Innere Bilder in der Verhaltenstherapie (Leben Lernen, Bd. 336) - Erika Güroff - E-Book

Innere Bilder in der Verhaltenstherapie (Leben Lernen, Bd. 336) E-Book

Erika Güroff

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Beschreibung

Wie Fantasiebilder die Psyche positiv beeinflussen Unser Denken und Sprechen ist durchwoben von Bildern und Metaphern, etwa wenn uns gleich »der Kragen platzt« oder »das Herz aufgeht«. Was uns im alltäglichen Sprachgebrauch meist nicht bewusst ist, lässt sich in der Psychotherapie zum Nutzen des Klienten gezielt einsetzen. Erika Güroff zeigt an vielen Beispielen, wie Sprachbilder aufgegriffen und weitergeführt werden können, um durch positive Visualisierungen neue Horizonte zu eröffnen oder ein Problem in neuem Licht zu sehen. Innere Bilder können zu ganzen Fantasiereisen und geführten Imaginationen ausgebaut werden und so die Selbstheilungskräfte stimulieren. Das Buch zeigt die Vielfalt der Möglichkeiten, therapeutisch mit inneren Bildern zu arbeiten. Das kann bereits beim Erstgespräch beginnen und den gesamten Therapieverlauf einer Kognitiven Verhaltenstherapie immer wieder bereichern.

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Seitenzahl: 316

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Erika Güroff

Innere Bilder in der Verhaltenstherapie

Die Macht der Vorstellungskraft nutzen

Klett-Cotta

Zu diesem Buch

Unser Denken und Sprechen ist durchwoben von Bildern und Metaphern. Was uns im alltäglichen Sprachgebrauch meist nicht bewusst ist, lässt sich in der Psychotherapie zum Nutzen der KlientInnen gezielt einsetzen. An vielen Beispielen wird gezeigt, wie Sprachbilder aufgegriffen, Metaphern ein- und weitergeführt werden können, um durch positive Visualisierungen neue Horizonte zu eröffnen oder ein Problem in neuem Licht zu sehen. Innere Bilder können zu ganzen Fantasiereisen und geführten Imaginationen ausgebaut werden und so die Selbstheilungskräfte stimulieren. Das Buch zeigt die Vielfalt der Möglichkeiten, in der Verhaltenstherapie mit inneren Bildern zu arbeiten.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter: www.klett-cotta.de/lebenlernen

Impressum

Leben Lernen 336

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Druckausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von isabeltp/iStock Getty Images

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-89275-8

E-Book ISBN 978-3-608-11953-4

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20601-2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Ein sehr persönliches Vorwort

Einleitung

Wichtige Hinweise und Warnungen:

Kapitel 1

Theoretischer Hintergrund

1.1 Beiträge aus der Hirnforschung

1.2 Verortung im verhaltenstherapeutischen Rationale

1.3 Der Gegenstand dieses Buches

Kapitel 2

Praktischer Teil

2.1 Die Integration von inneren Bildern in das therapeutische Gespräch

2.1.1 In die Sprache einfließen lassen/in Bildern sprechen

2.1.1.1 Während der ersten Sitzungen

2.1.1.2 Bei der Zielformulierung

2.1.1.3 Psychoedukation

Erläuterung des verhaltenstherapeutischen Vorgehens

Erwartung eines dauerhaften und ungetrübten Therapieerfolgs

Sehnsucht nach Unfehlbarkeit (Perfektionismus)

Schwierigkeiten, Chancen zur Veränderung zu ergreifen

Zielkonflikte

Erwartungen anderer

Sich mit anderen vergleichen

Das Bedürfnis, ganz schnell ans Ziel zu kommen

Erwartung, von anderen besser wahrgenommen und behandelt zu werden

Selektive Wahrnehmung

Schwierigkeiten, Veränderungen in das Selbstbild zu integrieren

Schwierigkeiten mit Wiederholungen im Therapieprozess

Panik erläutern

Bedürfnis nach sicherer Kontrolle über die Gefühle

Probleme, Positives bei sich zu sehen, Lob anzunehmen und zu akzeptieren

Probleme vorübergehend hinter sich lassen

Rückfälle verstehen und akzeptieren

Enttäuschung über wiederkehrende Probleme im Therapieprozess

Eine schwere Zeit durchstehen, bis die Behandlung greift

Sorge der Patientin, dass nichts geschieht, sich nichts tut

Sorge, sich selbst zu verlieren bei der Veränderung

Angst vor Identitätsverlust

Mit Kränkungen fertig werden

Angst vor Aufdeckung/Entdeckung schlimmer Eigenschaften

Die PatientIn will sich nur bedingt auf das Neue einlassen

Abschweifen vom Hauptziel

Probleme mit kurzfristig positiven und langfristig negativen Folgen

Bei der Angst stehenbleiben und nicht weiterdenken können

Erläuterung des Einflusses von Gedanken auf das Erleben

2.1.1.4 Aufgreifen von Sprachbildern, die die PatientInnen einfließen lassen

2.1.1.5 Gezieltes Erfragen von Phantasieinhalten

2.2 Die verändernde Arbeit mit Innenbildern

2.2.1 Positive Bilder induzieren

2.2.1.1 Wesentliche Grundaspekte zur Person

Das unzerstörbare Ich

Die Gesundheit

Selbstsicherheit

Stärken

2.2.1.2 Schutz, Trost und Stärkung

Schützende Personen/innere BegleiterInnen

Schützende Gestalten

Schützende Tiere

Schützende Klänge

Schützende Orte

Schützende innere Befindlichkeiten

Schützende Gegenstände

2.2.2 Aktive Veränderung maladaptiver Phantasieinhalte

2.2.2.1 Veränderung problematischer Zielvorstellungen

Korrektur maladaptiver »positiver« Ziele

Korrektur negativer Assoziationen zu sinnvollen Therapiezielen

2.2.2.2 Geführte Imagination

Das gelungene Verhalten

Führung durch positive Bilder

Die Angstexposition in sensu

2.2.2.3 Kommunikation mit den Gestalten im Bild

Die unterstützende, helfende Kommunikation

Die Kommunikation mit imaginierten belastenden Gefühlen

Schnelle Bedürfnisbefriedigung

2.2.2.4 »Reparatur«/Veränderung eines Bildes

Das Bild weiterentwickeln; RegisseurIn werden

Albträume

Das Bild als solches

2.2.2.5 Arbeit mit Erinnerungen

Veränderung des eigenen Verhaltens im Erinnerungsbild

Installation von helfenden und schützenden Personen in die Erinnerung

Veränderung des Verhaltens der beteiligten Personen

Hinzuziehen von Verstorbenen

2.2.2.6 Akzeptierende Betrachtung der inneren Bilder

2.2.2.7 Körperliche Probleme

Ausblick

Verzeichnis der Geschichten und Metaphern

Literatur

Ein sehr persönliches Vorwort

Mein therapeutisches Denken beruht auf zwei Grundüberzeugungen.

