Irische Märchen -  - E-Book

Irische Märchen E-Book

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Beschreibung

In keinem Land Europas ist die mündliche Märchenüberlieferung so lebendig geblieben wie in Irland. Aus der Fülle des Quellenmaterials hat Frederik Hetmann die schönsten Märchen und Feengeschichten zusammengestellt. Seine Auswahl spiegelt wider, was für die irische Märchentradition bezeichnend ist: Stärker als in anderen Nationen knüpft sie an die Themen der Barden an. Von Königssöhnen, Helden und der Mythengestalt Deirdre wird erzählt, Tiere spielen eine wichtige Rolle, vor allem aber bevölkern Geister und Feen die Märchenwelt.

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Über dieses Buch

Irische Märchen. In keinem Land Europas ist die mündliche Märchenüberlieferung so lebendig geblieben wie in Irland:

Die Sicherung des folkloristischen Gutes der Irischen Folklore-Kommission in Dublin ist beispielhaft. Aus der Fülle des Quellenmaterials hat der Herausgeber die schönsten Märchen und Feengeschichten zusammengestellt. Seine Auswahl spiegelt wider, was für die irische Märchenwelt bezeichnend ist: Stärker als in anderen Ländern knüpft sie an die Motive und Themen der Barden an. Von Königssöhnen und Helden wird berichtet, von der Mythengestalt Deirdre, deren Schicksal auch die modernen Schriftsteller nicht losläßt. Daneben spielen Tiere eine wichtige Rolle, vor allem aber die Geister und Feen, die für die Iren Wirklichkeit besaßen.

Über den Herausgeber

Frederik Hetmann (Hans-Christian Kirsch), geb. 1934 in Breslau, gest. 2006 in Limburg/Lahn, hat zahlreiche preisgekrönte Romane, Biographien und Jugendbücher veröffentlicht Ende der 1960er Jahre begann Hetmann, in Westirland Folklore zu sammeln. Seitdem widmete er sich der lebendigen Erzählkunst und der Geschichte der Grünen Insel. Er gilt darüber hinaus als hervorragender Kenner der gesamten keltischen sowie indianischen Überlieferungen.

IrischeMärchen

Zum Erzählen und Vorlesen

Herausgegeben und übersetztvon Frederik Hetmann

Gekürzte Erfolgsausgabe des Titels »Dornbusch in Donegal«von Frederik Hetmann, 2002.

Bibliographische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

E-Book-Ausgabe2015 Krummwisch bei Kiel

© Frederik Hetmann c/o Montasser Media© 2015 by Königsfurt-Urania Verlag GmbHD-24796 Krummwischwww.koenigsfurt-urania.com

Umschlaggestaltung: Jessica Quistorff, Seedorf,unter Verwendung des folgenden Motivs von Fotolia.com»Galty mountains Potok« © Tomasz GrzelaczykSatz: Satzbüro Noch & Noch, Menden

ISBN 978-3-86826-302-2

Inhalt

Der Schwarze Dieb

Deirdre von den Schmerzen

Dermot mit dem Liebesfleck

Céatach

Die drei Söhne des Königs von Antua

Der Sohn der Witwe, der Teufel und der Narr

Die Königin der Planeten

Daniel Crowley und die Geister

John Connors und der Feenkönig

Das Märchen vom Dornbusch in Donegal

Seán Palmers Reise mit den Feen nach Amerika

Schwarze Magie

Der Hahn und das vierblättrige Kleeblatt

Dreimal lacht der Lepreachaun

Die Kuh, die den Pfeifer fraß

Die Geschichte vom Suppenstein

Hudden, Dudden und Donald O’Neary

Zwölf Männer oder zwei Frauen

Das alte Schwein und sein Ferkel

Alte Krähe, junge Krähe

Cromwell und der Mönch

Der Geschichtenerzähler, der keine Geschichte mehr wußte

Anhang

Der Schwarze Dieb

Vor langer Zeit lebte in Erin ein König, der heiratete eine Königin, die war schön und freundlich. So freundlich war sie, daß alle Menschen sie gern hatten, besonders aber die Armen, denn sie baten im Schloß nie vergebens um eine milde Gabe.

Nun gebar diese Königin dem König drei gesunde Söhne, und sie waren die glücklichste Familie in ganz Erin, bis eines Tages die Königin krank wurde. Da sie wußte, daß sie würde sterben müssen, rief sie den König zu sich und sprach zu ihm: »Wenn ich gestorben bin, und du heiratest wieder, so schicke meine drei Söhne zuvor in eine entlegene Gegend des Königreiches. Ich will nicht, daß eine fremde Frau Gewalt über sie hat.«

Der König versprach dies, und darauf starb die Königin in Frieden.

