29,90 €
Von 2003 bis 2013 wurden von den Regierungschefs aus Bund und Ländern mehrere E-Government-Vorhaben initiiert, die alle föderalen Ebenen um-fassten. Zieladressat war ein Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung. Der finanzielle Aufwand für die Projekte betrug jeweils mehrere Millionen Euro, doch nur wenige der Vorhaben waren erfolgreich. Die Ursachen für das Ergebnis sind bisher nur wenig erforscht. In dieser Arbeit wird der Innovationsverlauf von vier der Vorhaben nachgezeichnet und analysiert. Die Fallrekonstruktionen basieren auf rund 4.000 ausgewerteten Dokumenten, Interviews und Sekundärliteratur zu den Fällen. Zwei der untersuchten Vorhaben waren erfolgreich, zwei sind gescheitert. Ziel ist die Erforschung von Gründen und Mechanismen, die Verlauf und Ergebnis erklären helfen. Nach einer Einordnung der Vorhaben in das Innovationsmanagement im Staat wird zur Erforschung der bisher unbekannten Zusammenhänge zunächst die Grounded-Theory-Methodologie genutzt. Aus der Exploration entstehende Folgefragen werden mit den Policy-Konzepten des Akteurszentrierten-Institutionalismus (Scharpf 2006) und des Advocacy-Coalition-Frameworks (Sabatier 1993) angegangen. Abschließend werden die Befunde zusammengefasst und Empfehlungen für die Innovation im Staat gegeben.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 461
Veröffentlichungsjahr: 2018
Vier E-Government-Fallstudien
Universität Hamburg
Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Dissertation
Zur Erlangung der Würde des Doktors der
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
(gemäß der PromO vom 24. August.2010)
vorgelegt von
Andreas Kirstein
aus Salzgitter-Lebenstedt
Hamburg, den 1.3.2018
Vorsitzende:
Professor Dr. Daniela Rastetter, Universität Hamburg
Erstgutachter:
Professor Dr. Florian Schramm, Universität Hamburg
Zweitgutachter:
Professor Dr. Leonhard Hajen, Universität Hamburg
Datum der Disputation: 3. November 2016
Diese Arbeit wurde von vielen Menschen durch die Zeit getragen.
Ich möchte mich zuerst bei meinem Erstgutachter Professor Dr. Florian Schramm bedanken. Er hat nach meiner Masterarbeit auch die Betreuung dieser Forschungsarbeit übernommen. Dabei stand sein Interesse am wissenschaftlichen Fortschritt im Vordergrund. Er hat mir die benötigte Forschungsfreiheit gegeben und mich nicht disziplinär eingeengt. Besonders möchte ich auch meinem Zweitgutachter Professor Dr. Leonhard Hajen danken. Er war genau zur richtigen Zeit bereit, Verantwortung und Arbeit unkompliziert wie sachkundig zu übernehmen.
Freundschaftlich danke ich Professor Dr. Tino Schuppan. Er hat viel versucht und nach Jahren auch gezweifelt, aber dennoch einen Weg geöffnet. Ein weiterer großer Dank geht an Professor Dr. Klaus Lenk. Er hat mir in einer tiefen Sackgasse einen Weg gezeigt und mich unbeirrt durch unebenes Terrain begleitet. Sehr persönlicher Dank geht an Eike Richter. Die inspirierenden Gespräche im Zug von und nach Berlin waren eine große Unterstützung. Du hast immer zugehört, wenn ich nicht mehr weiterwusste.
@Kirsten! Die gesamte Ehezeit hast du mit meiner Dissertation geteilt. DANKE für die Geduld in anstrengender Zeit.
Levin mein Sohn: „Papa muss nun nicht mehr jeden Abend arbeiten.“ Und an meine Eltern: „Ich habe es geschafft! Schade, dass ihr es nicht mehr erleben könnt.“
All meinen Freunden danke ich, dass sie mich trotz langer gedanklicher Abwesenheit immer unterstützt haben.
Abbildung 1 – Die vier Forschungsschritte
Abbildung 2 – Struktur der Arbeit
Abbildung 3 – Zeitliche Einordnung der Fälle
Abbildung 4 – Veränderungsneigung im Fall Kfz-Wesen I+II
Abbildung 5 – Veränderungsneigung im Fall Metropolregion
Abbildung 6 - Veränderungsneigung im Fall VEMAGS
Abbildung 7 – Kfz-Zulassung: Modularisierung und Auslagerung
Abbildung 8 – Innovationsphasen
Abbildung 9 – Zusammenhang zwischen Innovationsfähigkeit und Vernetzungsgrad
Abbildung 10 – Untersuchte Innovationsphasen
Abbildung 11 – Untersuchte Innovationsphase
Abbildung 12 – Zusätzliche Innovationsphasen
Abbildung 13 – Interaktionsorientiertes Policy-Modell
Abbildung 14 - Verhandlungsmatrix
Abbildung 15 – Prozedurale Dimension von Verhandlungen
Abbildung 16 – Strukturen für Verhandlungen
Abbildung 17 – Fragestellungen zur Interaktionsanalyse
Abbildung 18 – Akteure und Konstellationen
Abbildung 19 – Maßgebliche Akteure im Fachinnovationssystem
Abbildung 20 – Akteure und Gremien im Entscheidungssystem
Abbildung 21 – Fachentscheidungssystem Verkehr und maßgebliche Akteure
Abbildung 22 – Gemeinsame Projekte bei Deutschland-Online
Abbildung 23 – Organisation Deutschland-Online im Jahr 2003
Abbildung 24 – Organisation von Deutschland-Online im Jahr 2006
Abbildung 25 – Akteure und Konstellationen
Abbildung 26 – Auszahlungsmatrix für E-Government und Fachseite
Abbildung 27 - Umsetzung der gesamten Reform möglich?
Abbildung 28 - Umsetzung des Zugangs möglich?
Abbildung 29 - Politischer Druck und mögliches Ergebnis
Abbildung 30 – Untersuchte Innovationsphase
Abbildung 31 – Ablaufdiagramm des ACF in der Version von 1993
Abbildung 32 – „belief-system“ und Beharrung
Abbildung 33 - Ideendurchsetzung im Advocacy-Coalition-Framework
Abbildung 34 – Fall Kfz-Wesen – Veränderte „cognitiv map“ zum Projektende
Abbildung 35 – Fall Metropolregion „cognitiv map“ nach Projektende
Abbildung 36 – Fall VEMAGS – „cognitiv map“ nach Projektende
Abbildung 37 – Ursachen für die Ideendurchsetzung
Abbildung 38 – Aufwand für Reformen
Abbildung 39 - Hyperinterdependenz
Abbildung 40 – Phasenmodell für die Innovation im Staat
Abbildung 41 – Maßgebliche Akteure im Innovationszeitraum im Fall Kfz-Wesen
Abbildung 42 – Fall Kfz-Wesen – „cognitiv map“ zum Projektbeginn
Abbildung 43 - Akteure und Interessenlagen im Kfz-Wesen
Abbildung 44 – Protokollauszug der 15. Sitzung der Staatssekretärs-Runde
Abbildung 45 – Deutschland-Online Kfz-Wesen Teil I im Review-Bericht
Abbildung 46 – Projektstruktur Kfz-Wesen II in den Jahren 2006-2008
Abbildung 47 – Projektstruktur Kfz-Wesen II ab 2009
Abbildung 48 – Mitglieder der Banken-AG
Abbildung 49 – Kfz-Wesen II beim 11. E-Government Wettbewerb
Abbildung 50 – Neue Stempelplaketten und Siegel für die Online-Zulassung
Abbildung 51 – CeBIT 2013 - Übergabe Kfz-Wesen II von Hamburg an das BMVBS
Abbildung 52 –BMVI – Werbung für die internetbasierte Kfz-Zulassung
Abbildung 53 – Vorgänge bei einem Wohnortwechsel in der Metropolregion
Abbildung 54 – Maßgebliche Akteure im Fall Metropolregion
Abbildung 55 – Geographische Grenzen der Metropolregion Hamburg
Abbildung 56 – Fall Metropolregion – „cognitiv map“ zum Projektbeginn
Abbildung 57 – Projektorganisation für die Erstellung der BSL-Studie
Abbildung 58 – Empfehlung der Gutachter zum Einbezug des Kfz-Wesens
Abbildung 59 – Bevollmächtigten Modell
Abbildung 60 – Metropolregion: Gewinner des 4. eGovernment-Wettbewerbs
Abbildung 61 – Projektstruktur im Fall Metropolregion im Jahr 2003
Abbildung 62 – Projektorganisation Metropolregion ab dem Jahr 2005
Abbildung 63 - Kfz-Fachverfahrensadapter in der Metropolregion
Abbildung 64 – Empfehlung der Gutachter zum Einbezug des Kfz-Wesens
Abbildung 65 – Abschlussveranstaltung Metropolregion
Abbildung 66 – Maßgebliche Akteure im Fall VEMAGS
Abbildung 67 – VEMAGS: Beteiligte – Kommunikationswege - Verfahrensablauf
Abbildung 68 – Fall VEMAGS – „cognitiv map“ zum Projektbeginn“
Abbildung 69 – Umsetzungsorganisation von VEMAGS
Abbildung 70 – Betriebsorganisation von VEMAGS
Tabelle 1 – Klassische Gütekriterien auf qualitative Arbeit bezogen
Tabelle 2 – Übersicht der möglichen Fälle – Bürgerdienste nach Aktionsplan
Tabelle 3 – Fallübergreifender Überblick wichtiger Merkmale
Tabelle 4 - Qualitative Dimensionen für den Innovationsgrad im E-Government
Tabelle 5 - Auflistung der geführten Interviews
Tabelle 6 – Heuristischer Rahmen für die Exploration
Tabelle 7 – Komplexe Akteure und deren Handlungsmöglichkeiten
Tabelle 8 – Institutioneller Kontext und Interaktionsformen
Tabelle 9 – Analyse Handlungspotential
Tabelle 10 – Institutionelle Bedingungen der ministeriellen Fachakteure
Tabelle 11 – Institutionelle Bedingungen für Kommunen
Tabelle 12 – Institutionelle Bedingungen für Unternehmen
Tabelle 13 – Institutionelle Bedingungen für E-Government-Akteure
Tabelle 14 – „belief-system“ und Veränderungsresistenz
Tabelle 15 – Analyserahmen Machtverschiebung
Tabelle 16 – Analyserahmen Lernprozesse
Tabelle 17 – Reformereignisse im Kfz-Zulassungsbereich - Jahre 2000 - 2008
AK
Andreas Kirstein
Anm.
