Innsbruck abseits der Pfade - Bernd Schuchter - E-Book

Innsbruck abseits der Pfade E-Book

Bernd Schuchter

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Beschreibung

In Innsbruck abseits der Pfade entdecken wir die Stadt in den Alpen als Verkehrsknotenpunkt seit dem Mittelalter, als Ort der kurzen Wege, als Eldorado für Radfahrer, als Schauplatz von Kunstskandalen, Kleinherzigkeit und Heldentaten; wir lernen Einwohner kennen, die so gar nichts mit dem Klischee der skifahrenden, in den Bergen wandernden, gesunden, kernigen Tiroler zu tun haben, als die sie bereits Heinrich Heine in seinen Reisebildern beschrieben hat. Obwohl jeder sechste Skitourist weltweit in Tirol Urlaub macht, gibt es in Innsbruck und Umgebung einen ruralen Unterbau, der weder den Fremdenverkehr noch die Mitterer'sche Piefke-Saga repräsentiert.

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Bernd Schuchter

Innsbruck abseits der Pfade

BERND SCHUCHTER

Innsbruck

ABSEITS DER PFADE

Eine etwas andere Reise durchdie Stadt mit dem Goldenen Dachl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie – detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

1. Auflage 2015

© 2015 by Braumüller GmbH

Servitengasse 5, A-1090 Wien

www.braumueller.at

Fotos:

© Bernd Schuchter S. 20, 21, 23, 25, 26, 27, 31, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 94, 95, 96, 98, 108, 109, 155, 178, 189.

© Peter Gründhammer S. 6, 15, 30, 44, 46, 47, 51, 56, 57, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 70, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 80, 83, 84, 100, 102, 106–107, 107, 109, 110, 111, 112, 113, 115, 117, 119, 120, 122, 123, 124, 127, 129, 138, 142, 147, 149, 150, 155, 160, 167, 171, 175, 177, 187, www.petergründhammer.at

Andere Bezugsquellen:

Wappen Innsbruck S. 8: wikicommons | basierend auf Jürgen Krause

Karte S. 10–11: Anonymer Kupferstich aus: Johann Ludwig Gottfried, „Neuwe ARCHONTOLOGIA COSMICA, Das ist Beschreibung aller Kayserthumben …“, erschienen bei: Wolffgang Hoffman, Frankfurt/M. 1638, 21,3 x 32,8 cm.

Dank an Dr. Peter Adelsberger, Antiquariat Gallus, für die

Zurverfügungstellung des Bildes.

Karten S. 16, 40, 90, 130, 152:

openstreetmap.org | © OpenStreetMap-Mitwirkende (CC BY-SA 2.0)

S. 116ff.: Heinrich Heine, Reisebilder II, Kapitel XI, 1827 erstmals erschienen

ISBN Druck: 978-3-99100-142-3

ISBN E-Book: 978-3-99100-143-0

Den Innsbruckern gewidmet,besonders M., J. & M.

Inhalt

Innsbruck – das Herz der Alpen

Zwischen Judenbühel und Scheibenbühel

Mühlau und die Tiroler Literatur

Der ehemalige jüdische Friedhof,der Alpenzoo und die Heimat des Wassers

Innsbruck und die Migration

Antiquariat, Universität und Speckknödelsuppe

Saggen und die Innenstadt

Wilten und Sillschlucht

Innsbruck und die Geschichte

Schloss Ambras und der Schlosspark

Zwei Spaziergänge durch die historische Altstadt

Innsbruck und die Kultur

Von Schauspielwochen und anderen Gleichgültigkeiten

Von Kunstskandalen und der Frömmigkeit der Tiroler

Do-it-yourself in Innsbruck

Von langen Nächten in den Bögen und der Kulturbäckerei

Schuchters Radiomuseum

Von der scharfen Ecke bis Oscar kocht

Innsbruck von außen – die Umgebung

Von Hall, Seefeld und dem Möserer See

Innsbruck-Tipps

„Innsbruck, ich muss dich lassen.“

Kolportierter Ausspruch Kaiser Maximilians I., der Innsbruck anscheinend überstürzt verließ, weil er so viele Schulden bei den Innsbrucker Bürgern hatte, tatsächlich aber Titel- und Liedzeile von einem Werk von

Heinrich Isaac

„Innsbruck selbst ist eine unwohnliche, blöde Stadt.“

Heinrich Heine, Reisebilder

„Innsbruck liegt herrlich in einem breiten, reichen Tale, zwischen hohen Felsen und Gebirgen. Erst wollte ich da bleiben, aber es ließ mir keine Ruhe.“

Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise I.

