IN HAMBURG ERMORDET - Hans-Jürgen Raben - E-Book

IN HAMBURG ERMORDET E-Book

Raben Hans-Jürgen

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Beschreibung

Sie töten in Hamburg aus einer Laune heraus, aus Habgier, um andere Straftaten zu verschleiern, um ihren Trieb zu befriedigen … Doch das Schlimmste für die Hinterbliebenen ist die Angst, dass jeder, wirklich jeder, der ihnen auf der Straße begegnet, mit dem sie gerade ein nettes Gespräch führen oder der an der Supermarktkasse hinter ihnen steht, der Mörder sein könnte und sich in diesem Moment sein nächstes Opfer ausgesucht hat.   In diesem Band sind drei Romane großer deutscher Krimi-Autoren enthalten: DIE TOTEN MÄNNER VON OHLSDORF von Hans-Jürgen Raben, AUS DEM WEG GERÄUMT von Horst Bieber, DIE TOTE IM HAFENBECKEN aus der Reihe IM NETZT DES VERBRECHENS von Wolfgang Menge.

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Ähnliche


Hans-Jürgen Raben/Horst Bieber/

Wolfgang Menge

In Hamburg ermordet

Drei Romane

Bärenklau Exklusiv

Herausgegeben von

Kerstin Peschel und Jörg Martin Munsonius

Impressum

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv.

Lektorat und Redaktion: Kerstin Peschel.

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, mit Kerstin Peschel.

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 167272 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verleger), Am Wald 67, 14656 Brieselang.

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die toten Männer von Ohlsdorf 

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

Epilog 

Aus dem Weg geräumt 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

28. Kapitel 

29. Kapitel 

30. Kapitel 

31. Kapitel 

32. Kapitel 

33. Kapitel 

34. Kapitel 

Im Netz des Verbrechens – Die Tote im Hafenbecken 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

28. Kapitel 

29. Kapitel 

30. Kapitel 

31. Kapitel 

32. Kapitel 

33. Kapitel 

Über die Autoren 

 

Das Buch

Sie töten in Hamburg aus einer Laune heraus, aus Habgier, um andere Straftaten zu verschleiern, um ihren Trieb zu befriedigen …

Doch das Schlimmste für die Hinterbliebenen ist die Angst, dass jeder, wirklich jeder, der ihnen auf der Straße begegnet, mit dem sie gerade ein nettes Gespräch führen oder der an der Supermarktkasse hinter ihnen steht, der Mörder sein könnte und sich in diesem Moment sein nächstes Opfer ausgesucht hat

Die toten Männer von Ohlsdorf

- Ein Fall für Brock -

von Hans-Jürgen Raben

Alle Namen, Personen und Taten, Firmen und Unternehmen, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären also rein zufällig.

***

  Prolog

Hamburg-Barmbek, Ende April 1947

War sie das?

Der kleine Junge war aufgesprungen und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.

Nein, das war eine viel ältere Frau, und sie schlurfte langsam dahin, nicht wie seine Schwester, die es immer eilig hatte. Außerdem zog diese Frau einen kleinen Wagen hinter sich her, wie ihn viele Leute zum Transport von Kohlen oder Kartoffeln benutzten. Sein Onkel hatte auch so einen.

Er setzte sich wieder auf das Trümmerstück vor seiner Schule, einer notdürftig instandgesetzten Baracke in Hamburg-Barmbek. Dort gab es keine Heizung, und die Kinder waren deswegen eingepackt wie pralle Würste. In den vergangenen Wintermonaten war es jedoch so kalt gewesen, dass selbst dicke Kleidung kaum ausreichte, sich warmzuhalten.

Er erinnerte sich, dass einer der Jungen aus seiner Klasse eines Tages nicht in die Schule gekommen war, und er hatte gehört, wie die Lehrer darüber tuschelten, dass der Schüler erfroren sei. Er konnte sich nicht richtig vorstellen, wie das geschehen konnte, obwohl er inzwischen sehr gut wusste, was richtige Kälte war.

Er war nun gerade sieben Jahre alt geworden und ging in die erste Klasse. Sein Name war Friedrich, obwohl ihn alle nur Fritz nannten. Nur seine Mutter nannte ihn Friedrich. Er hätte gern gewusst, wie sein Vater ihn nannte, aber der war nicht da. Wenn mal die Rede auf ihn kam, verstummten plötzlich alle in der Familie. Als er einmal nach seinem Vater fragte, war seine Mutter in Tränen ausgebrochen. Seitdem vermied er das Thema.

Nach der Schule wartete er jeden Tag auf seine Schwester. Er sah sie immer schon von Weitem, und meistens trug sie in der Hand ein Netz, in dem sich oft schöne Sachen befanden. Fleisch in Dosen zum Beispiel. Man musste sie mit einem merkwürdigen Metallwerkzeug öffnen. Seine Mutter kochte dazu Kartoffeln, und es schmeckte köstlich. Normalerweise gab es zu den Kartoffeln Kohl, oder es gab nur eine dünne Suppe.

Vielleicht brachte seine Schwester heute sogar eine dieser wunderbaren Tafeln mit. Er hatte schon gelernt, das Wort auf der knisternden Verpackung zu buchstabieren: C-a-d-b-u-r-y. Bei dem Gedanken daran spürte er schon den Geschmack auf der Zunge.

Sie hatte schon zweimal eine solche Tafel mitgebracht. Sie wurde in der Familie sorgfältig verteilt, wobei kein Krümel verloren ging. Seine Mutter brach die Stücke ab, und jeder erhielt eines davon: Ihr Bruder, der nur noch ein Bein hatte, und dessen Frau, die selten etwas sagte und oft heimlich weinte. Friedrich hatte das größte Stück bekommen, während seine Mutter und seine Schwester sich den Rest teilten. Es war so ein himmlisches Gefühl gewesen, als die dunkle Masse langsam in seinem Mund schmolz.

Vielleicht war heute wieder so ein Tag.

Seine Schwester arbeitete bei den Engländern, hatte seine Mutter ihm erklärt. Friedrich hatte so keine rechte Vorstellung davon, wer diese Engländer waren und woher sie kamen. Jedenfalls mussten sie reich sein, wenn es bei ihnen solche wertvollen Dinge gab. Er hatte sie schon einmal gesehen, als zwei von ihnen in einem offenen Auto vorbeifuhren, anhielten und ihm ein Bonbon gaben. Er hatte nicht verstanden, was sie zu ihm sagten. Jedenfalls sollte man höflich zu ihnen sein, hatte ihm der Onkel geraten.

Verbittert hatte der Onkel hinzugefügt, dass es früher anders gewesen wäre. Da hätte man diese Engländer ins Meer getrieben, sodass sie auf ihre Insel zurückkehrten. Friedrich hatte sich gefragt, wie sie dahin kamen, ob sie wohl schwimmen mussten. Da alle zu wissen schienen, wovon der Onkel sprach, hatte er nicht gewagt, sich genauer zu erkundigen, um nicht als Dummkopf dazustehen.

Seine Schwester war die Einzige, die eine richtige Arbeit hatte. Seine Mutter kümmerte sich um die Wohnung in der Nissenhütte – so nannte man die Behausung aus Wellblech, die neben anderen gleichartigen Hütten inmitten eines Trümmergrundstücks stand. Es gab außerdem eine kleine umgegrabene Fläche, auf der seine Mutter Gemüse und Kartoffeln anbaute.

Sobald die letzte Glut der Kohlestückchen in dem kleinen Ofen erloschen war, wurde es furchtbar kalt in ihrer Blechbehausung. Nachts, wenn alles ruhig war, hörte er, wie die Nässe von den Wänden tropfte.

Ihr Bruder, sein Onkel Kurt, konnte wegen seines fehlenden Beines nicht arbeiten. Er machte Einkaufskörbe aus allen möglichen Materialien. Seine Frau verdiente sich ein paar Mark, indem sie wie viele andere Frauen in den Trümmern Ziegelsteine klopfte, die man anschließend wiederverwenden konnte.

Sie hatten ebenfalls einen Sohn, Karl, der erst fünf Jahre alte war und noch nicht zur Schule ging. Er war jetzt auf dem Land untergebracht, hatte man ihm erklärt, bei entfernten Verwandten, wo er genügend zu essen bekam und wo die Luft besser war.

Auf dem Land! Friedrich hatte keine Vorstellung, was er darunter zu verstehen hatte. Offensichtlich war es aber besser als die Stadt, in der er lebte. Vielleicht gab es auf dem Land keine Schule, sodass nur kleinere Kinder dort leben konnten. Andererseits ging er gern in die Schule. Sie hätte ihm gefehlt, wenn er auch auf dem Lande sein müsste.

Und seine Mutter wäre auch nicht dort. Das wäre ziemlich schlimm für ihn, denn er liebte seine Mutter sehr. Ja, seinen Onkel und dessen Frau liebte er auch, aber doch nicht so sehr wie seine Mutter oder seine Schwester.

Sie würden ihn vor dieser Welt schützen, die einmal ganz anders ausgesehen hatte, wie er aus seinen Büchern wusste, und er fragte sich oft, warum man sie so kaputtgemacht hatte.

