Innere Dialoge an den Rändern - Peter Handke - E-Book

Innere Dialoge an den Rändern E-Book

Peter Handke

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Beschreibung

(Deutsch)Im vielfältigen Werk Peter Handkes gehören die Journale gewiss zu den Büchern, in denen uns Leserinnen und Lesern der Dichter am nächsten kommt, auch in seinem »Ideal«, in der »Souveränität eines, der von niemandem etwas will, von niemandem etwas fordert, von niemandem etwas erwartet«. Seine über die Jahre gesammelten Aufzeichnungen sind ein Wunder der Literatur. Handke zitiert darin (auswendig) aus seinen Lektüren, aus Tolstoi, Goethe, Doderer, Simenon, aus der Apostelgeschichte u. a., blättert im bereits knisternden Griechisch-Deutsch-Schulwörterbuch, schreibt an der »Obstdiebin «, später an »Zdeněk Adamec« und an »Das zweite Schwert«, zweifelt, wundert sich, horcht, beobachtet mit zartem Blick seine nahe Umgebung und erdichtet wieder und wieder ein 11. Gebot. Wir dürfen ihn durch die Jahre bei all dem begleiten, auch durch die »Quarantänestille « der jüngsten Zeit.

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

© 2022 Jung und Jung, SalzburgAlle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung,Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehaltenUmschlaggestaltung: MEDIA DESIGN: RIZNER.ATeISBN 978-3-99027-186-5

PETER HANDKE

Innere Dialoge an den Rändern

2016–2021

ὥς ἄν τίς σε συναντóμενος μακαρίζοιAuf daß ein Entgegenkommender dich seligpreiseOdyssee, 17. Gesang

Inhalt

2016

2017

2018

2019

2020

2021

2016

»Und du bist meinem Geiste, was er sich selbst ist – / Immer als wenn meine Seele spräche zu sich selbst / … / Und mitgeborene Harmonien / In ihr erklängen aus sich selbst« (Prometheus zu Pallas Athene »Minerva«, in des jungen Goethe Worten [1773?], und ich am 6. Januar 2016 lesend als alter Prometheus, Προμηθεύς, »Vor- wie Nach-Sinner, -spinner«, sitzend auf einem Thron zerschlissener Kissen)

Der Dreikönigstag, das Fest der Epiphanie heute, als der Tag der Besinnung, an die winterliche Rückkehr vom Dorf seinerzeit, vor über sechzig Jahren, in die Fremde der Fremden, des Internats; verzehrt von Heimweh? Eher aufgezehrt vom In-der-Fremde-Sein – eine Auszehrung lebenslänglich, bis jetzt, am 6. Januar 2016, nachwirkend – lebenslänglich ausgezehrt (Ch., Haus, Dunkel; Nachwehen jener Auszehrung)

Zu dem, der seine Untaten, oder sein Ungutsein rechtfertigt mit dem »So bin ich eben!«: »Du lügst. So, wie du bist und tust, ist es nicht wahr!« (Zu »dem, der …«? – Ebenso zu »mir, der …«)

Ein Tagwerden im Tag, ein »Tagen« im Tag (oft erst gegen Abend): Sowie ich mich selber einhole, und verdoppele. – Und ein Doppelter werde? – Nein, ein Ganzer Jeder wirklich epische Traum gibt eine Lehre: über Orte-Erzählen, ein Ausschwingen, eine Entdeckung unbekannter, nie zuvor gesehener, unversehens geöffneter Räume, Rhythmus, die Überraschung ungeheurer Liebe, grenzenlosen Begehrens (Einfache Fahrt ins Landesinnere)

»Ein Gebet, das allein im Lassen besteht – weht – ergeht«

»Sich in Geduld fassen«: Ja, die rechte Geduld ist eine Art des Sichfassens – was sich aber so oft als Geduld gibt, aufspielt, sich sehen lässt, ist ohne jede Fassung(skraft)

»Was ist Ihr Beruf?« – »Ich habe viele Berufe, unter anderen den des Liebhabers.« – »Liebhaber von was?« – »Zum Beispiel von alten Hemden«

Ist nicht bei all der Überinformiertheit und Überkommunikation eine zunehmende Scheu in der Menschheit, wenn auch nicht die »gute alte«, vielmehr eine neue, wie böse – eine Scheu mit zugleich blicklos machenden Scheuklappen gegen den je Andern, vor allem an öffentlichen Orten, und nicht bloß in Wartezimmern und Aufzügen?

Das Licht einzuatmen: Gibt es das? Geht das? Zieht das? – Ja. »Aide-la retrouver la lumière!« (im Bittbuch der Kirche)

Ideal: die Souveränität eines, der von niemandem etwas will, von niemandem etwas fordert, von niemandem etwas erwartet

»Das Wort ›Verrat‹ hat seinen Sinn verloren« (»Aus der Nacht gesprochen«)

Ein Dichter erkennt den Anderen: Erkennen als eine Art wie Weise des Umarmens

»Leere« und »Leere«: Nur wenn die Leere sich als eine Frucht zeigt, in Fülle wie Form, ist sie »richtig«; Frucht Leere; fruchtige Leere

Von Zeit zu Zeit – zu allen heiligen wie unheiligen Zeiten – aufs Ganze gehen! – Ja, doch dabei nie selber das Ganze geben; dieses wird, oder kann, vielleicht, sich »von sich aus« dazugeben

Die Obstdiebin stiehlt nur Wertloses?

