Gustave Courbet und der Blick der Verzweifelten - Bernd Schuchter - E-Book

Gustave Courbet und der Blick der Verzweifelten E-Book

Bernd Schuchter

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Beschreibung

Was war das neunzehnte Jahrhundert für eine Epoche – voller Hoffnung, Fantasie, Veränderungswille, Geschwindigkeit, Potenzial! Im überaus lebendigen Paris studiert und malt ab 1840 Gustave Courbet, verkehrt in einer Runde von Künstlern und Intellektuellen und entwickelt um 1850 den Realismus mit. Courbet scheint gerade das Alltägliche eines Gemäldes würdig, ein ländliches Begräbnis, Steinklopfer, betrunkene Geistliche – gerade das provoziert Skandale in bürgerlichen Kreisen ebenso wie in klerikalen. Parallel zu Courbets künstlerischer Entwicklung kommt Frankreich nach der Revolution von 1848 nicht zur Ruhe – gipfelnd im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der kurzen Diktatur des Proletariats in Form der Pariser Kommune im Frühling 1871. Gustave Courbet ist als Mitglied der Kommune mitten im politischen Strudel und endet zwangsläufig im Schweizer Exil, hoch verschuldet und schwer krank. So steht Courbet exemplarisch für den idealistischen Menschen, für das aussichtslose Streben der Kunst und ihrer Schaffenden, die an den Machthabern und den alt- eingesessenen Gewohnheitskünstlern scheitern müssen …

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Bernd Schuchter

Gustave

Courbet

und der Blick der Verzweifelten

Die Arbeit an diesem Buch wurde mit einem Projektstipendium für Literatur des Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

1. Auflage 2021

© 2021 by Braumüller GmbH

Servitengasse 5, A-1090 Wien

www.braumueller.at

Coverbild: Selbstporträt von Gustave Courbet/Gemeinfrei

Illustration Vor- und Nachsatz: © L’illustration journal universel n° 1474.

Paris sous la Commune : démolition de la colonne Vendôme, le premier tour de cabestan 1871

ISBN 978-3-99200-299-3

eISBN 978-3-99200-300-6

Für meinen Vater (1942–2020)

„Die wahre Freiheit des Menschen besteht darin, wider besseres Wissen das Falsche zu tun.“

Anonymus

Inhalt

Kapitel I

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

I

Trübes Licht scheint matt auf den Place Vendôme, zäher feiner Regen macht eine traurige Stimmung. Auf den Dächern der umliegenden, prachtvollen Häuser sitzen die Amseln in Grüppchen und mummen sich in ihr Gefieder. Nur manchmal plustert sich ein Männchen in einer plötzlichen Aufwallung von Gefühlen auf, von Revierkämpfen getrieben, um einen vermeintlichen Rivalen ein paar Meter weiterzuscheuchen. Dann ist alles wieder still. Der zähe Regen schluckt auch die Natur. Es ist ein Innehalten, ein Zögern, ehe die Welt sich wieder weiterdrehen würde. Noch schläft dieser Morgen und mit ihm die merle noir.

Zu ihren Füßen und begleitet vom Blinzeln der Gleichgültigen holpern nun ein paar Fuhrwerke heran, die Männer auf den Böcken ziehen ihre breitkrempigen Hüte ein wenig tiefer ins Gesicht. Sie umkurven die steinernen Barrikaden an der Ausfallstraße, die zum Platz führt. Es sind keine schnell errichteten, provisorischen Bollwerke wie noch in der großen Revolution von 1789, als die Handwerker und Tagelöhner, die Wäscherinnen und Gerber in großer Hast und ergriffen von ihrer eigenen revolutionären Erregung in großer Eile Stühle und Tische der angrenzenden Spelunken, Truhen, Zäune, Bänke und was auch immer sie greifen konnten, anhäuften, um in den folgenden Straßenkämpfen den berittenen Soldaten des Königs mit ihren Bajonetten und Säbeln nicht gänzlich hilflos ausgeliefert zu sein.