Anonymer Kupferstich (1638)

Innsbruck – das Herz der Alpen

Wer sich entschließt, nach Innsbruck zu reisen, wird zwangsläufig mit dem Schlagwort „Herz der Alpen“ konfrontiert. Es ist mehr als ungeklärt, ob das Herz der Alpen in Innsbruck schlägt. Dieser Titel verdankt sich dem Bemühen der Tirol Werbung, die seit Jahrzehnten – als anderswo Marketing noch ein Fremdwort war – das Image der Stadt und des Landes Tirol aufgehübscht in die weite Welt trägt.

Was dennoch jedem sofort ins Auge fällt, wenn er in Innsbruck ankommt, ist die sehr spezielle geografische Lage: Innsbruck liegt als Tor nach Italien an einer wichtigen Transitroute und mitten im Hochgebirge. In unmittelbarer Nähe der Stadt ragen im Süden der Patscherkofel und im Norden die Nordkette über 2000 Meter in die Höhe und bieten ein spektakuläres Bergpanorama. Ein weiteres Charakteristikum der Stadt ist der hier übliche Wind, der Föhn – ein warmer Südwind, der vom Brenner her die Berge herabsaust und Innsbruck über das Jahr erstaunlich viele Schönwettertage beschert. Während im restlichen Österreich Hochnebel oder Regen herrschen, strahlt in Innsbruck die Sonne vom blauen Himmel – was wiederum zur Tirol Werbung zurückführt, die diese Bilder von sonnigen Bergpanoramen in die ganze Welt schickt.

Touristen kommen nicht erst seit den Olympischen Winterspielen, die 1964 und 1976 in Innsbruck ausgetragen wurden, sondern in erster Linie wegen der Natur und dem Sport, also der Möglichkeit, in den Bergen rund um Innsbruck dem Wintersport zu frönen oder im Sommer alpin und hochalpin zu wandern; indische Reisende kommen wegen der Traumsequenzen in Bollywood-Filmen, die meist auf Almwiesen vor Berggipfeln spielen und daher zwangsläufig in Österreich oder in der Schweiz gedreht werden müssen. Auch das eine Frage der Werbung …

Die Tiroler nehmen die Besucher meist gleichmütig bis leicht genervt hin, wie sie den hiesigen Föhn als notwendiges Übel hinnehmen. Während Gäste Devisen bringen, die die Tiroler Wirtschaft am Laufen halten, so braucht es den Föhn, damit das Wetter schön ist.

Die Kultur – wenn man darunter nicht ausschließlich die kultivierte Natur versteht – tat sich mit Innsbruck und seiner Umgebung über die Jahrhunderte schon weitaus schwerer, wie schon Heinrich Heine in seinen Reisebildern bemerkte, indem er über die Einheimischen bissig schrieb: „Die Tiroler sind schön, heiter, ehrlich, brav, und von unergründlicher Geistesbeschränktheit.“

Dieser kleine Reiseführer lädt ein, Innsbruck abseits der Pfade kennenzulernen, denn abseits der wegen ihrer Architektin Zaha Hadid international bekannten Sprungschanze am Bergisel und abseits des Wahrzeichens der Stadt, dem Goldenen Dachl in der Altstadt, abseits der üblichen Sehenswürdigkeiten gibt es in Innsbruck und Umgebung zahllose kleine und größere Entdeckungen zu machen, Plätze und Orte, die einen anderen Blick auf diese schon so oft beschriebene Stadt erlauben.

Mein Zugang zu dieser Stadt kann nur ein persönlicher sein, Innsbruck ist meine Geburtsstadt – ich habe also einen von Vorurteilen und Ungerechtigkeiten getrübten Blick; allerdings verändert sich über die Jahre die Meinung, gerade wenn man eine Zeit lang woanders gelebt hat und dann zurückkommt, wie es bei mir der Fall war – dann verändern sich Wege, die man früher schon gegangen ist, und zu den Kindheitserinnerungen gesellen sich neue Gedanken und man kann die Wege und Pfade anders sehen.

