Lebendige Seelsorge 3/2021 - Verlag Echter - E-Book

Lebendige Seelsorge 3/2021 E-Book

Verlag Echter

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Beschreibung

Der größte Teil der Kirchenmitglieder wird seit einigen Jahren mit dem schönen Wort 'Kasualienfromme' (Johannes Först) charakterisiert. Das sind die Leute, die nur zu den für sie wichtigen Anlässen wie Taufen, Beerdigungen oder an Weihnachten einen Gottesdienst besuchen. In religiöser Hinsicht gehöre ich wohl nicht dazu, mit dem Gelegenheitsmodus bin ich aber in anderen Bereichen meines Lebens vertraut: Ich bin Kasualienfußballfan, also nur bei Welt- und Europameisterschaften mit Elan dabei. Und ich bin Kasualienökonom: Mit Geld beschäftige ich mich, wenn es sein muss. Dankbar weiß ich um Expertinnen und Experten, die mir raten, was zu tun ist. Es ist ja schon eine Herausforderung überhaupt über das eigene Geld zu sprechen. Ich habe es zwar jeden Tag in der Hand, aber selten im Kopf. Henri Nouwen hat in seinem (bis heute nicht auf Deutsch erschienenen) Band The Spirituality of Fundraising beschrieben, warum der Umgang mit Geld so verschämt oder gar tabuisiert ist und dessen geistliche Dimension beleuchtet: Geld berühre ein intimes Bedürfnis nach Sicherheit, das der Mensch im Herzen trägt. Jesu radikale Botschaft sei aber, dass es eben nicht möglich ist, seine Sicherheit gleichzeitig in Gott und im Geld zu finden. Man müsse sich also für eins von beiden entscheiden. Wenn man das getan habe, könne man entspannen: Wer frei vom Geld ist, der kann darum bitten, so Nouwen. In der Kirche wird auch selten über Geld gesprochen. Vielleicht liegt das an genau jener Sicherheit, die es auch für die Institution bedeutet. Mit zwölf Milliarden Euro Kirchensteuereinnahmen – das ist fast soviel, wie VW und Daimler im Jahr 2020 zusammen an Gewinn gemeldet haben – und mit einem großen Vermögen sind die katholische und evangelische Kirche in Deutschland ein ökonomisches Schwergewicht. Dieses Heft macht das Geld (in) der Kirche zum Thema. Die Frage, der die Autorinnen und Autoren nachgehen, lautet: Was heißt es für verschiedene kirchliche Akteure, gut mit Geld umzugehen? Es ist bemerkenswert, was sie an grundlegenden Einsichten und praktischen Aussichten zu Papier gebracht haben.

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INHALT

THEMA

Drei Mythen zur Rolle der Kirchensteuer: Eine Klarstellung

Von David Gutmann und Fabian Peters

Wenn das Geld zum Selbstzweck wird

Von Anna Ott

Ein ökumenischer und ökonomischer Perspektivwechsel

Die Replik von David Gutmann und Fabian Peters auf Anna Ott

Das Problem ist nicht die Kirchensteuer, sondern ihr Image

Die Replik von Anna Ott auf David Gutmann und Fabian Peters

Gott – Geld – Glaube

Harmonie oder Widerstreit? Von Alois Halbmayr

PROJEKT

Das magis ermöglichen

Zusätzliche Ressourcen für förderungswürdige Herzensprojekte einwerben

Von Wolfgang Mayer

INTERVIEW

„Ich glaube, dass die finanzielle Enge durch kreative Konzepte ausgeglichen werden kann.“

in Gespräch mit Claudia Leimkühler

PRAXIS

Wie viel Geld hat die Kirche eigentlich?

Kanonistische Perspektiven auf das Vermögen der Kirche

Von Sabine Konrad

Compliance in der Kirche

Verantwortungskultur als Schlüssel zum skandalfreien Umgang mit Geld und Finanzen

Von Ulrich Hemel

Das Armutsideal in Bettelorden

Inspirationsquelle und Weg zu gelebter Mitleidenschaft?

