9,99 €
Der Leitende Oberstaatsanwalt Nürnberg-Fürth, Dr. Kimmel: »Ihnen ist wieder ein hervorragender Kriminalroman gelungen — nicht nur für den Insider (...). Zwei ineinander verwobene Handlungsstränge werden in bisweilen schon fast dramatischer Weise dargestellt (...). Herzlichen Glückwunsch zu einem wahrhaft gelungenen Werk!« Der Polizeipräsident von Mittelfranken, Johann Rast: »In Band 4 des ›Dadord in Frangn‹ gelingt es Roland Geisler wiederum, eine außerordentlich spannende Handlung mit exakten Milieurecherchen und dem Ermittlungsalltag in einem Kommissariat der Kriminalpolizei zu verbinden. (...) Insgesamt ein äußerst spannendes und dabei lehrreiches Buch.« Mehr über Band IV "Klick ins Buch"
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2018
Dieser Franken-Krimi ist ein Konstrukt aus Fiktion und abgewandelten Kriminalfällen der kriminalistischen Forensik und Praxis. Beides verschmilzt ineinander und führt den Leser durch die Geschichte.
Alle Figuren, bis auf die zeitgeschichtlichen Personen, sind frei erfunden. Sofern diese Personen der Zeitgeschichte handeln oder denken wie Romanfiguren, ist auch dies frei erfunden. Fiktiv sind ebenso einige der Handlungsorte in der Gegenwart.
Der Autor möchte dem Leser eine Handlung vermitteln, die eine gewisse Authentizität beinhaltet. Deshalb muss dem Geschichtenerzähler erlaubt sein zu sagen: Es ist zwar nur eine Geschichte, die auf tatsächlichen Informationsquellen von Verbrechenstatbeständen beruht, aber vielleicht war es ja tatsächlich so. Lediglich manch taktischer und kriminalistischer Handlungsablauf der Gegenwart könnte im wahren Leben so erfolgt sein.
Alle Informationen über polizeiliche und strafprozessuale Ermittlungshandlungen sind als »offen« einzustufen, da diese für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind – z. B. BGBL I, 2005, 3136. Alle diese Maßnahmen werden zudem im Internet durch verschiedene deutsche und ausländische Strafverfolgungsbehörden ausführlich beschrieben.
Roland Geisler
Dadord in Frangn
Band 4
Interficere und das Wartenbergrad
Ein Kriminalroman aus der Schorsch Bachmeyer Reihe
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Dadord in Frangn 2018 © by Roland GeislerVeröffentlicht im Dadord in Frangn-Verlag Roland Geisler, Josef-Bauer-Str.18, 90584 Allersberg.Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet oder vervielfältigt werden.Umschlaggestaltung: Guter Punkt, MünchenUmschlagsmotive: © Thinkstock Abbildungen: © Thinkstock, suljo/süs_angel und Roland GeislerDruck: CPI books GmbH, LeckMade in GermanyErstausgabe 2018ISBN 978-3-00-057716-1
1. Auflage
Das Schmerzende verweilt nicht lange Zeit gleichmäßig im Fleische, sondern, sofern es aufs äußerste schmerzt, ist es nur ganz kurze Zeit gegenwärtig, sofern es aber das Lusterzeugende im Fleische bloß überwiegt, dauert es nicht viele Tage. Langandauernde Schwächezustände schließlich zeigen ein Überwiegen des Lusterregenden im Fleische über das Schmerzende.
Epikur
Für Lydia…
Prolog
Dienstag, 21.05.1996, 19.55 Uhr, Rochus Kapelle, Gebetsraum III, Karl-Rahner-Platz, A-6020 Innsbruck
S
ie knieten andächtig nebeneinander vor dem Kreuz Christi.
Der Blick des älteren Priesters war stoisch auf die Mutter Gottes gerichtet, die links vom Kreuz in einer holzgeschnitzten Madonna dargestellt war.
»Und was machen wir, Bruder, wenn uns doch einmal die Fleischeslust überkommen sollte?«, flüsterte er seinem Nebenmann zu. »Wir sind von Gott berufen, wir haben diesen Weg und damit die Verpflichtung zur Ehelosigkeit gewählt und nun unsere Priesterweihe empfangen.«
Der jüngere Priester wandte sein Antlitz von der Madonna ab und sah ihn aus funkelnden Augen an.
»Wohl wahr, mein Bruder«, erwiderte er leise, »die Jahre unseres Studiums haben uns reifen lassen. Wir werden künftig geistlich leben, theologisch arbeiten und Gott und den Menschen in Demut und Gehorsam dienen. Und wenn uns irgendwann das Verlangen überkommen sollte, so werden wir das Zölibat nicht brechen, sondern unsere Lust auf unsere Art befriedigen. Denn niemand, mein Bruder, soll uns den steinigen Weg zum Generalvikar und die Folgen einer Suspension aufbürden. Niemand. Und wenn es irgendwann einmal so kommen sollte, dann lass uns diese Tat vor Gott entschuldigen. ›Wenn nämlich die Menschen von den Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel.‹ Markus 12, 25.«
Die Priester sahen sich an und reichten sich die mit einem Rosenkranz umwickelte rechte Hand.
»Denn wie im 4. Buch Mose, Kapitel 33, Vers 55 geschrieben steht, mein Bruder: ›Werdet ihr aber die Einwohner des Landes nicht vertreiben vor eurem Angesicht, so werden euch die, so ihr überbleiben laßt, zu Dornen werden in euren Augen‹«, sagte der Ältere der beiden leise. »Diese Geißel, das Abverlangen der Schmerzen, mein Bruder, sollte uns wieder auf den rechten Weg führen.«
»Ja, so soll es sein, dieses Gelübde soll uns für immer vereinen – in guten wie in schweren Zeiten«, erwiderte der jüngere Priester.
Sie bekreuzigten sich und verließen den abgelegenen Teil der Kapelle.
1. Kapitel
Freitag, 13. November 2015, 18.42 UhrInternetcafé, Bayreuther Straße, 90409 Nürnberg
D
a war es wieder, dieses Verlangen nach sexueller Befriedigung. Seine Lust, seine Gier, sie in seinen Besitz zu nehmen, sie zu steuern, dabei ihre Unterwürfigkeit bis zur letzten, ihrer letzten Sekunde auszukosten, war allgegenwärtig. Ihr all das Leid, all die Schmach zuzufügen, die ihn so sehr in seiner Kindheit verletzt hatte, danach strebte er.
Er registrierte die ansteigende Erektion. Seine Wut verursachte ein unaufhaltsames Pochen in seinen Schläfen.
Mit zitternder Hand öffnete er den Browser, gab die Webadresse www.call-an-escort.de ein, wählte die Region Bayern, Neumarkt, aus und scrollte auf »Escort Ladies«. Das Fenster öffnete sich.
Die Auswahl an Begleitdamen jeden Alters war beachtlich. Die Frauen zeigten sich dem Betrachter in ausgewählten Dessous, ihre Körper waren makellos. Offensichtlich verstand der Fotograf sein Handwerk, diese Edelhuren verlockend in Szene zu setzen. Lediglich ihre Augenpartie war verpixelt.
Er merkte, wie sich ein leichter Schweißfilm zwischen der Innenfläche seiner Hand und der Computermaus bildete. Seine Atmung wurde tiefer, sein Brustkorb hob und senkte sich schneller, um die Luft seiner Lungen in kürzeren Intervallen auszustoßen. Er musste seine Erregung unter Kontrolle bringen, um nicht aufzufallen.
Er blickte über die Trennwand, die die einzelnen Arbeitsplätze des Internetcafés voneinander abgrenzte, und beobachtete sein Umfeld. Seine Augenlider begannen dabei, leicht zu zittern.
Ein paar Reihen vor ihm beschäftigten sich drei Jugendliche mit einem Ballerspiel. Sie hatten das Headset angelegt und waren mitten im Spielgeschehen. Von ihnen ging keine Gefahr aus. Ansonsten war das Café leer.
Sein Blick wanderte wieder abwärts zu seinem Bildschirm. Er klickte sich durch die Auswahl an Frauen. Nach kurzer Zeit hatte er sie gefunden.
»Stella«, hauchte er. Das sollte sie sein.
Er betrachtete ihr Profil.
»Stella Backhaus, Alter Ende 20, Größe 168 cm, Gewicht 53 kg, Maße 90-64-90, Augen grün, Haare brünett.«
Sein Lidschlag wurde heftiger. Angespannt öffnete er die Seite, die über Stellas »Vorlieben« Auskunft gab.
»Die warmherzige Stella wird dich nicht nur mit ihrer wundervollen Oberweite entzücken. Ihre einfühlsame und zuvorkommende Art lässt deine Träume Wirklichkeit werden. Stella ist aufgeschlossen, unkompliziert und für jedes erotische Abenteuer zu haben.
Stellas spezielle Vorlieben erstrecken sich auf:
Verbalerotik, gern im Duo
Erotische Massage auf die natürliche französische Art
Softsklavin mit verbaler Erniedrigung
Bizarr mit Wachsbehandlung
Deep Throat
Rollenspiele mit Zungenküssen
Spanische Erotik mit extravaganten Dessous
Erotisches Spielzeug
Stellas Vorlieben schließen ebenso mit ein:
Handicap-Personen
Frivoles Ausgehen
Bisexualität im Duo, gern auch mit zwei Männern
Die griechische Variante
Pärchen-Besuche, gern auch im Swinger-/Pärchenklub
Treffpunkt bei dir, im Hotel oder an einem sonstigen geheimnisvollen Ort, aber auch bei Stella nach Vereinbarung.«
Seine Erregung war unter Kontrolle. Er hatte gefunden, was er wollte. Ihrem Profil nach war Stella ein Volltreffer. Sie erfüllte genau das, wonach er seit Langem suchte. Für diese Frau wollte er sich genüsslich Zeit nehmen.
Der Honorarseite entnahm er, welchen Preis er für Stella zu bezahlen hatte. Für das, was er mit ihr vorhatte, waren neunhundert Euro ausreichend – es sollten vier Stunden werden, die er niemals vergessen würde.
Über die Zahlungsmodalitäten hatte er sich bereits vor Wochen informiert und seine Vorgehensweise sorgfältig geplant. Alle notwendigen Vorbereitungen inklusive einer erfolgreichen Testüberweisung waren reibungslos verlaufen. So war sichergestellt, dass er unentdeckt in der Frankenmetropole agieren konnte.
Er würde einen Überweisungsträger von Robert Maiwald, einem Rentner aus Pfeifferhütte, der seine GEZ-Gebühren quartalsweise beglich, verwenden, den er aus dem Papierkorb eines Geldinstituts in Burgthann gefischt hatte. Es handelte sich um ein fehlerhaft ausgefülltes Formular, das der Kontoinhaber unachtsam entsorgt hatte. Mit Maiwalds Kontodaten würde er Stella buchen. Bis es dem Rentner auffiel, dass jemand seine Daten missbraucht hatte, sollte das Mädchen längst nicht mehr am Leben sein.
Er griff zum Headset, öffnete das Skype-Fenster, sperrte die Kamerafunktion, um nicht gesehen werden zu können, und gab die angegebene Mobilfunknummer von Call-an-Escort ein. Dann drückte er die Wählfunktion und wartete.
»Call-an-Escort, Sie sprechen mit Miriam«, ertönte es am anderen Ende der Leitung.
»Guten Tag, Maiwald, ich bin auf Ihrer Seite auf Stella Backhaus aufmerksam geworden und möchte das Mädchen für eine Nacht entführen. Wäre das am nächsten Wochenende möglich?«, fragte er betont freundlich. »Ich bin vom 20. bis 22. November in Nürnberg. Daher würde ich gern einen Abend ab neunzehn Uhr mit Stella verbringen. Sagen wir, bis dreiundzwanzig Uhr, vielleicht aber auch eine Stunde länger.«
»Einen kleinen Moment, da muss ich kurz nachsehen«, sagte Miriam.
Er hörte, wie seine Gesprächspartnerin im Hintergrund die Tastatur betätigte.
»Freitag und Samstag wären okay«, sagte sie kurze Zeit später. »Am Sonntag leider nicht, da ist Stella schon gebucht.«
»Gut, darf ich Klartext mit Ihnen reden?«
»Gern, wir sind für alles offen«, erwiderte Miriam.
»Ich bin in der Politik tätig und setze absolute Diskretion voraus, um eine Ihrer Damen treffen zu können. Deshalb erscheint in Ihrem Display auch nicht meine richtige Telefonnummer. Ihre Zahlungskonditionen zur Buchung habe ich gelesen. Ich bitte Sie, meine Kontodaten nicht in Ihren Buchungsunterlagen abzuspeichern. Es wäre fatal für mich, wenn ein politischer Gegner auf irgendeine noch so dumme Weise auf mich stoßen sollte, sei es bei einer Buch- oder Steuerprüfung Ihres Unternehmens oder durch jedwedes Verplappern. Diskretion ist außerordentlich wichtig für mich.«
»Herr Maiwald, Diskretion ist bei uns Ehrensache«, versicherte ihm Miriam Scheitel. »Ihre gesamte Buchung wird selbstverständlich vertraulich behandelt.«
»Gut«, sagte er. »Ich gebe Ihnen eine E-Mail-Adresse, an die Sie mir nach Zahlungseingang Stellas Kontaktdaten zusenden können, und ein Kennwort.«
»Gern, ich bin schreibbereit«, sagte Miriam.
»Meine E-Mail-Adresse lautet: [email protected], Kennwort: Mitternachtsspitzen.«
»Habe ich mir notiert, Herr Maiwald«, sagte Miriam. Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie ihre Belustigung ob der Auswahl des Kennworts nur schwer verbergen konnte. »Steht der konkrete Buchungstermin nun fest?«
Er überlegte kurz. »Samstag, den 21. November um zwanzig Uhr«, sagte er schließlich. »Den genauen Treffpunkt gebe ich noch durch – und sollte sich etwas ändern, melde ich mich bei Ihnen beziehungsweise direkt bei Stella, wenn Sie meine Buchung bestätigen sollten. Wäre das okay?«
»Sobald der Zahlungseingang erfolgt ist, erhalten Sie eine Nachricht von uns«, sagte Miriam.
»Bestens. Sollte ich sonst noch etwas wissen?«, fragte er. »Sie verstehen, Diskretion, Vertra…«
»Nein«, unterbrach ihn Miriam. »Ich kann Ihre Nervosität sehr gut verstehen, aber machen Sie sich bitte keine weiteren Gedanken. Sie hören von uns, Herr Maiwald.«
»Na dann, besten Dank.«
Er beendete das Telefonat, nahm das Headset vom Kopf, legte es neben seiner Computertastatur ab und korrigierte den Sitz seiner Sonnenbrille. Zufrieden blickte er auf die drei Jugendlichen, die immer noch in ihr Computerspiel vertieft waren und nichts von seinem mörderischen Vorhaben mitbekommen hatten.
Entschlossen stand er auf, zog sein Basecap tief ins Gesicht und verließ das Café.
2. Kapitel
Freitag, 20. November 2015, 10.55 Uhrirgendwo in Franken
E
r saß vor seinem PC und öffnete den Posteingang, an dessen Icon ein blinkendes Signal den Eingang einer neuen E-Mail signalisierte. Es war eine Nachricht an seinen Account »Mitternachtsspitzen«.
Erst am Morgen zuvor hatte er den Überweisungsträger von Robert Maiwald in den Auftragskasten der Raiffeisenbank in Burgthann eingeworfen. Nun erhielt er bereits die angeforderte Eingangsbestätigung des Zahlungsbetrages. Gespannt las er die E-Mail.
»Guten Tag, ›Mitternachtsspitzen‹, wir bestätigen den Zahlungseingang und den Termin mit Stella Backhaus. Sie freut sich riesig, den Samstagabend mit Ihnen verbringen zu dürfen. Bitte kontaktieren Sie Stella zwecks Terminabsprache und Treffpunktvereinbarung gern persönlich, denn sie kann es kaum erwarten, von Ihnen zu hören. Ihre Mobilfunknummer lautet: 015xx7x5777.
Wir freuen uns, Ihren Wünschen gerecht zu werden. Wie Sie Stellas Profil entnehmen konnten, wird Ihnen kein Wunsch verwehrt bleiben. Stella ist offen und neugierig für allerlei Neues.
Wenn Sie mit der Buchung über Call-an-Escort zufrieden sind, bitten wir Sie, uns weiterzuempfehlen. Außerdem möchten wir Sie mit einem kleinen Bonus überraschen: Bei einer erneuten Buchung über unsere Agentur werden Sie künftig als Stammgast geführt. Dadurch können Sie unsere Mädchen ohne abgedeckte Augenpartie, also so natürlich, wie sie wirklich sind, betrachten. Auswahlentscheidungen sollen Ihnen dadurch noch leichter fallen.
