Die schönen Tage von Aranjuez - Peter Handke - E-Book

Die schönen Tage von Aranjuez E-Book

Peter Handke

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Beschreibung

Personen: Eine Frau, namenlos, ein Mann, namenlos: das Paar schlechthin. Sie treffen sich, um über die Liebe zu reden, die erste Liebe, darüber, was Mann und Frau fühlen, wenn sie miteinander sind. Sie reden darüber, wie man über die Liebe redet. Und wer über die Liebe redet, der redet unweigerlich von der Natur, von der Geschichte – von dem, was dem Leben Sinn verleiht. »Und wieder ein Sommer. Und wieder ein schöner Sommertag. Und wieder eine Frau und ein Mann an einem Tisch im Freien, unter dem Himmel. Ein Garten. Eine Terrasse. Unsichtbare, nur hörbare Bäume, mehr Ahnung als Gegenwart, in einem sachten Sommerwind, welcher, von Zeit zu Zeit, die Szenerie rhythmisiert. Der Tisch ist ein Gartentisch, ziemlich groß, und Mann und Frau sitzen sich da im Abstand gegenüber. Die beiden sind unauffällig sommerlich gekleidet, die Frau eher hell, der Mann eher dunkel, zeitlos der eine wie die andere.«

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Seitenzahl: 54

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Peter Handke

Die schönen Tage von Aranjuez

Ein Sommerdialog

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© Suhrkamp Verlag Berlin 2012

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Das Recht der deutschsprachigen Aufführung oder Sendung ist nur vom Suhrkamp Verlag Berlin zu erwerben.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eISBN 978-3-518-78270-5

www.suhrkamp.de

Für S.

DER MANN

DIE FRAU

Und wieder ein Sommer. Und wieder ein schöner Sommertag. Und wieder eine Frau und ein Mann an einem Tisch im Freien, unter dem Himmel. Ein Garten. Eine Terrasse. Unsichtbare, nur hörbare Bäume, mehr Ahnung als Gegenwart, in einem sachten Sommerwind, welcher, von Zeit zu Zeit, die Szenerie rhythmisiert. Der Tisch ist ein Gartentisch, ziemlich groß, und Mann und Frau sitzen sich da im Abstand gegenüber. Die beiden sind unauffällig sommerlich gekleidet, die Frau eher hell, der Mann eher dunkel, zeitlos der eine wie die andere. Zeitlos auch die Gestalten selber, außerhalb gleichwelcher Aktualität und gleichwelchen historischen und sozialen Rahmens, auch sie mehr Ahnung als Gegenwart. Zu Beginn lauscht die eine wie der andere, ohne Blick füreinander, lange dem Rauschen der unsichtbaren Blätter, unter dem Himmel, den man sich weit vorstellt, so sanft wie besänftigend, sporadisch durchkreuzt von den Schreien der Schwalben. Es ist, als vergehe mit jedem Aufrauschen der Bäume eine Stunde, oder ein ganzer Tag.

DER MANN

Wer macht den Anfang?

DIE FRAU

Du. So war es gedacht.

DER MANN

Ja, so war es gedacht. – Das erste Mal, du mit einem Mann, wie ist das gewesen?

DIE FRAU

wie der Mann mit einer Stimme, die – nicht immer – im Einklang ist mit der Szenerie.

Schau doch: Ein Bussard zwischen den Bäumen, wie ein Pfeil. Oder war das ein Milan?

DER MANN

Es war ein Falke. Die Bussarde und die Milane kreisen hoch über den Bäumen. Es sind die Falken, die durch die Wälder schießen wie Pfeile, einmal oben zwischen den Kronen, einmal unten zwischen den Stämmen. Nicht bloß einmal bin ich auf einen toten Falken gestoßen, der in einen Baum geknallt war. Ein kranker? Zu alt? Zu jung? – Deine erste Nacht mit einem Mann?

DIE FRAU

Es war keine Nacht. Und er, das war kein Mann. Und ich, ich bin keine Frau geworden. Und doch war’s ein Liebesakt. Er oder es ist über mich gekommen, und ich habe mich ihm hingegeben, ganz und gar, mit mehr als bloß Haut und Haar. Es war das Einswerden zweier Körper, und was für eines!

DER MANN

Erzähl.

DIE FRAU

Ich habe oft solch eine Lust, zu erzählen, vor allem diese Erfahrung – diese Geschichte. Aber sowie ich bedrängt werde mit »Erzähl!«: Vorbei der Schwung.

DER MANN

Heute ist das was anderes. Heute ist ein anderer Tag. Es ist Sommer, wie vielleicht noch nie einer. Vielleicht der letzte Sommer überhaupt. Und außerdem bedränge ich dich nicht.

DIE FRAU

Ja, es ist Sommer, vielleicht der letzte hier. Und es war auch Sommer, damals an meinem ersten Liebestag, der mit keiner der späteren Liebesnächte sich vergleichen läßt. Ein Obstgarten. Hühnerdreck, grau, weiß, gesprenkelt, im frischgemähten Gras.

DER MANN

Eine hölzerne Leiter in einem Apfelbaum.

DIE FRAU

Erraten.

DER MANN

Und du hattest gerade deine achtzehn Jahre gefeiert.

DIE FRAU

Danebengeraten, einerseits. Ich war noch ein Kind, kaum zehn. Andrerseits: richtig geraten: Es war mein Geburtstag. – Oder irre ich mich, und es war nur ein Sonntag? Irgendein Sonntag im Sommer? Sicher ist: Ich war festtäglich gekleidet, weiß, ein langes weißes Kleid, weiße Socken, weiße Schuhe, mit flachen Absätzen. – Ich habe diese Geschichte noch niemandem erzählt, nicht einmal mir selber. – Ist es überhaupt eine Geschichte?

DER MANN

Erzähl. Wir werden sehen.

DIE FRAU

Es war Nachmittag. Ich auf einer Schaukel irgendwo tief in dem Obstgarten. Ein Apfel-, kein Kirschgarten, keine roten Flecken auf meinem Kleid, nicht vorher, und nicht danach. Keinerlei Erinnerung von Leuten um mich herum. Gleichwohl die spürbare Gegenwart der Meinigen, Mutter, Vater, Brüder, Schwestern. Und ich dort auf der Schaukel, mit einem immer größeren Schwung – wieder »Schwung« –, freier und freier von der Gegenwart der Meinen, für eine andere Gegenwart.

DER MANN

Nicht so schnell. – Schau doch. Was für ein Weiß, die Blütenblätter der Sommerwinden. Wie sie flattern und flittern im Wind. Und wie tief dunkel die Kelche sind.

DIE FRAU

Aber es ging so schnell auf der Schaukel. Schneller und schneller. Und dann, in einem bestimmten Moment, auf einem Gipfel- oder Kippunkt, eine jähe Verlangsamung. Während die Schaukel, mit mir drauf, fortfuhr zu schwingen, in der gleichen Geschwindigkeit wie zuvor, zumindest noch für lange lange Augenblicke, geschah in meinem Innern ein Erwachen. Dank jener Verlangsamung blühte in mir etwas auf, brach auf, kam ins – Sieden, ein Sieden so plötzlich wie die Verlangsamung. Etwas in mir und zugleich außerhalb von mir – übermannte mich und – wie soll ich sagen – erschuf mich – erschuf mich um. Ich wurde es, und es wurde ich. Doch: Es war eine Geschichte, wie nur je eine, aber, ach, wie sie erzählen?

DER MANN

»Etwas«? »Es«? Das Geschlecht? Dein Geschlecht?

DIE FRAU

Wie’s dir gefällt. Aber was da erschaffen oder umgeschaffen wurde, das erlebte ich mitnichten als »mein Geschlecht«, vielmehr als das Erschaffen oder Umschaffen, siedeheiß, einer Welt.

DER MANN

rollt gemächlich einen Apfel über den Tisch.

Ist Blut geflossen?

DIE FRAU

Warum diese Frage?

DER MANN

Weil’s so gedacht war.

DIE FRAU

Nein. Kein Blut. Gar nichts. Der Blitz, der mich durchquert hat, ließ keine Spur. Oder doch: Ich habe geblutet, aus der Nase.

DER MANN

Und wer war der Durchquerer, der Blitz? Ein Gott? Der Obergott?

DIE FRAU

Eine andre Frage, bitte.

DER MANN

Wie ging es danach weiter? Bist du auf der Schaukel geblieben? Hast weitergeschaukelt?

DIE FRAU