So lade ich alle Flaneure ein, mich mit diesem anderen Blick auf diesen anderen Pfaden zu begleiten.

Die Stiftgasse in der Innsbrucker Altstadt

Mühlau

& Tiroler Literatur

1 Mühlau

2 Mühlauer Kirche

3 Mühlauer Friedhof

4 Fuchsloch

5 Scheibenbühel

Jüdischer Friedhof

& Wasserwerk

A Kongresshaus

B Hans-Psenner-Steg

C Ehemaliger jüdischer Friedhof

D Spielplatz Judenbühel

E Pavillon

F Wasserwerk

Zwischen Judenbühelund Scheibenbühel

Mühlau und die Tiroler Literatur

Mit einer gewissen Distanz eröffnet sich ein Blick, der einen Ort besser verstehen lässt. So auch bei Innsbruck – gerade in Tirol bietet sich an, von oben auf die Dinge zu schauen, das Inntal ist ja durchgehend von Bergen begrenzt, die meist steil in die Höhe führen. Landeck liegt zum Beispiel fast geduckt im immer enger werdenden Tal und die Ortschaft Rietz im Bezirk Imst bekommt im Winter bis zu drei Monate keine Sonne – über einen Zusammenhang mit Schwermut, Depression und Suizidrate kann nur spekuliert werden.

Bei Innsbruck jedenfalls ist das Tal nicht ganz so eng, dennoch ist der Raum begrenzt. Innsbruck ist eine Stadt mit etwa 125.000 Einwohnern und kann nur noch in die Breite wachsen, zwischen dem Fuß der Nordkette und dem Bergisel im Süden ist fast alles verbaut. Über die Jahrhunderte sind die umliegenden Dörfer ins Stadtgebiet hineingewachsen und die Stadt nach Osten und Westen in die Dörfer hinaus. Tatsächlich war Innsbruck eine Kleinstadt, die von der Jahrhundertwende an durch Eingemeindungen etwa von Pradl im Osten und Wilten im Westen (beide 1904) oder Mühlau im Norden (1938) langsam größer wurde; das rasanteste Wachstum erlebte die Stadt aber nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Tourismus und die Olympischen Spiele.

Um das alles von nicht zu weit oben zu überblicken, macht man am besten einen Ausflug zum nahe gelegenen Scheibenbühel oberhalb von Mühlau. Mit Bus (Linien A und D) oder Auto ist man in wenigen Minuten vom Zentrum aus in Mühlau, vom Dorfbrunnen kann man einen Hohlweg hinaufgehen, an der Kirche vorbei, und dann nach wenigen Metern abzweigen zum alten Mühlauer Friedhof. Tirol ist traditionell – das hat sich seit Heinrich Heine nicht wirklich geändert – nicht in erster Linie für seine Literatur und seine Literaten bekannt. Seinen überschaubaren Beitrag zur internationalen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts findet man eben genau hier, leicht oberhalb von Innsbruck auf dem Mühlauer Friedhof. Man entdeckt dort nicht nur die Gräber der Lyrikerin Anna Maria Achenrainer oder des Dichters Joseph Georg Oberkofler, sondern auch das Grab des berühmtesten Tiroler Dichters: Georg Trakl. Dass Trakl eigentlich Salzburger war, stört die Tiroler Bevölkerung und die Tiroler Germanisten nicht im Geringsten; Trakl wird als einer der ihren gesehen, und argumentiert wird das mit der nicht ganz von der Hand zu weisenden Bedeutung Innsbrucks für die überaus kurze Karriere des bekannten Lyrikers, der, ehe er sich nach traumatisierenden Erfahrungen im Ersten Weltkrieg das Leben nahm, einen wichtigen Teil seiner Lebenszeit in Innsbruck und Umgebung verbracht hatte und dessen literarischer Ruhm vor allem auf die Zeitschrift Der Brenner und deren Herausgeber Ludwig von Ficker zurückgeht.

Die Zeitschrift Der Brenner wurde unter anderem gegründet, um dem Südtiroler Naturphilosophen Carl Dallago eine Publikationsplattform zu bieten. Sie stand Karl Kraus und seiner Zeitschrift Die Fackel nahe und schaffte es in einer Zeit, als Tirol noch reinste Provinz war, ein Literaturblatt zu werden, das beste internationale Verbindungen pflegte und durch den Abdruck bekannter und weniger bekannter Autoren zu einem wichtigen Sprachrohr zeitgenössischer Literatur aufzusteigen. Von Ficker lehnte übrigens die Veröffentlichung von Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus ab, obwohl Wittgenstein gute Kontakte zum Brenner-Kreis pflegte und mit seinem Erbe, das er für wohltätige Zwecke verwendete, unter anderem Georg Trakl unterstützt wurde. Ludwig von Ficker verteilte im Auftrag von Karl Kraus und auf ausdrücklichen Wunsch von Wittgenstein das Erbe; neben Trakl wurden Rainer Maria Rilke, Carl Dallago, Oskar Kokoschka, Else Lasker-Schüler, Adolf Loos und andere unterstützt, oft ohne von der Herkunft des Geldes zu wissen.

Der Mühlauer Friedhof vom Scheibenbühel aus gesehen

Im Brenner veröffentlichte Georg Trakl von 1912 bis zu seinem Tod Gedichte, die Zeitschrift war ihm literarische Heimat. Ludwig von Ficker wohnte in Mühlau in einer Villa oberhalb der Kirche. Dort, wie auch in der Villa Hohenburg bei Igls auf der anderen Talseite, war Trakl oft zu Besuch. Mit Ficker ging Trakl auch auf Reisen, so existiert etwa eine Fotografie aus diesen Jahren, die einen ein wenig lächerlich und verloren wirkenden Georg Trakl in Badebekleidung zeigt, der mürrisch und gebückt am Lido von Venedig steht; es fiel ihm offensichtlich schwer, sich den harmlosen Freuden eines Sommertags unbeschwert hinzugeben.

In Innsbruck fand die einzige öffentliche Lesung Trakls aus seinen Gedichten statt – dem Publikum wird kaum bewusst gewesen sein, welch historischem Ereignis es beiwohnte; der Ruhm Trakls war nämlich ein später, der sich vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausbildete. 2014 wurde Georg Trakls 100. Todestag mit der Vollendung der historischkritischen Ausgabe begangen, die Innsbrucker Wissenschaftler besorgten. Die Forschungseinrichtung Brenner-Archiv an der Innsbrucker Universität existiert seit über fünfzig Jahren, ediert, untersucht und widmet sich – ganz im Sinne von Nietzsches antiquarischer Historie – vornehmlich der großen, leider kurzen bedeutsamen Vergangenheit der Zeitschrift Brenner, denn mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und durch die für naiv-religiöse Schwärmereien anfällige Gattin Ludwig von Fickers versank die Zeitschrift rasch in der esoterischen Bedeutungslosigkeit.

Trakls Ehrengrab in Mühlau wird von einem beeindruckenden schwarzen Marmorkreuz dominiert, daneben liegt das Grab von Ludwig von Ficker; etwas weiter weg zu finden: das Grab von Carl Dallago, das wirklich sehenswert ist. Es besteht aus einem fast zwei Meter hohen Steinquader, aus dem das Gesicht Dallagos herausgemeißelt wurde, was für den Philosophen der Natur und der Berge sehr passend ist und ganz der Wahrnehmung der Zeit entspricht. Der zeitgenössische Karikaturist Max von Esterle veröffentlichte eine Serie von Karikaturen im Brenner, die Dichter, Künstler und Politiker jener Jahre exemplarisch darstellten. Carl Dallago war ein mit feinem Strich aus einer Bergsilhouette herausragender Kopf, Georg Trakl wurde gebückt und düster blickend dargestellt.

Das Grab von Georg Trakl mit Blumenschmuck am 100. Todestag des Dichters

Hinter dem Mühlauer Friedhof gelangt man durch ein schönes Wäldchen zum Scheibenbühel. Die Pfade durch den lichten Mischwald sind geradezu lieblich. Die verschlungenen Wege locken Hundebesitzer an, besonders von Oktober bis April, wenn die Tiere auch in die Wiesen dürfen. Ich liebe es hier mit meinem Hund spazieren zu gehen. Es gibt auch für Kinder viel zu entdecken, anhand eines Feuchtbiotops namens Fuchsloch erkunden seit Generationen Innsbrucker Schüler den Unterschied zwischen Reptilien und Amphibien; daneben gibt es einen Waldlehrpfad, der als Walderlebnisweg Mühlauer Klamm bis in die Berge hinaufführt. Nimmt man den Weg weiter rechts, staunt man im Frühling und Sommer über die Vielfalt an Blumen, die man am Wegesrand sehen kann: im Wald zahllose Leberblümchen und Buschwindröschen, auf den Wiesen Glockenblumen, Wiesensalbei, Margeriten, Acker-Witwenblumen, es zirpt und summt – ein Idyll.