Anmerkung
BLFA-Fz
Bund-Länder-Fachausschuss Fahrzeugzulassung
BMeldDÜV
Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung
CeBIT
Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation
EG
Europäische Gemeinschaft
et al.
et alteri (und andere)
EU
Europäische Union
f bzw. ff
folgend bzw. fortfolgend
GKVS
Gemeinsamen Konferenz der Verkehrs- und Straßenbauabteilungsleiter; Vorgänger der Verkehrsabteilungsleiterkonferenz (VALK)
IT
Informationstechnologie
KBA
Kraftfahrt-Bundesamt
Kfz
Kraftfahrzeug
KOM
Europäische Kommission
MRRG
Melderechtsrahmengesetz
n.N.
Nomen nominandum, Platzhalter für eine (noch) unbekannte Person
NRW
Nord-Rhein-Westfalen
OSCI
Online Services Computer Interface
Portable-Document-Format
QeS
Qualifizierte elektronische Signatur
StVZO
Straßenverkehrszulassungsverordnung
u.a.
unter anderem
vgl.
vergleiche
VMK
Verkehrsministerkonferenz
z.B.
zum Beispiel
Von 2003 bis 2013 wurden von den Regierungschefs aus Bund und Ländern mehrere E-Government-Vorhaben initiiert, die alle föderalen Ebenen umfassten. Zieladressat war ein Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung. Der finanzielle Aufwand für die Projekte betrug jeweils mehrere Millionen Euro, doch nur wenige Vorhaben waren erfolgreich. Die Ursachen für das Ergebnis sind bisher wenig erforscht.
In dieser Arbeit wird der Innovationsverlauf von vier der Vorhaben nachgezeichnet und analysiert. Die Fallrekonstruktionen basieren auf rund 4.000 ausgewerteten Dokumenten, Interviews und Sekundärliteratur zu den Fällen. Zwei der untersuchten Vorhaben waren erfolgreich, zwei sind gescheitert. Ziel ist die Erforschung von Gründen und Mechanismen, die Verlauf und Ergebnis erklären helfen. Nach einer Einordnung der Vorhaben in das Innovationsmanagement im Staat wird zur Erforschung der bisher unbekannten Zusammenhänge zunächst die Grounded-Theory-Methodologie genutzt. Sich aus der Exploration ergebende Folgefragen werden mit den Policy-Konzepten des Akteurszentrierten-Institutionalismus (Scharpf 2006) und des Advocacy-Coalition-Frameworks (Sabatier 1993) angegangen. Abschließend werden die Befunde zusammengefasst und Empfehlungen für die Innovation im Staat gegeben.
„E-Government kommt in Deutschland viel zu langsam voran“ (Fromm et al. 2015a:3), so Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats. Vorhandene E-Government-Angebote würden zudem kaum genutzt, da sie kompliziert zu handhaben seien und kaum Mehrwert bringen. Ein Einsparpotential von rund drei Milliarden Euro pro Jahr bliebe damit ungehoben (vgl. a.a.O.: 5)1. Zur Lösung der „E-Government-Krise“ wird in dem vom Normenkontrollrat in Auftrag gegebenen Bericht unter anderem vorgeschlagen, die IT-Standardisierung zu verbessern, die Finanzierung durch Bund und Länder zu gewährleisten, politisch stärker zu unterstützen und die Anwendungen attraktiver zu gestalten (vgl. Fromm et al. 2015a:24ff). Diese Lücke zwischen dem vermuteten Potenzial und seiner tatsächlichen Ausschöpfung sowie Lösungsansätze zur Überwindung dieses Gaps werden seit über einem Jahrzehnt thematisiert (vgl. beispielhaft KGST 2006, Niemeier 2006, Winkel 2006:9ff, Grabow 2006, Bernhard/ Zink 2008). Bei der Diskussion fällt auf, dass der konkrete Umsetzungsverlauf von E-Government-Vorhaben bisher kaum thematisiert wurde. Diese offensichtliche Fehlstelle2 soll hier geschlossen werden. Es wird gezeigt, welche Mechanismen die Attraktivität von E-Government Vorhaben im Laufe eines Vorhabens (auch negativ) beeinflussen, an welcher Stelle politische Unterstützung wirken kann und wie es so gelingen kann, auch tiefgreifende Innovationen voran zu bringen.
Konkret beginnt die Arbeit mit der empirischen Beobachtung, dass Bund-Länder-Projekte - hier insbesondere aus dem Aktionsplan Deutschland-Online – oftmals hinter den Erwartungen der Initiatoren zurückbleiben.
Übergreifendes Strukturmerkmal dieser Vorhaben war deren interorganisationale und intersektorale Verbundstruktur und ihre Einfassung in mehrere Verwaltungs- und Steuerungsebenen. Einige der Vorhaben wurden auf Länderebene und einige unter dem Dach der nationalen E-Government-Strategie „Deutschland-Online“ gestartet. Sie waren jeweils auf drei Jahre Projektlaufzeit angelegt und versprachen eine hohe Reformrendite3. Eingebettet sind die betrachteten E-Government-Projekte in einen Zeitraum, in dem auf nationaler Ebene zwei Interessengruppen um die Definitionshoheit über die Staatsmodernisierung gerungen haben. Auf der einen Seite gruppierten sich die tendenziell konservativen Fachakteure mit ihren eingespielten verwaltungspolitischen Handlungssystemen. Auf der anderen Seite standen Akteure, die sich um das Leitbild E-Government zentrierten. Diese zielten darauf ab, Verwaltungsverfahren mittels Informationstechnologie effizienter und insbesondere adressatengerechter zu gestalten (vgl. Karger/ Rüß/ Scheidt 2011:186). Aus dieser Konstellation ergaben sich zwischen Fach- und Modernisierungsakteuren Spannungen auf unterschiedlichen Ebenen im föderalen Kontext. Denn die ab den 1960er Jahren in der öffentlichen Verwaltung intensiv eingesetzte Informationstechnologie (vgl. Lenk 2011a:316) hatte bis zum Jahr 2001 eher unterstützenden und weniger gestaltenden Charakter. Doch innerhalb einer kurzen Zeitspanne änderte sich die Situation. Die E-Government-Akteure bekamen politisch verankerten Auftrieb. Dazu trugen die aus England adaptierte Initiative „BundOnline-2005“ im Jahr 2000, die Konstituierung der nationalen Staatssekretärsrunde E-Government im Jahr 2001 und deren Strategieplan-Deutschland-Online im Jahr 2003 bei. Umfangreiche Ressourcen wurden für die durch Informationstechnologie getriebene Modernisierung des Staates bereitgestellt. So wurde der Finanzbedarf für die Initiative BundOnline-2005 für die Jahre 2002 bis 2005 auf 1,4 Milliarden Euro geschätzt und die zu erzielende Einsparung auf 400 Millionen Euro pro Folgejahr. (Vgl. Bundesministerium des Innern 2003a Pressemitteilung, 2004a Prospekt zu Deutschland-Online) Erstmalig wurde versucht, die Modernisierung der Verwaltung großflächig dem Leitbild E-Government unterzuordnen. In vielen Fachpublikationen forderten Wissenschaftler und Fachjournalisten eine vernetzte Verwaltung (vgl. als ein Beispiel GI/VDE 2000), in der Ablaufprozesse vor Ablaufstrukturen (vgl. Lenk 2004a:101ff) gehen und Organisations- sowie Zuständigkeitsgrenzen zu überwinden wären. Mit diesen weitgehenden Veränderungsideen haben die Regierungschefs von Bund und Ländern ab dem Jahr 2003 die Modernisierung nationaler Register- und Antragsverfahren4 druckvoll initiiert.
Doch diese Forderungen kollidierten insbesondere mit dem seit über 200 Jahren gefestigten Ressortprinzip der Verwaltung, wonach unter anderem jeder Minister seinen Geschäftsbereich eigenständig verantwortet. Die bis dahin inhaltlich weitgehend eigenständig handelnden Fachbereiche wurden so nachdrücklich mit neuen und insbesondere politisch unterstützten Reformideen konfrontiert.
Trotz guter finanzieller und politischer Unterstützung gingen nur wenige dieser Vorhaben in den operativen Betrieb oder wurden weit unterhalb der anfänglichen Projektziele als umgesetzt klassifiziert. Zu beobachten ist, dass solche gescheiterten öffentlichen Projekte in der Tendenz „leise“ eingestellt und danach vergessen werden. Gleichwohl müsste ein großes Interesse an den Mechanismen für Erfolg oder Misserfolg bestehen, weil die Vorhaben oft Millionenbeträge verbrauchen und personelle Ressourcen sowie Reformwillen der Verwaltung „aufzehren“. Das mit Ihnen verbundene Modernisierungspotential bleibt zudem ungenutzt.
Verwaltungsinterne Evaluationen zu den Projektschwierigkeiten von Deutschland-Online haben die Umsetzungsprobleme bisher nur gekennzeichnet, aber nicht ausreichend analysiert (vgl. als eine der wenigen verwaltungsinternen Analysen den Bericht des KoopA ADV 2005). In der Wissenschaft wurden die Ursachen überwiegend in einer zu knappen Ressourcenausstattung, nicht ausreichenden Dialogstrukturen zwischen Fach- und EGovernment-Seite5 (vgl. Kubicek/ Wind 2005a,b; Wind 2011:13) und einer überwiegend auf Technik fokussierten Herangehensweise (vgl. Brüggemeier 2011) gesehen. Bisher ist aber nicht hinreichend erforscht, wie die Projektverläufe zu erklären sind.