Da uns nicht nur die Sicherheit unserer Kunden, sondern auch die unserer Mädchen am Herzen liegt, bitten wir Sie um Verständnis, dass sich Stella bei uns in der Agentur melden wird, sobald sie am vereinbarten Treffpunkt angekommen ist. Es soll ja ein schöner und sicherer Abend für Sie beide werden. Herzliche Grüße, Miriam Scheitel.«
Genüsslich lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück. Das tödliche Spiel konnte beginnen, es gab kein Zurück mehr. Die Stunden von Stella Backhaus waren gezählt.
Grinsend betrachtete er das kleine schwarze Kästchen, das vor ihm lag. Dieses elektronische Teil in der Größe einer Zigarettenschachtel, das mittig mit einem Kippschalter ausgestattet war, sollte der Schlüssel zum Erfolg seines Vorhabens werden.
Gegen Mittag beschloss er, sich ein gutes fränkisches Schäufele im »Weißen Kreuz« in Altenthann zu genehmigen. Das Wirtshaus im Nürnberger Land wurde bei seinen Gästen nicht nur wegen seiner guten fränkischen Küche, sondern auch wegen der eigenen Metzgerei der Familie Schmidt sehr geschätzt. So manchen Nürnberger Kahlfresser zog es dorthin, um die hervorragende Stadtwurst zu genießen.
Es war dreizehn Uhr sieben, als er seine Zeche bezahlte und gestärkt in sein Fahrzeug stieg. Dann holte er sein Mobiltelefon hervor und wählte Stellas Nummer.
»Dzien dobry, kto powiem mile widziane?«, meldete sich eine weibliche Stimme.
»Oh, ich bitte um Entschuldigung. Ich muss mich verwählt haben«, sagte er rasch und war im Begriff, die Verbindung zu unterbrechen.
»Halt, nein, Sie haben sich nicht verwählt, hier ist Stella, was darf ich für Sie tun?«
»Ich bin verwirrt«, sagte er. »War das Polnisch oder Tschechisch?«
»Polnisch. Als ich die polnische Vorwahl auf dem Display sah, dachte ich, es sei jemand aus meiner ursprünglichen Heimat.«
»Dann kommen Sie, kommst du, aus Polen?«
»Ja, ich bin dort geboren, aber als zweijähriges Mädchen nach Deutschland gezogen. Also, was kann ich für dich tun?«
»Die ›Mitternachtsspitzen‹ haben heute die Buchungsbestätigung erhalten. Für Samstag.«
»Ah, du bist es. Miriam hat mich bereits informiert. Ich freue mich. Gibt es schon ein Programm – oder willst du mich überraschen?«, fragte Stella.
»Ich kann dir versichern, dass es ein unvergesslicher Abend für dich werden wird. Übrigens, dein Profil hat mir außerordentlich gut gefallen,«
»Oh, das freut mich sehr«, sagte Stella geschmeichelt. »Wir werden sicher ein paar schöne Stunden miteinander verbringen. Wir haben ja bis Mitternacht Zeit. Und falls wir den Spaß noch verlängern wollen, habe ich ehrlich gesagt nichts dagegen. Aber davon braucht die Agentur nichts zu wissen, okay? Das bleibt unter uns.« Sie lachte amüsiert. »Siehst du, jetzt haben wir schon ein gemeinsames kleines Geheimnis. Ich freue mich auf dich. Soll ich etwas Besonderes für den Politiker mitbringen oder anziehen?«, fügte sie in aufreizendem Ton hinzu.
»Ich lass mich gern überraschen«, sagte er mit heiserer Stimme. »Aber ein kleiner Hinweis sei mir gegönnt: Ich mag es gern frivol.«
Wie naiv diese Bitch doch ist, dachte er. Die Kröte mit dem Politiker wurde tatsächlich von der Agentur geschluckt. Nun vermutet die Frau sicher, an einen Goldesel geraten zu sein, der zukünftig als ihre unerschöpfliche Geldquelle sprudeln würde.
»Wo wollen wir uns treffen? Oder holst du mich ab?«, riss Stella ihn mit sanfter Stimme aus seinen Gedanken.
Er räusperte sich. »Kommst du direkt aus Nürnberg?«, fragte er.
»Ich habe ein kleines Appartement in Erlenstegen«, erklärte Stella. »Dort empfange ich auch gern Kunden. Vielleicht also demnächst mal bei mir …«
Er überlegte kurz. »Hör zu, ich bin noch in den Vorbereitungen für den Abend. Aber irgendwann einmal bei dir … das wäre keine schlechte Idee.«
»Von der Tiefgarage aus geht es direkt mit dem Aufzug zu mir, man muss also nicht durch das Treppenhaus«, sagte Stella zuckersüß.
»Gut«, erwiderte er. »Ich lasse mich gern in deinen Räumlichkeiten überraschen. Und falls es in deinen Terminkalender passen sollte: Am dritten Advent bin ich wieder zu einem Geschäftsessen in Nürnberg. Wenn du Zeit und Lust hast, halt den Termin doch schon mal fest. Mein Flieger geht erst am Montag darauf. Dann würde ich dich gern die ganze Nacht buchen, Chérie.«
»Warte … der dritte Advent, der 13. Dezember. Da könnten wir uns treffen. Soll ich den Termin für dich blocken?«
»Gern, mein Täubchen, gern.«
Er merkte, wie seine Augenlider zu zucken begannen und die Lust an seinen Lenden heraufwanderte. Er hatte das Vertrauen des Mädchens in kurzer Zeit gewonnen. Nur noch ein paar Stunden würden vergehen, bis er sie in seiner Gewalt hatte …
»Über den genauen Treffpunkt gebe ich dir rechtzeitig Bescheid«, sagte er. Ich freue mich auf dich, Stella. Adieu!«
Kurze Zeit später war er wieder zu Hause angekommen, fuhr seinen PC hoch, klickte erwartungsvoll auf das erweiterte Profil von Stella Backhaus und lehnte sich genüsslich in seinem Bürostuhl zurück. Er betrachtete die Bilderserie, in der das naive Mädchen ihren makellosen Körper in aufreizenden Posen den Kunden präsentierte.
Er spürte, wie seine Erregung allein durch den Gedanken an den gewaltsamen Tod von Stella Backhaus wuchs und sich seine sexuellen Fantasien ins Unermessliche steigerten. Seine Schläfen pochten, seine Atmung wurde tiefer. Schweißabsonderungen seiner Handinnenflächen legten sich auf die Tastatur nieder.
Die Vorstellung, die absolute Macht über dieses Mädchen zu besitzen und den Zeitpunkt ihres Todes nach seinem Geschmack bestimmen zu können, veranlasste ihn, eine rasche Befriedigung seiner sexuellen Lust herbeizuführen. Es dauerte nicht lange, bis ein schwallartiges Zucken seinen erregten Körper durchfuhr.
Gegen Viertel vor zwei hatte er seinen Wagen mit den notwendigen Utensilien für den morgigen Abend beladen und machte sich auf den Weg zu dem Ort, den Stella Backhaus nicht mehr lebendig verlassen würde.
3. Kapitel
Freitag, 20. November 2015, 16.55 UhrHaselnußweg, 90480 Nürnberg
D
ie Obergeschosswohnung mit Dachterrasse und Loggia im Stadtteil Mögeldorf war verkehrsgünstig gelegen. In unmittelbarer Nähe grenzte die Schmausenbuckstraße, von der aus man schnell den Lorenzer Wald erreichte. Im Untergeschoss des Zweifamilienhauses befand sich eine Anwaltskanzlei, die nur werktags für ihre Mandanten geöffnet war. Neben der Kanzlei hatten sich ein HNO- und ein Augenarzt sowie ein Physiotherapeut niedergelassen. Die Praxen waren bereits geschlossen. Das Wochenende hatte begonnen.
Er steckte den Schlüssel in das Zufahrtsschloss zur Tiefgarage und drehte nach rechts. Das Rolltor öffnete sich. Er fuhr abwärts.
Bis auf einen, auf dem ein Wohnmobil stand, waren alle zehn Stellplätze unbesetzt. Er ging davon aus, dass sich niemand mehr in dem Gebäudekomplex aufhielt, und parkte seinen Wagen neben dem Wohnmobil.
Das Rolltor hatte sich hinter ihm geschlossen, die Leuchtstoffröhren erhellten die einzelnen Garagenplätze. Er öffnete den Kofferraum seines Wagens, nahm einen gefüllten Zehn-Liter-Plastikkanister heraus, ging zu dem Camper, entriegelte die Tür, stieg ein und deponierte den Kanister unter dem Tisch im hinteren Wohnbereich. Danach verschloss er das Wohnmobil wieder und ging zurück zu seinem Wagen.
Nach einem erneuten Griff in den Kofferraum schulterte er eine große schwarze Tasche, begab sich in Richtung Aufzug, drückte auf 1 und fuhr in das Obergeschoss.
Oben angekommen, öffnete er die Tür zu seiner Wohnung, betätigte den Lichtschalter und ging ins Wohnzimmer, wo er die schwere Tasche von den Schultern streifte und neben der Schlafzimmertür abstellte. Dann betrat er das Schlafzimmer und begann mit seinen Vorbereitungen.
Es war achtzehn Uhr einundfünfzig, als er die Nürnberger Innenstadt wieder erreichte, ein altes Mobiltelefon einschaltete und folgende SMS an Stella absetzte: »Die Mitternachtsspitzen freuen sich sehr. Deinem Profil habe ich entnommen, dass du gern Sushi und frische Meeresfrüchte isst. Ich habe daher ein paar leckere Spezialitäten für uns geordert. Treffpunkt morgen 19.45 Uhr Flughafen Nürnberg, Zugang ›Terminal 90‹. Ich werde dich ansprechen.«
Freitag, 20. November 2015, 19.04 UhrSteinplattenweg, 90491 Nürnberg-Erlenstegen
Ein grauer Novembertag neigte sich dem Ende. Stella Backhaus döste in der Badewanne vor sich hin und genoss die Entspannung, als ihr Mobiltelefon den Eingang einer Nachricht signalisierte.
Sie richtete sich auf, tastete nach einem Handtuch, trocknete sich rasch die Hände ab und griff nach dem Telefon, das sie auf dem Badewannenrand abgelegt hatte.
Ihr Auftraggeber hatte ihr den morgigen Treffpunkt mitgeteilt. Es war der Zugangsbereich zu einer bekannten In-Diskothek, die sich in den letzten Jahren am Albrecht-Dürer-Flughafen in Nürnberg bei der Ü-30- bis Ü-50-Generation etabliert hatte. Zufrieden lächelnd legte Stella das Mobiltelefon wieder auf dem Badewannenrand ab und ließ sich zurück in den duftenden Schaum sinken.
Sie dachte über Robert Maiwald nach. Stand das sexuelle Abenteuer für ihn womöglich gar nicht an erster Stelle? Wollte er nur jemanden haben, mit dem er sich in der Öffentlichkeit präsentieren konnte? Sein ausdrückliches Verlangen nach Diskretion hatte jedoch eine andere Sprache gesprochen. Oder war er schlicht ein wahrer Kavalier, der Frauen einfach nur verwöhnen wollte?
Es war ihr egal. Sie fand ihn interessant, ja regelrecht charmant. Die Tatsache, dass er sie sogar mit ihren bevorzugten Gaumenfreuden überraschen wollte, freute sie. Ein wahrlicher Verehrer, der die sexuellen Handlungen an ihr nicht als Priorität anzusehen schien.
Voller Vorfreude überlegte sie, wie frivol sie ihren Kunden morgen am »Terminal 90« empfangen würde.
Freitag, 20. November 2015, 22.07 Uhr, irgendwo im Nürnberger Land
Er legte seinen Lieblingsfilm in den DVD-Spieler, schenkte sich einen Single Malt ein und betätigte den Abspielknopf der Fernbedienung.
»Haben die Lämmer aufgehört zu schreien?«1
Er liebte diesen britischen Schauspieler. In Dr. Hannibal Lecter erkannte er sich selbst wieder, seinen Wahn, seine Gier. Es war der unwiderstehliche Drang, mit all seinen sexuellen Fantasien körperlich auf sein Gegenüber einzuwirken, der ihn nach Atem ringen ließ. Allein die Tatsache, dass seine Opfer ihm willenlos ausgesetzt waren, erregte ihn so sehr …
einige Stunden später
Die Temperaturen waren in der Nacht auf fünf Grad unter null gesunken. Tagsüber sollte das Thermometer bis maximal sechs Grad ansteigen. Er saß im Esszimmer, genoss sein Frühstück und studierte die Wochenendausgabe der »Nürnberger Nachrichten«, als sein Telefon klingelte. Er blickte auf das Display und nahm das Gespräch lächelnd an.
»Wenn mich Fleischeslust überkommt und der Drang dabei so weit gesteigert ist, dass ich nicht mehr klar denken kann, dann muss ich Böses tun«, sagte sein Gesprächspartner ohne Begrüßung. »Hilf mir, mein Freund und Vertrauter!«
»Tue es mit ganzer Hingabe und der notwendigen Portion Vorsicht«, erwiderte er. »Denke immer daran, dass es kein Zurück mehr gibt. Denn auch ich werde in wenigen Stunden das finden, was meine Wollust befriedigen wird. Lass uns darüber reden, wenn alles vorbei ist. Ich bin gespannt. Sei stark zu dir selbst, genieße jeden Moment deiner Erfüllung. Ich melde mich bei dir.«
4. Kapitel
Samstag, 21. November 2015, gegen 19.30 Uhr, U2 Richtung Flughafen Nürnberg
S
tella öffnete ihre Handtasche, holte ihr Mobiltelefon hervor und wählte die Nummer ihrer Mutter. Verschwiegenheit gegenüber Kunden war in Stella Backhaus’ Gewerbe ganz oben angesiedelt. Dennoch ließ sie es sich nicht nehmen, ihre Mutter über ihr bevorstehendes Date mit einem charmanten Politiker zu informieren.
Gegen neunzehn Uhr vierzig erreichte die U2 den Airport Nürnberg. Stella Backhaus war pünktlich und für das Event entsprechend gestylt. Ihre brünetten Haare hatte sie hochgesteckt, ihre Lippen und ihre Fingernägel waren in Blutrot gehalten. Sie öffnete kurz ihre schwarze Handtasche, holte einen kleinen Spiegel und einen Lippenstift heraus und zog die Konturen ihrer Lippen nach.
Unter dem kurzen braunen Nerzcape waren ihre makellosen Beine erkennbar, die sie in dunklen Nahtstrümpfen und mit hochhackigen Lackschuhen gekonnt zur Schau stellte. Schnellen Schrittes begab sie sich in Richtung Eingangshalle.
Wie aus dem Nichts tauchte ein Mann vor ihr auf und hielt ihr eine schwarze Rose entgegen.
»Hallo Stella, du bist ja überpünktlich, ich bin Robert von den Mitternachtsspitzen«, sagte er und begrüßte sie mit einem Küsschen auf jeder Wange.
»Oh, là, là, danke, ein Kavalier der alten Schule. Wie geheimnisvoll«, sagte sie und nahm lachend die Rose entgegen. »Wohin wollen wir gehen? Ich bin für alles offen. Du hast Vorrang. Was dir gefällt, gefällt auch mir.« Lässig öffnete sie ihr Pelzcape ein wenig und genoss seinen neugierigen Blick.
Ihr ultrakurzer schwarzer Lederrock wurde zu gut einem Drittel von einem breiten dunkelroten Ledergürtel verdeckt. Darüber trug Stella eine schwarzrote Lederkorsage, die ihre beachtliche Oberweite zur Geltung brachte. Das dezente Lederhalsband mit einem angenieteten Ring, an dem eine Leine hing, ließ erkennen, dass sie es gern devot mochte.
»Genau mein Geschmack«, sagte er und leckte sich gierig über die Lippen. »Dein Profil hat mich vom ersten Augenblick an begeistert. Der Punkt ist der: Ich hatte die ganze Woche viele Besprechungen und jede Menge Deppen um mich herum. Deshalb möchte ich einen ruhigen Abend mit dir verbringen, reden, kuscheln und ein wenig, naja, du weißt schon. Ich habe einen guten Partydienst engagiert, der uns mit Köstlichkeiten verwöhnen wird. Lass uns zu meinem Wagen gehen. Er steht ein paar Schritte entfernt, hier war alles belegt.«
»Dann lass uns gehen. Möchtest du mich an die Leine nehmen?«, fragte Stella und hielt ihm lasziv das Lederband hin.
Er gab sich verlegen. »Lieber nicht hier in der Öffentlichkeit«, sagte er und küsste sie auf die Wange.
Unbemerkt griff er in seine linke Manteltasche, ertastete das kleine Kästchen und legte dessen Kippschalter um. Es war ein Handy-Blocker, ein sogenannter Jammer,2 der jegliche Mobilfunknetze im Umkreis von zwanzig Metern störte. Durch die Aktivierung des Geräts verhinderte er, dass Stella ihre Agentur über ihren Aufenthaltsort in Kenntnis setzen konnte.
Gegen zwanzig Uhr verließen sie den Parkplatz und fuhren in Richtung Ziegelstein los.
»Was für eine wunderschöne Stadt«, sagte Stella, nachdem sie eine Weile aus dem Beifahrerfenster geschaut hatte. »Alles ist so wundervoll für das Weihnachtsfest geschmückt. Ich freu mich schon auf die Bescherung. Schon als kleines Kind war Weihnachten immer etwas ganz Besonderes für mich.«
Wie naiv die Bitch doch ist, dachte er, während er Interesse heuchelte, indem er seinen Blick kurz über die festlich beleuchteten Straßenzüge der alten Reichsstadt schweifen ließ.
Stella zog an der Lederleine an ihrem Hals, nahm seine rechte Hand langsam vom Lenkrad und legte das Ende der Leine hinein. »Und wohin entführt mich mein Herr?«
»Hab noch ein wenig Geduld, wir sind gleich da. Dein Spiel gefällt mir, Stella. Wolltest du dich nicht bei der Agentur melden?« Er legte seine rechte Hand zurück auf das Lenkrad, ohne die Leine loszulassen. Mit der linken Hand griff er in seine Manteltasche, holte eine der blauen Pillen hervor und ließ sie unauffällig in seinem Mund verschwinden.
Stella nahm das Mobiltelefon aus ihrer Handtasche. »Wie lautet die Adresse?«, fragte sie.
»Haselnußweg 37b.«
Stella drückte eine Kurzwahlnummer, um gleich darauf festzustellen, dass sie kein Netz hatte. »Mist, kein Empfang, vermutlich ein Funkloch.«
Auch ein weiterer Versuch blieb erfolglos. Es gelang ihr nicht, eine Verbindung aufzubauen.
»Probier es mal mit meinem Handy, vielleicht klappt es ja damit«, sagte er gönnerhaft, reichte ihr sein Mobiltelefon und beobachtete sie aus dem Augenwinkel.
»So ein verdammter Mist«, fluchte Stella. »Das Netz scheint gestört zu sein. Du hast auch keinen Empfang.«
»Was machen wir jetzt? Wir sollten die Agenturvorschriften in jedem Fall einhalten«, erwiderte er scheinheilig. »Vielleicht blasen wir das Treffen lieber ab. Ich kann dich gern nach Hause fahren und mir das Geld zurückerstatten lassen.«
»Ach was, wir sollten uns den Abend nicht durch irgendwelche Sicherheitsvorschriften verderben lassen.« Sie legte sein Mobiltelefon in die Ablage am Armaturenbrett. »Ich mag keine Enttäuschungen bei Kunden. Dann gibt es halt mal keine Rückmeldung bei der Agentur. Es ist ja noch nie etwas passiert, warum auch, unsere Kunden sind alle im System der Agentur erfasst.«
Er hatte erreicht, was er wollte. Stellas Vertrauen hatte er gewonnen. Sie schien sich sicher zu sein, einen schönen Abend mit einem großzügigen Kunden verbringen zu dürfen. Gemeinsam würde man Spaß haben und den Lustgewinn teilen. Er war zufrieden mit sich.
»Einverstanden«, sagte er.
»Dann lass uns Spaß haben an diesem düsteren Novemberabend.« Stella legte ihre linke Hand auf seinen rechten Oberschenkel. Ihre Finger wanderten weiter bis zum Reißverschluss seiner Anzughose.
Er ließ sie unverkennbar spüren, dass auch er den Abend nicht frühzeitig beenden wollte. Im Gegenteil, sie reizte ihn. Das Spiel, sein Spiel, konnte beginnen.
Die Situation auskostend, verkürzte er die Länge der Leine durch Drehbewegungen seines rechten Handgelenks, sodass Stella gezwungen war, ihren Kopf nach unten zu bewegen – bis dorthin, wo sie inzwischen seine Hose geöffnet hatte …
Samstag, 21. November 2015, 20.16 Uhr, Haselnußweg, 90480 Nürnberg
Er fuhr die Tiefgarage hinab und parkte seinen Wagen neben dem Wohnmobil.
»Wohnst du allein hier?«, fragte Stella.
»Jein. Meiner Schwester …«, er deutete auf das Orientierungsschild links vom Aufzug, wo die Arztpraxen und die Anwaltskanzlei aufgeführt waren, »… gehört das Anwesen, sie ist praktizierende Augenärztin und stellt mir ab und an ihr Appartement zur Verfügung. Wenn man im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, braucht man auch mal einen Rückzugsort, du verstehst?«
Nachdem sie das Fahrzeug verlassen hatten und Stella wieder neben ihm stand, griff er erneut zur Lederleine und dirigierte Stella zum Aufzug.
»Und genau hier beginnen wir nun unser Spiel«, sagte er und betätigte lächelnd den Rufknopf des Aufzugs.
5. Kapitel
Samstag, 21. November 2015, 10.50 Uhr, METRO-Parkplatz, Bucher Hauptstraße, 90427 Nürnberg-Buch
D
as düstere Novemberwochenende war so, wie es die regionalen Radiosender schon am Mittwoch angekündigt hatten, eingetroffen. Nieselregen, Graupelschauer, Schnee und eine unangenehme Kälte legten sich über die Frankenmetropole.
Für Schorsch Bachmeyer von der Nürnberger Kripo und seine Freundin Rosanne war deshalb ein Kuschelwochenende angesagt. Mit Kaminfeuer, einem leckeren Essen, einer Saunanacht bei Andreas in ihrer Stammsauna, der »Fürthermare«, viel Lesestoff und natürlich Zeit, sich gegenseitig zu verwöhnen.
Schorsch hatte sich auch schon das passende Rezept für Rosanne parat gelegt: Eines seiner Lieblingsgerichte waren geschmorte Ochsenbäckchen auf einer Barolosauce mit Omas fränkischen Kartoffelklößen, als Beilage Sahnewirsing. Als Nachspeise wollte er seine Siemensianerin mit einem Geheimrezept verzaubern, das er von seinem Freund Leo erhalten hatte: Crème brulée à la papà.
Im METRO-Großmarkt in Nürnberg-Buch, der mit seiner großen und vielfältigen Auswahl alles bot, was sie für dieses Wochenende brauchten, kauften sie die notwendigen Zutaten ein.
Schorsch schob den vollen Einkaufswagen in Richtung Parkplatz, wo er seinen alten Strich-Acht-Mercedes geparkt hatte. Rosanne ging neben ihm her. Schon von Weitem bemerkten sie einen adipösen Mann mit südländischem Aussehen, der eine kleine Visitenkarte in das Fenstergummi auf der Fahrerseite des Mercedes klemmte.
»Was soll das. Finger weg von meinem Auto!«, rief Schorsch und näherte sich schnellen Schrittes seinem Wagen.
»Hey, ruhig, ruhig, was ist letzte Preis?«, fragte der Fettleibige, machte eine beschwichtigende Handbewegung und deutete lachend auf das Fahrzeug.
Schorsch entfernte die Visitenkarte des Autohändlers. »Das ist ein Oldtimer, der steht nicht zum Verkauf«, sagte er aufgebracht. »Scheren Sie sich zum Teufel!«
»Warum so aggressiv, mein Freund? Sag einfach, was letzte Preis. Ich suche seit Jahren genau eine solche Auto für einen arabischen Autosammler, der Wagen geht nach Algier. Der bezahlt einen super Preis, also, was ist letzte Preis, mein Freund?«
Schorsch sah den Fettleibigen kalt an, der offensichtlich nicht verstanden hatte, dass er seinen über Jahre hinweg selbst restaurierten Strich-Acht nicht verkaufen wollte. Zu viel Zeit hatte er in die Aufbereitung investiert. Der Wagen hatte eine lange Geschichte. Er hatte etwas zu erzählen, hatte eine Vergangenheit, die Schorsch durchaus auch Tränen bereitet hatte. Er hing an dem Wagen.
