Intellektuelle Rechtsextremisten - Armin Pfahl-Traughber - E-Book

Intellektuelle Rechtsextremisten E-Book

Armin Pfahl-Traughber

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Beschreibung

Der Begriff "Neue Rechte" bezeichnet einen intellektuellen Rechtsextremismus. Seine Akteure verstehen sich als ideologische Wegbereiter eines gesellschaftlichen Rechtsrucks, der autoritär-nationalistische Vorstellungen in reale Politik umsetzen will. Der Extremismus-Experte Armin Pfahl-Traughber zeigt, wie die Neue Rechte systematisch demokratische Auffassungen delegitimiert, um die geistigen Voraussetzungen für einen politischen Wechsel herbeizuführen. Er analysiert ihr Gefahrenpotenzial, geistige Vorbilder, ideologische Grundpositionen, einschlägige Publikationsorgane, Netzwerke und Strategien.

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Armin Pfahl-Traughber

INTELLEK TUELLE RECHTS EXTRE MISTEN

Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8012-0630-7 [Printausgabe]

ISBN 978-3-8012-7043-8 [E-Book]

1. Auflage 2022

Copyright © 2022 by

Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH

Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn

Umschlag: Hermann Brandner, Köln

Typografie und Satz: Ralf Schnarrenberger, Hamburg

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2022

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

VORWORT

1 EINLEITUNG UND ERKENNTNISINTERESSEN

1.1Bedeutung der Neuen Rechten als politisches Thema

1.2Erkenntnisinteressen hinsichtlich der Neuen Rechten

1.3Arbeitsbegriffe »Extremismus« und »Rechtsextremismus«

1.4Diffuse Begriffsverwendungen von »Neue Rechte«

1.5Definition: Was die »Neue Rechte« ist

1.6Erläuterung: Was die »Neue Rechte« nicht ist

1.7Das angeblich »Neue« an der Neuen Rechten

1.8»Konservativismus« und »Rechtsextremismus« im Verhältnis

1.9Brückenspektrum als Handlungsort und Übergangsbereich

1.10Forschungsentwicklung und -stand zur Neuen Rechten

2 KONSERVATIVE REVOLUTION DER WEIMARER REPUBLIK ALS VORBILD

2.1»Konservative Revolution« als scheinbarer politischer Widerspruch

2.2Eingrenzung der Forschungskontroverse über die Sammelbezeichnung

2.3Akteure: Ernst Jünger, Carl Schmitt, Oswald Spengler

2.4Akteure: Arthur Moeller van den Bruck, Edgar Julius Jung, Werner Best

2.5Positionen: Ablehnung von Aufklärung und Vernunft

2.6Positionen: Frontstellung gegen Menschenrechte und Pluralismus

2.7Positionen: Bejahung eines (neuen) Nationalismus

2.8Positionen: Einforderung einer diktatorischen Herrschaft

2.9Konservative Revolution und Nationalsozialismus

2.10Bilanzierende Einschätzung der Konservativen Revolution

3 ANDERE DENKER ALS INTELLEKTUELLE VORBILDER

3.1Besondere Klassiker der Philosophie

3.2Soziologische Befürworter einer Eliteherrschaft

3.3Nationalrevolutionäre Intellektuelle der 1920er-Jahre

3.4Akteure und Anhänger eines Euro-Faschismus

3.5Konservative Nachkriegssoziologen

3.6Nationalrevolutionäre Gruppen in den 1970er-Jahren

3.7Exponenten der frühen französischen Neuen Rechten

3.8Einzelne Intellektuelle mit spezifischer Orientierung

3.9Art und Intensität der Rezeption der Vorbilder

3.10Demokratietheoretische Einschätzung der Vorbilder

4 AKTEURE DER GEGENWÄRTIGEN NEUEN RECHTEN

4.1Armin Mohler: Leitfigur der Neuen Rechten

4.2Günter Maschke: Epigone von Carl Schmitt

4.3Alain de Benoist: der französische Vordenker

4.4Karlheinz Weißmann: Publizist und Theoretiker

4.5Götz Kubitschek: Organisator und Stratege

4.6Thor von Waldstein: Jurist und Schmittianer

4.7Martin Lichtmesz: Publizist und Übersetzer

4.8Benedikt Kaiser: »Produktpiraterie« bei linken Strategien

4.9David Engels: Althistoriker und Spengler-Verehrer

4.10Akteure der Neuen Rechten im Vergleich

5 EINRICHTUNGEN, PUBLIKATIONSORGANE UND VERLAGE

5.1»Criticon« als frühes Publikationsforum

5.2»Thule-Seminar« als gescheitertes Unternehmen

5.3»Junge Freiheit« als »Konservative Revolution«

5.4»Cato« als konservatives Theorieorgan

5.5»Institut für Staatspolitik« als Thinktank

5.6»Sezession« als Theorieorgan und Zeitschriftenprojekt

5.7Buchprogramm des »Antaios-Verlags«

5.8Besonderheiten der »Kaplaken«-Schriftenreihe

5.9Buchprogramm des »Jungeuropa«-Verlags

5.10Bilanzierende Einschätzung der Organisationsformen

6 POSITIONEN ZU VERSCHIEDENEN THEMEN

6.1Berufung auf die Denker der Konservativen Revolution

6.2Huldigung als politischer Klassiker: Carl Schmitt

6.3Faszination für einen faschistischen Habitus

6.4Dominanter Bedeutungsgehalt ethnischer Identität

6.5»Bewusste Nation« als idealisiertes Ordnungsmodell

6.6»Solidarischer Patriotismus« für die Wirtschaftspolitik

6.7»Ethnopluralismus« als postulierter Gegensatz zum Rassismus

6.8»Großer Austausch« als Diskurselement zur Migration

6.9Selbstermächtigungen zum »Widerstand«

6.10Diffusität der eigenen Staatskonzeption

7 STRATEGIEN FÜR DIE POLITISCHE WIRKUNG

7.1Ausrichtung an »Kulturrevolution« und »Metapolitik«

7.2Bedeutung der Theoriearbeit für die politische Wirkung

7.3Begriffsbesetzungen und -umdeutungen als Praxis

7.4Diskurs mit »Maskierung« und »Mimikry«

