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Senegal erscheint auf deutschen Bildschirmen meist als das Land, aus dem Migranten in Pirogen nach Europa aufbrechen. Doch das westafrikanische Land ist weit mehr: eine Schatzkammer für Kunst, Kultur und Spiritualität – und zugleich ein Modell für das Zusammenleben verschiedener Ethnien und Religionen. Dieses Buch lädt dazu ein, Senegal, seine Traditionen und seine moderne Gesellschaft besser zu verstehen: im pulsierenden Dakar, im spirituellen Touba, in den Fischerdörfern am Atlantik, im Naturparadies des Sine-Saloum oder in den touristischen Zentren am Meer. Land, Kultur, Religionen, Auswanderer und Einwanderer, Wirtschaft, Ausbildung und Jugend, Frauen und Mädchen, Umwelt, Tourismus,Politik und Sport, Senegal und Deutschland: Die Reportagen zeichnen das Bild eines Landes, das nach neuen Wegen sucht. Für alle, die das heutige Senegal entdecken wollen.
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2025
Martina Zimmermann
Inside Senegal
Nahaufnahmen im Land der Teranga
© 2025 Martina Zimmermann
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Martina Zimmermann, Oggenhauser Hauptstr. 73, 89522 Heidenheim/Brenz, Germany.
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Über die Autorin
Als deutsche Journalistin berichte ich als Korrespondentin seit 1987 aus Paris und auch aus vielen vor allem nord- und westafrikanischen Ländern. Seit 2005 bin ich regelmäßig in Senegal, machte zahlreiche Sendungen, Beiträge und Artikel über das Land; sie liefen in den ARD-Radios (DLF, BR, WDR…) oder über den EPD (Evangelischen Pressedienst), auch über Musikredaktionen und Zeitschriften. (Siehe auch auf X Twitter: @ZimmermannParis).
Da Senegal immer häufiger auf den deutschen Bildschirm kommt, immer mehr Deutsche das Land als Touristen besuchen oder sich sogar dort niederlassen und auch immer mehr KorrespondentInnen in Dakar arbeiten, denke ich, dass es Zeit für ein Buch über Senegal wird, das über den Inhalt eines Reiseführers hinausgeht; eines, das über Alltag und Leben im Land berichtet.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Über die Autorin
Vorwort von Dr. Karamba Diaby
Danksagung
Kapitel 1 Land, Leute und Präsidenten
Kapitel 2 Kultur
Kapitel 2.1 Die Hauptstadt Dakar
Kapitel 2.2 Toubab Dialaw
Kapitel 2.3 Saint-Louis
Kapitel 3 Religionen im Senegal: Singen und Tanzen für Gott
Kapitel 3.1 Die Heilige Stadt Touba: Senegals Mekka
Kapitel 3.2 Singen statt beten: Die Baye-Fall
Kapitel 3.3 Der Charme Senegals: Christen und Muslime feiern gemeinsam
Kapitel 4 Immigration - Emigration
Kapitel 4.1 Die Dramen der illegalen Auswanderung
Kapitel 4.2 Auswanderung nein danke! Ein Gegentrend?
Kapitel 4.3 „Eine Zivilisation der offenen Tür“: Senegal als Einwanderungsland
Kapitel 5 Wirtschaft: Gas aus Senegal?
