Indian Cowboy - Brita Rose Billert - E-Book

Indian Cowboy E-Book

Brita Rose Billert

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Beschreibung

"Wenn du mal einen beschissenen Job brauchst, den keiner machen will, dann melde dich bei mir", sagt ausgerechnet ein FBI Agent zu Ryan Black Hawk. "Ich arbeite nicht für das FBI!" "Nicht für die. Für mich." Als Ryan unehrenhaft aus der US Air Force entlassen wird, bleibt ihm keine andere Wahl. Zu Fuß macht er sich auf den Weg in eine ungewisse und gefährliche Zukunft. Als er der geheimnisvollen Keshia begegnet, soll sich alles ändern. Fast vergessene Gefühle verzaubern die beiden jungen Menschen. Doch dann kommt alles anders.

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Zur Autorin:

Brita Rose Billert wurde 1966 in Erfurt geboren und ist Fachschwester für Intensivmedizin und Beatmung, ein Umstand, der auch in ihren Romanen fachkundig zur Geltung kommt. Ihre knappe Freizeit verbringt sie mit ihrem Pferd beim Westernreiten durch das Kyffhäuserland in Thüringen. Sie hat durch ihre Reisen in die USA viele Freundschaften mit Native Indians in Utah, South Dakota und British Columbia geschlossen. Diese Tatsache, die Liebe zu den Pferden und ihrem Job inspirieren Sie zum Schreiben. Sieben Romane sind bereits publiziert. Autorenhomepage: www.brita-rose-billert.de

Jeder Einzelne von uns kämpft jeden Tag für seine Existenz, für sein Überleben und für seine Träume, egal wo auf dieser Erde und auf ganz unterschiedliche Art und Weise.

All diesen Menschen ist dieses Buch gewidmet.

Gebt nicht auf und vergesst nicht zu lächeln, was immer auch geschieht.

Brita Rose Billert

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Zeit der Dämmerung

Kapitel 2 Der Jäger

Kapitel 3 Keshia

Kapitel 4 Der Letzte Auftrag

Kapitel 1

Zeit der Dämmerung

Gegen zehn Uhr Morgens wurde Sergeant Ryan Black Hawk von der Arrestzelle in General Major Barkleys Büro geführt. Ryan blieb vor dem Schreibtisch stehen, hinter dem Barkley, Taylor und ein junger Lieutenant Platz genommen hatten. Mit nur zwei Sätzen verkündete Barkley seinen Beschluss.

„Sergeant Hawk, Sie sind mit sofortiger Wirkung unehrenhaft aus dem Dienst der US Air Force entlassen. Aufgrund des von Ihnen verursachten Schadens an Personen, des Dienstwagens, der Befehlsverweigerung, Unzuverlässigkeit und Desertation sehe ich eine weitere Zugehörigkeit für unvertretbar. Da Sie nun Zivilperson auf Militärgelände sind, wird Sie der Lieutenant auf Ihr Zimmer begleiten, damit Sie Ihre Sachen packen können. Danach wird er sie direkt zum Ausgang begleiten.”

Barkleys Worte klangen wie abgefeuerte Schüsse. Ryan gefror das Blut in den Adern. Er atmete tief durch. Mit keiner Regung ließ er erkennen, was er dabei empfand. Obwohl er Barkleys Urteil kaum anders erwartet hatte, spürte er, wie gefährlich der Boden unter seinen Füßen wankte. Jedes Wort war überflüssig. Da er jetzt keinem Befehl mehr unterstellt war, wandte sich der Lakota grußlos um und ging zur Tür hinaus. Der Lieutenant sprang auf, um ihm eilig zu folgen.

Barkleys grimmiger Blick folgte den Männern. Kaum hörbar sagte Taylor: „Er war mein bester Mann. So einen finde ich nie wieder.”

*****

Dunkle Wolken türmten sich bedrohlich über das Land um die Black Hills. Dämmerung beherrschte den Tag. Drückende Schwüle kündete das heranziehende Gewitter an. Es war unheimlich still. Nicht ein Vogel sang und die dicke Luft schluckte die Motorengeräusche des Highway 90.

Von dort kam ein junger Mann zu Fuß. Er schien es nicht eilig zu haben, bummelte aber auch nicht. Über der Schulter hing eine schwarze Tasche und obwohl es nicht notwendig gewesen wäre, trug er eine Sonnenbrille. Keine Straße und kein Weg führte in diese Richtung, in die er zielstrebig lief. Es schien, als wüsste er dennoch wohin er wollte. Das Shirt hatte er durch den Gürtel gesteckt. So baumelte es im Takt seiner Schritte hinter ihm her. Ryan Black Hawk wusste genau, wohin er wollte. Er kannte den Weg. Nicht das erste Mal legte er ihn zu Fuß zurück. Nach etwa zwei Stunden Fußmarsch hatte er den Waldrand der Black Hills erreicht. In den Bergen würde er Schutz vor dem Gewitter finden, das wahrhaftig schnell heraufzog. Die Jeans klebte an der Haut und die Zunge am Gaumen. Auch der dunkle Wald bot keine kühlende Erleichterung. In den Sportschuhen schien ein Feuer zu brennen. Ryan ignorierte das alles. Sein Gesicht wirkte versteinert und seine Gedanken quälten ihn. Schließlich steckte er die Brille weg. Im dichten Wald war es dunkel. Auch hier folgte der Lakota keinem Weg. Seine Füße berührten den weichen Mischwaldboden, verrottende Nadeln, welke Blätter, Moos und Äste. Es roch danach. Ein kaum hörbares Geräusch, das nicht hierher gehörte, ließ Ryan stoppen und aufhorchen. Er vernahm deutlich ein menschliches Stöhnen. Ryan verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen und wartete.

Stille.

Dann stöhnte wieder jemand. Es kam oben vom Hang. Ryan ließ die Tasche zurück, kroch hinauf und blieb schließlich am Boden liegen. Sein Grinsen wurde breiter, als er die Ursache erkannte. Wieder drang ein klägliches Stöhnen zu seinen Ohren. Ryan erhob sich. Obwohl der Lakota es immer vermied, sich ungebeten in die Angelegenheiten anderer Leute zu mischen, schien es hier äußerst notwendig zu sein. Ein weißhaariger Mann, nur mit einer Unterhose bekleidet, hing verkehrt herum am untersten Ast eines Baumes. Sein Kopf schwebte über dem Boden, während seine Arme in einem großen Ameisenhaufen hingen. Die Tiere verteidigten tapfer ihre Behausung und waren nicht im geringsten mit dem Eindringling einverstanden. Ryan zog sein Messer und schnitt den Strick durch. Der Alte plumpste in den krabbelnden Haufen und krächzte. Kraftlos fluchte er und versuchte vergeblich aufzustehen. Ungeschickt fuchtelte er umher.