7.5Erkenntnis des Feindes beziehungsweise Hauptfeindes

7.6»Provokation« im öffentlichen Raum

7.7»Lernen von links« für strategische Orientierungen

7.8Einforderung einer »Mosaik-Rechten« als Option

7.9Bruch aufgrund unterschiedlicher Strategien

7.10»Fundamentalopposition« statt »Selbstverharmlosung«

8 AUSWIRKUNGEN UND KONTAKTE INS POLITISCHE UMFELD

8.1Einstellung zum traditionellen Rechtsextremismus

8.2Einfluss auf die AfD als parteipolitisches Instrument

8.3Einfluss auf die parteinahe »Erasmus-Stiftung«

8.4Gemeinsamkeiten mit der »Identitären Bewegung«

8.5Auftritte bei »Legida«- und »Pegida«-Veranstaltungen

8.6»Compact« als Publikationsorgan mit größerer Verbreitung

8.7»Ein Prozent« als Unterstützungsnetzwerk

8.8Beziehung zum »eigentümlich frei«-Komplex

8.9Einschätzung und Einstellung zu Sarrazins Wirkung

8.10Einschätzung der Kooperationen und Wirkung

9 DEMOKRATIE- UND EXTREMISMUSTHEORETISCHE EINSCHÄTZUNG

9.1Anmerkungen zu Kategorien, Quellen und der Verallgemeinerbarkeit der Vorstellungen

9.2Einstellung zu politischen Klassikern als Vorbildern

9.3Allgemeine ideologische Grundlagen und ihre Implikationen

9.4Einstellung zu Menschenrechten als Wertekonsens

9.5Einstellung zu Homogenität als Strukturprinzip

9.6Einstellung zum Pluralismus als Strukturprinzip

9.7Einstellung zur Geschichtsdeutung des Nationalsozialismus

9.8Einstellung zur Judenfeindschaft als Thema

9.9Einstellung zur Gewalt als Handlungsstil

9.10Einstellung zum Systemwechsel als Umsturz

10 SCHLUSSWORT UND ZUSAMMENFASSUNG

10.1Bilanzierende Definition der Neuen Rechten

10.2Extremismustheoretische Einschätzung der Neuen Rechten

10.3Funktionen der Neuen Rechten im Selbstverständnis

10.4Diffusität der Ideologie im politischen Programm

10.5Diffusität der Positionen im öffentlichen Wirken

10.6Bedeutung der Neuen Rechten im politischen »Rechtsruck«

10.7Gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Neuen Rechten

10.8Extremistisches Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten

10.9Diskurs- und Ideologiekritik gegenüber der Neuen Rechten

10.10Bilanzierende Einschätzung zur Neuen Rechten

NACHWORT

LITERATURVERZEICHNIS

ANMERKUNGEN

ÜBER DEN AUTOR

VORWORT

Das vorliegende Buch beschäftigt sich kritisch mit einer Gruppe rechtsextremistischer Intellektueller, die an der Ideologie der »Konservativen Revolution« orientiert ist und eine »Kulturrevolution von rechts« vorantreiben will. Dabei besteht gegenüber den Basiswerten einer modernen Demokratie eine deutliche Frontstellung, was die Betitelung der vorliegenden Monografie erklärt. Gegen mögliche (oder vielleicht gewollte) Fehldeutungen sei vorsorglich klargestellt:

Erstens: Es gibt noch andere rechtsextremistische Intellektuelle, die nicht der Neuen Rechten zugeordnet werden können. Diesbezüglich wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Zweitens: Es geht nicht um eine moralische oder politische Diskreditierung demokratisch-konservativer Gesellschafts- oder Staatskritik, die elementarer Bestandteil eines notwendigen Meinungspluralismus ist. Die vorgenommenen Einschätzungen richten sich erklärtermaßen gegen extremistische Positionen. Drittens: Die Ausführungen erfolgen aus der Blickrichtung der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung im Sinne des Verfassers. Die vorliegenden Analysen können weder einer Behörde noch einer Hochschule, weder einer Partei noch einem Verein zugeordnet werden. Viertens: Es finden sich auch keine Empfehlungen oder Aussagen über angemessene Gegenstrategien, also den Handlungsoptionen gegen die Neue Rechte. Dies würde den thematischen Rahmen sprengen, denn es geht hauptsächlich um eine demokratietheoretisch motivierte Untersuchung. Fünftens: Gleichwohl wird für eine differenzierte und ideologiekritische Betrachtung der Neuen Rechten, ihres Personals und ihrer Positionen plädiert, denn nur so lassen sich wichtige Erkenntnisse über deren Inhalte und Wirkung ermitteln. In der Gesamtschau zeigt sich, dass das untersuchte Denken große Diffusität und demokratiefeindliche Prägungen aufweist.

Die vorliegenden Ausführungen gehen auf eine langjährige Beschäftigung mit dem Thema zurück, welche bei dem Autor bis in sein Studium zurückreicht. In dieser Zeit entstand eine Fülle an ganz unterschiedlichen Publikationen. Immer wieder wird bei den folgenden Darstellungen und Deutungen auf diese früheren Veröffentlichungen verwiesen, wo sich ausführlichere Aussagen und Belege zu den erläuterten Inhalten finden. Und, um noch einmal möglichen Missverständnissen vorzubeugen, sei betont, dass der jeweilige Hinweis auf weiterführende Literatur nicht als generelle Zustimmung des Autors zu den Aussagen dieser Werke verstanden werden darf.

Außerdem sei angemerkt: Die Akteure der Neuen Rechten verwenden meist die alte Rechtschreibung, entsprechend sind die ausgewählten Zitate von ihnen so verblieben. Und schließlich sei darauf hingewiesen: Alle Funktions- und Personenbezeichnungen meinen Menschen unterschiedlichster geschlechtlicher Identität in gleicher Weise.

