Initiation - Thomas Schmid - E-Book

Initiation E-Book

Thomas Schmid

4,7

Beschreibung

Ein freies Leben führen wollen viele. Doch kaum jemand weiß, wie es geht. Die meisten schleppen seelischen Ballast mit sich herum, ungelöste Konflikte und frühe Prägungen verstellen den Weg ins Freie. Ewa Willaredt und Thomas Schmid - erfahrene Trainer und Coaches - zeigen, wie wichtig der bewusste Schritt ins Erwachsensein ist: Unfreiheit und Unzufriedenheit rühren auch daher, dass Menschen keinerlei Initiation durchleben und deshalb nicht wirklich erwachsen werden. Idealer Zeitraum für eine solche Initiation ist das Jugendalter. Doch auch Erwachsene haben jederzeit die Möglichkeit, initiierte Erwachsene zu werden - mit der Vergangenheit Frieden zu machen, die volle Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Es ist nie zu spät! Im Buch werden zahlreiche Techniken vermittelt, wie diese Metamorphose zu einem freien Individuum gelingen kann. Lebensnah, lebensfreundlich, lebensecht. Ein Wagnis? Ja. Aber eines, das sich lohnt.

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Dieses Buch weckt dich auf, nicht weiter in Verhaltensweisen des Wegschauens, dich selbst Belügens oder der Ignoranz zu verharren, sondern den Mut zu besitzen, aufzubrechen in ein erwachsenes Leben.

Glaube uns nichts, probiere alles selbst aus, verwerfe alles, was dir nichts bringt, und nimm das, was du für deinen jetzigen Lebensschritt brauchst.

Inhalt

VORWORT

1.

Wie alles begann

2.

Die ersten Schritte – Initiation in ein erwachsenes Leben

3.

Jedes Kind wird Jugendlicher

4.

Lebensphasen auf dem Weg vom Kind zum Erwachsenen

5.

Bindung – ein Grundbedürfnis über die Kindheit hinaus

6.

So muss Initiation nicht sein: Leidensweg vieler junger Menschen

7.

Merkmale bewussten Erwachsenseins

8.

Zusammenfassung möglicher Elemente für eine zeitgemäße Initiation

9.

«Einer für alle, alle für einen!« – Ein zentraler Punkt für einen gelingenden Start ins Erwachsenenalter

10.

Frauenräume und Männerzeit

11.

Wie Initiation freudvoll und erfolgreich sein kann – Erfahrungsberichte junger Menschen mit ihren Initiationsschritten in ein bewusstes Erwachsensein

12.

Berufswahl, Berufung, Bestimmung – was will ich mit dem Leben tun, das vor mir liegt?

AUSBLICK: Initiiert und jetzt?

VORWORT

Dieses Buch ist ein Buch über den Einstieg von Jugendlichen, jungen Menschen oder auch älteren Menschen in den Prozess des Erwachsenwerdens. Es ist entstanden aus Erfahrungen unserer eigenen Initiation, aus Beobachtungen während unserer Initiationsschritte an uns und anderen und aus Beobachtungen an vielen unserer Trainingsteilnehmer, die Schritte auf dem Weg ins Erwachsenenalter gegangen sind.

Dieses Buch berichtet vom Beginn des Erwachsenwerdens. Erwachsenwerden in bzw. für viele Themen im Leben – Kommunikation, Gefühle, Geld, Energie, Beziehungen, Liebe, Berufung, Arbeit, Verantwortung, Sexualität.

Das Buch beschreibt nicht DIE Initiation. Denn »DIE« Initiation im Sinne einer einzigartigen, wahren Initiation gibt es unserer Meinung nach nicht. Der Weg des Beginns des Erwachsenwerdens kann vielfältig sein und ist letztendlich für jeden jungen Menschen einzigartig. Es gibt keinen Königsweg ins Erwachsenwerden. Es gibt viele Schritte, derer wir uns auf dem Weg in ein verantwortliches und damit freies Erwachsensein bewusst werden dürfen oder müssen.

Und so bietet dieses Buch eine schier unüberschaubare Menge von Ideen, Experimenten, Übungen, Geschichten und Informationen, aus denen jeder viele Anregungen für seinen eigenen individuellen (Königs-)Weg ins Erwachsenwerden findet.