Der König trauerte um sie ein Jahr oder zwei, und er dachte nicht daran, eine andere Frau zu nehmen, bis seine Räte zu ihm sagten, er müsse wieder heiraten, dies sei gut für sein Reich.

Da befahl er zuerst, daß ein Schloß gebaut werde in der entlegensten Gegend seines Landes, und schickte seine drei Söhne mit Dienern und Lehrern dorthin. Dann heiratete er wieder und war glücklich mit dieser zweiten Frau, bis sie selbst einen Sohn gebar.

Eines Tages, kurz nachdem das Kind zur Welt gekommen war, ritt der König aus zur Jagd, und die Königin ging in der Umgebung des Schlosses spazieren. Als sie nun an der Hütte einer seltsamen alten Frau vorbeikam, hörte sie, wie sich diese darüber beklagte, daß neuerdings die Armen keine Gaben mehr erhielten, und das alte Weib rief ihr hinterdrein: »Du solltest dir an der ersten Frau des Königs ein Beispiel nehmen. Sie war gütig und großzügig. Sie war eine große Dame, und doch nahm sie ihren eigenen Mantel von den Schultern und gab ihn denen, die frieren mußten.«

Als sie das hörte, blieb die junge Königin stehen, fragte das alte Weib über die verstorbene erste Frau des Königs aus und versprach der Alten hundert gescheckte Ziegen, hundert Schafe und hundert Kühe, wenn sie ihr nur alles sage, was sie wisse. So hörte sie davon, daß die drei Söhne des Königs aus erster Ehe in einer entlegenen Gegend des Königreiches auf einem Schloß lebten.

»Und«, so fügte die alte Frau hinzu, »wenn sie erst einmal erwachsen sein werden, dann wird für deinen eigenen Sohn kein Platz mehr sein, an dem er am Abend seinen Kopf zur Ruhe betten kann, und es wird ihm gehen wie den Vögeln unter dem Himmel.«

Die junge Königin begann, sich Sorgen zu machen um das Schicksal ihres Kindes, aber die alte Frau tröstete sie: »Hör mir gut zu«, sprach sie, »ich will dir sagen, wie du dich der drei Söhne des Königs für immer entledigen kannst. Dringe darauf, daß der König sie zurückruft, und wenn sie hier sind, so fordere sie alle zu einer Schachpartie heraus. Ich will dir ein verzaubertes Schachbrett geben, auf dem du jedes Spiel gewinnen wirst. Wenn du alle drei im Schachspiel besiegt hast, dann befiehl ihnen als Strafe, daß sie ausziehen und dir die drei Stuten des Königs Conal bringen sollen. Sag ihnen, du wolltest auf den Pferden dreimal um die Grenzen des Königreiches reiten. So werden sie in die Welt ziehen, und du wirst nie mehr etwas von ihnen hören und aller Sorgen ledig sein, denn schon so manch guter Mann ist ausgezogen, um die Pferde des Königs Conal zu suchen, und nie mehr heimgekehrt. Dann wird dein eigener Sohn König werden, wenn er herangewachsen ist.«

Die Königin ging heim, und noch am selben Abend, als der König von der Jagd zurückkam, fragte sie ihn nach seinen drei Söhnen.

»Rufe sie heim«, bat sie ihn, »und du wirst sehen, ich werde sie liebhaben, als seien es meine eigenen Kinder.«

Der König ließ die drei Söhne heimkommen und bereitete ein großes Fest zu ihrem Empfang, und alle Leute im Land freuten sich, die drei Prinzen wiederzusehen.

Nach dem Fest forderte die Königin jeden der drei Brüder zu einem Schachspiel heraus. Sie spielte mit jedem drei Spiele, gegen die beiden älteren Brüder gewann sie immer, nur die Spiele gegen den Jüngsten verlor sie, aber mit Absicht, damit es nicht auffiel, daß sie ein Zauberbrett benutzte.