Von Maike Maria Domsel

„Er muss seinem eigenen Haus gut vorstehen“ (1 Tim 3,4)

Zur ökonomischen Bildung kirchlicher Führungskräfte

Von Max Niehoff und Thomas de Nocker

Kirchenfinanzierung im religionsneutralen Staat

Wie Steuerwidmung Kirchenaustritte verhindern könnte

Von Rudolf K. Höfer

SEELSORGE UND DIASPORA: BONIFATIUSWERK

„Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (Mt 6,21)

Über den transparenten Umgang mit Spendengeldern

Von Ingo Imenkämper

Arme Kirche in reichen Ländern

Zur finanziellen Situation in der nordischen Diaspora

Von Anna Mirijam Kaschner cps

FORUM

Was Gemeinsinn vermag

Das Beispiel des barocken Pfarrkirchenbaus

Von Peter Hersche

POPKULTURBEUTEL

Runter vom Gas

Von Matthias Sellmann

NACHLESE

Re:Lecture

Von Margit Eckholt

Impressum

Die Lebendige Seelsorge ist eine Kooperation zwischen Echter Verlag und Bonifatiuswerk.

EDITORIAL

Bernhard Spielberg Mitglied der Schriftleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

der größte Teil der Kirchenmitglieder wird seit einigen Jahren mit dem schönen Wort ‚Kasualienfromme‘ (Johannes Först) charakterisiert. Das sind die Leute, die nur zu den für sie wichtigen Anlässen wie Taufen, Beerdigungen oder an Weihnachten einen Gottesdienst besuchen. In religiöser Hinsicht gehöre ich wohl nicht dazu, mit dem Gelegenheitsmodus bin ich aber in anderen Bereichen meines Lebens vertraut: Ich bin Kasualienfußballfan, also nur bei Welt- und Europameisterschaften mit Elan dabei. Und ich bin Kasualienökonom: Mit Geld beschäftige ich mich, wenn es sein muss. Dankbar weiß ich um Expertinnen und Experten, die mir raten, was zu tun ist. Es ist ja schon eine Herausforderung überhaupt über das eigene Geld zu sprechen. Ich habe es zwar jeden Tag in der Hand, aber selten im Kopf.

Henri Nouwen hat in seinem (bis heute nicht auf Deutsch erschienenen) Band The Spirituality of Fundraising beschrieben, warum der Umgang mit Geld so verschämt oder gar tabuisiert ist und dessen geistliche Dimension beleuchtet: Geld berühre ein intimes Bedürfnis nach Sicherheit, das der Mensch im Herzen trägt. Jesu radikale Botschaft sei aber, dass es eben nicht möglich ist, seine Sicherheit gleichzeitig in Gott und im Geld zu finden. Man müsse sich also für eins von beiden entscheiden. Wenn man das getan habe, könne man entspannen: Wer frei vom Geld ist, der kann darum bitten, so Nouwen.

In der Kirche wird auch selten über Geld gesprochen. Vielleicht liegt das an genau jener Sicherheit, die es auch für die Institution bedeutet. Mit zwölf Milliarden Euro Kirchensteuereinnahmen – das ist fast soviel, wie VW und Daimler im Jahr 2020 zusammen an Gewinn gemeldet haben – und mit einem großen Vermögen sind die katholische und evangelische Kirche in Deutschland ein ökonomisches Schwergewicht.

Dieses Heft macht das Geld (in) der Kirche zum Thema. Die Frage, der die Autorinnen und Autoren nachgehen, lautet: Was heißt es für verschiedene kirchliche Akteure, gut mit Geld umzugehen? Es ist bemerkenswert, was sie an grundlegenden Einsichten und praktischen Aussichten zu Papier gebracht haben.

Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre.

Prof. Dr. Bernhard Spielberg

THEMA

Drei Mythen zur Rolle der Kirchensteuer: Eine Klarstellung

„Trägt diese Form der Kirchenfinanzierung auf Dauer oder können wir nicht andere Wege gehen?“, fragte der Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke, im März 2019. Und auch die evangelische Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, sorgte mit ihrer Aussage „Unser derzeitiges Kirchensteuermodell ist nicht in Stein gemeißelt“ im September 2020 für mediale Aufmerksamkeit. Ähnliche Aussagen wie diese sind den Autoren immer wieder in Diskussionen um mögliche Reaktionen auf die Freiburger Studie zu Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer begegnet. Zeit, mit einigen Mythen aufzuräumen. David Gutmann und Fabian Peters

„Die hohe Zahl der Kirchenaustritte vor allem junger Kirchenmitglieder hängt ganz offensichtlich mit der Kirchensteuer zusammen. Eine Abschaffung oder zumindest eine Reduzierung für junge Erwachsene ist daher nötig.“