Daher beschreibt das Buch keine komplette Initiation. Es soll schon gar nicht den Anschein erwecken, dass wir Autoren wissen, wie Initiation allumfassend geht. Nein, wir haben ein paar Beobachtungen und Erfahrungen gemacht, die wir hier teilen. Diese Mitteilungen können Ideen oder Impulse für Jugendliche, Eltern oder Begleiter sein, um Jugendlichen ihren Weg ins bewusste Erwachsenwerden zu ebnen.

Zudem kann dieses Buch Licht in die Welt junger Menschen bringen, die zum Beginn ihres Erwachsenwerdens häufig nicht mehr in dieser zurechtkommen bzw. nicht wissen, was vor sich geht.

Dieses Buch zeigt, was wir auf unseren Treffen, Trainings und Coachings darüber entdeckt haben, was Erwachsensein ausmacht. Als Babys und Kleinkinder haben Menschen einen enormen Drang des Wachsens und Lernens noch in sich. Im Lauf der Jahre verlieren sie diesen aber oft, weil sie uns Erwachsene imitieren. Dies geschieht häufig, um im Elternhaus oder in der vorherrschenden (Überlebens-) Kultur zu überleben. Finden sie dann als Jugendliche keine bewussten Erwachsenen, die sie in ein verantwortlicheres Erwachsensein begleiten, gerät ihr Drang, ein freier erwachsener Mensch zu sein, immer mehr in Vergessenheit. Eventuell keimt dieser Drang gelegentlich an Wochenenden oder im Urlaub auf. Er wird dann aber häufig schnell wieder verdrängt, weil es im Außen wenig Resonanz dazu gibt und man ja gelernt bzw. beobachtet hat, dass Dazugehören wichtiger ist, als seinem inneren Drang zu folgen, oder Überleben erstmal bequemer und weniger gefährlich ist als Leben. Hinzu kommt, dass der innere Impuls überschattet wird von der großen Differenz, die wahrgenommen wird zwischen dem im Außen Beobachteten und dem, was man selbst spürt. Die Entscheidung muss getroffen werden: »Ich« oder »Die anderen«. Früh lernen wir mit diesem Gespalten-Sein zu leben, meist schon in frühester Kindheit. Im Jugendalter fühlt es sich schon so gewohnt an, dass automatisch die Abschneidung geschieht. Abgeschnitten von unserer eigenen Wahrnehmung, abgeschnitten von den Menschen um uns herum.

Dieses Buch soll dazu ermuntern, nicht weiter wegzuschauen, sich nicht selbst zu belügen oder in Ignoranz zu verharren, sondern mutig aufzubrechen – mit unseren und für unsere jungen Menschen.

Dieses Buch ist für jeden Menschen geschrieben, der an dem Thema Initiation ins Erwachsenwerden interessiert ist. Nicht nur Menschen, die gerade jugendlich sind, brauchen so etwas wie Initiation.

Wir schreiben der Einfachheit halber nur von jungen Menschen oder Jugendlichen. Aber auch jemand, der schon zehn oder zwanzig Jahre früher geboren wurde, kann diese Erfahrungen brauchen.

Wir möchten zeigen, wie wertvoll dieses Zeitfenster zwischen dreizehn und 25 Jahren im Leben eines Menschen im Sinne einer Initiation ins Erwachsenwerden ist.

Wenn also dich – lieber Jugendlicher, liebe Jugendliche – etwas von unserer älteren Leserschaft unterscheidet, ist es das, dass du genau jetzt reif für Initiation bist, statt zwanzig Jahre später zu merken, dass dir etwas gefehlt hat.

Du hast den optimalen Zeitpunkt erwischt, von Initiation zu erfahren.

Wir möchten uns nicht über dich stellen, nur weil wir älter sind.

Wir möchten Möglichkeiten, die wir als nützlich erlebt haben, zeigen und Erfahrungen teilen.

Du bist nicht in der »schwierigen Phase der Pubertät«. Du bist dabei, deinen eigenen Weg zu beginnen. Unserer Ansicht nach befindest du dich in einem Übergang, der Türen zu etwas Phantastischem öffnen kann.

1. Wie alles begann

Eines Morgens, als ich, Thomas, für fünfzig Minuten in Stille saß, kam die Aufgabe zu mir, ich sollte ein Buch für Jugendliche schreiben und wieder Trainings für Jugendliche geben.

Interessant, hatte ich mir doch vor Wochen scheinbar »grundlos« einen Online-Lehrgang »Wie man ein Buch schreibt« gekauft und angesehen. Und auch interessant, weil mich die Arbeit bzw. die Trainings mit jungen Menschen nie richtig losließ.

Ich hatte in meinem Leben bisher schon hunderte von Trainings gegeben und war vor Jahren bereit, diese aufzugeben. Nach und nach tat ich dies auch. Zum einen, weil ich meine Lebenszeit mehr dem Aufwachsen meiner Kinder geschenkt habe, und zum anderen, weil ich sehen wollte, was wirklich von mir als Trainer in der Persönlichkeitsentwicklung noch gefordert ist. NICHTS. Über Jahre.

Bis zu jenem Morgen dieser Eingebung. Diese war sehr klar und deutlich. Der Titel des Buches und der Arbeit mit den Jugendlichen könnte sein: »Jetzt wird´s aber Zeit, Jugend!« Es sollte ein Buch zur Initiation von Jugendlichen ins Erwachsenenalter sein. Und es sollten unter diesem Titel wöchentliche Treffen für ein bis zwei Stunden für Jugendliche im Alter von vierzehn bis 21 Jahren angeboten werden – zusammen mit einer Trainerkollegin, die dazu im gleichen Maß berufen und bereit war und die es noch zu finden gab.

Da die Aufgabe nicht von meinem Ego kam, war der Beginn der Umsetzung dieser Aufgabe freudvoll und leicht. Ich fand auch schnell eine Kollegin, die über diese Aufgabe ohnehin in letzter Zeit oft nachdachte, wie sie mir sagte, und in der Nähe wohnte. Sie heißt Ewa und sollte vor allem auch für Mädchen, die in unsere Treffen, Trainings oder Coachings kommen, Trainerin und Begleiterin sein.

Gemeinsam war schnell aus unseren wöchentlichen telefonischen Planungs- und Abstimmungs-Treffen folgender »Werbe-Text« entstanden:

»Was bewegt Dich – junger Mensch?

Es interessiert Dich vielleicht nicht wirklich, was Du mal werden willst oder ob Du schon weißt, wie Du »etwas aus dir machst«.

Doch Vieles beschäftigt Dich:

da ist etwas, das (vielleicht noch klein) beginnt in Dir zu erwachen.

Etwas, das man nicht so einfach in eine Kategorie wie einen Berufswunsch pressen kann. Weil es viel größer ist.

Es geht um Dein jetziges Leben. Und Dein weiteres Leben, das für Dich langsam beginnt. Das Leben, in dem Du kein Kind mehr bist. Und davon haben nicht einmal die, die schon vierzig sind, so richtig eine Ahnung, was das heißt: ERWACHSEN SEIN.

Siehst Du manchmal all die »Älteren« und denkst Dir:

ob das schon alles ist?

ob die »Erwachsenen« wirklich glücklich und erfüllt sind?

Geht es Dir so wie uns, dass Du der Meinung bist: »da ist mehr drin«?

Wir, Ewa Willaredt (Trainerin, 28 Jahre alt) und Thomas Schmid (Trainer, 46 Jahre alt) haben auch nicht die Lösung für Dich.

Wir wollen es nicht besser wissen und Dich nicht belehren, aber wir können Dir eine Tür öffnen, hinter der Du beginnst, es ernsthaft für Dich selbst herauszufinden.

Wir geben jungen Menschen im Alter von vierzehn bis 21 Jahren Raum …

… sich zu erleben, fernab von einem festen Programm,

… in dem junge Menschen sich sehen und hören können,

… in dem wir Jugendliche gerne begleiten in den inneren Schritten, die es braucht, um ein Stück mehr bei sich zu sein und von dort aus zu leben,

… in dem junge Menschen erfahren können, was sie belastet, wovon sie träumen, was sie fühlen und was sie sich wünschen und

… in dem wir Möglichkeiten, Experimente und Werkzeuge aus unseren eigenen Schritten des Erwachsenwerdens anbieten.

Wir unterstützen junge Menschen dabei, glückliche, freie Erwachsene zu werden, die den Mut haben ihren EIGENEN Weg zum Wohle des großen Ganzen zu gehen.«

Diesen Text verfassten wir im Sinne einer Einladung. Er ist gleichzeitig eine Würdigung dessen, dass einen Menschen zu Beginn seines erwachsenen Lebens vieles beschäftigt, umtreibt und in ihm aufsteigt, was essenziell ist für ihn und seine Zukunft.