Vielleicht war es dort auf dem Land auch nicht so kalt. Schaudernd erinnerte er sich wieder an die furchtbare Kälte der letzten Monate. Sie hatten alle gefroren und so viele Kleidungsstücke übereinander gezogen, wie sie nur konnten. Immer wieder hatte er gesehen, wie Menschen auf Karren weggebracht wurden. Nun, er konnte sie nicht direkt sehen, da sie unter Decken lagen, aber sie waren da.

»Erfroren – wie dein Mitschüler«, hatte seine Mutter traurig gesagt. Es sei der kälteste Winter seit langem gewesen.

Immerhin hatten sie hier in der Stadt ausreichend zu essen. Friedrich wusste, dass es nicht allen so ging. Einige seiner Klassenkameraden bekamen kein Brot mit in die Schule. Er gab seinem besten Freund immer ein Stück ab. Seiner Mutter sagte er davon allerdings nichts, sonst hätte sie mit ihm vielleicht geschimpft.

Wo blieb sie denn heute?

Er liebte seine Schwester – fast so wie seine Mutter. Er fühlte sich geborgen, wenn seine Schwester ihm vor dem Einschlafen noch eine Geschichte aus dem zerfledderten Märchenbuch vorlas. Dabei bewunderte er manchmal das Medaillon, das sie an einer dünnen Goldkette um den Hals trug. Darauf war eine merkwürdige Figur zu sehen. Das sei der heilige Christophorus, hatte sie ihm erklärt. Er sei der Schutzpatron der Reisenden, der Seeleute oder der Soldaten. Er würde auch auf ihn achten, wenn er in Gefahr geriet.

Es hatte ihn schwer beeindruckt, dass so eine winzige Figur auf dem goldenen Anhänger ihn beschützen könnte.

Friedrich zog seine Jacke, die seine Mutter aus einer Uniform genäht hatte, enger um sich. Es war noch immer kalt in diesen ersten Apriltagen, und der Frühling ließ sich Zeit. Übereinstimmend hatten alle gemeint, dass sie so einen harten Winter noch nie erlebt hätten. Friedrich hatte aufmerksam zugehört, doch er konnte sich nicht einmal an den Winter davor erinnern.

Es würde bestimmt alles bald besser werden, sagte seine Mutter immer wieder. Friedrich wusste nicht so genau, was sie damit meinte.

Da war sie endlich!

Friedrich sprang wieder auf und sah die Straße hinunter. Rechts und links davon lagen die Trümmer in den Ruinen der zerstörten Häuser. Er erinnerte sich dunkel daran, wie sie früher alle in die Keller liefen, wenn die Sirenen heulten. Seine Mutter hielt ihn eng an sich gedrückt, wenn das Rauschen der Bomben einsetzte. Dann kamen die Explosionen, und keiner der Menschen in dem Keller sprach ein Wort.

Nur ein gelegentliches Stöhnen war zu hören, wenn eine der Bomben sehr laut krachte und der Keller erbebte.

»Eine Luftmine«, hatte irgendwer aus dem Dunkel gesagt, und Friedrich fragte sich, wie so etwas wohl aussah. Seine Mutter presste ihn in solchen Augenblicken noch enger an sich, sodass sein Zittern aufhörte. Wenn es dann still wurde und das Heulen der Entwarnungssirene zu hören war, standen alle auf und strebten zum Ausgang, nicht wissend, was sie dort draußen erwartete, oder ob sie überhaupt hinauskamen.

Verschüttet! Das Wort schien eine schreckliche Bedeutung zu haben.

Manchmal dachte Friedrich daran, warum sein Vater nicht hier war, und warum keiner gern über ihn sprach. Es war eines der vielen Rätsel, mit denen er sich herumschlug.

All seine trübsinnigen Gedanken waren verschwunden, als er es plötzlich sah. Ja, sie hatte ihr Netz in der Hand. Und es war gefüllt. Er konnte es deutlich sehen.

Friedrich buchstabierte wieder dieses wunderbare Wort: C-a-d-b-u-r-y …

Seine Schwester kam näher. Sie hatte ihn auch entdeckt und winkte ihm mit der freien Hand zu. Sie war schon ziemlich alt – fast neunzehn. Er wusste nicht, was sie für diese Engländer machte, aber es war bestimmt wichtig.

Seine Mutter hatte ihm einmal erklärt, dass sie auf einer Maschine schrieb. Es wäre schön, wenn er so etwas auch hätte. Das Schreiben mit der Hand war doch oft mühsam. Er ärgerte sich oft selbst, wenn die Buchstaben nicht so ordentlich auf einer Linie waren. Das würde mit einer Maschine sicher besser gehen.

Dann sah er das Auto. Der große Wagen rollte langsam die Straße herunter, bis er auf gleicher Höhe mit seiner Schwester war. Die Beifahrertür wurde aufgestoßen, sodass sie stehen blieb, um nicht dagegen zu laufen. Friedrich sah, wie sie mit der freien Hand gestikulierte und sich irgendwie zu wehren schien. Er verstand nicht, was dort vor sich ging. Die Frontscheibe des Autos wirkte wie ein Spiegel, sodass er nicht erkennen konnte, wer sich darin befand.

Mit einem plötzlichen Ruck wurde seine Schwester in den Wagen gezerrt. Friedrich erschrak. Was geschah dort?

Die Beifahrertür flog zu, und das Auto fuhr mit kreischenden Reifen los. Mit schreckverzerrtem Gesicht starrte der kleine Junge ihm entgegen.

Dann war er an ihm vorbei.

Er hatte noch gesehen, dass seine Schwester mit den Fäusten auf den Mann am Steuer einschlug. Friedrich erkannte nur einen schmalen Kopf mit einer straffen, gescheitelten Frisur und darunter eine Brille.

Er sah dem Wagen nach, bis er um die nächste Ecke bog.

Würde seine Schwester heute später kommen?

Würde sie überhaupt wiederkommen?

Er spürte, dass er zitterte. Dann begann er zu weinen, und die dicken Tränen rannen über sein Gesicht.

Seine Mutter würde wissen, was das alles zu bedeuten hatte. Unterbrochen von ständigem Schluchzen murmelte er immer wieder Buchstaben und Zahlen vor sich hin, während er die Straßen entlangrannte, bis er endlich die Hütte sah, die sein Zuhause war.

Seine Mutter kam gerade aus der Tür. Sie erschrak, als sie ihn sah, und lief ihm entgegen, als wüsste sie, dass etwas Schreckliches geschehen war.

Sie breitete ihre Arme aus. Er war in Sicherheit.

Doch was war mit seiner Schwester?

Stockend erzählte er seiner Mutter, was geschehen war. Sie sah sehr ernst aus und versprach ihm, dass seine Schwester bald wieder da sein würde.

Doch das passierte nie.

  1. Kapitel

Hamburg, Gegenwart

»Prüfen Sie den Inhalt und unterschreiben Sie links unten.«

Der Vollzugsbeamte schob ein Formular über seinen Tresen, nachdem er eine häufig benutzte Sporttasche auf die zerkratzte Holzplatte gestellt hatte.

Steffen Langer zog den Reißverschluss der Tasche auf und warf einen kurzen Blick hinein. Er erkannte die Mappe mit seinen persönlichen Papieren, sein Handy, einige Kleidungsstücke und die oben liegende abgewetzte Lederjacke, die er so liebte. Der eingerostete Reißverschluss klemmte, als er ihn wieder zuzog.

»Wollen Sie nicht nachsehen, ob alles drin ist?«

»Nicht nötig.«

Steffen Langer schüttelte den Kopf. Es war ihm völlig egal, ob etwas fehlte. Er wollte jetzt nur noch hinaus aus diesem verdammten Bau, in dem er sechs Jahre seines Lebens zugebracht hatte. Jetzt war er fünfunddreißig, doch er hatte noch ein ganzes Leben vor sich. Und das gedachte er zu genießen – auf seine Weise.

Er setzte seine krakelige Unterschrift auf das Formular und gab es zurück. Die Entlassungspapiere stopfte er in die nicht ganz verschlossene Tasche.

Ein weiterer Beamter, der im Hintergrund gewartet hatte, trat auf ihn zu.

»Kommen Sie!«

Aus alter Gewohnheit packte er Steffen am Arm, der ihn jedoch unwillig abschüttelte.

»Das ist jetzt vorbei«, knurrte er.

Sie gingen durch einen langen Gang und passierten mehrere Gittertüren, bis der Beamte die letzte aufschloss, und Steffen Langer nach draußen treten konnte. Jetzt befand er sich außerhalb der Gitter und Mauern. Ein befreiendes Gefühl machte sich in ihm breit.

Jetzt noch einige Schritte, durch das Tor, und damit er war endgültig draußen. Er stellte seine Tasche ab und atmete die frische Frühlingsluft tief ein.

Auf der schmalen Straße vor dem Haupteingang war kein Mensch zu sehen. Ein Auto fuhr langsam vorbei, dessen Insassen neugierige Blicke auf das düster wirkende Gebäude warfen, das noch aus der Kaiserzeit stammte. Auch wenn im Inneren des Geländes der sternförmige Zentralbau mit den Zellentrakten von außen freundlicher wirkte, so blieb es dennoch ein Gefängnis für hunderte von Insassen. Die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, im Volksmund Santa Fu genannt.