Wissenschaftlich knüpft die Arbeit zunächst bei Überlegungen an, die sich mit der Innovation im Staat befassen6. Schliesky et al. (2010) diskutieren dazu im Rahmen eines so genannten staatlichen Innovationsmanagements Ursachen des Scheiterns von Reformvorhaben in der Verwaltung. Als dazu notwendiges Forschungsprogramm formulieren sie:
Aufgabe einer „Innovationsforschung“ muss es nämlich auch (und gerade) sein, negative und Risikofaktoren staatlicher Innovation zu identifizieren, um für zukünftige Anwendungsfälle ein Innovationsmanagement [...] unter Berücksichtigung verwaltungsspezifischer Besonderheiten bereitstellen zu können. (Schliesky et al. 2010:43)
Mit der Auswahl der Deutschland-Online-Vorhaben7 konzentriert sich die Arbeit insbesondere auf Strukturierung und Gestaltung der Innovation im Staat im Kontext föderaler Interessen. Grundsätzliches Ziel ist dabei, Verlauf und Ergebnis solcher Innovationsvorhaben zu erklären und damit zum besseren Verständnis der Innovation im Staat beizutragen.
Um den Verlauf der Vorhaben zu verstehen, die Ursachen für die Projektergebnisse aufzuklären und damit die skizzierte Forschungslücke zu schließen, wurden vier Forschungsschritte durchgeführt
Abbildung 1 – Die vier Forschungsschritte
Quelle: eigene Darstellung
Im ersten Schritt werden der Modernisierungsgegenstand beschrieben und Erkenntnisse aus der öffentlichen, betrieblichen und sektoralen Innovationsforschung darauf bezogen. Daran anschließend erfolgt im zweiten Forschungsschritt die Analyse der maßgeblichen Ursachen der Innovationsverläufe. Der explorativ angelegte und in rekursiven8 Schritten durchgeführte Forschungsschritt zwei bildet aus Erkenntnissicht die Ausgangsbasis der Arbeit. Forschungsschritt drei und vier bauen darauf auf. Aufgrund der bisher sehr zurückhaltenden Forschungslage wurden Methoden der Grounded-Theory-Methodologie (vgl. Glaser/ Strauss 1984;1998;2010)9 für den Erkenntnisgewinn gewählt. Empirische Grundlage sind vier E-Government-Vorhaben, die repräsentativ für ähnliche Fälle stehen. Für die Analyse wurden die Projekte in ihrem Verlauf detailliert rekonstruiert. Dadurch konnten wichtige Einzelereignisse identifiziert sowie erst über die Zeit sichtbare Wirkungslinien nachgezeichnet werden.
Um als Leser dem Forschungsverlauf gut folgen zu können, sollen hier zwei strukturelle Herausforderungen beim Schreiben der Arbeit verdeutlicht werden. Hervorzuheben ist dazu das Spannungsverhältnis einerseits zwischen dem rekursiven und damit umfangreichen und „kurvigen“ Forschungsverlauf und andererseits der Notwendigkeit, den Forschungsbericht linear und stringent zu gestalten. Um dieses Ziel zu erreichen musste entschieden werden, welche Forschungsüberlegungen in welchem Umfang Eingang in die Arbeit finden. Diese Überlegungen beziehen sich zum einen auf die Rekonstruktion der Fälle und deren Kodierung. Denn die Erkenntnisse der explorativen Fallanalyse haben sich durch einen mehrfach durchlaufenden rekursiven Prozess ergeben. Dabei wurden unter Berücksichtigung von Literaturerkenntnissen und empirischen Studien die Fälle zunächst einzeln auf interne Kausalitätspfade und Wirkmechanismen hin untersucht und anschließend wiederholt zueinander abgeglichen (kodiert).10 Im Ergebnis wurde die nacherzählte Geschichte der Fälle mehrfach um arrangiert, wurden Bedeutungsgewichte verschoben und bestimmte Entwicklungen durch neue Details ergänzt. Zudem wurden aufgrund zunehmender Einsichten zuvor bedeutende Gegebenheiten unwichtiger und deshalb innerhalb der Erzählung nach hinten gesetzt oder entfernt. Um den Forschungsbericht nun möglichst straff zu halten, sind die Vorversionen der Fallrekonstruktion nicht dargestellt. Stattdessen werden im Teil C nur die Ergebnisse der explorativen Analyse ausgeführt und daran orientiert die Fälle im Anhang konsistent nacherzählt.
Zum anderen haben sich neben der Fallentwicklung auch die einzelnen Forschungsschritte rekursiv gestaltet. Konkret hat sich das Forschungsvorgehen im zeitlichen Verlauf vorwärts und rückwärts beeinflusst, so dass die einzelnen Forschungsschritte gegenseitige Bezüge aufweisen und sich so prozesshaft konkretisierten.
Der dritte und vierte Forschungsschritt (Teil D und E) greift jeweils jene Fragen auf, die sich aus der explorativen Analyse ergeben haben und die sich insbesondere auf die spezifischen Mechanismen der Ideendurchsetzung im föderalen Kontext beziehen. Um diese Fragen zu beantworten, kamen Instrumente der Policy-Analyse zum Einsatz. Aus-gangspunkt für die Wahl dieser Forschungsansätze ist die Einbettung der Fachverfahren in die föderale und damit auch politisch geformte Entscheidungsstruktur. Solcherart Vorhaben – zumal auf nationaler Ebene - werden nicht von einem unitaristischen Akteur unter einer einheitlichen Leitung produziert. Stattdessen erfolgen Veränderungen im föderalen Kontext organisationsübergreifend und die Veränderungshoheit ist durch das rechtlich gesetzte Ressortprinzip weitgehend festgelegt.
Organisationsübergreifend bedeutet dabei, dass die Entscheidung zur Modernisierung und das Resultat überwiegend Ergebnis strategischer Interaktionen einer Vielzahl politischer Akteure ist (vgl. Wiesenthal 2002:60). Diese Akteure haben jeweils ein eigenes Verständnis von der Natur des Problems und der Realisierbarkeit bestimmter Lösungen. Zudem sind sie je mit individuellen und institutionellen Eigeninteressen sowie normativen Präferenzen und Handlungsressourcen ausgestattet (vgl. Scharpf 2006:34). Weiterhin haben die föderalen Akteure im Mehrebenensystem (vgl. Benz 2003) institutionell verankerte Vetorechte11 (vgl. Tsebelis 1995) und vertikale Ausgleichsansprüche im Rahmen der Konnexität (vgl. Henneke 2011). Diese Bedingungen ermöglichen einzelnen Beteiligten umfangreiche Handlungsspielräume – insbesondere die zur Nichtmodernisierung. Aus diesen Rahmenbedingungen entsteht eine Konstellation, in der keiner der Akteure die alleinigen und notwendigen Handlungsressourcen für die Veränderung der Fachverfahren hat. Die Ideendurchsetzung erfordert so – oft im Verhandlungswege - den Einbezug von unterschiedlichen Interessen und Ressourcen über die Grenzen von Organisationen, Verwaltungsebenen und Sektoren hinweg.
Das Ressortprinzip wiederum definiert die zuvor adressierte Verhandlungsarena als einen geschlossenen Ort, zu dem nur die Entscheidungsträger des jeweiligen Politikfeldes institutionelle Zugangsrechte haben (vgl. Schliesky/ Schulz 2010:112ff). Der Zugang zu diesem Verhandlungssystem der Fachakteure ist damit von hoher Bedeutung, um den Innovationsideen Geltung zu verschaffen. Der Zugang ist aber nicht selbstverständlich, sondern muss „erkämpft“ werden.
Für die dargestellte Ausgangssituation bieten sich zwei Konzepte der Policy-Analyse mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung an. Im Forschungsschritt drei werden zunächst die Interaktionen für den Zugang zu den Verhandlungsarenen beschrieben. Dafür eignet sich der Akteurszentrierte-Institutionalismus (vgl. Mayntz/ Scharpf 1995; Scharpf 2006). Mit diesem Ansatz ist es insbesondere möglich, punktuelle Policy-Änderungen auf Basis einer bestimmten Akteurskonstellation vereinfachend in einer Spielematrix darzustellen. Der Akteurszentrierte-Institutionalismus ist aber in Bezug auf die beobachteten zeitlich getragenen Präferenzänderungen der Akteure zu statisch (vgl. Trampusch 2011). Um Veränderungen in den Handlungspräferenzen der Akteure über die Zeit zu erklären, wird im Forschungsschritt vier das Advocacy-Coalition-Framework (Sabatier 1993; Weible et al. 2011) genutzt. Sabatier geht in seinem Ansatz von Veränderungszeiträumen von rund zehn Jahren aus, in denen ein Policy-Wandel entweder durch Lerneffekte von und zwischen so genannten Advocacy-Coalitions oder durch externe Machtverschiebung eintritt. Der Ansatz ist damit zum einen geeignet, die langen Zeiträume der Vorhaben aufzunehmen und zum anderen, Präferenzänderungen auf Lernprozesse hin zu untersuchen.
Ergebniserwartung
Das erwartete Forschungsergebnis beruht auf der qualitativen Analyse von vier Fällen. Ziel ist es, das Projektergebnis der betrachteten Fälle konsistent zu erklären und damit allgemein Prognosen über den Verlauf solcher Innovationsvorhaben zu ermöglichen. Forschungsabschließend wird das Ergebnis in die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Innovation im Staat eingeordnet. Dabei ist es im Sinne einer anwendungsorientierten Forschung akzeptiert, der Praxis normativ geprägtes Orientierungswissen und Handlungsempfehlungen zu geben (vgl. Wrona 2005:9). Die gewonnenen Erkenntnisse können so dazu dienen, das Management wichtiger Einflussfaktoren effizienter und effektiver zu gestalten.
Zur Qualitätssicherung wird die Arbeit anhand von Gütekriterien qualitativer Sozialforschung (vgl. Steinke 2010) gespiegelt.