Nun, rund achtzig Jahre nach der wohl größten Umwälzung der jüngeren Geschichte, achten die Enkelsenkel der Revolutionäre auf mehr Sicherheit, sofern davon in Revolutionswirren je die Rede sein kann. Schon wieder muss sich der dritte Stand – die Armen und immer noch Besitzlosen, die Hungernden und Leidenden – gegen die Herrschaft der Besitzenden – den wiedererstarkten Adel ebenso wie den Klerus und das im Ancien Régime reüssierende Bürgertum – wehren, auf die Straßen gehen, Widerstand leisten. Die Barrikaden sind aus Stein, die Ziegel akkurat mehr als mannshoch geschlichtet. An den Rändern stehen künstliche Straßenbeleuchtungen, neumodische Laternen, die einen Häuserkampf wohl notfalls auch nachts erlauben würden. Davor stehen mehrere kleine Gewehrpyramiden griffbereit, denn wer weiß schon, wann der Feind vorhat, seinen Schlag zu führen. Auf einer Fotografie der Zeit ist das alles gut zu erkennen. Aufgenommen von einem erhöhten Standpunkt von einem der umliegenden Häuser aus erkennt man vereinzelt Menschen, die sich wohl kaum als Revolutionäre erkennen würden. Müde und zerlumpt sitzen oder stehen sie herum, ein Mann ist wegen der mangelnden Belichtung ohnehin nur verwaschen zu erkennen. Es ist nicht viel Betrieb an diesem Morgen oder Abend und der leichte, aber ausdauernde Regen mag sein Übriges dazu tun, die Szene ist seltsam still. Dabei wurde in den Minuten zuvor, vielleicht vor ein paar Stunden, hier auf dem Place Vendôme Geschichte geschrieben.

Alles begann mit ganz profanen Handgriffen, denn selbst die Weltgeschichte muss so organisiert werden, dass sie Sinn ergibt. Am frühen Morgen bis in den Vormittag hinein klappern die Fuhrwerke der Pferdedroschker und karren Stroh und Mist heran, mit denen der Platz um die Colonne ausgestreut wird. Man will die Pflastersteine nicht beschädigen, was der unregelmäßige Sturz des Bauwerks unweigerlich verursachen würde. Es gilt, behutsam und überlegt vorzugehen, auch wenn die Zeiten nicht danach sind. Die Kommune von Paris hält sich in diesen Tagen nicht mit Halbwahrheiten, nicht mit Zaudern auf. Die revolutionäre Raserei, die die Kommunarden in den Wirren des deutsch-französischen Krieges nach der Niederlage der französischen Truppen bei Sedan in Paris an die Macht gespült hat, ist noch nicht abgeebbt. Dabei ist diese Utopie einer gerechten Gesellschaft, wie die Kommunarden ihre vorläufige wie kurzweilige Herrschaft sehen, von allen Seiten bedroht. Rechts der Seine belagern deutsche Truppen die Stadt, links davon haben die verbliebenen französischen Regierungstruppen die ehemaligen preußischen Stellungen übernommen. Die Regierung selbst tagt in Versailles, außerhalb von Paris. Die Zeit vom 18. März bis zum 28. Mai 1871, als die blutige Maiwoche endgültig alle Hoffnungen auf die utopistische Umwälzung aller Verhältnisse im Sinne der Rechtlosen der Gesellschaft zunichte macht und in einem finalen Akt die letzten 147 Kommunarden an der Mur des Fédérés, der Mauer der Kommune, am Friedhof Père Lachaise erschossen werden, scheint wie ein letztes Aufflackern eines lang gehegten Traumes.

Der Traum von der Revolution wurde von den Mittellosen, den Abgehängten, den Armen und Benachteiligten dieses Jahrhunderts alle paar Jahre wieder und neu geträumt. Die Revolution aller Revolutionen, jene von 1789, aber auch das erfolgreichere Vorbild der amerikanischen Revolution, die immerhin zur ersten westlichen Demokratie geführt hat, tragen die Menschen jahrelang in ihren Herzen. Allen Repressionen, allem Mangel, aller restaurativen Kraft reaktionärer Kreise zum Trotz. Das nachnapoleonische Europa, das die alten Eliten nach 1815 nach den Plänen des österreichischen Kanzlers Fürst von Metternich errichtet haben, schien immer wieder einmal zu wanken. In Frankreich etwa 1830, als sich erstmals die Massen erhoben, bezaubernd in Szene gesetzt von Courbets Zeitgenossen Eugène Delacroix in seinem Gemälde Die Freiheit führt das Volk, das die barbusige Göttin mit der Tricolore zeigt. Das war in den Wirren von 1848 so, als das alte Europa in heftigen Barrikadenkämpfen unterzugehen drohte, ehe – nachdem sich der Pulverdampf der Gewehre langsam verzogen hatte – wieder die alten Herrscher in Amt und Ehren waren. Und dennoch. Die Wut des kleinen Mannes war wie das Glimmen einer Esse, die nur eines kleinen Lufthauchs bedurfte, um sich wieder neu zu entzünden. Zu groß waren die Nöte dieser Jahre, für die kleinen Handwerker wie die Kleinbauern, die Tagelöhner, die Wäscherinnen, die Dirnen wie die Blumenmädchen, die Zuwärterinnen und Dienstmägde, die Kürschner, Zimmerer, Tischler, die kleinen Wirte und die einfachen Soldaten, geschweige denn für das Heer der Invaliden, die wie ein steter Strom von den Schlachtfeldern Europas mit verstümmelten Beinen, Armen, Köpfen in die Elendsviertel der Städte brandeten.