Ryan grinste spöttisch über die seltsame, lächerliche Kreatur und wandte sich zum Gehen.

„Hey! Du!”, schnaufte der Alte. „Du kannst mich doch nicht einfach hier...” Er ächzte, während er umständlich versuchte auf die Beine zu kommen, „...hier liegen lassen. Verflucht nochmal!”

Ryan hielt inne und blickte zurück.

„Vielleicht hast du es ja nicht anders verdient”, entgegnete er unberührt.

„Diese verfluchten Stinktiere bringe ich um! Undankbares Volk!”

Der Alte hatte wieder genug Luft in seinen Lungen, um kräftig zu fluchen. Auf allen Vieren krabbelte er aus dem Haufen der tapferen, kleinen Tiere und streifte immer wieder über seine feuerroten Arme. Einige Leichen fielen zu Boden. Als er sich in Sicherheit glaubte, lehnte er sich erschöpft an einen Baumstamm und warf einen ersten Blick zu seinen Retter. Der kleine Alte grinste, hustete und sagte mit heißerer Stimme: „Danke! Ich schulde dir was.”

Wind kam auf und fuhr in die Blätter der Bäume. Es rauschte. Ryan sah nach oben.

„Ist was im Anzug. Habe es letzte Nacht schon in meinen alten, morschen Knochen gemerkt. Ich bin übrigens Samuel Gabriel Anthony Williams. Für dich Sam, wenn du mir deinen Namen verrätst.”

Ryan sah skeptisch zu ihm herab und musterte ihn. Er war klein, untersetzt und hatte kurze, krumme Beine. Seine weißen Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Doch der Bart machte einen äußerst penibel gepflegten Eindruck. Seine dicke Nase erinnerte an eine Kartoffelknolle und seine Augen blinzelten Ryan neugierig entgegen.

„Ryan”, sagte der schließlich.

Sam lachte mit rauchiger Stimme.

„Du gefällst mir Bürschchen. Bist Indianer. Siehst aus wie ein Air Force Verschnitt auf Urlaub. Ein anderer wäre nie auf die blödsinnige Idee gekommen, durch dieses gottverlassene Stück Wald zu streifen. Mein Glück. Sonst hätten die Ameisen meine Gebeine abgenagt.”

Der alte Sam wechselte in seiner Stimmung vom unfreundlichen Knurren in einen eigenwilligen Humor. Er lachte und winkte Ryan zu sich heran.

„Komm Junge! Hilf einem alten Mann mal auf die Beine. Mir brummt noch immer der Schädel von der verdrehten Welt.”

Ryan trat einen Schritt auf ihn zu und reichte ihm den Arm. Der Alte packte ihn am Handgelenk und zog sich auf. Dann tat er die ersten steifen Schritte.

Der Wind wuchs zum Sturm.

Der Donner grollte.

Es wurde höchste Zeit für Ryan, die Höhle aufzusuchen. Erneut wandte er sich zum Gehen.

„Der Blitz soll mich treffen, dass ich sofort tot umfalle, wenn ich ein Lügner bin. Ich bin Geschäftsmann und immer ehrlich zu allen gewesen!”, schrie Sam durch das laute Rauschen des Sturmes in den Baumkronen. Äste knackten bedrohlich. Einer fiel zu Boden. Ryan blieb gleichgültig und setzte unbeirrt seinen Weg fort.

„Warum sollte dich unser Schöpfer also auf deinem Weg zu mir geschickt haben? Um mir mein Leben zu retten! Er wollte mich noch nicht da oben haben!”, rief der Alte ihm nach.

„Schon mal was von der Hölle gehört?”

Er hörte den Alten hinter sich krächzend lachen.

„Der Teufel hat Angst vor mir.”

Ryan verschwand hangabwärts. Der Sturm spielte wütend mit den Baumwipfeln. Das heulende Pfeifen wurde lauter und die raschelnden Blätter sangen dazu. Ryan griff nach seiner Tasche. Nun würde er sich beeilen müssen, um seinen Unterschlupf an den Felswänden zu erreichen. Vielleicht würde er die Nacht dort verbringen müssen. Als er die Tasche über die Schulter warf, sah er den alten Mann, der sich Sam nannte, eilig auf sich zu humpeln. Direkt vor ihm blieb er stehen. Ryan rührte sich nicht von der Stelle. Seine versteinerte Miene wirkte gleichgültig.

„Komm Junge. Hier ganz in der Nähe steht meine Hütte. Ich lade dich ein. Wenn du mich ein wenig stützt, könnten wir es beide noch schaffen.”

Der eigenartige Alte schien es ehrlich zu meinen. Besorgt blickte er Ryan an und wartete auf eine Antwort.

Ryan nickte schließlich.

„Okay.”

Als die beiden Männer das Blockhaus auf einer Waldlichtung erreichten, zuckten Blitze durch die Finsternis. Ryan erkannte einen Schuppen beim Haus, vor dem ein relativ neuer Geländewagen parkte. Die beiden Männer hatten die Tür gerade erreicht, als der Regen herunterprasselte. Die Wassertropfen sprangen wie Kieselsteine über den harten Boden. Sam warf die Tür hinter sich ins Schloss und schaltete das Licht an. Er atmete schwer. Der Weg hatte ihm die letzte Kraft geraubt. Mühsam schleppte er sich zum Tisch und ließ sich auf einen der Stühle sinken.

„Setz dich, Ryan.”

Ryan stand am Fenster und sah hinaus. Die Wassermassen schütteten herab, trommelten gegen die Scheiben und auf das Dach des Blockhauses. Dann setzte er sich zu dem Fremden an den Tisch und schob die Tasche unter den Stuhl. Schweigend musterte er den Raum, der zweckmäßig eingerichtet und mit allerhand Firlefanz dekoriert war. Sein Blick streifte über einen Schreibtisch, auf dem ein Computer stand. Daneben stand ein schmaler Metallschrank. An einer alten Winchester blieb Ryans Blick schließlich hängen. Wie zur Dekoration zierte sie die Holzwand, neben Fellen, Bildern und einigen Jagdtrophäen. Sam beobachtete ihn.

„Ich werde mir mal was zum Anziehen suchen und das Feuer in Gang bringen. Und ich habe einen Mordshunger”, meinte er.

Sam erhob sich und verschwand durch die Tür in das Zimmer dahinter.

Ryan untersuchte den Küchenherd, der jedem Museum Ehre gemacht hätte. In einem Korb lag Anmachholz und daneben einige aufgestapelte große Scheite. Als Sam den Wohnraum betrat, brannte das Feuer bereits. Er nickte Ryan dankend zu und schob eine gusseiserne Pfanne auf die Herdplatte.

„Kaffee oder Tee?”, fragte er.

„Kaffee. Schwarz”, antwortete Ryan.

„Ich hoffe du magst Truthahn?”, fragte Sam, während er Kaffee kochte.

„Ja”, antwortete Ryan knapp.

Sam schüttelte den Kopf. Dann schnitt er Truthahnfleisch in Streifen und quetschte diese in eine Pfanne. Ryans Gedanken schweiften ab. Er versuchte herauszufinden, weshalb er jetzt hier saß. Was hat das zu bedeuten? Weshalb hat mich Wakan Tanka zu diesem Fremden geschickt? Den Tag hätte der alte Mann ohne mein Auftauchen mit Sicherheit nicht überlebt. Und nun bin ich in seinem Haus...

Sam unterbrach Ryans Gedanken, als er eine große Kaffeetasse vor den Lakota schob.

„Danke”, antwortete Ryan sporadisch.

Bratenduft drang in seine Sinne und holte ihn vollends in die Gegenwart zurück. Der Alte machte nun einen sehr zivilisierten und gepflegten Eindruck, der im ganzen Gegensatz zu seiner Erscheinung im Wald stand. Wortlos stellte der Alte Mann das Essen auf den Tisch. Dann murmelte er ein Gebet.

Ryan spürte eine eigenartige Leere tief in sich. Angst und Wut waren verflogen. Plötzlich war ihm alles gleichgültig. Nur das Gefühl von Hunger drang, mit dem Duft des Bratens, in sein Bewusstsein. Lange Zeit hatte er nichts vergleichbares genossen. Der alte Waldschrat war tatsächlich ein guter Koch und Gastgeber. Ryan schmunzelte.

„Danke. Das Essen ist wirklich sehr gut”, bedankte sich Ryan höflich bei seinem Gastgeber.

Die Augen des Alten begannen zu leuchten, als er Ryan offen anlächelte.

„Das freut mich, Junge”, krächzte Sam.

Draußen tobte das Gewitter. Stürmische Böen peitschten den Regen gegen das Haus. Am Schuppen klapperte ein loser Fensterladen. Der Donnerhall klang wie die anrollende Kugel einer Bowlingbahn und entlud sich in einem lauten Krachen.

Als Sam das Geschirr abgeräumt hatte, holte er eine Flasche Whisky und zwei Gläser. Ohne zu fragen schenkte er ein. Ohne ein Wort nahm er sein Glas und trank es in einem Zug aus.

„Manchmal tut das gut. Dann weiß man, dass man noch lebt”, sagte Sam leise.

Ryan zögerte. Schließlich griff er nach dem Glas und trank es ebenfalls in einem Zug aus. Sam hatte Recht. Es tat gut das Brennen in der Kehle zu spüren. Das war wahrscheinlich der beste Whisky, den er jemals getrunken hatte. Kein Vergleich zu dem billigen Fusel ohne Geschmack, der ihm jahrelang nur Löcher in die Magenwände gefressen hatte. Ryan atmete tief durch, als würde er einen tiefen Zug an der Zigarette nehmen. Sam goss Kaffee nach und blickte Ryan direkt an.

„Du bist der erste Fremde, der jemals meinen Claim betreten durfte. Ich mag keine Fremden, die hier herumschnüffeln. Du hast ja gesehen, wohin das führen kann.”

Ryan musste grinsen.

„Die Winchester da gefällt dir?”

„Ja.”

„Ich schenke sie dir.”

Ryan schüttelte den Kopf.

„Ich brauche kein Gewehr, das eine Wand ziert.”

Sam lachte rau.

„So? Was dann?”

Ryan schwieg.

„Bist du bei der Air Force? Du siehst so aus.”

Ryan verzog geringschätzig die Mundwinkel.

Sam beobachtete das sehr aufmerksam.

„Pilot?”

„Nein.”

„Es gibt dutzende verschiedene Jobs bei der Air Force. Aber wie ein Koch siehst du nicht aus und auch nicht wie einer vom Putzgeschwader. Ich kann es mir nicht erklären, aber wenn ich dich so ansehe, möchte ich dir nicht mit einer Waffe in der Hand gegenüber treten müssen.”

Um Ryans Mundwinkel herum spielte nun ein spöttisches Lächeln, das beinahe hochnäsig wirkte.

„Fahrer”, antwortete er schließlich.

Sam hob die Augenbrauen.

„Dann würde ich meinen mir heiligen Claim dafür verwetten, dass du derjenige warst, den sie zwei Tage lang gejagt haben. Sie haben es in den Nachrichten gebracht. Du musst sie ganz schön wütend gemacht haben.”

Sam deutete auf den Verband an Ryans Arm.

„Angeschossen und dem FBI mit deren Jeep entwischt”, kicherte Sam. „Und dann hat dich die US Army gefeuert, nachdem du dich ihnen gestellt hast?”

Ryan staunte über die hellen Gedanken des Alten.

„So ist es”, nickte Ryan.

„Was zum Teufel hast du verbockt?”

„Du fragst zu viel, Sam.”

Sam hob abwehrend die Hände.

„Schon gut. Geht mich ja auch nichts an.”

Ryan nahm die Kaffeetasse in beide Hände und trank.

Sam erhob sich schwerfällig, humpelte zum Schreibtisch und kramte herum. Dann schob er Ryan einen Zettel zu.

„Vielleicht ist das was für dich.”

Ryan starrte auf den Zettel, auf dem mit blauer Tinte in akkurater Schrift eine Nummer geschrieben war.

„Was ist das?”

„Wenn du einen verdammt gut bezahlten Job suchst, ruf an. Ich denke, du kannst gut mit Waffen umgehen, Auto fahren und Leute wie mich aufspüren, die sonst niemand findet.”

„Kann ich.”

„Gut. Aber nun kommt der Haken an der Sache, mein Junge. Kannst du auch Leute aufspüren, die gar nicht gefunden werden wollen?”

Ryan hob den Blick zu Sam. An seiner Nasenwurzel bildete sich eine argwöhnische Falte.

„Kopfgeldjäger.”

Sam nickte langsam.

Schweigend schob Ryan den Zettel in seine Hosentasche. Grelle Blitze zuckten vor den Fensterscheiben. Äste krachten und ein Baum schien unter der Gewalt des Sturmes zu zerbrechen. Noch immer peitschte der Sturm den Regen gegen das Haus. Donnerschläge krachten, Kanonenschüssen gleich, durch den Lärm.

„Du bleibst die Nacht über hier”, entschied Sam.

„Morgen früh nehme ich dich mit hinunter in die Stadt.”

Ryan nickte zustimmend.