Wir sehen diese Jahre im Lebensverlauf als sehr bedeutsam. Sie verdienen es, dass wir alle beginnen, ihnen einen würdigen Rahmen und die Achtung, die ihnen gebührt, entgegenzubringen.

Was aus dem Zusammenkommen von uns (Thomas und Ewa) und diesem Ruf, junge Menschen zu bestärken und begleiten, bisher entstanden ist, ist unter anderem Inhalt dieses Buches. Ein Buch nicht nur für Jugendliche. Ein Buch für alle, die freier sein wollen und bereit sind, dafür einige bedeutsame Schritte zu gehen.

2. Die ersten Schritte – Initiation in ein erwachsenes Leben

Die ersten Schritte auf dem Weg in ein verantwortlich freieres Leben betrachten wir als Schritte in ein erwachsenes Leben – so wie wir Erwachsensein verstehen.

Wir bezeichnen diese ersten Schritte in diesem Zusammenhang als Initiation.

Das Wort »Initiation« meint auch den Start, den Beginn, die Einleitung, die Eröffnung, Anbahnung, den Anfang oder Anstoß, die Zündung, Anregung oder das In-Gang-Setzen eines Vorgangs.

Der Ursprung des Wortes »Initiation« liegt im Altertum. Es bezeichnete die Einweihung in die Mysterien des jeweiligen Kultes oder in eine Geheimgesellschaft.

In der Ethnologie werden damit bestimmte Bräuche bezeichnet, die es für die Aufnahme in den Stamm gab. Jugendliche, die die Initiation erfolgreich durchlaufen hatten, wurden vollberechtigte und geachtete Stammesmitglieder. Eine solche Initiation war oft mit Prüfungen des Charakters und besonderen Erfahrungen verbunden. Zum Beispiel wurden junge Männer für drei Tage ohne Essen allein in die Wildnis geschickt.

Die moderne, westliche Gesellschaft besitzt keinen weitverbreiteten, bewusst gestalteten Übergang mehr vom Kinder- und Jugendalter hinein in ein Leben als »Erwachsener«.

In unserer Arbeit und in diesem Buch meint das Wort »Initiation« den Beginn des Erwachsenwerdens bzw. die ersten Schritte auf dem Weg ins Erwachsenwerden, das eines Tages im Zustand des Erwachsenseins endet. Wir bezeichnen damit einen zeitgemäßen, bewusst gestalteten Prozess hin zum Erwachsenwerden.

Ob dieser Zustand jemals erreicht werden kann? Können wir Menschen nicht immer noch weiterwachsen, noch wacher und wacher werden?

Wir meinen, dass Erwachsensein ein Zustand ist, der nie erreicht werden kann. Wir können an dem ein oder anderen Punkt oder Thema erwacht sein, aber ganzheitlich erwachsen?

So meint der Prozess der Initiation den Start ins Erwachsenwerden oder vielleicht sogar erst einmal nur die Anbahnung des Starts ins Erwachsenwerden. Er bietet (jungen) Menschen die Möglichkeit, verschiedene Themen bewusst(er) zu betrachten. Dadurch können sie einen höheren Grad an Verantwortung in den jeweiligen Themen und schließlich in ihrem Leben erreichen. Und in letzter Konsequenz dadurch ein freierer Mensch werden und sein.

Denn: Bewusstsein erzeugt Verantwortung erzeugt Freiheit.

Erwachsenwerden ist in unseren Augen ein Prozess, der nie endet. Weil wir Menschen für permanente Weiterentwicklung (Evolution) geboren wurden und daher nie aufhören zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Wer dieses Warum seines Daseins – nämlich die permanente Weiterentwicklung mit all seinen Wachstumsschmerzen – als Mensch auf diesem Planeten bewusst wählt und sich dafür entscheidet, hat die Möglichkeit, jegliche Opferhaltung gegenüber allen Veränderungen ein für allemal zu beenden, alles Beklagen und Jammern zu stoppen und sich seiner Entwicklung hinzugeben, auch wenn sie manchmal schmerzhaft ist. Menschen, die so bewusst den Weg des Erwachsenwerdens wählen, was vermutlich unser Geburtsrecht wäre, wählen damit einen höheren Grad an Verantwortung für ihr Leben. Und werden frei(er).

