Iphigenie auf Tauris - Johann Wolfgang Goethe - E-Book
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Iphigenie auf Tauris E-Book

Johann Wolfgang Goethe

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Beschreibung

Orest, zum Menschenopfer für die Göttin Diana verurteilt, will fliehen. Die radikale Offenheit Iphigenies veranlasst den Barbarenkönig Thoas aber zur Milde. Eine »verteufelt humane« Bearbeitung des antiken Mythos, so Goethe selbst. Klassenlektüre und Textarbeit einfach gemacht: Die Reihe »Reclam XL – Text und Kontext« erfüllt alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts: * Schwierige Wörter werden am Fuß jeder Seite erklärt, ausführlichere Wort- und Sacherläuterungen stehen im Anhang. * Ein Materialienteil mit Text- und Bilddokumenten erleichtert die Einordnung und Deutung des Werkes im Unterricht. * Natürlich passen auch weiterhin alle Lektüreschlüssel, Erläuterungsbände und Interpretationen dazu! E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Johann Wolfgang Goethe

Iphigenie auf Tauris

Ein Schauspiel

Herausgegeben von Max Kämper

Reclam

Der Text dieser Ausgabe ist seitengleich mit der Ausgabe der Universal-Bibliothek Nr. 83. Er wurde auf der Grundlage der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln orthographisch behutsam modernisiert.

 

2013, 2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

E-Book-Konvertierung: pagina GmbH, Tübingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-15-019019-7

Inhalt

Iphigenie auf TaurisAnhang1. Zur TextgestaltZu den Wort- und Sacherläuterungen2. Anmerkungen3. Leben und Zeit3.1 Johann Wolfgang Goethe – Etappen seines LebensKindheit und JugendDie Leiden des jungen Werthers – Goethes literarischer DurchbruchFrühe Weimarer Zeit und erste italienische ReiseDie Blütezeit der Weimarer KlassikDer späte Goethe3.2 Iphigenie auf Tauris – von der Urfassung zur klassischen Form3.2.1 Ausgewählte Briefe und Tagebucheintragungen Goethes zu Iphigenie auf Tauris3.2.2 Prosafassung 1779. Auszug aus IV,5 (»Parzenlied«):3.2.3 Theodor W. Adorno: Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie (1967)4. Kunstauffassung der Klassik4.1 Überblick4.2 Karl Philipp Moritz: Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften (1785)4.3 Friedrich Schiller: Brief an den Herzog von Augustenburg vom 13. Juli 17934.4 Friedrich Schiller: Ankündigung der Zeitschrift Die Horen (1795)5. Iphigenie – vom griechischen zum deutschen Mythos5.1 Überblick5.2 Stammbaum der Tantalidenfamilie5.3 Peter Hacks: »Iphigenie oder: Über die Wiederverwendung von Mythen« (1963)5.4 Euripides: Iphigenie bei den Taurern5.5 Hippolyte Taine: »St. Odile et Iphigénie en Tauride« (1868)5.6 Anselm Feuerbach: Iphigenie (1862)5.7 Stefan Matuschek: »Klassisches Humanitätsideal: Goethes Iphigenie und ihr Nachhall« (2006)6. Der Geist der Aufklärung6.1 Überblick6.2 Wolfdietrich Rasch: Goethes ›Iphigenie auf Tauris‹ als Drama der Autonomie (1979)6.3 Dieter Borchmeyer: »Iphigenie auf Tauris« (1992)7. Thoas und das Barbarische7.1 Überblick7.2 Fritz Hackert: »Iphigenie auf Tauris« (1980)7.3 Theodor W. Adorno: »Zur Klassizität von Goethes ›Iphigenie‹« (1967)7.4 Albert Meier: »Johann Wolfgang Goethe. ›Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel‹ (1779/87)« (2008)8. Theater in der Kritik – Rolf Michaelis: »Der schöne Mut zur Menschlichkeit« (1977)LeseprobeAnzeige

[3]Personen

IPHIGENIE

THOAS, König der Taurier

OREST

PYLADES

ARKAS

Schauplatz: Hain vor Dianens Tempel

[5]Erster Aufzug

Erster Auftritt

IPHIGENIE.

Heraus in eure Schatten, rege Wipfel

Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines,

Wie in der Göttin stilles Heiligtum,

Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,

5Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,

Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.

So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen

Ein hoher Wille1, dem ich mich ergebe;

Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd.

10Denn ach mich trennt das Meer von den Geliebten,

Und an dem Ufer steh ich lange Tage,

Das Land der Griechen mit der Seele suchend;

Und gegen meine Seufzer bringt die Welle

Nur dumpfe Töne brausend mir herüber.

15Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern

Ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram2

Das nächste Glück vor seinen Lippen weg.

Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken

Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne

20Zuerst den Himmel vor ihm aufschloss, wo

Sich Mitgeborne3 spielend fest und fester

Mit sanften Banden aneinander knüpften.

Ich rechte mit den Göttern nicht; allein

Der Frauen Zustand ist beklagenswert.

25Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann

Und in der Fremde weiß er sich zu helfen.

Ihn freuet der Besitz; ihn krönt der Sieg;

Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet.

Wie eng-gebunden ist des Weibes Glück!

30Schon einem rauen Gatten zu gehorchen,

Ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar

Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt!

So hält mich Thoas hier, ein edler Mann,

[6]In ernsten, heil’gen Sklavenbanden fest.

35O wie beschämt gesteh ich, dass ich dir

Mit stillem Widerwillen diene, Göttin,

Dir meiner Retterin! Mein Leben sollte

Zu freiem Dienste dir gewidmet sein.

Auch hab ich stets auf dich gehofft und hoffe

40Noch jetzt auf dich Diana, die du mich,

Des größten Königes4 verstoßne Tochter,

In deinen heil’gen, sanften Arm genommen.

Ja, Tochter Zeus5’, wenn du den hohen Mann,

Den du, die Tochter fodernd6, ängstigtest;

45Wenn du den göttergleichen Agamemnon,

Der dir sein Liebstes zum Altare brachte,

Von Trojas umgewandten7 Mauern rühmlich

Nach seinem Vaterland zurückbegleitet,

Die Gattin ihm, Elektren und den Sohn,

50Die schönen Schätze, wohl erhalten hast;

So gib auch mich den Meinen endlich wieder,

Und rette mich, die du vom Tod errettet,

Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode.

Zweiter Auftritt

IPHIGENIE. ARKAS.

ARKAS.

Der König sendet mich hieher und beut8

55Der Priesterin Dianens Gruß und Heil.

Dies ist der Tag, da Tauris seiner Göttin

Für wunderbare neue Siege dankt.

Ich eile vor dem König und dem Heer,

Zu melden, dass er kommt und dass es naht.

IPHIGENIE.

Wir sind bereit, sie würdig zu empfangen,60

Und unsre Göttin sieht willkommnem Opfer

Von Thoas’ Hand mit Gnadenblick entgegen.

ARKAS.

O fänd ich auch den Blick der Priesterin,

Der werten, vielgeehrten, deinen Blick

65O heil’ge Jungfrau, heller, leuchtender,

Uns allen gutes Zeichen! Noch bedeckt

[7]Der Gram geheimnisvoll dein Innerstes;

Vergebens harren wir schon jahrelang

Auf ein vertraulich Wort aus deiner Brust.

70So lang ich dich an dieser Stätte kenne,

Ist dies der Blick, vor dem ich immer schaudre;

Und wie mit Eisenbanden bleibt die Seele

Ins Innerste des Busens dir geschmiedet.

IPHIGENIE.

Wie’s der Vertriebnen, der Verwaisten ziemt.

ARKAS.

Scheinst du dir9 hier vertrieben und verwaist?75

IPHIGENIE.

Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?

ARKAS.

Und dir ist fremd das Vaterland geworden.

IPHIGENIE.

Das ist’s, warum mein blutend Herz nicht heilt.

In erster Jugend, da sich kaum die Seele

80An Vater, Mutter und Geschwister band;

Die neuen Schösslinge10, gesellt und lieblich,

Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts

Zu dringen strebten; leider fasste da

Ein fremder Fluch mich an und trennte mich

85Von den Geliebten, riss das schöne Band

Mit eh’rner11 Faust entzwei. Sie war dahin,

Der Jugend beste Freude, das Gedeihn

Der ersten Jahre. Selbst gerettet, war

Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust

90Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.

ARKAS.

Wenn du dich so unglücklich nennen willst;

So darf ich dich auch wohl undankbar nennen.

IPHIGENIE.

Dank habt ihr stets.

ARKAS.

    Doch nicht den reinen Dank,

Um dessentwillen man die Wohltat tut;

95Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben

Und ein geneigtes Herz dem Wirte zeigt.

Als dich ein tief-geheimnisvolles Schicksal

Vor so viel Jahren diesem Tempel brachte,

Kam Thoas, dir als einer Gottgegebnen

100Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen.

Und dieses Ufer ward dir hold und freundlich,

Das jedem Fremden sonst voll Grausens war,

Weil niemand unser Reich vor dir betrat,

[8]Der an Dianens heil’gen Stufen nicht

105Nach altem Brauch, ein blut’ges Opfer, fiel.

IPHIGENIE.

Frei atmen macht das Leben nicht allein.

Welch Leben ist’s, das an der heil’gen Stätte,

Gleich einem Schatten um sein eigen Grab,

Ich nur vertrauern muss? Und nenn ich das

110Ein fröhlich selbstbewusstes Leben, wenn

Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt,

Zu jenen grauen Tagen vorbereitet,

Die an dem Ufer Lethes12, selbstvergessend,

Die Trauerschar der Abgeschiednen feiert13?

115Ein unnütz Leben ist ein früher Tod;

Dies Frauenschicksal ist vor allen meins.

ARKAS.

Den edeln Stolz, dass du dir selbst nicht g’nügest,

Verzeih ich dir, so sehr ich dich bedaure:

Er raubet den Genuss des Lebens dir.

120Du hast hier nichts getan seit deiner Ankunft?

Wer hat des Königs trüben Sinn erheitert?

Wer hat den alten grausamen Gebrauch,

Dass am Altar Dianens jeder Fremde

Sein Leben blutend lässt, von Jahr zu Jahr

125Mit sanfter Überredung aufgehalten,

Und die Gefangnen vom gewissen14 Tod

Ins Vaterland so oft zurückgeschickt?

Hat nicht Diane, statt erzürnt zu sein

Dass sie der blut’gen alten Opfer mangelt,

130Dein sanft Gebet in reichem Maß erhört?

Umschwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg

Das Heer? und eilt er nicht sogar voraus?

Und fühlt nicht jeglicher ein besser Los,

Seitdem der König, der uns weis und tapfer

135So lang geführet, nun sich auch der Milde

In deiner Gegenwart erfreut und uns

Des schweigenden Gehorsams Pflicht erleichtert.

Das nennst du unnütz? wenn von deinem Wesen

Auf Tausende herab ein Balsam träufelt;

140Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte,

Des neuen Glückes ew’ge Quelle wirst,

[9]Und an dem unwirtbaren Todes Ufer

Dem Fremden Heil und Rückkehr zubereitest?

IPHIGENIE.

Das Wenige verschwindet leicht dem Blick,

145Der vorwärts sieht wie viel noch übrig bleibt.

ARKAS.

Doch lobst du den, der was er tut nicht schätzt?

IPHIGENIE.

Man tadelt den, der seine Taten wägt15.

ARKAS.

Auch den, der wahren Wert zu stolz nicht achtet,

Wie den, der falschen Wert zu eitel hebt.

150Glaub mir und hör auf eines Mannes Wort,

Der treu und redlich dir ergeben ist:

Wenn heut der König mit dir redet, so

Erleichtr’ ihm, was er dir zu sagen denkt.

IPHIGENIE.

Du ängstest mich mit jedem guten Worte;

155Oft wich ich seinem Antrag16 mühsam aus.

ARKAS.

Bedenke was du tust und was dir nützt.

Seitdem der König seinen Sohn verloren,

Vertraut er wenigen der Seinen mehr,

Und diesen Wenigen nicht mehr wie sonst.

160Missgünstig sieht er jedes Edeln17 Sohn

Als seines Reiches Folger18 an; er fürchtet

Ein einsam hülflos Alter, ja vielleicht

Verwegnen Aufstand und frühzeit’gen Tod.

Der Skythe19 setzt ins Reden keinen Vorzug,

165Am wenigsten der König. Er, der nur

Gewohnt ist zu befehlen und zu tun,

Kennt nicht die Kunst, von weitem ein Gespräch

Nach seiner Absicht langsam fein zu lenken.

Erschwer’s ihm nicht durch ein rückhaltend Weigern,

170Durch ein vorsetzlich Missverstehen. Geh

Gefällig ihm den halben Weg entgegen.

IPHIGENIE.

Soll ich beschleunigen was mich bedroht?

ARKAS.

Willst du sein Werben eine Drohung nennen?

IPHIGENIE.

Es ist die schrecklichste von allen mir.

ARKAS.

Gib ihm für seine Neigung nur Vertraun.175

IPHIGENIE.

Wenn er von Furcht erst meine Seele löst.

ARKAS.

Warum verschweigst du deine Herkunft ihm?

IPHIGENIE.

Weil einer Priesterin Geheimnis ziemt.

ARKAS.

Dem König sollte nichts Geheimnis sein;

180[10]Und ob er’s gleich nicht fordert, fühlt er’s doch

Und fühlt es tief in seiner großen Seele,

Dass du sorgfältig dich vor ihm verwahrst20.

IPHIGENIE.

Nährt er Verdruss und Unmut gegen mich?

ARKAS.

So scheint es fast. Zwar schweigt er auch von dir;

185Doch haben hingeworfne Worte mich

Belehrt, dass seine Seele fest den Wunsch

Ergriffen hat, dich zu besitzen. Lass,

O überlass ihn nicht sich selbst! damit

In seinem Busen nicht der Unmut reife

190Und dir Entsetzen bringe, du zu spät

An meinen treuen Rat mit Reue denkest.

IPHIGENIE.

Wie? sinnt der König, was kein edler Mann,

Der seinen Namen liebt und dem Verehrung

Der Himmlischen den Busen bändiget,

195Je denken sollte? Sinnt er vom Altar

Mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehn?

So ruf ich alle Götter und vor allen

Dianen die entschlossne Göttin an,

Die ihren Schutz der Priesterin gewiss,

200Und Jungfrau einer Jungfrau21, gern gewährt.

ARKAS.

Sei ruhig! Ein gewaltsam neues Blut

Treibt nicht den König, solche Jünglingstat

Verwegen auszuüben. Wie er sinnt,

Befürcht ich andern harten Schluss22 von ihm,

205Den unaufhaltbar er vollenden wird:

Denn seine Seel ist fest und unbeweglich.

Drum bitt ich dich, vertrau ihm; sei ihm dankbar,

Wenn du ihm weiter nichts gewähren kannst.

IPHIGENIE.

O sage was dir weiter noch bekannt ist.

ARKAS.

Erfahr’s von ihm. Ich seh den König kommen;210

Du ehrst ihn, und dich heißt dein eigen Herz,

Ihm freundlich und vertraulich zu begegnen.

Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort

Der Frauen weit geführt.

IPHIGENIE (allein).

    Zwar seh ich nicht,

215Wie ich dem Rat des Treuen folgen soll.

[11]Doch folg ich gern der Pflicht, dem Könige

Für seine Wohltat gutes Wort zu geben,

Und wünsche mir, dass ich dem Mächtigen,

Was ihm gefällt, mit Wahrheit23 sagen möge.

Dritter Auftritt

IPHIGENIE. THOAS.

IPHIGENIE.

Mit königlichen Gütern segne dich220

Die Göttin! Sie gewähre Sieg und Ruhm

Und Reichtum und das Wohl der Deinigen

Und jedes frommen Wunsches Fülle24 dir!

Dass, der du über viele sorgend herrschest,

225Du auch vor vielen seltnes25 Glück genießest.

THOAS.

Zufrieden wär ich, wenn mein Volk mich rühmte:

Was ich erwarb, genießen andre mehr

Als ich. Der ist am glücklichsten, er sei

Ein König oder ein Geringer, dem

230In seinem Hause Wohl bereitet ist.

Du nahmest Teil an meinen tiefen Schmerzen,

Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn,

Den letzten, besten, von der Seite riss.

So lang die Rache meinen Geist besaß,

235Empfand ich nicht die Öde26 meiner Wohnung;

Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre,

Ihr Reich zerstört, mein Sohn gerochen27 ist,

Bleibt mir zu Hause nichts das mich ergetze28.

Der fröhliche Gehorsam, den ich sonst

240Aus einem jeden Auge blicken sah,

Ist nun von Sorg und Unmut still gedämpft.

Ein jeder sinnt was künftig werden wird,

Und folgt dem Kinderlosen, weil er muss.

Nun komm ich heut in diesen Tempel, den

245Ich oft betrat um Sieg zu bitten und

Für Sieg zu danken. Einen alten Wunsch

Trag ich im Busen, der auch dir nicht fremd,

Noch unerwartet ist: ich hoffe, dich

[12]Zum Segen meines Volks und mir zum Segen,

250Als Braut in meine Wohnung einzuführen.

IPHIGENIE.

Der Unbekannten bietest du zu viel,

O König, an. Es steht die Flüchtige

Beschämt vor dir, die nichts an diesem Ufer

Als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst.

THOAS.

Dass du in das Geheimnis deiner Abkunft29255

Vor mir wie vor dem Letzten stets dich hüllest,

Wär unter keinem Volke recht und gut.

Dies Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz

Gebietet’s und die Not30. Allein von dir,

260Die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl

Von uns empfangner Gast nach eignem Sinn

Und Willen ihres Tages sich erfreut,

Von dir hofft ich Vertrauen, das der Wirt

Für seine Treue wohl erwarten darf.

IPHIGENIE.

Verbarg ich meiner Eltern Namen und265

Mein Haus31, o König, war’s Verlegenheit,

Nicht Misstraun. Denn vielleicht, ach wüsstest du,

Wer vor dir steht, und welch verwünschtes Haupt

Du nährst und schützest; ein Entsetzen fasste

270Dein großes Herz mit seltnem Schauer an,

Und statt die Seite deines Thrones mir

Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit

Aus deinem Reiche; stießest mich vielleicht,

Eh zu den Meinen frohe Rückkehr mir

275Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist,

Dem Elend zu, das jeden Schweifenden,

Von seinem Haus Vertriebnen überall

Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.

THOAS.

Was auch der Rat der Götter mit dir sei,

280Und was sie deinem Haus und dir gedenken32;

So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst

Und eines frommen Gastes Recht genießest,

An Segen nicht, der mir von oben kommt.

Ich möchte schwer zu überreden sein,

285Dass ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze.

IPHIGENIE.

Dir bringt die Wohltat Segen, nicht der Gast.

[13]THOAS.

Was man Verruchten33 tut, wird nicht gesegnet.

Drum endige dein Schweigen und dein Weigern;

Es fordert dies kein ungerechter Mann.

290Die Göttin übergab dich meinen Händen;

Wie du ihr heilig warst, so warst du’s mir.

Auch sei ihr Wink noch künftig mein Gesetz:

Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst,

So sprech ich dich von aller Fordrung los.

295Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt,

Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch

Ein ungeheures Unheil ausgelöscht,

So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz.

Sprich offen! und du weißt, ich halte Wort.

IPHIGENIE.

Vom alten Bande löset ungern sich300

Die Zunge los, ein langverschwiegenes

Geheimnis endlich zu entdecken. Denn

Einmal vertraut34, verlässt es ohne Rückkehr

Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet,

305Wie es die Götter wollen, oder nützt.

Vernimm! Ich bin aus Tantalus’ Geschlecht.

THOAS.

Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.

Nennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt

Als einen ehmals Hochbegnadigten

310Der Götter kennt? Ist’s jener Tantalus,

Den Jupiter35 zu Rat und Tafel zog,

An dessen alterfahrnen, vielen Sinn

Verknüpfenden Gesprächen Götter selbst,

Wie an Orakelsprüchen sich ergetzten?

IPHIGENIE.

Er ist es; aber Götter sollten nicht315

Mit Menschen, wie mit ihresgleichen, wandeln;

Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach

In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln.

Unedel war er nicht und kein Verräter;

320Allein zum Knecht zu groß, und zum Gesellen

Des großen Donnrers nur ein Mensch. So war

Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht

War streng, und Dichter singen: Übermut

Und Untreu stürzten ihn von Jovis Tisch

325[14]Zur Schmach des alten Tartarus hinab.

Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Hass!

THOAS.

Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?

IPHIGENIE.

Zwar die gewalt’ge Brust und der Titanen36

Kraftvolles Mark war seiner Söhn und Enkel

330Gewisses Erbteil37; doch es schmiedete

Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.

Rat, Mäßigung und Weisheit und Geduld

Verbarg er ihrem scheuen düstern Blick;

Zur Wut ward ihnen jegliche Begier,

335Und grenzenlos drang ihre Wut umher.

Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,

Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb

Sich durch Verrat und Mord das schönste Weib,

Des Önomaus Tochter, Hippodamien.

340Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwei Söhne,

Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie

Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn

Aus einem andern Bette wachsend an.

Der Hass verbindet sie, und heimlich wagt

345Das Paar im Brudermord die erste Tat.

Der Vater wähnet Hippodamien

Die Mörderin, und grimmig fordert er

Von ihr den Sohn zurück, und sie entleibt

Sich selbst –

THOAS.

    Du schweigest? Fahre fort zu reden!

350Lass dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!

IPHIGENIE.

Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,

Der froh von ihren Taten, ihrer Größe,

Den Hörer unterhält und still sich freuend

Ans Ende dieser schönen Reihe sich

355Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich

Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;

Erst eine Reihe Böser oder Guter

Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude

Der Welt hervor. – Nach ihres Vaters Tode

360Gebieten Atreus und Thyest der Stadt38,

Gemeinsam-herrschend. Lange konnte nicht

[15]Die Eintracht dauern. Bald entehrt39 Thyest

Des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus

Ihn aus dem Reiche. Tückisch hatte schon

365Thyest, auf schwere Taten sinnend, lange

Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich

Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen.

Dem füllet er die Brust mit Wut und Rache

Und sendet ihn zur Königsstadt, dass er

370Im Oheim40 seinen eignen Vater morde.

Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt; der König

Straft grausam den gesandten Mörder, wähnend

Er töte seines Bruders Sohn. Zu spät

Erfährt er, wer vor seinen trunknen Augen

375Gemartert stirbt; und die Begier der Rache

Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still

Auf unerhörte Tat. Er scheint gelassen,