Schöpfer-Gott? Lasser-Gott? – Kein Widerspruch

»Denken«? Gültig, geltend, wirkend, schaffend, vor allem im Wegdenken

Ein anderes Tagwerden im Tag: Sowie ich ins Hören komme (wie »ins Gehen kommen«); »endlich höre ich« (auch nichts als das ferne Rauschen der Autobahn, daherkommend durch die Winterwälder); »ich bin im Hören«

Meine Art »Freiheitskampf«: Ich kämpfe, auf daß ich, kraft meiner Beschränkungen wie meiner Bedingtheit, sagen kann: »Ich bin so frei!« Und das wäre meine Art wie Weise der Freiheit

Tagen im Tag: Der Andere kommt mir in den Sinn (ins Sinnen). – Der Andere? – Mein Anderer

Deinen Ernst dem anderen nicht aufhalsen, auflasten, aufbrummen – vielmehr ihn ausspielen, hin zum andern. – Ausspielen? – Ja, aber nicht vollends, und das gilt für Schreiber wie für Schauspieler

»Sprachwitz«? Die Sprache selber, sowie sie Sprache wird – ihren »Namen verdient« – ist Witz

Daß du ein »schweres Leben« gehabt hast, gibt dir keine Ermächtigung, das Leben eines andern, gleichwie es dir erscheint, geringzuschätzen

So viele Witwer und Witwen in Goethes Erzählungen (»Mann von fünfzig …«): So war es eben seinerzeit?

Die Mädchenheldin der »Einfachen Fahrt …«: Es drängt sie, die Generationen vorher zu ENTSÜHNEN

Ja, »Reue« ist nur jene, die tätig wird, die »tätige«. Aber ist nicht auch schon das Ausdrücken und Aussprechen der Reue, insbesondere vor demjenigen welchen »tätige Reue«?

Das Gegenteil von Zufriedenheit ist nicht Unzufriedenheit. – Sondern was? – Weiß nicht. Wer sagt es mir? Wer singt es mir?

Auf daß ich nie vergesse, wie ich mein Leben lang gezittert habe um die Meinen. – Die Deinen? – Ja. – Gezittert? – Ja, alles sonst wurde da schändlich nichtig

So lange schon die ungeschaukelt hängenden Schaukeln im Nachbargarten. – Die Kinder von einst sind eben keine Kinder mehr. – Ja, es hat sich ausgeschaukelt

Aufschwung der Trauer, universell

Immer wollte ich retten. – Und wen oder was hast du gerettet? – Niemand und nichts

»Ich muß draußen bleiben!« (Auf andere Weise als zum Beispiel die Hunde)

Da tat ich das Einzige, was in meiner Macht stand: Ich bog ab zu meinem Kind« (»Aus der Nacht gesprochen«)

Eine Unvergleichlichkeit: Wie eine Spinne, angeblasen vom Wind oder sonstwem, sich einrollt

Künstler: Bei dem der Staub der Welt, der angewehte, der Flugstaub, sich transformiert und Gestalt annimmt

Es gibt keine Nebenerscheinungen. Oder so: Gerade an den Nebenerscheinungen, da erscheint’s – Was erscheint? – Es

Seltsames Paradox: Die Freude, die für mich zählt – die »sich auszahlt«, »sich rechnet«, ist Freude über nichts und wieder nichts. Paradox, oder auch nicht?

Das Mondlicht auf der Erde im Rauhreif: eine Harmonie, wo nichts Einzelnes mehr unterscheidbar ist – und so beinahe »dräuend« –; nichts mehr zu entziffern, nichts zu umzureißen – als ob das Chaos, die Chaos-Formen im Gegensatz zu diesem Mondlicht im Rauhreif eine Art von Vis-à-vis sein könnten, ein fruchtbares, etwas zu Erforschendes

Manchmal im Aufblick das »Erbarme dich meiner!« als Gebet um Jetzt

»Er wird immer weniger!« – »Respekt!«

»Wo ziehst du’s vor: auf der Sieger- oder Verliererstraße?« – »Wenn möglich, auf keiner von beiden. Aber wenn’s anders nicht geht, auf der Verliererstraße«

Mein Animismus: zu unterscheiden zwischen »gutmütigen« und »bösartigen« Zwirnfäden

Das Eislaufen zu Goethes Zeit vor 200 Jahren, und das jetzt: ziemlich anders und genau gleich. Und in 100 Jahren? Ebenso. – Und die Welt? – Ziemlich anders und genau gleich

»Dorfheimat« – wie? – »Es war dort ein schönes Reden«

»Sorge dich nicht!« sagte die sorgende Mutter zum ewig sich sorgenden Sohn

Ruhe: mein Auge als Auge der Wasserwaage, genau in der Mitte

»Heute hab’ ich was Liebes gelesen. Heute ist mein Tag!« (Gasthaus)

»Ja, meine Lieben, jetzt geh’ ich heim zu meinem Hund, der ist schon lang allein.« – »Einen Hund kann man fünf Stunden alleinlassen« (Gasthaus)

»Du verstehst keinen Spaß.« – »Ich bin halt ein unguter Mensch« (Gasthaus)

Daß ich den Schmerz, den mir eigenen, den so fruchtbaren, so wenig, so kurz nur halten und fruchten lassen kann, und gar zu bald, zu voreilig, mit ihm, meinem Schmerz, ostentativ werde …

Philosophie, philosophische Haltung, ist allein die, welche mich zur Besinnung bringt – ob das die epikuräische Haltung ist (»die Freundschaft umtanzt den Erdkreis«), die platonisch fragende, die aristotelisch analysierende, usw. – Auch die kynische, zynische? – Auch sie, gerade die! (»Geh mir aus der Sonne!« Jetzt!)