Justizvollzugsanstalt! So ein Bandwurmwort konnten sich auch nur deutsche Beamte ausdenken, dachte Steffen Langer. Für ihn war es der Knast oder einfach der Bau. Eigentlich hatten sie ihn zu fast zehn Jahren verurteilt. Wegen guter Führung hatten sie ihm vier davon erlassen. Der Gefängnispsychologe hatte ihm bescheinigt, dass er wieder zu einem normalen Mitglied der Gesellschaft geworden war.

Steffen verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen. So ein Schwachkopf! Der Trottel hatte ihm alles geglaubt, was er ihm erzählt hatte, sich fleißig Notizen gemacht und immer verständnisvoll genickt. Sein Gutachten enthielt höchstes Lob für einen vorbildlichen Straftäter, der unbedingt wieder in das normale Leben eingegliedert werden musste.

Leider hatte der Richter sich bei der Verhandlung nicht einwickeln lassen und bei seiner Urteilsverkündung die besondere Schwere der Tat hervorgehoben. Nun ja, das war jetzt endgültig vorbei. Steffen Langer hatte nicht die Absicht, sich jemals wieder einsperren zu lassen.

Wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, den Menschen etwas vorzumachen, hätte er seine Opfer nie täuschen können. Doch sie hatten ihm immer geglaubt, egal, welchen Mist er ihnen erzählte. Sie hatten es glauben wollen! Besonders die jungen Frauen waren empfänglich für jede Schmeichelei, und davon hatte er jede Mange auf Lager. Sie waren doch selber schuld, wenn sie auf ihn hereinfielen.

Er warf einen – wie er hoffte – allerletzten Blick auf das Hamburger Gefängnis und machte sich auf den Weg. Es war ein schönes Gefühl, einfach laufen zu können, wohin man wollte. Er beschloss, in Richtung Ohlsdorfer Bahnhof zu gehen. Der Fußweg in der sommerlichen Luft würde ihm guttun. Von dort waren es nur ein paar Stationen mit der S-Bahn zum Stadtteil Barmbek.

Vor seiner Verhaftung hatte er dort gewohnt. Bei seinen Eltern. Ständig hatten sie ihm Vorhaltungen über seinen Lebenswandel gemacht, seine Trunksucht, seine Besuche bei Prostituierten, seinen häufigen Jobwechsel. Immerhin, er hatte sich nicht um irgendeine Miete, Geld für Essen oder um seine Wäsche kümmern müssen. Warum hätte er ausziehen sollen?

Inzwischen waren sie beide gestorben, bestimmt nicht aus Kummer um ihn. Steffen fragte sich, was aus der Wohnung geworden war. Es gab dort nichts, was ihm wichtig gewesen wäre. Er hatte noch eine ältere Schwester, die den Kontakt zu ihm schon lange abgebrochen hatte. Im Gefängnis hatte sie ihn nicht ein einziges Mal besucht. Doch vielleicht hatte sie die Wohnung behalten. Sie würde ihm kaum verwehren können, dort wieder einzuziehen – jedenfalls, bis er etwas anderes gefunden hätte.

Wenn er seine dämliche Schwester nicht antraf, würde er es bei einigen alten Freunden versuchen. Einige waren ihm noch etwas schuldig. Er hatte sie mit jungen Frauen bekannt gemacht, da sie nicht in der Lage waren, sich selbst irgendeine Schlampe zu besorgen.

Auf seiner Stirn erschien eine tiefe Falte. Die letzte dieser Schlampen war ihm zum Verhängnis geworden. Gut, er hatte sie vielleicht etwas zu hart angepackt, aber musste sie dann ein solches Gejammer anstellen? Das war ihm einfach zu viel geworden. Er hatte doch nicht wirklich fest zugeschlagen!

Sein blöder Kumpel Heinz hatte noch versucht, ihn aufzuhalten, weil er zu viel Schiss in der Hose hatte. Dabei wollte er doch genauso seinen Spaß mit der kleinen Nutte haben. Bei dem Gedanken an Heinz bildete sich eine Zornesfalte auf seiner Stirn. Der war daran schuld, dass sein Schicksal besiegelt war. Schließlich hatte Heinz alles gestanden und ihm, Steffen, alles in die Schuhe geschoben. Dabei war er es doch gewesen, der ihn auf die Idee brachte, es bei der Tusse zu versuchen.

Heinz hatte ihn doch überhaupt erst auf die Kleine aufmerksam gemacht. Sein Kumpel hatte sie schon seit Längerem beobachtet, wenn sie von der Schule kam. Doch er hatte sich nie getraut, sie anzusprechen, der Blödmann. Dabei war er genauso scharf auf die jungen Dinger wie er selbst. Schließlich hatten sie in der Vergangenheit schon einiges zusammen erlebt. Sie mochten es beide am liebsten, wenn sich die Schlampen wehrten und flennten. Dann drohten sie ihnen ein bisschen, und niemand erfuhr jemals davon. Er musste lächeln, wenn er an die tränenverschmierten Gesichter dachte.

Das hielt jedoch nicht lange an. Es war schon ungerecht! Er saß im Knast, und Heinz lief frei herum, wahrscheinlich wieder auf der Suche nach einer, der er es besorgen konnte.

Sein Anwalt hatte ihm dann erklärt, dass er viel Glück gehabt hätte. Wäre die Schlampe gleich gestorben, hätte man ihn wahrscheinlich wegen Mordes verurteilt. Da sie aber erst eine Woche später ihren letzten Atemzug getan hatte, war seine Strafe geringer ausgefallen. Dummerweise war sie im Krankenhaus noch einmal aufgewacht und hatte ihn identifizieren können.

Das erste Jahr im Knast hatte er damit zugebracht, sein verdammtes Pech zu verfluchen, das ihn in diese Lage gebracht hatte. Als Vergewaltiger hatte man bei den anderen Häftlingen nicht die besten Karten.

Er hatte jedoch bald seinen Vorteil erkannt. Da viele der Insassen nicht in der Lage waren, einen Brief zu formulieren, geschweige denn, ihn fehlerfrei zu schreiben, half er ihnen dabei und machte sich damit unersetzlich. Das hatte ihn vermutlich davor gerettet, selbst zum Opfer einer Vergewaltigung zu werden.

Nun, jetzt war er frei, und alle Möglichkeiten lagen vor ihm.

Mit seinem alten Kumpel Heinz Dreyer würde er sich auch befassen müssen. Der ahnte sicher nicht, was auf ihn zukommen würde. Steffen Langer spürte, wie sich seine Stimmung hob. Der Kerl würde sich noch wünschen, ihn niemals kennengelernt zu haben!

Es war ein unglaubliches Gefühl, nach so vielen Jahren zum ersten Mal allein zu entscheiden, wann und wohin er gehen wollte. Seine Tasche wirkte fast gewichtslos, während er die Straße entlangging. Schon von Weitem sah er die große Kreuzung, die jetzt irgendwie anders aussah. Sie hatten einen Kreisverkehr daraus gemacht. Die Parkplätze an den Straßenrändern waren dicht besetzt, und viele andere Fahrzeuge hielten Ausschau nach einem freien Platz. In der Ferne waren die Zeltdächer von Marktständen zu sehen. Zahlreiche Menschen waren mit Einkaufstaschen unterwegs.

Die Autos fuhren langsam, und so bemerkte er den Wagen nicht, der sich schon kurz nachdem er das Gefängnis verlassen hatte, vom Bordstein gelöst und ihm gefolgt war. Jetzt blieb er einige Meter hinter ihm.

Steffen Langer fragte sich, was er mit dem restlichen Tag anfangen sollte. Schließlich war es noch Vormittag. Erst die Wohnung? Ja, das war wohl am besten. Also zum Bahnhof!

Er drehte sich überrascht um, als er den Wagen hörte, der bis zu ihm aufgefahren war und zwei Meter vor ihm anhielt. Ein schwarzer BMW. Das Modell erkannte er nicht sofort.

Die Beifahrertür flog auf.

Nur der Kopf eines jüngeren Mannes war in der Öffnung zu sehen, als sich der Fahrer hinauslehnte. Ein kräftiger Kerl, doch er lächelte freundlich.

»Herr Langer? Steffen Langer?«

Der Ex-Häftling blieb stehen und setzte seine Tasche ab, um notfalls die Hände frei zu haben.

»Wer will das wissen?«

»Ich bin im Auftrag Ihrer Schwester hier. Sie hat mich gebeten, Sie abzuholen. Leider habe ich mich etwas verspätet.«

»Woher weiß sie …?«

»Von der Gefängnisverwaltung hat sie erfahren, wann Sie entlassen werden. Sie macht sich Sorgen. Sie dachte, es wäre am besten für Sie, wenn ich Sie zu ihr nach Hause bringe.«

Auf Steffens Stirn erschien eine tiefe Falte. »Sie hat sich einen Dreck um mich gekümmert. In all den Jahren habe ich nichts von ihr gehört. Weshalb sollte sie sich ausgerechnet jetzt Sorgen um mich machen?«

Der junge Mann lächelte breit. »Sie hat mir gesagt, dass es ihr inzwischen sehr leidtut, dass sie sich nicht um Sie gekümmert hat. Sie möchte es wiedergutmachen. Sie hat angenommen, dass Sie zuerst zu der Wohnung Ihrer Eltern gehen werden, doch dort wohnen jetzt andere Leute. Ihre Schwester will Sie bei sich aufnehmen, bis Sie sich wieder eingelebt haben. Ihre Wohnung ist groß genug.«

Dann muss sie wohl umgezogen sein, dachte Steffen. Vor seiner Haft hatte sie in einer kleinen Zwei-Zimmer-Bude im Stadtteil Dehnhaide gewohnt. Dort gab es keinesfalls genügend Platz für ihn.

»Wer sind Sie eigentlich?«

»Ich bin nur ein guter Freund Ihrer Schwester. Wir haben uns gerade in letzter Zeit häufiger über Sie unterhalten.«

Hatte seine Schwester das große Los gezogen? War sie endlich verheiratet?

Steffen Langer beschloss, auf das ungewöhnliche Angebot einzugehen. Warum nicht? Seine Neugier war geweckt. Er nahm seine Tasche auf, warf sie auf den Rücksitz und stieg ein.

»Das ist die richtige Entscheidung«, kommentierte der Fahrer und musterte ihn neugierig. »Damit wird Ihr Schicksal bestimmt einen besseren Verlauf nehmen.«

»Hoffentlich!«, knurrte Steffen und machte es sich bequem. Er saß in einem teuren Wagen, das merkte man. Die Polster schmiegten sich angenehm um seinen Körper und ließen ihn die harten Gefängnisstühle vergessen.

Die Gedanken an das Leben vor dem Gefängnis überfluteten sein Gehirn. Ab jetzt würde es wieder ein Leben nach dem Knast geben. Bilder von Frauen erschienen vor seinem geistigen Auge. Wie hatte er es nur so lange ohne sie aushalten können? Er spürte ein angenehmes Gefühl zwischen seinen Beinen. Endlich regte sich wieder etwas und wartete darauf, in Bereiche einzudringen, die ihm eigentlich verwehrt waren.

Je jünger, desto besser.

Doch nur die gewaltsame Eroberung zählte. Nur dann empfand er echte Glücksgefühle und eine totale Befriedigung. Freiwillige Angebote interessierten ihn nicht. Prostituierte waren die seltene Ausnahme, aber sie taten es für Geld. Das war etwas anderes.

Steffen Langer kicherte leise. Er würde nicht lange warten. Den merkwürdigen Blick, den der Fahrer ihm zuwarf, bemerkte er nicht.

Er verlor sich in seinen Gedanken an gefesselte Frauen, zerfetzte Kleider und aufgerissene Münder, und an seinen Triumph, wenn er seine Opfer gefügig gemacht hatte und sie ihm kaum noch Widerstand entgegensetzten.

Beiläufig registrierte er die schmale Straße durch einen Park. Nein, das war nicht der Weg zur alten Wohnung seiner Schwester. Also war sie umgezogen!

Zufrieden lehnte er sich zurück und schloss die Augen, um weiter zu träumen.

Erschrocken fuhr er hoch, als er einen Stich am Hals spürte. Gleichzeitig drückte ihn eine kräftige Hand gegen die Sitzlehne. Gott, war der Kerl stark!

Steffen Langer ruderte mit den Armen und zappelte mit den Beinen. Es dauerte nur Sekunden, bis seine Bewegungen schwächer wurden. Schließlich sank sein Kopf nach vorn, und aus seinem Mund rann ein Speichelfaden.

Der Mann am Steuer hatte den BMW inzwischen am Straßenrand angehalten. Er hielt den Bewusstlosen noch eine Zeit lang fest, bis er sicher war, dass jede Gegenwehr erloschen war. Dann zog er die jetzt leere Spritze aus Langers Hals und verstaute sie sorgfältig in einer Metalldose.

Er betrachtete sein Opfer und nickte.

»Deine Schwester weiß vermutlich nicht mal, dass du wieder draußen bist«, murmelte er.

Dann zog ein Lächeln über sein Gesicht, und er fuhr wieder los.

*

Schwester Annegret sah mitleidig auf den alten Mann hinunter. Der schmächtige Körper wirkte winzig in seinem Bett. Die faltigen verkrümmten Finger auf der Bettdecke zitterten leicht. Der alte Mann hatte seine Augen geschlossen. Der Mund bewegte sich leicht, als wollte er etwas sagen.

Es wird nicht mehr lange dauern, dachte Schwester Annegret. So ein feiner Mann! Wenn doch alle unsere Gäste so wären!

Sie kannte ihn schon, seit er vor einigen Jahren in das Pflegeheim aufgenommen worden war. Seinerzeit war er kräftiger gewesen, auch wenn die ersten Anzeichen des Verfalls nicht zu übersehen waren. Er war ein guter Gesprächspartner gewesen, und sie konnte sich mit ihm über zahlreiche Themen unterhalten. Eben ein gebildeter Mann. Oft hatte sie daran gedacht, wie es gewesen wäre, wenn sie früher einen solchen Mann kennengelernt hätte.

Sie drehte den Kopf, als die Tür des kleinen Zimmers geöffnet wurde.

Sebastian Holm, der zuständige Pfleger, erschien auf der Schwelle, in der Hand ein kleines Tablett mit Medikamenten.

»Wie geht es ihm?«

Schwester Annegret wirkte bekümmert. »Ich fürchte, es geht mit ihm zu Ende.«

Der Pfleger schien ebenfalls bedrückt. »Die Besten trifft es immer als Erstes.«

Schwester Annegret seufzte und rückte sich ihr Häubchen zurecht. »Nun ja, er hat immerhin ein schönes Alter erreicht. Du hast doch häufiger als ich mit ihm geredet. Er hat dir doch bestimmt viel über sein Leben erzählt, oder? Mit mir hat er sich ja meistens über allgemeine Themen unterhalten.«

Der Pfleger nickte. »Bei mir war hauptsächlich die Familie sein Thema, besonders seine ältere Schwester. Er hat sie verloren, als er noch ein Kind war. Du kennst die Geschichte!«

»Ja, das muss schrecklich für so einen kleinen Jungen gewesen sein. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Erlebnis ihn für sein restliches Leben geprägt hat. Wir haben uns hauptsächlich über gegenwärtige Dinge unterhalten, von der Medizin bis zu aktuellen Ereignissen. Er war sehr an den Dingen interessiert, die in der Welt passierten.«

»Ihr redet über mich!«

Die Stimme war leise und krächzend. Der alte Mann hatte seine Augen geöffnet. Seine Hände zitterten nicht mehr, und sein Blick war klar wie früher.

Schwester Annegret und Sebastian hatten immer schon den wachen Verstand des alten Mannes bewundert, der rasch Zusammenhänge durchschaute und die richtigen Fragen stellte.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie.

Der Mann im Bett lächelte schwach. »Wie jemand, der weiß, dass es nicht mehr lange dauert. Ich möchte Ihnen beiden danken, dass Sie sich so um mich gekümmert haben. Das ist gewiss nicht selbstverständlich.«

Während Sebastian Holm auf seinem Tablett die Medikamente für den Patienten sortierte, richtete der Alte seinen Blick auf Schwester Annegret. »Ich möchte Sie noch um einen letzten Gefallen bitten.«

»Den werde ich Ihnen gern erfüllen.«

Er hob seine linke Hand etwas an und deutete auf den Nachttisch. »Die unterste Schublade.«

Sie zog die Schublade heraus und entdeckte einen dicken Umschlag aus braunem Karton, eine Versandhülle.

»Meinen Sie den Umschlag?«

»Ja.« Das Sprechen fiel dem alten Mann schwer. »Nehmen Sie ihn bitte heraus.«

Der Umschlag war prall gefüllt mit bedrucktem Papier. Zeitungsausschnitte, wie sie beim näheren Hinsehen feststellte. Auf der Außenseite waren handschriftliche Buchstaben und Zahlen zu erkennen.

»Sie brauchen den Inhalt nicht zu lesen. Er betrifft weder Sie noch das Pflegeheim. Es ist etwas sehr Persönliches, und ich möchte, dass Sie den Umschlag der Polizei übergeben.«

»Der Polizei? Ich verstehe nicht …«

»Dort wird man wissen, was damit zu tun ist.«

»Warum fällt Ihnen das jetzt erst ein?«, wunderte sich Schwester Annegret.

Der alte Mann versuchte, den Kopf zu heben, doch es wurde nur eine kaum sichtbare Bewegung.

»Sie müssen damit warten, bis es mit mir zu Ende gegangen ist – was nicht mehr lange dauern wird. Liefern Sie den Umschlag bitte beim Leiter der Mordkommission ab. Sorgen Sie persönlich dafür, dass er an die richtige Stelle gelangt. Mehr verlange ich nicht von Ihnen. Ich hoffe sehr, dass Sie mir diesen Gefallen erfüllen können. Es wäre für mich sehr wichtig zu wissen, dass dieser Umschlag in die richtigen Hände kommt.«

Der alte Mann schloss erschöpft die Augen.

Schwester Annegret wirkte ratlos und drehte den Umschlag in ihren Händen. Schließlich nickte sie.

»Ich werde Ihnen den Gefallen gern tun, auch wenn ich nicht weiß, wozu es gut sein soll. Doch Sie können sich auf mich verlassen.«

Währenddessen setzte Sebastian Holm dem Patienten einen winzigen Becher an die Lippen, der den Inhalt mühsam hinunterschluckte. Die Hände des alten Mannes waren wieder auf die Bettdecke gesunken, die Augen geschlossen. Es war kaum zu sehen, ob er noch atmete.

Der Pfleger drehte den Kopf und schüttelte ihn leicht.

»Es geht zu Ende«, sagte er leise.

In Schwester Annegrets Augen erschien eine Träne, die langsam über die Wange rollte. Sie wischte sie weg, bevor sie auf den Umschlag tropfte, den sie fest in der Hand hielt.

Sie sah Sebastian an. »Ich werde ihn vermissen.«

Der Pfleger nickte. »Ich auch.«

»Hast du eine Ahnung, was er mit diesen Papieren bezweckt? Mir gegenüber hat er kein Wort darüber verloren. Ich werde natürlich zur Polizei gehen, wie es sein Wunsch ist. Du weißt wirklich nichts über diesen Umschlag?«

Sebastian Holm schüttelte den Kopf. »Nein. Doch ich werde dich begleiten, wenn du den Umschlag abgibst.«

In der folgenden Nacht starb der alte Mann friedlich kurz vor Sonnenaufgang.

  2. Kapitel

 

 

 

Hauptkommissar Cornelius Brock saß an seinem Schreibtisch im Hamburger Polizei-Präsidium und starrte missmutig auf den Papierstapel, der sich vor ihm auftürmte. Er hasste diesen Papierkram, und es gab niemanden, der ihm diese Arbeit abnehmen konnte.

Andererseits wusste er sehr genau, dass oft genug gut geführte Akten unerlässlich waren, um Straftäter zu überführen. Seufzend machte er sich an den Abschlussbericht des letzten Falles. Er überprüfte die Anlagen auf Vollständigkeit: Liste der Beweisstücke, Protokolle der Zeugenaussagen, Fotos, Notizen der beteiligten Ermittlungsbeamten, Strafakten, Rechtsgutachten und was noch so alles dazugehörte, um es der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die dann die Anklage vorbereitete.

Cornelius Brock war groß, schlank und durchtrainiert, und trotz seiner immerhin vierzig Jahre fühlte er sich fit wie ein deutlich jüngerer Mann. Die Frauen schätzten ihn auf Mitte dreißig, und das tat seinem Ego durchaus gut. Vor allem, nachdem er sich von seiner Frau getrennt hatte, nun, eigentlich waren sie beide für eine Trennung gewesen. Denn obwohl sie sich mochten, war ein Zusammenleben schwierig. Zu unterschiedliche Jobs und zu viele unterschiedliche Interessen. Insofern hatten sie beschlossen, rechtzeitig die Reißlinie zu ziehen, bevor sie anfingen, sich zu hassen. Inzwischen verstanden sie sich gut und trafen sich zu einem Essen oder nur zu einem Glas Wein.

Er sah auf seine Uhr – viel zu früh für einen Besuch in der Kantine. Er verspürte ein leeres Gefühl im Magen, da er zu Hause nur einen Becher Kaffee im Stehen getrunken hatte. Die Batterie seines Weckers hatte mitten in der Nacht ihren Geist aufgegeben, sodass er verschlafen hatte. Es kam selten vor. Doch wenn – dann war seine Laune meistens auf einen Tiefpunkt gesunken, sobald er nach der kurzen Fahrt von seiner Wohnung in der Alsterdorfer Straße im Präsidium ankam. Er konnte sich immer schon vorher das schadenfrohe Grinsen der Kollegen vorstellen, die an ihren Schreibtischen saßen und an denen er vorbei musste.

Außerdem konnte er darauf wetten, dass Birgit Kollmann, Erste Hauptkommissarin und Chefin seiner Abteilung, ihn genau an einem solchen Tag unbedingt sprechen wollte und bereits ungeduldig auf ihn wartete.

Heute allerdings hatte sie sich noch nicht blicken lassen.

Vermutlich bereitet sie wieder eine ihrer Power Point-Präsentationen für die oberen Etagen vor, dachte er. Damit verbrachte sie immer viel Zeit.

Die Erste Hauptkommissarin war ebenso alt wie Brock, hatte ihre Karriere aber irgendwann an ihm vorbeigeführt. Sie besaß durchaus praktische Erfahrung, hatte ihre Ausbildung zur gleichen Zeit wie Brock absolviert und sich anschließend bei den hohen Tieren schnell beliebt gemacht. Nicht durch Speichelleckerei, wie so viele andere, sondern eben durch ihre Begabung, komplizierte Sachverhalte mittels Power Point-Software in anschauliche Grafiken, Tabellen und Übersichten zu verwandeln.

Ihre speziellen Präsentationen beschäftigten sich viel mit Effizienz, Kostenreduzierung und Personalplanung. Das kam oben gut an und war schon bis zum Präsidenten vorgedrungen. Brock war ganz froh darüber, dass die Leiterin seiner Abteilung diesen Respekt genoss, denn das hielt manches Problem von den übrigen Mitarbeitern fern.

In der Abteilung lautete ihr Spitzname PPK – so wie die Bezeichnung der Walther PPK, der früheren Dienstwaffe der Hamburger Polizei, die jetzt durch das moderne Modell Walther P99 ersetzt worden war.

Birgit Kollmann war der Spitzname natürlich zu Ohren gekommen, und sie vermutete, dass damit ihre Präzision, ihre Genauigkeit und ihre Zielsicherheit gemeint waren. In Wirklichkeit stand das Kürzel ganz simpel für Power Point Kollmann. Das hatte ihr jedoch noch niemand verraten.

Sie besaßen ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis. Brock schätzte es, dass sie ihm immer den Rücken freihielt, wenn es darauf ankam. Sie vertraute seiner Urteilskraft und seiner langen Erfahrung und redete ihm in seine Fälle möglichst nicht hinein. Außer bei offiziellen Anlässen duzten sie sich schon seit Langem. Er konnte es nur nicht leiden, wenn sie seinen Vornamen zu Conny verkürzte. Er rächte sich dann mit Biggi, was sie wiederum nicht ausstehen konnte.

Bei seinem Bericht würde sie ihm jedoch nicht helfen können, und Horst Spengler, Kommissaranwärter und Brocks Assistent, der jederzeit gern die Aufgabe übernahm, lästige Berichte zu schreiben, war nicht zu sehen. Brock überlegte gerade, was er dem jüngeren Mann aufgetragen hatte, als er auf der anderen Seite des großen Raumes auftauchte und ihm aufgeregt zuwinkte.

Brock schob die Tastatur zur Seite und sah seinem Assistenten entgegen, der mit raschen Schritten den Raum durchquerte, bis er vor seinem Schreibtisch stand und schwer atmete, als hätte er nicht den Lift, sondern die Treppe benutzt.

»Wir haben einen Toten auf dem Ohlsdorfer Friedhof«, brachte er schließlich heraus.

Brock zog die Augenbrauen hoch »Einen? Dort gibt es Tausende.«

Spengler stutzte, als ihm bewusst wurde, was er gesagt hatte.

»Ich … also … ich meine …«, stammelte er.

»Ich weiß schon, was Sie meinen«, unterbrach ihn Brock und grinste. »Wir haben also einen Fall.«

»Ja, genau das meine ich«, sagte Spengler erleichtert.

»Auf dem Friedhof? Ist ja mal was Neues.«

»Ja, zwei Gärtner haben heute Morgen einen Toten gefunden, der an einem Grabstein lehnte. Sie haben sofort die Polizei gerufen, und zwei Streifenwagen waren als Erste am Ort des Geschehens. Ich habe gerade mit einem der Beamten gesprochen. Sie haben nur festgestellt, ob es sich wirklich um einen Toten handelte, dann haben sie den Fundort abgesperrt und uns gerufen. Ob es Mord, Selbstmord oder Unfall ist, konnten sie natürlich nicht sagen.«

Brock nickte. »Sehen wir uns den Fall an. Was ist mit der Spurensicherung und der Rechtsmedizin?«

»Die habe ich schon verständigt. Sie wollten alle sofort starten.«

»Gut. Sie fahren. Ist ja nicht so weit. Das werde ich wohl überleben.«

Brock zog seinen Assistenten gern wegen seiner Fahrkünste auf, da Spengler es liebte, das Blaulicht einzuschalten und zu dicht aufzufahren, da er die Abstände zu anderen Fahrzeugen nicht so recht abschätzen konnte. Jedenfalls nach Brocks Meinung.

Vom Parkplatz des Präsidiums in Alsterdorf bis zum Haupteingang des Ohlsdorfer Friedhofs brauchten sie nur zehn Minuten.

»Es ist weiter vorn direkt an der Hauptallee«, erläuterte Spengler. Brock sah die zuckenden Blaulichter schon von Weitem.

Spengler parkte den Dienstwagen direkt hinter einem der beiden Streifenwagen. Die Hauptallee des Friedhofs war sehr breit. Ein Stadtbus kam ihnen entgegen, und die wenigen Fahrgäste drückten neugierig ihre Nasen an die Scheiben. Brock wusste, dass der Friedhof eine eigene Buslinie besaß.

Immerhin handelte es sich um den größten Parkfriedhof der Welt. Er war fast doppelt so groß wie das Fürstentum Monaco. Brock erinnerte sich, dass die Hamburger früher nicht vom Sterben sprachen, sondern davon, dass sie eines Tages nach Ohlsdorf umziehen würden.

Hier an der Hauptallee sah der Friedhof tatsächlich mehr wie ein Park aus. Rasenflächen, Rhododendronbüsche und mächtige Bäume dominierten die Landschaft.

Es gab einige größere Familiengräber, die relativ weit auseinanderlagen. Um eines davon hatten die Polizisten Flatterband an den Bäumen befestigt. Es lag etwa zwanzig Meter von der Allee entfernt. Die Uniformierten blickten den Neuankömmlingen neugierig entgegen. Einer von ihnen hob das Band an, nachdem Spengler seinen Ausweis gezeigt hatte, und sie konnten sich der Grabstätte nähern, nachdem sie die vorgeschriebene Schutzkleidung angelegt hatten.

Außer ihnen war noch niemand eingetroffen. Doch bald würden hier eine ganze Menge Leute ihrer Arbeit nachgehen. Brock war froh, dass er wenigstens für kurze Zeit die Szene ungestört studieren konnte.

Das Grab war an drei Seiten von Hecken umgeben. Zwei hohe Tannen beschirmten es zusätzlich. An der rückwärtigen Wand erhob sich im Zentrum eine mittelhohe Granitmauer, auf der in Bronzebuchstaben ein Bibelspruch angebracht war. Davor befanden sich in zwei Reihen kleinere Grabplatten, die schräg im Boden eingelassen waren und auf denen ebenfalls in Bronze Namen und Lebensdaten verzeichnet waren.

An der Wand lehnte ein sitzender Mann. Sein Kopf war auf die linke Schulter gesunken, seine rechte Hand lag auf einer der kleinen Platten. Er war mit dunkelblauen Jeans und einem grauen T-Shirt bekleidet und trug an den Füßen weiße Sportschuhe, die jedoch stark verschmutzt waren.

Brock winkte einen der Streifenpolizisten heran.

»Ich gehe davon aus, dass in der Zwischenzeit niemand den Toten berührt hat.«

»Nein.« Er deutete auf einen anderen Polizisten. »Mein Kollege hat nur überprüft, ob der Mann noch lebt.«

»Das war nicht der Fall«, fügte er nach einer Pause hinzu.

Brock nickte. »Gut. Dann sehen wir uns das mal näher an.«

Spengler folgte ihm dichtauf und zückte sein Handy, um Fotos zu machen.

Auffällig waren auf den ersten Blick die dunklen Flecken auf der Hose des Mannes. Sie bildeten ein unregelmäßiges Muster unterhalb des Gürtels und reichten bis zur Mitte der Oberschenkel. Es war schwer zu sagen, ob es sich um Blut oder eine andere Flüssigkeit handelte. Was immer es war – es war bereits getrocknet. Ein Zeichen dafür, dass der Tote sich schon länger hier befand.

»Das wird sich der Doktor näher ansehen«, sagte Brock.

Die unmittelbare Nähe zu den Toten war ihm immer schon schwergefallen. Er verbarg diese Aversion so gut er konnte, doch es jagte ihm immer wieder Schauer über den Rücken.

Er kauerte sich hin, um den Toten dennoch aus der Nähe zu betrachten. Die Haut war sehr blass, die Augen bereits milchig. Eine äußere Verletzung war nicht zu sehen. Vorsichtshalber legte er seine Finger für einen kurzen Zeitraum an eine der Halsarterien – doch er spürte nichts. Die Streifenpolizisten hatten mit ihrer Feststellung recht gehabt.

Brock wollte den Mann nicht weiter berühren, bevor Spurensicherung und Rechtsmedizin ihre Arbeit getan hatten.

Eines bemerkte er jedoch sofort.

Er deutete auf eine Stelle am Hals des Toten. »Sehen Sie das?«

Spengler beugte sich ebenfalls hinunter. »Eine rötliche Schwellung!«, stellte er fest. »Und mittendrin ein Einstich, wie es scheint.«

Brock stemmte sich hoch. »Sehr richtig beobachtet.«

Spengler strahlte. Er genoss das kleinste Lob aus dem Mund seines Chefs, als hätte man ihm einen Orden verliehen.

»Achten Sie auf seine rechte Hand«, sagte Brock. »Was sehen Sie?«

»Sein Zeigefinger liegt auf einer Grabplatte, genau auf einem Namen«, bemerkte sein Assistent erstaunt.

»Weiter!«, drängte Brock.

Spengler ging mit dem Kopf näher heran.

»Ein Mädchen«, sagte er schließlich. »Caroline Steiger. Sie ist nur siebzehn Jahre alt geworden. Das ist aber schon einige Jahre her.«

Er blickte Brock an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Ich denke, dass wir es tatsächlich mit einem Mord zu tun haben. Den Stich hat der Mann sich nicht selbst zugefügt. Den Finger auf der Grabplatte halte ich für einen Hinweis. Hier wollte uns jemand etwas mitteilen. Wir müssen schnellstens herausfinden, wer der Tote ist. Dann werden wir auch wissen, welchen Zusammenhang es mit diesem verstorbenen Mädchen gibt.«

Spengler wollte antworten, als Schritte zu hören waren. Als Erstes näherte sich Doktor Bernd Fischer, der Rechtsmediziner, in einen Schutzanzug gehüllt und in der Hand einen Koffer. Ihm folgten zwei Assistenten, die sich mit ihrer Bahre ein paar Meter entfernt aufstellten.

Brock schätzte den Pathologen sehr und hielt ihn für einen kompetenten und zuverlässigen Partner, der schon häufig Dinge entdeckt hatte, die anderen vielleicht entgangen wären.

Er war glücklich verheiratet und hatte einen Sohn, der ebenfalls Medizin studierte. Fischer war etwas älter als Brock und hatte seit Kurzem angefangen, sich für den Golfsport zu erwärmen. Als Erstes hatte er sich eine teure Ausrüstung sowie die entsprechende Kleidung zugelegt. Seine sportlichen Erfolge hielten sich jedoch in Grenzen, was Brock bereits zu einigen spöttischen Bemerkungen veranlasst hatte. Fischer nahm ihm das nicht übel, denn er teilte selbst sehr gern aus.

Der Rechtsmediziner betrachtete kopfschüttelnd den Tatort.

»Ein toter Mann auf dem Friedhof«, sagte er. »Klingt nicht ungewöhnlich, ist es in diesem Fall aber schon, wie ich sehe.«

»Ich weiß, dass Sie sich schon eine erste Meinung gebildet haben«, sagte Brock. »Auch wenn Sie das nicht gern zugeben. Was denken Sie, wie lange der Mann bereits hier liegt?«

»Offensichtlich kennen Sie mich schon zu lange«, entgegnete der Rechtsmediziner. »Den genauen Todeszeitpunkt kann ich natürlich erst nach der Autopsie bestimmen. Doch wenn wir davon ausgehen, dass der Tote gestern Abend hier abgelegt wurde …«

Er hob den Kopf. »Wann schließt der Friedhof, wissen Sie das?«

Brock nickte. »Zu dieser Jahreszeit werden die Tore erst abends um neun geschlossen.«

Doktor Fischer überlegte kurz. »Das passt ganz gut. Wenn ich diesen Zeitpunkt und den Zustand der Leiche in Betracht ziehe und die nächtliche Temperatur berücksichtige, denke ich, dass der Mann gestern im Laufe des Tages ums Leben kam. Doch legen Sie mich noch nicht darauf fest.«

Er entnahm seinem Köfferchen eine Plastikfolie, die er auf den Boden neben dem Toten legte und kniete sich hin, um mit seiner Untersuchung zu beginnen. Brock und Spengler entfernten sich ein paar Meter.

Inzwischen waren auch die Kollegen der Spurensicherung eingetroffen, die in ihren weißen Overalls alle gleich aussahen.

Kommissar Ritter, der Anführer der Truppe, kam näher und begrüßte die bereits Anwesenden.

»Können wir loslegen?«, fragte er.

Brock nickte. »Laut Aussagen der Polizisten, die als Erste eingetroffen sind, hat sich niemand dem Grab genähert. Einer hat nur festgestellt, ob der Mann noch lebt. Wir haben uns den Toten ebenfalls angesehen, an der gleichen Stelle, an der sich der Doktor jetzt befindet.«

»Gut«, sagte Ritter. »Dann tragen Sie sich ins Anwesenheitsprotokoll ein und lassen Sie uns unseren Job machen.«

Brock wandte sich an einen der Uniformierten. »Wer hat den Toten gefunden?«

»Zwei Gärtner. Sie sitzen dort drüben am Straßenrand in ihrem Auto. Ich habe sie gebeten, solange zu warten, bis jemand mit ihnen gesprochen hat.«

»Das war genau richtig.«

Brock marschierte mit Spengler im Schlepptau zur Allee zurück. Aus dem winzigen Führerhaus eines dreirädrigen Fahrzeugs sahen ihm zwei Köpfe neugierig entgegen. Auf der kleinen Ladefläche lag vertrocknetes Laub. Eilig stiegen die beiden Insassen aus.