Im TEILA der Arbeit wird das konkrete Problem dargestellt, wonach einerseits bestimmte E-Government-Projekte im Mehrebenenkontext scheitern und andererseits die Mechanismen dafür bisher nicht hinreichend erforscht sind. Es folgt die Anknüpfung an das Innovationsmanagement und die Darstellung der Forschungsfrage. Anschließend wird das Forschungsvorgehen beschrieben, gefolgt von der Reflexion der eigenen Rolle im Forschungsprozess und der Spiegelung der Arbeit an den Gütekriterien qualitativer Sozialforschung (vgl. Steinke 2010). Die Auswahl der Fälle und deren inhaltliche Kurzdarstellung schließen den Teil A ab.
Die Teile B, C, D, E sind den vier Forschungsschritten der Arbeit gewidmet. Zunächst werden dazu im Teil B (Um was geht es?) Überlegungen zum Modernisierungsgegenstand dargelegt und Bezüge zur Innovationsforschung hergestellt. Teil C (Was ist das Kernproblem?) widmet sich der explorativen Fallanalyse. Dazu werden zunächst die Grounded-Theory-Methodologie und die eingesetzten Methoden knapp dargestellt. Den Abschluss bilden die Kernergebnisse der Exploration. Im Teil D (Wie beginnt die Innovation?) werden die zwei in direkter Abhängigkeit stehenden Innovationsphasen Ideengenerierung und Zugang beschrieben. Während die Analyse der Phase Ideengenerierung direkt aus der Fallbeobachtung erfolgt, werden Erkenntnisse für die Phase Zugang über den Ansatz des Akteurszentrierten-Institutionalismus (Scharpf 2006) bezogen. Insbesondere wird dabei das Handlungspotential der beteiligten Akteure erarbeitet und anschließend spieltheoretisch analysiert. Der konkrete Bezug der Ergebnisse auf die Fälle schließt den Teil ab. Es folgt im Teil E (Wie setzt sich die Innovation durch?) die Darstellung der Innovationsphase Ideendurchsetzung. Hier steht die Analyse des Policy-Wandels Im Vordergrund. Mit Hilfe des Advocacy-Coalition-Frameworks (Sabatier 1993) werden Anhaltspunkte für Lernprozesse und externe Machtverschiebungen in den Fällen gesucht. Die Anwendung des entwickelten Analyserahmens auf die Fälle beendet diesen Teil. Abschließend dient Teil F dazu, das Gesamtergebnis darzustellen und in die Innovationsforschung einzuordnen.
Die Forschungsarbeit intensiv begleitend erfolgt im Anhang die Fallbeschreibung. Die vier Fälle werden dazu jeweils über einen Zeitraum von rund zehn Jahren detailliert nacherzählt. Die Falldarstellungen sind einerseits Grundlage für die Ergebnisse der explorativen Analyse in Teil C. Andererseits hat sich die Struktur der Fälle erst aus dem explorativen Teil entwickelt. Dieses vermeintliche Paradoxon ist dem sich über die Zeit rekursiv entfaltenden Forschungsprozess geschuldet.
Abbildung 2 – Struktur der Arbeit
Quelle. Eigene Darstellung
Der Autor dieser Arbeit war Projektleiter der Vorhaben Metropolregion und Kfz-Wesen II. Beim Projekt Kfz-Wesen I war er Mitglied der Projektarbeitsgruppe. Dieser enge Kontakt ermöglichte einen Zugang zu relevanten Diskussionen auf politischer und fachlicher Ebene und gab einen intensiven Einblick in die Mechanismen föderaler Projektarbeit. Diese Nähe zum Untersuchungsgegenstand und die persönliche Beteiligung bergen aber das Risiko, Daten, Verläufe und Ursachen selektiv und verzerrt wahrzunehmen. Zudem kann die Nähe zum Forschungsobjekt den Blick auf größere Zusammenhänge verstellen. In der Grounded-Theory-Methodologie wird eine solche Verstrickung thematisiert und Hinweise gegeben, wie sich daraus ein epistemologischer Vorteil entwickeln kann. Insbesondere die interaktive Charakteristik der Forschungssituation wird dabei als potentiell ergiebiges Erkenntnisfenster gesehen. Methodisch sollte sich die Forschungsarbeit dabei als Pendelbewegung zwischen der Annäherung an den Forschungsgenstand und einer anschließenden Distanzierung darstellen, die gleichzeitig mit einer Reflexion nach methodischen Prinzipien verbunden ist. (Vgl. Breuer 2010:140) Konkret hat der Autor über Jahre im Gespräch mit Praktikern und Wissenschaftlern die Gründe für Erfolg und Scheitern der Projekte reflektiert. Dazu wurden unterschiedliche Forschungsrichtungen in die Analyse einbezogen und daraus abgeleitete Hypothesen anhand des gesammelten Wissens auf Relevanz geprüft. Dadurch wurden immer wieder neue Perspektiven eingenommen und die eigene Person im Forschungsprozess phasenweise dezentriert. Aus dieser Pendelbewegung zwischen wissenschaftlicher Analyse und konkreter Arbeit im Feld hat sich in den Jahren ein loses Netz von wahrscheinlichen Aussagen in Bezug auf die beobachteten Fälle ergeben. Diese Erkenntnisse wurden jeweils in der Art eines unstrukturierten Forschungstagebuchs festgehalten. Insgesamt – so die rückblickende Feststellung - standen die gesammelten Aussagen aber lange vereinzelt und ergaben kein konsistentes und umfassendes Bild. Es war aus Forschungssicht deshalb erforderlich, noch einen Schritt weiter vom Forschungsgegenstand zurückzutreten. Dazu wurden die Fälle in mehrmonatiger Arbeit anhand von Dokumenten und Interviews detailliert rekonstruiert. Erst durch diese zunächst einmal distanzierte und vor allem intensive Nacherzählung konnten am Ende gemeinsame Strukturen und Fehlstellen in den Handlungsverläufen der Fälle wahrgenommen werden. Dieses Substrat der Fälle und damit die Grundlage der sich anschließenden Forschungsschritte wurden im wissenschaftlichen Gespräch sowie mit Praktikern reflektiert. Die Fallbeschreibungen wurden zudem kenntnisreichen Personen zur Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit vorgelegt. Das gewählte Vorgehen war somit geeignet, den reflexiven Umgang mit dem Datenmaterial zu erhöhen. Der eigene „Blinde Fleck“ kann aber nie ganz überwunden werden. Dem Leser dieser Arbeit werden die Fälle deshalb in immer noch detaillierter Form zur Verfügung gestellt. Anhand dessen kann er prüfen, inwieweit die getroffenen Aussagen mit den Fällen korrespondieren und jeder Sachkundige der Vorhaben kann für sich feststellen, wie subjektiv und selektiv die Nacherzählungen im Verhältnis zu seinen eigenen Beobachtungen sind.
Qualitative Forschung muss bestimmte Gütekriterien einhalten, um dem Vorwurf von Beliebigkeit und fehlender Glaubwürdigkeit entgegenzutreten. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen qualitative Forschung Geltung erlangen kann. (Vgl. Flick 2010a:488) Die „klassischen“ Gütekriterien der messenden Wissenschaft sind interne Validität (Gültigkeit der Messung), externe Validität (Verallgemeinerung der Messung), Reliabilität (Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Messung) und Objektivität der Messung. Einige Autoren schlagen vor, diese Kriterien auf die qualitative Forschung zu übertragen und dabei inhaltlich neu zu unterlegen.
Tabelle 1 – Klassische Gütekriterien auf qualitative Arbeit bezogen
Kriterium
Aussage
Anwendung in der qualitativen Forschung
Reliabilität
Zuverlässigkeit, Grad der Genauigkeit einer Messung.
Verlässlichkeit, Auditierbarkeit
/ Prozedurale Reliabilität durch Explikation; Offenlegung der Interpretationsleistung, Nachvollziehbarkeit.
Interne Validität
Gültigkeit von Variablen (ihrer Messung) im Modell.
Glaubwürdigkeit, Authenzität
/ Alltagsnähe und empirische Verankerung: Nutzung von in-vivo Kategorien, Falsifizierungslogik: Suche nach Gegenevidenzen, Computereinsatz.
Externe Validität
Verallgemeinerung
Übertragbarkeit, Passung
/ Kontextbezug wird aufgegeben durch theoretisches Sampling (maximale Kontrastierung) und Typenbildung.
Objektivität
Forscherunabhängigkeit
Bestätigbarkeit
/ Darstellung Forschungsverlauf
Quellen: Wrona (2005:44), Miles und Huber (1994:278 zitiert bei Flick 2010a:506)
Für diesen Brückenschlag von quantitativen zu qualitativen Gütekriterien wurden die in der Tabelle dargestellten Zuordnungen entwickelt (vgl. dazu beispielsweise Wrona 2005:39ff). Die unterstrichenen Indikatoren stammen von Miles und Huber (vgl. 1994:278 zitiert bei Flick 2010a:506), die der gleichen Aufgabe nachgingen.
Der Brückenschlag ist aber weder trivial noch frei von Vorannahmen. Denn die klassischen Gütekriterien stoßen bei Forschungen in der sozialen Welt an Grenzen. So verlieren die aus dem deduktiven Paradigma entwickelten Kategorien ihren festen Boden, sobald Ergebnisse sozial konstruiert werden. In dieser konstruierenden Perspektive erlangen Dokumente, sprachliche Aussagen, Forschungsbeobachtungen erst durch ihren Kontext Bedeutung und werden in diesem vom Forscher interpretiert. Die Ergebnisse können dann nicht mehr von einem festen Punkt aus beurteilt werden, sondern sind in Relation zum Forscher und zum Forschungsprozess zu sehen. Die Verwendung der klassischen Bezeichnungen könnte Erwartungen öffnen, die dann nicht gehalten werden (vgl. Steinke 2010:322).