Kapitel 5.1 Reportage vor Ort in Rufisque
Kapitel 5.2 Die internationale Messe von Dakar
Kapitel 6 Ausbildung und Jugend
Kapitel 7 Frauen und Mädchen
Kapitel 7.1 Der Alltag der Frauen
Kapitel 7.2 „Wir machen Lärm.“
Kapitel 7.3 Künstlerinnen
Kapitel 7.4 Schönheit made in Afrika
Kapitel 8 Wundervolle Natur in Gefahr
Kapitel 8.1 „Zeit für Taten“: Umweltschützer Haidar El Ali
Kapitel 8.2 Paradies in Gefahr: Das Sine Saloum-Delta
Kapitel 9 Tourismus
Kapitel 9.1 Saly
Kapitel 9.2 Black & White
Kapitel 9.3 Eine Kreuzfahrt auf der Bou El Mogdad
Kapitel 9.4 Weitere Orte und Reisetipps
Kapitel 10 Afrikanische Renaissance? Politik und Hoffnung auf einen neuen Senegal
Kapitel 10.1 Kritische Lage für die Presse
Kapitel 11 Sport
Kapitel 12 Senegal und Deutschland
Kapitel 12.1 Partner gesucht! Deutsch lernen im Senegal
Kapitel 12.2 Deutsche im Senegal
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Über die Autorin
Kapitel 12 Senegal und Deutschland
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Vorwort von Dr. Karamba Diaby
Dieses Buch lädt dazu ein, den Blick zu weiten – weg von den allzu oft reduzierenden Bildern, die Senegal und den afrikanischen Kontinent im europäischen Diskurs dominieren. Die Autorin Martina Zimmermann bietet in ihrem Werk einen differenzierten, respektvollen und erfrischend unvoreingenommenen Zugang zu einem Land, das weit mehr ist als Ausgangspunkt tragischer Fluchtgeschichten. Senegal steht exemplarisch für das enorme Potenzial eines jungen, dynamischen Afrikas – und genau das macht dieses Buch so aktuell und notwendig.
70 % der Menschen in Subsahara-Afrika sind jünger als 30 Jahre – ein gewaltiges demografisches Kapital, das neue Wege geht, Traditionen hinterfragt und nach vorne blickt. Auch in Senegal ist diese Generation sichtbar: selbstbewusst, neugierig und zunehmend bereit, mit kolonialen Erzählungen zu brechen und ihre eigene Zukunft in die Hand zu nehmen. Martina Zimmermann fängt diese Aufbruchsstimmung ein – mit Respekt, Nähe und einem offenen Herzen.
Sie nähert sich Senegal nicht mit der herablassenden Perspektive vieler westlicher Narrative, sondern präsentiert das Land in seiner geographischen, kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt – als eine Schatzkammer menschlicher Ausdrucksformen. Ob im pulsierenden Dakar, im spirituellen Touba, in den Fischerdörfern an der Atlantikküste oder im Musikfestival von Saint-Louis: Die Autorin ermuntert die Leserinnen und Leser, sich dem Ungewohnten, dem Neuen nicht zu verschließen, sondern den ganzen Reichtum dieses einzigartigen Landes zu erkunden.
Gleichzeitig erinnert sie an jene großen Persönlichkeiten, die das Bild Senegals in der Welt mitgeprägt haben – von Leopold Sédar Senghor bis Germaine Accogny, von Fatou Diome bis Baaba Maal oder Youssou N'Dour. Ihre Geschichten stehen sinnbildlich für ein Senegal, das Brücken baut zwischen Tradition und Moderne, zwischen Herkunft und Zukunft.
Dieses Buch möchte einen Beitrag leisten gegen Einseitigkeit, gegen Klischees und für eine neue Form der Repräsentation. Es zeigt, dass Senegal nicht nur Auswanderungsland, sondern auch Einwanderungsland, Kulturraum, Bildungsstandort und politisches Labor ist. Ein Land, das neue Wege sucht und dabei offen, lebendig und überraschend bleibt.
Martina Zimmermann gibt diesen Stimmen Raum. Sie versteht ihr Senegal-Buch als ein Plädoyer: für mehr Offenheit und Neugier – und für mehr Respekt im Dialog mit Afrika. Es ist ein Angebot an Leserinnen und Leser, die das heutige Senegal entdecken wollen.
Dr. Karamba Diaby,
ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages
Danksagung
Danke an
Dörte Stähler fürs Lektorieren,
Renate Althammer-Reinke fürs Korrigieren
Dr. Karamba Diaby für Vorwort und Tipps
Meine Eltern, Yassine, Mäx
Alle senegalesischen Freundinnen und Freunde, die mir ihr Land erklären
Kapitel 1 Land, Leute und Präsidenten
Die 18 Millionen Einwohner Senegals setzen sich aus vielen Ethnien zusammen. Es gibt etwa 40 einheimische Sprachen, doch nahezu alle Senegalesen sprechen Wolof. Die Kolonialsprache Französisch ist bislang noch die offizielle Amtssprache.
