Inspiration 4/2020 - Verlag Echter - E-Book

Inspiration 4/2020 E-Book

Verlag Echter

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Beschreibung

Im letzten Heft hat die Begegnung mit verschiedenen Künsten inspiriert. Nicht selten begegnet uns in Künsten etwas, das wir nicht gleich einordnen, nicht gleich verstehen, nicht gleich ganz erfassen können. Etwas Fremdes. "Fremd" ist dabei ein changierender Begriff. Gemeint ist das, was vom Vertrauten abweicht, das uns ungeplant widerfährt, das beängstigt, in Frage stellt und zur Improvisation nötigt - kurz: die Begegnung mit Fremdem ist eine Grenzerfahrung. Zugleich sind es Erfahrungen des Fremden, die Neues entstehen lassen; kreative Antworten ermöglichen; den Horizont weiten. In der biblischen Tradition erscheint der Umgang mit Fremden und mit dem Fremden von besonderer Bedeutung, an der sich ›Glauben‹ zeigt: "Der Herr beschützt die Fremden" (Ps 146,9); "Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen " (Mt 25,35). Wie wir mit Fremdem und den Fremden umgehen, daran zeigt sich unsere Haltung. Hier liegt ein Heft in Ihren Händen, das verschiedene Aspekte beleuchtet: der Umgang mit dem Fremdwerden des eigenen Körpers; biblische Erfahrungen des Fremden und die Bedeutung des Fremden für den Gottesbegriff; Pilgern als "sich-selbst-fremd-gehen"; Milieufremdheit in der Kirche; Fremde und die Grenzen der Verrechtlichung der Gastfreundschaft und das inspirierend Fremde.

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Impressum

46. Jahrgang – Heft 4, November 2020

ISSN 2366-2034

Die Zeitschrift »inspiration« erschien bis zum 41. Jahrgang 2015 unter dem Titel »meditation« mit der ISSN 0171-3841

Verlag:

Echter Verlag GmbH, Dominikanerplatz 8, 97070 Würzburg

Telefon (09 31) 6 60 68-0, Telefax (09 31) 6 60 68-23, Internet: www.echter.de

Satz: Crossmediabureau, Jürgen Georg Lang, Gerolzhofen

Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Redaktion:

Maria Gondolf, E-Mail: [email protected], Tel.: 0 22 26/8 90 05 29; Clarissa Vilain, E-Mail: [email protected]

inspiration erscheint viermal im Jahr

Bezugspreis: jährlich: 30,00 €, Einzelheft 8,50 € zuzüglich Versandkosten

Auch als digitale Ausgabe erhältlich.

Informationen unter www.echter.de/zeitschriften/inspiration

Abonnementskündigungen nur zum Ende des jeweiligen Jahrgangs

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim – www.brocom.de

Bildnachweis:

Titelmotiv: Panka Chirer-Geyer – www.panka.info

Diesem Heft liegt folgender Prospekt bei:

Ignatianische Impulse, Echter Verlag

Wir bitten um Beachtung.

Inhalt

inspiration

Heft 4.20 · fremd

Editorial

Sr. M. Ancilla Röttger osc

Sich selbst fremd?

Geistliche Begleitung

Hildegard Scherer

Befreiend und fordernd

Pfr. Dr. Detlef Lienau

Pilgern: Sich fremd gehen

Milieufremdheit in der Kirche

Sebastian Baer-Henney

Wer sind die Fremden?Oder: Der Wunsch nach der Beherrschbarkeit Gottes

Gabriele Viecens

Wenn der Geist nicht nur im Althergebrachten weht

Prof. Dr. Burkhard Liebsch

An den Grenzen der Verrechtlichung gastlichen Lebens

Joana Epping

Inspiring Mornings – Die Kunst der Unterbrechung

Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

im letzten Heft hat die Begegnung mit verschiedenen Künsten inspiriert. Nicht selten begegnet uns in Künsten etwas, das wir nicht gleich einordnen, nicht gleich verstehen, nicht gleich ganz erfassen können. Etwas Fremdes.

»Fremd« ist dabei ein changierender Begriff. Gemeint ist das, was vom Vertrauten abweicht, das uns ungeplant widerfährt, das beängstigt, in Frage stellt und zur Improvisation nötigt – kurz: die Begegnung mit Fremdem ist eine Grenzerfahrung. Zugleich sind es Erfahrungen des Fremden, die Neues entstehen lassen; kreative Antworten ermöglichen; den Horizont weiten.

In der biblischen Tradition erscheint der Umgang mit Fremden und mit dem Fremden von besonderer Bedeutung, an der sich ›Glauben‹ zeigt: »Der Herr beschützt die Fremden« (Ps 146,9); »Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen« (Mt 25,35). Wie wir mit Fremdem und den Fremden umgehen, daran zeigt sich unsere Haltung.