Erwachsenwerden – immer wacher sein, wach für das, was ist, frei von jeglicher Illusion, die uns von der Realität trennt.

Einen vollkommen »fertigen« erwachsenen Menschen haben wir persönlich noch nie getroffen.

So können wir nur erahnen, was es heißt, einen erwachsenen Zustand zu erreichen. Wir können erahnen, wie es wäre, voll und ganz Mensch zu sein, ohne dieser Erfahrung auszuweichen, ohne etwas anderes daraus zu machen als das, was es ist.

Das würde bedeuten, das zu erleben, was die Erfahrung des Menschseins ausmacht:

diesen physischen Körper, der uns mit fünf Sinnen die Welt wahrnehmen lässt,

dieses Gehirn, das ununterbrochen Gedanken produziert und analysiert,

diese Gefühle, die mittels Hormone anscheinend unser ganzes Leben steuern und

etwas Unsichtbares, das wir offenbar auch besitzen sollen: unsere Seele oder Energiekörper.

Es würde gleichzeitig bedeuten, dass wir begreifen, dass wir mehr sind, als nur diese Körper, die wir besitzen.

Es hieße also erstmal, all dies und sicherlich noch mehr, was zum Mensch-Sein gehört, anzunehmen. All diese Ebenen des menschlichen Daseins anzunehmen und zu lernen, sie immer aufmerksamer zu erfahren und mit ihnen immer bewusster umzugehen.

Wie erlangt ein (junger) Mensch substanzielle Erfahrungen zu diesen Dimensionen des Lebens?

Was braucht es, um wach und wachsend mit dem umzugehen, was es heißt, ein Mensch zu sein?

An dieser Stelle sind initiatorische Erfahrungen ein Tor in ein bewussteres Leben.

Kein Mensch wird exakt dasselbe Leben führen wie ein anderer. Jedes Menschenleben ist einzigartig. Und niemand kann wissen, welchen Weg ein anderer einschlagen sollte und wird.

Doch gibt es einen großen Unterschied zwischen bewusster Wahl des Weges und unbewussten Neigungen, Wünschen, Ängsten, die unser Leben bestimmen, ohne dass wir es mitbekommen. Und plötzlich sind wir achtzig oder auch nur fünfzig und stellen fest, dass wir dem, was uns wirklich bewegt, was wirklich in uns brennt, ausgewichen sind, oder uns haben davon abhalten lassen.

Hätten wir einen anderen Weg eingeschlagen, der ein bisschen mehr unserem Selbst entspricht, wenn wir bewusst ins Erwachsen-Werden initiiert worden wären?

Der Lebensphase der Kindheit ist eine gewisse Unbedarftheit, ein Sammeln von ersten Lebenserfahrungen, die Freiheit von Verantwortung vorbehalten.

In der Jugend ist der Zeitpunkt gekommen, in dem uns initiierte Ältere einiges zeigen können, uns gewisse Türen öffnen und uns im besten Fall vor allem als das sehen, was wir sind: Menschen, die eigene Anlagen und Prägungen haben. Niemand weiß, was noch alles in ihnen steckt.

Wir brauchen in dieser Phase erfahrene Ältere (nicht nur Eltern!), die uns an diesem besonderen Zeitpunkt in unserem Leben die Möglichkeit einer Wahl geben. Die Möglichkeit, es für uns selbst herauszufinden. Weil uns bewusstwurde – oder besser gesagt unser unterschwelliges Gefühl bestätigt wurde –, dass es etwas herauszufinden gibt. Es gibt die Möglichkeit, unseren Lebensweg bewusst zu gestalten.

Demgegenüber stehen Eltern, Erwachsene, ja eine ganze Gesellschaft, die den jungen Menschen in eine ihm oftmals nicht entsprechende Richtung drängen wollen und ihm Druck machen, aus ihren eigenen Ängsten oder Prägungen heraus.

Hierzu folgendes afrikanisches Sprichwort:

»Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht«.

Alles möchte sich in seinem eigenen Tempo und vor allem auf seine Art und Weise entwickeln.

Und wer sinnbildlich eine Rose in sich trägt, kann nicht zu einer Lilie erblühen.

Jeder Mensch wird auf seine Weise immer mehr und mehr erwachsen, gewinnt an Integrität, Lebenserfahrung, Weisheit und vielem mehr.