Gerade die ehemaligen Soldaten waren eine beständige Sorge der Machthaber, denn wie leicht konnten sich die Entrechteten und Benachteiligten, die von der Nation so vernachlässigt worden waren, mit den anderen Vernachlässigten der Gesellschaft solidarisieren. Nichts leichter, als sich über Nacht mit Knüppeln und Messern zu bewaffnen und als Masse vor ein Palais, ein Stadthaus zu ziehen, um seine Forderungen nach einem besseren Leben mit kehligen Stimmen, trunken vom billigen Schnaps aus den Schenken, dem Leben trotzig ins Gesicht zu brüllen. Die kurzlebigen Aufstände von 1830 und 1848 waren den Eliten Warnung genug, weswegen die Veteranen elegant entsorgt wurden.

Das klosterähnlich organisierte Hôtel des Invalides bestand bereits seit der Herrschaft von Louis XIV., der die in ihren Ausmaßen gewaltige militärhistorische Gedächtnisstätte mit einem riesigen zentralen Innenhof gestalten ließ, der von vier Nebenhöfen mit Wohntrakten umschlossen war. Hier sollten die Gebrechlichen und Beschädigten ein geregeltes Leben führen, mit regelmäßigen Gottesdiensten, unterbrochen nur von einfachen handwerklichen Arbeiten in einer Manufaktur. Das war auf den ersten Blick durchaus humanistisch gedacht, denn wem gebührte eher die Ehre, als den zahllosen namenlosen Soldaten, die ebenjene Ehre Frankreichs über Jahre auf den Schlachtfeldern Europas verteidigt hatten. Der weitaus pragmatischere Grund bestand aber darin, dass beschäftigungslose, aber im Gebrauch von Waffen geschulte Männer eine Gefahr darstellten, sich zu marodierenden Banden zusammenzurotten und so ihre Umgebung zu terrorisieren. Eine zwiespältige Angelegenheit.

Das Hôtel des Invalides wirkt wie ein Mausoleum des Krieges, starr; trotzig und unmäßig in seinen Ausmaßen, wie auch der ewig kriegerische Mensch starrköpfig, trotzig und unmäßig zu sein scheint. Das Gebäude strotzt vor Reliquien dieser Unmäßigkeit. Die Esplanade, den Vorplatz, säumen unzählige Kanonenrohre vergangener Siege, der Haupteingang wird von Kriegerstatuen nach antikem Vorbild geschmückt. Das Gebäude ist durch und durch symmetrisch aufgebaut, um auch im Ästhetischen den Eindruck militärischer Strenge und Disziplin zu vermitteln. Nichts ist für Herrscher wichtiger als Macht, die nur durch die vollkommene Unterwerfung der eigenen Untergebenen zu erhalten ist. Soldaten haben nicht zu murren oder zu denken, sie haben zu gehorchen. Ihnen bleibt immerhin noch die Ehre, wie man an der Beflaggung in der Kathedrale sehen kann. In klösterlicher Demut können die verkrüppelten Soldaten dann während der Messe oder des stillen Gebets zu ihren Köpfen die vielen erbeuteten Fahnen der feindlichen Regimenter vergessener Schlachten bewundern, Zeugen der eigenen, heroischen Vergangenheit. Auch ihr gnadenloser Gott, der die Männer, ohne sie zu bemitleiden, für die Ehre Frankreichs zu Krüppeln gemacht hat, verlangt bedingungslose Demut, ebenso wie ihre Generäle und der König, der sein wohltemperiertes Schlafgemach im fernen Versailles nicht verlassen muss, um seine Regimenter und Bataillone an den wechselnden Fronten zu verschieben.