»Mein Freund, was guckst du? Bin ich Kino? Ey, was los, verkauf mir Auto. Ich will es haben, zahle gute Preis«, insistierte der Autohändler und gestikulierte drohend mit seiner rechten Hand. Er hatte sich direkt vor der Fahrertür des Strich-Acht aufgebaut, sodass er Schorsch den Zugang zu seinem Wagen versperrte.
»Ich sage es noch ein einziges Mal: Weg von meinem Auto, es ist unverkäuflich, aus, basta!« Energisch schob Schorsch den Mann zur Seite, um an die Fahrertür zu gelangen.
»Was ist los, du Arsch!«, brüllte der Autohändler und schubste Schorsch gegen die Karosserie. »Ich will nur dein Auto kaufen, warum greifst du mich an, ey!«
Rosanne, die in sicherer Entfernung stehen geblieben war und gemeinsam mit anderen METRO-Kunden beobachtete, wie die Situation zu eskalieren drohte, verständigte daraufhin mit ihrem Mobiltelefon die Polizei.
Plötzlich tauchte zwischen den geparkten Fahrzeugen ein weiterer Mann mit südländischem Aussehen auf, der deutlich jünger als der Fettleibige war. Auch er hatte einen Stapel Visitenkarten in der Hand.
»Hey, Alder, was willst du mit alter Karre?«, sagte er an Schorsch gewandt. »Ischwör, wenn mein Vater das Auto möchte, dann bekommt er es auch.« Wie um seine Drohung zu untermauern, trat er brutal gegen den Seitenspiegel des Strich-Acht, der dadurch zu Bruch ging. »Sag endlich letzte Preis!« Dann schlug er ohne Vorwarnung mit der flachen Hand gegen Schorsch’ rechte Schulter, der überrascht registrierte, welches Aggressionspotenzial von den beiden ausging.
»Wir bekommen immer, was wir wollen, glaub mir!«, sagte nun auch der Fettleibige und wandte sich an seinen Sohn. »Abdul, hör auf, lass dich nicht von dem alten Mann provozieren, wir gehen.«
Mehrere Gaffer hatten sich in unmittelbarer Nähe versammelt und beobachteten verunsichert die Situation. Einer von ihnen löste sich schließlich aus der Menge und eilte Schorsch zur Seite.
»Hey, was soll das, sucht ihr Streit? Geht nach Hause!«, rief er mit einer drohenden Geste in Richtung der beiden Männer.
Schorsch eilte den beiden nach, stellte sich vor sie, zog seinen Dienstausweis und hielt ihn den Männern unter die Nase.
»Kriminalpolizei Nürnberg, Ihre Personalien«, sagte er auffordernd.
Die Autohändler ließen sich davon nicht beeindrucken.
»Du Hurensohn, bist du Bulle«, sagte der Jüngere und spuckte Schorsch verächtlich vor die Füße. »Dass ich nicht lache, so einen Witz habe ich noch nicht gehört. Ein Bulle mit einem Strich-Acht. Willst du Kartoffelfresse eine aufs Maul?«
In diesem Moment traf ein Streifenwagen ein. Rosanne und weitere Beobachter gaben der Streife gestikulierend zu verstehen, dass Hilfe benötigt wurde.
Zwei junge Polizistinnen stiegen aus und eilten in Richtung der Männer.
Schorsch gab sich als Kollege zu erkennen. Gerade als er ihnen die Situation erklären wollte, schrie der jüngere Autohändler großmaulig: »Hey, was wollt ihr Pussys denn hier? Verschwindet, lasst uns Männer in Ruhe unsere Geschäfte machen! Haut ab, verschwindet von hier!«
Doch beim Anblick des couragierten Zuschauerpulks, der sich hinter den Polizistinnen versammelt hatte, besannen sich die beiden eines Besseren. Auf ein Zeichen des Jüngeren drehten sie sich um und liefen zu ihrem Fahrzeug.
Schorsch eilte ihnen, gefolgt von den beiden Kolleginnen nach. »Bleiben Sie stehen!«, rief er.
Unbeirrt bestiegen die Männer ihr Fahrzeug.
In diesem Augenblick traf Verstärkung ein. Es war die Polizeistreife Pegnitz 11/8, die die Flucht der Autohändler verhinderte, indem sie die Ausfahrt des METRO-Parkplatzes mit dem Einsatzfahrzeug blockierte und die Männer unmissverständlich zum Verlassen ihres Fahrzeuges aufforderte.
Die darauffolgende Personenüberprüfung mittels einer Abfrage in der Einwohnermeldedatenbank EMA sowie im Informationssystem der deutschen Polizei, genannt INPOL, ergab, dass die Männer polizeilich in Fürth gemeldet waren.
Bei dem Fettleibigen handelte es sich um Ismail El Gadouchi, geboren am 01. Januar 1962 in Tuggurt/Algerien, wohnhaft in der Leyher Straße x7a in Fürth. Der Jüngere war sein Sohn Abdul El Gadouchi, geboren am 29. September 1984 in Tuggurt/Algerien. Auch er war in der Leyher Straße in Fürth gemeldet.
Gegen Ismail El Gadouchi lag ein Eintrag wegen Urkundenfälschung (§267 StGB), räuberischer Erpressung (§255 StGB) und Verleumdung (§187 StGB) vor, was eine erkennungsdienstliche Behandlung der Kriminalpolizei Fürth nach sich zog.
Auch Abdul El Gadouchi war kein unbeschriebenes Blatt. Er war bereits wegen Körperverletzung in Tateinheit mit § 250 StGB – schwerer Raub – erkennungsdienstlich behandelt worden. Zudem spuckte die Datenbank zwei Haftlisteneinträge der Justizvollzugsanstalt Nürnberg aus. Abdul El Gadouchi hatte sich dort vom 06. Februar 2011 bis zum 09. August 2011 in Untersuchungshaft befunden und vom 10. August 2011 bis zum 01. September 2014 seine Strafhaft verbüßt.
Als er das Ergebnis der INPOL-Abfrage erfuhr, bat Schorsch die Kollegen, Strafanzeige wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung sowie Beleidigung aufzunehmen. Zugleich wurden von einigen der couragierten METRO-Kunden die Personalien für eine Zeugenbefragung aufgenommen.
Der Samstagvormittag war für Rosanne und Schorsch gelaufen. Schorsch packte den abgeschlagenen Seitenspiegel und die Einkäufe in den Kofferraum, dann fuhren sie zur Vernehmung mit den Kollegen zur Dienststelle.
Samstag, 21. November 2015, 20.21 Uhr, Haselnußweg, 90480 Nürnberg
»Ich mag es, wenn mir Frauen gehorchen«, flüsterte er, drückte den Notschalter des Aufzugs, sodass dieser zum Stillstand kam, und dirigierte Stellas Kopf mit der Leine nach unten.
Sie wusste, was er von ihr erwartete, blickte kurz nach oben und lächelte ihn an, während sie nach seinem Phallus griff.
»Es ist nicht immer von Nachteil, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht«, sagte er atemlos.
Nach einer Weile betätigte er den Notschalter erneut und der Aufzug setzte sich wieder in Bewegung.
»Oben ist es bequemer, mein Täubchen, ich werde dir etwas zeigen und dich etwas lehren, bevor wir mit den Köstlichkeiten beginnen. Pack ihn wieder ein.«
Stella gehorchte und erhob sich. Sie glaubte, sein Spiel durchschaut zu haben, und ahnte, welche Vorlieben er hatte. Sie löste sich von der Vorstellung, er könne mit ihr in eine Disco gehen oder sie mit leckerem Sushi und Cocktails verwöhnen. Vielleicht wartete ja eine ganz andere Überraschung in seinem Appartement.
»Und was machen wir in deiner Wohnung?«, hauchte sie. »Was willst du von mir? Sag es mir, ich will es hören.«
Ihre verruchte Stimme reizte ihn. Energisch zog er die Leine fest zu sich, hob Stellas Kopf an und küsste sie.
»Ich freue mich auf dich, du kleine Bitch, denn du verzauberst mich«, flüsterte er. »Ich will dich voll auskosten, verstehst du? Ich will Spaß haben.« Seine Hände fassten unter ihren kurzen Lederrock.
Auch Stella war offensichtlich erregt. Ihre rechte Hand glitt nach unten, umklammerte seine Hand und führte sie zu ihrem Mund. Geschickt nahm sie seinen Finger und leckte ihn genüsslich ab.