»Guten Morgen«, sagte Brock. »Sie haben den Mann dort drüben entdeckt?«

Sie nickten beide heftig. Der Fahrer übernahm das Reden. »Wir wollten gerade in den schmalen Weg einbiegen, als wir ihn sahen. Das heißt, mein Kumpel hat ihn als Erster gesehen. Wir dachten, dass es sich um einen Betrunkenen handelte, sind ausgestiegen und auf ihn zugegangen. Wir haben gerufen, aber er hat sich nicht gerührt. Ich habe nach seinem Puls gefühlt, doch da war nichts.«

»Sind Sie da ganz sicher gewesen?«, fragte Spengler dazwischen.

Der Angesprochene sah ihn empört an. »Ich habe Schulungen beim Roten Kreuz gehabt. Da lernt man so was!«

Brock hob beruhigend die Hand. »Schon gut. Was haben Sie dann gemacht?«

»Wir sind zu unserem Fahrzeug zurückgegangen, und ich habe mit meinem Handy die Polizei angerufen. Dann haben wir gewartet.«

»Danke. Sie haben alles richtig gemacht. Geben Sie meinem Kollegen Ihre Personalien, falls wir Ihre Aussagen noch einmal benötigen, und bleiben Sie noch ein paar Minuten hier, bis ich weiß, ob die Spurensicherung noch etwas von Ihnen braucht.«

Hauptkommissar Brock wandte sich zum Gehen, als er sich umdrehte. »Haben sie jemanden in der Nähe gesehen?«

Die beiden Gärtner schüttelten die Köpfe.

Der Fahrer übernahm erneut das Wort. »Nein, da war zu dieser frühen Stunde niemand. Einige Autos kamen uns auf der Hauptallee entgegen, aber die haben hier nicht gehalten.«

»Das sind Leute, die verbotenerweise die Abkürzung durch den Friedhof nehmen«, ergänzte sein Kollege wütend.

Brock ging gedankenversunken zurück zum Tatort. Was hatte dieses Arrangement an der Grabstätte zu bedeuten? 

Sein Kollege Ritter hielt ihn am Ärmel fest. »Warten Sie einen Augenblick. Wir sind dabei, die Fußspuren am Tatort zu sichern. Der Boden ist noch einigermaßen weich. Wir brauchen auch die Vergleichsmuster aller Personen, die außer uns in der Nähe des Grabes waren.«

Brock spürte im Schatten der Bäume die morgendliche Kühle, zog unbewusst die Schultern zusammen und ärgerte sich, dass er seine Lieblingslederjacke im Auto gelassen hatte.

Er deutete zurück zur Hauptallee. »Die Gärtner warten bei ihrem merkwürdigen Fahrzeug.«

Der Hauptkommissar ließ seinen Blick suchend über den Boden gleiten. »Ich frage mich, wie die Leiche transportiert wurde. Die trägt man doch nicht so einfach über der Schulter. Oder waren die Täter zu zweit?«

Ritter schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Dann wäre die Erde am Grab stärker zertrampelt gewesen. Kommen Sie mal mit. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

Brock folgte seinem Kollegen zu einer Stelle etwa in der Mitte zwischen Straße und Grabstätte. Ritter deutete auf den Boden, der stellenweise durch die sommerliche Wärme weitgehend trocken war. Dazwischen gab es Grasflächen und weichere Erde.

»Sehen Sie das? Man muss genau hinschauen.«

Brock konnte beim besten Willen nichts erkennen. Ritter ging in die Hocke und richtete seinen Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle.

»Sieht aus wie eine schmale Spur«, stellte Brock überrascht fest.

Er hob den Kopf. »Führt genau auf das Grab zu.«

»Es ist nicht nur eine Spur, es sind zwei«, ergänzte Ritter. »Sehen Sie, hier ist die zweite. Sie sind absolut parallel.«

Jetzt erkannte Cornelius Brock deutlicher, was sein Kollege ihm gezeigt hatte. Die beiden Spuren waren im Gras kaum zu erkennen, das sich wieder aufgerichtet hatte, nachdem es durch irgendein Gewicht niedergedrückt worden war. Im Erdreich war deutlicher zu sehen, dass es sich um zwei relativ dicht nebeneinander liegende dünne Spuren handelte.

»Hier ist etwas über den Boden gezogen worden«, erklärte Ritter. »Ich bin jedoch nicht sicher, was es war.«

Brock starrte zu Boden, als sich sein Gesicht plötzlich aufhellte.

»Natürlich!«, rief er aus und schnippte mit den Fingern.

Ritter sah ihn neugierig an. »Lassen Sie mich an Ihren Erkenntnissen teilhaben?«

»Ein Koffer! Der Täter hat einen großen Rollkoffer gezogen. Damit hat er die Leiche transportiert!«

Ritter drehte sich zur Straße um und dachte laut nach. »Der Täter hat dort geparkt, den Koffer aus dem Wagen genommen und ihn zum Grab gezogen. Ja, das könnte einer allein schaffen, wenn er einigermaßen kräftig ist. Wir werden die Spuren genau analysieren. Sollten Sie den Koffer finden, können wir ihn der Spur zuordnen.«

Brock nickte. »Das ist doch schon mal was. Immerhin wissen wir jetzt, dass der Täter kein Leichtgewicht sein kann.«

Sie gingen zurück zum Grab, und Brock blickte zu Doktor Fischer hinüber, der sich mit dem Kopf des Toten beschäftigte. Brock sah, wie der Arzt in die Mundhöhle sah, plötzlich zurückzuckte und die Kiefer des Mannes losließ, die er gerade auseinandergezogen hatte.

»Haben Sie etwas entdeckt?«, rief Brock.

Fischer drehte den Kopf und sah ihn mit einem sonderbaren Blick an. »Das wollen Sie jetzt nicht wissen. Kommen Sie morgen zu mir. Dann kann ich Ihnen mehr sagen.«

Er wandte sich wieder dem Opfer zu.

Brock fragte sich, was der Doktor entdeckt haben mochte, als Kommissar Ritter zu ihm trat, einen mobilen Fingerabdruck-Scanner in den Händen.

»Wir haben dem Toten als Erstes die Abdrücke abgenommen. Sehen Sie mal, was wir gefunden haben.«

Er drehte das Gerät, sodass Brock auf den kleinen Monitor blicken konnte. Das Gerät war mit der zentralen Fingerabdruckkartei über eine gesicherte Verbindung vernetzt, sodass die Identität einer Person sofort festgestellt werden konnte, sofern sie in der Datenbank erfasst war.

»Steffen Langer«, las Brock vor. Er studierte das kleine Foto. »Ja, das ist er!«

»Weiter unten!«, drängte Ritter.

»Er hat noch ein paar Jahre in Fuhlsbüttel abzusitzen«, bemerkte Brock kopfschüttelnd. »Wie kann es sein, dass er hier tot auf dem Friedhof liegt?«

Ritter lächelte leicht.

»Das, lieber Kollege Brock, werden Sie wohl selbst herausfinden müssen.«

 

*

 

Der Mann drehte die Schreibtischlampe herum, bis ihr Licht direkt auf eine der Zimmerwände fiel, an der eine große Tafel aus einem korkähnlichen Kunststoff angebracht war, wie man sie bei Seminaren verwendete – und aus einem solchen stammte sie auch. Darauf befanden sich originale Zeitungsausschnitte, ein paar Fotos und handschriftliche Anmerkungen. Einige der Dokumente waren mit kräftigen Pfeilen verbunden, eines der Fotos war eingekreist.

Der Mann – er war noch jung, vielleicht Ende zwanzig – musterte sein Werk. Sein Blick glitt über jedes einzelne Foto, jeden Ausschnitt.

Es war ziemlich warm hier unter dem Dach. Der Mann trug daher nur ein schwarzes Unterhemd, sodass seine trainierten Muskeln zu sehen waren. Er ging regelmäßig in ein Sportstudio, achtete streng auf seine Ernährung und pflegte seinen Körper mit Sorgfalt. An einem Spiegel konnte er nicht vorbeigehen, ohne einen prüfenden Blick hineinzuwerfen.

Er sah mit seinen schwarzen Haaren, den tiefblauen Augen über einer schmalen Nase und dem immer spöttisch gekräuselten Mund gut aus. Er strahlte Wärme aus, und Frauen mochten ihn. Erst recht, wenn sie seinen Charme bemerkten.

Im Haus war es still. Hier oben unter dem Dach war ohnehin wenig zu hören. Die kleine Wohnung mit ihren teilweise schrägen Wänden befand sich in der obersten Etage eines Mehrfamilienhauses in der Nähe des Stadtparks. Die Zimmer des Altbaus waren winzig, doch er hatte alles, was er brauchte. Vor allem war er ungestört. Seinen Vermieter hatte er seit Jahren nicht gesehen. Parkplätze gab es vor dem Haus, und die nächste Bus-Haltestelle war keine fünfzig Meter entfernt. Bis zu seinem Arbeitsplatz brauchte er höchstens eine halbe Stunde. Es war perfekt!

Er trat einen Schritt an die Tafel heran, sodass er die Überschriften der Zeitungsartikel lesen konnte.

»Vermisste Studentin tot aufgefunden«, stand da. Oder: »Verdächtiger bestreitet Tat«.