In eines jeden geistig und neurologisch gesunden Menschen Seele existiert ein individueller und einmaliger unzerstörbarer Kern, ich nenne es einmal das eigentliche Ich.1 In ihm sind alle notwenigen Fähigkeiten verankert, die einen Menschen ausmachen und die es ihm ermöglichen, als Mensch zu existieren.

Jeder Mensch trägt die Grundbedürfnisse nach Bindung, Unlustvermeidung und Lustgewinn, Selbstwerterhöhung und -sicherung sowie Orientierung und Kontrolle (Grawe 2000 und 2004) in sich, deren Erfüllung Bedingung, eine conditio sine qua non ist, dieses Ich zu entfalten. Der Mensch ist ein hochkomplexes Wesen und als Teil der Natur einem hochkomplizierten, und damit leider auch störanfälligen, Regelkreissystem unterworfen.

Dieses Ich bedarf der sorgfältigsten Pflege. Abwertung, Vernachlässigung, Missbrauch, Bestrafung, Bedrohung, existentielle Unsicherheit, Entmündigung und dergleichen sind Faktoren, die einen Menschen in seiner Entwicklung derart beeinträchtigen können, dass ein Zugang zu diesem Ich erheblich erschwert wird. Eine durch Unfrieden und Repression gekennzeichnete Menschheitsgeschichte hat m. E. individuell und global ihren tiefen Grund in solchen Störungen. Hier verweise ich auf das Werk der Philosophin Heide Göttner-Abendroth, die menschliche Gesellschaften in der Geschichte und der Gegenwart gefunden und erforscht hat, welche diese Pflege des Ichs noch beherrschen. Sie spricht von matriarchalen Ethnien und weiß, dass mit der Entwicklung patriarchaler Denk- und Verhaltensweisen die für eine gesunde Entwicklung eines Menschen notwendige und wesentliche weiblich-mütterliche Kraft pervertiert und in die Bedeutungslosigkeit getrieben wurde.

Diese Entwicklung sehe ich als allgemeine psychisch-gesellschaftliche Entgleisung, deren vielfältige geschichtliche Hintergründe bei der Philosophin Heide Göttner-Abendroth ausführlich beschrieben werden (z. B. Göttner-Abendroth 2019). Hinter diesen Entgleisungen steht eine erworbene, ungeheure und vom Individuum oft nicht als solche realisierte Angst durch die Frustration der genannten Grundbedürfnisse (Grawe 2000). Oder wie Rilke es poetisch formulierte: »Unsere größten Ängste sind die Drachen, die unsere tiefsten Schätze bewahren.«

Machtgier ist eine Entgleisung durch Frustration des Bedürfnisses nach Liebe, Anerkennung, Achtung und Sicherheit. Die Sucht, die Natur, den Menschen, die Frauen, die Andersdenkenden, die Andersgläubigen unter Totalkontrolle zu bringen, ist Folge des enttäuschten Bedürfnisses nach Sicherheit und Anerkennung. Dahinter steht die Angst, auf anderem Wege selbst nicht zum Zuge zu kommen. Aus dem Gefühl der Ohnmacht und der Bedeutungslosigkeit erwächst der Wunsch zu herrschen. Ebenso ist der weit verbreitete Perfektionismus, die Neigung, alles und jedes zu optimieren, eine Folge der tief innewohnenden Angst vor unkontrollierbar scheinenden Geschehnissen, die deshalb als bedrohlich wahrgenommen werden. Hinter solchen Umgangsweisen mit Mensch und Natur verbirgt sich das entgleiste Bedürfnis nach absoluter Kontrolle und egoistischer Nutzbarmachung und ein tiefes Misstrauen gegenüber den Kräften, die ein Eigenleben führen. Die Natur und mit ihr der Mensch sollen in ein Prokrustesbett gepresst werden.

Der Mensch ist ein Wunder; trotz aller in Jahrtausenden geschehenen Katastrophen hat sein zentraler Kern überlebt, und er ist in jedem neu geborenen Menschen aufs Neue angelegt.

In meiner Arbeit als Psychotherapeutin habe ich diesen immer wieder bei meinen PatientInnen gesucht und oft gefunden. Ohne das Wissen darum wäre keine Psychotherapie möglich. Und gäbe es dieses tiefe unzerstörbare Ich nicht, hätte die Menschheit die eigene Gattung längst ausgerottet. Das Thema dieses Buches sind »innere Bilder«. Wie ich zu zeigen versuche, sind genau diese inneren Bilder ein hilfreicher Zugang zu diesem verschütteten inneren Ich.

Und dies führt mich zu meiner zweiten Grundüberzeugung:

Eher wird das Universum zugrunde gehen, als dass eine Totalkontrolle durch den Menschen Erfolg hat. Er kann morden, vernichten und auszumerzen versuchen, es wird ihm nicht gelingen, das Ziel der absoluten Kontrolle zu erreichen, außer vielleicht durch die totale Gesamtvernichtung. Aber dann gehen wir alle gemeinsam miteinander in einer großen Apokalypse unter. Die Kraft der Natur wird immer siegen. Der Respekt, die Achtung und Ehrfurcht und die Verneigung vor dieser Kraft ist das Geheimnis der Heilung; der Heilung des individuellen Menschen und der Menschheit allgemein.

Forscherfreude ist dann erfolgreich, wenn diese Grenzen erkannt und nicht der Hybris der Allmächtigkeit unterworfen werden. Auch dies spiegelt sich in der Arbeit mit den inneren Bildern.

So viel zu mir und meinen Überzeugungen.

Nun will ich allen Menschen danken, die mir diesen Blick (sic!) auf die innere unzerstörbare Seele ermöglicht haben. Dies sind: Lehrerinnen, wie Rita de Muynck und Heide Göttner-Abendroth, meine Eltern, und ganz besonders meine PatientInnen. Die Arbeit mit ihnen, ihre Offenheit und Bereitschaft, mich hinter die Kulissen schauen zu lassen, hat mir den Zugang zu diesem Reichtum ermöglicht, der sich in den Bildern niederschlägt.

Der unerschöpfliche Fundus der inneren Bilder, die ich darstelle, stammt von ihnen, sie sind auch Ergebnis meiner eigenen Phantasie, sie stammen aus den diversen Therapieverfahren (s. Theorieteil) und von vielen weiteren, mir nicht immer erinnerlichen Quellen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die in diesem Bereich ohnehin nicht zu erreichen ist, zeige ich ein Spektrum der Möglichkeiten auf, in denen Imaginationen zur heilenden Anwendung kommen können.