Und gleichzeitig gibt es Umstände, die förderlich sind, um Gras wachsen zu lassen: genug Licht, Wasser, Wärme und ein nährstoffreicher Boden. So verhält es sich auch mit unserem Umfeld. Es gibt unterstützende Umgebungen, eine bestimmte Art von geistigem Input, Beziehungen mit einem hohen Grad an Verpflichtung für die persönliche Reifung des anderen oder Menschen um einen herum, die selber daran interessiert sind, mehr und mehr erwachsen zu werden. Und es gibt Umgebungen, die uns eher davon abhalten, oder in eine andere Richtung ziehen.

Auf dem Weg ins Erwachsensein ist, wer erkennt, dass er eine Wahl hat. Und an der Stelle, an der er keine Wahl über das Außen hat, erkennt: mein innerer Zustand liegt vollkommen in meiner Hand.

Der Same trägt alle Informationen in sich. In diesem kleinen Krümel steckt bereits der hochgewachsene, ehrwürdige alte Baum. Was er mal wird, unter welchen Umständen er welkt, was er braucht, um gut zu gedeihen – all dieses Wissen ist immanent im kleinen Samen. Er weiß, ohne darüber nachzudenken, dass er Wasser braucht. Er streckt sich der Sonne entgegen. Er lässt seine Wurzeln, in die ihm dienlichsten Schichten der Erde dringen.

Nicht anders ist es mit jedem Leben auf dem Planeten – uns eingeschlossen.

Wir sind hungrig danach, uns zu entwickeln, wir tragen in uns den voll entwickelten Menschen.

Wir sind hungrig. Doch wir sind auch sehr abgelenkt.

Es liegt an uns, unseren Hunger wieder zu spüren und nicht aufzuhören, nach der wirklich passenden Nahrung zu suchen, die unserem ganz persönlichen Wesenskern entspricht.

Wenn wir diese Nahrung finden, gibt es einen »Klick-Moment«. Ein inneres JA.

Wir können lernen, dieses »Klick« wieder wahrzunehmen. Manche Jugendliche können vielleicht sogar einfach dabeibleiben, es zu hören, anstatt es sich abzugewöhnen.

3. Jedes Kind wird Jugendlicher

Einen genauen Punkt für den Beginn meines Erwachsen-Werdens kann ich, Ewa, nicht festlegen. Es sind wohl viele, viele Male, in denen man beginnt. Viele Schichten.

Ich will eine der einprägsamsten, ersten Erinnerungen, die ich daran habe, als da irgendetwas in mir als Jugendliche erwachen wollte, erzählen:

Ich lief mit circa dreizehn Jahren eines kühlen Herbstabends um 22 Uhr, getrieben von etwas Unbenennbarem, Intensivem in mir, in den nahegelegenen Park.

Wie viele Jugendliche durchlebte ich Tage des Aufgewühltseins, des Gefühlschaos. Allein mit der Welt stand ich dann dort unter den dunklen, mit den Schatten der Nacht verschmelzenden Bäumen. Ich stand dort mit dieser Intensität in mir, mit all dem Undefinierten, was sich eine Bahn brechen wollte. Etwas Wildes, Ungezähmtes, Pures war dort in mir. Wissen war nicht da. Kein Plan. Doch auch kein Raum, um zu zögern. Das, was da in mir war, war nicht etwas, das mit dem Kopf verstanden werden wollte. Nach einer Minute vollen Da-Seins im Regen schrie ich einige Sekunden lang laut, sehr laut. Sekunden, die ewig waren und die Welt ausfüllten. Als dieser wilde Schrei meines Inneren zu Ende war, rannte ich. Getrieben von einer Angst. Geschockt von dem extrem lauten Widerhall. Erfüllt von Panik, was die Anwohner denken könnten, aber noch viel mehr erfüllt von etwas – einer Art extremen Unbehagens darüber, was ich getan hatte. Ich war aus der Reihe getanzt. So sehr, dass ich selbst es mir nicht einmal erklären konnte. Ich war eine kleine Weile verrückt gewesen. Ich war für den Bruchteil einer Sekunde an einem Ort gewesen, der frei war und sich unheimlich verboten anfühlte.