Den grössten Anteil der Bevölkerung stellen Wolof und Lebou (fast 40 Prozent). Über ein Viertel der Bevölkerung gehören den verwandten Ethnien Peul, Poular, Fula oder Toucouleur an. Die Serrer bilden mit 10,5 Prozent eine Minderheit, ebenso die Mandingues/Mandingo mit fast zehn Prozent. Die Diola der Region Casamance – bekannt für ihre starke Tradition, verbunden mit ihrem animistischen Glauben, den sie neben dem Katholizismus praktizieren - machen etwa 2,4 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Soninké ist eine weitere Sprache (2,1 Prozent). Zudem werden mauretanisches Arabisch, Mandjak, Kriolu (kreolisch), Balante, Bambara und libanesisches Arabisch gesprochen! Viele Senegalesen sprechen mindestens zwei bis drei einheimische Sprachen und Französisch, das in der Schule gesprochen wird.
Dann gibt es noch abgelegene Dörfer in den Bergen im Südosten des Landes. Es leben zum Beispiel in der Region von Kédougou, nahe der Grenze zu Mali, die Bassari, die ihre eigene Sprache und Kultur pflegen.
Diese sprachliche und kulturelle Vielfalt speist sich aus drei großen Zivilisationen: der afrikanischen, der arabisch-islamischen und der westlichfranzösischen. Letztere brachte mit der Kolonialherrschaft nicht nur die Amtssprache, sondern auch die Bibel, französische Literatur, Verwaltung, Philosophie, Politik und Justiz.
1960 wurde Senegal unabhängig, behielt jedoch bis 2025 französische Militärbasen sowie bis heute die Währung CFA-Franc („Franc des colonies françaises d’Afrique“). Vor Einführung des Euro war diese Währung fest an den französischen Franc gekoppelt. Heute entspricht 1 CFA-Franc 0,0015 Euro.
Das politische System ist eine Präsidialrepublik nach französischem Vorbild. Erster Präsident war der Literat und Intellektuelle Léopold Sédar Senghor (1906-2001). Er regierte bis 1980, machte Senegal zwischenzeitlich zum Einparteienstaat - und war dennoch der erste afrikanische Präsident, der freiwillig das Amt niederlegte. Seine letzten Jahre verbrachte er mit seiner französischen Frau in der Normandie.
Nachfolger Abdou Diouf führte das Mehrparteiensystem wieder ein. Seit den 1980er Jahren fordert eine Unabhängigkeitsbewegung in der Casamance den Zentralstaat heraus – verschärft durch die aus der Kolonialzeit geerbte geografische Besonderheit, dass Gambia das Land in Nord und Süd teilt.
Im Jahr 2000 gewann der langjährige Oppositionelle Abdoulaye Wade die Präsidentschaftswahl mit dem Slogan „Sopi“ – Wandel. Er setzte einer 40jährigen Herrschaft der Sozialistischen Partei ein Ende.
2012 war die Bevölkerung des über 80jährigen Präsidenten überdrüssig. Macky Sall wurde im zweiten Wahlgang gewählt, nachdem die meisten Oppositionsparteien sich hinter ihn gestellt hatten. Sall verkürzte die Amtszeit von sieben auf fünf Jahre, bestand aber darauf, dass seine erste Amtszeit verfassungsgemäß für sieben Jahre gelte. 2019 trat er erneut an – doch 2024 hatte auch er den Rückhalt in der Bevölkerung verloren.
Der neue Hoffnungsträger hieß Ousmane Sonko. Der charismatische Oppositionsführer gewann mit seiner Kritik gegen Korruption und Vetternwirtschaft vor allem die Jugend für sich. Wegen einer Verurteilung wegen Verleumdung durfte er jedoch nicht kandidieren. Stattdessen schickte er seinen Parteikollegen Bassirou Diomaye Faye ins Rennen.
Unter dem Slogan „Diomaye ist Sonko“ wurde Faye im März 2024 zum Präsidenten gewählt - nach Monaten voller Unruhen, Demonstrationen, Festnahmen. Für viele Senegalesen ist er Symbol eines echten Neuanfangs. Präsident Bassirou Diomaye Faye ernannte Ousmane Sonko, seinen politischen Weggefährten, zum Premierminister.