Gerade einer jener Generäle, der das Schicksal so vieler Soldaten maßgeblich bestimmte und dessen Erbe Frankreich in diesen Jahren immer noch umtreibt, fand seine letzte Ruhestätte sinnigerweise genau hier, im Hôtel des Invalides, diesem stummen Zeugen der großen Schrecken des Krieges. Napoleon Bonaparte, der vom General zum Kaiser aufgestiegen war und mit seinem kriegerischen Elan die Ordnung Europas im nachrevolutionären Frankreich und der Welt so nachhaltig verändert hatte. Die Nachwehen dieses Furors halten Frankreich an diesem 16. Mai des Jahres 1871 noch immer im Griff. Es war gerade Charles Louis Napoléon Bonaparte gewesen, der als Napoleon III. seit 1851 nach einem Staatsstreich ein autoritäres Empire nach dem Vorbild seines berühmten Onkels errichtet hatte, der Frankreich in diesen unseligen Krieg mit Preußen geführt hatte. Seit der Niederlage bei der Schlacht von Sedan am 1. September 1870 war der letzte Kaiser der Franzosen von den Preußen unter Arrest gestellt worden. Drei Tage später wurde in Paris die Dritte Republik ausgerufen, Napoleon nach Schloss Wilhelmshöhe bei Kassel verbracht, wo er bis zu seiner Verbannung nach England am 19. März 1871 inhaftiert blieb. Am Vortag hatte die kurze Episode der Pariser Kommune gerade erst begonnen. Noch träumte Napoleon III. in seinen durch Blasensteine vergällten Nächten von der Wiedererrichtung seines Empire. Wie einst Napoleon Bonaparte wollte er nach dem Vorbild der Herrschaft der Hundert Tage wieder in Frankreich landen und die Macht noch einmal übernehmen. Es sollte nicht mehr dazu kommen; er starb knapp eineinhalb Jahre später im englischen Exil an ebenjenen Blasensteinen, da der die Operation durchführende Arzt nicht ganz firm in der Verwendung des damals neuartigen Chloroforms war. Das Ende, selbst das eines Kaisers, kann oft profan sein.

Im Hôtel des Invalides jedenfalls gedachte man damals noch immer des unvergleichlich größeren Ruhms von Napoleon I. Neben seinem Grabmal befand sich auch eine von Charles Émile Seurre gestaltete Bronzestatue Napoleons, im Zentralbogen der oberen Galerie auf der Südseite des Ehrenhofs, des Cour d’Honneur. Aber das Andenken an den kleinen Korsen schien in diesen Jahren schon zu bröckeln, nannte man die Bronzestatue doch im Volksmund nur spöttisch Le Petit Caporal.

Diese Bronzestatuen, diese Reiterstandbilder, diese mächtigen Prunkbauten nach antikem Vorbild mit attischen Säulen oder ganz im Stil der Renaissance, nach humanistischem Vorbild, mit der Sehnsucht nach dem Ruhm einstiger Größe in der Nachfolge römischer Kaiser: Sie alle zeugen von der machiavellistischen Großmannssucht der jeweiligen Herrscher, die ihr Machtstreben auf dem Rücken der Ausgebeuteten und Entrechteten ausüben, auf den Schultern des gerade galoppierend entstehenden Proletariats abladen, das, von der Last erdrückt, nur gebeugt und verhutzelt einherschreiten kann wie die verkrüppelten Soldaten des Hôtel des Invalides. Ausdruck der Macht ist auch die Colonne Vendôme, dieser Koloss einer Säule, errichtet nach dem Vorbild der Trajanssäule des gleichnamigen römischen Kaisers in Rom, der sich schier unglaubliche 44 Meter in den Himmel schraubt, Phallussymbol der Herrschaft Napoleons, bekränzt von einer Bronzestatue des Korsen, ebenjener von Charles Émile Seurre gestalteten Statue, die später in den Cour d’honneur des Hôtel des Invalides verbracht werden sollte. Le Petit Caporal thronte erst seit 1833 auf der Colonne Vendôme, nachdem eine von Antoine-Denis Chaudet geschaffene Bronze 1814 entfernt und vier Jahre später schließlich eingeschmolzen worden war. Ausgerechnet Bonapartes Neffe Napoleon III. ließ den kleinen Korporal entfernen und durch eine Kopie der ursprünglichen Statue ersetzen. So wiederholt sich Geschichte immer zweimal, wie Karl Marx – im Übrigen bezogen auf das Machtstreben der Bonapartisten – in diesen Jahren in seiner Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte notieren wird. Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.

Marx ließ die Machtergreifung Napoleons III. noch Jahre nicht los, zwei Jahre vor den Ereignissen am Place Vendôme erschien die zweite Auflage seiner Schrift, die mit geradezu hellseherischen Worten schließt. Von den widersprechenden Forderungen dieser Situation gejagt, zugleich wie ein Taschenspieler in der Notwendigkeit, durch beständige Überraschung die Augen des Publikums auf sich als den Ersatzmann Napoleons gerichtet zu halten, also jeden Tag einen Staatsstreich en miniature zu verrichten, bringt Bonaparte die ganze bürgerliche Wirtschaft in Wirrwarr, tastet alles an, was der Revolution von 1848 unantastbar schien, macht die einen revolutionsgeduldig, die andern revolutionslustig und erzeugt die Anarchie selbst im Namen der Ordnung, während er zugleich der ganzen Staatsmaschine den Heiligenschein abstreift, sie profaniert, sie zugleich ekelhaft und lächerlich macht. Den Kultus des heiligen Rocks zu Trier wiederholt er zu Paris im Kultus des napoleonischen Kaisermantels. Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern des Louis Bonaparte fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen.