INSPEKTOR CROMWELLS GROSSER TAG - Victor Gunn - E-Book

INSPEKTOR CROMWELLS GROSSER TAG E-Book

Victor Gunn

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Die Verbrecherbande der Gate Boys terrorisiert London mit Raubüberfällen, Autodiebstählen und verwegenen Einbrüchen. Superintendent Hammerton von Scotland Yard wird bei einer Verfolgungsjagd im Londoner West End erschossen. Oberst Lockhurst wendet sich an Chefinspektor Bill Cromwell: "Wir möchten, dass Sie den Fall übernehmen, Cromwell!" Der Roman Inspektor Cromwells großer Tag von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Victor Gunn

 

 

Inspektor Cromwells

großer Tag

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 171

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

INSPEKTOR CROMWELLS GROSSER TAG 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Die Verbrecherbande der Gate Boys terrorisiert London mit Raubüberfällen, Autodiebstählen und verwegenen Einbrüchen.

Superintendent Hammerton von Scotland Yard wird bei einer Verfolgungsjagd im Londoner West End erschossen. Oberst Lockhurst wendet sich an Chefinspektor Bill Cromwell: »Wir möchten, dass Sie den Fall übernehmen, Cromwell!«

 

Der Roman Inspektor Cromwells großer Tag von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   INSPEKTOR CROMWELLS GROSSER TAG

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

»Ich versteh’ dich nicht, Old Iron«, seufzte Johnny Lister verdrießlich.

Bill Cromwell packte ihn nur noch fester am Arm und steuerte ihn durch das prunkhaft schimmernde Foyer der Elefantenbar.

Johnnys Unwille wuchs. Nicht genug damit, dass Cromwell ihn mitten auf dem Piccadilly angewiesen hatte, zu wenden und den Wagen wenige hundert Meter vom Rosa Elefanten entfernt in der Shaftesbury Avenue zu parken – jetzt verlangte er auch noch von ihm, sich in dieses supervornehme Lokal zu setzen, dessen mondäne Atmosphäre Johnny weder behagte noch interessierte. Schließlich war Dienstschluss, und normalerweise sollten sie sich auf dem Weg nach Hause befinden.

Mürrisch legte er Hut und Mantel ab und gab sich nicht die mindeste Mühe, ein freundliches Gesicht aufzusetzen, als Cromwell ihn durch den eleganten Barraum zu einem Tisch führte. Flimmernde Dekorationen, dezente Beleuchtung und gedämpfte Musik ein solches Milieu hasste Johnny.

Die Tanzfläche war gestopft voll. Unter den Gästen befanden sich viele Prominente: Mitglieder des Oberhauses, Söhne und Töchter aus Adelskreisen, Millionäre, Schriftsteller und so weiter. Zweifellos ein exklusives Nachtlokal. Ein weniger exklusives, wie beispielsweise die Atombombe, hätte Johnny mehr zugesagt. Dort setzte sich das Publikum hauptsächlich aus schweren Jungens, leichten Mädchen und ähnlichem lichtscheuem Gesindel zusammen. Man konnte sich an einen Tisch setzen, Augen und Ohren offenhalten und Erfahrungen sammeln. Die Bar Zum Rosa Elefanten hingegen war äußerst uninteressant.

»Warum, zum Teufel, hast du mich hierhergeschleppt?«, stieß Johnny hervor und schickte einen wütenden Blick über den Tisch.

»Vielleicht aus Neugier«, brummte sein Gegenüber gleichmütig.

Die Vermutung liegt nahe, dass Bill Cromwell und Johnny Lister für den Leser gute Bekannte sind. Trotzdem mögen einige erklärende Worte angebracht sein. Die alten Leser dürfen die folgenden beiden Abschnitte ruhig übergehen – ihnen haben wir nichts Neues zu sagen.

Richten wir unser Augenmerk zunächst auf Bill Cromwell. Ein hagerer, sehniger Mann in mittleren Jahren mit einem mürrischen Gesicht und Augen, die unter den buschigsten Brauen von ganz London bemerkenswert scharf und interessiert die Umwelt zu mustern verstanden. Mit einem Wort: Es handelt sich um Chefinspektor Bill Cromwell von Scotland Yard. Nur selten fand man Cromwell in liebenswürdiger Stimmung. Er hasste jeden Bürokratismus und war dafür bekannt, dass er sich bei seiner Arbeit nicht immer an die Buchstaben der Dienstvorschrift hielt. Diese Tatsache verheimlichte er keineswegs. Normalerweise hätte die Art seiner Ermittlungsführung längst zur Entlassung führen müssen, aber da er stets Erfolg hatte, kümmerten sich seine Vorgesetzten nicht darum und ließen ihn ungeschoren.

Seine Assistenten wechselten ständig. Keiner hielt es lange bei ihm aus. Unerbittlich gegen sich selbst, verlangte er dasselbe von seinen Untergebenen. Johnny Lister arbeitete als erster schon länger als ein Jahr mit ihm zusammen. Selbst mit Leib und Seele Detektiv, verstand er Cromwells Art. Die beiden gaben ein ausgezeichnetes Gespann ab. Wegen ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit wurden sie als Vorbild für die anderen Beamten im Yard hingestellt. Übrigens war Johnny kein gewöhnlicher Polizeibeamter. Als Sohn von General John Everett Lister hatte er viele Verbindungen zur Aristokratie, ganz zu schweigen von dem beträchtlichen Vermögen, das ihm manche Annehmlichkeit verschaffte. Dazu gehörte auch sein für einen Detektivsergeanten ziemlich luxuriöser Sportwagen.