Rechtes Lesen: Die Rahmen, die vergoldeten, der Bilder im »Leseraum« beginnen zu leuchten – auch wenn sie gar nicht vergoldet sind. – Rechtes Lesen? – Ich bin, jetzt, rechtens, ich bin der Leser!

Prototyp des unbegabten Menschen: der Fraglose

»Die schweren Schritte der Prinzessin Marja«: wie wenig Tolstoi braucht für eine Tiefengestalt

Gewissenserforschung im Erwachen: »Wen habe ich gestern gekränkt?« – »Niemanden – außer den einen im Traum«

»Bist du Mitglied einer Sekte?« – »I wo. Oder doch: der Blue-Mountain-Sekte. Nur bin ich bis heute noch keinem anderen Mitglied begegnet«

Leo Tolstoj: ein Mann wie nur je einer, und zugleich war Tolstoj eine Frau

Der Vaterlose: Seine bleibende Vorstellung, oder Einbildung, alles, was ihm vorschwebt, werde sich erfüllen, soll sich erfüllen

Was wartest du auf das Blühen? Jetzt blüht es, jetzt ist das Blühen, die Blütezeit, auch wenn nichts blüht (außer den Haselkätzchen)

Immer noch ist zeitweise alles in mir Schuld, Schuld am gekrümmten Daliegen meiner Mutter auf der Küchencouch bis zur Schuld jetzt am Außersichgeraten, dem hilflosen, meines Kindes

»Für mich wird alles zum Problem.« – »Des freue dich!«

Schreiben auf Kriegspapier in Friedenszeiten / Schreiben auf Friedenspapier in Kriegszeichen (Einfache Fahrt …)

Ein anderer Mondrian: das Nachbild des Fensterkaros, dunkel-helles Rechtecke-Muster, farblos

Variante: Die Träume haben mich noch jedesmal gerettet (geborgen) aus dem Malstrom des Todesschlafs. – Auch die Alpträume? – Ja, indem sie mich aus dem Malstrom des Todesschlafs jählings ans Land warfen – ans Land des Erwachens. – Achtung, Genitivmetaphern. – Und wenn?

Verb zu den Nachbildern (siehe das mondrianische der Fensterkreuzsprossen): Sie »begütigen«, auch noch im Schwinden und Verblassen, vor allem da

Der Rückwärtsgeher (Gestalt »Einfache Fahrt«)

»Aber hie und da auch Kleinigkeiten / Außerhalb des Gesetzes« (W-Ö Diwan)

Die regionale Geschichte (Vexin/Picardie) studieren? – Ja, aber um etwas ganz anderes, grundanderes zu erzählen (Krieg im Frieden, Frieden im Krieg). »Die Wahrheit zu erzählen, ist sehr schwer« (nach Tolstoj) – vor allem im Krieg – und so erzählt Rostow, ohne es zu beabsichtigen, das Falsche zur Schlacht von Schöngrabern

Morgengruß, an gleich wen: »Wie schaut’s aus?« – Und französisch? – »Comment ça se présente?« (»Wie gestaltet sich’s?«)

Die blassen Gedanken, die farblosen, sind keine – sind nicht. Aber sowie sie sich färben, röten, blauen, grünen, unterlegt selbst mit Sichschwärzen und Grauen: Willkommen, Gedanke!

»Energisch schlug er mit den Flügeln, bis er merkte, daß er keine hatte. Hilflos schlug er weiter« (So »Einfache Fahrt …«)

Rein in der Gegenwart leben, ganz ge(gen)wärtig sein – und mithilfe der Gegenwart und des Gewärtigseins erzählen von jenem »ganz anderen«. – Ganz anderen?

An den Nachbildern entdecken und erforschen, erst an ihnen, was im einzelnen, in den einzelnen FORMEN, Bild war, und ist (anderes »Blow up«)

»Es war zu merken, daß sie das, was sie jetzt sagte, schon früher gesagt hatte, unter Tränen« (Krieg und Frieden)

Vergleich für nichts Vergleichbares bei Tolstoj: »Wie ein Hase, von Hunden umringt, mit angelegten Ohren in seinem Lager liegen bleibt«

Pierre und Marja in »Krieg und Frieden«: Sie sind die Ungeschickten, die »Danebenstehenden«, als die wahren Helden (und so möge es auch bei der »Einfachen Fahrt …« zugehen: die »Unselbstverständlichen«)

Steigerung: Gerechter Mensch → rechtlicher Mensch (Erfüllung und Verwirklichung des Gerechten)

»Tertium non datur« der Logiker? Nichts ist gegeben, auch nicht das »Primum«, auch nicht das »Sekundum«, höchstens, dann und wann, eine »Sonderzahl« (im Blick auf die Zeder im Wind: Sie ist mir nicht gegeben, ist nicht »meins« – samt Mahlen im Wind ist sie mir keine »Gegebenheit«)

Eine meiner täglichen Ansprachen an mich selber: »Und jetzt sag du!« Oder: »Und was meinst du?« Oder einfach: »Und du?«

Bei Tolstoj sind alle seine Helden mehr als sie erscheinen, tönen, sagen, handeln – oder jedenfalls auch noch ganz andere – und darauf ist Verlaß – und das ist das natürlich Epische

Bei manchen Weißhaarigen: »gerettet«. Aber wozu? Wohin? (»Die sinnlos Geretteten«)

Islamisten, vor allem junge: »Busy being born to kill«

Manchmal, etwas im Stillen Gedachtes aussprechend, ihm eine Stimme gebend, geht mir auf … – Daß es nicht »stimmig« ist? – Nein, nicht »stimmt«