Er verzog seine Lippen zu einem bösen Lächeln. Sie bestritten es immer. Irgendetwas irritierte ihn, bis er bemerkte, dass zwei Artikel falsch zugeordnet waren. Er tauschte sie aus und brachte sie an der richtigen Stelle an. Jetzt stimmte es, und er nickte befriedigt.

Anschließend nahm er einige der angehefteten Artikel und Notizen ab. Bei ihnen ging es um Caroline Steiger und den Prozess gegen Steffen Langer.

Der Mann trug die Papiere zu seinem Tisch, fasste sie mit einer Büroklammer zusammen und schrieb mit einem dicken Stift das Wort »Erledigt« quer über eine Seite.

»Du wirst niemandem mehr wehtun«, murmelte er dabei.

Es war so leicht gewesen, dachte er. Der Mann verspürte eine tiefe Befriedigung darüber, dass es jetzt einen Dreckskerl weniger gab. Der Alte hatte recht gehabt: Es war ein gutes Gefühl.

Doch jetzt war es Zeit für ein neues Ziel. Er trat wieder vor seine Wand und studierte die Artikel gründlich, obwohl er viele davon fast auswendig kannte – so oft hatte er sie gelesen.

Mehrere Minuten später hatte er sich entschieden.

Ja, das würde der Richtige sein!

Norbert Becker war schon mehrfach wegen sexueller Belästigungen aufgefallen. Beim ersten Mal war es überhaupt nicht zu einem Prozess gekommen, beim zweiten Mal war er freigesprochen worden, und beim letzten Fall hatte er eine milde Bewährungsstrafe bekommen.

Der Mann war selbst beim Prozess dabei gewesen. Von Anfang an hatte er geahnt, wie es ausgehen würde. Ein einigermaßen fähiger Verteidiger und ein inkompetenter und desinteressierter Staatsanwalt versprachen nichts Gutes.

Es war um die Vergewaltigung einer fünfzehnjährigen Schülerin gegangen. Nach der Tat hatte Becker sie halb nackt in einer Tordurchfahrt liegen lassen. Zum Schluss hatte er ihr noch einen Schlag gegen den Schädel versetzt, sodass sie anschließend noch eine Woche im Koma lag. Ein solches Erlebnis würde einen Menschen verändern. Das Leben war nicht wie vorher. Der Mann konnte sich gut in eine solche Situation hineinfinden.

Zeugen hatten ein Auto vom Tatort wegfahren sehen und sich das Nummernschild gemerkt. Der Täter war noch in der gleichen Nacht verhaftet worden.

Bei der Verhandlung hatte das Mädchen den Täter erkannt, doch ihr Erinnerungsvermögen hatte nicht zuletzt durch den Schlag auf den Kopf gelitten. Der Verteidiger hatte diese Tatsache ausgenutzt und behauptet, sein Mandant habe sie in ihrem bewusstlosen Zustand nur aufgefunden und sei vor Schreck geflohen, ohne die Polizei zu rufen.

Die Anklage hatte sich nicht sonderlich bemüht, das Gegenteil zu beweisen, und so war es zu diesem Urteil gekommen.

Das Mädchen hatte sich ein Jahr später das Leben genommen – mit den Schlaftabletten ihrer Mutter. Für die Medien war das nur eine kurze Notiz gewesen, doch der Mann hatte den Vorgang registriert und seiner Sammlung hinzugefügt.

Er ballte die Fäuste und presste die Lippen zusammen. Dieses Unrecht musste wiedergutgemacht werden. Niemand hätte dem Mädchen eine unbeschwerte Zukunft zurückgeben können, auch wenn sie weitergelebt hätte.

Es war so ein sinnloser Tod!

Doch der Täter durfte nicht davonkommen. Es gab außerhalb der Justiz andere Wege, um Gerechtigkeit zu üben. Dafür würde er sorgen.

Er nahm ein Foto von der Wand. Er hatte den Vergewaltiger mit seinem Handy heimlich fotografiert, als er aus dem Gerichtssaal kam. Mit seinem Farbdrucker hatte er das Gesicht des Mannes anschließend vergrößert.

Norbert Becker hatte etwas von einem Wiesel an sich. Kleine stechende Augen, deren Blick unruhig hin und her huschte, schmale, verkniffene Lippen, ausgedünntes Haar und eine fleckige Haut. Er war vierunddreißig Jahre alt, sah aber älter aus. Die Schule hatte er nur mühsam beenden können. Jetzt hatte er einen Job als Lagerarbeiter in einem Hafenschuppen, und er lebte allein in einer heruntergekommenen Bruchbude. Bei der Verhandlung war außerdem herausgekommen, dass er zu viel trank und gelegentlich Drogen nahm.

Der Mann setzte sich mit dem Foto in der Hand an seinen Schreibtisch und drehte die Lampe wieder herum, sodass ihr Licht auf das hässliche Gesicht von Norbert Becker fiel.

Der Mann spürte, wie sein Abscheu wuchs und Zorn in ihm aufloderte.

Ja, Norbert Becker würde der Nächste sein!

 

*

 

Im Büro herrschte rege Geschäftigkeit. Brock hatte jede Menge Aufgaben verteilt. Gesprächsfetzen flogen durch den großen Raum, Tastaturen klapperten, es wurde telefoniert, und Beamte mit Aktenbündeln in der Hand eilten hin und her.

Kommissaranwärter Horst Spengler sprang von seinem Schreibtisch auf und kam auf ihn zu, ein Papier in der Hand schwenkend.

»Schauen Sie mal, das habe ich gerade ausgedruckt.«

Brock nahm das Blatt in die Hand.

»Steffen Langer ist gestern entlassen worden? Das erklärt, weshalb wir heute Morgen annehmen mussten, dass er noch im Bau sitzt. So schnell wurde die Datenbank offensichtlich nicht aktualisiert.«

Spengler setzte sich auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch. »Man hat ihm wegen guter Führung ein paar Jahre erlassen. Ich habe vorhin mit der Gefängnisleitung gesprochen. Er hat sich während seiner Haft nichts zuschulden kommen lassen und galt als vorbildlicher Gefangener.«

»Das erklärt aber überhaupt nicht, weshalb er am gleichen Tag ermordet wurde. Finden Sie doch mal heraus, wofür man ihn verurteilt hat.«

Spenglers Augen funkelten, und er platzte fast vor Aufregung.

»Das habe ich schon. Er saß ein wegen Vergewaltigung und Körperverletzung mit Todesfolge, weil sein Opfer später gestorben ist.«

Er machte eine Kunstpause. »Sein Opfer war Caroline Steiger!«

Cornelius Brock lehnte sich zurück. »Das Mädchen, auf dessen Grabstein unser Mordopfer mit seinem Zeigefinger deutete? Das sieht nach einem sehr persönlichen Motiv aus. Da hat wohl jemand der Gerechtigkeit nachhelfen wollen, dem Langers Strafe nicht gereicht hat.«

»Ich habe die Akten des Falles bereits angefordert. Man hat mir versprochen, dass wir die Unterlagen heute noch bekommen.«

»Spengler, Sie werden immer besser.«

Brocks Telefon klingelte. Kollege Ritter von der Spurensicherung meldete sich.

»Ein erstes Ergebnis haben wir bereits«, sagte er. »Wir haben sämtliche Fußspuren untersucht, die wir sichern konnten. Nachdem wir sie mit den Schuhen der Personen verglichen haben, die sich nachweislich in der Nähe des Grabes aufgehalten haben, blieb ein Abdruck übrig. Er gehört zu keinem unserer Leute und auch nicht dem Opfer – und er war frisch. Wenn Sie also einen Täter haben, können wir beweisen, dass er sich am Grab aufgehalten hat.«

»Leider sind wir noch nicht so weit«, entgegnete Brock. »Immerhin kennen wir das vermutliche Motiv für den Mord. Wie Sie sicher auch schon vermutet haben, hängt es mit dem Grab des toten Mädchens zusammen. Haben Sie noch mehr herausgefunden?«

»Nein. Meine Leute prüfen derzeit mit Hochdruck alles, was wir am Tatort eingesammelt haben, doch es ist kein spektakulärer Fund dabei.«

»Haben Sie vielen Dank«, sagte Brock und legte auf.

Er wandte sich wieder seinem Assistenten zu. »Zunächst brauchen wir alles, was wir über Steffen Langer und sein Opfer finden können. Anschließend werden wir mit der Familie des ermordeten Mädchens reden müssen. Ein erster Verdacht legt nahe, dass es sich um einen Racheakt handelt, und dafür wäre die Familie die erste Wahl. Doch ich habe mir abgewöhnt, voreilige Schlüsse zu ziehen.«

Spengler wollte sich gerade erheben, als Brocks Telefon erneut klingelte. Eine Dame vom Empfang war in der Leitung.

»Wir haben hier zwei Personen, die Sie sprechen möchten, Herr Hauptkommissar.«

»Um wen handelt es sich denn?«

»Eine Krankenschwester – jedenfalls trägt sie so ein Häubchen – Sie wissen schon, was ich meine. Sie wird von einem jüngeren Mann begleitet.«

»Ich kenne keine Krankenschwester.«

»Sie will mit dem Leiter der Mordkommission sprechen. Das sind Sie doch, oder?«

»Fragen Sie die Dame bitte, was sie von mir will.«