Hier liegt ein Heft in Ihren Händen, das verschiedene Aspekte beleuchtet: der Umgang mit dem Fremdwerden des eigenen Körpers; biblische Erfahrungen des Fremden und die Bedeutung des Fremden für den Gottesbegriff; Pilgern als »sich-selbst-fremd-gehen«; Milieufremdheit in der Kirche; Fremde und die Grenzen der Verrechtlichung der Gastfreundschaft und das inspirierend Fremde.

Ich wünsche Ihnen ein inspirierendes Lesevergnügen.

Ihre

Clarissa Vilain

Sr. M. Ancilla Röttger osc

Sich selbst fremd?

Geistliche Begleitung

Fremdes ist uns manchmal näher, als uns lieb ist. Es begegnet uns in uns selbst. Ist Teil unseres Lebens und unserem Körper eingeschrieben. Sr. M. Ancilla Röttger osc beschreibt ihre Erfahrungen mit Mitschwestern, die an Demenz erkrankt sind und verbindet sie mit ihren Erfahrungen als geistliche Begleiterin. Sie geht der Frage nach, was es bedeutet, Kontrolle abgegeben zu müssen – zwischen Preisgabe und Hingabe.

Als eine meiner älteren Mitschwestern begann, langsam in eine Phase der Vergesslichkeit zu gleiten, sagte sie immer wieder ganz verzweifelt: »Ich kenne mich so gar nicht! Ich bin mir ganz fremd geworden.« Sie ist noch die gleiche Person, die sie immer war. Doch sie erfährt eine neue Weise der Ohnmacht: sie hat ihr Leben nicht mehr so kontrolliert im Griff, wie es ihr bisher möglich war. Und auch wenn ihr Langzeitgedächtnis ganz intakt ist, fühlt sie sich im gegenwärtigen Augenblick orientierungslos, weil sie die Wegmarken nicht mehr erkennt. Wenn ich mich dann zu ihr setze und sie in ein Gespräch über frühere Zeiten verwickle, spürt sie ihre alten Erinnerungen auf und bekommt wieder Kontakt zu sich selbst. Doch der Augenblick, der gerade vergeht, ist ihr genommen. Das macht sie hilflos und darin erfährt sie sich selber als fremd.

»Ich kenne mich so gar nicht! Ich bin mir ganz fremd geworden.«

Im Umgang mit an Demenz erkrankten älteren Menschen lernen wir mühsam, dass es für sie eine andere Weise der Kommunikation gibt, als wir sie gewohnt sind. (Dabei spreche ich jetzt nicht als Fachfrau, sondern einfach nur als Mitschwester, die im Laufe des gemeinschaftlichen Lebens Erfahrungen mit Demenz macht.) Bei meinen Mitschwestern erfuhr ich, dass Emotionalität die Logik ersetzt, auch wenn sie fähig waren, Dinge, die sie kannten, logisch umzusetzen. Sie spürten in einem Konventsgespräch die verborgene Stimmung auf, die in den gesprochenen Worten gar nicht vorkam, und brachten sie plötzlich überraschend an die Oberfläche. Sie hatten Bedürfnisse, die sie spontan ausdrückten, ohne von irgendwelchen Verhaltensweisen, die man ihnen zu Beginn ihrer Klosterausbildung vor etlichen Jahrzehnten anerzogen hatte, gehemmt zu sein. Die Eine kannte sich so nicht, wurde sich selbst immer fremder und orientierungslos in Dingen, die nicht in der Routine des täglichen Alltags verankert waren. Sie wehrte sich gegen diese Ohnmacht. Die Andere war völlig sie selbst in aller Freiheit ihrer von ihren Gefühlen gesteuerten Wege und gab sich in die Ohnmacht hinein. Wenn die eine Schwester auf einen Gast traf, lud sie ihren Jammer gleich ab. Die Andere ging auf den Gast zu und brachte ihn durch eine Frage zum Erzählen. Die gemachten Beobachtungen weckten in mir die Frage, ob wir uns auf eine solche Lebensphase vorbereiten können oder ob sie einfach über uns verfügt wird. Und das wäre dann auch eine Frage der geistlichen Begleitung von älter werdenden Menschen, – also von uns allen.

Im alltäglichen Leben in der Gemeinschaft scheint es mir so, als würde am Ende unseres Lebens die wahre Persönlichkeit, die wir sind, aufscheinen – für den einen fremd und für den anderen vertraut.