An diesem Abend kam der älteste unter den drei Prinzen zu ihr und sprach: »Wir haben beim Schachspiel verloren, nun sag, was verlangst du von mir und meinen Brüdern für deinen Sieg?«

»Ich verlange von euch«, sprach die Königin, »daß ihr nicht zweimal unter demselben Dach schlaft, noch zweimal am selben Tisch eßt, ehe ihr mir nicht die drei Stuten des Königs Conal heimgebracht habt, auf denen will ich dreimal um die Grenzen des Königreiches reiten.«

»Wo, o Königin, finden wir die Pferde des Königs Conal?«

»Es gibt vier Himmelsrichtungen«, sprach die Königin, »in einer der vier Himmelsrichtungen werdet ihr sie gewiß finden.«

»Wir nehmen diesen Auftrag an, aber dich stellen wir unter einen Bann«, sagte der älteste Bruder, »bis wir mit den Pferden zurückkommen, sollst du auf dem Turm des Schlosses stehen und dich nicht mehr von der Stelle bewegen.«

»Nehmt diesen Bann zurück«, bat die Königin, »und ich will auch meine Strafe zurücknehmen.«

»Wenn ein junger Mann von der ersten Strafe freigesprochen wird, die über ihn verhängt ist, so nimmt das nie ein gutes Ende«, antwortete der Sohn des Königs, »wir wollen in die Welt ziehen und nach den Pferden suchen.«

Am nächsten Tag nahmen die drei Brüder Abschied von ihrem Vater und zogen fort, um das Schloß des Königs Conal zu finden.

Nachdem sie viele Tage gereist waren, ohne eine Kunde von dem zu erhalten, wonach sie suchten, begegneten sie einem lahmen Mann, der eine schwarze Mütze auf dem Kopf trug.

»Wer seid ihr, und was führt euch hierher?« fragte der Mann mit der schwarzen Mütze, als er vor ihnen stand.

»Wir sind die drei Söhne des Königs von Erin«, antwortete der Älteste der drei Brüder, »wir suchen nach den Pferden des Königs Conal, die sollen wir unserer Stiefmutter bringen.«

»Kommt, bleibt bei mir über Nacht«, sagte der Fremde, »morgen will ich mit euch gehen und euch zum Schloß König Conals führen.«

Da es schon dunkel wurde, nahmen die drei Brüder die Einladung des Fremden gern an und verbrachten die Nacht unter seinem Dach.

Am nächsten Morgen weckte sie der Mann mit der schwarzen Mütze zeitig und erklärte ihnen, der Versuch, die Pferde des Königs Conal zu entführen, habe schon so manch tapferen Mann das Leben gekostet. »Aber«, so fuhr er fort, »ich werde euch helfen, und vielleicht habt ihr mehr Glück als all die anderen. Ohne meine Hilfe aber hättet ihr nicht die geringste Chance.«

Die vier Männer brachen sogleich auf, und ehe es Nacht wurde, erreichten sie das Schloß des Königs Conal. Sie warteten bis Mitternacht. Dann schlichen sie sich in die Stallungen. Zu ihrer großen Freude trafen sie die Wachen fest schlafend an. Die drei Brüder und der Mann mit der schwarzen Mütze sattelten die Stuten und wollten gerade aufsitzen, als die Tiere so unruhig wurden, zu schnauben und zu wiehern begannen, daß jemand im Schloß davon wach wurde.

Die Wachen sprangen herbei, ergriffen die Brüder und den Mann mit der schwarzen Mütze und brachten sie vor König Conal.

Der König saß auf einem Thron aus purem Gold in der großen Halle seines Schlosses. Um ihn standen Wachen mit gezogenem Schwert. Vor ihm aber war ein Kessel aufgestellt, in dem über einem Feuer Öl siedete. »Ah«, sprach der König, als er den Mann mit der schwarzen Mütze vor sich sah, »wüßte ich nicht sicher, daß der Schwarze Dieb nicht mehr lebt, ich würde meinen, er stände hier vor mir.«

»Ich bin der Schwarze Dieb«, sprach der Mann mit der schwarzen Mütze.

»Wirklich?« fragte der König zweifelnd, »nun, das wird sich herausstellen. Aber wer sind diese drei jungen Männer?«

»Wir sind die drei Söhne des Königs von Erin«, antworteten die Brüder.