Lässt man den Mühlauer Friedhof also hinter sich, kann man in wenigen Minuten zum Scheibenbühel (in Innsbruck: Scheibenbichl) gelangen, ein paar weitere Minuten steil bergauf und man steht auf einer schönen Hügelkuppe, von der aus man fast ganz Innsbruck vom Olympischen Dorf bis zum Flughafen überschauen kann. An windigen Tagen ist der Platz ganz in der Hand eines Modellfliegervereins, dessen Mitglieder von hier aus diesem kostspieligen Hobby nachgehen und nur ungern von Spaziergängern gestört werden – und föhnige und windige Tage sind in Innsbruck ja nicht ganz selten.

Carl Dallago „wächst“ aus dem Stein heraus …

Flugzeuge und Innsbruck gehören irgendwie zusammen, vom Scheibenbühel aus sieht man die Flugzeuge quasi auf Augenhöhe vorüberziehen. Nahe dem Stadtteil Kranebitten im Westen der Stadt liegt der Flughafen, hier endet die Start- und Landebahn direkt an einem Geh- und Fahrradweg und die startenden und landenden Flugzeuge brausen keine fünfzehn Meter über die Köpfe der Spaziergänger hinweg. Das lockt inund ausländische Planespotter an, die mit ihren aufgerüsteten Digitalkameras ganze Nachmittage lang ein Foto nach dem anderen knipsen. Innsbruck – ein Planespotter-Hotspot sozusagen. Der Flughafen selbst gilt unter Piloten speziell wegen des zum Teil starken und unberechenbaren Windes als besonders schwierig anzufliegen. Und weil das Inntal so schmal ist und jeder Flieger direkt über die Stadt herabsenkend landen muss, erkennt man Touristen und Stadtneulinge am ungläubigen Blick nach oben – dem Innsbrucker ist kein Flugzeug mehr eine Halsverrenkung wert. Es gibt übrigens noch ein Merkmal, an dem man Gäste leicht von Einheimischen unterscheiden kann: Besonders italienische Urlauber stapfen bereits im September dick vermummt in pelzbesetzter Jacke durch die Maria-Theresien-Straße, während die Innsbrucker in T-Shirt und kurzer Hose durch die Straßen radeln.

Apropos: Innsbruck ist die ideale Stadt für Radfahrer, da die Distanzen in alle Richtungen nicht allzu groß sind und das Stadtgebiet eben und von Fahrradwegen durchzogen ist. Außer natürlich an Föhntagen, an denen es ungeschriebenes Gesetz zu sein scheint, dass man, egal in welche Richtung man fährt, immer Gegenwind hat. Die Innsbrucker fahren das ganze Jahr über mit dem Rad, auch im Winter, und es mutet schon kurios an, wenn man Skifahrer in voller Montur – mit Skischuhen an den Füßen und Ski auf der Schulter – durch die Innenstadt radeln sieht. Die Berge sind eben sehr nah. Ungewöhnlich sind auch die Snowboarder an den Bushaltestellen, die mittags mal eben schnell für eine Stunde auf die nahe Seegrube fahren, auch wenn im Tal bereits der Frühling begonnen hat und in den Wiesen Gänseblümchen, Schneeglöckchen, Blausterne und Primeln blühen.

Durch den Mischwald auf idyllischen Wegen

Der Scheibenbichl also, was für ein Ausblick! Nach Westen hin überblickt man die Stadtteile Saggen, Pradl, die Bahnhofsgegend und Wilten, dahinter die Sprungschanze, auf der im Winter ein Viertel der Vierschanzentournee ausgetragen wird. Diese Schanze wurde von der internationalen Stararchitektin Zaha Hadid geplant und kam bei der Innsbrucker Stadtregierung offenbar gut an, Hadid wurde nämlich anschließend mit der Planung des Neubaus der Hungerburgbahn beauftragt, deren auffällige Brücke über den Inn ebenfalls ins Auge sticht. Diese Bahn verbindet das Zentrum (etwa 570 Meter hoch gelegen) mit dem Alpenzoo (auf etwa 750 Metern) und dem Stadtteil Hungerburg (860 Meter), dort steigt man in die Seilbahn um und ist wenig später auf etwa 1900 Meter auf der Seegrube.