In diesem Moment öffnete sich die Aufzugtür.
Samstag, 21. November 2015, 13.42 Uhr, Pilotystraße, Nürnberg
Die Zeugenvernehmungen bei der Polizeiinspektion Mitte hatten sich lange hingezogen. Zudem hatten die beiden Beschuldigten von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Straftäter, die als Wiederholungstäter auftraten, wurden meistens von ihrem Strafverteidiger gebrieft, nach dem Motto »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«. So auch die beiden El Gadouchis. Sie waren lediglich zu ihren Pflichtangaben bereit gewesen.
Als Schorsch und Rosanne endlich in seiner Wohnung angekommen waren, zog sich Schorsch stinksauer in sein Arbeitszimmer zurück und polierte den Chrom seines abgeschlagenen Außenspiegels.
Rosanne versuchte, ihn zu beruhigen. »Hör zu, das Wochenende ist zwar ein wenig aus dem Ruder gelaufen, aber wir lassen es uns von den beiden Deppen nicht vollkommen verderben. Der Schaden am Mercedes ist reparabel, und die Zeugen haben doch einhellig das aggressive Vorgehen der Typen bestätigt. Die kriegen schon ihr Fett weg, du wirst sehen.« Sie umarmte Schorsch zärtlich und streichelte seine rechte Schläfenpartie. »Komm in die Küche, die Ochsenbäckchen warten.«
Samstag, 21. November 2015, 15.02 Uhr, Leyher Straße, 90763 Fürth
Ismail und Abdul El Gadouchi saßen bei einem Glas Tee und dachten über die vergangenen Stunden nach.
»Dieser verdammte Kāfir könnte uns Schwierigkeiten machen«, sagte Abdul.
»Du hast recht, mein Sohn, aber ich wollte den alten Strich-Acht unbedingt«, erwiderte sein Vater Ismail. »Ich habe einen Käufer in Algier, der bezahlt uns richtig Geld dafür. Seit Jahren sucht er einen weißen Strich-Acht mit Lederausstattung. Inschallah, mein Sohn, heute habe ich ihn gefunden!« Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer.
»Zentralruf der Autoversicherer, Sie sprechen mit Frau Specht, wie kann ich Ihnen helfen?«, sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Guten Tag, Frau Specht, mein Name ist Osmann, Gerd Osmann, ich bin Autohändler in Fürth. Ich habe ein Problem. Heute Nachmittag hatte ich einen Kunden, der großes Interesse an einem Fahrzeug hatte. Naja, es ist ein kleines Malheur passiert, bei dem ich eigentlich nicht die Polizei einschalten wollte, verstehen Sie?«
»Um was geht es konkret, Herr Osmann?«
»Der Kunde ist an einem meiner Oldtimer interessiert, er fährt selbst einen weißen Mercedes Oldtimer, es müsste ein alter Strich-Acht sein. Beim Rückwärtsfahren mit seinem Mercedes hat er mit seiner Stoßstange einen Pkw beschädigt und dies vermutlich nicht bemerkt. Jedenfalls ist er weitergefahren. Wissen Sie, ich möchte den Kunden auf keinen Fall verlieren, da er zudem großes Interesse an einer alten Corvette zeigte. Wenn ich den Schaden der Polizei melde, bekommt er Probleme. Das möchte ich möglichst vermeiden, wenn Sie verstehen. Lieber würde ich ihn persönlich kontaktieren.«
»Wir dürfen leider keine Personalien von Fahrzeughaltern herausgeben, der Datenschutz spricht dagegen«, sagte Specht.
»Gute Frau, ich kenne doch sogar den Namen des Halters, ich habe das Kennzeichen, was wollen Sie mehr?« Ismail hatte seine Stimme ein wenig erhoben. »Ich benötige lediglich die Anschrift des Versicherungsnehmers, damit ich ihn kontaktieren kann. Ich möchte ihm doch keine Schwierigkeiten mit der Polizei bereiten.«
»Das kann ich gut verstehen … Es ist nur so … Der Name des Fahrers ist Ihnen zwar bekannt, aber das sagt noch lange nichts über den tatsächlichen Halter des Fahrzeugs aus.«
Ismail wurde ungeduldig. »Doch, gute Frau, er hat ja gesagt, dass er eventuell seinen Oldtimer zum Kauf der Corvette drangeben möchte.«
»Okay, dann kommen wir der Sache schon näher«, sagte Specht. »Der Mann ist also der ursprüngliche Halter und zugleich der Schadensverursacher. Habe ich das richtig verstanden?«
»Exakt, exakt. Sein Name ist Georg Bachmeyer, das Kennzeichen lautet N-NN 59 H.«
Im Hintergrund war das Tippen auf einer Tastatur zu hören. »Ein weißer Mercedes W 115?«, fragte Specht.
»Exakt.«
»In der Tat haben Sie den richtigen Halter genannt, der Wagen ist auf einen Georg Bachmeyer zugelassen, wohnhaft in Nürnberg, Pilotystraße.«
»Besten Dank, Frau Specht«, entgegnete Ismail zufrieden. »Sie haben mir sehr geholfen und einen potenziellen Käufer vor möglichen Unannehmlichkeiten bewahrt. Ihnen noch einen schönen Samstag.«
Zufrieden lächelte er seinem Sohn zu, der neben ihm stand und das Gespräch gespannt mitverfolgt hatte. Abdul El Gadouchi war von der Vorgehensweise seines Vaters sichtlich beeindruckt und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
6. Kapitel
Samstag, 21. November 2015, 21.07 Uhr, Haselnußweg, 90480 Nürnberg
E
r hatte sie genau dort, wo er sie haben wollte. Stella Backhaus hielt, was ihr Profil versprach. Nachdem sie ihre Nasenlöcher mit einer Linie Kokain versorgt hatte, ließ sie sich ganz auf ihn ein. Die geforderten Spielchen, der Dirty Talk, die Unterwürfigkeit, all das gehörte zu ihrem Repertoire.
Stella lag nackt auf dem breiten Metallbett, ihr rechter Arm ragte über ihren Kopf. Er war auf der Stirnseite des Bettes mit einer Lederfessel fixiert. Ihr linkes Bein war mit einem Ledergurt so am unteren Ende des Bettes angebunden, dass noch etwas Bewegungsfreiheit gegeben war. Lediglich die linke Hand des Mädchens war frei und konnte die Anweisungen zu seiner Lustbefriedigung befolgen.
Er schnaufte schwer, seine Erregung und der unersättliche Drang, die absolute Herrschaft über diese Hure zu erhalten, lösten nicht nur stoßartiges Atmen bei ihm aus. Unter der schwarzen Ledermaske bildete sich zudem Schweiß, der sich einen Weg zu seiner Brust und Halspartie bahnte. Seine grünen Augen stachen gierig hervor, sein Mund war weit aufgerissen. Er keuchte heftig, das Atmen unter der eng anliegenden Maske fiel ihm schwer.
Stella Backhaus hatte noch immer nicht begriffen, in welch misslicher Lage sie sich befand.
»Ist das alles, was du kannst? Los, zeig es mir, bestrafe mich. Ich liebe die etwas härtere Tour. Mach weiter«, feuerte sie ihn ahnungslos an und steigerte somit seine unbändige Gier.
Von nun an gab es kein Zurück. Etwas in ihm übernahm die Führung. Stellas Aufforderung nach einer härteren Gangart nachkommend, legte er seine linke Hand an ihre Kehle und drückte langsam, aber stetig zu. Dabei fixierte er ihre linke Hand, die verzweifelt versuchte, die angebundene Hand aus den Fesseln zu lösen. Vergebens.
Erst jetzt realisierte Stella, die nur noch gurgelnde Laute von sich geben konnte, mit weit aufgerissenen Augen, dass sich das, was eingangs als gegenseitiges Spiel begonnen hatte, in einen Kampf um Leben und Tod verwandelt hatte. Panisch schlug sie mit ihrer freien Hand auf ihn ein.
Blitzschnell griff er nach der zweiten Handfessel und fixierte auch den rechten Arm seines Opfers. Anschließend griff er unter das Bett, holte einen ledernen Mundknebel hervor, der mittig mit einer roten Kugel ausgestattet war, zog beide Enden des Knebels fest auseinander und fasste grob nach Stellas Kinn.