»Also«, sprach der König, »beginnen wir mit dem Jüngsten. Schürt das Feuer unter dem Kessel, denn das Öl siedet nicht mehr.«

Darauf wandte sich Conal wieder an den Schwarzen Dieb und sagte: »Was meinst du, ist dieser junge Mann seinem Tod jetzt nicht sehr nahe?«

»Ich war meinem Tod schon näher«, sprach der Schwarze Dieb, »und dennoch bin ich entkommen.«

»Erzähl mir diese Geschichte«, sagte der König Conal, »wenn es so ist, wie du behauptest, wenn du dem Tod wirklich einmal näher gewesen bist als dieser junge Mann in diesem Augenblick, dann will ich dem Prinzen das Leben schenken.«

»Das ist ein Wort«, sagte der Schwarze Dieb, und er begann, König Conal die folgende Geschichte zu erzählen:

Die drei verzauberten Mädchen

Als ich ein junger Mann war, besaß ich Land und Reichtümer in Hülle und Fülle, lebte froh und vergnügt, bis drei Hexen kamen und meinen gesamten Besitz zerstörten.

Da nahm ich die Straße unter meine Füße und wurde ein berühmter Dieb, der berühmteste Dieb, der jemals in Erin gelebt hat, der Schwarze Dieb.

Nun waren aber diese drei Hexen Töchter eines Königs, der damals in Erin regierte, und während des Tages waren sie die schönsten Mädchen im Land, doch in der Nacht verwandelten sie sich durch den Bann eines Zauberers in drei häßliche, böse Weiber.

Nun war es geschehen, in der Zeit, ehe ich all meinen Besitz verlor und die Straße unter meine Füße nehmen mußte, daß ich meinen Männern befohlen hatte, mir einen Vorrat an Torf hereinzubringen, der für sieben Jahre reichen sollte.

Die Torfstücke wurden also vor meinem Haus aufgeschichtet, und so viele waren es, daß es aussah wie ein schwarzes Gebirge.

Eines Nachts spät, es muß schon gegen Mitternacht gewesen sein, kam ich heim von einem Festmahl, und was sah ich da? Die drei häßlichen Hexen machten sich an meinen Torfstücken zu schaffen, packten den Torf in drei Kiepen, luden sie auf den Rücken und rannten damit davon.

Den ganzen Winter über ging das so, bis ich auch nicht mehr ein Stück Torf besaß.

Im nächsten Jahr lagerte ich wieder Torf ein für sieben Jahre, und wieder kamen die Hexen und schleppten alles fort. Eines Nachts beobachtete ich sie, wie sie wieder ihre Kiepen füllten. Ich folgte ihnen, als sie sich zu den Hügeln davonschlichen. Ich sah, wie sie in einem Spalt zwischen den Felsen verschwanden, der mochte zwanzig Faden tief hinabführen.

Ich beugte mich vor und erkannte, wie sie dort unten in einem riesigen Kessel einen ganzen Ochsen über einem großen Feuer siedeten. Wenn sie das jede Nacht so machten, war es kein Wunder, daß sie so viel Torf als Brennmaterial brauchten.

Ich hielt nach etwas Ausschau, das ich hinabwerfen konnte, und entdeckte einen großen Felsbrocken. Den rollte ich zum Rand des Spalts und ließ ihn hinabpoltern. Er traf sein Ziel. Der Kessel barst, die Brühe floß ins Feuer und löschte es.

Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte davon, aber die Hexen waren mir dicht auf den Fersen. Ich kletterte auf einen hohen Baum, um ihnen zu entkommen, aber sie blieben vor dem Baum stehen und sahen durch die Zweige zu mir hinauf. Die älteste der Hexen verwandelte die eine Hexe in eine scharfe Axt und die andere in einen schnellen Hund. Und dann machte sie sich mit der Axt daran, den Baum zu fällen. Schon mit dem ersten Hieb grub sich die Schneide tief in den Stamm. Nach dem zweiten Hieb hing der Baum nur noch an einem Stückchen Rinde. Sie hob die Axt zum dritten Mal, aber gerade da krähte der erste Hahn, und vor meinen Augen verwandelten sich das alte Weib, die Axt in ihrer Hand und der flinke Hund vor ihrem Fuß in drei schöne junge Mädchen. Sie faßten sich bei den Händen und liefen davon. Sie blickten so glücklich und unschuldig drein wie niemals mehr drei junge Mädchen zuvor oder danach in Erin.

»Nun«, sprach der Schwarze Dieb zu König Conal, »war ich damals nicht dem Tod näher als dieser junge Mann hier?«

»Zugegeben«, antwortete der König, »er ist frei, aber statt seiner muß jetzt sein Bruder den Tod fürchten. Das Öl siedet schon. Gleich wird ihn sein Tod ereilen.«

»Mag sein«, sprach der Schwarze Dieb, »und doch war ich dem Tod auch schon näher als er.«

»Laß uns auch diese Geschichte hören«, sagte der König, »und wenn sie uns beweist, daß du die Wahrheit sprichst, so will ich ihn ziehen lassen, und er soll sein Leben behalten.« Da begann der Schwarze Dieb mit seiner zweiten Geschichte:

Die dreizehn verzauberten Katzen

Nachdem ich den Kessel der drei Hexen zerbrochen hatte, die mir all meinen Torf und mein Vieh stahlen, drehten sie auch noch meinen Hühnern den Hals um, zertrampelten meine Ernten, und ich wurde arm, so arm, daß ich mein Weib und meine Kinder als Dieb durchbringen mußte.

Eines Nachts trieb ich einen alten Gaul und eine Kuh heim, um meinen Kindern etwas Fleisch zukommen zu lassen. Ich war so müde vom langen Gehen, daß ich mich einen Augenblick unter einen Baum in einem dichten Wald setzte, um auszuruhen.

Es war kalt, und da ich einen Feuerstein in meiner Tasche hatte, zündete ich mir ein kleines Feuer an, um mich daran zu wärmen. Ich saß noch nicht lange am Feuer, als ich dreizehn der wildesten, größten und schaurigsten Katzengesichter sah, die man je auf der Welt erblickt hat. Zwölf von ihnen hatten die Größe eines ausgewachsenen Mannes, die dreizehnte aber war so groß, als hätte man zwei ausgewachsene Männer übereinandergestellt. Der Anführer der Katzenmeute hatte wilde grüne Augen, die funkelten und sprühten, und er setzte sich mir gegenüber ans Feuer; die anderen Katzen setzten sich neben ihn, und alle begannen so laut zu schnurren, daß es sich in der stillen Nacht wie Donner anhörte.

Nach einer Weile hob die größte der Katzen ihren Kopf, sah mich über das Feuer hin an und sagte: »Ich halte es vor Hunger nicht länger aus. Gib mir etwas zu essen. Aber sofort.«

»Ich habe nichts, es sei denn, ihr würdet mit dem alten weißen Gaul vorliebnehmen, der dort drüben an den Baum gebunden ist.«

Die Riesenkatze war mit einem Sprung bei dem Pferd, schlug es mit einem Pfotenschlag in zwei Teile, fraß die eine Hälfte auf und ließ die andere Hälfte für ihre Gefährten übrig. Die machten sich eilig über die Pferdehälfte her und nagten sie ab bis auf die Knochen.

Darauf kamen die dreizehn Katzen wieder ans Feuer zurück. Sie leckten sich die Lippen und schnurrten so laut, daß es wieder in der stillen Nacht wie Donner klang.

Nach einer Weile sagte die große Katze abermals: »Ich bin schon wieder hungrig. Gib mir etwas zu essen.«

»Ich habe nichts als die Kuh ohne Hörner da drüben«, antwortete ich.

Die riesige Katze sprang zu der Kuh und zerschlug sie in zwei Hälften, wie sie das schon zuvor mit dem alten Gaul getan hatte. Eine Hälfte verschlang sie selbst, die andere Hälfte überließ sie wieder ihren zwölf Gefährten.

Während die wilde Katzenmeute fraß, zog ich meinen Mantel aus, wickelte ihn um einen Holzkloben und setzte meinen Hut darauf, so daß es aussah wie ein Mensch, denn ich konnte mir schon denken, was nun geschehen werde. Dann kletterte ich rasch auf einen Baum.

Bald hatten die Katzen ihr Fleisch verschlungen und kamen wieder zurück ans Feuer. Sie sahen auf den Holzkloben, dem ich meinen Mantel umgehängt und meinen Hut aufgesetzt hatte, und die größte unter den Katzen sprach wieder: »Hast du noch etwas zu essen? Ich habe immer noch schrecklichen Hunger.«

Der Holzkloben gab keine Antwort. Also sprang der Anführer der Katzenmeute über das Feuer und begann, nach ihm zu beißen und auf ihn mit seinen Krallen einzuschlagen. Aber bald erkannte er, was er da vor sich hatte. »Aha!« fauchte er, »du hast dich also davongemacht. Wir werden dich aber bald gefunden haben, wo immer du dich auch versteckt haben magst.«

Und dann befahl er seinen zwölf Katzen, über ganz Erin hin zu laufen und nach mir zu suchen; sechs unter der Erde und sechs über der Erde. Er selbst setzte sich unter den Baum, auf dem ich hockte. In kürzester Zeit hatten die Katzen unsere ganze Insel durchstöbert, ohne eine Spur von mir gefunden zu haben. Da blickte die Riesenkatze zufällig nach oben und sah mich.

»So, so!« kreischte das Katzenuntier, »da steckst du also. Ich werde dich bald haben! Los …!« rief sie den zwölf anderen Katzen zu, »nagt den Baumstamm durch.«

Die zwölf Katzen hockten sich im Kreis um den Stamm und begannen zu nagen. Es dauerte nicht lange, da stürzte der Baum um, ihrem Anführer genau vor die Füße. Aber als der Baum langsam fiel, gelang es mir, mich auf die Zweige des nächsten Baumes hinüber zu retten. Natürlich sahen die Katzen das, und im Handumdrehen hatten sie auch diesen Baum gefällt, doch abermals entkam ich auf den Baum nebenan. Das ging so die ganze Nacht, bis nur noch ein letzter, einziger Baum im ganzen Wald stand, auf dem ich angstvoll hockte. Sie machten sich daran, auch diesen Baum umzulegen, und ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich nun retten sollte.

Doch plötzlich kamen dreizehn Wölfe angerannt, ein ganzes Rudel, alles kräftige Tiere, aber der dreizehnte größer, mächtiger, wilder, fürchterlicher als die anderen.

Die Wölfe griffen die Katzen an. Wild und blutig war der Kampf, bis am Ende zwölf Katzen und zwölf Wölfe tot ausgestreckt dalagen und nur noch die beiden Anführer miteinander kämpften.

Der Anführer des Wolfsrudels versetzte der Riesenkatze einen schrecklichen Biß, aber die Katze hieb den Schädel des Wolfes mit einem Schlag ihres Schwanzes in zwei Teile. Beide sanken tot zusammen. So konnte ich also von meinem Baum herabklettern und heimgehen. Aber wie ich nun herabkletterte, da quietschte und schwankte der Stamm, denn die zwölf Katzen hatten ihn auch schon fast durchgenagt.

»Nun«, sprach der Schwarze Dieb, »war ich damals im Wald nicht dem Tod noch näher, als ihm dieser junge Mann jetzt ist?«

»Das warst du«, sagte König Conal, »er ist frei, denn ich breche nie mein Wort. Aber da ist noch der dritte Bruder. Heizt den Kessel wieder an, und seht, daß das Öl siedet.«

Und als dieses geschehen war, fragte er: »Nun, warst du dem Tod näher als dieser junge Mann?«

»O gewiß doch«, sagte der Schwarze Dieb.

»Erzähl davon«, sagte der König, »und wenn dem wirklich so ist, wie du behauptest, soll auch dieser Prinz frei sein wie seine beiden Brüder.«

Da erzählte der Schwarze Dieb seine dritte Geschichte:

Der treulose Gehilfe

Nachdem ich einige Zeit als Dieb gearbeitet hatte, bekam ich in diesem Handwerk – denn ein Handwerk ist es, wie jedes andere auch – eine solche Geschicklichkeit, daß ich Gehilfen annahm, die bei mir lernen wollten.

Unter ihnen war ein junger Mann, der war klüger und geschickter als die anderen, und ich verwendete viel Zeit darauf, ihm auch noch die letzten Kniffe und Fingerfertigkeiten beizubringen.

Zeit verging, er konnte alles, was ich konnte; er wußte alles, was ich wußte, er war nahezu ein besserer Dieb als ich.

Um diese Zeit lebte ein Riese in einer großen Felsspalte am anderen Ende des Landes, und er hatte von all den großen Herren so viele Reichtümer zusammengestohlen, daß seine Höhle vollgestopft war mit Gold und Silber.

Ich plante, mit meinem Gehilfen dorthin zu gehen und so viel von dem Schatz fortzuschleppen, wie wir tragen konnten.

Wir machten uns also auf den Weg und erreichten die Höhle des Riesen im Gebirge. Es war eine unterirdische Höhle, und es gab nur einen Zugang durch einen tiefen, dunklen Spalt zwischen den Felsen, etwa so wie ein Schornstein.

Wir beobachteten den Riesen mehrere Tage. Er ging gewöhnlich am Morgen fort und kam am Abend heim, mit einem Sack voller Gold über der Schulter. Eines Morgens, nachdem der Riese ausgegangen war, legte ich meinem Gehilfen ein Seil um den Leib und begann, ihn in den engen Spalt hinabzulassen. Als er auf halbem Wege nach unten in der Luft hing, begann er, so laut zu brüllen und zu schreien, daß ich ihn wieder hochziehen mußte. Er hatte Angst bekommen.