*****

Die Sonne stand gerade über den Kämmen der Schwarzen Berge, als Ryan zu Sam in den Wagen stieg. Der schwarze Dodge Truck gefiel ihm. Der Alte wirkte dagegen wie ein Zwerg. Wenige Federwolken standen am blauen Himmel. Nichts erinnerte an das gestrige Gewitter. Doch die Luft war angenehm frisch und klar. Der RAM rollte den Waldweg hinab, bis zur asphaltierten Straße. Das Sonnenlicht flirrte durch die Baumkronen. Die Straße wand sich, wie eine platt getretene Schlange, durch die Berge. Aus dem Radio kam Countrymusik. Einen Augenblick glaubte Ryan, dass die Welt wieder völlig in Ordnung war. Der Schein trügte. Das wusste er. Als der Wagen den Wald in östlicher Richtung verließ, blendete die Sonne. Brummend verzog Sam das Gesicht und klappte die Sonnenblende herab. Die Stadt, Rapid City, lag direkt vor ihnen. Die Straße führte nun, wie ein Lineal, geradeaus. Wenig später steuerte Sam den Truck in eine Einfahrt. Er öffnete das Rolltor mit einer elektrischen Fernbedienung vom Wagen aus. Hinter ihm schloss es sich wieder automatisch.

„Da sind wir. Komm mit, Junge”, sagte Sam und stieg aus.

Ryan schmunzelte, weil der Alte ihn immer wieder als Junge bezeichnete. Es war Sams Art, aber Ryan nahm ihm das nicht übel. Er mochte diesen eigenartigen und eigenwilligen alten Mann auf unerklärliche Weise. Ryan musste sich sein Erstaunen eingestehen, als er Sam durch das Lager folgte. Er ahnte, was für ein Geschäft Sam führte. Als er das Ladengeschäft betrat, bestätigte sich seine Vermutung. Sam hatte ein Waffengeschäft. Ryan sah sich um. Waffen aller Art und für jeden Geschmack, viele verpackt, einige in der Auslage unter Glas.

„Such dir eine Gute heraus. Ich will nicht bis in alle Ewigkeit in deiner Schuld stehen. Du hast mir das Leben gerettet, Junge.”

Der Alte grinste, denn die Verwunderung des Lakota war ihm nicht entgangen.

Schweigend sah der sich die Waffen an und wanderte mit seinem Blick von einer zur anderen.

„Lass dir ruhig Zeit. Ich öffne erst in einer halben Stunde.”

Sam schaltete den Computer an und sortierte die Post. Ab und an lachte er krächzend auf oder fluchte leise.

„Ich dachte an eine kleine, handlich und mit kurzem Lauf, halbautomatisch. Was meinst du zu der da?”, fragte Ryan schließlich.

Sam kam heran und schüttelte den Kopf.

„Spielzeug für Leute, die Eindruck schinden wollen. Damit kannst du maximal Hühner erschrecken.”

Sam lachte.

„Ich zeige dir das Profiwerkzeug.”

Sam packte seinen Ladentisch voll Kartons.

„Colts sind etwas aus der Mode gekommen, obwohl sie technisch natürlich auch durchaus akzeptabel sind. Das hier sind halbautomatische Pistolen, selbstladend, neun Millimeter Kaliber verschiedener Hersteller. Sehr beliebt bei Polizisten und Agents. Alle unauffällig zu tragen und leicht mit einer Hand zu bedienen. Die reiferen Herrschaften setzen oft auf Smith und Wessen oder Browning. Die jungen Kunden greifen mit Vorliebe zu Beretta oder Glock”, lächelte Sam. „Für deine Zwecke scheint mir die hier optimal zu sein. Die ist so gut wie unsichtbar und hat eine Durchschlagkraft wie ihre großen Schwestern. Hohe Schussgeschwindigkeit also. In der geübten Hand die beste Lebensversicherung. Und absolut keine Ladehemmungen.”

Ryan nahm die Pistole in die Hand, betrachtete sie von allen Seiten und prüfte die Lage in seiner Hand und in Abschussposition.

„Sie gehört dir und tausend Schuss Munition dazu.”

Ryan legte die Pistole zurück auf den Tisch.

„Washte”, nickte er.

„Washte”, grinste Sam und nickte ebenfalls.

Dann packte er alle anderen Pistolen wieder sorgfältig weg. Er behandelte die Waffen wie rohe Eier.

„Glaubst du, ich kann damit in der Bank auftauchen?”

„Junge! Du willst doch nicht etwa...”, flüsterte Sam entsetzt.

Ryan lachte amüsiert.

Es war das erste Mal, seit der Entlassung, dass er lachte. Und es war das erste Mal, dass ihn Sam so ausgelassen lachen hörte, ohne Hohn und ohne Spott. Sam ließ sich davon anstecken.

„Nein, will ich nicht. Ich brauche nur etwas Bares.”

„Das kann ich dir auch auszahlen. Karte? Wie viel?”

„Fünfhundert und gib mir bitte ein Schulterhalfter dazu und den kleinen schwarzen Rucksack dort.”

Sam nickte und gab Ryan, was er wünschte.

„Ich würde mich freuen, dich irgendwann mal wieder bei mir zu sehen. Du bist mir jeder Zeit willkommen, Junge. Und du weißt, wo meine Hütte steht.”

Ryan packte alles in den neuen Rucksack.

„Weißt du, die würdigste Art für einen Mann zu sterben ist abends am Feuer einzuschlafen oder im Kampf erschossen zu werden. Erzähle niemals jemandem, dass du den alten Sam in so einer peinlichen Situation vom Baum abgeschnitten hast.” Ryan presste die Lippen aufeinander und kniff die Augen zu kleinen Schlitzen.

„Welchen Baum?”, grinste er schließlich.

Sam begleitete Ryan zur Tür und schloss seinen Laden auf.

Zu Fuß ging Ryan die Straße hinunter ohne sich noch einmal umzusehen.

*****

Wenig später tauchte Ryan am Haus seiner Schwester, Carry Crowman, auf. Der Lärm der spielenden Kinder war weithin zu hören. Seine Nichte, die mit einer ganzen Horde Knirpse auf dem Spielplatz Ball spielte, entdeckte ihn zuerst. Sofort rannte Joan zu ihrem Onkel und sprang ihn an.

„Ryan! Ryan!”, rief sie laut und klammerte sich an ihm fest. Ryan lachte.

„Hallo Jo, du kleiner Wirbelwind. Wie geht es?”

„Gut, und dir?”

„Auch. Ist deine Mom zu Hause?”

„Ja drin. Sie packt gerade die Sachen zusammen.”

Ryan musterte Joan skeptisch.

„Keine Angst. Nicht was du denkst.”

„So? Was denke ich denn?”

Joan kicherte.

„Kein Auszug, nur ein Umzug. Das hat der große Kriegsrat entschieden.”

Ryan grinste.

„Kannst du Fußball spielen? Mir fehlt noch ein guter Spieler in der Mannschaft. Mason, stellt sich viel zu ungeschickt an.”

„Er kann ja nicht mal richtig alleine laufen”, lachte Ryan. „Na dann...steig ab, du Klammeraffe.”