Johnny hätte sich gut und gerne eine eigene Wohnung leisten können, aber er zog es vor, zusammen mit Cromwell in einem zwar bescheidenen, aber urgemütlichen Appartement in der Victoria Street zu hausen. Sie waren beide unverheiratet. Cromwell galt als völlig eingefleischter Junggeselle. Bei Johnny hingegen bestand immer noch die Gefahr, dass er sich verlieben würde, wenn ihm das richtige Mädchen über den Weg lief. Trotz ihrer verschieden gearteten Temperamente kamen sie gut miteinander aus. Für einen Außenstehenden musste der Ton, in dem sie miteinander umsprangen, grob – ja, geradezu beleidigend klingen. In Wirklichkeit war diese raue Art nur ein Beweis ihrer herzlichen Freundschaft.

»Ausgerechnet diese mondäne Bude musst du dir aussuchen, Ironsides«, murrte Johnny und betrachtete seinen Begleiter missmutig. »Du weißt doch genau, was das für ein Nepp ist. Hier bezahlst du drei Pfund für ein Souper, das ganze fünf Schilling wert ist.«

»Du vergisst dabei die luxuriöse Aufmachung und die vornehme Gesellschaft«, widersprach Ironsides. »Das muss man eben mit bezahlen.«

»Hör auf! Du bist bestimmt nicht wegen der luxuriösen Aufmachung oder der vornehmen Gesellschaft hierhergekommen. Du bist dir doch hoffentlich darüber im Klaren, dass wir allein fünf Schilling Trinkgeld geben müssen?«

»Das stört mich nicht weiter. Du bezahlst ja.«

»Wenn wir wenigstens in die Atombombe oder die Eidechse gegangen wären«, jammerte Johnny weiter. »Ich kann dafür garantieren, dass wir in der Atombombe innerhalb von fünf Sekunden fünf Ganoven entdeckt hätten. Vielleicht auch den einen oder anderen brauchbaren Hinweis erhalten... Aber hier« – er machte eine wegwerfende Geste mit seiner Zigarette –, »hier siehst du nicht einen einzigen Gauner.«

An dieser Stelle muss eingefügt werden, dass Johnny – wie bereits angedeutet – eine besondere Schwäche für etwas zweifelhafte Nachtlokale hatte. Der Besuch dieser Stätten bereitete ihm zwar kein persönliches Vergnügen – er war ein durch und durch anständiger junger Mann –, aber in beruflicher Hinsicht glaubte er dort viel lernen zu können. Die Elefantenbar hatte er heute zum ersten Mal betreten. Sie war ihm zu vornehm, zu exklusiv. Hier verkehrten nur die oberen Zehntausend, und darum glaubte er, hier nichts verloren zu haben.

»Ich verstehe das Ganze einfach nicht«, wiederholte er stirnrunzelnd. »Wir kutschieren seelenruhig durch die Piccadilly nach Hause, und plötzlich fährst du wie von der Tarantel gestochen auf und lässt mich wenden. Nach ein paar hundert Metern soll ich langsam einem alten Lieferwagen folgen, schließlich muss ich parken, und du schleppst mich hierher. Warum also?«

»Das wirst du gleich sehen. Ich hoffe es wenigstens«, brummte Cromwell. »Wie steht’s übrigens mit etwas Trinkbarem?«

»Ich werde ein Glas Bier bestellen, wenn es unbedingt sein muss. Ich möchte dir aber gleich sagen, dass es mindestens fünf Schilling kosten wird.« Er drehte sich um und winkte dem Kellner – gerade rechtzeitig, um festzustellen, dass etwas Bemerkenswertes geschah. Sämtliche Türen wurden aufgerissen, und innerhalb von wenigen Sekunden war das Lokal von uniformierten Polizeibeamten besetzt. Die Musik brach mit schrillem Ton ab. Von verschiedenen Seiten kamen erschreckte und protestierende Ausrufe.

»Hallo!«, rief Johnny und blickte Cromwell fest an. »Deshalb also?«

»Vielleicht.«

»Alter Halunke! Du musst also von dieser Razzia gewusst haben, sonst wären wir nicht hier. Warum allerdings ein einigermaßen vernünftiger Mensch in ein Nachtlokal geht, um sich eine Razzia anzusehen, geht über meinen Verstand. Du wirst geschmacklos, Old Iron. Wegen einer so alltäglichen, albernen Angelegenheit hierherzukommen!«

Cromwell antwortete nicht. Ganz ohne Absicht wurde Johnny Lister neugierig. Irgendetwas stimmte hier nicht. Eine Razzia in der Elefantenbar hätte er nie im Leben erwartet, ganz besonders nicht um diese Stunde. Offiziell durften ja noch für mindestens eine halbe Stunde alkoholische Getränke ausgeschenkt werden. Darum musste diese Razzia sinnlos sein – wenn die Polizei nicht einen langgesuchten Verbrecher festnehmen wollte.

Johnnys Gesicht hellte sich auf. Möglich, dass er Cromwell Unrecht getan hatte. Die Verwirrung der Gäste machte ihm Spaß. Mit diebischem Vergnügen vernahm er das aufgeregte, ärgerliche Geflüster vom Nebentisch, an dem eine vornehme Familie saß. Sein Blick schweifte weiter durch den Raum. Mindestens drei der anwesenden Damen hatten sich in eine Ohnmacht gerettet, und zwei ältere Herren schienen einem Schlaganfall nahe.