Während Medien bereits über mögliche Rivalitäten spekulieren, betonen beide Politiker bislang ihre Geschlossenheit.
Kapitel 2 Kultur
Senegal zählt mehr Künstler pro Quadratkilometer als viele andere Länder: Musiker wie Youssou Ndour und Baaba Maal, die Schriftstellerin Ken Bugul und die Tänzerin Germaine Accogny sind internationale Aushängeschilder der senegalesischen Kulturszene. Schon der erste Präsident des Landes, Leopold Sedar Senghor, war nicht nur Politiker, sondern auch Poet und Mitglied der Pariser Académie Française wie auch der renommierte Bildhauer Ousmane Sow.
International bekannte Designer, Mannequins und Sterneköche stammen ebenfalls aus Senegal. Seit der Unabhängigkeit 1960 verfolgt das Land eine ehrgeizige Kulturpolitik - mit wenig Mitteln, viel Fantasie und der Unterstützung von UNESCO, wie auch von verschiedenen Partnern aus dem öffentlichen und privaten Sektor.
Senegal zählt sieben UNESCO-Weltkulturerbestätten! Hinzu kommen sehenswerte Kirchen, Kathedralen und Moscheen… und zahlreiche Museen.
Kapitel 2.1 Die Hauptstadt Dakar
Dakar und seine Kunstszene sind mit der Biennale der zeitgenössischen Kunst, zahlreichen Museen, Galerien, Konzert- und Theatersälen eine “Bouillon der Kulturen”.
Eine Trommlergruppe begrüßt die Passagiere bei ihrer Ankunft auf der Insel Gorée. Diese Atlantik-Insel liegt fünfundzwanzig Minuten Bootsfahrt von Dakar entfernt. Sie hat eine traurige Berühmtheit, weil hier vom sogenannten „Haus der Sklaven“ aus gefangene Afrikaner über den Atlantik nach Amerika verschleppt wurden. Das „Haus der Sklaven“ ist heute ein Symbol der Erinnerungskultur. Auf die Insel Gorée pilgern Schulklassen und Touristen aus aller Welt, darunter viele Afro-US-Amerikaner und Karibikfranzosen auf der Reise zu ihren Wurzeln. Nach einem Besuch im „Haus der Sklaven“ spazieren sie durch die bunten und pittoresken Gassen der Insel.
Auf der Brücke, über die die Besucher von der Fähre auf die Insel kommen, hängt zeitgenössische Kunst. Werke der afrobrasilianischchen Künstlerin Aline Motta verbinden Biografie und kollektive Erinnerung, zum Beispiel ein Porträt ihrer versklavten Ur-ur-ur-Großmutter, dahinter badet die Künstlerin im Meer. Es sei eine Art Selbstporträt mit einem rituellen Bad, das Verletzungen heilen und Bindungen zurück nach Afrika schaffen soll, erklärt Kuratorin Aude Leveau Mac Elhone:
„Wir haben für die Ausstellung die Insel Gorée gewählt wegen der Geschichte der Sklaverei, eine gemeinsame Geschichte von Brasilien und Afrika.“
Die persönliche Geschichte der Künstlerin erzählt gleichzeitig die aller Afro-Nachfahren, die Geschichte vieler Afrikaner und Europäer. Kunst wird hier zur persönlichen und kollektiven Erinnerung. Und zur Geste der Rückkehr.
Auf der Rückfahrt von der Insel treffe ich Mamadou Ndiaye Thia. Er hat seine Gemälde für eine Ausstellung nach Gorée gemeinsam mit der italienischen Künstlerin Aga Wood gebracht. Thema: „Kampf für das Meer“. Sie gehöre zu seiner Initiative unter dem Namen „Dakar verschönern“, erklärkt Mamadou Ndiaye Thia:
„Dieses Projekt soll aus Dakar und aus bestimmten Ghetto-Vierteln im Zentrum eine Freiluftgalerie oder ein Open Air Museum machen.“ Für Thia ist Kunst keine Zierde – sondern sie gehört zur Gestaltung des städtischen Raumes.