1

EINLEITUNG UND ERKENNTNISINTERESSEN

Die folgenden Ausführungen widmen sich rechtsextremistischen Intellektuellen, die mit der Bezeichnung »Neue Rechte« erfasst, untersucht und zugeordnet werden. Dazu bedarf es zunächst einiger einleitender Erläuterungen. Sie beziehen sich auf die Bedeutung der Neuen Rechten als politisches Thema (1.1) und das diesbezügliche Erkenntnisinteresse (1.2). Darüber hinaus werden Arbeitsbegriffe wie »Extremismus« und »Rechtsextremismus« (1.3) definiert und die gelegentliche Diffusität von »Neue Rechte« als Terminus (1.4) problematisiert. Was die Neue Rechte ist (1.5) beziehungsweise nicht ist (1.6), steht danach im Zentrum. Dem folgt eine Erörterung der Frage, was denn das angeblich »Neue« an der Neuen Rechten (1.7) ist. Weitere Erläuterungen beziehen sich darauf, wie die Kategorien »Konservativismus« und »Rechtsextremismus« im Verhältnis zueinanderstehen (1.8) und was mit »Brückenspektrum« als Handlungsort und Übergangsbereich (1.9) gemeint ist. Zum Schluss wird ein Blick auf den Forschungsstand geworfen (1.10).1

1.1 Bedeutung der Neuen Rechten als politisches Thema

Für eine Demokratie können extremistische Gefahren aus unterschiedlichen Kontexten kommen. Meist bestehen sie in Gewalttaten, also Anschlägen und Attentaten gegen demokratische Einrichtungen und Repräsentanten. Betroffen davon können aber auch Angehörige der jeweils postulierten Feindbilder von Extremisten sein, etwa politisch Andersdenkende oder spezifische Minderheiten. Ein anderes Gefahrenpotenzial ergibt sich dadurch, dass eine extremistische Partei bedeutsame Wahlerfolge verbuchen kann. Dies belegt dann auch für die Gesamtgesellschaft, dass es in ihr relevante antidemokratische oder demokratieskeptische Potenziale gibt. Diese Einsicht lenkt das Interesse auf weitere Problemfaktoren: extremistische Einstellungen, die latent wie manifest in großen Teilen der Bevölkerung existieren. Es geht dabei oft um diffuse Mentalitäten, nicht nur um geschlossene Weltanschauungen – und um alle Zwischenstufen, die es bei Inhalten und Intensitätsgraden gibt.

Auch extremistische Auffassungen können eine politiktheoretische Unterfütterung haben. Diese Denkungsarten und Inhalte werden in der Regel nur dann gesellschaftlich relevant, wenn sie eine inhaltliche Begründung und damit eine normative Grundlage besitzen. Hier kommt Intellektuellen eine große Bedeutung zu. Sie haben im politischen Extremismus unterschiedliche Funktionen, die von der Entwicklung einschlägiger Positionen bis zur Mobilisierung von sozialer Zustimmung reichen. Mit einer attraktiven, begründet wirkenden Ideologie lassen sich auch Anhänger in höheren Bildungsschichten gewinnen, was für die breite gesellschaftliche Zustimmung überaus wichtig ist. So sollen die geistigen Grundlagen für den politischen Umsturz entstehen. Das Bewusstsein für ein derartiges Gefahrenpotenzial ist die Hauptmotivation dafür, die intellektuellen Entwicklungen und Positionierungen der Neuen Rechten stärker in den Blick zu nehmen. Aufgrund dieser Ansichten ist die Neue Rechte also ein wichtiges Thema.

Bei der Bezeichnung »Neue Rechte« geht es um ein Konstrukt, das auf bestimmte Intellektuelle, ihre Positionen und deren Widerhall in der Gesellschaft bezogen ist. Sie beabsichtigen weder, primär Gewalttaten durchzuführen, noch Wahlerfolge zu verbuchen. Derartige Entwicklungen mögen sie direkt oder indirekt unterstützen, aber ihr politisches Agieren muss auf einer anderen Ebene gesehen werden: Sie wollen einen politischen Umsturz »vordenken«. Mit dieser Haltung steht die Neue Rechte klar gegen die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaates. Daher muss man auch von einer extremistischen Intellektuellengruppe sprechen. Sie entwickelt die ideologischen Grundprinzipien des eigenen politischen Lagers sowie strategische Optionen, die dann durch andere politische Akteure in die gesellschaftliche Praxis umgesetzt werden sollen. Genau diese erklärte Absicht macht die Bedeutung der Neuen Rechten aus. Ihrem »kulturrevolutionären« Selbstverständnis nach will sie einer kommenden Entwicklung, hier einem politischen »Rechtsruck«, ihren inhaltlichen Stempel aufdrücken.

1.2 Erkenntnisinteressen hinsichtlich der Neuen Rechten

Aus dieser Einsicht ergeben sich die Erkenntnisinteressen hinsichtlich der Neuen Rechten. Es geht zunächst um das Verständnis der Ideologie, wobei ideengeschichtliche Klassiker und deren zentrale Positionen betrachtet werden. Bei dieser Analyse wird untersucht, wie es um die demokratietheoretische Ausrichtung etwa gegenüber Menschenrechten oder Pluralismus steht. Beantwortet werden soll die Frage: Handelt es sich noch um rechtsdemokratische oder schon um rechtsextremistische Auffassungen und Zielsetzungen? Dieses konkrete Erkenntnisinteresse, hierzu eine inhaltliche Einschätzung vorzunehmen, erklärt sich durch die Normen eines demokratischen Verfassungsstaats: Demokratie und Individualitätsprinzip, Menschenrechte und Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität gelten als wichtige Wertvorstellungen. Sie prägen den Blick auf das zu untersuchende Phänomen. Allerdings gibt es zu dieser Analyseperspektive – das sei der Vollständigkeit halber gesagt – auch andere Positionen in den Sozialwissenschaften.2

Sie laufen aber mitunter auf einen Demokratierelativismus hinaus. Ihr Erkenntnisinteresse ist von anderen Perspektiven geprägt. Dies zu erörtern würde ebenfalls den inhaltlichen Rahmen dieser Studie sprengen. Gleichwohl muss die eigene analytische Blickrichtung hervorgehoben werden, da ansonsten bestimmte Fragestellungen oder Schwerpunktsetzungen nicht nachvollziehbar sein könnten. Aus der Warte der oben genannten sechs Wertvorstellungen werden die Exponenten der Neuen Rechten untersucht, womit nicht nur die Intellektuellen, sondern auch ihre Organisationen und Publikationsorgane gemeint sind. Die Analyse beschränkt sich aber nicht darauf, ihre Äußerungen und Haltungen hinsichtlich einer ideologischen Positionierung im demokratietheoretischen Sinne zu untersuchen. Bedeutsam sind außerdem die konkreten Handlungen, die einschlägige Ideen in eine engere oder weitere Öffentlichkeit bringen wollen. Denn dies ist das politische Ziel der Intellektuellen. Um die Etablierung einer neuen Massenbewegung geht es ihnen primär nicht.