„Die Gesamtgesellschaft profitiert von den Kirchen, die – als ein wichtiger Protagonist – das Gemeinwohl fördern. Insbesondere aus dem Sozialstaat sind die Kirchen mit ihrem Engagement nicht wegzudenken. Es braucht daher eine gesicherte Finanzierungsgrundlage und diese bietet nun einmal die Kirchensteuer.“

„Die Kirchensteuer macht die Verantwortlichen in den Kirchen träge. Nur ein auf Spenden basiertes System kann für die notwendige pastorale Innovation sorgen!“

Diese drei sinngemäß widergegebenen Diskussionsbeiträge stehen beispielhaft für eine Vielzahl von Reaktionen auf die unter dem Hashtag #projektion2060 diskutierte Freiburger Studie. Denn neben den Kernergebnissen ging es in den weit mehr als 100 Veranstaltungen mit Verantwortlichen aus beinahe allen deutschen Diözesen und Landeskirchen vor allem um Konsequenzen und mögliche Handlungsoptionen auf den zu erwartenden massiven Mitglieder- und Kirchensteuerkraftschwund. Regelmäßig wurden dabei drei Mythen zum Für und Wider der Kirchensteuer diskutiert:

David Gutmann und Fabian Peters

Dres. rer. pol., sind die beiden Köpfe hinter der Freiburger Studie zu Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer, die bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat. In einem ökumenischen Forschungsprojekt an der Universität Freiburg haben sie erstmals eine koordinierte Mitglieder- und Kirchensteuervorausberechnung für jede der evangelischen Landeskirchen und katholischen (Erz-)Diözesen in Deutschland erstellt. Ökumene ist den beiden Ökonomen ein Herzensanliegen. Für hilfreiche Anregungen zu diesem Beitrag danken die Autoren Pfarrer Helmut Liebs.

MYTHOS 1: EINE ABSCHAFFUNG DER KIRCHENSTEUER VERHINDERT KIRCHENAUSTRITTE

Die finanziellen Anreize für einen Kirchenaustritt sind während der Erwerbsphase am höchsten: Mehr als neun von zehn Kirchenaustritten werden in dieser Lebensphase erklärt. Besonders deutlich wird die Bedeutung der Kirchensteuer für das Austrittsverhalten am Anfang des Berufslebens. Mit der ersten Kirchensteuerzahlung schnellt die Austrittswahrscheinlichkeit nach oben. Angesichts dieser Erkenntnis überrascht es nicht, dass viele Verantwortliche beider Kirchen Ansatzpunkte bei jungen Menschen zu Beginn des Erwerbslebens sehen. Vor allem in der evangelischen Kirche wurde die Möglichkeit eines Kirchensteuerrabatts für junge Erwachsene breit und kontrovers diskutiert, letztlich aber verworfen.

Hintergrund dieser Überlegungen ist, dass dem Kirchenaustritt in der Regel eine kontaktlose Zeit zwischen Kirchenmitglied und Kirche vorausgeht. In einem längeren Entfremdungsprozess sind die meisten der positiven Beziehungen zur Kirche – wenn es sie denn im Leben überhaupt gab – verloren gegangen. Nun bedarf es für den Austritt nur noch eines bestimmten Anlasses, und dieser ist häufig die (erstmalige) Zahlung der Kirchensteuer. Die ‚ruhende‘ oder ‚passive‘ – den Autoren ist bewusst, dass diese Begriffe nur bedingt geeignet sind – Mitgliedschaft führt dann nämlich zu einem aktiv zu zahlenden Beitrag und damit zu Kosten, die in einer Abwägung für viele junge Menschen den Nutzen übersteigen. Da jedem Kirchenaustritt ein in höchstem Maße individualisierter Entscheidungsprozess vorausgeht, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, wie sich eine Abschaffung oder Reduzierung der Kirchensteuer auswirken würde.

Möglicherweise könnte ein Wegfall der Kirchensteuer einige Kirchenaustritte verhindern oder den Entschluss dazu verzögern. Schließlich würde es ohne Kirchensteuer für viele Menschen schlicht keinen Unterschied machen, ob die formale Kirchenmitgliedschaft fortgeführt wird oder nicht. Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass gerade eine derartige ‚passive‘ Mitgliedschaft nicht zwingend mit religiöser Praxis einhergeht. Ob durch eine Abschaffung der Kirchensteuer auch der beobachtbare Rückgang an institutionalisierter Religiosität aufgehalten werden könnte, kann zumindest in Frage gestellt werden. Und: Falls die Kirchensteuer abgeschafft wäre, müsste sich die Kirche anders finanzieren. Vermutlich würde sie aktiv auf ihre Mitglieder zugehen und anderweitig um einen wie auch immer gearteten alternativen Beitrag bitten – was wiederum zu einer Beendigung der ‚passiven‘ Mitgliedschaft führen könnte.