Mein Dank gilt aber auch all den Menschen, die mich bei der Gestaltung des Buches unterstützt haben: allen voran meiner Lektorin, Frau Dr. Treml-Begemann, und meinem Mann. Beide haben mir immer wieder Mut gemacht und mir beim Schreiben auf die Sprünge geholfen, wenn ich das Handtuch werfen wollte (sic!).

Dieses Buch wendet sich vorwiegend an PsychotherapeutInnen selbst, in eigener Praxis niedergelassene, in Ausbildung befindliche oder in Kliniken tätige.

Es erreicht auch interessierte LeserInnen, die aber bitte mit Sorgfalt für sich mit der Thematik umgehen mögen.

Alle Geschichten von PatientInnen sind so stark verändert, neu in Zusammenhänge gestellt und umgestaltet, dass die individuelle Person nicht identifizierbar ist.

Und schließlich: Die Berücksichtigung der Geschlechter ist endlich salonfähig geworden in Form des Binnensternchens in der Schrift und des Glottisschlags beim Sprechen.

Ich möchte in diesem Buch aber das Binnen-I beibehalten. Es entstammt einem jahrzehntelangen Kampf aufgeklärter Frauen (Pusch 1984), die mit ihm auf die Notwendigkeit der Geschlechtergerechtigkeit in Schrift und Sprache aufmerksam machen wollten. Sie wurden meist nicht gehört oder wenn, dann oft verhöhnt.

Ihnen zu Ehren behalte ich das Binnen-I bei.

Einleitung

Eine meiner Patentöchter, eine junge Studentin der Medizin und der Philosophie, war kürzlich (Herbst 2021) in Paris, um den von Christo und Jeanne-Claude verhüllten Arc de Triomphe zu sehen. Sie berichtete mir ganz ergriffen: »Der steht auf einem zentralen Platz und viele Straßen und Wege führen auf ihn sternförmig zu. Alles ist sichtbar, nur das Zentrum, um das es geht, ist verhüllt und verschleiert. Das hat mich ganz bewegt, weil es vielleicht immer so ist: Das Wesentliche ist unsichtbar.« Sie wird künftig, wenn sie einmal mit dem abstrakten Begriff des Wesentlichen zu tun hat, möglicherweise den verhüllten Arc de Triomphe als inneres Bild dazu sehen.

Dies ist ein sehr schönes, aus dem Leben gegriffenes Beispiel dafür, worum es mir in diesem Buch geht, nämlich die »inneren Bilder« und die verhaltenstherapeutische Arbeit mit ihnen.

Unter »inneren Bildern« verstehe ich vor allem konkrete visuelle Vorstellungen eines Menschen. Der Begriff kann sich jedoch auch auf alle Wahrnehmungsmodalitäten beziehen: Sie können visueller, akustischer, olfaktorischer, haptischer, kinästhetischer und geschmacklicher Natur sein. Für dieses erweiterte Verständnis wird in der englischsprachigen Literatur der Begriff des mentalen Prozesses verwendet. Gerne wird hier das beeindruckende Beispiel eines Bisses in eine Zitrone aufgeführt: Wenn ich Sie bitte, sich vorzustellen, Sie würden in eine Zitrone beißen, sehen Sie sie vielleicht vor sich, spüren sie in der Hand, riechen sie und vor allem: nehmen wahrscheinlich im Mund die Reaktion auf die Säure wahr, die Ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt; möglicherweise spüren Sie ein Frösteln, eine Gänsehaut. Und die Zitrone ist nicht real vorhanden, sondern nur in Ihrer Vorstellung!

In den Erörterungen und Darstellungen in diesem Buch sind noch folgende Begriffe aus der inneren Bilderwelt von Bedeutung: Imagination, Einbildungskraft, Phantasie, bildhaft anschauliches Vorstellen.

Sie bezeichnen die Fähigkeit, innere Bilder in der Vorstellung zu entwickeln, sie mit allen Sinnen innerlich wahrzunehmen, sie in vielerlei Hinsicht zu gestalten, zum Beispiel durch Phantasiereisen oder geführte Imagination. Diese werden im praktischen Teil ausführlich beschrieben.

Die bisher erwähnten Begriffe beziehen sich auf das Individuum, auf individuelle personale Prozesse. Wir kennen aber auch kollektive, im allgemeinen Sprachgebrauch vorzufindende Bildrepräsentationen. Diese werden unter dem Sammelbegriff »Sprachbilder« zusammengefasst. Ein Sprachbild ist ein rhetorisches Stilmittel, welches darauf abzielt, ein Bild im Kopf des Gegenübers zu erzeugen. Mit anderen Worten: Das Gesagte wird bildlich ausgedrückt. Unsere Sprache verfügt über eine große Zahl an solchen bildlichen Ausdrücken, die wir alle beim Sprechen mehr oder weniger unbewusst gebrauchen (»Heute lacht die Sonne«). Sprachbilder finden sich u. a. als Metapher, Allegorie, Symbol, Synästhesie. Im Folgenden werden diese Begriffe jeweils kurz erklärt.

Eine Metapher ist ein sprachlicher Ausdruck, der aus seinem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen und als Bild verwendet wird. Zwei Begriffe, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, werden miteinander verknüpft und haben Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch gehalten. Klassische Beispiele sind: die grüne Lunge einer Stadt, der Fels in der Brandung, jemandem das Wasser reichen können.

Eine Allegorie ist eine bildhafte Personifikation für einen Begriff: Justitia mit den verbundenen Augen und der Waage steht für die Gerechtigkeit.

Ein Symbol ist ein einzelnes, allgemeingültiges Zeichen, das für einen abstrakten Begriff steht. Es ist ein allgemein bekanntes Sinnbild für etwas, das immer mit diesem verbunden wird: Das Hufeisen steht für Glück, ebenso das vierblättrige Kleeblatt, die schwarze Katze für Unglück.

Die Synästhesie bezeichnet die Verbindung von Wahrnehmungseindrücken aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten: Es gibt Menschen, die Töne als Farben sehen, die Farben hören und dergleichen.Als sprachliches Stilmittel findet sie sich besonders in der Romantik. Ein Beispiel ist Brentanos »Abendständchen«, welches mit den Worten »Durch die Nacht, die mich umfangen, blickt zu mir der Töne Licht« endet.

Der kollektive Sprachgebrauch von Bildern spielt auch in diesem Buch eine wichtige Rolle. Jeder Mensch, der sich dieser allgemeinen Ausdrücke bedient, trägt nämlich zu jedem eine individuelle Repräsentation, ein eigenes konkretes Bild in sich. Und dieses Bild interessiert uns in der Therapie. Als Beispiel sei hier der bereits erwähnte, allgemein verwendete Ausdruck »Die Sonne lacht« erwähnt. Die eine Person sieht ein golden leuchtendes Gesicht am Himmel, das breit lacht. Die andere sieht die Sonne strahlend hell am Himmel und hört ein lautes fröhliches Lachen. Wieder ein anderer spürt die Hitze der Sonne auf der Haut und hört, wie sie kichert und lacht und mit Vergnügen ihre Strahlen ausschickt, um ihn zu streicheln. Und manch einer sieht die lachende Sonne über den Bergen, über dem Meer, über dem Dach seines Hauses.