Ich, jetzt Anteil habend an meinem Licht, jetzt Teil meiner Finsternis – jetzt neu Teil meines Lichts – jetzt Rückfall in meine Finsternis – und so vergeht meine Zeit auf Erden (14. Febr. 2016, 1. Fastensonntag)

»Und«: Werfen und (Er-)messen. Wirf so, daß du zugleich (den Raum) ermißt; »zärtlich will geworfen sein«

Gibt’s denn das: einem Strauß von Gänseblümchen in einem Marmeladeglas zu salutieren? – Das gibt es, denn ich habe es erlebt (für Heimito von Doderer)

»Wortbild entzündet, Liebe schürt zu« (Rustan und Rodawu)

Ich habe zu lesen, ich bin, fürs erste, in Sicherheit (nur so ist Lesen)

Verb zu den ersten frischgrünen Grashalmen im Vorfrühlingswind: sie »flügeln«

Noch einmal »Gänseblümchen«: Jede der Blüten ist zugleich eine Rose

Eine andere Heimat: in der Schneeflockenkurvenkonstante; mich mit Leib und Seele in diese Kurve, diese Konstante legen – schmiegen

»Was ist dein nächstes Projekt?« – »Vorösterliches Fensterputzen«

Eins der Elften Gebote: »Tagtäglich übers Land gehen!« (Picardie)

»Flughafenluft«: Oxymoron

Er schaute, schaute, und schaute, und dachte dann: »Eigentlich müsste man viel mehr schauen«

Einsamkeit: etwas so anderes als das (in allen Sprachen) klingende Wort. Einsamkeit heißt Verstoßen sein, Verlassenheit, Weltverlust – ohne daß jemand Zweiter oder Dritter den Vereinsamten eigens verlassen oder verstoßen hätte. Einsamkeit ist kein Gefühl, ist ein Un-Gefühl, eine (unumstößliche) Tatsache

Manchmal in »Krieg und Frieden« verwandelt sich Diogenes, der Kyniker, in den Erzähler T. – Und dazu fragte ich mich gerade: »Wie kann ein Mensch solch ein Werk bloß alleine schaffen?« Und gab mir dann die Antwort: »Solch ein Werk kann ein Mensch nur alleine schaffen«

Die Gedanken »einen«? – Nein, sie »umspannen«

Der Heimatlose: Alle haben ihn aus den Augen verloren – recht so

In »Krieg und Frieden« wird viel geschrien (und gekreischt), vor allem im Frieden

»In diesem Buch kann ich nicht zu lesen aufhören.« – »Kein gutes Zeichen«

»Wenn der Soldat auf Urlaub nach Haus kommt, trägt er das Hemd wieder über den Hosen« (Krieg und Frieden)

Die nächtlichen Reden, die so klar artikulierten wie unverständlichen, seinerzeit des Knechts allein in seinem Verschlag, der etwas von einem Baumhaus hatte, vor bald siebzig Jahren, quer durch das ganze, sonst schlafstille Dorf, selbst die Tiere in den Ställen still schlafend, ein Schallen, das dabei ganz für sich blieb; jetzt noch, hier im anderen Land, im innersten Ohr weiterschallend, als Nachhall Jakob Böhmes und dessen Hall Gottes (Einfache Fahrt)

Die mich am tiefsten ergreifenden, die universellsten Passagen in »Krieg und Frieden«: Wenn Tolstoj erzählt, auf welche Weise jemand anderer erzählt, redet, stottert, stammelt

»Als [dem Sterbenden] gesagt wurde, er möchte den Knaben doch auch noch segnen [nach dem Küssen], da tat er auch dies noch, und blickte dann um sich, als wollte er fragen, ob es vielleicht noch etwas zu tun gäbe«

Der Kindesentführer vor Gericht: »Das erste, was ich dachte bei seinem Anblick: ›Es ist ein Kind, und das wird mir wenigstens nichts Böses tun!‹«

»Den Gruß des Unbekannten ehre ja! Er sei dir wert als alten Freundes Gruß … / Drum grüße freundlich jeden der begrüßt« (G.)

Zwei Arten von Reue: die Reue über etwas, das ich gesagt / getan habe – und die Reue über etwas, das ich nicht gesagt / getan habe

Beim Lesen von »Krieg und Frieden« geht mir auf, daß Kafkas »Schloß« und »Prozeß« die bislang ersten und letzten Darstellungen der universellen Menschengeschichte sind – und nicht die Geschichte von mir und dir, von uns je einzelnen (→ Einfache Fahrt …)

Brechendes Herz – guter Tod; »mein Herz bricht.« – »Guter Tod«

»Frage nicht, durch welche Pforte / Du in Gottes Stadt gekommen, / Sondern bleib am stillen Orte, / wo du einmal Platz genommen«

»Ich kam zu den Meinen, aber die Meinen haben mich nicht erkannt!« – Gilt für mich jedoch nicht eher, wenigstens zeitweise: »Ich kam zu den Meinen, und ich habe die Meinen nicht erkannt!«?