Um die qualitative Forschung trotzdem verteidigungsfähig zu gestalten, wurden seit den 1980er Jahren darauf bezogene Forschungskriterien entwickelt, gleichwohl gibt es bis heute kein einheitliches Bild (vgl. Flick 2010a:499-506). So stellen Strauss und Corbin (1990:16 zitiert in Flick 2010a:502) bezogen auf die Grounded-Theory-Methodologie vier Ansatzpunkte zur Beurteilung der Güte qualitativer Arbeit auf. Sie erwarten eine kritische Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit der Daten, der Plausibilität und dem Wert der Theorie, der Angemessenheit des Forschungsprozesses und bei der Prüfung der empirischen Grundlage. Flick (vgl. 2010a:511f) schlägt pragmatisch vor, die Güte qualitativer Forschung auf der Ebene der Forschungsplanung anzusiedeln. Dazu gehören für ihn ein angemessenes Forschungsdesign und dazu passende Forschungsmethoden bis hin zum Qualitätsmanagement.
Steinke (vgl. 2010:324) wiederum orientiert die qualitative Forschung an sieben Kriterien. Ihr Vorschlag nimmt viele der zuvor dargestellten Diskussionsbeiträge auf und dient für diese Arbeit deshalb als Grundlage. Für die Anpassung an die spezifische Forschungsarbeit gibt Steinke den Hinweis, dass die
Kriterien und Prüfverfahren [.] für die Anwendung untersuchungsspezifisch - d. h. je nach Fragestellung, Gegenstand und verwendeter Methode- konkretisiert, modifiziert und gegebenenfalls durch weitere Kriterien ergänzt werden sollten. (Steinke 2010:324)
Die folgenden sieben Kategorien sind Ines Steinke (vgl. 2010:323-330) entnommen und werden jeweils auf das konkrete Vorgehen in dieser Arbeit bezogen:
1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit
•Indikatoren: Darstellung Vorverständnis, Dokumentation Erhebungsmethoden und Kontext, Darstellung Auswertungsmethoden, Dokumentation der Informationsquellen, Anwendung kodifizierender Verfahren.
•Forschungsbezug: Die verwendeten Informationsquellen und die Erhebungsund Auswertemethoden sind ausführlich dargestellt. Mit der langen Falldarstellung erhält der Leser zudem die Möglichkeit, in einem begrenzten aber angemessenen Umfang zu eigenen Feststellungen zu gelangen und die Ergebnisse nachzuvollziehen. Im Rahmen der Grounded-Theory-Methodologie wird zudem das angesprochene kodifizierende Verfahren eingesetzt.
2. Indikation des Forschungsprozesses
•Indikatoren: Inwieweit ist die Methodenwahl dem Forschungsgegenstand angemessen? Können Ergebnisse auf einem anderen Weg besser erzielt werden? Hatten die Interviewten ausreichend Freiräume für ihre Geschichte oder wurden sie methodisch eingeengt? Erlaubt die Methode Irritationen des Vorwissens? War der Forscher ausreichend lange im Feld anwesend, um die Informationen einordnen zu können?
•Forschungsbezug: Aufgrund der geringen Fallanzahl bot sich von vornherein eine qualitative Untersuchung an. Ein weiteres Argument ist die bisherige Unaufgeklärtheit der Fallverläufe. Um die zunächst unbekannten Zusammenhänge zu entdecken, waren die Interviews offen für weite Erzählräume. Die Leitfragen wurden genutzt, um den Fokus auf dem Thema zu halten und den Gesprächsverlauf zu strukturieren. Zudem bestand ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Forscher und Interviewten, so dass Tatsachen eher unverfälscht erzählt wurden. Interviewsituation und Fragen sind für einen transparenten Forschungsablauf offen gelegt. Das Risiko einer deduktiv angeleiteten Vorfestlegung wird durch die Anwendung der Grounded-Theory-Methodologie reduziert. Weiterhin drängt die Methodologie durch die rekursive Pendelbewegung zwischen Vorwissen und Forschungsgegenstand zu einer permanenten Infragestellung des eigenen Wissens. Ergänzend konnte Kontextwissen zu den Fällen ausreichend gesammelt werden, weil der Autor rund sieben Jahre im Forschungsfeld verbracht hat.
3. Empirische Verankerung
•Indikatoren: Inwieweit ist die Theoriebildung in den Daten verankert und ermöglicht neues Wissen zu entdecken? Wurden kodifizierende Methoden genutzt? Fand eine kommunikative Validierung statt, indem die Ergebnisse mit den Betroffenen diskutiert wurden? Wurden Hypothesen aus dem Material abgeleitet und an diesen falsifiziert oder verifiziert?
•Forschungsbezug: Der Erkenntnisgewinn bezieht sich intensiv auf die Fälle und ist erst aus diesen entstanden. Gleichwohl wurden erklärende Konzepte mitgeführt, so dass nicht jeder Gedanke neu ist, sondern eher die Art der konsistenten Zusammenfassung. Mit der Grounded-Theory-Methodologie wurde ein kodifizierendes Verfahren eingesetzt, um strukturiert Neues zu generieren. Die Ergebnisse wurden mit Wissenschaftlern sowie Kennern der Fälle diskutiert und als treffend eingestuft.
4. Limitation
•Indikatoren: Mit der Limitation wird die Reichweite der Ergebnisse angesprochen. Es ist danach zu klären, unter welchen Bedingungen sich die Ergebnisse verallgemeinern lassen. Als Methoden bieten sich die Fallkontrastierung und die Suche nach negativen Fällen an.
•Forschungsbezug: In der Arbeit wurden vier Fälle untersucht, die sich insbesondere im Ergebnis unterscheiden. Zur weiteren Validierung wurden außerhalb dieser Arbeit Kontrastierungen mit anderen Projekten aus dem föderalen Kontext vorgenommen. Dazu gehörten die einheitliche Behördenrufnummer D-115, das Projekt Nationales Waffenregister und die Vorhaben Personenstandswesen und Herkunftsregister für Tiere (HIT). Die Reichweite wurde auch in Bezug auf den Kontext geprüft. Wahrscheinlich ist, dass die grundsätzlichen Aussagen wirkenden Mechanismen in der Tendenz erhalten bleiben, insofern statt der nationalen Ebene nur Projekte in Ländern oder Kommunen betroffen sind.
5. Kohärenz
•Indikatoren: Inwieweit ist das Ergebnis widerspruchsfrei und wie wurde mit Widersprüchen in den Daten umgegangen?
•Forschungsbezug: Mit dem gefundenen Ergebnis kann der Verlauf aller Fälle konsistent erklärt werden. Widersprüche sind nicht aufgetreten.
6. Relevanz
•Indikatoren: Inwieweit ist die Fragestellung relevant und welchen Beitrag bietet das Ergebnis zur Erklärung des Phänomens? Inwieweit regt das Ergebnis zur Lösung des Problems an?
•Forschungsbezug: Bisher wurde das Scheitern der nationalen E-Government-Vorhaben in der Wissenschaft kaum rezipiert. Auch die Verwaltung zeigt wenig Interesse an der Aufarbeitung der Gründe. In der einleitenden Problembeschreibung wurde die Relevanz für die Innovationsforschung im Staat dargestellt. Mit dem Anspruch, Verlauf und Ergebnis der untersuchten Vorhaben zu erklären und der späteren Fokussierung auf die Phase Ideendurchsetzung wird nach Gründen und Mechanismen geforscht. Das Ergebnis ermöglicht, die Realisierungschancen vergleichbarer Projekte im Vorwege besser einzuschätzen.
7. Reflektierte Subjektivität
•Indikatoren: Inwieweit wird die Rolle des Forschers im Forschungsprozess reflektiert? Werden persönliche Verstrickungen deutlich gemacht? Welche persönlichen Voraussetzungen bringt der Forscher mit?
•Forschungsbezug: Die Rolle des Forschers wurde in dem vorhergehenden Kapitel verdeutlicht. Dabei wurde insbesondere die Verstrickung des Autors aufgrund der Projektleitung von zwei der Vorhaben thematisiert.
Zusammenfassend spricht der Abgleich zwischen Gütekriterien und konkretem Forschungsvorgehen dafür, dass die Arbeit die Standards qualitativer Forschung hinreichend berücksichtigt.
Im Vordergrund stand dabei die Forschungsfrage: Wieso scheitern E-Government Vorhaben oder bleiben oft weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Größer gefragt: Was beeinflusst die Innovation im Staat (vgl. Schliesky et al. 2010:43)?
Für den Forschungsprozess wurde ein qualitatives Design gewählt: Konkret eine fallorientierte Beschreibung von ausgewählten E-Government-Projekten, um durch die Fallanalyse den hohen Grad an Komplexität sozialer Phänomene (wie diese Projekte) hinreichend aufnehmen zu können (vgl. Barton/ Lazarsfeld 1984:73 und zu Fallstudien beispielsweise die Diskussionen bei Friedrichsmeier et al. 2007 und zur komparativen Analyse Prittwitz 2007).
Grundsätzlich ist für eine geeignete Auswahl der Fälle eine Vorstudie angeraten, die aber bei guter Kenntnis des Feldes (vgl. Gläser/Laudel 2010:99). Aufgrund der langen Arbeit des Autors im Forschungsfeld konnte auf die Vorstudie aber verzichtet werden.
Die konkrete Fallauswahl orientierte sich im ersten Schritt am persönlichen Interesse des Autors kombiniert mit offensichtlicher und wissenschaftlicher Relevanz. Aufgrund ihrer nationalen Bedeutung und auch wegen des persönlichen Zugangs zum Forschungsfeld boten sich für die Analyse die Projekte aus dem Aktionsplan Deutschland-Online an. Diese Vorhaben wurden von den Chefs von Bund und Ländern initiiert, überspannten alle föderalen Ebenen, bezogen Wirtschaft, Bund, Länder und Kommunen mit ein und berührten politische Sphären. Die Vorhaben hatten zudem auf nationaler Ebene große politische Aufmerksamkeit, waren finanziell gut ausgestattet und wurden professionell durchgeführt. Drängende empirische Frage war deshalb, wieso die Deutschland-Online-Initiative wenig erfolgreich war.