Insofern fällt der Blick auf ihre Strategie, wobei unterschiedliche Aspekte im Focus stehen: die formale Darbietung extremistischer Ideologien ebenso wie die Kontakte zu politischen Milieus, das Konzept einer »Kulturrevolution von rechts« ebenso wie die Kopie von als »links« geltenden Organisationsformen und Vorgehensweisen. Erst daraus entsteht ein differenziertes Bild, das die Breite politischer Handlungsmöglichkeiten veranschaulicht. Hierbei muss sich die Aufmerksamkeit auch über die Neue Rechte hinaus richten, denn nur so lassen sich Erkenntnisse darüber finden, welche Einflussgewinne denn tatsächlich aus ihren Vorgehensweisen resultierten. Nur so ist es auch möglich, ihr Gefahrenpotenzial realistisch einzuschätzen. Die gegenwärtige Neue Rechte hat die Seminarräume verlassen. Sie beschränkt sich nicht mehr, wie vor Jahren, darauf, Ideen für zukünftige Zeiten zu entwickeln. Ihre Intellektuellen wollen den sich ankündigenden »Rechtsruck« ideologisch und strategisch mitprägen.

1.3 Arbeitsbegriffe »Extremismus« und »Rechtsextremismus«

Angesichts des formulierten Erkenntnisinteresses bedarf es zunächst einer Erläuterung, was mit »Extremismus« beziehungsweise »Rechtsextremismus« gemeint ist. Es gibt hierzu in der Forschung unterschiedliche Positionen, worauf aber nicht näher eingegangen werden kann. Indessen sollen kurze Arbeitsdefinitionen für die vorliegende Darstellung präsentiert werden: Der Ausgangspunkt für das Extremismusverständnis besteht in der Grundauffassung, dass Abwahlmöglichkeit und Gewaltenkontrolle, Menschenrechte und Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität anerkennens- und verteidigenswert sind. Demnach ist mit dem Begriff »Extremismus« die Negierung dieser Werte verbunden, deren Ausgangspunkt die individuelle Freiheit ist und nicht der vorhandene Staat, wie viele fälschlich annehmen. Der Staat ist aus demokratietheoretischer Blickrichtung als institutioneller Garant von Grundrechten anzusehen und damit als demokratischer Verfassungsstaat.

Die politische Ablehnung der genannten Prinzipien kann unter ideologisch unterschiedlichen Vorzeichen erfolgen. Wird ethnische Identität höher gewertet oder absolut gesetzt, steht dies nicht mehr nur allgemein für Extremismus, sondern explizit für Rechtsextremismus. Dabei ist folgender Gesichtspunkt von besonderem Interesse: Es geht nicht allein darum, dass eine ethnische oder kulturelle Identität eine politische Wertschätzung erfährt. Es geht darum, dass mit dieser Auffassung eine deutliche Negierung oder zumindest Relativierung der übrigen Werte einhergeht. Dies macht in der Gesamtschau deutlich: Zwischen einem demokratischen Nationalpatriotismus und einem extremistischen Nationalismus bestehen grundlegende Unterschiede. Dass in den Diskursen mitunter die Grenzen zu verschwimmen scheinen, macht die Einschätzung der Neuen Rechten nicht leicht, aber auch nicht unmöglich.

Beim Extremismusverständnis kursieren noch weitere Fehlschlüsse. Erstens: Die Bezeichnung Extremismus schließt unterschiedliche Handlungsstile ein. Dies bedeutet, dass nicht jeder Extremist auch ein Gewalttäter sein muss. Es gibt Akteure, die sich formal an die allgemein bestehenden Gesetze halten und Gewalt vermeiden und gleichwohl Menschenrechte und Pluralismus negieren. Gerade wenn es um Intellektuelle geht, ist diese Einsicht relevant. Solchen Akteuren wird keine Gewalttätigkeit unterstellt, gelegentlich bedienen sie aber Diskurse mit einer Gewaltmentalität. Zweitens: In ideologischer Hinsicht sind mit dem Begriff Rechtsextremismus nicht nur die politischen Anhänger des historischen Nationalsozialismus gemeint, es gibt auch nicht nationalsozialistische Rechtsextremisten. Diese berufen sich auf andere Ideologiefamilien, wozu auch die Konservative Revolution der Weimarer Republik zählt.3

1.4 Diffuse Begriffsverwendungen von »Neue Rechte«

Die folgende Definition von »Neue Rechte« wird deshalb notwendig, weil über das Verständnis dieses Terminus große Konfusion herrscht. Nicht nur in den Medien, auch in wissenschaftlichen Publikationen geht es oft durcheinander. Blickt man auf die Begriffsnutzung in den letzten Jahrzehnten zurück, entsteht der Eindruck, dass »neue Rechte« beziehungsweise »Neue Rechte« als »Verlegenheitsbegriff« für bislang unbekannte Phänomene genutzt wurde, als man eine Entwicklung auf der politischen Rechten als »neu« wahrnahm. Es fand sich kein geeigneter Begriff. So wurde zum Beispiel Ende der 1980er-Jahre die Partei »Die Republikaner« ebenso als neue Rechte tituliert wie Mitte der 2010er-Jahre die »Pegida«-Bewegung. Es blieb aber unklar, was in ideologischer Hinsicht das politisch »Rechte« war, und wie und was das jeweils »neue« daran gewesen sein sollte. Heute wird die »Alternative für Deutschland« (AfD) gelegentlich ähnlich diffus als »neue Rechte« oder »Neue Rechte« bezeichnet.

Damit blieben aber viele Fragen, die für das Thema wichtig sind, unbeantwortet: Geht es um eine demokratische oder extremistische Rechte? Handelt es sich um eine elitäre oder populistische Rechte? Oder: Hat man es mit einer gewaltbejahenden oder legalistischen Rechten zu tun? Ebenfalls unklar blieb, was das »neue« beziehungsweise »Neue« sein sollte. Meist galt die Bezeichnung »neu« dem bloßen Erscheinungszeitpunkt. Wenn inhaltliche Aspekte dieses Terminus hervorgehoben wurden, dann meist mit einer Referenz zum historischen Nationalsozialismus. Alle »rechten« Ausrichtungen, die sich nicht auf das »Dritte Reich« oder die NS‑Bewegung stützten, galten dann als »neu«. Indessen gab es bereits vor 1933 unterschiedliche Formen von politisch »Rechten«. Dazu gehörte die noch ausführlicher zu thematisierende Konservative Revolution, die allerdings weder inhaltlich noch zeitlich als »neu« gelten kann. Gleiches trifft für den »Deutschnationalismus« der »Deutschnationalen Volkspartei« (DNVP) in der Weimarer Republik zu.

Eine Berufung auf deren Ideologie, etwa in den 1960er-Jahren durch die damalige »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD), kann ebenfalls weder inhaltlich noch zeitlich mit dem Etikett »neu« versehen werden. Daher bedarf es einer trennscharfen Definition. Sie ist auch deshalb nötig, weil manche Autoren von einem »Scharnier«4 zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus sprechen. Gegen diese Auffassung können zwei grundlegende Einwände formuliert werden: Erstens: Die Idee eines »Scharniers« bezieht sich auf eine Funktion und nicht auf ein Objekt. Zweitens: Es muss kein ausschließender Gegensatz zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus bestehen. Beides wird später noch erläutert.

1.5 Definition: Was die »Neue Rechte« ist

Angesichts der diffusen Begriffsverwendungen soll »Neue Rechte« trennscharf definiert werden. Dazu bieten sich drei Analysekriterien an, die zur Einschätzung aller politischen Projekte dienen können: Ideologie, Organisation und Strategie.5 Der erstgenannte Aspekt stellt auf die inhaltliche Ausrichtung ab: Ideologisch gesehen sind die Vertreter der Neuen Rechten gegenwärtige Anhänger der Konservativen Revolution der Weimarer Republik. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von einzelnen Intellektuellen mit einer antidemokratischen und prodiktatorischen Zielsetzung. Die Akteure und Bekundungen der Konservativen Revolution werden weiter unten gesondert in den Blick genommen, denn sie bilden den inhaltlichen Bezugspunkt für das politische Denken der Neuen Rechten.

Das zweite Analysekriterium ist die Organisationsform. Bekanntlich können politische Akteure als Gruppen, Parteien oder Vereine wirken, wobei man es mit einem festeren Personenkreis zu tun hat. Meist bestehen auch formale Mitgliedschaften, etwa durch ein Parteibuch. Davon kann bei der Neuen Rechten nicht die Rede sein. Es geht um eine lose Gruppe von Intellektuellen, die sich hinsichtlich besonderer Grundprinzipien einig sind, aber auch ideologische Unterschiede aufweisen können. Sie publizieren Artikel, Aufsätze und Bücher, referieren bei Konferenzen und Seminaren und knüpfen zu politischen Organisationen persönliche Verbindungen. Insofern handelt es sich um eine informelle Denkfabrik, die kein örtliches Forum oder Zentrum haben muss. Allerdings hat das »Institut für Staatspolitik« (IfS) und der Komplex um es eine Veränderung herbeigeführt, denn nun gibt es eine entwickelte Organisationsstruktur, was auch daran erkennbar ist, dass diese mit fest angestelltem Personal arbeitet und reale Vernetzungen existieren.

Das dritte Analysemerkmal ist die Strategie. Sie besteht bei der Neuen Rechten in der Ausrichtung an einem »Kampf um die Köpfe«, einer »Kulturrevolution von rechts« oder einer »Metapolitik des Widerstands«. Alle Bezeichnungen bedeuten, dass durch geistige Anregungen konkrete Wirkungen auf der politischen Ebene entfaltet werden sollen. Es geht demnach weder primär darum, Bestandteil einer Massenbewegung zu sein, noch darum, mit einer Partei hohe Wahlerfolge zu erzielen. Beide Bereiche können Handlungsfelder für die Neue Rechte sein. Sie beabsichtigen aber in erster Linie, für einen angestrebten politischen Umbruchprozess die geistigen Voraussetzungen zu schaffen. Damit geht die Annahme einher, dass eine geistige Hegemonie längerfristig eine politische Hegemonie ermöglicht. Die konkreten Änderungen sollten andere politische Protagonisten vollziehen, gleichwohl würden sie dabei den Erwartungen der Neuen Rechten folgen. Diese könnten aber auch inhaltlich und strategisch in den politischen Prozess eingreifen.

1.6 Erläuterung: Was die »Neue Rechte« nicht ist

Eine bewusst trennscharf angelegte Definition von »Neue Rechte« muss konkrete Spezifika ins Zentrum stellen. Dabei besteht eventuell das Problem, dass die Kontexte der Neuen Rechten nicht berücksichtigt werden. So könnte etwa die Neue Rechte als isoliertes Projekt missverstanden werden, wenn man sich nur auf deren Ideologie, Personal und Wirken fixiert. Derartige Fehldeutungen lassen sich vermeiden, indem man das konkrete Umfeld in die Untersuchung einbezogen wird. Denn für die Analyse der Neuen Rechten muss noch ein viertes Untersuchungskriterium hinzukommen: die Wirkung. Gleichwohl dürfen bei deren Analyse nicht die jeweiligen Kooperationspartner mit der Neuen Rechten selbst identifiziert werden, erkennt man doch ansonsten nicht die Besonderheiten der gemeinten Intellektuellen als geistige Strömung. Insofern bedarf es nicht nur der Klarheit darüber »Was die ›Neue Rechte‹ ist«, sondern auch Klarheit darüber »Was die ›Neue Rechte‹ nicht ist«.

Für die Definition können die genannten Merkmale, die auf Ideologie, Organisation und Strategie bezogen sind, als konkrete Unterscheidungsmerkmale dienen. Einzelne Beispiele mögen das Gemeinte genauer veranschaulichen: Das »Compact«-Magazin gehört demnach nicht zur Neuen Rechten, da man es mit einem Publikationsorgan ohne intellektuellen Zuschnitt zu tun hat. Die »Identitären« zählen ebenfalls nicht zur Neuen Rechten, obwohl sie eine ähnliche ideologische Ausrichtung haben, sich aber nicht als Intellektuellengruppe, sondern als Jugendbewegung verstehen. Der Publizist Thilo Sarrazin kann ebenso wenig der Neuen Rechten zugeordnet werden. Er entfaltet durch seine Buchveröffentlichungen zwar eine gewisse Wirkung, teilt aber nicht das Gedankengut der Konservativen Revolution. Die vorgenommene Differenzierung schließt nicht aus, dass es in den genannten Fällen zu Kooperationen mit der Neuen Rechten kommen kann. Auch diese wird noch ein gesondertes Thema sein.

Des Weiteren impliziert diese Definition und Unterscheidung ebenfalls nicht, dass die übrigen Akteure demokratietheoretisch betrachtet unproblematische Protagonisten sind. Inwieweit es sich bei ihnen ebenfalls um rechtsextremistische Bestrebungen handelt, wäre inhaltlich eine andere Frage. In dem angesprochenen politischen Lager existieren organisatorisch wie strategisch ganz unterschiedliche Phänomene nebeneinander. Deren Besonderheiten gilt es zunächst zu erkennen. Erst danach können Analysen sich der Frage zuwenden, wie die einzelnen Akteure in einem bestimmten Kontext wirken. Das mag an einem bekannten Sprichwort veranschaulicht werden: So wie es ein Fehler ist, vor einzelnen Bäumen einen Wald nicht mehr zu sehen, so problematisch ist es, in diesem Wald die einzelnen Bäume nicht mehr wahrzunehmen. Einzelne Bäume stehen in diesem Bild für die Neue Rechte. Man kann aber erst mit der Aufmerksamkeit für einzelne Bäume das Gesamtphänomen des Waldes erkennen.

1.7 Das angeblich »Neue« an der Neuen Rechten

In der vorliegenden Analyse wird immer »Neue Rechte« und nicht »neue Rechte« geschrieben, geht es doch um eine Eigenbezeichnung. Dies bedeutet aber nicht – entgegen eines anderen Eindrucks –, dass die Neue Rechte inhaltlich oder zeitlich neu sein muss. Die Bezeichnung suggeriert – wie in der Werbung –, dass man es mit einem besseren und innovativeren Produkt zu tun habe. Dieser gewollte Effekt, in der Öffentlichkeit oder im eignen Umfeld attraktiver zu wirken, kann dabei sogar einen wahren Kern haben. Bevor auf diese Gesichtspunkte in einer vergleichenden Perspektive eingegangen wird, sollen zunächst ein paar Einwände gegen das beanspruchte »Neue« erhoben werden.

Erstens: Die ideologischen Anknüpfungspunkte der Neuen Rechten finden sich bereits bei der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik. Deren damalige Auffassungen und ablehnende Haltung gegen eine liberale Demokratie werden letztendlich nur in einem aktuellen Gewand auf Themen der Gegenwart übertragen. Dies gilt auch für andere rezipierte Klassiker.

Zweitens: Auch hinsichtlich der handlungsbezogenen Ausrichtung hat man es nicht mit einer strategischen Innovation zu tun. Denn schon die Anhänger der Konservativen Revolution lehnten eine Orientierung an der Parteipolitik beziehungsweise einer Protestbewegung ab. Sie gingen davon aus, dass sie mit ihrer Ideologie der Politik die Richtung weisen könnten. So positionierten sich die Intellektuellen der Konservativen Revolution auch gegenüber der NSDAP als Partei, wobei sie nach 1933 hinsichtlich ihrer eigenen Interessen und Vorstellungen scheiterten. Gleichwohl erfolgte ein Anpassungsprozess einiger – nicht aller – ihrer Denker an die neuen politischen Rahmenbedingungen, was an den jeweiligen Karrieren im NS‑Machtapparat ablesbar ist. Indessen obsiegte nicht die Konservative Revolution, sondern der Nationalsozialismus. Wie es sich in der Gegenwart mit der Neuen Rechten und der Parteipolitik verhält, soll später noch erörtert werden. Bilanzierend lässt sich daher konstatieren, dass der Anspruch der Neuen Rechten auf einen geistigen Kampf qualitativ keineswegs neu war und ist.

Mit Blick auf die in Deutschland wie in Frankreich bestehende »alte Rechte« kann jedoch eine partielle Veränderung konstatiert werden. Alain de Benoist, der in beiden Ländern für die Neue Rechte bedeutsam war und ist, formulierte dazu in einem programmatischen Text: »Die alte Rechte ist tot. Sie hat es wohl verdient. Sie ist daran zugrunde gegangen, daß sie von ihrem Erbe gelebt hat, von ihren Privilegien und von ihren Erinnerungen. Sie ist daran zugrunde gegangen, daß sie weder Wille noch Ziel hatte.« Benoist kritisierte die Fixierung auf historische Systeme, woraus sich keine Orientierung für eine Zukunft ergebe. Demgemäß habe die »alte Rechte« auch kein politisches Ziel. Außerdem bemerkte er: »Ohne präzise Theorie kein wirksames Handeln.«6 Damit verwies Benoist darauf, dass eine entwickelte Ideologie auf der Rechten nicht auszumachen war. Außerdem forderte er, für politische Kämpfe den kulturellen Bereich zu beachten, wobei die Grundlagen dafür durch Theoriearbeit zu schaffen seien. Das wäre dann etwas »Neues« an der Neuen Rechten.