Tagwerden im Tag: Eine Sorge-für-nichts-und-wieder-nichts erkennen

Die Geheimnisse und Abenteuer der Nähe, der Dinge, Winkel, Wesen in der Nachbarschaft

»Malte Laurids Brigge« lesend: Auf Rilke trifft besonders zu, was ich einmal von falscher Prosa dachte, und jetzt wieder denke: »Es gibt keine wahren Sätze inmitten von falschen« (auch wenn, bei Rilke, dann und wann ein Satz als »wahr« frappiert)

Nichts geht über einen Feldweg, kein Zöllnerpfad auf Klippen hoch überm Meer, kein Gipfelsteig in Himmelhöhen

»El cuerpo busca otro cuerpo desconocido« (María Zambrano) (Der Körper sucht einen anderen unbekannten Körper)

Ausruf: »Ein neuer Weg!«

Andrerseits doch Rilke: »Junger Mensch irgendwo, in dem etwas aufsteigt, was ihn erschauern macht, nütz es, daß dich keiner kennt« (ich, ≈ 1962 an der Mur; an den Peripherien)

»Du gehst mit jedem um, du sprichst mit jedem wie zu deinesgleichen.« – »Ist das ein Lob?« – »Im Gegenteil.«

Erwarte nichts vom Fluß im Hinschauen auf ihn. Oder doch: sein Fließen

Steigerung: »Ich frage.« →«Es fragt sich«

»Verinnerlichen« muß nichts von »Flucht« oder »Ausflucht« haben. Es kommt darauf an, was und wie du verinnerlichst. – Eingedenk werden all des Guten und Liebreichen – und eingedenk bleiben

Erschreckendes »Plötzlich«: Plötzlich habe ich nichts mehr zu lesen (Tolstojs Versagen im Epilog zu »Krieg und Frieden«, durch und durch: nichts mehr zu lesen)

Daran, daß ich merke, ich habe einen (1) Menschen sträflich übersehen, erkenne ich zugleich: Ich habe »eine ganze Reihe« sträflich übersehen

Andacht des Essens, Speisens: Kehr wieder! – Aber habe ich sie je erlebt? – Doch: zur Zeit der »Langsamen Heimkehr«

Gesundes Selbstvertrauen? Ja. Dagegen: kranke Selbstzufriedenheit

An manchen Morgen, immer noch, wie neugeboren. – Neugeboren? – Umgeboren

Statt »Es muß alles anders werden!« sag: »Ich muß alles anders sehen!«

Und doch wieder: Tolstoj weckt die stumme Orgel in mir? Oder nur die angestammte Maultrommel? – Warum ›nur‹?

Einer der Hauptanstöße zum Aufschreiben: das Ergriffenwerden festhalten, weitergeben, überliefern

»Stets den Tag des Tages versäumt« (G.)

Gegen den Lebensekel (taedium vitae) gibt es Mittel. Gegen die Verzweiflung dagegen –

»Alles Hoheitsvolle muß ja naturgemäß von Einsamkeiten umschwommen sein« (Robert Walser). Und dann: »Sämtliche Nichtschaffenden wissen haargenau, wie man schaffen muß, bloß noch die Schaffenden selber zieren sich«

Erwacht vom Biß eines Regenwurms ins Bein

Zum Schönen gehört, daß es auch das Dramatische einbegreift

»Femme sérieuse et active cherche …« (Arbeitssuchzettel an einer Bahnhofsplatane)

Ernst: Sowie aus der Sucherei Suche wird (Einfache Fahrt)

Seit ich mich selber kenne, fürchte ich die Tiere

Wildes Beten (für die Meinen): Manchmal bin ich nah dran

Ich als Zeitungsleser: die Herzlosigkeit? – Nicht immer

»Wisse, daß mir sehr missfällt, / Wenn so viele singen und reden! / Wer treibt die Dichtkunst aus der Welt? / – Die Poeten!«

»Er genoß seine Langsamkeit wie eine Melodie« (Robert Walser)

Ich bin vollkommen bedürfnislos! – Du Schande!

Niemand weiß, wie bedürftig ich bin – niemand ahnt meine Bedürftigkeit – es sei denn »Gott Niemand«

Ah, den ersten Zitronenfalterflug versäumt! – Wann fliegt der nächste? – Morgen um dieselbe Zeit – nein, zwei Minuten früher. (Und dann:) Ah, da ist er ja! Verspätet, aber doch! (Und danach:) Baby, come back!

Mich verlesend, las ich statt »Schmerzensschrei« »Schaffensschrei«

Seltsam, wie all das Hundegebrüll, -geheul, -getobe, -gekeif (nichts von Menschen zu hören tagelang) mich zum Menschenfeind macht. Seltsam? Menschenfeind?

Temperatur heute vormittag: »2° unter der Zitronenfalteratmosphäre«

Existenz, Existieren pur, still: Mein Kopf, mein Schädel, wird als ganzer Stein / Fels des (Be-)Denkens, wird Denkstein, Bedenkfels, existenzfüllend, jenseits von Freude und Leid

Das »Faß!« der Hundeleute ist was anderes als mein »Faß!« vor einem Buch

Statt »Souveränität« sag »Überschau«. – Wo ist (heute) der, der überschaut? Der Überschauende? (nicht: der »Überschauer«)

»Schau, schau – nichts als blau!« (Der Himmel heute, 14. März 2016)

Ethik des Lesens: Sich gutlesen. – Samt Zorn? – Samt gutem Zorn. – Auf dies Gelesene? – Iwo – auf die Gegebenheiten. – Gegebenheiten? – Finde ein besseres Wort!

»Es ist lange her, daß ein anständiger Satz im Englischen gebildet wurde. Wir werden systematisch gemeiner« (Henry James an R. L. Stevenson)

Das Gekeife, -schrille der Köter, es zerstört nicht nur das Gehör, sondern alle anderen Sinne, das Sehen, das Tasten und – speziell – das Schmecken. Seltsam?