Zurück in der Stadt führt mich Thia vom Hafen ins nahe Plateau-Viertel im Zentrum von Dakar. In den engen Strassen drängeln sich Autos, gelbe Taxen hupen, Menschen arbeiten auf dem Bürgersteig, verkaufen Kaffee, Nüsse und andere Waren, die sie auf dem Kopf tragen. Auf einer Baustelle wird gehämmert und geklopft, Dakar wird zugebaut mit immer neuen Gebäuden aus Beton.
Neben einer Moschee ist der Eingang in ein Labyrinth aus engen Gassen mit kleinen Häuschen. Der Künstler nennt es „sein Ghetto“: Hier will Thia das Open-Air-Museum mit seinen bis zu drei Meter hohen Skulpturen einweihen.
„Das versteckte Gesicht von Dakar,“
sagt Thia: 300 Meter entfernt von Präsidentenpalast, Kathedrale und anderen repräsentativen Gebäuden, zwischen Hotel Ganale und der Avenue Georges Pompidou leben Schneider, Handwerker, Tischler, Modemacher. Es gibt winzige Restaurants, Mechaniker reparieren Mopeds, Informatiker Handys. Das Viertel hat seinen Künstler, Mamadou Ndiaye Thia, der Dakar für eine „sehr kulturelle Stadt“ hält.
Das erste „Dorf der Künste“ stand neben dem Justizpalast in der Nähe der Hochschule der Schönen Künste. Da ist er aufgewachsen, spielte Fußball neben dem damaligen „Dorf der Künste“. Deshalb habe er sehr früh angefangen zu malen, erzählt Thia. 1981 hat er seine ersten Gemälde verkauft.
Der Künstler wusste damals nicht, dass das ein Beruf sein kann. Er malte in der Schule, konnte gut zeichnen. Als er nicht weiter auf die Schule wollte – sondern Seefahrer werden – schickte ihn sein Vater in eine Druckerei, um einen Beruf zu lernen. Dort habe er seine ersten Werke mit Farbmischungen gemacht. Das war 1981. Er nahm verschiedene Farben und goss diese in die Offset-Maschine und so entstanden aus Formen und Farben Gemälde.
Malerei, Batik, Skulpturen… heute bedient sich Thia vieler verschiedener Kunstformen. „Thiadismus“ nennt er sein Material, ein Mix aus Klebstoff, Gips und Jutefäden – und einem Geheimnis. Mamadou Ndiaye Thia führt mich in sein Atelier. Auf maximal 20 Quadratmetern stehen Skulpturen, Masken und Gemälde. Vor der Tür hat er Monumentalstatuen angekettet.
Der Kampf sei sein hauptsächliches Thema in der Serie „afrikanische Zeichen“, sagt Thia und schliesst die Kette auf. Die Sammlung besteht aus Untersammlungen: Der Kampf fürs Meer, für die Geschichte Afrikas… und seine Kämpfer zeigen, dass es Kampf nicht nur im Sport gibt.
„Der Mensch kämpft vom Mutterbauch an“, meint Thia und zeigt auf eine Frauenstatue mit Löchern im schwangeren Bauch: „Im Innern ist ein Baby zu sehen.“ Das Baby kämpfe, um unbeschadet aus dem Bauch der Mutter herauszukommen.
„Es wird kämpfen, um auf dem Boden zu robben, um zu gehen, zur Schule zu gehen und Diplome zu machen. Es gibt den Kampf in der Politik, den Kampf der Medizin.“ Der hochgewachsene Künstler zeigt auf den Kämpfer mit Testgerät in einer Hand, einem Horn in der anderen, mit denen er Krankheiten diagnostizieren kann: „Da sind die traditionelle und die moderne Medizin.“ Ein anderer kämpft mit Reden, er hat ein Buch in den Händen, das nennt Thia den intellektuellen Kampf, der auch für die Politik gilt. Auch Schriftsteller nutzen Bücher und Literatur und kämpfen mit ihrer Feder.