1.8 »Konservativismus« und »Rechtsextremismus« im Verhältnis

Bei der Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten wird nicht selten die Position vertreten, dass es sich um einen politischen Akteur zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus handele. Damit mag man einen politischen Handlungsort benennen, aber nicht einen ideologischen Standpunkt. Was mit dem erstgenannten Aspekt gemeint ist, soll noch gesondert thematisiert werden. Zunächst geht es um den Konservativismus und Rechtsextremismus im Verhältnis zueinander. Dazu kann festgestellt werden, dass sich die Bezeichnungen auf unterschiedlichen Ebenen bewegen und somit ihr Kontext nicht bestimmbar ist. Dies wäre nur dann möglich, wenn beide Erscheinungsformen der gleichen Bedeutungskategorie angehören würden. Hier hat man es aber mit zwei unterschiedlichen Bereichen zu tun: Beim Konservativismus7 handelt es sich – wie beim Liberalismus und Sozialismus – um eine der großen politischen Theorien, beim Rechtsextremismus hingegen um eine antidemokratische Variante mit besonderer ideologischer Zielsetzung.

Der Konservativismus stellt auf die Bewahrung von Bewehrtem ab, zumindest lautet so die Bekundung des jeweiligen Selbstverständnisses. In der Geschichte der letzten Jahrhunderte änderte sich allerdings das jeweilige Vorbild. War es zu Beginn die Gesellschaftsordnung einer christlich geprägten Monarchie im diktatorischen Sinne, so war dies später eine Gesellschaftsordnung auf der Grundlage traditioneller Normen im demokratischen Sinne. Diese allgemeine Bemerkung zur Entwicklung des Konservativismus8 macht bereits deutlich, dass es in demokratietheoretischer Hinsicht unterschiedliche Modelle gab. Anders formuliert: Mit dem Konservativismus ging ebenso eine antidemokratische wie auch eine demokratische Orientierung einher. Allein von daher kann es sich beim Konservativismus nicht um einen Gegenbegriff zum Rechtsextremismus handeln. Denn dieser ist ein Phänomen, das antidemokratische Auffassungen mit einer rechten Orientierung verbindet. Jedoch gab und gibt es auch solche Ansichten im Konservativismus der unterschiedlichsten Länder zu verschiedenen Zeiten.

Zwar akzeptieren die meisten Anhänger dieser ideologischen Prägung mehrheitlich demokratische Vorstellungen. Davon kann für Deutschland aber erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts gesprochen werden, war doch der Konservativismus auch in der Weimarer Republik überwiegend antidemokratisch. Die erwähnte Konservative Revolution steht exemplarisch für eine derartige grundsätzliche Negierung des politischen Ordnungsmodells einer modernen Republik. Da aber diese Einstellung auch als eine Form von Rechtsextremismus gilt, kann es keinen grundlegenden Gegensatz zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus geben. Eher kommen Differenzierungen infrage wie »antidemokratischer« und »demokratischer Konservativismus«9 oder »konservativer« und »nicht-konservativer Rechtsextremismus«. Die Neue Rechte in Deutschland, die hier im Zentrum steht, ist dem antidemokratischen Konservativismus beziehungsweise konservativen Rechtsextremismus zuzuordnen.

1.9 Brückenspektrum als Handlungsort und Übergangsbereich

Von dieser extremismus- und ideologietheoretischen Einordnung ist die des Handlungsortes und der Wirkungsweise zu unterscheiden. Denn beides bildet ein »Brückenspektrum« zwischen demokratischem und extremistischem Konservativismus beziehungsweise zwischen demokratischer und extremistischer Rechter. Um diesen Aspekt besser zu veranschaulichen, muss zunächst auf eine Grundannahme verwiesen werden. Sie geht idealtypisch davon aus, dass zwischen einem demokratischen und einem extremistischen Konservativismus beziehungsweise einer demokratischen und einer extremistischen Rechten in Theorie und Praxis eine klare Trennlinie besteht. Insbesondere dem Konservativismus müsste ein demokratisches Selbstverständnis so wichtig sein, dass er mit Anhängern der extremistischen Richtung nicht kooperiert. Gleichwohl bestehen in anderen Fragen wieder Gemeinsamkeiten, sonst wäre ja kein politisches Selbstverständnis als jeweils Konservativer oder Rechter möglich.

Die damit angesprochene inhaltliche Schnittmenge von Konservativismus und Rechtsextremismus kann sich etwa auf Begriffe wie »Heimat«, »Identität«, »Nation«, »Ordnung« oder »Tradition« als jeweilige Wertefundamente beziehen. Damit einhergehende Auffassungen lassen sich in einem demokratischen wie extremistischen Sinne verstehen. In einer gefestigten Demokratie dominieren meist die erstgenannten Deutungen, und man hat es mit einem demokratischen Konservativismus beziehungsweise einer demokratischen Rechten zu tun. Dort nehmen extremistische Konservative und Rechte nur eine marginale Rolle am rechten Rand des politischen Spektrums ein. Um nun aber in die breite Mehrheitsgesellschaft hineinwirken zu können, benötigen sie die erwähnten »Brücken« als Handlungs- und Übergangsbereiche. Dies sind meist politische Publikationsorgane oder Vereine. Als Beispiel für eine »Brücke« könnte die AfD in ihrer Frühphase dienen oder das frühere konservative Publikationsorgan »Criticon«.

Beide politischen Akteure werden später noch genauer thematisiert. Sie bildeten »Begegnungsstätten« für demokratische und extremistische Konservative beziehungsweise Rechte, wodurch die Grenze zwischen demokratischen und extremistischen Positionen überschritten wurde. Mit der Bezeichnung »Brückenspektrum« ist genau dieser Handlungs- und Wirkungsbereich gemeint. Er kann politisch auch eine andere Gestalt annehmen, wofür etwa die frühe Entwicklungsphase von »Pegida« als Protestbewegung steht. Die Formulierung »Neue Rechte« ist auf einen bestimmten politischen Protagonisten bezogen und sollte daher nicht auf einen Handlungs- oder Übergangsbereich übertragen werden, wo die politisch Aktiven nicht nur einer speziellen Richtung angehören. Daher empfiehlt es sich, inhaltlich offener, von einem »Brückenspektrum« zu sprechen. Dieses steht für einen Entwicklungsprozess, der mit »Erosion der Abgrenzung« oder »Entgrenzung des Extremismus« verbunden ist.10

1.10 Forschungsentwicklung und -stand zur Neuen Rechten

Seit den 1970er-Jahren erschienen immer wieder Monografien, die eine »Neue Rechte« thematisierten. Ihre Autoren definierten »Neue Rechte« aber nicht in einem einheitlichen Sinne. So legte etwa 1975 Günter Bartsch ein Buch »Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten« vor, worin es um die nationalrevolutionären Gruppen und Intellektuellen der damaligen Zeit ging.11 Darüber hinaus war Bartschs informative Darstellung durch eine eher affirmative Haltung des Verfassers geprägt. Andere, spätere Arbeiten nahmen die Neue Rechte als »Grauzone« oder »Scharnier« in den Blick, so Susanne Mantino oder Wolfgang Gessenharter in den 1990er-Jahren.12 Doch damit wurden die jeweiligen Akteure ideologisch und organisatorisch nicht klar erfasst und unterschieden.