Ryan klemmte seine Reisetasche hoch in die Astgabel des Baumes am Spielplatz, in der der schwarze Rucksack steckte. Joan strahlte, als ihr Onkel sie zum Spielfeld begleitete, das von Wäscheplatz, Sandhaufen, Hauswand und einem liegenden Baumstamm am Straßenrand eingegrenzt war. Die anderen Mitspieler, alle etwa in Joans Größe und Gewichtsklasse, hatten keine Einwände. Lärm brauste auf, lauter und schriller als vorher.

Carry schüttelte den Kopf und lächelte, während sie die Tassen aus dem Schrank in Zeitungspapier wickelte und in einen der Kartons packte. Sie konnte nicht ahnen, wer da draußen vor der Tür mit den Kindern hinter dem Ball herjagte.

Ryan schoss. Joan schrie begeistert Tor! Tor!, während Mason im Sandhaufen saß und sich Sandkörner in den Mund steckte. Nun stürmten die Kinder von allen Seiten heran, um den Ball zu ergattern. Ryan versuchte ihnen den Ball wieder abzujagen. Im Getümmel kamen ihm die kleinen Füße in den Weg. Er stolperte darüber, rollte sich über die Schulter ab und fing den Ball mit den Händen, was natürlich lautstarken Protest von allen Seiten heraufbeschwor. Joan klärte ihn auf. „Das ist faul! Du darfst die Hände nicht benutzen.”

„Okay.”

Ryan gab den Ball an die gegnerische Mannschaft ab.

„Na wartet! Das gibt ein Fünfmeter!”, drohte Joan.

„Heißt das nicht Elfmeter?”, fragte Ryan.

„Klar, aber das ist zu weit weg vom Tor!”

Ryan kicherte.

Das Tor war nur angedeutet, zwischen Hauswand und einem Dreirad. Mit wichtiger Miene nahm ein etwa fünfjähriger Anlauf und zielte. Da sich niemand freiwillig als Tormann gemeldet hatte, versuchten Joan und Ryan einen Treffer zu verhindern. Der Ball kam im hohen Bogen angeflogen und prallte gegen die Hausecke. Ryan sprang dem Ball in den Weg und ließ ihn gegen seine Brust prallen. Der Ball sprang zu Boden und hopste davon. Schließlich blieb er mitten auf dem Spielfeld liegen.

„Mann! Du hättest ihn auffangen können”, rief Joan.

„Du sagtest, ich darf den Ball nicht in die Hände nehmen”, meinte Ryan.

„Als Tormann schon”, grinste Joan.

„Und wer bekommt den Ball jetzt?”

„Na wer ihn sich zuerst schnappt.”

Der zügellose Eifer der Spieler entlud sich erneut im Gefecht um den einzigen Ball. Niemand nahm von den Zuschauern, die der Lärm wahrscheinlich angelockt hatte, Notiz. Carry hatte Mason inzwischen auf den Arm genommen und lächelte, als sie ihren Bruder im Knäuel der Meute entdeckte. Jemand hatte mit einer solchen Kraft gegen den Ball geschossen, dass der weit über das Spielfeld hinaus flog. Die Kinder jagten ihm nach. Ryan blieb stehen, und lachte. Als er Carry bemerkte, zog er seine Tasche von der Astgabel und ging zu ihr.

„Ich hatte solche Angst um dich”, flüsterte sie.

„Ich hatte auch Angst”, antwortete Ryan.

„Sie haben dich nicht in ein Gefängnis gesteckt. Ich kann es kaum glauben. Ich freue mich so sehr, dass du da bist, Ryan. Gehen wir hinein.”

„Jo sagte, ihr zieht um.”

„Joan!”, rief Carry, als die Kindern an ihr vorbei rannten.

Joan stoppte und kam zu ihrer Mom. Da die sie mit ihrem vollen Namen gerufen hatte, ahnte Joan nichts Gutes. Mom nannte sie nur Joan, wenn sie etwas ausgefressen hatte.

„Kannst du mir vielleicht sagen, wie viel Sand dein kleiner Bruder inzwischen gegessen hat?”

„So viel kann es nicht gewesen sein, Mom. Der Sandhaufen ist noch so groß wie vorher.”

Carry biss die Zähne aufeinander um ernst zu bleiben, aber als Ryan lachte, musste sie schließlich auch lachen.

„Du kleine, freche Kröte”, sagte Ryan.

Joan kicherte.

„Du kannst weiter spielen, aber mit Mason.”

Joan verzog keine Miene. „Ja Mom.” Sie nahm den kleinen Jungen mit sich.

Ryan und Carry gingen in das Haus. In der Wohnung stapelten sich Kartons und Wäsche.

„Jo sagte, ihr zieht um”, nahm Ryan das Gespräch wieder auf.

„Ja, zurück in Reservation, nach Kyle”, bestätigte Carry, während sie den Küchentisch frei räumte.

„Setz dich, Bruderherz. Ich kann uns gerade noch Kaffee kochen.”

Ryan setzte sich.

„Alex Eltern brauchen Hilfe und ich habe mich hier nie richtig zuhause gefühlt. Jo kommt bald zur Schule.”

„Das beruhigt mich. Dort seid ihr besser aufgehoben. Wie geht es Vater und Mutter, Großmutter und meinen Brüdern?”, fragte Ryan.

„Gut. Wirklich. Sie sind gesund, auch Mutter.”

Ryan atmete erleichtert auf und nickte zufrieden.

„Du fehlst ihnen. Auch sie hatten Angst um dich. Sie fragen mich immer nach dir.”

Ryan presste die Handflächen gegeneinander. Sein Körper spannte sich wie eine Bogensehne. Er schien nach Worten zu suchen.

„Ich bin draußen, Carry. Unehrenhaft entlassen, für Dinge, die ich niemals getan habe. Aber wenigstens habe ich keine Mordanklage bekommen, obwohl ich drei Männer getötet habe. Frage nicht warum. Nun sitze ich hier und weiß nicht, was ich tun soll. Nachhause gehen kann ich nicht. Ohne Job, ohne Geld und ohne Gesicht. Nein”, berichtete er leise und atmete tief durch.

„Zwei Männer boten mir sehr viel Geld für einen Job, den keiner machen will. Beide schätzten meine Fähigkeiten, obwohl sie mir das erste Mal in meinem Leben begegnet sind. Das verwirrt meine Sinne. Mein Weg führte immer in eine Richtung und ich wusste, wohin ich wollte. Aber nun scheint sich mein Weg zu teilen und ich weiß nicht mehr, was richtig ist.”

„Was für ein Job, Ryan?”

„Kopfgeldjäger.”

Ryan bemerkte den erschrockenen Blick seiner Schwester, der ihn traf. Er wich diesem nicht aus.