Im Innenhof des Familienhauses brutzelt Essen auf einer Feuerstelle, Thia stellt mir die Nichte seiner Frau vor, die Gemüse schnippelt. Vom Nachbarhaus ist Hammelgeblöke zu hören. Auf einem Hof hängt Wäsche zum Trocknen aus. Eine Frau kocht Kuskus. Im Plateau-Viertel gibt es zahlreiche Galerien und bedeutende Museen. Thia ist der einzige Künstler hier im Ghettoviertel. Neben den Statuen sitzen Männer auf einem winzigen Platz. Thia gibt jedem die Hand, wie es die senegalesische Sitte will. Grüßend führt er durch enge Gassen bis zum Ausgang aus diesem Labyrinth.
Der Traum von einem Museum, das den Reichtum schwarzer Zivilisationen sichtbar macht, reicht zurück in die 1950er Jahre. Es war eine Idee afrikanischer Intellektueller der Diaspora. 2019 wird das Museum der schwarzen Zivilisationen („Musée des Civilisations Noires“ MCN) eingeweiht, ein moderner, massiver, runder Glasbau am Eingang des Plateau-Viertels gleich hinter dem Bahnhof, der sich in einem schönen renovierten Kolonialgebäude befindet.
Bahnhof Dakar
„Musée des Civilisations Noires“ MCN Foto: Werner Geiger
Die Architektur des Museums entspricht einer umgekehrten afrikanischen Hütte, wurde vom Pekinger Architekturinstitut entworfen und von den Chinesen für über 30 Millionen Euro gebaut. „Die Chinesen fragten uns, was wollt ihr?“ erinnert sich Gründungsdirektor Hadamy Bokoum: „Wir sagten, wir wollen eine Architektur, die von unserem Kontinent inspiriert ist: Am meisten verbreitet in Afrika ist die kleine runde Hütte. Sie sagten, das ist kompliziert! Aber wir bestanden darauf.“ Tageslicht fällt durch die umgedrehte Hütte, das Dach fängt Regenwasser auf.
Im Innern empfängt ein zehn Meter hoher Baobab die Besucher: Ein Affenbrotbaum aus geschnittenem Eisen, über sieben Tonnen schwer. „Der Baum der Menschlichkeit“ ist das Werk des in Miami lebenden Haitianers Edouard Duval Carrié.
Auch alle anderen ständigen Objekte des Museums – insgesamt 18 000 - sind Gaben der Künstler, so der Gründungsdirektor Bokoum:
„Wissen Sie, wie Siriki Ky oder Abdoulaye Konate ihre Werke hergebracht haben?“ fragt Bokoum und lacht: „Siriki Ky hat seine Skulpturen in Ouagadougou in einen Lastwagen gepackt und durch den Busch nach Dakar gefahren. Ohne Versicherung, ohne alles. Konate packte seine Stoffskulpturen in einen Koffer und kam damit im Flugzeug aus Mali.“ Boucoum wollte aus dem westlichen Kapitalmodell heraus, das ein Business sei:
„Wir wollen Kultur statt Business.“
Selbstbewusste Töne vom ehemaligen Direktor. Professor Mouhamed Abdoullay Ly, der aktuelle Direktor, führt das Museum im Sinne seines Vorgängers weiter.
Im Erdgeschoss dokumentieren die Ausstellungsgegenstände Afrikas Beiträge zur Weltgeschichte: Die Erfindung des Eisens und der Schmiedekunst, Heilpflanzen, Philosophie. Der obere Stock zeigt zeitgenössische Werke aus ganz Afrika und der Diaspora - Gemälde, Videoinstallationen, Skulpturen, Stoffe, Masken. Nur der Baobab bleibe als einziges Werk dauerhaft hier, erklärt Bocoum. „Es ist unmöglich, die schwarzen Zivilisationen in einer einzigen Ausstellung zu erzählen.“ Temporäre Ausstellungen wechseln, 2024 waren die Präsidentengemälde des afro-amerikanischen Künstlers Kehinde Wiley zu sehen.
Kehinde Wiley bei der Vernissage im MCN
Maison Ousmane Sow
Versteckt in einer kleinen Strasse im Stadtteil Yoff liegt das ehemalige Wohnhaus des Skulpteurs Ousmane Sow – heute ein Museum. Keine Plakate, keine pompöse Fassade. Wer das Gebäude betritt, steht plötzlich zwischen monumentalen Skulpturen und Erinnerungen an ein Künstlerleben, das weit über Senegal hinausgewirkt hat.