Dies zeigt der Blick auf andere Länder und deren Finanzierung der Kirchen. Zwar nahm die christliche Bevölkerung in Europa zwischen 1910 und 2010 zu, der Anteil an der Gesamtbevölkerung ging jedoch von 95 auf 76 Prozent zurück, wie eine Studie des PEW Research Center ergab. Detlef Pollack und Gergely Rosta untersuchten anhand der European Values Study die Entwicklung der Religionszugehörigkeit in verschiedenen westeuropäischen Ländern und konnten zeigen, dass diese zwischen 1981 und 2008 rückläufig war. Bemerkenswerterweise lassen ihre länderspezifischen Ergebnisse keinen Zusammenhang zwischen Kirchenmitgliederentwicklung und Finanzierungsform erkennen. Nicht nur in Deutschland ist der Rückgang des Christentums festzustellen. Auch in Ländern ohne Kirchensteuersystem wie Belgien, wo sich die Religionsgemeinschaften vorwiegend aus staatlichen Leistungen und Spenden finanzieren, oder in Großbritannien bei der Church of England, die von Vermögenserträgen und Spenden lebt, ist die Zahl derer, die angegeben haben einer christlichen Kirche anzugehören, stark gesunken.

Bleibt festzuhalten: Ein Wegfall der Kirchensteuer würde vermutlich den Kirchenaustritt einiger, sich ihrer Mitgliedschaft nicht wirklich bewussten Kirchenmitglieder verhindern, die dann allerdings auch keinen Solidarbeitrag mehr leisten würden. Den Rückgang an institutionalisierter Religiosität, also die bewusste Kirchenmitgliedschaft, würde ein Wegfall vermutlich nicht aufhalten.

MYTHOS 2: OHNE KIRCHENSTEUER IST KEIN STAAT ZU MACHEN

Zu einer sachlichen Debatte gehört an dieser Stelle auch die Frage, welche finanziellen Auswirkungen für das Gemeinwesen eine Abschaffung der Kirchensteuer hätte. Regelmäßig wird von kirchlichen Verantwortungsträgern auf die vielen mit Kirchensteuern finanzierten Handlungsfelder hingewiesen, von denen auch die Gesamtgesellschaft erheblich profitiere. Und auch wenn manche Einrichtungen, wie zum Beispiel Kindergärten nur zu Teilen durch kirchliche Mittel und Eigenarbeit finanziert werden, so sei dies ohne Kirchensteuer nicht möglich. Der Staat selbst müsste in diesem Fall die Finanzierungslücke schließen und erhebliche zusätzliche Mittel einsetzen, so die Argumentation.

Bei einem Wegfall der Kirchensteuer würden die evangelische und katholische Kirche in Deutschland auf rund zwölf Milliarden Euro verzichten müssen: Einnahmen, die auch zur Förderung des Gemeinwesens eingesetzt werden. Hier ist insbesondere die diakonische bzw. caritative Arbeit der Kirchen als Träger von Kindertagesstätten, Sozialstationen, Seniorenheimen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen zu nennen. Gemäß des im Grundgesetz verankerten Subsidiaritätsprinzips sollen soziale Aufgaben wenn möglich nicht durch den Staat selbst organisiert, sondern an freie Träger delegiert werden. Die Refinanzierung erfolgt dann durch staatliche Mittel. Die Kirchen – wie auch manche andere freie Träger – leisten aber zusätzlich eigene Finanzierungsanteile, die neben Zuschüssen aus Kirchensteuermitteln auch die kostenfreie Überlassung von Grundstücken und Gebäuden beinhalten kann. Dies wäre ohne Kirchensteuer in dieser Form nicht mehr leistbar.