„Ich habe keine andere Wahl, Carry. Ich werde es tun müssen. Das ist mein Tanz. Wenn ich eines Tages nicht mehr komme, löst du mein Konto auf und bringst das Geld nachhause. Ich habe deinen Namen bei der Bank eintragen lassen. Sage niemandem etwas davon. Je weniger ihr wisst, um so besser für alle.”

Carry spürte den großen Brocken in der Kehle, der ihr die Luft nahm und der sie am Sprechen hinderte.

Ihre Augen glänzten verräterisch.

„Ich kann jetzt nicht zurück. Mein Leben ist ein Kampf geworden, ein Rodeo, mein Tanz. Alles andere liegt nicht in meinen Händen.”

Carry nickte tapfer.

„Ich kann dich gut verstehen. Pass auf dich auf, Mishunkala, mein kleiner Bruder. Ich werde für dich beten.”

Ryan zog den schwarzen Rucksack aus seiner Reisetasche und schob Carry das Geld zu, das er abgehoben hatte.

„Nimm dir, was du brauchst. Das übrige gib Mom.”

Carry nickte.

„Danke.”

„In meiner Tasche ist nur schmutzige Wäsche. Kann ich die bei dir lassen?”

„Natürlich. Ich habe auch noch einiges von dir. Das kannst du mitnehmen.”

Ryan lächelte schwach.

„Alles, was in meinen Rucksack passt. Mehr werde ich kaum brauchen.”

„Wo wirst du wohnen?”

Ryan zuckte mit den Schultern.

„Überall und nirgendwo. Kann ich dein Telefon benutzen? Ich habe keins mehr.”

„Natürlich.”

Ryan stand auf und nahm das Telefon. Die Entscheidung war gefallen. Seine Entscheidung und sie war ihm nicht leicht gefallen.

Carry ging nach nebenan, in das Wohnzimmer, um weiter zu packen.

Ryan blieb am Küchenfenster stehen und blickte hinaus. Die Kinder jagten noch immer dem Ball hinterher. Er tippte die Nummer, die auf dem Zettel stand, ein. Eine männliche Stimme meldete sich sofort.

„Ja.”

„Ryan hier”, sagte er ohne zu zögern.

„Oh! Hier spricht Thompson. Sie haben es sich überlegt? Das freut mich!”

Thompsons Stimme klang tatsächlich erfreut.

Ryan war überrascht und auch nicht, als er den schwarzen Wolf am anderen Ende der Leitung vernahm. „Ja”, antwortete er knapp.

„Gut. Treffen wir uns auf einen Kaffee.”

„An der Tankstelle am Farmer Store.”

Thompson lachte.

„Okay. In zwei Stunden.”

„Ich werde da sein.”

Ryan legte auf und atmete tief durch. Seine Gesichtszüge wirkten versteinert. Er blickte an den Kindern vorbei und durch sie hindurch. Lautlos trat Carry hinter ihren Bruder und legte die Hand auf seine Schulter. Langsam wandte er sich zu ihr um.

„In zwei Stunden werden wir uns treffen.”

Carry bemühte sich um ein Lächeln.

„Deine Entscheidung wird die Richtige sein, Ryan, wo immer auch dein Weg entlang geht. Er wird dich eines Tages nach Hause führen.”

Ryan nahm Carry in die Arme und drückte sie an sich. Sie hielt ihn fest und gab ihm Halt. Es tat gut.

Carry wagte nicht, ihm zu sagen, dass sie Angst um ihn hatte. Sie schwieg. Er wusste es ohnehin.

Kapitel 2

Der Jäger

Ryan legte den Weg zu Fuß zurück. Knapp zwei Stunden ohne Marschgepäck waren für ihn ein Kinderspiel. Er trug die Pilotenbrille. Die Sonne schien. Er schwitzte. An der Tankstelle herrschte ständiges Kommen und Gehen. Ein paar Männer standen beisammen, redeten, tranken Kaffee, kauten Fastfood aus der Pappe. Ryan holte sich einen Kaffee, setzte sich in den Schatten auf einen Bordstein und nippte daran. Der schwarze Rucksack klemmte zwischen seinen Knien. Niemand beachtete ihn. Es schien, als hätte ihn jemand hier abgesetzt. Ryan riss sich eine Stange Zigaretten auf, legte eine Schachtel neben sich und verstaute den Rest wieder. Beinahe reglos, die Ellenbogen auf die Knie gelegt, rauchte er. Etwa fünfzehn Minuten später kam ein Dodge herein. Langsam rollte der über den Asphalt und steuerte zielstrebig auf den Mann zu, der allein auf dem Bordstein saß. Erst als Thompson ausstieg, erhob sich Ryan. Thompson grüßte. Ryan nickte.

„Steig ein. Wir reden in meinem Wagen.”

Schweigend griff Ryan den Rucksack und stieg ein.

„Ich war mir ziemlich sicher, dass du mich anrufen wirst, Ryan Black Hawk”, begann Thompson.

„Ich nicht”, antwortete Ryan.

Thompson grinste.

„Bedenken?”

„Nein, Sir.”

„Du weißt worum es geht?”

„Sie suchen einen Headhunter. Ich arbeite nicht für das FBI.”

Thompson lachte.

„Nicht für das FBI, Ryan. Für mich.”

Ryan blickte den schwarzen Mann im grauen Anzug skeptisch an.

„Was ist?”, fragte Thompson.

„Okay. Reden Sie”, antwortete Ryan.

Thompson hob die Augenbrauen. Die Gläser der randlosen Brille glänzten.

„Du bist mein Mann, mein Schattenwolf. Lautlos, schnell und unsichtbar. Es gibt nur uns zwei. Vergiss alles andere. Deine Aufträge bekommst du ausschließlich von mir. Du allein entscheidest, ob du einen Auftrag annimmst oder ablehnst. Du bekommst von mir einen Laptop und ein Mobiltelefon mit einem speziellen Microchip. Abhörsicher! Damit können wir uns alle Informationen, Daten, Fotos und so weiter schnell und problemlos, und vor allem ohne Zugriff Dritter, austauschen. Sobald du den Auftrag angenommen hast, löschst du die Daten. Alle Informationen gehen an mich und nur an mich! Ein Treffen lässt sich in manchen Fällen nicht vermeiden, ist aber immer mit einem Risiko verbunden. Das weißt du. Noch Fragen?”

„Ich habe alles verstanden, Sir.”

„Gut. Weiter. Dein Konto wird früher oder später überprüft werden. Es ist äußerst verdächtig, wenn keine regelmäßigen Zahlungen eingehen und dann plötzlich große Summen auf einen Schlag. Banken sind verpflichtet, das anzuzeigen. Deshalb zahle ich regelmäßige Abschläge, die nach jedem Auftrag verrechnet werden. Ich kümmere mich um Lizenzen und Ausrüstung für dich. Hast du ein Auto?”

„Nein.”