Über das kollektive Bild hinaus kann in der therapeutischen Arbeit jede PatientIn SchöpferIn ihrer eigenen Sprachbilder, eigenen Metaphern, Allegorien, Symbole und Synästhesien sein: Ein inneres Bild der Mutter wird zum inneren Symbol für Liebe; ein Gespenst zur Allegorie für Angst und dergleichen.

Diese Schöpfungen können sehr kreativ sein und sich von der Realität weit entfernen, wie wir das auch aus Märchen und Sagen kennen: Tiere können sprechen, mystische Wesen, wie Geister, Gespenster und dergleichen, können vor dem geistigen Auge entstehen. Dies werde ich ausführlich im praktischen Teil an vielen Einzelbeispielen verdeutlichen.

Da uns in diesem Buch alle diese Bilderwelten nur als Ausprägung des inneren und individuellen Erlebens einer Person interessieren, werde ich bei den Darstellungen nicht mehr nach diesen einzelnen Unterarten differenzieren.

Innere Bilder jeglicher Art sind ein uralter Zugang der Menschheit, Phänomene fassbar und sichtbar (sic!) zu machen. So finden sich bereits aus der Altsteinzeit Figurinen von Frauen, wie die Venus von Willendorf, die als Allegorie für die nährende Mutter Erde verstanden werden können. Es wurden phantastische Bilder geschaffen von (Schutz-)Engeln, von merkwürdigen Mischwesen, wie dem Gott Pan, der Sphinx, dem Vogel Greif. Die Menschen im alten Ägypten haben das Himmelszelt als Göttin dargestellt, die sich über die Erdenscheibe beugt. In Malereien des Mittelalters finden sich versteckte Symbole wie die Lilie für die Unschuld, das Hündchen für die Treue. Dürer wählte als Bild für die Melancholie einen sinnierenden Engel, von geheimnisvollen Zeichen umgeben. Märchen und Sagen sind erfüllt von mystischen Metaphern und Symbolen, wie die sieben Zwerge bei Schneewittchen oder die 13 Feen bei Dornröschen.

Ganz prosaisch bedient sich auch die Werbung der Wirkung von inneren Bildern, bei denen zudem Stimmen, Töne und Melodien aktiviert werden, um die Wirkung zu verstärken. In den 90er Jahren bat eine Mineralölfirma ihre KundInnen, den Tiger in den Tank zu packen, wobei hier diese Aufforderung von einer festen, energetischen Männerstimme gesprochen wurde, die mit Lebenskraft und Entschlossenheit assoziiert wird. Autos werden mit halbnackten Frauen garniert, die per se da gar nichts verloren haben, aber suggerieren, dass der Käufer des Wagens eine solche Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit würde ergattern können bzw. durch den Erwerb der per Bild erotisierten Maschine selbst an erotischem Interesse gewänne.

Auch in der Psychotherapie wird die Imagination schon lange nutzbar gemacht: in der Traumdeutung der Psychoanalyse, im katathymen Bilderleben, in der Hypnotherapie, beim Focusing, in der Gestalttherapie und im NLP. In den letzten Jahrzehnten wurden ausgezeichnete Therapiekonzepte entwickelt, in denen die Imagination ein wichtiger Bestandteil ist: die DBT, die Schematherapie, viele emotionsfokussierte Therapieformen, ACT und die diversen Therapiekonzepte zur Behandlung der Traumafolgestörungen. Ein umfassender Überblick über die vielfältige Bedeutung und Verwendung von Imaginationen in der Psychotherapie sowie detaillierte Referenzen und Literaturangaben finden sich bei Kirn (Kirn et al. 2015).

Auch die Verhaltenstherapie bedient sich der inneren Bilder in ausgesuchten Verfahren wie der Exposition in sensu bei Phobien, in der Behandlung von PTBS, oder sie leiht sich Interventionen aus der Gestalttherapie wie den »inneren Garten«, »das innere Kind«, die Tresorübung, um nur einige zu nennen.

Aber das Anwendungsfeld ist auch in der Verhaltenstherapie noch viel weiter und bunter. Dies will ich im vorliegenden Buch verdeutlichen.

Allgemein kann für die psychotherapeutische Arbeit gelten, dass alle emotionalen Prozesse mit Innenbildern unterlegt sind und dass eine intensive Emotion von einem Bild gleicher Intensität begleitet wird. Arntz et al. haben dies im Rahmen ihrer Untersuchungen zu traumatischen Stimuli aufgezeigt (Arntz et al. 2005).

Des Weiteren haben Holmes & Matthews in ihren Studien nachgewiesen, dass der Einsatz von Imaginationen zu intensiverem emotionalem Erleben führt als rein verbale Prozesse im Umgang mit demselben Material. Dies beziehe sich sowohl auf negative als auch auf positive Ereignisse (Holmes & Matthews 2005).

So können wir also davon ausgehen, dass die Berücksichtigung der inneren Bilder im Rahmen einer Psychotherapie eine intensivere Aktualisierung von affektiven Reaktionen und damit deren Bearbeitung ermöglicht. Die Einbeziehung von Imaginationen in den therapeutischen Prozess verhilft sowohl zu einem deutlich besseren Verständnis für das psychische Geschehen in der PatientIn und im therapeutischen Procedere als auch zu einer Vertiefung der psychotherapeutischen Interventionen.

Ich habe während meiner therapeutischen Arbeit die Erfahrung gemacht, dass die Berücksichtigung von Imaginationen eine wesentliche Bereicherung und Vertiefung der verhaltenstherapeutischen Behandlung bedeutet und sehr viele PatientInnen erheblich profitieren. Dies liegt daran, dass diese inneren Prozesse die Emotionen in einem sehr hohen Ausmaß spürbar machen helfen.

Denn uns TherapeutInnen ist das wesentliche Phänomen bekannt: Störungen, derentwegen Personen die psychotherapeutische Praxis aufsuchen, sind Störungen im emotionalen Verarbeitungsprozess. Viele unserer PatientInnen tun sich entweder schwer, Zugang zu ihren Emotionen zu finden, oder sie werden von Emotionen gequält oder überwältigt und fühlen sich diesen hilflos ausgeliefert.