Alles, was ich mir gewünscht habe, ist in Erfüllung gegangen? – Ja. Denn ich habe es mir selber erfüllt

Frage an ein Kind: »Was denkst du von mir?« (Einfache Fahrt …)

»Anspruchslosigkeit ist eine Waffe, vielleicht eine der glänzendsten« (Robert Walser)

Es verlacht mich jemand – doch ich fahre fort mit Schreiben, von der Sanftheit der Kälte (kein Oxymoron) des Spätwintertages umzittert

Mich zu überarbeiten, verbietet mir die Idee der täglichen Arbeit

Ich fühle mich neuerdings so befristet. – War das nicht seit jeher so? – Das Befristetsein? – Das Gefühl davon. (Palmwedelsonntag)

Wahn der Entzweiung als Triumph, laß ab von mir. Wahn der Entzweiung als (Er)lösung: nimmermehr! (Einfache Fahrt …)

Vivent les pères petits! Es leben die kleinen Väter! – (für Luc Bondy)

»Meine beiden Ziele: 1) Krieg dem Adjektiv! 2) Tod dem Schmerz! (R. L. Stevenson nicht lang vor seinem Tod) → »Zugegeben, literarisch leben wir im Zeitalter des Schmerzes. Doch wie viele Jahrhunderte kam die Literatur ohne … aus?«

Das mir entsprechendste der Dankgebete: »Danke, Erscheinungen!«

Der Tod eines Lesers, eines einzigen Lesers, war immer ein schwerer Verlust – anders schwer (für Luc Bondy)

Moment des Tagverlöschens am Tag: Sowie ich die Geduld verliere

Ideal: Wo ich sitze, stehe, sehe, ist alles zur Hand

Der in der Sonne Lesende: »forever young« (ohne Extra-Sonne)

Das Rot des Rotkehlchens in der Frühlingssonne: »Röter geht’s nicht« (Rotkehlchen, tagelang still schwirrend um mich herum: Leib- und Seelwächter)

»Der Gleichrangigkeit von Bild und Wort gerecht zu werden, ja auch dem Maß u. Material, der Farbe und dem Rahmen, dem Ort – um den tiefen und hohen Ton alles Ewigbleibenden zum Leben zu bringen« (Fritz Schwegler)

Du bist zu ernst! – Man kann nicht ernst genug sein Viele schöne Tage habe ich erlebt? – Eher Halbtage

»Niemand kann sich glücklich preisen, / Der des Doppelblicks ermangelt«

Was wollen sie bloß, die armen Hummeln, wenn sie im kalten ersten Frühling gegen die Fenster prallen, bevor sie tot, erfroren, ins Gras fallen? – Ja, sie wollen etwas, es ist ein Wille in ihrem Vorstoßen gegen die Scheiben

Nichts ist zu gewinnen, aber alles ist zu verlieren, und so vergeht das Leben

Einfache Fahrt: Die Obstdiebin sieht alle alten Bauten (Schlösser, Kathedralen) frisch im Bau

Einfache Fahrt: das Himmlische Jerusalem in der Folge von Kleinstadt-, auch Dorffassaden

Was für ein schöner Weg! – Ein Weg kann nur schön sein. – Ein jeder? – Ein jeder

Der gute Widerstand in mir: heraus aus mir. Und der ungute: in mich hinein – Verjag diesen Teufel in dir! Exorzier ihn!

Das Sichsträuben der Weide- Hasel- etc. -kätzchen, es gehört zum »Heilsplan« (erstmals kam mir dieses Wort in den Sinn)

Statt »braun«, »grün«, »gelb« sag dann und wann, da und dort, einfach »moosfarben«

Ich bin am Verschwinden: Ideal (Einfache Fahrt)

Immer wieder mein: »Ich bin nicht würdig, daß ich eingehe unter mein Dach«

Man muß gut sein. – Aber das ist unmöglich. – Ja, aber man muß gut sein!

Alles an mir ist Frucht der Einsamkeit. Und so oft ich nicht einsam bin: Schuldgefühl. Oder, in 1 Wort: Uneigentlichkeit

Mein ewiger Refrain: »Ich würdige nicht genug!«

Eine meiner Unfähigkeiten: mir helfen zu lassen, von Kindesbeinen an

Mein Buch-Ideal: ganz Frucht, ganz Kern (Frucht und Kern in eins)

Ach, ihr Zeitgeschichtler! Ah, dagegen die Geschichte ZEIT (Einfache Fahrt)

Die luftige Morgenwolke in Gestalt eines Weißkopfgeiers im Blau

»Der Mensch, von dem ich spreche, der will nicht sein Glück. Er will seine Freude, und seine Freude ist nicht von dieser Welt, oder zumindest nicht ganz und gar« (Georges Bernanos)

Nach den dummbeengten Träumen der Nacht vor dem Fenster das Blauen des Himmels: »Das ist etwas anderes!«

Die Platanenkugeln vom Vorjahr baumelnd im frischen Grün: »Bald hat sich’s ausgebaumelt«

Werbung für einen Fernsehkanal: »Vous êtes au cœur de l’lNFO« (Sie sind [bei uns] im Herzen der Information); die Information hat demnach ein Herz? Sursum corda!