„Zu Fuß wird es ziemlich anstrengend und das FBI wird sich nicht noch mal einen Wagen von dir entwenden lassen.”

Ryan verzog die Mundwinkel zu einem spöttischen Grinsen.

„Sicher?”

„Nein. Sicher bin ich mir nicht”, lachte Thompson.

Dann startete er seinen Wagen.

„Gehen wir einkaufen, Ryan. Ein Krieger braucht Waffen und ein Kriegspony. Richtig?”, sagte er, während er den Dodge zur Interstate 44 steuerte.

„Wenn Sie mich in einen Krieg schicken wollen, Thompson, dann ja.”

„Der Krieg ist immer und überall und ich stecke bis über beide Ohren drin. Ein scheiß Job, den niemand machen will. Die Halunken tragen nicht nur Jeans, sondern auch Anzüge und Rolex. Doch es gibt Regeln, Ryan”, sagte Thompson und das Lächeln wich aus seinem Gesicht. „Sehen wir also zu, dass wir unseren Arsch immer rechtzeitig aus der Schusslinie befördern.”

„Ja, Sir”, antwortete Ryan in militärisch korrekter Weise.

Thompson nickte zufrieden.

*****

Baxter, der für gewöhnlich immer gut gelaunt war, knallte seine Wohnungstür wütend zu. Wie ferngesteuert polterte er die Stufen hinab. Schnaufend ging er zu seinem Jeep, der an der Straße parkte. In seiner Wut nahm er die alte Dame, die ihm auf dem Gehweg entgegen kam, weder wahr, noch grüßte er sie. Rice hatte Baxter in den letzten zwei Tagen pausenlos schikaniert. Und kein gutes Haar hatte Rice dabei an dem ehemaligen indianischen Sergeant der Air Force gelassen.

„Ich bringe ihn um!”, knurrte Baxter.

Von Ryan selbst hatte Baxter, seit dem sie ihn gefeuert hatten, nichts mehr gehört oder gesehen. Er war einfach gegangen und die Verbindung war schlichtweg abgebrochen. Das machte Baxter noch wütender. Er sah weder nach rechts noch nach links, als er fluchend in seinen Commander stieg. Erst als Baxter hinter dem Lenkrad saß, bemerkte er, dass der Sportwagen, der direkt vor ihm stand, ihn zugeparkt hatte.

„So ein Idiot!”, fluchte Baxter. „Ich sollte dich über den Haufen schieben!”, brüllte er, während er seine Tür aufstieß.

Um ein Haar wäre er gegen die schmale Gestalt geprallt, die ihm direkt in den Weg trat. Baxter erstarrte, schweigend und mit offenem Mund, als würde er ein Gespenst sehen. Kein Wort kam über seine Lippen.

„Hi, Baxter. Alles okay mit dir?”, fragte Ryan.

„Wo verdammt kommst du denn jetzt her!?”, fuhr Baxter ihn an.

„Von dort”, antwortete Ryan und wies mit dem

Daumen hinter sich.

Baxter trat einen Schritt zurück und musterte seinen Freund von oben bis unten. Dann lachte er versöhnlich und schlug ihm zur Begrüßung mit der Pranke gegen den Arm. Ryan verzog schmerzvoll das Gesicht.

„Wie ich sehe, ist dein Kopf noch drauf und auch sonst alles noch an dir dran. Schön dich zu sehen”, meinte Baxter.

Ryan grinste.

„Sieh dir das bloß an! Was denkt sich so ein Rhinozeros dabei, seine Angeberkarre genau vor die Stoßstange meines Commanders zu rücken?”, brummte Baxter.

Ryan lachte amüsiert.

„Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt, mein Freund. So ein Trottel! So ein Vollpfosten! Idiot, dämlicher! Ich hätte geradezu Lust einzusteigen und mit Vollgas durchzustarten”, schnaubte Baxter.

„Musst du dringend weg, Baxter Bär?”

„Was heißt dringend. Ich muss einkaufen. Mein Kühlschrank ist leer.”

„Dann ist es allerdings dringend”, meinte Ryan und bot Baxter eine Zigarette an. „Nimm! Du bist geladen wie ein Pulverfass. Das ist ungesund.”

„Hm”, brummte Baxter und nahm die Zigarette.

„Wir rauchen und fahren dann einkaufen. Ich habe Zeit.”

Baxter atmete tief durch und wiegte den Kopf.

„Du kommst mit, Ryan?”

„Natürlich. Mein Kühlschrank ist leer.”

„Hast du denn einen?”

Ryan lachte leise.

„Nein. Vielleicht kann ich deinen benutzen.”

„Gute Idee.”

Dann schwiegen beide eine Weile.

„Du warst plötzlich spurlos verschwunden. Ich dachte wirklich, dass sie dich doch noch eingesperrt haben. Erzähl mal.”

„Das ist eine lange Geschichte, Baxter. Das erzähle ich dir nachher, wenn du Platz für einen Vollpfosten, einen Idioten und ein Rhinozeros in deiner Wohnung hast.”

Baxter ließ langsam die Hand mit der Zigarette sinken und starrte Ryan ungläubig an.

„Ich habe gewusst, dass du verrückt bist...” Baxter schüttelte den Kopf und warf einen skeptischen Blick auf den dunkelblauen Sportwagen. „Das Ding gehört dir?”

Ryan nickte.

Baxter warf seine halb auf gerauchte Zigarette zu Boden und trat sie aus. Dann schlich er um den Wagen, wie ein Fuchs um die Beute.

„Die Tür ist offen”, sagte Ryan.

Baxter wirkte wahrhaftig neben der Corvette wie ein Grizzly. Er öffnete die Tür und steckte den Kopf in das Wageninnere. Dann zwängte er sich ächzend auf den Fahrersitz.

„Gab es diesen Schuhkarton nicht zwei Nummern größer?”

„Nein. Aber das hat den Vorteil, dass ich die Corvette im Notfall unter dem Arm tragen kann”, bemerkte Ryan. „Und außerdem passt sie perfekt fast überall drunter durch.”

Baxter lachte. Seine Wut war verflogen.

„Verdammt viele Pferdchen hat der Kleine unter der Motorhaube. Wenn die mit dir durchgehen, verlierst du die Bodenhaftung. Wo hast du das Ding geklaut?” „Vom FBI.”

Das amüsierte Baxter. Er lachte dröhnend.

„Fahren die nicht schwarze Wagen?”

„Tarnfarbe”, konterte Ryan.

Wieder schüttelte Baxter den Kopf. Mühsam kämpfte er sich vom Fahrersitz.

„Die ist neu, nicht wahr?”, sagte Baxter schließlich leise zu Ryan.

„Ja.”

„Was zum Teufel hast du vor? Damit kannst du nicht im Reservat aufkreuzen.”

„Erzähle ich dir nachher.”