Manchmal erleben wir als TherapeutInnen zudem, dass eine Behandlung stagniert. Immer wieder ergeben sich im Therapieprozess Stockungen, Stolpersteine, kurz Schwierigkeiten vielfältiger Art. Es lohnt sich sehr, diese jeweilige Stockung genauer anzuschauen. »Anschauen« im eigentlichen Sinn: Sehr häufig entdecken wir im Bereich der Imagination verborgene Aspekte, die uns den Prozess wieder fortzusetzen helfen.

Manche Menschen finden besonders leicht Zugang zu visuellen Innenbildern. Andere tun sich etwas schwerer und sind mehr auf die akustische Modalität fokussiert. Sie hören mehr in ihrem Inneren die Stimme des Vaters, als dass sie ihn vor sich sehen. Meine Erfahrung ist aber, dass alle Sinneskanäle im Menschen aktiv sind. Eine Trennung in rein bildhaft oder rein akustisch orientierte Personen ist, wie sich in meiner Arbeit gezeigt hat, nicht sinnvoll, obgleich diese Auffassung von einigen Autoren vertreten wurde. Alle Menschen reagieren auf allen Wahrnehmungskanälen. Sie unterscheiden sich nur in der Intensität dieser inneren Prozesse.

Imaginationsübungen können auch in einer Gruppe durchgeführt werden. Insbesondere in Selbsterfahrungsseminaren oder in Gruppentherapien halte ich sie für sinnvoll, um die Gruppenkohäsion zu fördern, aber auch um erlebbar zu machen, wie vielfältig die inneren Bilder zu einem Thema sein können.

Diese Gruppenarbeit ist sehr ergiebig und umfangreich. Ich will mich in diesem Buch auf die individuelle Arbeit mit inneren Bildern in Einzeltherapien beschränken und an dieser Stelle nur erwähnen, dass es diese Möglichkeit gibt.

Wichtige Hinweise und Warnungen:

Bitte befassen Sie sich mit den folgenden Ausführungen:

1. Ich will an dieser und an vielen weiteren Stellen dieses Buches ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Arbeit mit inneren Bildern unter keinen Umständen die alleinige therapeutische Intervention sein darf. Sie ist vielmehr ein Teil des – wie im vorliegenden Fall – jeweils individuellen verhaltenstherapeutischen Gesamtkonzepts.

2. Im Buch werden einige Vorgehensweisen beschrieben, die bei schwerst belasteten Personen zu einer Dekompensation führen können. Hierzu zählen PatientInnen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Psychosen jedweder Art, Wahnerkrankungen, schweren Depressionen vom Major-Depression-Typ. Zwar wird vor allem die PTBS sehr wohl u. a. mit imaginativen Methoden behandelt. Sie ist aber vielschichtig und bedarf einer höchst sensiblen, von ausgebildeten TraumatherapeutInnen durchgeführten Vorgehensweise. Ich bitte alle LeserInnen dringend, die unter schweren Ängsten, Traumen, Psychosen und schweren Depressionen leiden, nicht auf eigene Faust mit inneren Bildern zu »spielen«. Wenden Sie sich damit unbedingt vertrauensvoll an PsychotherapeutInnen.

3. Des Weiteren wissen wir von Menschen, die hochsensibel (hochsensible Persönlichkeit, HSP) sind. Sie werden leicht mit »neurotischen« Personen verwechselt, weil sie sehr sensitiv und damit natürlich auch störanfällig sind. Die Bundeswehruniversität in München führt derzeit diesbezüglich eine sehr interessante Studie durch (Meinersen et al. 2022 und Meinersen & Kruse 2022). Hochsensible Menschen sind in der Regel auch hoch imaginationsfähig, wie erste Ergebnisse der Studie aufzeigen. Betroffenen Menschen rate ich ebenfalls dringend von gewagten Selbstversuchen ab, insbesondere bei belastenden Innenbildern.

4. Zudem gibt es Menschen, die unter sehr schlimmen inneren Bildern leiden, die aus Horrorfilmen stammen könnten. Auch sie sollten nicht ohne therapeutische Unterstützung mit dem Bild experimentieren. Die Gründe für solche Horrorbilder sind vielfältig; auf jeden Fall werden Menschen davon geplagt, die sich ohnehin alles »sehr gut« vorstellen können, wie die eben erwähnten HSP. Ihnen sei eine therapeutische Behandlung angeraten; hilfreich sind hier, bis sie einen Therapieplatz gefunden haben, alle Phantasieübungen aus den Kapiteln 2.2.1.2 und 2.2.2.4, Abs. 2.

5. PatientInnen mit Drogenerfahrung, auch Cannabis, schädlichem Alkoholgebrauch und Medikamentenabusus in der Gegenwart und der Vergangenheit können Schwierigkeiten bei der Imaginationsverarbeitung haben. Diese Schwierigkeiten finden sich nicht nur im Umgang mit inneren Bildern, sondern auch bei der Bewältigung von (belastenden) Emotionen allgemein. Psychotrope Substanzen erzeugen »künstliche« Gefühle wie Ruhe, Glückseligkeit, emotionale Klarheit, Wachheit und Leichtigkeit, Gleichgültigkeit und dergleichen. Mit künstlichen Gefühlen und dementsprechend künstlichen Innenbildern ist therapeutisch nicht zu arbeiten. Eine erfolgreiche Therapie, insbesondere der Einsatz von imaginativen Maßnahmen, braucht ein von Substanzen ungestörtes Gehirn. Das neuronale Netz muss erst von Substanzen, die eine künstliche Emotionalität bedingen, befreit werden.2 Betroffene Personen mögen sich an ExpertInnen wenden und ebenfalls nicht ohne Unterstützung experimentieren.

6. Es gibt BehandlerInnen, die davon überzeugt sind, dass die menschliche Seele wiedergeboren wird. Das ist eine Glaubensüberzeugung, wie auch jede religiöse Jenseitsvorstellung. Als solche mag sie eine Daseinsberechtigung haben.

Diese Wiedergeburtshypothese wird aber leider zur Grundlage für Imaginationsübungen gemacht, in denen Menschen Kontakt zu einem früheren Leben aufnehmen sollen. Sie wird wie eine reale Tatsache gehandhabt. Bitte, das ist brandgefährlich! Ich hatte zwei PatientInnen, die durch eine solche »Übung« in eine handfeste Psychose geraten waren, bevor sie zu mir kamen.

7. Dann weiß ich von »BehandlerInnen«, die sich die Nöte und Sorgen ihrer PatientInnen anhören, eigene Bilder dazu produzieren (was keine Kunst ist) und diese für gewichtig genug halten, sie diesen Menschen als heilende Erkenntnisse zu suggerieren.