»Watkins, bewachen Sie diese Ausgänge! Wenn jemand versuchen sollte, sich zu entfernen, nehmen Sie ihn fest!«, befahl die scharfe Stimme des Superintendenten, der die Razzia leitete. »Sutton, Sie besetzen da drüben die Tür. Smithers, Sie sperren den Personalausgang.«

Die Polizeibeamten befolgten die Befehle so rasch und genau, wie man es von ihnen gewohnt war. Johnny hatte das Gefühl, dass man vorher alles gut durchexerziert hatte. Keiner der Beamten machte einen falschen Schritt.

»Meine Damen und Herren, ich bitte diese Störung zu entschuldigen«, wandte sich der Superintendent jetzt mit erhobener Stimme an die Gäste. »Es besteht keinerlei Grund zur Aufregung.«

»Das ist eine Unverschämtheit!«, rief ein großer, sehr weltmännisch wirkender Mann. »Wer gibt Ihnen das Recht, hier gewaltsam einzudringen? Diese Razzien werden. langsam unerträglich. Anständige Leute wissen überhaupt nicht mehr, wann sie noch in Ruhe ausgehen können!«

Von allen Seiten kamen zustimmende Rufe.

»Trotzdem, meine Damen und Herren, muss ich Sie ersuchen, auf Ihren Plätzen zu bleiben«, erwiderte der Superintendent mit entschlossener Miene. »Und Sie, Sir, schweigen jetzt bitte.«

»Jawohl!«, rief der Herr. »Aber zuvor möchte ich Ihnen sagen: Scheren Sie sich zum Teufel!«

»Wenn Sie nicht sofort still sind, Sir, werde ich mich gezwungen sehen, Sie abführen zu lassen«, fuhr der Superintendent ihn wütend an. »Ich darf Sie daran erinnern, dass es ein ernstliches Vergehen ist, die Polizei an der Ausübung ihrer Pflicht zu hindern.«

Ein gedämpfter Proteststurm setzte ein, der schließlich in einem völligen Tumult endete. Johnny Lister amüsierte sich köstlich. Die Atmosphäre wurde richtig. Ironsides musste wohl davon gewusst haben. »Du alter Gauner«, flüsterte er Ironsides zu. »Dieser Superintendent ist wohl ein alter Freund von dir, wenn ich mich nicht täusche?«

»Ich erinnere mich, ihn schon einmal gesehen zu haben, aber dicke Freunde sind wir bestimmt nicht«, brummte Cromwell gedehnt und beugte sich zu Johnny herüber. »Hör gut zu. Lass immer schon deine Muskeln spielen. Ich glaube, es gibt Schwierigkeiten.«

»Schwierigkeiten?« Johnny zwinkerte überrascht. »Für uns?«

»Ja, für uns. Halt also die Augen offen!«

Dem jungen Sergeanten kribbelte es in den Fingern. Er tappte Immer noch im Dunkeln, was die Ursache dieses überraschenden Abenteuers anbetraf, aber jetzt glaubte er unbedingt, dass hier eine dicke Sache im Gang war. Mit größtem Vergnügen beobachtete er den Fortgang der Aktion. Ironsides musste zweifellos wissen, was dahintersteckte.

Die energischen Worte des Superintendenten hatten zwar bei den Anwesenden noch mehr Verärgerung ausgelöst, andererseits aber jeden Widerspruch erstickt. Niemand verspürte Lust, festgenommen und abgeführt zu werden. Sollten diese verflixten Polizisten also endlich ihre Aufgabe durchführen und dann verschwinden!

»Fertig?«, fragte der Superintendent barsch. »Alle Türen besetzt? Jeder auf seinem Posten?«

»Jawohl, Sir!«, kam die prompte Antwort.

»Okay, Boys!«, befahl der Superintendent und griff in seinen Uniformrock. »Anfängen!«

Cromwells Rechte fuhr verstohlen unter den Tisch und tippte gegen Johnnys Knie.

»Noch nicht«, flüsterte er. »Lass sie noch gewähren.«

Obwohl der Sergeant auf allerhand gefasst war, blieb ihm jetzt vor Überraschung der Mund offenstehen. Jeder Polizist, einschließlich des Superintendenten, zog plötzlich eine automatische Pistole. Mit einer Präzision, die gründlichste Übung verriet, wurden die Leute an sämtlichen Tischen in Schach gehalten.

»Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir Ihnen gegenüber deutlich im Vorteil sind«, ertönte jetzt die überraschend liebenswürdige Stimme des Superintendenten. »Nehmen Sie die Hände hoch – und zwar so hoch wie möglich. Jeder, der die kleinste Bewegung macht oder zu schreien beginnt, wird umgelegt!«

Er lud seine Pistole durch. Das klickende Geräusch durchbrach die gespannte Stille.

Der Manager des Lokals – ein untadelig gekleideter Schweizer namens Jorgens, den Cromwell gut kannte – bahnte sich impulsiv einen Weg nach vorn.

»Das ist keine Polizeirazzia«, schrie er mit vor Ärger verzerrtem Gesicht. »Das ist keine Polizei! Mein Gott, es sind die Gate Boys!« Die letzten Worte kamen ihm völlig entgeistert über die Lippen. Den meisten Anwesenden sagten sie allerdings nichts, aber Johnny zuckte zusammen. Er blickte kurz zu Cromwell hinüber, der fast unmerklich mit dem Kopf nickte.