»Das gehört zu deinem Endspiel, Miststück«, sagte er mit tief keuchender Stimme. Dann griff er in Stellas Handtasche, holte das Mobiltelefon heraus und schaltete es endgültig ab. Er deaktivierte den Störsender, um sicherzugehen, dass kein Nachbar der gegenüberliegenden Häuserzeile den Störungsdienst verständigte.
Die Todessession der »Mitternachtsspitzen« hatte begonnen. Das Spiel war aus.
Samstag, 21. November 2015, 21.15 Uhr, Agentur Call-an-Escort, Neumarkt
Miriam Scheitel drückte erneut die Wahlwiederholung ihres Mobiltelefons.
»Dieser Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar.«
Bereits vor über einer Stunde hätte sich Stella Backhaus bei ihr melden und den genauen Treffpunkt mit ihrem Kunden angeben sollen. Stella war bisher immer verlässlich gewesen, hatte stets vereinbarungsgemäß ihren Aufenthaltsort durchgegeben. Heute jedoch blieb ihr Anruf aus.
Unruhig klickte Miriam Scheitel auf die letzte E-Mail des Kunden mit dem merkwürdigen Kennwort »Mitternachtsspitzen« und las zum wiederholten Mal ihre handschriftlichen Notizen über den Kunden durch. Ihre anfänglichen Bedenken in Bezug auf Stellas Auftraggeber verdrängte sie rasch wieder. Ein Politiker, der absolute Diskretion forderte, konnte nichts Böses im Schilde führen.
Unsicher legte Miriam Scheitel das Mobiltelefon zur Seite.
Samstag, 21. November 2015, 21.47 Uhr, Haselnußweg, 90480 Nürnberg
»Schau mal, was ich für dich gefunden habe. Ein besonderes Spielzeug. Es wird dir gefallen.« Er griff erneut zur Schatulle und holte ein eigenartiges Werkzeug hervor. Es sah aus wie ein kleiner Teigausschneider, den man beim Plätzchenbacken verwendete. Oder wie das Werkzeug eines Schneiders, um ein Schnittmuster auf einen Stoff zu übertragen. Ein kleines silbernes Rädchen mit vielen scharfen Spitzen, das mit einem Handlauf bewegt wurde. Ein Wartenbergrad …
Die Angst in Stellas Gesicht brachte ihn zum Grinsen. Sie lag vollständig fixiert vor ihm. Der Knebel verhinderte jeglichen Ton aus ihrem Mund, nur seine Stimme kam jetzt zum Tragen.
Panisch drückte sie sich nach unten, versuchte, ihren bis dahin makellosen Körper in die Matratze zu pressen, soweit ihre fixierten Extremitäten es zuließen.
»›Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.‹ 2. Buch Mose 22, 17«, sagte er grinsend. »Was bleibt, ist dieses Andenken.«
Langsam setzte er das Wartenbergrad in Bewegung …
kurze Zeit später
Um zweiundzwanzig Uhr siebenunddreißig legte er das Mädchen nackt in einen Leichenbergesack, einen sogenannten Body Bag, streifte ihr ihren markanten goldenen Ring vom Finger und zog den Reißverschluss zu. Dann öffnete er die Wohnungstür und checkte die Lage im Treppenhaus.
Es war stockdunkel, niemand war zu sehen. Auch der Außenbereich der Anlage lag in völliger Dunkelheit. Er lief in die Tiefgarage und blockierte den Öffnungsmechanismus des Rolltores.
Kurze Zeit später legte er den geschulterten Transportsack auf dem Boden des Wohnmobils ab. Dann öffnete er den Sack.
Stella lag vor ihm und sah aus, als sei sie in einen sanften Schlaf gefallen – ihre Mund- und Augenpartie wirkten entspannt und strahlten eine innige Ruhe aus.
Es war vollbracht, seine Zauberin hatte ihre Augen für immer verschlossen.
Zufrieden grinsend wischte er sich den Schweiß von der Stirn, öffnete den Unterschrank des Wohnmobils und holte eine Atemschutzmaske hervor, die er über seinen Kopf zog. Anschließend öffnete er den zuvor deponierten Plastikkanister, schüttete die Flüssigkeit über sein Opfer, öffnete eine Flasche Abflussreiniger, die er bereits auf der Küchenablage des Campers platziert hatte, und übergoss damit ebenfalls den Körper des Mädchens.
Die chemische Reaktion des dreizehnprozentigen Chlorreinigers mit dem Abflussreiniger setzte sofort ein. Die Oberfläche der Haut des Mädchens schäumte und ein schwachgrünes Gas entfaltete sich.
Blitzschnell zog er den Reißverschluss nach oben und verschloss den laugen- und säurebeständigen Leichensack, der die giftigen Dämpfe der chemischen Substanzen in sich geschlossen hielt, sodass sie noch konzentrierter wirken konnten. Dann öffnete er den Bettunterbau des Wohnmobils, holte eine Steppdecke hervor und deckte den Transportsack ab, von dem bereits eine spürbare Wärme ausging.
Langsam ging er zur Tür, drehte sich nochmals um und beäugte die Umrisse der Steppdecke.
Er hatte erreicht, was er wollte. Er seufzte tief, eine innere Befriedigung setzte ein.
Niemand hatte etwas mitbekommen. Dennoch war sein Vorhaben noch nicht beendet. Zwei wesentliche Punkte in seiner minutiös geplanten Ablaufkette fehlten noch.
Er drehte den Schlüssel der Campertür nach links, zog ihn ab und steckte ihn ein. Dann öffnete er das Tor der Tiefgarage, blickte minutenlang starr in den Himmel, dessen Firmament vom hochstehenden Vollmond hell erleuchtet war, und betrachtete die funkelnden Sterne.
Seine Nacht war noch nicht zu Ende und seine Wachsamkeit durfte ihn jetzt nicht im Stich lassen …
Sonntag, 22. November 2015, 03.21 Uhr, Steinplattenweg, 90491 Nürnberg-Erlenstegen
Es war ruhig im Steinplattenweg, die Bewohner der umliegenden Häuser befanden sich vermutlich in der zweiten Tiefschlafphase, denn in keinem der Nachbarhäuser brannte Licht. Lediglich mancher Balkon oder Zugangsbereich war bereits mit weihnachtlichen Lichterketten geschmückt.
Er parkte seinen Wagen etwas abseits, checkte nochmals die Wohnanschrift auf dem Personalausweis seines Opfers, stieg aus und stellte sich vor den Kofferraum.
Während er seine Handschuhe überzog, beobachtete er nochmals das Umfeld. In dieser Gegend gab es mehrere Wohnungen, die in einer kleinen Wohnanlage zusammengefasst waren und durchaus Charme ausstrahlten, anders als der große anonyme Gebäudekomplex in der Hainstraße, wo er vor einiger Zeit Patricia Rauch, eine hübsche Nürnberger Edelhure, von ihrem Gewerbe erlöst hatte. Hier in Erlenstegen pflegte man noch Wohnkultur, es galt als eine der schönsten Wohngegenden im Osten Nürnbergs.
Entschlossen öffnete er den Kofferraum seines Wagens, schulterte die schwarze Sporttasche, verschloss das Fahrzeug wieder und begab sich zum Eingang der Hausnummer 177c. Aus seiner Manteltasche holte er das Schlüsselmäppchen von Stella Backhaus hervor. Es waren nur zwei Schlüssel, ein Briefkastenschlüssel und ein Sicherheitsschlüssel für die installierte Schließanlage. Er nahm eine Minitaschenlampe aus seiner Hosentasche und knipste sie an. Das Klingelschild verriet ihm, dass Stella die Wohnung im ersten Stock bewohnt hatte.
Vorsichtig steckte er den Schlüssel ins Schloss, öffnete möglichst leise die Tür und nahm schnellen Schrittes die Treppenstufen zur ersten Etage. Das Risiko, in dem durch Bewegungsmelder erleuchteten Hausflur entdeckt zu werden, ließ das Blut in seinen Adern pulsieren.
Die Etage bestand aus drei Wohnungen: einer mittig gelegenen, deren Zugangsbereich direkt am Treppenende begann, und jeweils einer weiteren links und rechts. Es war die mittlere Wohnungstür, an der das Namensschild »K. Dudek« angebracht war.
Lautlos öffnete er die Tür. Dunkelheit empfing ihn. Er leuchtete die fremde Umgebung ab, stellte behutsam seine Tasche in der Diele ab und inspizierte langsam jedes Zimmer.