„Dann lass uns endlich einkaufen fahren. Ich platze vor Neugier!” Ryan grinste und rollte seinen neuen Sportwagen ein Stück vor. Dann stieg er mit Baxter in den Commander.

*****

Die Probefahrt an diesem Abend musste sein. Baxter konnte dem Angebot seines Freundes nicht widerstehen, die Corvette zu fahren. Er fuhr auf der I 90 in Richtung Westen. Der Stadtteil, Black Hawk, lag etwas außerhalb und gehörte zu Rapid City. Baxter hatte schon seit langem gedrängt, dass Ryan endlich Olivia kennenlernen müsse. Die Gelegenheit war günstig. Die tiefstehende Junisonne blendete die Augen.

„Wenn Olivia nicht gerade zur Kirchenchorprobe ist, hockt sie wahrscheinlich vor dem Fernseher und schaut blutrünstige Thriller. Dann kann sie wieder nicht einschlafen und ruft mich mitten in der Nacht an, weil eine Holzdiele geknackt hat”, lachte Baxter. Ryan schmunzelte.

„Nun erzähle schon”, drängte Baxter.

Ryan berichtete von Taylors Befehl, von Mitchell und von Rodriguez, von der Falle im Busch und seiner Flucht. Baxter schien es die Sprache verschlagen zu haben, denn er hüllte sich in Schweigen. Ryan berichtete weiter, dass er sich Taylor gestellt hatte und auch von seiner ersten Begegnung mit Thompson. „Den Rest der Geschichte kennst du ja. Barkley hat mich unehrenhaft aus der US Air Force gefeuert und Taylor hat geschwiegen.”

Baxter fluchte.

„Dass dein Job als Fahrer so gefährlich war, war mir nie wirklich bewusst, Ryan. Nicht mal, als ich den ersten Kratzer vom schwarzen Lack poliert habe.”

„Dann pass gut auf, Baxter, was ich dir nun erzähle.” Ryan erzählte von Sam und dem Waffengeschäft, von Thompson und von seinem neuen Job. Baxter hörte aufmerksam zu. Als Ryan seine Ausführungen beendet hatte, blies Baxter die Wangen auf und stieß die aufgestaute Luft heraus.

„Carry und du, ihr seid die Einzigen, die es wissen. Carry wird schweigen.”

Baxter wandte den Kopf zu Ryan.

„Das ist verrückt! Das ist total abgefahren. Auch ich kann schweigen. Jetzt werden die Kanalratten ganz schön die Hosen voll haben. Sie werden keine Chance haben, dir zu entkommen.”

„Deine Gegner zu unterschätzen, kann dir zum Verhängnis werden. Es wird hart. Wie Thompson sagte, ein beschissener Job, den niemand machen will.”

„Ruf mich an, wenn du wieder mal in der Klemme steckst.”

„Weißt du, worauf du dich einlässt, Bax?”

„Rodeo. Bronc, sattellos.”

Ryan lachte leise. „Keine Bedenken?”

„Schon, aber ich meine es ernst!”, sagte Baxter.

„Wir werden sehen”, meinte Ryan.

Baxter bog in die Memory Lane ein und stoppte direkt vor Olivia Goodmans Haus.

„Wir sind da”, sagte Baxter.

„Und? Was sagst du zu meinem Kriegspony?”

„Der Kleine gefällt mir tatsächlich. Er liegt gut in den Kurven, hat Power und hat nicht ein einziges Mal gebuckelt.”

Ryan schmunzelte. „Es ist eine Sie.”

Baxter kicherte.

Er lachte noch immer, als er ausstieg und an der Tür klopfte. Eine kleine, rundliche Dame öffnete.

„Halleluja! Was sehen meine alten, müden Augen! Bist du es wirklich oder träume ich?”

Olivia Goodman packte Baxter, dem sie nur bis unter die Arme reichte, und schlang ihre Arme um seinen Körper.

„Hallo, Mom!”

Baxter schnappte sie und wirbelte mit ihr um seine eigene Achse. Olivia kicherte ungeniert. Ryan beobachtete die beiden grinsend. Erst nach einer ganzen Weile setzte Baxter Olivia wieder ab.

„Darf ich vorstellen, das ist mein Freund, Ryan Black Hawk. Ryan, das ist die verrückteste Frau auf der Welt die ich kenne: Olivia Goodman.”

„Oh! Guten Abend junger Mann!”, rief sie freudig aus und zu Baxter gewandt, sagte sie leise: „Du meine Güte! Sieht der gut aus. Du hättest mir vorher Bescheid geben sollen. Dann hätte ich mich schicker gemacht.”

„Du bist schick, Mom. Auch dein Nachthemd.”

„Scheusal”, zischte Olivia und versetzte Baxter einen Seitenhieb.

„Komm rein! Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen. Ich bin Olivia”, sagte sie.

„Guten Abend, Mrs Goodman.”

„Olivia. Nur Olivia. Ich wette ihr habt beide noch nicht zu Abend gegessen. Mir nach!”

Mit großen Schritten ging sie voran zur Küche, die vom Wohnraum durch einen Tresen, an dem Hocker standen, getrennt war. Sie öffnete sofort die Kühlschranktür. Ryan blickte Baxter fragend an. Der winkte nur ab.

„Stimmt es? Du bist Rennfahrer?”, fragte Olivia.

Wieder blickte Ryan fragend zu Baxter.

„Klar! Der Beste auf der ganzen Welt, Olivia”, antwortete der anstelle seines Freundes.

„Ich hätte ja nie gedacht, dass die bei der Air Force auch Rennfahrer beschäftigen. Ist ja wohl nichts unmöglich. Mein Kleiner hat schon immer für Autorennen geschwärmt, schon als er noch mit der...”

„Olivia! Es reicht”, unterbrach Baxter sie.

„Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass das viel zu gefährlich ist”, fuhr sie unbeirrt fort. „Aber er wollte ja nicht hören.”

„Olivia. Ich bin kein Rennfahrer, ich bin Mechaniker. Das ist ein himmelweiter Unterschied und völlig harmlos und Ryan ist nicht bei der Air Force. Er fährt...ehm...freiberuflich.”

„Aber hast du mir nicht erzählt, dass ihr zwei euch bei der Air Force kennengelernt habt?”, zweifelte Olivia und sah die beiden jungen Männer mit großen Augen an.

„Das ist schon fast vier Jahre her.”

„Was? Schon so lange? Sie haben dich halb verhungern lassen!”

Baxter lachte.

Ryan schwieg noch immer.

„Also, wir haben hier Rind, Speck, rote Bohnen, Mais... okay, was haltet ihr von Texaspfanne?”

„Klingt gut. Mach”, meinte Baxter.

Olivia kramte lärmend eine Pfanne aus dem Schrank. Dann baute sie vier Bierdosen vor ihren Gästen auf.

„Prost ihr beiden.”