»Was?«, flüsterte Johnny. »Also so ist das!«

Er saß mit offenem Mund da und wirkte genauso ängstlich wie die übrigen Gäste. Er folgte Cromwells Beispiel, der einen mehr als furchtsamen Eindruck machte. Ein in der Nähe stehender, als Polizist verkleideter Gangster beachtete ihren Tisch kaum.

»In drei Minuten ist alles vorbei«, fuhr der Superintendent mit geschmeidiger Stimme fort. »Kein Grund zur Aufregung, meine Verehrtesten. Es wird niemandem ein Haar gekrümmt. Legen Sie schön Ihren Schmuck und die Brieftaschen vor sich auf den Tisch.« Niemand weigerte sich. Es wäre auch angesichts dieser mit gezogenem Revolver dastehenden Verbrecherbande sinnlos gewesen. Mit nervösen Fingern legten die Damen ihre Ringe, Halsbänder und sonstigen Schmuck ab. Die Herren fluchten leise vor sich hin, holten aber ebenso gehorsam ihre Brieftaschen heraus.

Johnny Lister faszinierte der reibungslose Verlauf dieses Raubüberfalls. Besonders der Anführer der Bande interessierte ihn – der große, soldatische Mann in der Uniform eines Polizeisuperintendenten. Er stand etwas abseits von den übrigen. Wachsam und mit größter Vollendung dirigierte er das Unternehmen. Seine Augen waren von einer Bläue, wie Johnny sie noch nie gesehen hatte. Sie blickten durchdringend und schienen die Opfer zu hypnotisieren. Die Nase des Mannes war auffallend breit, die Zähne standen leicht vor. Ein kraftvolles Gesicht, das man so leicht nicht vergessen konnte. Johnny registrierte jede Einzelheit und prägte sich die Züge genau ein.

»Los, Johnny!«, murmelte Cromwell plötzlich.

Die Verbrecher hatten die Anwesenheit der beiden Yard-Beamten nicht bemerkt. Aber jetzt lenkte Cromwell alle Aufmerksamkeit auf sich. Mit einer blitzschnellen Bewegung sprang er auf, trat dem ihm am nächsten stehenden Banditen in die Knöchel und stellte ihm gleichzeitig ein Bein. Als der Bursche strauchelte, entriss er ihm die Pistole und wirbelte sie am Abzugsbügel mit der Geschicklichkeit eines alten Cowboys um den Finger,

»Hände hoch – alle miteinander!« Ironsides’ Stimme durchschnitt die Stille wie ein Peitschenknall.

Er hätte keine ungeschickteren Worte wählen können, wie die Ereignisse gleich zeigen werden. Sein Befehl galt ausschließlich den Gate Boys, und die starrten ihn – vom falschen Superintendenten angefangen bis hinunter zum letzten Mann – völlig verdutzt an.

»Zum Teufel, was soll das!«, brüllte der Blauäugige.

»Du bist doch wohl nicht blind, wie?«, schnauzte Cromwell zurück. »Wir zwei können es genauso gut wie ihr, mein Freund!«

Er hätte sich auch diesmal gewählter ausdrücken sollen, aber er hatte im Augenblick keine Zeit, seine Worte zu überlegen, wie spätere Kritiker auch zugeben mussten. Und was anschließend geschah, musste ebenfalls zu Missverständnissen führen.

Krach! Cromwells Pistole blitzte auf, und die Waffe des Bandenchefs flog an die Wand.

»Ich habe Sie gewarnt!«, fauchte der Chefinspektor wütend »Wenn noch einer sehen will, ob ich treffen kann, dann immerzu! Nein? All right – dann werft die Waffen weg!«

»Und zwar ein bisschen dalli!«, wurde er von Johnny unterstützt.

Cromwells entschlossene Haltung schüchterte die Gate Boys völlig ein. Keiner wagte sich dem drohend aussehenden Yard-Beamten zu widersetzen. Dumpf polterten die Pistolen zu Boden. Cromwells entschiedenes Auftreten hatte die Gangster restlos besiegt.

Johnny sammelte die Waffen ein und stapelte sie auf einen Tisch. Leute, die nicht gewöhnt waren, mit Feuerwaffen umzugehen, ergriffen die Pistolen und fuchtelten wild damit herum. Nur wie durch ein Wunder ging kein einziger Schuss los.

»He, liegenlassen«, brüllte Johnny, als er bemerkte, was vor sich ging. »Lassen Sie diese Herumalberei mit den Pistolen!«

Seine Stimme wurde übertönt von dem Geschrei einer Gruppe milchgesichtiger Jünglinge. Die Burschen mochten sich hier zu einem Klassentreffen versammelt haben und schienen vom Ehrgeiz besessen, besonders heldenhaft und geistesgegenwärtig zu handeln. Unglücklicherweise waren sie zu dem Schluss gelangt, Cromwell und Johnny seien ebenfalls Ganoven, die die Situation auf ihre Art auszunutzen gedachten. Wenn junge Leute schon zu denken beginnen, kann natürlich nicht viel Gescheites herauskommen.

»Schnappt die beiden, dann haben wir alle zusammen!«, brüllten sie los.

Natürlich hatte Cromwells anfängliches: »Hände hoch – alle miteinander!«, dieses Missverständnis ausgelöst. Dazu noch jene verfängliche Bemerkung: »Wir zwei können es genauso gut wie ihr!«, und schließlich sein rücksichtsloses Auftreten, das die falschen Schlussfolgerungen vervollkommnete.