Zur Wahrheit gehört allerdings ebenfalls, dass der Staat durch den Wegfall der Kirchensteuer mehr Einkommensteuern vereinnahmen würde: Die Kirchensteuer ist als Sonderausgabe bei der Einkommensteuerveranlagung abziehbar. Würde die Kirchensteuer wegfallen, müssten die bisher steuerzahlenden Kirchenmitglieder höhere Einkommensteuern abführen. Ausgehend von einer durchschnittlichen Kirchensteuerzahlung je kirchensteuerzahlendem Mitglied – das sind nur etwa die Hälfte aller Kirchenmitglieder – in Höhe von 500 Euro pro Jahr ergibt sich eine Einkommensteuerschuld von etwa 6.250 Euro. Damit wäre der weiteren Berechnung ein Grenzsteuersatz – also der Steuersatz mit dem die jeweils nächste Einheit der Steuerbemessungsgrundlage belastet wird – von etwa 32 Prozent zugrunde zu legen. Bei einem Wegfall der Kirchensteuer würde die Bemessungsgrundlage zur Berechnung der Einkommensteuer der steuerzahlenden Kirchenmitglieder um aktuell 12 Milliarden Euro höher ausfallen. Bei einem Grenzsteuersatz von 30 bis 35 Prozent entstünden nach dieser überschlägigen Berechnung für den Staat Mehreinnahmen aus der Einkommensteuer in Höhe von rund 4 Milliarden Euro.

Aber reichen diese 4 Milliarden Euro aus, um das Engagement der Kirchen zur Förderung des Gemeinwesens auszugleichen? Offensichtlich würde der Staat im Gegenzug die Gebühreneinnahmen aus der Kirchensteuererhebung verlieren, das sind je nach Bundesland zwischen 2 und 4 Prozent des Kirchensteueraufkommens. Aber wie hoch wären die staatlichen Mehrausgaben für bisherige subsidiäre Leistungen an die Kirchen? Welche kirchlichen Aktivitäten würden dem Gemeinwesen fehlen? Zur Beantwortung dieser Fragen müsste eine umfassende Analyse sämtlicher kirchlicher Haushalte mit ihren individuellen Schwerpunktsetzungen erfolgen. Dabei dürfen nicht lediglich die subsidiär mitfinanzierten Bereiche wie Diakonie und Caritas, Kindertagesstätten, Angebote für Kinder, (staatliche) Bildung und Religionsunterricht betrachtet werden. Mit den Kirchensteuereinnahmen werden beispielsweise auch das kulturelle Engagement der Kirchen, die Unterhaltung denkmalgeschützter und ortsbildprägender Gebäude sowie die Lebensbegleitung durch Seelsorgende in besonderen Situationen und vor Ort finanziert. Bei letzterer ist nicht nur an die institutionalisierten Einrichtungen der Telefon- und Notfallseelsorge, der Ehe-, Familien- und Lebensberatung oder an die individuelle Begleitung in Krisen oder bei Trauerfällen zu denken, sondern insbesondere auch an den durch Glauben und Kirche generierten ehrenamtlichen ‚Dienst am Nächsten‘ von vielen Gläubigen.

Kann dieses Engagement der Kirchen für Staat und Gesellschaft in Geld bemessen werden? Und wenn ja, wie hoch ist der Nutzen? Was, wenn dieses Engagement wegfiele? Die Kirchen müssen sich fragen, ob das nicht immer auf den ersten Blick sichtbare kirchliche Engagement von der Gesellschaft umfassend wahrgenommen wird und wie es gelingen kann, dieses Wahrnehmungsdefizit zu verringern.

MYTHOS 3: SPENDEN KÖNNEN KIRCHENSTEUERN ERSETZEN

Ohne Kirchensteuern müssten andere Formen der Kirchenfinanzierung erschlossen oder ausgebaut werden. Angesichts des projizierten Mitglieder- und Kirchensteuerrückgangs wird in beiden Kirchen betont, wie bedeutsam es ist, neue Finanzquellen zu erschließen. Dabei sind neben Vermögenserträgen insbesondere Spenden zu nennen.