»Steig doch selbst hinab«, sprach er zu mir, »ich will das Seil halten, dich hinablassen und dich auch wieder heraufziehen.«

Gesagt, getan. Ich band mir das Seil um. Er ließ mich hinab. Unten drang ich bis zur Schatzkammer des Riesen vor und sah dort einen großen Haufen gelben Goldes, mattblinkendes Silber und prächtige Edelsteine. Ich öffnete meinen Beutel, tat so viel hinein, wie ein Mann tragen kann, und lief zu der Stelle zurück, an der das Seil herabhing, um mich von meinem Gehilfen wieder hinaufziehen zu lassen.

Als ich nach ihm rief, erhielt ich zuerst gar keine Antwort. Doch dann erschien er oben und erwiderte auf meinen Befehl: »Meine Lehrzeit ist zu Ende. Ich bin längst ein besserer Dieb als du. Auf Wiedersehen. Ich hoffe, du verbringst einen angenehmen Abend mit dem Riesen.« Darauf hörte ich nichts mehr von ihm. Ich blickte mich um, suchte nach einem Weg, auf dem ich aus dem Spalt nach oben klettern konnte, aber nicht einmal eine Fliege hätte an den steilen, feuchten Felsen Halt gefunden.

Da entdeckte ich in der Küche des Riesen in einer Ecke einen ganzen Berg von Toten.

Ich wühlte mich unter sie, denn ein anderes Versteck fand ich nicht, und tat so, als ob ich zu den Toten gehörte.

Am Abend kam der Riese zurück. Er schleppte drei weitere Leichen herbei, warf sie auf den Haufen zu den anderen, zündete ein Feuer an in der Küche und hängte darüber einen großen Kessel mit Wasser auf. Dann kam er mit einem großen Korb und packte Leichen hinein. Ich war der erste, den er in den Korb legte. Über mich aber stapelte er noch sechs weitere leblose Körper. Er trug den Korb hinüber zu dem Kessel und schüttete ihn in das Gefäß aus. Die Leichen stürzten in das kochende Wasser, mir aber gelang es, mich am Boden des Korbes festzuhalten.

Darauf legte er den Korb verkehrt herum in eine Ecke. So war ich für eine Weile in Sicherheit. Als der Riese sein Abendessen verzehrt hatte, wurde er müde und träge und schlief schließlich im Stuhl ein. Jetzt kroch ich unter dem Korb hervor. Ich schlich mich zum Eingang der Höhle, und siehe da, der Riese hatte vergessen, die Leiter, die er benutzte, um hinauf- und wieder hinabzusteigen, umzudrehen. Diese Leiter bestand nämlich aus einem gewaltig hohen und dicken Baum, in den Stufen geschlagen waren auf der einen Seite. Er brauchte so den Baum jeweils nur umzukehren, und niemand konnte herein und heraus, es sei denn, er wäre so stark gewesen wie der Riese.

Ich kletterte rasch nach oben, und es dauerte nicht lange, da war ich in Sicherheit.

»Nun, was meint Ihr, war ich da nicht dem Tod näher als dieser junge Mann hier?«

»Alles, was recht ist«, sagte der König, »du bist in der Höhle des Riesen dem Tod sehr nahe gewesen. Ich schenke auch dem dritten Prinzen Leben und Freiheit. Aber dafür bist du selbst an der Reihe. Möglich, daß du nun in den Kessel geworfen wirst. Jedenfalls würde ich meinen, daß du nie dem Tod näher gewesen bist als in dieser Minute.«

»Auch falsch«, antwortete der Schwarze Dieb, »ich mag dem Tod jetzt sehr nahe sein, aber es gab doch eine Zeit, da war ich ihm noch näher.«

»Und wann wäre das gewesen?« fragte der König, »erzähle mir davon, und ich lasse dich frei wie die drei Prinzen.«

Da erzählte der Schwarze Dieb die Geschichte, wie er den drei Riesen entkommen war:

Die drei Riesen

Eines Tages, begann der Schwarze Dieb, fühlte ich mich müde und hungrig, und als ich zu einem Haus kam, bat ich um etwas zu essen. Drinnen saß eine junge Frau mit einem Kind auf dem Schoß. Die junge Frau hatte ein Messer in der Hand und erhob es, als wolle sie das Kind damit erstechen. Das Kind lachte und kreischte vor Vergnügen, aber die Frau weinte bitterlich.