Drei der jungen Burschen fielen über den Chefinspektor her, ehe der überhaupt ahnen konnte, was vor sich ging. Mit einem gewaltigen Krach stürzte er der Länge nach hin. Johnny, der ihm zu Hilfe eilen wollte, wurde im gleichen Augenblick zu Boden geschickt. Ein berühmter Rugbyspieler, dessen Gehirn sich offensichtlich in den Füßen befand, hatte sich in bewährtem Stil auf ihn gestürzt.

Die weitere Entwicklung dieser unprogrammgemäßen Rauferei ließ sich leicht voraussehen. Cromwells Faust traf den Schädel eines übereifrigen Mannes, und Johnny konnte ebenfalls ein paar Boxhiebe landen. Inzwischen aber machten sich die Gate Boys still und heimlich aus dem Staub. Ohne Waffen fühlten sie sich nicht länger Herr der Lage, und darum nützten sie die allgemeine Verwirrung, um durch die verschiedenen Ausgänge zu verschwinden.

»Ihr verdammten Idioten!«, brüllte Johnny, schob sich ein paar Schuhsohlen aus dem Gesicht und kämpfte sich wieder auf die Füße. »Ihr habt alles restlos verdorben! Wir sind wirklich von der Polizei!«

»Ja, das stimmt!«, rief der Manager und bahnte sich einen Weg durch die Menge. »Ich kenne den Herrn genau. Er ist der berühmte Mr. Cromwell von Scotland Yard.«

»Zu spät, mein Freund«, winkte Ironsides mürrisch ab und klopfte sich den Staub von den Hosen. »Wirklich schade, dass ihr Jungs so impulsiv wart!«

Ringsum klappten die Kinnladen nach unten. Cromwell achtete nicht auf die gestammelten Entschuldigungen, sondern marschierte mit langen Schritten zum nächsten Ausgang.

»So eine Schweinerei, Old Iron«, schimpfte Johnny. »Aber immerhin hast du den Überfall vereitelt. Die Gate Boys, wie? Das erste Mal, dass wir sie gesehen haben.«

»Sie gehören in Hammertons Ressort – nicht in unseres«, knurrte Cromwell. »Gefährliche Burschen. Die schlimmste Gangsterorganisation, die es seit Jahren in London gegeben hat.«

»Aber woher wusstest du...? Wer hat dir den Tipp gegeben, dass die Brüder ausgerechnet die Elefantenbar überfallen würden?«

»Niemand hat mir einen Tipp gegeben. Ich las lediglich das Nummernschild des alten Lieferwagens, als wir Piccadilly entlangfuhren. Polizeiliche Kennzeichen sind ja ein Hobby von mir, wie du weißt. Zunächst schien mir das Nummernschild nicht weiter verdächtig. Aber dann ereignete sich einer dieser seltsamen Zufälle. Wir waren noch keine fünfhundert Meter weitergefahren, als du einen alten Austin überholen wolltest.«

»Ich verstehe nicht ganz...«

»Beide trugen merkwürdigerweise das gleiche polizeiliche Kennzeichen – der Austin und der Lieferwagen«, brummte Ironsides und blickte interessiert die Straße entlang. »Der alte Austin war staubig wie nach einer langen Fahrt. Ein Mann, eine Frau und ein Kind saßen darin. Zweifellos musste das Kennzeichen echt sein. Bei den augenblicklichen Überfällen und Schwarzmarktgaunereien ist ein geschlossener Lieferwagen hingegen immer verdächtig. Besonders so spät in der Nacht. Und ein Lieferwagen mit falschem Kennzeichen und durchgebogenen Federn verdient unbedingt Beachtung. Deshalb bat ich dich, zu wenden und zurückzufahren.«

»Donnerwetter!« Johnny schaute bewundernd zu seinem Chef auf.

»Da sind sie«, zischte Cromwell wütend. »Dort vorne klettern sie in den Lieferwagen, und wir müssen Zusehen! Warum ist Hammerton immer noch nicht da?«, fügte er ungeduldig hinzu und beobachtete aufmerksam die Gangster. »Du erinnerst dich wohl, Johnny, dass ich dich anwies, langsam hinter diesem Lieferwagen herzufahren. Plötzlich bog er zur Seite, und ein Mann sprach mit dem Fahrer – gerade in dem Augenblick, als wir ihn überholten. Ich erkannte diesen Mann als ein Mitglied der Gate Boys, und als ich das Wort Elefantenbar aufschnappte, sagte ich mir, dass es ganz interessant sein müsste, dort einmal einen Besuch abzustatten. Es war alles ganz einfach, wie du siehst.«

»Freilich, ganz einfach!«, echote Johnny trocken. »Ich habe den Kerl nicht gesehen und erst recht nicht gehört. Deine Ohren müssen ja...«

»Hier sind sie, aber zu spät!«, knurrte Ironsides, als ein paar Überfallwagen angerast kamen. »He!«, brüllte er und sprang rücksichtslos vor den ersten Wagen. »Dieser Lieferwagen! Dort! Er fährt gerade ab. Die Gate Boys. Hinterher!«

Der Polizeioffizier zögerte keine Sekunde. Er hatte Cromwell erkannt und nickte kurz. Die beiden schweren Wagen rasten davon.

»Eine Minute zu spät!«, brummte Cromwell stirnrunzelnd. »Ich wollte die Bande unbedingt bis zum Eintreffen Hammertons in Schach halten.«

Johnny Lister nickte. Er verstand jetzt, warum Cromwell beim Betreten der Elefantenbar zunächst noch in die Telefonzelle verschwunden war.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Ein drittes Polizeiauto kam mit enormer Geschwindigkeit herangerast, hinter dem Steuer ein Mann mit verbissenem Gesicht. Dem außerordentlich geschickten Fahrer gelang es, die Überfallkommandos zu überholen.