8. Und schließlich existiert die verführerische Idee, dass mittels Imagination verschüttete Erinnerungen freigelegt werden können. So kommen nicht selten PatientInnen mit der Frage in eine Psychotherapie, ob sie in ihrer Kindheit missbraucht wurden, denn sie fühlten sich etwa im Umgang mit Männern schlecht. Und darüber wollen sie durch Imaginationsübungen mehr herausfinden. Wir wissen aber von der Tatsache der »false memories«: Unsere Erinnerungen sind ein Konstrukt, welches auf vielfältige Weise zusammengebaut wird, und der sogenannte Rückschaufehler ist ein Faktum, welches auch bei kürzer zurückliegenden Geschehnissen eine große Rolle spielt. Die Psychologie der Zeugenaussagen weiß ein Lied davon zu singen. Es ist möglich, wie im Buch ausführlich dargestellt, mit Erinnerungsbildern zu arbeiten. Es ist möglich, heilend mit einschlägigen bedrohlichen Bildern umzugehen. Aber nach meiner Auffassung ist es nicht möglich, Erinnerungsbilder aufzudecken, die eine belastbare Aussage über reales Geschehen in der Vergangenheit zulassen würden.

Wohl gibt es Symptome, die den Schluss zulassen, dass in der Kindheit Missbrauch und Gewalt stattgefunden haben müssen. Diese meine ich nicht. Sie werden dank exzellenter Forschung zur Traumabehandlung während der letzten zwei Jahrzehnte inzwischen gut von ExpertInnen in Kliniken und Ambulanzen behandelt. Ich rede von der Idee der Aufdeckung von Ereignissen, die eventuell einmal stattgefunden haben. Eine solche »Aufdeckung« hat schon oft großes Unglück über Familien und auch die betroffenen PatientInnen gebracht.

Bitte passen Sie auf sich und Ihre PatientInnen auf.

Kapitel 1

Theoretischer Hintergrund

1.1 Beiträge aus der Hirnforschung

Wenn wir Psychotherapie als einen Prozess verstehen, der psychisch leidenden Menschen zu einem veränderten Erleben verhelfen soll, dann müssen wir Wege finden, die Emotionen zu verstehen und zu verändern.

Es besteht eine sehr enge Verknüpfung von inneren Bildern mit Emotionen, und diese ist äußerst wirkmächtig. So zeigt sich im Alltag, aber auch in der Therapie, oft eine auffallende Resistenz von Gefühlen gegen verbal-logische Maßnahmen und Ratschläge. Menschen verharren oft wider jedes bessere, auch jedes bessere eigene Wissen auf ihrer »Sichtweise«, die sie sich nicht »ausreden« lassen wollen oder können. Sätze wie beispielsweise »Ich weiß ja, dass xy richtig ist, aber …« sind typisch. Diese Beharrlichkeit wird nicht selten vom Gegenüber als »Bockigkeit«, »Starrsinn« oder »Trotz« missverstanden. Die neuere Hirnforschung liefert uns erste Erklärungsansätze für dieses Phänomen.

Nach ihrem derzeitigen Stand gehören innere Bilder hirnphysiologisch zu den mentalen Repräsentanzen, als deren biotische Grundlage sog. neuronale Repräsentanzen anzusehen sind, also hochkomplizierte, nach bestimmten Erregungsmustern in den Nervenzellen aktivierte synaptische Verschaltungen. Diese sind das funktionelle Informationspotential, das die Entstehung bewusster Vorgänge ermöglicht. Mentale Repräsentanzen basieren auf den aus dem Inneren des Organismus und der Außenwelt einfließenden Informationen, die im Gehirn aufgenommen und zusammen mit den im Gedächtnis gespeicherten Informationen verarbeitet werden. Es besteht keine »Widerspiegelung«, d. h. keine Punkt-zu-Punkt-Projektion der Umwelt im Gehirn des Menschen. Vielmehr erschafft sich jeder Mensch im Laufe seiner Entwicklung eine Vorstellung von sich und seiner Stellung zur Umwelt.

Das Gehirn hat bis ins hohe Alter eine hohe Plastizität. Das bedeutet, dass neue Erfahrungen auch bis ins hohe Alter immer neue neuronale Vernetzungen erzeugen.

Ein äußeres Bild kann bewusst aufgenommen werden, wenn die von ihm erzeugten Erregungsmuster so intensiv sind, dass sie sich auf die assoziativen Areale und auf die für die Bewertung der Erregungszustände zuständigen Bereiche des Kortex ausbreiten (Hüther 2015, S. 23). Ebenso scheint nach dem derzeitigen Stand der Hirnforschung gesichert, dass auch innere Bilder, also Vorstellungen, dieselben Areale des Gehirns aktivieren, die für die Wahrnehmung und Bewusstmachung primärer Sinneseindrücke zuständig sind. So entstehen etwa visuelle Innenbilder auf demselben Feld der Sehrinde, das auch beim tatsächlichen Sehen des Gegenstandes aktiviert wird. Entsprechendes gilt, wenn ein Mensch »mit dem geistigen Auge fühlt« (vgl. Thompson 2012, S. 472) oder sich eine Handlung nur vorstellt; bildgebende Verfahren lassen auch insofern keine eindeutigen Unterscheidungen zu einer tatsächlich ausgeführten Handlung zu (Hüther 2015, S. 86).

Innere Bilder sind wirkmächtig, weil aufgrund von bestimmten Aktivierungsmustern das Gehirn in der Lage ist, handlungsleitende innere Bilder, innere Leitbilder, zu erzeugen (Hüther 2015, S. 36. »Bilder generierender Apparat«), ins Bewusstsein zu heben, zu kommunizieren und auch einen Fundus kollektiver Bilder zu schaffen. Auf der Ebene des Individuums bewirken sie eine Veränderung der Genexpression, etwa dadurch, dass Nervenzellen neue Gensequenzen »abschreiben« und andere stilllegen. Das bedeutet, dass Bilder, auch Innenbilder, in ihrer Stabilisierung und Veränderung dazu beitragen, das Gehirn selbst zu strukturieren (Hüther 2015, S. 58). Das gilt insbesondere für das »Bild von uns selbst« und unsere Stellung in und zu der Welt. Zudem sind nach der neueren Hirnforschung innere Bilder in Form von in den höheren Arealen der Hirnrinde angelegten »Erwartungsbildern« in der Lage, (neue) Wahrnehmung bewertend zu steuern, indem das eingehende »Wahrnehmungsbild« lediglich bestätigt, als nicht übereinstimmend verworfen oder als teilweise übereinstimmend zur Öffnung und Erweiterung des »Erwartungsbildes« zugelassen wird (Hüther 2015, S. 23, 76 f.).

