Mit einer Nagelfeile wollen Sie mir meine Männlichkeit rauben?«

Trixi merkte selbst, wie lächerlich ihre Vorstellung war.

»Das nennt man wohl den Mut der Verlorenen«, machte er sich weiter über Trixi lustig.

Doch sie wollte sich nicht geschlagen geben: »David hat Goliath schließlich auch mit einer Steinschleuder besiegt.«

»So, so. Hat er das?«

Schnell ließ Trixi ihre Nagelfeile in der Handtasche verschwinden, bevor sie sich noch lächerlicher machte.

»Ich glaube kaum, dass Ihre körperlichen Kräfte samt Ihres gefährlichen Mordinstrumentes ausreichen würden, um mir Paroli zu bieten«, sagte er überzeugt. »Aber ich bewundere Ihren Mut und Ihr Köpfchen und dass Sie nicht auf den Mund gefallen sind«, nickte er ihr anerkennend zu, während er in die Rechte Wienzeile einbog.

»In welchem Bezirk wohnen Sie?«, fragte er.

»In Floridsdorf. Sie können mich aber gleich beim Naschmarkt aussteigen lassen. In einer halben Stunde fährt die erste U-Bahn in den 21. Bezirk.«

»Natürlich bringe ich Sie nach Hause. Sie werden doch nicht wirklich glauben, dass ich Sie um diese Zeit hier alleine lasse. Es ist mir wohler zu wissen, dass Sie gut nach Hause gekommen sind.«

»Ich bezweifle sehr, dass es um diese Zeit in der U-Bahn-Station gefährlicher zugeht als hier in Ihrem Wagen«, ätzte Trixi.

»Bei mir sind Sie genauso sicher aufgehoben wie in Fort Knox«, erwiderte er. Jeder Schalk war nun aus seinen Augen gewichen.

Trixis Beklemmung begann sich langsam wieder zu verflüchtigen. Vielleicht war der Mann ja doch nicht so ein Widerling und konnte auch ganz nett sein.

Oppenheim bog in die Straße ein, in der Trixi wohnte. Der Schnee bedeckte gnädig die hässlichen, von Hunden vollgeschissenen kleinen Grünflächen und die achtlos weggeworfenen Bierdosen, Hamburger-Verpackungen und die benutzten Injektionsspritzen, die Drogensüchtige achtlos ins Gebüsch warfen. Die saubere, weiße Decke bedeckte all diese Missstände und ließ das Umfeld von Trixis Wohnung nicht ganz so trostlos erscheinen.

Deprimiert betrachtete Oppenheim die Plattenbauten. »Nun ja, die Upperclass scheint hier jedenfalls nicht zu wohnen«, stellte er fest. »Hier möchte man ja nicht einmal als Toter überm Zaun hängen.«

»Das mag sein. Dafür ist die Miete bezahlbar, und eingebrochen wird hier so gut wie nie. Denn wo nichts ist, kann man auch nichts holen.«

Seine abfällige Bemerkung hatte sie unangenehm berührt. Als ob sie nicht selbst wusste, wie schrecklich es hier war.

»Ich wollte Sie nicht verletzen, Beatrice.«