Ich rannte so schnell ich konnte, voller Adrenalin, Erfüllung, Angst und Wildheit nach Hause, ging in mein Zimmer und wusste nicht, was ich anfangen sollte mit dem, was da geschehen war. Ich wusste nicht, ob es mir die Befriedigung oder die Befreiung beschert hatte, die sich mein innerstes Wesen erhofft hatte. Doch ich wusste: dieser Moment war einer, in dem ich etwas Echtes berührt hatte. Eine Sekunde, in der ich mich echt gespürt hatte. Wer oder was auch immer ich war. Die Sehnsucht war geboren. Besser gesagt: erweckt.

Diese Erfahrung ist eine sehr persönliche.

Etwas anderes will erwachen im Menschen, wenn die Zeit seiner Jugend beginnt. Wie sich dieses regt, zeigt und äußert, mag bei dem einen lauter, bei dem anderen leiser sein. Bei dem einen wird es viel Raum dafür geben, der andere nimmt es vielleicht gar nicht wahr oder bekommt nichts im Außen angeboten, um das, was da ist, zu spüren.

Wir wollen mit der Schilderung dieser Erfahrung eines deutlich machen: jeder Mensch wird irgendwann in seiner Jugend den natürlichen Drang nach Initiation empfinden. Denn unumstößlich nähert sich das Ende der Kindheit und eine neue Ära steht bevor.

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass sich das Gehirn von Jugendlichen in einem Umstrukturierungs-Prozess befindet. Der Bereich im Hirn, der über unsere Reflexe hinausgeht und unsere Verhaltensweise steuert, wird zum Großteil neu verkabelt. Diese Hirnstrukturen bilden die Grundrisse, in denen sich unsere Persönlichkeit, unser Charakter, unsere Individualität und unser Sozialverhalten ausprägen.

Die Natur sieht es so vor, dass sich ein Großteil der Synapsen neu vernetzt, dass das Denken schneller wird und die Hormone die Gefühlswelt und das Gehirn Achterbahn fahren lassen. Alles weist darauf hin, dass eine neue Ebene gefunden werden muss, und dass diese Phase im Leben eines Menschen richtungsweisend ist.

Uns ist in diesem Zusammenhang auch wichtig zu betonen: Bevor wir mit dem Erwachsenwerden beginnen können, muss ein Wunsch, ein Zug in diese Richtung da sein. Einen jungen Menschen, der noch vollkommen in der Kinderwelt ist und auch noch keine inneren Impulse in Richtung anderer Territorien hat, in ein bewusstes Erwachsenwerden zu führen, ist nicht nur sinnlos, sondern kann sich auch nachteilig auf die Entwicklung eines Menschen auswirken. So gibt es zum Beispiel Menschen, die schon an eher intensiven Initiationstrainings teilgenommen haben, bevor sie reif waren, um sich danach für immer von dieser Art von Erfahrungen abzuwenden. Die Tür, die einige Jahre später erstaunliche, faszinierende neue Möglichkeiten des Seins eröffnet hätte, bleibt ihnen so eventuell für immer verschlossen. Deshalb ist eine wichtige Haltung in der Arbeit mit Jugendlichen: »Alles zu seiner Zeit«.

Wenn sich jedoch die neuen Gehirnstrukturen beginnen zu bilden, wenn sich im jungen Menschen von innen heraus ein Wandel zu vollziehen beginnt, stellt dich die Frage:

Ist diese besondere Zeit sinnvoll genutzt, wenn Jugendliche den Großteil ihrer Zeit mit Prüfungsangst, Auswendiglernen und Ablenkung von diesem Stress – Fernsehen, Computerspiele, Drogen – beschäftigt sind?

Was für eine Gesellschaft würde entstehen, würden wir dem Lebensabschnitt »Jugend« den Platz geben, der ihm gebührt?

Die Menschheit steht vor richtungsweisenden Entscheidungen im Bereich Bildung und »Erziehung«. Es kommt darauf an, dass wir die Jugendlichen in dem unterstützen, was sowieso in ihnen geschieht – derart, dass wir sie begleiten und nicht in etwas hineinzwingen, das aus unseren verkorksten Vorstellungen stammt.

Vielen jungen Leuten wird beispielsweise eingebläut, dass es das Wichtigste ist, später viel Geld zu verdienen, und dass dies nur möglich ist, wenn man ein möglichst gutes Abitur macht und ein vielversprechendes Studium absolviert.