Auf entsprechende Weise scheinen innere Bilder auch das Denken, Fühlen und Handeln zu bestimmen. Sind bei nur Vorgestelltem dieselben Gehirnareale betroffen wie bei tatsächlich durchgeführten Handlungen, ist davon auszugehen, dass sie auf bereits angelegten Repräsentanzen (Verschaltungsmuster) beruhen, die insbesondere bei starker emotionaler Beteiligung leicht abrufbar sind. Je größer – und das betrifft unsere Arbeit – der (Leidens-)Druck des Patienten ist, desto leichter fällt er daher in die gewohnten Denk-, Gefühls- und Handlungsmuster zurück (Hüther 2015, S. 81ff.). Hirnphysiologisch betrachtet besteht unsere Aufgabe im »Überschreiben« der vorhandenen Repräsentanzen.

Vertiefende Veröffentlichungen zum Thema finden sich bei Anna Abraham (Abraham 2016). Bei Meinersen-Schmitt werden wir mit dem Focus auf die Erforschung der hochsensiblen Persönlichkeit ebenfalls wertvolle neurowissenschaftliche und psychologische Studienergebnisse erwarten dürfen, da HSP über auffallend intensive innere Bilder verfügen.

1.2 Verortung im verhaltenstherapeutischen Rationale

Die Verhaltenstherapie hat aufgrund sorgfältiger Studien bereits in ihren Anfängen den Zusammenhang von Verhalten und Emotionen verstanden: ein verändertes Verhalten kann zu veränderten Emotionen führen und umgekehrt. Insbesondere das Vermeidungsverhalten, ein Vorgehen also, welches die unangenehmen, quälenden Emotionen der Angst, der Traurigkeit, der Verzweiflung, Selbstabwertung, um nur einige zu nennen, verhindern helfen soll, wurde entlarvt als eben die Verhaltensstrategie, die dazu beiträgt, dass diese Emotionen langfristig aufrechterhalten bleiben.

Beispiel: Aufrechte Haltung, deutliches Sprechen, Blickkontakt erzeugen Gefühle der Sicherheit, wohingegen gebückte Haltung, leises Nuscheln und Ausweichen mit den Augen das Gefühl der Unsicherheit vertiefen.

In der sogenannten zweiten Welle der Verhaltenstherapie (kognitive Verhaltenstherapie) wurde darüber hinaus die Bedeutung der Kognitionen, also der Gedanken, Einstellungen, Grundhaltungen etc. erkannt. Man hat verstanden, dass Emotionen eng von begleitenden Gedanken abhängen und umgekehrt.

Beispiel: Gedanken wie »Ich schaffe das« oder »Ich bin ein wertvoller Mensch« oder »Die Menschen in meiner Umgebung sind zu einem hohen Prozentsatz freundlich gestimmt« triggern Gefühle des Selbstvertrauens, des Selbstwertes und der Sicherheit. Die gegenteiligen Gedanken (»Ich kann das nicht«, »Ich tauge nichts«, »Ich bin wertlos« und »Keiner mag mich«) hingegen erzeugen und vertiefen Gefühle der Inkompetenz, der Wertlosigkeit und der Angst und erhalten sie aufrecht.

Neben dem Verhalten und den Gedanken gibt es noch zwei weitere Ebenen, über die Zugänge zu den Emotionen möglich sind.

Dies ist zum einen die Ebene der Körperreaktionen. Die Emotionen sind mit dem Körpergeschehen eng verknüpft und wechselweise voneinander abhängig.

Ein Beispiel: Angst zeigt sich in verschiedenen körperlichen Erscheinungsformen: Verspannung, Zittern, Erröten, Schwitzen etc. Die Wahrnehmung dieser Körperreaktionen erzeugt und vertieft in der Umkehrung die zugehörigen Emotionen, in diesem Fall der Angst (s. Teufelskreis der Angst nach Margraf & Schneider 2018).

Die vierte Ebene, auf der Zugang zum Erleben und Fühlen möglich wird, ist diejenige, die uns in diesem Buch beschäftigt. Das ist die Ebene der weitgefächerten inneren Repräsentationen der diversen Wahrnehmungsmodalitäten, der inneren Bilder. Auch hier besteht die beschriebene Wechselwirkung zwischen Emotionen und diesen Repräsentationen.

Etliche Modelle in der Verhaltenstherapie beschreiben die vorausgehenden, begleitenden und nachfolgenden Bedingungen für Verhalten, Denken, Fühlen und körperliche Reaktionen eines Menschen (horizontale Verhaltensanalyse).

Nur in einem dieser Modelle ist die Imagination enthalten. Es handelt sich um das BASIC-ID-Schema von Lazarus (Lazarus 1995). Der Autor hat dann auch ein Buch zu den Innenbildern und ihrer Anwendung im therapeutischen Prozess veröffentlicht (Lazarus 2006). Bei Lazarus ist das (problematische) Verhalten eingebettet in mehrere Modalitäten: Affekte, Empfindungen, Imaginationen, Kognitionen und interpersonale Beziehungen sowie gesundheitliche Aspekte und Gebrauch von Medikamenten, psychotropen Substanzen, Drogen etc.

Das in der Verhaltenstherapie am häufigsten verwendete Modell einer horizontalen Verhaltensanalyse ist das SORC-Schema. Deshalb wird hier ausführlicher darauf eingegangen und die psychologischen Prozesse werden durch bewusste Arbeit mit Imaginationen darauf bezogen. Auch werden die verschiedenen Modalitäten bedacht.

Steuerungselemente für das (problematische) Geschehen (R) sind:

auslösende Situationen (S),

gesundheitliche und körperliche Aspekte sowie lebensgeschichtlich erworbene Planstrukturen, Grundeinstellungen, Grundüberzeugungen und überdauernde körperliche Faktoren (O) und

die Folgen und Wirkungen (C) von R.

Die Ebene der Reaktionen (R) hat vier Aspekte:

die Gedanken (R kognitiv),

die Gefühle (R emotional),

körperliche/physiologische Responses (R physiologisch) und

das beobachtbare Verhalten (R motorisch).

Der Aspekt der inneren Bilder ist dabei nicht berücksichtigt.

Allerdings weisen Kanfer et al. (2012, S. 361 f.) darauf hin, dass Imaginationen wertvolle therapeutische Aspekte darstellen: »Phantasie- und Vorstellungsübungen sind besonders wirksame Möglichkeiten im therapeutischen Setting, weil sie den Klienten dazu führen, die ganze Bandbreite seines sensorisch-perzeptuellen Systems auszuschöpfen (visuell, auditiv, taktil, sensomotorisch, affektiv, verbal, kognitiv).«

Im erwähnten SORC-Schema ordne ich die Imagination zwei Variablen zu:

1. Das ist zum einen die O-Variable. Da sie, wie erwähnt, die in der gesamten Biographie erworbenen Grundannahmen, Einstellungen und Planstrukturen umfasst, beinhaltet sie auch die damit verbundenen Innenbilder und Emotionen.