Das zu leisten, war der Anspruch des Autors dieses Buch in seiner früheren Monografie »Konservative Revolution und Neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat« von 1998. Darin ging es um die Intellektuellen der historischen Konservativen Revolution der Weimarer Zeit, die für die gegenwärtigen Intellektuellen der Neuen Rechten ein Vorbild sind. Im Zentrum der Arbeit stand deren Ablehnung der Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates. Darüber hinaus wurde in vergleichender Perspektive versucht, das Gefahrenpotenzial beider Intellektuellengruppen für den demokratischen Verfassungsstaat herauszuarbeiten.13 Danach gab es in der Forschung zunächst keine eingehenderen Auseinandersetzungen mit der Neuen Rechten mehr. Eine Ausnahme bildeten die zahlreichen Beiträge von Helmut Kellershohn. Er analysierte die kontinuierliche Entwicklung dieser Intellektuellen anhand von Selbstzeugnissen.14

Erst nachdem auch in Deutschland ein politischer »Rechtsruck« auszumachen war, wurden eigenständige Darstellungen zur Neuen Rechten wieder für ein breiteres Publikum veröffentlicht. Dazu gehörte insbesondere das 2017 erschienene Buch »Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes« von Volker Weiß, das ebenfalls ihre ideengeschichtliche Entwicklung nachzeichnete und die Nähe zur Parteipolitik kenntnisreich thematisierte.15 Indessen fehlte hier eine systematische Definition der Neuen Rechten und eine Einschätzung ihrer Positionen. Ähnlich verhielt es sich mit dem ebenfalls 2017 erschienenen Band »Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten« von Thomas Wagner. Auch hier wurde die ideengeschichtliche und politische Entwicklung kenntnisreich nachgezeichnet.16 Das genaue Begriffsverständnis und die demokratietheoretische Positionierung blieben aber ebenfalls unklar.

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KONSERVATIVE REVOLUTION DER WEIMARER REPUBLIK ALS VORBILD

Da die Konservative Revolution für die Neue Rechte ihr primäres Vorbild ist, bedarf es auch einer Darstellung und Einschätzung dieser Intellektuellenströmung in der Weimarer Republik. Hierbei steht deren Frontstellung gegen die Normen und Regeln des damaligen demokratischen Verfassungsstaates im Zentrum. Zunächst soll die Bezeichnung »Konservative Revolution« als scheinbarer politischer Widerspruch (2.1) erläutert und eine inhaltliche Eingrenzung angesichts einer Forschungskontroverse um die Sammelbezeichnung (2.2) vorgenommen werden. Im Anschluss daran folgen biografisch-politische Kurzporträts ihrer bedeutendsten Akteure (2.3, 2.4). Danach stehen die antidemokratischen Positionen im inhaltlichen Zentrum: Ablehnung von Aufklärung und Vernunft, Frontstellung gegen Menschenrechte und Pluralismus, Bejahung eines (neuen) Nationalismus und Einforderung einer diktatorischen Herrschaft (2.5–2.8). Abschließend folgt eine vergleichende Betrachtung mit dem Nationalsozialismus (2.9) sowie eine bilanzierende Einschätzung (2.10).

2.1 »Konservative Revolution« als scheinbarer politischer Widerspruch

Die Bezeichnung »Konservative Revolution« wirkt widersprüchlich. Denn »konservativ« meint eigentlich bewahren, »revolutionär« eigentlich umwälzen. Insofern hat man es mit einem antagonistisch erscheinenden Begriffspaar zu tun. Dessen Einklang ergibt sich aus der historisch-politischen Rahmensituation, die für den deutschen Konservativismus mit der Weimarer Republik entstanden war. Denn vor 1918 bejahten die Anhänger des konservativen politischen Lagers die bestehende Staatsordnung. Zwar gab es gelegentlich Einwände gegen den Kaiser oder Kritik am Parlamentarismus. Auch sah man Gefahren in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. In der Gesamtschau akzeptierten die Konservativen aber das Wilhelminische Kaiserreich. Eine Bewahrung der gegebenen Verhältnisse war somit ihr Ziel. Nach 1918 bestand indessen mit der Weimarer Republik ein demokratischer Verfassungsstaat. Die antidemokratisch ausgerichteten Konservativen akzeptierten diese bestehende neue politische Ordnung nicht mehr.

So beabsichtigte man einerseits, die parlamentarische Demokratie zu überwinden, andererseits aber auch, nicht mehr zur monarchistischen Vergangenheit zurückzukehren. Früher geltende Auffassungen sollten wieder zur gesellschaftlichen Realität werden. Dies bekundeten die Akteure der Konservativen Revolution deutlich, was anhand von exemplarischen Aussagen veranschaulicht werden soll. Bezogen auf die Frontstellung, die ein erhoffter »Zukunftsstaat« gegen die politische Gegenwart wie Vergangenheit einnehmen sollte, bemerkte Ernst Jünger: »Das bedeutet einen Staat, der von dem von Weimar, aber auch von dem alten Kaiserreich durchaus verschieden ist. Es bedeutet den modernen nationalistischen Staat.«17 Und Arthur Moeller van den Bruck meinte: »Wir wollen diese revolutionären Ideen mit den konservativen verbinden, die sich immer wiederherstellen, und wollen sie konservativ-revolutionär dahin treiben, wo wir Zustände erreichen, bei denen wir wieder leben können.« Es gelte »Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt«.18