Im alltäglichen Leben in der Gemeinschaft scheint es mir so, als würde am Ende unseres Lebens die wahre Persönlichkeit, die wir sind, aufscheinen – für den einen fremd und für den anderen vertraut. Viele Schalen, die wir im Laufe unseres Lebens um uns gelegt haben, um vielleicht eine bestimmte Wirkung zu erzielen, brechen ab. Und das, was ich bin, zeigt sich ungeschminkt. Als die erste meiner Mitschwestern an Demenz erkrankte, sagte diejenige, die ihr sehr viel später und unglücklicher folgte, oft, wie sehr sie darunter litt, dass die erkrankte Schwester ihre große Persönlichkeit verlöre. Dabei verlor sie nichts. Im Gegenteil, ihre Persönlichkeit als gereifte Frucht ihres langen Lebens strahlte durch – ungehindert von irgendwelchen Befürchtungen, was wohl andere von ihr denken könnten. Sie war einfach sie selbst und nichts Fremdes war an ihr oder in ihr. Es stimmte mit ihrem Leben überein, was da zum Vorschein kam.

Es ist eine Weise von Ohnmacht, in der uns aus der Hand genommen wird, was wir so sicher zu haben meinen. Das gilt nicht nur für Demenz- oder Alzheimererkrankungen, sondern für alles Heranreifen in Krankheiten oder Situationen, die einen Blick auf unser leibliches Ende ahnen lassen. Und es ist jedes Mal eine Form von existenzieller Armut, die uns trifft und uns mit Ohnmacht in Fühlung bringt.

Mangelerfahrungen durchziehen unser gesamtes Leben von Geburt bis zum Tod, wobei Anfang und Ende des Lebens offensichtlich die extremsten Armutserfahrungen ausmachen. Zwischen diesen beiden existentiellen Eckpfeilern der Armut spannt sich unser Leben. In den ersten Lebensjahrzehnten versuchen wir dieser Armut zu entkommen, indem wir lernen, entscheiden, erwerben, aufbauen, bis wir vielleicht ein gewisses Niveau erreicht haben, auf dem wir uns einrichten, sesshaft werden in dem Glauben, das gehöre jetzt uns. Doch dann beginnt der Kampf gegen den Verlust des Erreichten, in dem wir immer Verlierer zu sein scheinen. Denn es gibt keine Möglichkeit, dem Tod zu entkommen.

Je nach der Gesellschaft, in der ich lebe, gibt es einen gewissen Standard, der mir sagt, was man glaubt, was man braucht, damit man das Leben als gelungen betrachtet. Was brauche ich, um mich wohl und glücklich zu fühlen? – und sich glücklich zu fühlen scheint für viele Menschen das Lebensziel zu sein: ausreichend Nahrung und ein Dach über dem Kopf; Menschen, zu denen ich gehöre; Freunde; Lebensgefährten; gesellschaftliches Ansehen; Freiheit der Lebensgestaltung; Möglichkeit zu gehen, wohin ich will; Zugang zu Informationen. Wer an all dem gar keinen Anteil hat, fühlt sich arm. Aus gesellschaftlichem Blickwinkel bleibt für den Armen nur ein eingeschränkter Lebensraum, Gefühl der Abhängigkeit, Eintönigkeit, wenig bis keine Bewegungsmöglichkeiten, sich am Rande wissen, beraubt der eigenen Lebensgestaltung. So erfahren wird Armut zum Unglück, zum Lebensunfall. Bleibt die Frage, ob wir das wirklich alles brauchen zum glücklichen Leben, was die Gesellschaft uns vorgibt, und ob es nicht doch noch eine andere Form von Armut gibt, die für das Leben öffnet, statt es zu beengen.

Für mich gehört zum Beispiel zum Leben: atmen, wahrnehmen, auf das Wahrgenommene antworten können, kommunizieren, in Beziehung treten, Freude empfinden und Schmerz ertragen können, Glück im Augenblick mir schenken lassen und im Unglück das Geschenkte wieder loslassen, einfach sein dürfen, die ich bin.

Aber ich mach auch immer wieder diese Erfahrung:

Manchmal nehme ich gar nicht wahr, was mich umgibt, weil ich durch den Filter fremder Maßstäbe schaue.

Manchmal kann ich nicht antworten, weil ich zwar von außen her höre, aber gar nicht weiß, was denn in mir selbst ist.

Manchmal kann ich gar nicht leben, weil ich mich mit so Vielem zugepackt habe, von dem andere sagen, dass man es zum Leben braucht. Dabei lässt es mich nicht atmen, nicht wahrnehmen, nicht kommunizieren. Es loszulassen könnte mich zum Leben befreien. Um in dieser Gesellschaft zu bestehen, arbeiten wir an unserem Erscheinungsbild – leiblich wie geistig: wir absolvieren Kurse zur Verbesserung unserer Kommunikationsfähigkeit; wir trainieren unser Reaktionsvermögen; wir machen Seminare zum Erlernen der Achtsamkeit; – wir tun so vieles und versagen doch so oft in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die unseren Alltag ausmachen. Und dieses Scheitern ist eine zutiefst schmerzliche Armutserfahrung. Sich ihr zu stellen, ihr nicht auszuweichen, kann aus dieser Armut heraus zu einem Weg in den Reichtum lebendiger Beziehung wachsen.