»Das war Hammerton selbst.« Cromwell schnalzte mit der Zunge. »So ein Esel! Er ist viel zu kostbar für uns, um selbst auf Banditenjagd zu gehen. Er wird nur den Wagen zum Teufel fahren und selber dran glauben müssen, wenn er nicht vorsichtiger ist!«

»He! Was stehen wir eigentlich herum?«, rief Johnny plötzlich und setzte sich in Bewegung. »Da steht mein Wagen. Los, Old Iron. Bei dem Spaß wollen wir mit dabei sein.«

Er zerrte Ironsides über die Straße zu seinem Alvis. Der Chefinspektor schien absolut keine Lust zu haben, in ein aller Voraussicht nach wüst ausgehendes Abenteuer verwickelt zu werden. Aber er fand sich neben Johnny im Auto, ehe er recht wusste, wie ihm geschah.

»Sie sind nicht mehr zu sehen«, stieß der Sergeant verbissen hervor, während er startete. »Haben einen zu großen Vorsprung. Zu ärgerlich, Old Iron. Wenn wir die Burschen nur noch zwei Minuten hätten aufhalten können, wäre Hammerton der fetteste Fang des Jahres gelungen. Nicht deine Schuld, du hattest alles prächtig eingefädelt.«

»Bis diese Schafsköpfe dazwischenfunkten und meinen so schön improvisierten Plan über den Haufen warfen«, knurrte Cromwell, klammerte sich am Sitz fest und befahl seine Seele dem Allmächtigen. »Nicht so schnell, verdammt nochmal! Willst du mich umbringen? Hammerton mag eine solche Raserei Spaß machen, aber ich bin mehr für ein gemächlicheres Tempo.«

Johnny Lister achtete nicht auf die lamentierenden Worte seines Chefs, sondern beteiligte sich mit heller Begeisterung an der Verfolgungsjagd. Brüllend schoss der Alvis durch die nächtlichen Straßen des West End.

»Dir passiert gar nichts, alter Angsthase«, sagte er respektlos, während er seinen Wagen laut quietschend auf zwei Rädern eine Kurve nehmen ließ. »Außerdem kann es nicht lange dauern. Dieser klapperige alte Lieferwagen wird nicht weit kommen.«

»Du hast wohl deinen Verstand zu Hause gelassen«, unterbrach Ironsides ihn wütend. »Eigentlich solltest du wissen, dass diese Gangster in ihren klapperig aussehenden Wagen außerordentlich starke Motoren eingebaut haben! Mir gefällt das Ganze nicht, Johnny. Die Gate Boys sind gefährlich. Außerdem müssen sie jetzt ziemlich verzweifelt sein.«

»Du meinst, sie werden schießen?«

»Bevor sie sich schnappen lassen, werden sie losballern, ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn Hammerton wirklich die Spitze übernommen hat, ist er ein Narr. Blinder Eifer schadet nur!«

Johnny teilte diese Meinung nicht ganz. Im Gegenteil bewunderte er die draufgängerische Art Superintendent Hammertons. Sicher darum, weil er selbst so temperamentvoll veranlagt war. Hammerton kannte er flüchtig. Er leitete die Sonderkommission G. 2. Der Chief Commissioner von Scotland Yard hatte in dieser Sonderabteilung besonders ausgewählte Beamte zusammengezogen, die mit den Verbrecherbänden, Schwarzhändlern und desertierten Armeeangehörigen reinen Tisch machen sollten. Seit Kriegsende waren Hammerton und seine Leute ziemlich beschäftigt gewesen. Johnny wusste, dass der Superintendent die Gate Boys – die Notting Hill Gate Boys, wie sie richtiger hießen – unter allen Umständen ausmerzen wollte. Diese jugendlichen Gangster hatten unter einem gerissenen Bandenchef im Londoner West End ein Verbrechen nach dem anderen verübt. Ihre Überfälle wurden immer dreister. Sie setzten sich rücksichtslos über Recht und Gesetz hinweg. Es bestand sogar begründeter Verdacht, dass sie schon mehrere Morde auf dem Gewissen hatten.

Während der Alvis mit ungefähr hundert Stundenkilometern über den Piccadilly Circus raste, machte Cromwell sich ernstlich Sorgen. Weniger um sich selbst als um Hammerton, der inzwischen die Spitze übernommen hatte.

Mit eisernem Griff umklammerte Johnny Lister das Steuer. Er schnitt auf kürzeste Entfernung einen Bus und bog mit quietschenden Reifen in Piccadilly ein. Er wollte unbedingt die Überfallkommandos überholen, um sich an die Spitze der wilden Jagd zu setzen. Genau wie Ironsides befürchtete er jetzt, dass Hammerton in sein Verderben raste.

Der tollkühne Superintendent selbst hegte keine derartigen Befürchtungen. Er hatte stählerne Nerven und schon längst auf die Gelegenheit gewartet, dieser Bande den Garaus zu machen. Entschlossen trat er das Gaspedal durch und fuhr wie der leibhaftige Teufel. Die rücksichtslose Geschwindigkeit des verfolgten Lieferwagens und das Sirenengeheul der Überfallkommandos bewiesen deutlich genug, was sich abspielte. Die Straßen lagen wie leergefegt, nur auf dem Bürgersteig blieben die Passanten neugierig stehen – ein solches Schauspiel bekam man in London nicht jeden Tag zu sehen. Die Gangster hupten nicht nur ununterbrochen, jetzt öffneten sie auch noch die Auspuffklappe und donnerten wie ein wild gewordenes Rennauto vorbei. Dicht hinter ihnen lag Hammertons Wagen, dem die großen Überfallkommandos folgten.