Von wissenschaftlichem Interesse ist weiterhin, dass sich das jeweils erzielte Ergebnis der Projekte nicht offensichtlich erklärt und zudem die Verläufe der Vorhaben bisher unverstanden sind. Brüggemeier fragte schon 2005 dazu „ob, und wenn ja, welche EGovernment- typischen Regelmäßigkeiten sich <in Innovationsverläufen; Einfügung AK> zeigen“ (Brüggemeier et al. 2005:354). Eine Befassung mit den Fällen soll darauf eine Antwort geben. Bedeutend für die Wissenschaft werden diese Projekte aber vor allem dadurch, dass sie Aspekte der Vernetzung12 weitgehend ausschöpfen und damit prototypisch für anspruchsvolle E-Government-Vorhaben sind. Ihre Analyse kann damit als Grundlagenforschung für vernetzte Vorhaben gesehen werden.
Die Übersicht in Tabelle 2 gibt die Gesamtheit der Deutschland-Online-Vorhaben und deren nach außen kommuniziertes Ergebnis wieder.
Tabelle 2 – Übersicht der möglichen Fälle – Bürgerdienste nach Aktionsplan
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an : BMI 2005, Aktionspläne Deutschland-Online 2003 und 2007, Ergebnisübersicht abgeschlossener Vorhaben durch den IT-Planungsrat (Onlinezugriff 19.3.2016)
Nachdem im ersten Schritt die Deutschland-Online-Vorhaben gewählt wurden, ist anschließend eine weitere Eingrenzung erforderlich. Dieses schon aus dem einfachen Grund, weil der Aufwand für eine fallorientierte Analyse sehr hoch ist und in überschaubarer Zeit geleistet werden muss.
Da aufgrund dieser Restriktion nicht sämtliche Deutschland-Online-Vorhaben verglichen werden können sind solche auszuwählen, die in der vergleichenden Analyse möglichst aussagefähige Ergebnisse ermöglichen. Dieses wird in der Regel dadurch erreicht, wenn zentrale Einflussfaktoren variieren. Dazu ist zwischen zwei verschieden Forschungsdesigns abzuwägen. Entweder werden Projekte gewählt, die für das Erkenntnisinteresse eine typische und damit ähnliche Fallkonstellation bilden (Most-Similiar-System-Design) oder solche, die in ihren zentralen Einflussfaktoren extrem auseinanderliegen (Most-Different-System-Design). Beide Designs haben Vor- und Nachteile. Das Most-Similiar-System-Design gilt durch die Ähnlichkeit der auszuwählenden Fälle als besonders forschungseffizient. Es soll zudem weniger zu dem Risiko neigen, einen unabhängigen Einfluss zu übersehen. Vor allem bei einer kleinen Fallzahl ist der „Preis“ für diese Effizienz die geringere Reichweite der gefundenen Aussagen. Für eine theoretische „Härtung“ wäre das Most-Different-System-Design besser geeignet, bei dem sich die Fälle in den zentralen Bedingungen sehr stark unterscheiden, etwa durch die Wahl unterschiedlicher Länder und Projektarten. (Vgl. Gläser/ Laudel 2010:98f, Kelle/ Kluge 1999:38-40, Jann 2011:75-79)
Für diese Forschungsarbeit ist das Most-Similiar-System-Design als ausreichend anzusehen. Denn die Ergebnisse sollen sich „nur“ auf die Innovation im Staat in Deutschland und hier auf E-Government im föderalen Kontext beziehen. Die Reichweite ist damit bewusst begrenzt. Zum Most-Similiar-System-Design passen dabei solche Fälle, die einerseits homogen sind und andererseits eine deutliche Varianz in den für diese Arbeit bedeutenden Kriterien aufweisen. Es wurden deshalb Vorhaben gesucht, die sich möglichst nur im Ergebnis unterschieden (umgesetzt / nicht umgesetzt) und gleichzeitig in den Rahmenbedingungen sehr ähnlich sind (etwa der institutionelle Kontext oder die Akteure). Als forschungspraktisches und wissenschaftlich akzeptiertes Kriterium kam hinzu, wie gut die Daten zugänglich sind (vgl. Jahn 2011:89).
Anhand dieser Kriterien wurden drei Deutschland-Online-Vorhaben und das Projekt Metropolregion Hamburg ausgewählt. Dieses hatte zu seiner Zeit bundesweit Leitfunktion für die E-Government-Entwicklung und war mit der Geschichte von Deutschland-Online eng verbunden. Nur wenig unterschieden sich die Fälle im maßgeblichen Politikfeld, den beteiligten Verwaltungsebenen und in Hinblick auf die Mitwirkung von Unternehmen. Starke Unterschiede gab es hingegen im Ergebnis: Zwei Vorhaben wurden umgesetzt und zwei abgebrochen.
Übersicht der ausgewählten Fälle:
•Kfz-Wesen I - Ziel: Standardisierung und Datenaustausch; Ergebnis: nicht umgesetzt.
•Kfz-Wesen II - Ziel: Online Kfz-Zulassung, Ergebnis: Teilprozesse umgesetzt (2016) und noch in Bearbeitung.
•Metropolregion Hamburg - Ziel: Länder- und zuständigkeitsübergreifende Datenerfassung bei Personenumzug; Ergebnis: nicht umgesetzt.
•VEMAGS -Ziel: Zentrales Workflowsystem im Internet zur Erteilung von Ausnahmengenehmigungen für Schwerlasttransporte; Ergebnis: umgesetzt.
Die Fälle Kfz-Wesen I und II werden in dieser Arbeit gemeinsam dargestellt und analysiert, weil sie das gleiche Verwaltungsverfahren zum Inhalt hatten und zeitlich wie inhaltlich eng verbunden waren.
Abbildung 3 – Zeitliche Einordnung der Fälle
Quelle: eigene Darstellung
Das Vorhaben Nationales Waffenregister wurde zunächst einbezogen, da es aufgrund seiner netzartigen Struktur grundsätzlich geeignet war. Nach einer Voranalyse konnte es aber nicht weiter berücksichtigt werden. Zwei Gründe sprachen gegen das Vorhaben. Erstens fiel die Umsetzungsentscheidung für das Nationale Waffenregister unter öffentlichem Handlungsdruck. Hintergrund war der Amoklauf in Winnenden, bei dem zahlreiche Schüler und Lehrer getötet wurden (Vgl. Kaiser, S. 2009 „Narben, die nie ganz verheilen“ in Spiegel Jahreschronik 2009). Damit wurde eine ernsthafte Krise im öffentlichen Bewusstsein ausgelöst und die Umsetzung einer stärkeren Waffenkontrolle war Konsens in der Politik. Kurz danach wurde eine Verschärfung des Waffenrechts gefordert und damit eine EU-Richtlinie schneller und umfangreicher als geplant umgesetzt (vgl. ITPLR 2010b:1; Pressemitteilung vom 14.12.2010). Die Geschwindigkeit bei der Umsetzung und die Konsensorientierung der Akteure resultierten damit aus Systemversagen, so dass die üblichen Vetomechanismen in Bund-Länder-Gremien für kurze Zeit ruhten. Der Verlauf des Vorhabens in den maßgeblichen Phasen unterschied sich dadurch von den anderen Projekten. Zweitens, aber nachrangig, waren Informationen zu den nun ausgewählten Vorhaben einfacher und umfangreicher zu beschaffen.
Im Anhang sind die vier Fälle ausführlich dargestellt. Jede Fallrekonstruktion überspannt dabei einen Zeitraum von rund zehn Jahren. Die gewählte lange Nacherzählung ist erforderlich, damit die beschriebenen Ergebnisse zum einen plausibel nachvollzogen werden können. Zum anderen erfolgt die ausführliche Darstellung vor dem Hintergrund notwendiger Forschungsqualität, denn Datentransparenz (also Inhalt und Kausalität) ist ein Gütekriterium qualitativer Sozialforschung (siehe Teil A 2.2). Unabhängig von der später folgenden intensiven Falldarstellung ist es für das Verständnis der Arbeit erforderlich, sich mit den Fällen überblicksartig vertraut zu machen. In Tabelle 3 sind wichtige Merkmale der Fälle zusammengefasst. Die Netzgraphiken im Anschluss an jede Fallübersicht beruhen auf den hier getroffenen Aussagen. Sie sind im Sinne einer Heuristik für die Veränderungsneigung in den Fällen zu verstehen. Je größer die aufgespannte Fläche, desto wahrscheinlicher ist es, das Projekt umzusetzen.
Tabelle 3 – Fallübergreifender Überblick wichtiger Merkmale
Quelle: eigene Darstellung
Modernisierungsidee: „Die Online-Kfz-Zulassung“.
Kernidee war die Online-Zulassung von Kraftfahrzeugen. Der Reformansatz bezog sich auf rund 25 Millionen Verwaltungsvorgänge pro Jahr und sollte dem Bürger eine Alternative zum Behördengang bieten. Technisches Hauptproblem waren die überwiegend materiell vorliegenden Nachweise. Dazu gehören etwa die Fahrzeugdokumente, die Kennzeichen und die Plaketten auf den Kennzeichen. Hierfür mussten Alternativen gefunden werden.