Das Gelb der Löwenzahnblüten: ein Ganzgelb – ein »Durchgelb: wie durchnaß«

Goethes Suleika-Hatem-Geseufze wäre erträglicher, handelte es sich um Kinder-Vater-Mutter-Sehnen-Schmerzen-Freuden? (»Ach, was ist die Nacht der Ferne / Für ein Abgrund, für ein Schmerz!«) (Das Wort für »Ach!« fehlt in meinem, dabei doch umfassenden, arabischen Dictionnaire …)

»Genauigkeit«: führt, entartet zu Ideologie. Oder sie ist schon von vornherein ideologisch? Die Ideologiefalle »Genauigkeit«, hüte dich vor ihr

In den Kaffeesud mich vertiefend, tauche ich weg – in die Vergangenheit – habe wieder vor mir das Tiefblau der Blume »Frauenschuh« im Schatten des Bildstocks vor der Dorfkirche

Das Gift der Zeitungen, genährt von meinem eigenen Gift?

Tatsache / Wirklichkeit: z. B. tritt die Stille erst »wirklich« ein, wird sie erst »wirklich«, wenn sie als »Tatsache« schon länger eingetreten ist

Zu »Angst« gehört auch der Verlust des Geschmacksinns; »die Geschmacklosigkeit der Angst«

»Unwahrscheinliches, mache dich auf die Beine und werde rege« (Robert Walser)

Kein Meer wird die Obstdiebin retten – ihr beistehen auf ihrer Fahrt – ihr aufhelfen – einzig ihr INNERES MEER – ihr innerer Ωκεανóς

Ich, Essenzialist, mit nοch und nοch Neben- und Umweg-Essenzen

Vor den tanzenden Säulen der Winzfliegen quer durch die Lüfte: Ich möchte sie »dirigieren«, lenken, leiten – und merke: sie dirigieren mich. Dirigiert mich weiter!

»Die Welt ist voll von Elenden, die ihr enttäuscht habt« (Georges Bernanos)

»Schäm dich!« sagte er immer wieder zu sich selber. Aber die Scham blieb aus

Eine andere Unvergleichlichkeit: das unvergleichlich zittrige Flattern der Wildkirschenblüten (kein Wunder, daß die Früchte dann so klein sind …)

Und noch eine Unvergleichlichkeit: das Rot eines Marienkäfers auf dem schwarzen Schuh in der Sonne; der Schuh als Flugzeugträger – und jetzt schwirrt Rot ab

»Erzähl von der Wohltat Deines Herrn!« (Gott zu Mohammed) (Ja, erzähl!)

»Ich war ja nie so recht auf dem laufenden« (Aus der Nacht gesprochen)

Was ist für mich wirklichwahres, wahrwirkliches Schreiben: »Auf ins Land!« (Schreiberwappenspruch)

Du bist heute so mißmutig! – Jα. Aber ich lasse mir den Mißmut nicht gefallen. Es ist nicht mein Mißmut. (Und außerdem versündigt sich der gegen das Heute. – Versündigt? – Versündigt)

»Klinkenputzen«, ja! Aber nur im eigenen Haus

Vor dem Bahnhof stand ein »Abgerissener« und vollführte einen Knicks vor der Sonne. Es schien bloß so? – Und wenn

»Soundless as dots (Flocken) on a disc of snow« (Emily Dickinson)

Immer wieder: »Ich Kleingläubiger«. So wie ich vor Wochen glaubte, der Kirschbaum im Garten sei abgestorben – und jetzt steht er, schwebt er, wolkt er in voller weißer Blüte (Oλιγοπίστος, danke, Karl Schenkl für Dein Wörterbuch 1886!)

Genauigkeit des Vagen – solche, ja; ohne Ideologie (Leitfaden für »Einfache Fahrt«)

Die einen wollen Mond und Mars erforschen, die andern die Flugbahnen der fallenden Kirschblüten im Wind und in der Windstille (auch wenn es daran nichts zu erforschen gibt)

Die Energie des Gleichmuts; unvergleichliche, reinste Energie: Ich nutze sie zu selten? Aber »Gleichmut« geht Hand in Hand (sic) mit Energie doch nur, wenn es der Fall ist, wenn’s dramatisch, fraglich, »kippig« wird? So ist sie, die Energie des Gleichmuts, von Natur die Seltenheit der Seltenheiten? (Auf zum Letzten Epos !)

Das Wortbild »Kreuz und Quer« einmal leibhaftig, »in Person«: wie jetzt das Kreuz und Quer der zwischen den Ästen und Zweigen des Kirschbaums springenden Hagelkörner

Abu Dschuhl (= der Dumme) zu Mohammed nach dessen »Nächtlicher Reise«: »Gut erzählt! Aber wir wollen von dir keine Nachricht vom Himmel oben, sondern vom Heiligen Haus auf der Erde«

Wie lang hat’s gedauert, bis mir von allen in Vasen gesteckten, »eingefrischten« Blumen gerade die Gänseblümchen die er«frischendsten«, die erfreulichsten geworden sind! Eine besondere Vase für dies liebe weiß-und-gelbe Gedränge finden!

Einfache Fahrt: Im Knarren von Treppenstufen die Stimmen der Vor- und vor allem Nachfahren

Das Unbewußte – oder wenn es »das Unwillkürliche«? – spricht prophetisch, doch nicht im Sinn einer Prophezeiung auf die Zukunft gerichtet, sondern? – auslegend, ohne zu klären; verdunkelnd, aber / und auslegend; verdunkelnd auslegend; vage-genau

Wieder zu Rilke: Die eigene, höchsteigene Sprache Rilkes ist nicht kritisierbar. Sie ist, als Rhythmus, Bild, Metaphorik zu lesen; zu hören als prophetische

Das WAHRE GESICHT: sanfte, weltoffene Panik

»Begehren des Begehrens des Andern« (Liebe, nach Hegel)? Erwägen des Weges des Anderen

Verb zum Lesen: Es »nährt«. Womit? Mit Innigkeit. Auf zum Lesen! Einkehren zum Lesen!