Cromwells Vermutung erwies sich als richtig. Der alte klapperige Lieferwagen fuhr jetzt weit über hundert Stundenkilometer – er musste also einen außerordentlich starken Motor haben. Dass Cromwells weitere Befürchtungen ebenfalls eintraten, zeigten die nachfolgenden Ereignisse. Es geschah bestürzend schnell.

Hammerton beabsichtigte, den Lieferwagen zu überholen und dann zum Anhalten zu zwingen. Er wusste seine Leute dicht hinter sich, zum sofortigen Eingreifen bereit. Als er gerade zum Überholen ansetzte, öffneten sich die Hintertüren des Gangsterautos. Es blitzte vor ihm auf, und die Windschutzscheibe schien plötzlich von einem dichten Spinnennetz bedeckt. Drei oder vier Kugeln hatten sie durchschlagen. Sicherheitsglas ist noch lange nicht kugelsicher... Hammerton sank über dem Steuer zusammen, sein Fuß drückte das Gaspedal durch. Ein gutgezielter Kopfschuss hatte ihn getötet.

Sein Wagen geriet ins Schleudern. Was das bei dieser Geschwindigkeit bedeutete, kann man sich unschwer ausmalen. Er holperte schräg über die Straße und schoss anschließend in ein breitausladendes Schaufenster hinein. Wie durch ein Wunder standen gerade keine Passanten in der Nähe. Mit dem Lärm einer detonierenden Bombe prallte der Wagen auf.

Die dicht folgenden Überfallkommandos bremsten scharf ab. Nur der großen Geschicklichkeit der Fahrer war es zu verdanken, dass kein weiteres Unglück geschah. Trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, dass sie krachend zusammenstießen. Fest ineinander gekeilt kamen sie endlich an der Bordkante zum Stehen – glücklicherweise ohne umzustürzen. Johnny Lister wollte gerade überholen – geistesgegenwärtig riss er den Alvis schräg über die Straße und entkam nur mit knapper Not dem Verderben. Dem jungen Sergeanten stand der Angstschweiß auf der Stirn, als sein Wagen endlich stand. Aufregungen und Abenteuer faszinierten ihn sehr, aber die letzten drei Minuten hatten ihn für mindestens einen Monat versorgt. Ironsides taumelte wie ein Betrunkener aus dem Wagen und erklärte wütend, dass diese Fahrt ihm zehn Jahre seines Lebens gekostet, und wenigstens weitere fünftausend graue Haare eingebracht hätte.

Die Gate Boys hatten abermals gesiegt. Ehe die Überfallwagen aus ihrer Verkeilung gelöst werden konnten, war das Banditenauto über alle Berge. Später wurde es dann verlassen in einer stillen Seitenstraße in Kensington gefunden.

Zunächst nahm man an, Hammerton sei auf schreckliche Weise bei lebendigem Leibe verbrannt. Sein Wagen war bei dem Aufprall explodiert, der ganze Ladenraum stand in Sekundenschnelle in hellen Flammen, ehe auch nur jemand daran denken konnte, ihn herauszuzerren. Die Feuerwehr erschien in Rekordzeit und löschte den Brand, bevor größerer Schaden entstehen konnte. Als die traurigen Überreste des Autos untersucht wurden und die Ärzte feststellten, dass Hammerton bereits durch einen Kopfschuss getötet worden war, atmete man trotz allem erleichtert auf.

»Das ist wirklich ein Jammer, Old Iron«, murmelte Johnny Lister und wischte sich den Ruß aus den Augen. Sie starrten beide in die Flammen. »Der arme Hammerton!«

»Er wollte es ja nichts anders«, brummte Cromwell. »Besser als jeder andere hat er gewusst, wie rücksichtslos diese Schurken sind. Wenn jetzt nicht drastische Maßnahmen ergriffen werden, bekommen sie die Oberhand. Ich hatte gleich das Gefühl, dass Hammerton Selbstmord beging.«

»Er war unbelehrbar«, sagte der Fahrer eines der Überfallwagen verbittert und mit kalkweißem Gesicht. »Er wusste genau, dass die Schufte bewaffnet waren. Warum konnte er uns nicht die Sache überlassen? Stattdessen setzte er sich uns vor die Nase und hinderte uns am Schießen!«

»Er war außerordentlich tüchtig, Ihr Superintendent, nur leider zu eifrig«, erwiderte Ironsides ruhig. »Zu draufgängerisch. Seine Aufgabe war es, die Aktion zu leiten und nicht sich selbst an die Spitze zu setzen. Der Yard hat einen seiner besten Leute verloren.«

»Und G. 2 steht ohne Chef da«, meinte der Fahrer besorgt. »Wer weiß, wen wir jetzt kriegen. Dürfte schwer sein, jemanden zu finden, der dieser Aufgabe gewachsen ist.«

 

Am nächsten Morgen brachte die Londoner Presse den Vorfall in sensationeller Aufmachung. Fette Schlagzeilen sorgten dafür, dass die Zeitungen den Verkäufern förmlich aus den Händen gerissen wurden. Hoher Polizeioffizier von Gangstern ermordet. Da die Bande ohne brauchbare Spuren entkommen war, fielen die Kommentare entsprechend kritisch aus. Allgemein herrschte das bedrückende Gefühl, die Polizei habe eine Schlappe erlitten und dieses letzte Verbrechen bedeute den endgültigen Triumph der Gangster.