Zusammenfassung der Modernisierung: 13 Jahre Kfz-Wesen
Das Politikfeld Kfz-Wesen wurde im Jahr 2001 von der „E-Government-Welle“ erfasst. Die neu gegründete Staatssekretärs-Runde E-Government wollte das Kfz-Wesen unter intensivem Einsatz der Informationstechnologie modernisieren. Im Jahr 2003 startete nach politischer Vorbereitung die Initiative Deutschland-Online mit 24 E-Government-Projekten. Eines davon war das Vorhaben Kfz-Wesen. Die Datenzentrale Baden-Württemberg übernahm zunächst die Federführung. Die Fachseite war zu dieser Zeit mit eigenen Reformen ausgelastet und nahm an dem Projekt nicht teil. Kooperation wurde zwar zugesagt, fand aber nicht statt. Ein Grund: Die fachfremde Befassung mit dem Kfz-Wesen sah die Fachseite als Affront. Nach vier Arbeitsgruppensitzungen wurde das Projekt im Jahr 2005 ohne Ergebnis beendet. Im Jahr 2006 startete der nächste Modernisierungsversuch. Die Regierungschefs aus Bund und Ländern beschlossen den Aktionsplan Deutschland-Online. Diesmal übernahm die Finanzbehörde in Hamburg die Federführung. Die Fachseite war bei den regelmäßigen Arbeitsgruppensitzungen anwesend. Zwei Jahre und sieben Arbeitsgruppensitzungen später (2008) legte die Arbeitsgruppe ein so genanntes Basiskonzept für die Online-Zulassung vor. Das Bundesministerium des Innern (BMI) und das Bundesministerium für Verkehr Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) lehnten das Konzept ab. Der Staatsrat der Finanzbehörde Hamburg versuchte nun, das Projekt Kfz-Wesen in die Fachstrukturen „einzuhaken“. Über mehrere Monate formierte er eine Allianz der Unterstützer (Promotoren), indem er in jedem Gremium des Fachentscheidungssystems vortrug und sich mit den Staatssekretären des Bundesministeriums des Innern und des BMVBS auf inhaltliche Ziele vereinbarte. Er hatte Erfolg. Das Kfz-Wesen erhielt eine Lenkungsgruppe aus Staatssekretären der Bereiche Verkehr und EGovernment und durfte in der Verkehrsministerkonferenz berichten. Der Weg ins Fachentscheidungssystem war geöffnet. Zunächst ging es „aufwärts“. Sieben Pilotzulassungsbehörden erprobten die Zulassung „ohne Gang zur Zulassungsstelle“ und die Verkehrsministerkonferenz erteilte vier umfangreiche Prüfaufträge an das Projekt. Wenig später wechselten alle politischen Unterstützer. Das Projekt geriet ins „Schlingern“ und hatte kaum noch politische Unterstützung. Das BMVBS nutzte die Gelegenheit und „dampfte“ die Projektziele ein. Der Zufall half. Das Projekt Kfz-Wesen gewann mit dem Jahre zuvor vom BMI und BMVBS abgelehnten Transaktionsnummernkonzept den Publikumspreis auf dem E-Government-Wettbewerb von Cisco und Bearing-Point. Dadurch wurde der neue Staatsrat in Hamburg und der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats auf das Vorhaben aufmerksam. Beide unterstützen nun das Vorhaben. Es kam zu einer Einigung mit dem BMVBS und dieses übernahm im Jahr 2013 die Federführung. Im Jahr 2015 wurde die Online-Außerbetriebsetzung gestartet und auf der CeBIT weitere Schritte angekündigt. Dazu Verkehrsminister Dobrindt:
Die Online-Abmeldung ist der erste Schritt einer internetbasierten Fahrzeugzulassung. Mit dem Online-Verfahren sparen Bürger und Zulassungsbehörden Geld und Zeit. Das gesamte Zulassungssystem wird effektiver und kostengünstiger, (BMVI 2015)
Veränderungsneigung in den Fällen Kfz-Wesen I+II
Der Fall Kfz-Wesen II wies die zweithöchste Veränderungsneigung der Fälle auf. Der Fall Kfz-Wesen I hatte hingegen die niedrigste Veränderungsneigung. Die dafür maßgeblichen Indikatoren sind auch in ihrem zeitlichen Verlauf in Abbildung 4 dargestellt.
Abbildung 4 – Veränderungsneigung im Fall Kfz-Wesen I+II
Quelle: eigene Darstellung
Modernisierungsidee: „Grenz- und fachüberschreitender Verwaltungsservice“.
In der Metropolregion Hamburg sollte es Bürgern ermöglicht werden, bei einem Umzug alle behördlichen und darüber hinaus gehenden administrativen Maßnahmen – etwa Ummeldung Müllabfuhr – an einem Anlaufort zu erledigen und so Wegezeit zu reduzieren. Pro Jahr würde der Bedarf für einen solchen Service – so die dazu durchgeführte BSL-Studie - rund 80.000 pro Jahr auftreten. Hauptproblem waren die unterschiedlichen örtlichen und sachlichen Zuständigkeiten. So mussten zum einen Melde- und Kfz-Behörden gegenseitig Verwaltungsvorgänge übernehmen. Zum anderen sollten dabei örtliche Zuständigkeitsgrenzen aufgehoben werden.
Zusammenfassung der Modernisierung: 10 Jahre Metropolregion
Einkaufen und arbeiten können die Bürger der Metropolregion überall. Zukünftig sollten sie auch ihre Verwaltungsangelegenheiten in jeder Kommune erledigen können; losgelöst von fachlicher und örtlicher Zuständigkeit. Die Idee wurde ab dem Jahr 1999 vom damaligen Segeberger Landrat Georg Gorrissen forciert. Im Jahr 2002 stiegen die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in die Ideenumsetzung ein. Die sogenannte BSL-Studie (vgl. BSL 2003b) beschrieb die grundsätzliche Machbarkeit. (Vgl. Kirstein 2005, Vortrag)
Das Projekt war in die Internationalisierungsstrategie der Metropolregion eingebettet und sollte neben den Verkehrsmagistralen nun die passenden Datenwege schaffen. Die Finanzbehörde Hamburg übernahm die Federführung (Jahr 2003). Das Projekt konzentrierte sich überwiegend auf technische und organisatorische Fragen und ignorierte weitgehend Hinweise und Einwände der Fachseite. So gab es keinen entscheidungsrelevanten Kontakt zu den Fachentscheidungssystemen Meldewesen und Kfz-Wesen. Die notwendigen rechtlichen Änderungen blieben weitgehend unbearbeitet. Trotzdem wurden über Jahre hinweg umfangreiche Softwarelösungen geschaffen, die aus rechtlichen Gründen nicht in Betrieb genommen werden durften. Das Projekt wurde zehn Jahre nach der ersten Idee eingestellt (Jahr 2009).
Veränderungsneigung im Fall Metropolregion
Der Fall Metropolregion wies die zweitniedrigste Veränderungsneigung der Fälle auf.
Abbildung 5 – Veränderungsneigung im Fall Metropolregion
Quelle: eigene Darstellung
Modernisierungsidee: „Online-Ausnahmegenehmigungen für Schwertransporte“.
Die Straßenbenutzung für Großraum- und Schwertransporte ist genehmigungspflichtig. Dabei sind alle betroffenen Kreise und Länder in die Genehmigung der Strecken einzubeziehen. Der Aufwand dafür war sehr hoch. Pro Jahr werden rund 350.000 Anträge gestellt. Hauptproblem von VEMAGS war die Interessenkoordinierung aller Länder bei der Softwareentwicklung.
Zusammenfassung der Modernisierung: 16 Jahre VEMAGS
Die Idee zu VEMAGS entstand im Jahr 1998 aus der Mitte des Fachbereichs. Im Vordergrund stand eine automatisierte Routenplanung für Schwerlasttransporte. Ziel war insbesondere, den hohen personellen Aufwand für die Berechnung der Straßentragwerke (etwa Brücken) zu verringern. Hinzu kamen Interessen der Verkehrsbehörden, das Antrags- und Genehmigungsverfahren effizienter zu gestalten, weil die Antragszahlen stetig höher wurden (vgl. VEMAGS 2014a; Geschichte zu VEMAGS). Zwischen den Baulastverantwortlichen und den Genehmigungsbehörden kam es über Jahre zu keiner Einigung. Der Verkehrsbereich Hessen vermittelte deshalb ab dem Jahr 2001 zwischen den Akteuren und deren unterschiedlichen Interessen. Ab dem Jahr 2004 nahm sich der CIO von Hessen dem Thema an und versuchte eine Modernisierung an den Fachbereichen vorbei. Fortschritte gelangen aber erst, nachdem der CIO den Verkehrsbereich in Hessen mit einband (Jahr 2005) und damit den Zugang zum Fachentscheidungssystem öffnete. Das Verkehrsministerium brachte eine Verwaltungsvereinbarung zu VEMAGS in die GKVS ein. Die Verhandlungen darüber zogen sich ein Jahr hin. Am Ende verkleinerte die GKVS den Projektauftrag und beschränkte sich auf eine zentrale elektronische Plattform für das Antrags- und Genehmigungsverfahren. Nach dem erzielten Konsens über die Vereinbarung begann die Softwareentwicklung und wurde durch große finanzielle Mittel aus dem hessischen E-Government-Bereich unterstützt
Im Jahr 2007 nahm Hessen die Online-Plattform VEMAGS erfolgreich in Betrieb. VEMAGS als Antrags und Genehmigungsplattform wird (Jahr 2016) immer noch erfolgreich eingesetzt und stetig ausgebaut. Die automatische Routenplanung (Integrationsnetz Straße) hingegen wurde bisher nicht realisiert und befindet sich noch immer in der Planung. (Vgl. VEMAGS 2014a; Modulübersicht).
Veränderungsneigung im Fall VEMAGS
Die Veränderungsneigung von VEMAGS war von allen Fällen am höchsten ausgeprägt. VEMAGS ist das einzige Vorhaben, das die Phase Routinisierung durchlaufen hat.
Abbildung 6 - Veränderungsneigung im Fall VEMAGS
Quelle: eigene Darstellung
Im ersten Forschungsschritt wird das Innovationsobjekt näher bestimmt. Erforderlich ist dazu, „vernetzte“13 Verwaltungsverfahren im Kontext von E-Government näher zu definieren. Das Ergebnis wird anschließend mit der Innovationsforschung verbunden.
Als Ausgangspunkt der „Vernetzung” wird die kooperative Aufgabenwahrnehmung durch verschiedene öffentliche und private Stellen gesehen, die ein gemeinsames Ergebnis produzieren. In der E-Government-Diskussion werden solche Arrangements als Öffentliche-Leistungs- und –Produktionsnetzwerke bezeichnet (vgl. Brüggemeier/ Röber 2011:359)14. „Vernetzung“ findet hier insbesondere auf organisationaler Ebene statt, gleichwohl kann auch Informationstechnologie unterstützend genutzt werden. Grundsätzlich ist deshalb zwischen den Netzen der Informationstechnologie und den darauf basierenden kooperativen Organisationsstrukturen zu unterscheiden (vgl. Schuppan 2011:273f). Auf letztere richtet sich der Fokus dieser Arbeit. Zum Verständnis von Grundlagen und Genese der „Vernetzung” werden Akteurskonstellationen, das Zusammenspiel von Transaktionskosten, Leistungstiefe und Gewährleistungsstaat und eine dadurch ermöglichte Modularisierung betrachtet. Damit entstehen Anknüpfungspunkte für die weitere Analyse.
Grundlage organisatorisch vernetzter Fachverfahren ist die Kooperation mehrerer Organisationen. Hier soll insbesondere ein wichtiger Unterschied zwischen Unternehmungsund Verwaltungsnetzwerken angesprochen werden (vgl. für eine Übersicht zu Unternehmungsnetzwerken Sydow 2010). „Vernetzung” bietet Unternehmen Möglichkeiten, Wettbewerbsnachteile zu reduzieren oder -vorteile auszubauen. Dazu werden beispielsweise Ressourcen von Unternehmen zusammengelegt und gemeinsam genutzt, um bestimmte Produkte besser, günstiger und schneller zu erstellen oder deren Vertrieb zu optimieren. (Vgl. Hülsmann/ Cordes 2008:2) Der Aufbau von Netzwerken oder die Integration in bestehende Netzwerke erfolgt bei Unternehmen überwiegend aktiv und beruht auf Freiwilligkeit der Beteiligten. Der Staat hingegen handelt aus einer Wohlfahrtsperspektive und ist deshalb weitgehend an das Verantwortungsdreieck Gesellschaft, Verwaltung, Individuum (vgl. Brüggemeier et al 2006:36) gebunden. Produkte der „Vernetzung” sind durch Normen geregelt, die Ziele, Mittel, Zuständigkeiten und Adressaten vorzeichnen und damit die Gestaltungsfreiheit der Verwaltung begrenzen. Insbesondere bei der Modernisierung von Verwaltungsverfahren (etwa das Fachverfahren Online-Kfz-Zulassung), aber auch teilweise bei deren neuartiger Konfiguration (etwa im Fall Metropolregion) stehen die zu beteiligenden Netzwerkakteure weitgehend fest. Erfolg oder Nichterfolg der Realisierung hängt dann auch maßgeblich davon ab, inwieweit diese Akteure das Vorhaben unterstützen. Doch in föderalen Staatsstrukturen mit geteilter Verantwortung für die Produktion von Verwaltungsergebnissen ist die Mitwirkung der Akteure weder erzwingbar noch selbstverständlich. Während bei Unternehmungen der Schwerpunkt der „Vernetzung” in den grundsätzlichen Schritten – Erkennen von Vorteilen und Aufbau der „Vernetzung” mit den richtigen Partnern liegt (vgl. Sydow 2010:394-397), ist in der öffentlichen Verwaltung zusätzlich Überzeugungsarbeit bei denjenigen Netzwerkpartnern zu leisten, die über Bestimmungsrechte an den Fachverfahren verfügen. Denn Veränderungen bringen oftmals Eingriffe in bestehende Macht- und Verteilungsstrukturen mit sich, die durch Vetorechte abgewehrt werden können. Im Mehrebenensystem in Deutschland (vgl. Lauterburg 2011) können so aufgrund der Beteiligung von Bund, Ländern und Kommunen an den Verfahren komplizierte Verhandlungssituationen entstehen. Benz (vgl. 2011:14) nennt dieses Verhandlungskonstrukt „komplexe verschränkte Hierarchien“, die einer einfachen Lösung oftmals entgegenstehen. Werden zusätzlich Unternehmen in den Verhandlungsprozess einbezogen, kann sich die Komplexität der Aushandlungssituation weiter erhöhen.
Die skizzierten föderalen Zwangsstrukturen bilden den Handlungsrahmen für die organisatorische Vernetzung. Deren Genese wird nun anhand von drei Bausteinen nachgezeichnet.
In der ökonomischen Perspektive werden Netzwerke als Koordinationsform zwischen Markt und Hierarchie eingeordnet. Grundlage ist die Erkenntnis von Ronald Coase (1937), dass es einen Zusammenhang zwischen Transaktionskosten (auch Marktbenutzungskosten) und Organisationsform gibt. Er war der grundsätzlichen Frage nachgegangen, „why is there any organization?“ (Coase 1937///2000:19) und kam zu dem Ergebnis, dass je nach Bedingungen entweder die Koordinationsform Markt oder die Koordinationsform Hierarchie günstigere Transaktionskosten aufweisen. Oliver Williamson (1979) hat darauf aufbauend eine allgemeine Transaktionskosten-Ökonomie entwickelt und zwischen Markt und Hierarchie das „relational contracting“ (Williamson 1979:237) gestellt. Elf Jahre später hat Powell (1990) in seinem Aufsatz „Neither Market nor Hierarchy: Network Forms of Organization“ den Begriff Netzwerk als dritte Interaktionsform geprägt.
Dazu Powell (1990:301) „Markets, hierarchies, and networks are pieces of a larger puzzle that is the economy. The properties of the parts of this system are defined by the kinds of interaction that takes place among them.“ Welche der drei Koordinationsformen sich ausbildet ist in der ökonomischen Perspektive davon abhängig, wie die grundsätzlichen Eigenschaften von Transaktionen ausgeprägt sind. Zu diesen Eigenschaften gehören die „asset specificity“, die zu „kontrollierende Unsicherheit“ und die „Veränderlichkeit der Aufgaben“ oder „Häufigkeit der Transaktionen“. Die Wahl der Koordinationsform Hierarchie wird eher mit hoher Unsicherheit und hoher asset specificity verbunden. Der Governance-Mechanismus „Markt“ sei hingegen eher geeignet, wenn Transaktionen von geringer Unsicherheit, vielen Anbietern und geringer Dauerhaftigkeit bestimmt sind. Williamson ordnet die Koordinationsform Netzwerke bei mittlerer asset specificity und geringer Unsicherheit ein (vgl. Jansen 1998:44f).
Für die öffentliche Verwaltung werden Transaktionskosten15 mit Überlegungen zur Institutionenwahl in Zusammenhang gebracht. Damit ist die Frage verbunden, welche Leistungen der Staat in welcher Tiefe und in welcher Art selber erbringen muss (Leistungstiefendiskussion16). Im Ergebnis solcher Überlegungen kann es zur teilweisen oder kompletten Auslagerung (Contracting-Out, vgl. Grossmann et al. 2007:42) von überwiegend standardisierten öffentlichen Leistungen kommen (vgl. Reichard 2004:56). Ein konkretes Beispiel ist die Personalauslagerung bei der Hamburger-Stadtreinigung in eine neue Organisation und die Rückleihe der Mitarbeiter durch die Gründungsorganisation (Beschreibung durch Haseborg 2012, Artikel im Hamburger Abendblatt). Hier wurde wohl aus institutionellen Gründen gehandelt, um so Tarifverträge zu umgehen und Netzwerkarbitrage einzufahren (vgl. zu einem solchen Vorgehen Windeler 2001:240; Fußnote 145). Weitere Beispiele sind die Auslagerung von EDV-Abteilungen und Personaldienstleistungen (vgl. Schuppan/ Wind 2010:22f) oder des Rechnungswesens (vgl. Küchler/ Heiling 2008). Zunehmend folgen Kooperationen im Sozial- und Gesundheitsbereich (vgl. Brüggemeier 2004:189; Agranoff/ McGuire 2003:38). Neben der Auslagerung von kompletten Organisationseinheiten sind auch Modelle möglich, bei denen nur einzelne Arbeitsschritte ausgegliedert werden. Grundlage dieser Überlegungen ist das Modell vom Gewährleistungsstaat. Produktion von öffentlichen Leistungen und die Gewährleistung für das Ergebnis sind dabei verschiedenen Verantwortungsbereichen zugeordnet (vgl. Reichardt 2004). Der Staat überträgt in diesem Modell Teilaufgaben der Produktion an dritte. Gleichzeitig übernimmt er aber die Gewährleistung, dass dieses öffentliche Gut garantiert hergestellt wird.
Mit den zuvor skizzierten Konstruktionselementen - Transaktionskosten, Leistungstiefe und Gewährleistungsstaat - ist der Weg zur Modularisierung bereitet. Damit können arbeitsteilige Organisationsmodelle konzipiert werden, bei denen einzelne Module entlang eines Wertschöpfungsprozesses identifiziert und je nach Eignungsgrad einzeln oder gebündelt zu verschiedenen Trägerorganisationen verlagert werden. Zu solchen Modulen zählt Reichardt beispielsweise die abgrenzbaren Arbeitsschritte Finanzierung, Produktion, Distribution, Kontrolle und Evaluation von Leistungen (vgl. Reichardt 2004:7). Für jedes dieser eher noch groben Module wäre die Institutionenwahl Privat/ Teilprivat/ Staat zu prüfen. Wobei der Staat grundsätzlich und weiterhin die Gewährleistung für das Ergebnis übernimmt.17 Bei dieser (noch) E-Government fernen Betrachtung entsteht "Vernetzung” aufgrund kooperativer Beziehungen zu ausgelagerten und dabei von einer oder mehreren Stellen gemeinsam genutzten und gesteuerten Organisationseinheit. Informationstechnologie kann dabei unterstützend wirken, ist aber nicht Voraussetzung. Die genannten institutionellen Möglichkeiten zur verteilten und modularisierten Aufgabenwahrnehmung bilden zudem die Grundlage der “Vernetzung” im E-Government (vgl. Brüggemeier/ Röber 2011). Denn durch die Möglichkeiten der Informationstechnologie kann die Auslagerungsdiskussion auf kleinere als die bisher genannten Einheiten gelenkt werden. Drei Bauprinzipien sind dafür maßgeblich:
Erster Baustein ist die Immaterialität