Der angewitterte Bleistift auf dem verwitterten Gartentisch: Was will ich mehr?

Mancher Schatz, vor Augen unbeachtet, vergessen, wird Schatz erst im Entferntsein? »Wird« Schatz? Rückt heran, leuchtet auf, ziseliert sich, kristallisiert sich

Betrachtung der letzten Sainte-Victoire-Aquarelle Cézannes, von Les Lauves aus. Das liebe Monster der Freude regt sich, plustert sich, »schüttert« in mir

Unsichtbar vorbeifliegender Kuckuck, rufend da, dort, vorn, hinten, nah, fern: die Sphären, die er so läßt in den Lüften

»Und«: das lautlose Flimmern des Birkenlaubs und »dortselbst« das lautlose Hin und Her eines Rotkehlchens

»Reim«: Morgenstund’ / wiederholt den Bund / (mitsamt dem Tau auf der Eichelhäherfeder)

Wieder Cézannes letzte Aquarelle: im Betrachten fangen die Wasserfarben, die seit der Schulzeit eher gefürchteten, an, mir ans Herz zu wachsen

Beiwort zu den blühenden Glyzinien im Mai: »blickfüllend«

Der Schatten des Palmwedels zittert im Wind stärker als der Wedel »in Person«

Zwei Farben, die einander ergänzen: Eindruck von Herzlichkeit. – Selbst bei den zwei verschiedenfarbigen Socken? – Selbst da. Gerade da. Hoch die verschiedenfarbigen Socken an den Füßen!

»Mönche … / Die sich gleißnerisch verstecken, / Wenn Dein Herz du offen trägst« (W-Ö D.) (»sich gleißnerisch verstecken«: kein Oxymoron, sondern Tatsache)

Kinderstimmen, selbst -geschrei, von weitem: als käme es von oben, aus den Höhen; tönende Früchte, in gleichwelchen Luftbäumen: »das merken und nicht vergessen!« (wie Kaspar Hauser sich einbläute)

Ohne Freude keine Folge, und das gilt fürs ganze große Leben – : für die Stetigkeit, für die Folge der Freude sorgen!

Wehe dir, wenn du in Zeitnot gerätst! – Warum ›Wehe‹? Ist die Zeitnot denn meine Schuld? – Ja.

Wehe! Und wohl dir, wenn du Zeit hast! – Warum ›Wohl‹? Ist das Zeithaben denn ein Verdienst? – Ja, wohl dir, der du Zeit hast! Zeitnot, Schluckauf der Seele

Vorsommerwind, Heimtransporteur. – Heim wohin? – Heim.

Großvater, Speiteufel meiner Ungeduld; Mutter, Patronin meiner Geduld. – Und die Großmutter? – Unerreichbare, nicht anrufbare Heilige der Geduld

Die Evangelien sind wahr? Sie sind mehr als wahr – hirnrissig, im besten Sinn

Mutwille statt Mut: nur kein Mutwille!

»Dichten ist zwar Himmelsgabe, / Doch im Erdenleben Trug // … Dichten ist umsonst verschwiegen. / Dichten selbst ist schon Verrat«

Im Hören der Evangelien: Ich denke mir meinen Teil, und mein Teil wird mitgedacht

Eine Art Tod: vom Wissen sein Leben bestreiten

»Und«: Freude und Erkennen (Erkenntnisschub, -ruck); in den Freudenaugenblicken halte Anschau – innere – nach der Struktur, einer Form

Habe ich das nicht schon ähnlich notiert? – Und wenn … Hat mich das nicht schon einmal, ja öfter, angeflogen? – Und wenn … Flieg an, flieg weiter an!

»Sind Sie der zehnte Juror?« (Aus der Nacht gesprochen)

Ich muß »amtlich« werden. – Aber wie? – Ja, aber wie?

Ich will nicht mehr lesen, ich will endlich zu was Eigenem kommen. – Ohne Lesen wirst du nie zu was Eigenem kommen

Verirrt, verloren! – Aber ich bin doch noch immer nachhause gekommen. – Verlaß dich bloß nicht darauf!

Die Toten herbeirufen, geht das? – ja, wenn du dich selber mitrufst

Wann merke ich, daß es, trotz allem, eine WELTORDNUNG gibt? Wenn jemand sie kränkt – sie gekränkt wird. – Nur dann? – Nein, aber dann wird mir das besonders klar

Schreiben als »Handwerk«? Ja, doch: den verborgenen Handwerker in sich werken lassen – aber ohne sich mit ihm nach außen hin umzutun

Tagwerden im Tag: mit dem Aufwallen, tiefinnen, einer Festlichkeit

Noch einmal »Rechtlichkeit«: als die überpersönliche Fülle der Güte

Noch einmal »das sanfte Werfen«: der Nachklang des sanft Geworfenen

Einfache Fahrt: einen lieben Toten einladen »zu mir in Haus und Garten«

»Morgen nach Kragujevac!« – »Und was dort?« – »Schlafen, wie überall« (Aus der Nacht gesprochen)

Und noch einmal zu Rilke: ihn lesend, möchte ich ihm immer wieder ins Wort fallen: »Hör auf! – jetzt!«

Der Augenblick als »Chance« (wie »Schanze«)

Eine Art Stolz immerhin: Ich habe nichts beigetragen zum Fortschritt der Menschheit

»Täglich höre ich RADIO ALL und wünschte, eines Tages auch ein Stück All beizutragen« (Aus der Nacht gesprochen)