Die Grundannahme eines Menschen zu sich selbst könnte etwa lauten: »Ich bin ein Versager.« Diese Grundannahme ist eng verbunden mit Bildern aus der Erinnerung oder der Phantasie (s. Beispiel unten): »Mental imagery occurs when perceptual information is accessed from memory, giving rise to the experience of seeing with the mind’s eye, hearing with the mind’s ear and so on« (Kosslyn et al. 2001).

2. Das ist zum zweiten die R-Variable. Die Imagination kann entweder als fünfte Dimension von R aufgenommen werden oder zu R kognitiv hinzugerechnet werden.

Wenn wir Kognitionen als nicht von außen beobachtbare Abläufe verstehen, sondern als Vorgänge auf der »subjektiv-kognitiven Ebene, (meist verbal geäußerte) subjektive und gedankliche Aspekte; zum Beispiel: ›Ich bin traurig.‹ […] ›Ich fürchte mich vor der Prüfung.‹ […] ›Hoffentlich geht die Situation gleich vorbei.‹ […] ›Ich fühle mich unwohl, weil die Leute um mich herum so ängstlich schauen‹«, dann sind die imaginativen Prozesse hier leicht zu subsumieren.

Auch Hirsch & Holmes (2007) weisen darauf hin, dass Kognitionen in Form von verbalen Gedanken oder mentalen Imaginationen auftreten. So sind diese Kognitionen nach ihrem Verständnis Gegenstand der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT).

Das SORC-Modell ist ein wesentlicher und erforderlicher Bestandteil in der verhaltenstherapeutischen Arbeit und Basis für die Erstellung der funktionalen Analyse des Problemgeschehens für die weiteren therapeutischen Planungen.

Dies möchte ich im Folgenden anhand eines SORC-Schemas innerer Bilder beispielhaft verdeutlichen.

Herr Schüchtern, 30 Jahre alt:

S: Am Arbeitsplatz. Der Chef legt Herrn S. ein von ihm bearbeitetes Paper vor und sagt: »Das müssen Sie bitte noch einmal überarbeiten; da sind noch Lücken drin; bitte legen Sie mir die Arbeit mit eingefügten Korrekturen morgen auf meinen Schreibtisch.«

O: Grundannahme zu sich selbst als Schüler und allgemein:

»Ich bin dumm, langsam und schlechter als die anderen«; »Ich bin auf der Schattenseite des Lebens geboren, alle anderen sind fröhlicher, schlauer …«; »Ich bin langweilig für die anderen«.

Mögliche Bilder: Herr S. sieht sich als Schüler, der vom Lehrer vor der Klasse lächerlich gemacht wird, weil er ein Wort falsch geschrieben hat.

Er sieht sich als kleinen schmutzigen Kerl mit Rotznase.

Er sieht sich umringt von lachenden fröhlichen Kindern, die ihn nicht mitspielen lassen, weil er der Dumme ist.

Er sieht sich an der Tafel stehen und an einer Multiplikationsaufgabe scheitern.

Er hört den Lehrer, die anderen, spürt seinen Körper und fühlt seine Angst und Scham.

Grundannahmen/Einstellungen (zur Welt und zu den Menschen allgemein): »Die Welt ist hart.«; »Die Menschen sind egoistisch, selbstsüchtig und hartherzig«.

Mögliche Phantasien: Herr S. sieht eine Gruppe von Menschen mit hochmütigen Gesichtern, in Pelze gekleidet, und neben ihnen sitzt ein Bettler, den sie nicht beachten.

Er sieht ein Kind, das auf der Straße vom Vater geschlagen wird, und die Passanten gehen gleichgültig weiter; er hört das Kind weinen und den Vater brüllen.

Einige Oberpläne/Pläne: »Verhindere mit allen Mitteln, dass diese harte Welt erkennt, wie schwach du bist«; »Tue alles, damit du halbwegs ungeschoren davonkommst«; »Tue alles, damit du wenigstens ein wenig Anerkennung für dich abzweigen kannst«; »Verhindere auf alle Fälle, dass du dich blamierst, denn dann bist du erledigt«.

Mögliche Phantasie: Herr S. sieht sich unter einer Brücke sitzen und betteln. Er riecht schlecht. Die Leute kichern, wenn sie ihn sehen, rümpfen die Nase, halten sich die Nase zu.

R kognitiv: »Um Gottes Willen, wie peinlich!«

»Das kann ich nicht.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll, was er von mir erwartet.«

»Was denkt der jetzt von mir?«

Mögliche Phantasien: Herr S. sieht sich hilf- und ratlos an seinem Schreibtisch sitzen; er sieht sich mit glühend rotem Kopf und wackelnd auf seinem Stuhl, der mitwackelt; er sieht sich klein und schmutzig …;

er hört, wie der Chef schnaubt.

R physiologisch: Zittern, Erröten, Kurzatmigkeit

R emotional: Scham, Angst

R Verhalten: Herr S. entschuldigt sich mehrfach: »Das tut mir wahnsinnig leid«; »Wie konnte mir das nur passieren?«; »Reicht es Ihnen wirklich morgen?«; »Ich kann auch Überstunden machen, unbezahlte natürlich«.

C: Die Kollegen haben die Interaktion mitbekommen und schauen schweigend zu. Der Chef murmelt irgendetwas Unverständliches und verlässt den Raum.

Das Verhalten der Kollegen und des Chefs wird nun als zweite S erneut eine Reihe von R auslösen.

Ich wähle hierfür nur die mögliche R kognitiv: »So, jetzt ist es passiert«; »Die anderen lachen über mich«; »Ich habe alle Achtung verloren«; »Der Chef wird jetzt überlegen, wie er mich loswird«; »Wenn ich die Stelle verliere, habe ich keine Chance mehr«; »Hoffentlich konnte ich ihn mit meinem Verhalten besänftigen«.

Mögliche Phantasien: Herr S. sieht und hört die Kollegen versteckt prusten, sich gegenseitig anstoßend auf die Schenkel klopfen, mit dem Zeigefinger an die Stirn tippen; und er sieht, wie er seinen Schreibtisch abräumen muss, weil ihm gekündigt wurde.

1.3 Der Gegenstand dieses Buches

Wir alle sind ständig begleitet von inneren Geschehnissen, die visueller, sensitiver, akustischer und/oder olfaktorischer Natur sein können, die also aus dem Wahrnehmungsspektrum stammen. Wir sind ständig durchdrungen von inneren Bildern und Filmen aus der Phantasie oder der Erinnerung, aus echter Erinnerung oder konstruierter (false memories). Und sie sind immer Trigger für Gefühle und umgekehrt.

Diese begleitenden inneren Bilder sind uns aber meistens nicht bewusst. Wir sind in unserer Wahrnehmung auf die reale Situation konzentriert und wundern uns vielleicht, weshalb wir uns ängstlich fühlen, obwohl doch gerade kein angstauslösendes Ereignis stattfindet.