Ein spendenbasiertes Finanzierungssystem nach angelsächsischem Modell sorgt – so die Erfahrungsberichte auf der örtlichen Ebene – für eine institutionalisierte und systematische Mitgliederorientierung und kann auch pastoralen Fortschritt initiieren. Dagegen besteht bei der Kirchensteuer die Gefahr, dass die Verantwortlichen sich auf diese gesicherte Einnahmequelle verlassen, sich quasi darauf ausruhen und dadurch den Blick für die gegenwärtigen und künftigen Bedürfnisse der Mitglieder und pastoralen Bedarfe vor Ort verlieren. Viele Diözesen und Landeskirchen investieren seit Jahren in Fundraising, also die professionelle Bündelung von Aktivitäten, um Menschen für die gemeinsame Verwirklichung eines Vorhabens zu begeistern und dafür Mittel einzuwerben. Das kann die Bestandspflege oder Renovierung der ortsbildprägenden Kirche genauso sein wie die Finanzierung von Stellenanteilen Mitarbeitender in Bereichen, für die ansonsten keine Mittel zur Verfügung stehen würden. Hier sind Kreativität und Entrepreneurship der Haupt- und Ehrenamtlichen gefragt. Pointiert ausgedrückt: Während Kirchensteuern die Kirchen saturieren, würde eine spendenfinanzierte Kirche zu Mitgliederorientierung und Innovation nötigen.

Was zunächst attraktiv klingt, birgt die Gefahr der Unterfinanzierung. Denn es kann infrage gestellt werden, ob es realistisch ist, durch Spenden das aktuelle Kirchensteueraufkommen im Umfang von 12 Milliarden Euro ersetzen oder zumindest annähernd ausgleichen zu können. Das gesamte Spendenaufkommen in Deutschland lag nach Erhebung des Marktforschungsinstituts GfK in den Jahren 2015 bis 2020 zwischen 5,1 und 5,5 Milliarden Euro. Ein Wegfall der Kirchensteuer würde zunächst einmal ein Volumen von 12 Milliarden Euro freisetzen. Angenommen die Hälfte dieser frei gewordenen Mittel würden gespendet werden, dann würde sich das Spendenaufkommen in Deutschland verdoppeln. Vom nicht gespendeten Teil des Kirchensteueraufkommens würde der Staat – wie bereits ausgeführt – durch Wegfall des Sonderausgabenabzugs profitieren. Wie hoch der Anteil der beiden großen christlichen Kirchen an diesem neu zu verteilenden Spendenaufkommen wäre, kann nur spekuliert werden. Zweierlei kann jedoch mit Sicherheit angenommen werden: Die zur Verfügung stehenden Einnahmen wären geringer als im jetzigen Kirchensteuersystem und die Spenden würden vermutlich stärker an die Gemeinden vor Ort fließen. Vor allem darf nicht übersehen werden, dass die Kirchen mit zahlreichen bereits seit Jahrzehnten professionell spendensammelnden Organisationen in Konkurrenz treten müssten. Das würde im Übrigen auch für eine Mandatssteuer gelten, wie sie beispielsweise in Italien von der gesamten steuerzahlenden Bevölkerung erhoben wird.

Zumindest dem Kritikpunkt der mangelnden Mitgliederorientierung und Innovationskraft des bisherigen Kirchensteuersystems könnte entgegengewirkt werden. Die Verteilung der Kirchensteuern – zumindest der Anteil für die örtliche Ebene – erfolgt derzeit über Zuweisungen in der Regel nach Mitgliederzahl, Gebäudebestand und ähnlichen wenig beeinflussbaren Kennzahlen. Die Zahl der Taufen, Trauungen oder Bestattungen oder gar der Saldo aus Kircheneintritten und -austritten spielt bislang keine Rolle. Um Mitgliederorientierung und Innovationskraft zu fördern, könnte zumindest ein Teil der zu verteilenden Kirchensteuermittel an Entwicklungen gekoppelt werden, die grundsätzlich beeinflussbar sind. Selbstverständlich müssten dabei die absoluten Zahlen in Relation gesetzt werden; zum Beispiel die Zahl der Taufen zur Zahl der Geburten (Taufquote) oder Bestattungen zu Todesfällen von Kirchenmitgliedern (Bestattungsquote). Gleiches gilt auch für die Ein- und Austrittsquote, also das Verhältnis von Ein- und Austritten, die zur Anzahl der Kirchenmitglieder – eventuell sogar getrennt nach Altersgruppen und Geschlecht – ins Verhältnis gesetzt werden. Die Beobachtung dieser Größen hilft zu identifizieren, wo sich einzelne Kirchengemeinden günstiger entwickeln als die im jeweiligen Dekanat oder im Vergleich zu anderen Stadt- oder Landgemeinden. Wenn zumindest ein Teil der Kirchensteuermittel in diesem Sinne anreizorientiert verteilt würde, könnten positive Entwicklungen durch zusätzliche Zuweisungen verstärkt werden. Dabei könnte auch an die Förderung ehrenamtlichen Engagements gedacht werden; unabhängig davon, wie dies in Umfang und Qualität nachzuweisen wäre. Das würde auch Kirchengemeinden helfen, die bislang wenig oder keine zusätzlichen Zuweisungen erhalten haben: Sobald eine positive Entwicklung angegangen wird, also zusätzlich Zeit investiert wird, könnten mehr Mittel generiert werden. Getreu dem Motto: Kirchengemeinden, die mehr Zeit und Ressourcen investieren, haben einen höheren Aufwand, und der soll sich auch lohnen!