»Warum erhebst du das Messer gegen das Kind?« fragte ich sie, »und warum weinst du so jämmerlich?«

Da erzählte sie mir ihre Geschichte:

»Letztes Jahr, als ich mit meinem Vater und mit meiner Mutter auf den Markt ging, kamen plötzlich drei Riesen daher und sprangen unter die Menge. So erstaunt waren alle, daß ein Mann, der ein Stück Brot in der Hand hielt, es nicht mehr zum Munde führte, und ein anderer Mann, der ein Stück von einem Apfel abgebissen hatte, vor Schreck vergaß, es herunterzuschlucken. Die Riesen raubten alle Leute aus, mich aber rissen sie von meinem Vater und meiner Mutter fort und brachten mich in dieses Haus hier.

Man sagte mir, ich müsse den ältesten der Riesen heiraten, aber es gelang mir wenigstens, durchzusetzen, daß ich ihn erst heiraten muß, wenn ich achtzehn Jahre alt geworden bin. In ein paar Tagen ist es nun soweit. Dann gibt es für mich keine Rettung mehr, es sei denn jemand brächte es fertig, die drei Riesen zu töten.«

»Aber warum versuchst du, dieses Kind hier zu erstechen?« fragte ich weiter.

»Gestern brachten sie mir dieses Kind und sagten, es sei der Sohn eines Königs. Sie übergaben es mir und befahlen mir, es zu schlachten und aus seinem Fleisch und Blut einen Kuchen zu backen. Der muß heute abend, wenn sie heimkommen, auf dem Tisch stehen.«

»Töte das Kind nicht«, sagte ich, »ich habe hier ein junges Schwein. Wir können es schlachten und aus seinem Fleisch und Blut einen Kuchen backen. Das Fleisch eines jungen Schweines ist dem eines Kindes sehr ähnlich. Dem Kind aber wollen wir ein Glied von seinem kleinen Finger abschneiden und es in den Kuchen tun, und wenn bei den Riesen ein Zweifel aufkommt, kannst du ihnen das Stück des kleinen Fingers zeigen.«

Das Mädchen tat, wie ich ihm geheißen hatte, und backte einen Kuchen aus dem Schweinefleisch. Die drei Riesen aßen den Kuchen mit großem Vergnügen. Es war ein guter Kuchen, aber es war nicht genug davon da. Nicht genug für drei Riesen, ihr versteht! Der älteste Bruder schickte also den jüngsten der Riesen in den Keller. Er sollte ein paar Scheiben von den Leichen abschneiden, die dort lagen. Der Riese bekam gerade mich zu fassen und schnitt ein gutes Stück von meinem Beinfleisch über dem Knie ab. Das schmeckte nun dem ältesten Bruder so gut, daß er selbst herabkam, um sich noch mehr von diesem Schinken zu holen. Er hielt mich fest, warf mich über den Rücken, aber er war noch keine drei Schritte gegangen, da hatte ich ihm auch schon mein Messer ins Herz gestochen, und er stürzte zu Boden.

Dann kam der zweite Riese, um sich noch etwas Fleisch zu holen. Auch er fing mich, warf mich über den Rücken und wollte mich hinauf in die Küche tragen. Auch ihm stach ich mein Messer ins Herz, und er fiel tot um.

Der jüngste Bruder saß immer noch am Küchentisch und wartete darauf, daß ihm jemand etwas zu essen bringen werde.

Endlich wurde er ungeduldig und kam auch hinunter in den Keller, um nach seinen Brüdern zu schauen. Als er sie leblos auf dem Boden liegen sah, beugte er sich nieder, schüttelte sie und merkte dann, daß sie tot waren. Unsere Blicke kreuzten sich. Er rannte auf mich zu und schwang eine große eiserne Keule über seinem Kopf. Er zielte auf meinen Schädel und ließ dann die Waffe mit einer solchen Wucht niedersausen, daß sie sich mannstief in den Boden bohrte. Ich war rasch auf die Seite gesprungen, und mir war auch nicht ein Haar gekrümmt worden. Während er versuchte, die Keule aus dem Boden zu ziehen, warf ich mich auf ihn und stach ihn dreimal in die Seite. Aber er bekam die Keule frei und erhob sie abermals gegen mich. Wieder wich ich dem Schlag aus, und während er sich wieder mühen mußte, sie freizubekommen, rammte ich ihm mein Messer in den Bauch. Doch schon holte der Riese zum dritten Schlag aus. Diesmal verletzte mich ein verdammter Haken am Keulenschaft. Doch auch der Riese fiel um und schien dem Sterben nahe.