Wie soll sich da ein anständiger Bürger noch sicher fühlen können – fragte eine der Zeitungen. Bestand überhaupt noch eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit vor solchen Verbrechern zu schützen? Das Londoner West End scheine tatsächlich dem Chicago in den Tagen der Prohibition zu gleichen. Eine Zeitung machte sogar auf gewisse Parallelen aufmerksam: In Chicago habe das Alkoholverbot die Entstehung von Gangsterbanden begünstigt – in London böte gegenwärtig der schwarze Markt die gleichen Startbedingungen. – Journalistische Haarspalterei, gewiss – aber ein Körnchen Wahrheit war daran nicht zu verkennen.

Feststand jedenfalls, dass die Londoner Banditen seit einiger Zeit immer dreister vorgingen: Überfälle am hellen Tag, unzählige Autodiebstähle, verwegene nächtliche Einbrüche in Geschäftshäuser und Banken! Die Existenz eines Polizeiapparates wurde völlig ignoriert. Scotland Yard – vor allem die Sonderkommission G. 2 – arbeitete Tag und Nacht. Bisher ohne Erfolge, die der Mann auf der Straße anerkannt hätte. Letzteres war möglicherweise auch der Grund dafür, weshalb Hammerton diese rücksichtslose Verfolgungsjagd unternommen hatte. Wahrscheinlich wollte er nicht länger als Niete gelten. Seine Mitarbeiter wussten seine Fähigkeiten durchaus zu schätzen, aber die breite Öffentlichkeit musste in ihm einen nicht sehr begabten Beamten sehen.

 

»Zweifellos wird Bert Summers der neue Chef von G. 2«, meinte Bill Cromwell am nächsten Morgen. »Er ist schon seit Monaten Hammertons rechte Hand.«

»Inspektor Summers?« Johnny zweifelte daran. »Ist meines Erachtens zu bürokratisch. G. 2 braucht einen Mann, der eigene Initiative entwickelt und auf die Dienstvorschriften pfeift. Kurz gesagt, Old Iron – ein Mann wie du!«

Prophetische Worte: Zehn Minuten später wurde Cromwell dringend zu Oberst Lockhurst – dem Assistant Commissioner – gerufen.

»Nehmen Sie Platz, Chefinspektor«, begrüßte ihn der Oberst förmlich. »Ich hatte eben eine Konferenz mit dem Commissioner und dem Innenminister. Wie bestürzt wir über Hammertons Tod sind, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Eine furchtbare Geschichte! Well, ich will nicht lange drum herumreden. Wir möchten, dass Sie die Abteilung G. 2 übernehmen.«

»Irgendwelche Vorbehalte, Sir?«

»Was meinen Sie damit?«

»Sie kennen mich, Sir«, erwiderte Ironsides zurückhaltend. »Wenn ich diese Aufgabe übernehmen soll, muss ich völlig freie Hand haben.«

»Oh, selbstverständlich bekommen Sie Handlungsfreiheit«, sagte Lockhurst trocken. »Wir kennen Sie, Cromwell. Und eben darum haben wir Sie für diesen Posten vorgesehen. Wir wissen genau, dass diese Spezialaufgabe nur von einem Mann bewältigt werden kann, der mit allen Mitteln durchgreift – von einem Mann wie Sie. Samthandschuhe kann man bei dem Geschäft nicht brauchen, aber blinder Eifer schadet nur, wie uns der arme Hammerton bewiesen hat. Summers, der eigentlich den Posten hätte erhalten müssen, ist noch weniger zu gebrauchen. Ich nehme an, Sie verstehen mich?«

»Wenn Sie damit sagen wollen, dass Sie einen Mann brauchen, der sich nicht um die Dienstvorschriften kümmert und eigene Initiative entwickelt – ja, dann verstehe ich Sie«, erwiderte Cromwell grob.

»Hm! Warum gleich so drastische Worte...?«

»Sir irren, Sir«, unterbrach Ironsides ihn wenig respektvoll. »Ich möchte von Anfang an jedes Missverständnis vermeiden. Wenn ich diese Aufgabe übernehme, dann übernehme ich sie ohne jede Einschränkung. Das Vertrauen der Öffentlichkeit schwindet immer mehr. Die Zeitungen machen uns die Hölle heiß. Jetzt muss mit eisernem Besen gekehrt werden – ohne dass man mir von irgendeiner Seite Vorschriften macht. Die Gate Boys sind nicht die einzigen, die mit dem Gesetz Schindluder treiben. Es gibt noch andere Banden, und manche halte ich noch für weit gefährlicher und rücksichtsloser. Geben Sie mir vollkommen freie Hand, und ich werde Resultate bringen.«

»Das habe ich Ihnen doch bereits zugesagt«, brummte der Oberst beschwichtigend. »Wir sprechen am besten nicht weiter darüber, Cromwell. Sie übernehmen die Aufgabe und lösen sie auf Ihre Art. In Anbetracht der Schwierigkeit werden Sie mit außergewöhnlichen Vollmachten ausgestattet. Ihre Besoldung wird ebenfalls entsprechend aufgebessert. Ich möchte vorschlagen, dass Sergeant Lister auch in Ihrem neuen Aufgabenbereich bei Ihnen bleibt.«