DILEMMA INNOVATIONS- VS. EINSPARPROZESSE

Unabhängig von einer Umstellung der Verteilung der Kirchensteuermittel sowie von ergriffenen und noch zu ergreifenden Strategien und Maßnahmen wird die Zahl der Kirchenmitglieder und damit auch die Kirchensteuerkraft in den kommenden Jahrzehnten abnehmen. Das führt zwangsläufig zu Einsparprozessen, die im Nachgang der Veröffentlichung der Freiburger Studie teilweise bereits begonnen wurden. Gleichzeitig sind jedoch zusätzliche Investitionen nötig, um zumindest den kirchenspezifischen Faktoren, also dem hausgemachten Teil des Mitgliederrückgangs, zu begegnen und diese abzumildern. Dieses Dilemma zwischen Sparen und Investieren wird sich nur durch einen offenen und ehrlichen Prioritätenprozess auflösen lassen. Wenn dieser transparent, aber konsequent umgesetzt wird, werden ausgediente Konzepte innovativen Projekten weichen. Dann besteht die Hoffnung „Die Sache mit Gott“ (Heinz Zahrnt) mit neuer Energie unter die Menschen zu tragen.

LITERATUR

Gutmann, David/Peters, Fabian, #projektion2060. Die Freiburger Studie zu Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer. Analysen – Chancen – Visionen, Neukirchen-Vluyn 2021.

Wenn das Geld zum Selbstzweck wird

Auftrag und Sendung der Kirche ist es, die Botschaft vom Reich Gottes in die Welt zu tragen. Die Kirche ist Mittel zum Zweck. Auch das kirchliche Vermögensrecht ist geprägt von diesem hohen moralischen Anspruch, auch kirchliches Vermögen ist Mittel zum Zweck. Dennoch wird das Geld in der Kirche immer wieder zum Selbstzweck. Eine Neuausrichtung des kirchlichen Vermögens ist deshalb nicht nur rechtlich geboten, sondern längst überfällig. Anna Ott

Die deutsche Kirche ist reich an Vermögen. Daran hat sie sich gewöhnt. Die sich aus dem Reichtum ergebenden Möglichkeiten sind für die Kirche, ihre Mitglieder, aber auch den Staat und die Gesellschaft längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Gleichzeitig sind die Handlungsspielräume bei der Gestaltung der Haushaltspläne aufgrund der vielen Verpflichtungen deutlich eingeschränkt. Für den Umgang mit Geld, Besitz und Vermögen auf allen Ebenen normiert das Kirchenrecht dabei einheitliche Kriterien.

DAS KIRCHLICHE VERMÖGEN IST STRENG ZWECKGEBUNDEN

Damit die Kirche ihren Auftrag in der Welt – die Verkündigung des Glaubens, die Feier von Gottesdiensten und die Ausübung der Nächstenliebe – erfüllen kann, ist sie angewiesen auf zeitliche Mittel, auf Vermögen in verschiedenen Formen, auf Geld (vgl. Lumen gentium 8; Gaudium et spes 76). Die Kirche ist zwar zu Erwerb, Besitz, Verwaltung und Veräußerung von Vermögen berechtigt, jedoch nicht unbegrenzt. Schon zu Beginn normiert das Vermögensrecht im CIC eindeutig, dass kirchliches Vermögen nur ganz bestimmten Zwecke dienen darf (vgl. c. 1254 § 1 CIC). Da der moralische Anspruch der Kirche, mit dem das Evangelium in die Welt getragen werden soll, hoch ist, ist auch die Zweckbindung des Vermögens streng. Explizit genannt werden drei Zwecke kirchlichen Vermögens, die aufeinander verweisen und aufgrund der gemeinsamen Ausrichtung auf die Sendung der Kirche kaum voneinander zu trennen sind (vgl. c. 1254 § 2 CIC):