Man sieht die Innsbrucker Altstadt mit dem markanten Stadtturm, den Saggen mit seinen Gründerzeitvillen, St. Nikolaus, den ältesten Stadtteil von Innsbruck mit seinen verwinkelten Gässchen, Mariahilf, Hötting, die Höttinger Au und die anderen jüngeren Stadtteile, die sich im Westen verlieren, immer eng angeschmiegt an den Inn, der sich in seinen kontrollierten Bahnen in Schlangenlinien durch die Landeshauptstadt windet.

Das Olympische Dorf von oben

Wendet man seinen Blick nach Osten, sieht man weniger Schönes, hier liegen die Bausünden der Sechziger- und Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, die Reichenau und die Rossau sowie das Olympische Dorf mit seinen Hochhäusern und Blocksiedlungen. Angeblich machen gerade diese Stadtteile Innsbruck zu einer Großstadt, denn was könnte urbaner sein als Hochhäuser.

Aber das Olympische Dorf – das O-Dorf, wie die Einheimischen salopp sagen – gehört zur Identität Innsbrucks wie die Berge oder der Tourismus. Es ist mit etwa 25.000 Einwohnern der größte Stadtteil. Die in den 1960er- und 1970er-Jahren gebauten Wohnungen haben großzügige Grundrisse, und es galt damals als modern, in einem Hochhaus zu wohnen. Heutzutage kämpft das O-Dorf mit seinem Getto-Image.

Die Olympischen Spiele haben Innsbruck als Wintersport-Eldorado etabliert und der Stadt für dreißig Jahre Schulden hinterlassen. Die Stadtverantwortlichen lassen sich nicht davon abhalten, den Mythos Olympische Spiele am Leben zu erhalten. Der Innsbrucker Schriftsteller Helmuth Schönauer witzelt gern, dass Innsbruck sich mindestens viermal pro Jahr für die Olympischen Spiele bewirbt, und tatsächlich gab es in den 1990er-Jahren noch ernsthafte Bemühungen in diese Richtung. 2006 schließlich gab es eine Volksbefragung zu diesem Thema – die Tiroler waren für eine erneute Bewerbung, nur die Innsbrucker waren dagegen. In Ermangelung der echten Spiele wurden dafür 2005 die Universiade (die Olympischen Spiele der Studenten, nach 1968 auch schon das zweite Mal in Innsbruck), ebenfalls 2005 die Eishockey-WM und 2012 die erste Jugend-Olympiade ausgerichtet – immerhin. Den Innsbrucker Bauträgern bescherte das ein O-Dorf 3, ein weiteres Großbauprojekt, auf der Höhe der Zeit in Passivhausqualität, allerdings mit unvorhersehbaren sozialen – nun, nennen wir es: Potenzialen. Einen Baukomplex von einem Tag auf den anderen mit sozial unterschiedlichen Menschen zu besiedeln, zählt wohl zu den bauplanerisch anspruchsvollsten Aufgaben. Ob das O-Dorf 3 zum sozialen Brennpunkt oder zu einem städteplanerischen Erfolg wird, ist derzeit noch offen.

In der Ferne ragt markant die „Serles“ auf

Doch wir stehen ja immer noch auf dem Scheibenbühel und schauen …

Der ehemalige jüdische Friedhof, der Alpenzoo und die Heimat des Wassers

Drehen wir uns um und schauen wir nochmals in die andere Richtung – in die Bernhard’sche Gegenrichtung sozusagen. Unweit von Mühlau befinden sich zwei weitere sehenswerte Punkte nördlich oberhalb von Innsbruck: einerseits der Alpenzoo und andererseits der Judenbühel, wie diese Hügelkuppe bis heute heißt, da an seiner Flanke bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts der jüdische Friedhof lag. Heute befindet sich auf dem Hügel ein idyllischer Kinderspielplatz mit Aussicht auf Innsbruck.